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Zwölf Jahre wurmte mich die übersprungene Etappe von Pila/Schneidemühl nach Chojnice/Konitz. Oft tröstete ich mich damit, dass die Landkarte eine geringe landschaftliche Ereignisdichte vermuten ließ. Die Tatsache, dass der Startpunkt im günstigsten Fall vier bis sechs Stunden mit Auto bzw. Zug von Berlin entfernt lag, erleichterte. Aber trotzdem blieb da dieser Stachel.
Im August 2022 öffnete sich jedoch ein Zeitfenster, und dank eines zeitigen Starts von Gorzow/Landsberg, über den noch an anderer Stelle berichtet wird, konnte ich die fehlenden mindestens 110 Kilometer in Angriff nehmen. Fun Facts: Ich war mit demselben „Diamant“-Fahrrad unterwegs wie 2010, nur dass außer Rahmen und Gabel sowie der Schaltung (!) inzwischen alle Teile ausgewechselt sind. Und auch die „Schildkröte“ (Vaude Hogan) war wieder dabei.
Weil ich 2010 die kurze, aber öde Hauptstraße von Trzcianka/Schönlanke nach Pila gefahren war, startete ich diesmal in Trzcianka und wurstelte mich über ruhige Nebenstraßen nördlich der „Ostbahn“ nach Pila. Einzige Sehenswürdigkeit war ein Einheimischer, der mit einem denkbar ungeeeigneten Häcksler hinten am Traktor Robiniengebüsch niedermachte und alle drei Meter erst einmal wieder zurücksetzen musste, weil die Stämme den Apparat zum Stillstand brachten.
Pila hat sich seit 2010 sehr zu seinem Vorteil entwickelt. Auch der Bahnhof macht inzwischen etwas her.
Wie damals scheiterten aber auch meine Versuche, brauchbare Landkarten für die Region zu kaufen. Die Buchhandlungen hatten zwar Hohe Tatra, Bieszczady und Masuren in allen denkbaren Varianten auf Lager, aber nicht die Umgebung.
Pila war 1945 weitgehend zu Bruch gegangen, deshalb war ich einigermaßen überrascht, dass meine Karte auf dem Handy (Mapy.cz) ein Kapuzinerkloster im Stadtzentrum auswies. Bei der Inaugenscheinnahme erwies es sich jedoch als kompletter Neubau aus den achtziger Jahren.
In enger Anlehnung an die Ostbahn fuhr ich nach Krajenka/Krojanke, einer in sich ruhenden Kleinstadt. Hinter Krajenka fand ich eine schicken Platz im Wald. Angesichts der Temperatur verzichtete ich auf das Außenzelt.
Am nächsten Morgen startete ich in das Gebiet des historischen Volkstumkampfes zwischen Deutschen und Polen. In Swieta/Schwente, dem ersten richtigen Dorf, lebten bis 1725 nur Polen, erst dann wurden deutsche Kolonisten angesiedelt. Beide Nationen lebten eher neben- als miteinander – jede hatte ihren eigenen Bürgermeister. Noch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bekannte sich die Mehrheit zur polnischen Nationalität, was ihr aber nichts nützte, weil die Mehrheit in der nordöstlich gelegenen Kreisstadt Zlotow/Flatow lieber zum Deutschen Reich gehören wollte.
Zlotow selbst ist inzwischen ein Schmuckstück, und das liegt nicht nur an der Schinkel-Kirche. Dass die Stadt eine Reise wert ist, scheint sich herumgesprochen zu haben, es waren viele deutsche Kennzeichen zu sehen.
Man scheint stolz auf sich zu sein. Jedenfalls ist der Hirsch, das Wappentier von Zlotow, überall zu sehen.
Auch in Flatow tobte der Volkstumkampf, wovon das picobello sanierte „Dom Polski“ (Polnisches Haus) zeugt.
Vor dem Haus steht eine Statue von Boleslaw Domanski, der als „Oberhaupt“ der Polen und ihrer Bewegung im Deutschen Reich 1919-1939 angesehen wird. Er erfand die „Fünf Wahrheiten der Polen:
Jesteśmy Polakami – Wir sind Polen
Polak Polakowi Bratem! Ein Pole ist einem Polen ein Bruder
Wiara Ojców naszych jest wiarą naszych dzieci – Der Glaube unserer Väter ist der Glaube unserer Kinder
Co dzień Polak Narodowi służy – Ein Pole dient der Nation an jedem Tag
Polska Matką naszą – nie wolno mówić o Matce źle! - Polen ist unsere Mutter – und über seine Mutter darf man nicht schlecht reden!
Ich fuhr nördlich der Ostbahn weiter über verkehrsberuhigte Nebenstraßen Richtung Czluchow/Schlochau. Ein Gesicht erhielten die Dörfer oft nur dank der Kirchen.
Stara Wisniewka
Mosiny
Die einzige Siedlung städtischen Charakters war Debrzno. Man war dort schon um etwas Modernität bemüht, sichtbarer Ausweis ist ein großes Wandgemälde.
Czluchow stellte dann insofern eine Überraschung dar, als vom der Burg des Deutschen Ordens doch mehr übriggeblieben war als die Karte vermuten ließ. Der Kirchenanbau am Burgturm stammt jedoch aus dem 19. Jahrhundert und wurde von Karl Friedrich Schinkel mit bearbeitet.
Interessant war auch eine Sammlung von Nachbauten historischer Katapulte.
Viel Zeit hatte ich jedoch nicht mehr, wollte ich meinen Zug in Chojnice noch erreichen. Ich verwarf alle schönen Routen über die Dörfer und folgte der berühmt-berüchtigten Staatsstraße DK22, früher Reichsstraße 1 von Aachen über Berlin nach Königsberg und bis heute als „Berlinka“ im polnischen Sprachgebrauch verankert. Zum Glück gibt es auf ganzer Länge einen straßenbegleitenden Radweg!
"Still-Leben" (2x?) an der DK 22
Rechtzeitig zum ersten Schauer erreichte ich das Stadtzentrum; allerdings zischte es nur kurz, und die Straßen waren wieder trocken. Chojnice hatte sich gegenüber 2010 noch mehr aufgebrezelt und ist auf dem Weg von Berlin nach Danzig definitiv einen Abstecher wert.
Das Schlochauer Tor
Der Marktplatz
Der „Szynobus“ von Chojnice nach Krzyz holte mich jedoch in die Vergangenheit zurück. „Diesel wurde hier mit hohem Wirkungsgrad in Lärm und Erschütterungen umgewandelt“, schrieb ich 2010. „Die restliche Energie trieb das Fahrzeug mit 90 km/h schlingernd über die Schienen.“
Nach Umsteigen in Krzyz, in Kostrzyn, Schienenersatzverkehr per Rad über die Oder nach Küstrin-Kietz und noch einmal Umsteigen in Berlin war ich knapp sieben Stunden später zu Hause.
Angehängte Dateien
Zuletzt geändert von Pfad-Finder; 10.11.2022, 22:47.
Alles unter Nutriscore "D" ist rausgeschmissenes Geld.
Zwölf Jahre wurmte mich die übersprungene Etappe von Pila/Schneidemühl nach Chojnice/Konitz.
Aber trotzdem blieb da dieser Stachel.
Schön, dass du dir diesen Stachel gezogen hast und uns daran teilnehmen lässt.
Ich hatte auch so einen Stachel.
Vor ein paar Jahren wollte ich die Donau entlang nach Regensburg radeln, musst aber bereits in Sigmaringen abbrechen.
Dieses Jahr habe ich die Strecke endlich nachgeholt, wobei ich nochmal abbrechen musste.
Der Bericht kommt irgendwann, das wird meine Winterarbeit.
Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.
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