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Wieder einmal eine Alpenüberquerung

Den Bericht hatte ich schon im Nachbar-Forum veröffentlicht, jetzt kommt er auch hierher. Diesen Sommer habe ich mich auf der Salzburg-Triest-Route auf den Weg gemacht, die Alpen zu überqueren. Da die 28 Etappen auch bei für mich sportlichem Tempo nicht in die verfügbaren 3 Wochen zu quetschen waren, habe ich meinen Start an den Königssee verlegt und mir als Minimalziel Tolmin in Slowenien vorgenommen, relativ zuversichtlich dass ich einige Etappen zusammenlegen und so die nötige Zeit ausreichend verringern könnte, um es vielleicht doch bis Triest oder zumindest ans Mittelmeer zu schaffen. Mitte Juni ist es ja noch angenehm kühl, der Schnee ist schon weg, und man kann richtig Strecke machen.
Nun ja, das dachte ich. Dass die Rechnung mit dem Schnee nicht ganz aufgeht, das wurde immer klarer, je näher der Starttermin kam. 2 Wochen zuvor sah es noch so aus, als müsste ich die Schneeschuhe mitnehmen. So manche Hütte konnte noch keinen Öffnungstermin nennen, und insgesamt bereitete ich mich schon innerlich darauf vor, so einige Male in Winterräumen zu nächtigen und alternative, weniger steile Routen zu suchen.
Ganz so wild war es dann doch nicht, aber eine Erfahrung war es allemal
(Alle Fotos in diesem wurden von mir selbst geschossen)
Tag 1 - Königssee bis Kärlingerhaus
Ich stehe kurz nach 4 Uhr auf, denn ich reise mit der Bahn an und will den ersten Zug erwischen. Noch einen schnellen Kaffee, dann den gepackten Rucksack geschnappt und ab geht es zum Bahnhof. Erst mal 25km mit dem Auto, das Monats-Parkticket hatte ich wohlweislich schon zwei Tage vorher besorgt, und ich erwische problemlos den 5:15-Zug in Richtung Rosenheim. Ab Freilassing wird es dann spannend, aber der Ersatzverkehr ist pünktlich und komme tatsächlich wie geplant passend für die erste Fähre nach St. Bartholomä an, wobei die Hälfte der Fahrgäste Wanderer und Wiederholungstäter sind. Wir hören wie immer das Königssee-Echo zurücktrompeten, und das halbe Boot könnte wohl die Erklärungen genau so gut halten.
Dann endlich legen wir in St. Bartholomä an und es kann losgehen.

Es geht eine Weile am See entlang, dann durch Kies, der mit Schmelzwasserbächen durchsetzt ist. Die Brücken sind bis auf eine noch nicht wieder an Ort und Stelle, und ich überlege kurz, passende Stellen zum Queren zu finden - bin ich doch zum ersten Mal mit Trailrunnern, ohne GoreTex, hier unterwegs. Aber was solls, nächstes Jahr werde ich auf dem PCT noch oft nasse Füße bekommen, also Augen auf und durch. Es kurz kalt, aber beim Gehen werden die Füße sofort wieder warm. Die Sonne scheint auch, und es ist ein optimales Wetter für den Tourbeginn.

Dann geht es gleich relativ knackig hinauf, an der Rancherhütte vorbei, an der ich wie immer eine Kurze Trinkpause einlege, und dann weiter zum Einstieg zur Saugasse. Auch hier liegt noch Schnee, was ich um diese Jahrezeit noch nie erlebt habe. Außerdem taut gerade eine Gemse auf, die wohl im Winter ein Lawinenopfer wurde, und der Geruch scheucht mich schnell weiter. Teilweise ist der Weg schon gut sicht- und gehbar, aber im oberen Drittel wird der Schnee immer mehr. Meine Trailrunner halten aber erstaunlich gut auf der schön aufgefirnten Oberfläche, und nach den ersten zaghaften Schritten bewege ich mich sicher auf der weißen Decke.

Unterwegs treffe ich ein paar Wanderer, die vom Kärlingerhaus kommen, und sie empfehlen mir, weiter oben dann unbedingt rechts zu gehen, der offizielle Weg links wäre zu gefährlich. Ich nehme das zur Kenntnis, wundere mich dabei allerdings, und beschließe, mir das Thema vor Ort anzusehen. Weiter oben führen die Fußspuren von heute alle nach rechts, über einen kleinen Sattel hinter dem dichte Latschenfelder wachsen. Das will ich mir so ohne weiteres nicht ansehen, also gehe ich links, wo der offizielle Weg unter Schnee vergraben ist. Nach ein paar steilen Tritten geht es um die Kurve, und der Weg vor mir ist quasi schneefrei! So viel zu gut gemeinten Ratschlägen! Später werde ich erfahren, dass sich die meisten auf den Rat selbiger Wanderer rechts gehalten haben und abenteuerliche Latschenfeld-Querungen hinter sich gebracht haben.
Die letzten zwei Kilometer zum Kärlingerhaus geht es dann fast durchgängig über gut gangbaren Schnee, und die Kühle von unten ist ein angenehmer Kontrast zur senkrecht stehenden Sonne. Die leuchtet jetzt auch voll in die Saugasse hinein, und mir tun die nach mir gestarteten fast ein wenig leid.
Am Kärlingerhaus steht hinter dem Wassertrog ein Plumpsklo, denn die Kläranlage ist kaputt und widersetzt sich allen Reparaturversuchen. Um den Funtensee war alles vor ein paar Tagen noch komplett weiß, aber es hat in der kurzen Zeit 1 1/2 Meter weggetaut. Die ersten Murmeltiere wachen auf und fiepen um die Wette, und ich trinke einen Kaffee und genieße die Aussicht.

Für den Abend sind Gewitter angesagt. Das Steinerne Meer soll noch tief im Schnee vergraben sein, und laut Hüttenwirt ist noch niemand durch gelaufen. Dann werde ich wohl der erste sein, denke ich mir, denn das Riemannhaus hat schon auf und ich kenne gottseidank diese Ecke so gut, dass ich mich auch bei schlechter Sicht (mit GPS!) hindurch traue, wenn auch auf der kurzen "direkten" Route und nicht, wie eigentlich geplant, über das Ingolstädter Haus.
Langsam füllt sich das Kärlingerhaus. Ich überlege gerade, was ich zu Abend esse, als zwei Rucksäcke mit Wanderern dran zur Hütte geschnauft kommen. Das ist Kontrast. Ich habe mit Grödeln, Eisaxt, Kocher, etwas Proviant und einer zusätzlichen Lage Kleidung ungefähr 9 Kilo am Rücken, von den beiden jeder über 35. Es ist ihre erste Bergtour überhaupt, und sie wollen zu den Drei Zinnen. Und heute noch weiter zum Riemannhaus. Meine Versuche, ihnen das auszureden - es ist schon sieben vorbei als sie los kommen, der Nebel zieht herein und das Gewitter wird sicher bald kommen - werden freundlich ignoriert, und die beiden stapfen munter in die falsche Richtung los. Man kann nicht jedem helfen.
Ich führe ein paar nette Gespräche mit jüngeren Wanderern, kann ein wenig bei der Entscheidungsfindung helfen, wie die Tourplanung ob des Schnees weitergehen soll, und lerne, dass das junge Schaf, das letztes Jahr von der Herde hier zurückgelassen wurde und das dem Hüttenteam wie ein Hündchen hinterher lief, im Tal gut versorgt wurde und beim Eintreffen der Herde dieses Jahr mit dem Versorgungshelikopter wieder heraufgebracht werden soll. Kurz darauf ist dann auch das Gemecker der Schafe zu hören, und der Bergsommer ist quasi offiziell eröffnet.
Nach einem mehr als reichlichen Essen spiele ich noch ein paar Runden Kniffel mit, habe da bei unverschämtes Würfelglück und ärgere mich kurz, dass ich nicht Lotto gespielt habe. Eigentlich habe ich morgen nicht viel zu tun, aber die Hütte ist schon gut gefüllt und viele hängen eine Extranacht hier an anstatt sich über den Schnee zu wagen. Deshalb werde ich morgen als einer der ersten loslaufen, denn auf dem Riemannhaus wird es deutlich ruhiger werden und sich niemand über das Plumpsklo beschweren.
Tag 2 - Kärlingerhaus - Riemannhaus
Ich komme tatsächlich früh weg, etwa zeitgleich mit den geführten Touren, die auch zum Riemannhaus, dann aber gleich weiter nach Maria Alm gehen. Scheinbar wird Berchtesgaden-Lienz gerade die angesagte Alternative zu Oberstdorf-Meran. Ich stapfe rechts statt links um den See herum, folge dem Bach nach Südwesten in Richtung des Salzburger Kreuzes und sinniere dabei, wie es wohl den beiden 35-Kilo-Nordlichtern ergangen ist.

Ohne GPS ist es wirklich schwierig, sich hier zurecht zu finden. Immer wieder zieht Nebel herein, und der Schnee bremst das Tempo enorm und bringt das Entfernungsgefühl durcheinander. Zumindest ist der Schnee gut gesetzt. Die Grödel sind aber unverzichtbar. Die geführten Touren und ich wechseln uns an der Spitze immer mal wieder ab, und ganz langsam werden die Nebelfetzen etwas lichter.

Es ist ganz anders als erwartet, letztes Jahr um die Zeit war feinster, schneefreier Sommer hier oben, aber es macht irre viel Spaß durch diese Schneewüste mit den sanften Hügeln zu stapfen. Ab und an ist vor einem auf einem der Hügel einer der Skitouren-Pfosten erkennbar und weist die Richtung. Kurz vor dem Riemannhaus klart der Himmel dann kurz ein wenig auf, und im Sonnenlicht ist alles noch einmal anders und genauso schön. Ein paar Skispuren zeigen, wie nah Winter- und Sommersaison beieinanderliegen können.

Kurz nachdem ich am Riemannhaus ankomme, beginnt es zu nieseln. Ich warte trotzdem noch auf der Terrasse ab, dass die geführten Gruppen versorgt sind und wieder weiter gehen. Irgendwann tauchen dann auch die beiden Ultraschwerwanderer auf und erzählen eine abenteuerliche Geschichte von Nebel und Hagel, Versteigen am Viehkogel, hektischem Biwak zwischen Latschen und Umzug im Gewitter auf der Flucht vor Ameisen... Zumindest sind sie unbeschadet, wenn auch etwas müde, aber das tut ihrem Enthusiasmus keinen Abbruch und sie wollen unbedingt gleich weiter nach Maria Alm. Ohne Grödel, durch die schneegefüllte Rinne. Immerhin werden sie das Glück haben, dass die Gruppen vor ihnen schon Tritte gesetzt haben.
Ich dagegen esse den obligatorischen, traumhaft fluffigen Kaiserschmarrn, trinke einen Kaffee, lungere entspannt herum, schreibe die ersten Tournotizen, esse wieder und spiele dann mit einer Gruppe junger Sachsen Karten bis es Zeit ist, ins Bett zu gehen.
Der Hüttenwirt, lerne ich noch, hat die letzten zwei Tage eigenhändig die schwierigen Stellen am Abstieg freigeschaufelt und neu befestigt, weil die zuständige Sektion so spontan niemand dafür hatte.
Ein wenig unausgelastet fühle ich mich nach der kurzen Etappe, aber das wird sich schnell ändern.
Tag 3 - Riemannhaus - Statzer Haus (Hundsstein)
Heute geht es zum ersten Mal auf eine "richtige", das heißt tagesfüllende, Etappe. Ich schieße ein paar Fotos, frühstücke dann schnell und mache mich auf den Weg ins Tal. Das schlechte Wetter hat sich verzogen, und es ist Kaiserwetter angekündigt. Ich winke dem Riemannhaus noch einmal zu und gehe los.

Schon von weit oben kann ich Maria Alm unten erkennen. Beim Frühstück habe ich noch die aktuellen Bedingungen und Ausrüstungsempfehlungen in der Threema-Gruppe zu Salzburg-Triest durchgegeben und den Titel "Speerspitze" verliehen bekommen. Nach dem "ungangbaren" Steinernen Meer bin ich jetzt optimistischer, was den Alpenhauptkamm betrifft, und gespannt ob noch andere mit der selben Tourplanung treffen werde.

Bis kurz vor der Station der Materialseilbahn liegt Schnee, und eine letzte Querung an einem steilen Stück ist nur aufgrund der Tritte der geführten Gruppen problemlos. Ohne diese Vorarbeit hätte ich meine Eisaxt tatsächlich zur Anwendung bringen müssen. So ist alles sehr entspannt. Der normale Weg über das Fürstenbründl würde über die rechte Flanke auf dem Bild oben führen, aber den hat ein massiver Hangrutsch unpassierbar gemacht. So steige ich weiter auf einer Forststraße ab und komme dann kurz nach 10:00 in Maria Alm an, wo ich erst einmal Pause mache.

Was ich so nicht erwartet hätte ist, wie warm es ist. Ich überlege hin und her, welchen Weg ich zum Statzerhaus nehme. Die normale Route ist mit einer Gehzeit von 6:30 angegeben und hat über 1500 Anstiegshöhenmeter, und ich habe meine "Trail Legs" noch nicht wirklich wieder. Der Rucksack, ein ÜLA CDT, ist mit reichlich Wasser beladen bei weitem unbequemer als der Terra Nova Laser, den ich letztes Jahr über die Alpen getragen habe. Ich entscheide mich letztendlich für die Schlechtwettervariante, die 4:30 dauern soll und "nur" 1350 Meter Anstieg hat.
Ich fasse mich kurz. Der Weg ist eine Kiesstraße, lang und ohne Schatten. Die Einkehrmöglichkeiten am Weg haben alle entweder Ruhetag oder aus anderen unbekannten Gründen geschlossen. Ich muss mit dem Wasser gut haushalten und schwitze den Berg hoch. Zumindest die Aussicht ist gut, so dass es keine echte Qual ist. Gegenüber sehe ich den Grat, über den die lange Variante führen würde.

Jetzt endlich kommt meine Eisaxt zum Einsatz! Nein, nicht in Schnee oder Eis, sondern um einem Mountainbikefahrer auszuhelfen, der seinen Sattel nicht tiefer gestellt bekommt, weil er den Spannhebel nicht auf bekommt. Meine gute Tat für den Tag ist 500 Meter vor der Hütte erledigt, und ich treffe beschwingt auf dem Statzerhaus ein. Ich habe schon einige Warnung über das Haus gelesen. Nicht jeder kommt wohl mit dem Hüttenwirt klar, und so manches in der Hütte hätte tatsächlich vor 20 Jahren renoviert werden müssen. Das Essen ist aber trotzdem gut, heute ist die Tochter des Wirts hier, die freundlich ist und sich über jeden Gast - jeden von uns fünfen - freut.
Die anderen vier sind tatsächlich ebenfalls auf der Salzburg-Triest-Route unterwegs, ein Ehepaar und zwei Österreicher, M. und E. Alle vier haben den ersten Teil der Tour umgangen und umfahren, da einfach zu viele Hütten noch nicht zugänglich waren, bzw. es fraglich war, ob der Zustieg rechtzeitig möglich wäre.
Wir plaudern, planen und haben einen gemütlichen Abend und einen spektakulären Sonnenuntergang, der für jede fehlende Annehmlichkeit hier oben entschädigt.

Nach einer sehr kalten Wäsche schlafe ich dann wie ein Murmeltier. Im Kopf bin ich jetzt endlich ganz auf Tour angekommen, und es wird schon schwer zu sagen, welcher Wochentag gerade ist.
...Fortsetzung folgt...

Den Bericht hatte ich schon im Nachbar-Forum veröffentlicht, jetzt kommt er auch hierher. Diesen Sommer habe ich mich auf der Salzburg-Triest-Route auf den Weg gemacht, die Alpen zu überqueren. Da die 28 Etappen auch bei für mich sportlichem Tempo nicht in die verfügbaren 3 Wochen zu quetschen waren, habe ich meinen Start an den Königssee verlegt und mir als Minimalziel Tolmin in Slowenien vorgenommen, relativ zuversichtlich dass ich einige Etappen zusammenlegen und so die nötige Zeit ausreichend verringern könnte, um es vielleicht doch bis Triest oder zumindest ans Mittelmeer zu schaffen. Mitte Juni ist es ja noch angenehm kühl, der Schnee ist schon weg, und man kann richtig Strecke machen.
Nun ja, das dachte ich. Dass die Rechnung mit dem Schnee nicht ganz aufgeht, das wurde immer klarer, je näher der Starttermin kam. 2 Wochen zuvor sah es noch so aus, als müsste ich die Schneeschuhe mitnehmen. So manche Hütte konnte noch keinen Öffnungstermin nennen, und insgesamt bereitete ich mich schon innerlich darauf vor, so einige Male in Winterräumen zu nächtigen und alternative, weniger steile Routen zu suchen.
Ganz so wild war es dann doch nicht, aber eine Erfahrung war es allemal
(Alle Fotos in diesem wurden von mir selbst geschossen)
Tag 1 - Königssee bis Kärlingerhaus
Ich stehe kurz nach 4 Uhr auf, denn ich reise mit der Bahn an und will den ersten Zug erwischen. Noch einen schnellen Kaffee, dann den gepackten Rucksack geschnappt und ab geht es zum Bahnhof. Erst mal 25km mit dem Auto, das Monats-Parkticket hatte ich wohlweislich schon zwei Tage vorher besorgt, und ich erwische problemlos den 5:15-Zug in Richtung Rosenheim. Ab Freilassing wird es dann spannend, aber der Ersatzverkehr ist pünktlich und komme tatsächlich wie geplant passend für die erste Fähre nach St. Bartholomä an, wobei die Hälfte der Fahrgäste Wanderer und Wiederholungstäter sind. Wir hören wie immer das Königssee-Echo zurücktrompeten, und das halbe Boot könnte wohl die Erklärungen genau so gut halten.
Dann endlich legen wir in St. Bartholomä an und es kann losgehen.

Es geht eine Weile am See entlang, dann durch Kies, der mit Schmelzwasserbächen durchsetzt ist. Die Brücken sind bis auf eine noch nicht wieder an Ort und Stelle, und ich überlege kurz, passende Stellen zum Queren zu finden - bin ich doch zum ersten Mal mit Trailrunnern, ohne GoreTex, hier unterwegs. Aber was solls, nächstes Jahr werde ich auf dem PCT noch oft nasse Füße bekommen, also Augen auf und durch. Es kurz kalt, aber beim Gehen werden die Füße sofort wieder warm. Die Sonne scheint auch, und es ist ein optimales Wetter für den Tourbeginn.

Dann geht es gleich relativ knackig hinauf, an der Rancherhütte vorbei, an der ich wie immer eine Kurze Trinkpause einlege, und dann weiter zum Einstieg zur Saugasse. Auch hier liegt noch Schnee, was ich um diese Jahrezeit noch nie erlebt habe. Außerdem taut gerade eine Gemse auf, die wohl im Winter ein Lawinenopfer wurde, und der Geruch scheucht mich schnell weiter. Teilweise ist der Weg schon gut sicht- und gehbar, aber im oberen Drittel wird der Schnee immer mehr. Meine Trailrunner halten aber erstaunlich gut auf der schön aufgefirnten Oberfläche, und nach den ersten zaghaften Schritten bewege ich mich sicher auf der weißen Decke.

Unterwegs treffe ich ein paar Wanderer, die vom Kärlingerhaus kommen, und sie empfehlen mir, weiter oben dann unbedingt rechts zu gehen, der offizielle Weg links wäre zu gefährlich. Ich nehme das zur Kenntnis, wundere mich dabei allerdings, und beschließe, mir das Thema vor Ort anzusehen. Weiter oben führen die Fußspuren von heute alle nach rechts, über einen kleinen Sattel hinter dem dichte Latschenfelder wachsen. Das will ich mir so ohne weiteres nicht ansehen, also gehe ich links, wo der offizielle Weg unter Schnee vergraben ist. Nach ein paar steilen Tritten geht es um die Kurve, und der Weg vor mir ist quasi schneefrei! So viel zu gut gemeinten Ratschlägen! Später werde ich erfahren, dass sich die meisten auf den Rat selbiger Wanderer rechts gehalten haben und abenteuerliche Latschenfeld-Querungen hinter sich gebracht haben.
Die letzten zwei Kilometer zum Kärlingerhaus geht es dann fast durchgängig über gut gangbaren Schnee, und die Kühle von unten ist ein angenehmer Kontrast zur senkrecht stehenden Sonne. Die leuchtet jetzt auch voll in die Saugasse hinein, und mir tun die nach mir gestarteten fast ein wenig leid.
Am Kärlingerhaus steht hinter dem Wassertrog ein Plumpsklo, denn die Kläranlage ist kaputt und widersetzt sich allen Reparaturversuchen. Um den Funtensee war alles vor ein paar Tagen noch komplett weiß, aber es hat in der kurzen Zeit 1 1/2 Meter weggetaut. Die ersten Murmeltiere wachen auf und fiepen um die Wette, und ich trinke einen Kaffee und genieße die Aussicht.

Für den Abend sind Gewitter angesagt. Das Steinerne Meer soll noch tief im Schnee vergraben sein, und laut Hüttenwirt ist noch niemand durch gelaufen. Dann werde ich wohl der erste sein, denke ich mir, denn das Riemannhaus hat schon auf und ich kenne gottseidank diese Ecke so gut, dass ich mich auch bei schlechter Sicht (mit GPS!) hindurch traue, wenn auch auf der kurzen "direkten" Route und nicht, wie eigentlich geplant, über das Ingolstädter Haus.
Langsam füllt sich das Kärlingerhaus. Ich überlege gerade, was ich zu Abend esse, als zwei Rucksäcke mit Wanderern dran zur Hütte geschnauft kommen. Das ist Kontrast. Ich habe mit Grödeln, Eisaxt, Kocher, etwas Proviant und einer zusätzlichen Lage Kleidung ungefähr 9 Kilo am Rücken, von den beiden jeder über 35. Es ist ihre erste Bergtour überhaupt, und sie wollen zu den Drei Zinnen. Und heute noch weiter zum Riemannhaus. Meine Versuche, ihnen das auszureden - es ist schon sieben vorbei als sie los kommen, der Nebel zieht herein und das Gewitter wird sicher bald kommen - werden freundlich ignoriert, und die beiden stapfen munter in die falsche Richtung los. Man kann nicht jedem helfen.
Ich führe ein paar nette Gespräche mit jüngeren Wanderern, kann ein wenig bei der Entscheidungsfindung helfen, wie die Tourplanung ob des Schnees weitergehen soll, und lerne, dass das junge Schaf, das letztes Jahr von der Herde hier zurückgelassen wurde und das dem Hüttenteam wie ein Hündchen hinterher lief, im Tal gut versorgt wurde und beim Eintreffen der Herde dieses Jahr mit dem Versorgungshelikopter wieder heraufgebracht werden soll. Kurz darauf ist dann auch das Gemecker der Schafe zu hören, und der Bergsommer ist quasi offiziell eröffnet.
Nach einem mehr als reichlichen Essen spiele ich noch ein paar Runden Kniffel mit, habe da bei unverschämtes Würfelglück und ärgere mich kurz, dass ich nicht Lotto gespielt habe. Eigentlich habe ich morgen nicht viel zu tun, aber die Hütte ist schon gut gefüllt und viele hängen eine Extranacht hier an anstatt sich über den Schnee zu wagen. Deshalb werde ich morgen als einer der ersten loslaufen, denn auf dem Riemannhaus wird es deutlich ruhiger werden und sich niemand über das Plumpsklo beschweren.
Tag 2 - Kärlingerhaus - Riemannhaus
Ich komme tatsächlich früh weg, etwa zeitgleich mit den geführten Touren, die auch zum Riemannhaus, dann aber gleich weiter nach Maria Alm gehen. Scheinbar wird Berchtesgaden-Lienz gerade die angesagte Alternative zu Oberstdorf-Meran. Ich stapfe rechts statt links um den See herum, folge dem Bach nach Südwesten in Richtung des Salzburger Kreuzes und sinniere dabei, wie es wohl den beiden 35-Kilo-Nordlichtern ergangen ist.

Ohne GPS ist es wirklich schwierig, sich hier zurecht zu finden. Immer wieder zieht Nebel herein, und der Schnee bremst das Tempo enorm und bringt das Entfernungsgefühl durcheinander. Zumindest ist der Schnee gut gesetzt. Die Grödel sind aber unverzichtbar. Die geführten Touren und ich wechseln uns an der Spitze immer mal wieder ab, und ganz langsam werden die Nebelfetzen etwas lichter.

Es ist ganz anders als erwartet, letztes Jahr um die Zeit war feinster, schneefreier Sommer hier oben, aber es macht irre viel Spaß durch diese Schneewüste mit den sanften Hügeln zu stapfen. Ab und an ist vor einem auf einem der Hügel einer der Skitouren-Pfosten erkennbar und weist die Richtung. Kurz vor dem Riemannhaus klart der Himmel dann kurz ein wenig auf, und im Sonnenlicht ist alles noch einmal anders und genauso schön. Ein paar Skispuren zeigen, wie nah Winter- und Sommersaison beieinanderliegen können.

Kurz nachdem ich am Riemannhaus ankomme, beginnt es zu nieseln. Ich warte trotzdem noch auf der Terrasse ab, dass die geführten Gruppen versorgt sind und wieder weiter gehen. Irgendwann tauchen dann auch die beiden Ultraschwerwanderer auf und erzählen eine abenteuerliche Geschichte von Nebel und Hagel, Versteigen am Viehkogel, hektischem Biwak zwischen Latschen und Umzug im Gewitter auf der Flucht vor Ameisen... Zumindest sind sie unbeschadet, wenn auch etwas müde, aber das tut ihrem Enthusiasmus keinen Abbruch und sie wollen unbedingt gleich weiter nach Maria Alm. Ohne Grödel, durch die schneegefüllte Rinne. Immerhin werden sie das Glück haben, dass die Gruppen vor ihnen schon Tritte gesetzt haben.
Ich dagegen esse den obligatorischen, traumhaft fluffigen Kaiserschmarrn, trinke einen Kaffee, lungere entspannt herum, schreibe die ersten Tournotizen, esse wieder und spiele dann mit einer Gruppe junger Sachsen Karten bis es Zeit ist, ins Bett zu gehen.
Der Hüttenwirt, lerne ich noch, hat die letzten zwei Tage eigenhändig die schwierigen Stellen am Abstieg freigeschaufelt und neu befestigt, weil die zuständige Sektion so spontan niemand dafür hatte.
Ein wenig unausgelastet fühle ich mich nach der kurzen Etappe, aber das wird sich schnell ändern.
Tag 3 - Riemannhaus - Statzer Haus (Hundsstein)
Heute geht es zum ersten Mal auf eine "richtige", das heißt tagesfüllende, Etappe. Ich schieße ein paar Fotos, frühstücke dann schnell und mache mich auf den Weg ins Tal. Das schlechte Wetter hat sich verzogen, und es ist Kaiserwetter angekündigt. Ich winke dem Riemannhaus noch einmal zu und gehe los.

Schon von weit oben kann ich Maria Alm unten erkennen. Beim Frühstück habe ich noch die aktuellen Bedingungen und Ausrüstungsempfehlungen in der Threema-Gruppe zu Salzburg-Triest durchgegeben und den Titel "Speerspitze" verliehen bekommen. Nach dem "ungangbaren" Steinernen Meer bin ich jetzt optimistischer, was den Alpenhauptkamm betrifft, und gespannt ob noch andere mit der selben Tourplanung treffen werde.

Bis kurz vor der Station der Materialseilbahn liegt Schnee, und eine letzte Querung an einem steilen Stück ist nur aufgrund der Tritte der geführten Gruppen problemlos. Ohne diese Vorarbeit hätte ich meine Eisaxt tatsächlich zur Anwendung bringen müssen. So ist alles sehr entspannt. Der normale Weg über das Fürstenbründl würde über die rechte Flanke auf dem Bild oben führen, aber den hat ein massiver Hangrutsch unpassierbar gemacht. So steige ich weiter auf einer Forststraße ab und komme dann kurz nach 10:00 in Maria Alm an, wo ich erst einmal Pause mache.

Was ich so nicht erwartet hätte ist, wie warm es ist. Ich überlege hin und her, welchen Weg ich zum Statzerhaus nehme. Die normale Route ist mit einer Gehzeit von 6:30 angegeben und hat über 1500 Anstiegshöhenmeter, und ich habe meine "Trail Legs" noch nicht wirklich wieder. Der Rucksack, ein ÜLA CDT, ist mit reichlich Wasser beladen bei weitem unbequemer als der Terra Nova Laser, den ich letztes Jahr über die Alpen getragen habe. Ich entscheide mich letztendlich für die Schlechtwettervariante, die 4:30 dauern soll und "nur" 1350 Meter Anstieg hat.
Ich fasse mich kurz. Der Weg ist eine Kiesstraße, lang und ohne Schatten. Die Einkehrmöglichkeiten am Weg haben alle entweder Ruhetag oder aus anderen unbekannten Gründen geschlossen. Ich muss mit dem Wasser gut haushalten und schwitze den Berg hoch. Zumindest die Aussicht ist gut, so dass es keine echte Qual ist. Gegenüber sehe ich den Grat, über den die lange Variante führen würde.

Jetzt endlich kommt meine Eisaxt zum Einsatz! Nein, nicht in Schnee oder Eis, sondern um einem Mountainbikefahrer auszuhelfen, der seinen Sattel nicht tiefer gestellt bekommt, weil er den Spannhebel nicht auf bekommt. Meine gute Tat für den Tag ist 500 Meter vor der Hütte erledigt, und ich treffe beschwingt auf dem Statzerhaus ein. Ich habe schon einige Warnung über das Haus gelesen. Nicht jeder kommt wohl mit dem Hüttenwirt klar, und so manches in der Hütte hätte tatsächlich vor 20 Jahren renoviert werden müssen. Das Essen ist aber trotzdem gut, heute ist die Tochter des Wirts hier, die freundlich ist und sich über jeden Gast - jeden von uns fünfen - freut.
Die anderen vier sind tatsächlich ebenfalls auf der Salzburg-Triest-Route unterwegs, ein Ehepaar und zwei Österreicher, M. und E. Alle vier haben den ersten Teil der Tour umgangen und umfahren, da einfach zu viele Hütten noch nicht zugänglich waren, bzw. es fraglich war, ob der Zustieg rechtzeitig möglich wäre.
Wir plaudern, planen und haben einen gemütlichen Abend und einen spektakulären Sonnenuntergang, der für jede fehlende Annehmlichkeit hier oben entschädigt.

Nach einer sehr kalten Wäsche schlafe ich dann wie ein Murmeltier. Im Kopf bin ich jetzt endlich ganz auf Tour angekommen, und es wird schon schwer zu sagen, welcher Wochentag gerade ist.
...Fortsetzung folgt...
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