[DE] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

Einklappen

Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • Lookas
    Erfahren
    • 01.11.2011
    • 129
    • Privat

    • Meine Reisen

    [DE] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende


    Land: Deutschland
    Reisezeit: 03.-07. August 2013
    Region/Kontinent: Mitteleuropa

    Fast wäre ich ja auch achtlos an ihm vorbeigelaufen. Die weiße Schrift auf der hellgoldenen Plakette war erst in letzter Sekunde zu lesen – und da blieb ich überrascht stehen und sah ihn mir genauer an. In diesem großen, irgendwie unpassend modernen „Oberstdorf Haus“ stand der in Bronze gegossene Kopf von Anderl Heckmair direkt am rechten Treppenaufgang, stoisch und still. Wie viele hier wohl zur Toilette vorbeieilten, ohne ihn zu registrieren? Mir jedenfalls war diese Begegnung doch etwas besonderes, denn die Pioniertaten von einst faszinieren mich noch heute – und Heckmairs berühmtes Zitat versuche ich in meinem allerdings arg bescheidenen Rahmen immer in Ehren zu halten: „Bei meinen bergsteigerischen Unternehmungen hatte ich allzeit den Grundsatz: Es kommt nicht auf die Leistung, sondern auf das Erlebnis an.“
    Und so war es auch in diesem Urlaub. Ich war gerade frisch vom Berg herab und noch übervoll der Erlebnisse und Eindrücke, sonnenverbrannt und doch erschöpft. Ich hatte eine schöne Tour gemacht, die jedoch ein wenig von den Plänen, die ich hier ursprünglich geschmiedet hatte, abgewichen war. Trotzdem ein dickes „Danke!“ an die hilfreichen und wichtigen Kommentare und Hinweise!

    Dabei sah es anfangs gar nicht so schön aus: Der Wetterbericht versprach in erster Linie Gewitter, so viel das Herz begehrt und wie so allgemein üblich um diese Jahreszeit. Da der Urlaub ursprünglich auch völlig anders Richtung Koblenz verplant war, sich im Juni aber alles änderte und leider nichts mehr umgelegt werden konnte, nahm ich diesen Nachteil in Kauf und zog trotzdem völlig größenwahnsinnig gen Oberstdorf: Ich konnte ja immer noch im Tal bleiben oder aufs Bolsterlanger Horn laufen – irgendwas harmloses war immer drin.



    Und das Allgäu empfing mich nach 30 Jahren Abwesenheit gleich mit einem heftigen Gewitter! Als ich Samstag Abends an Sonthofen vorbeirollte, schwappte die dunkelblaue, milchige Suppe bereits dick und schwer aus dem Aubachtal herüber. Da die Campingplätze in Oberstdorf belegt waren, stellte ich mich vorerst vor den Wohnmobilstellplatz und wartete das schlimmste ab, bis ich nach der gefühlten Sintflut, dem Hagel und den Blitzen dann irgendwie rat- und orientierungslos durch das dunkle Örtchen einfach Richtung Fellhornbahn weiterfuhr und kurz hinter dem Ortsausgang einen schmalen, unbeschilderten Parkstreifen fand, wo schon andere Autos standen. Yeah, das war ja wie bestellt! Flugs parkte ich und richtete mich im Auto wohnlich ein, genoss das Gute-Nacht-Bier und verbrachte so neben einem Camping-Bulli mit jungem Pärchen die erste, kalte Nacht im Auto.


    Tag 1
    Um sechs Uhr klingelte der Wecker. Mistding! Ich krabbelte knurrend aus den Daunen und begann dann doch zu grinsen: Das Wetter war traumhaft schön. Ein klarer, kalter Morgen empfing mich, der Nebel stand auf den Weiden und die Feuchtigkeit begann, aufzusteigen.





    Ich zog mich schnell um, schulterte den Rucksack und zog emsig los, erst einmal ins Örtchen rein, um Wasser zu tanken. Ich hatte einiges an Ausrüstung dabei, was sich im Nachhinein als überflüssig erwies, mir jedoch zur Sicherheit dienen sollte, so vor allem der Biwaksack, der Schlafsack und die Isomatte – falls mich doch ein Unwetter überraschte, wollte ich nicht bloß in Regenjacke nahezu schutzlos herumhocken und erfrieren.



    Während ich durstig – ohne Wasser gefunden zu haben – die Trettach Richtung Spielmannsau entlang trottete, ging langsam die Sonne auf. Der Nebel hob sich, die Vögel zwitscherten, die Luft wurde wärmer und die Nässe begann, langsam zu schwinden. Ich staunte: So schön war das hier? Und ich hatte das all die Jahre ignoriert? Schäm dich!







    In Spielmannsau tankte ich endlich Wasser, trank gleich gefühlte drei Liter, pausierte kurz und stapfte dann wild entschlossen den dschungelartigen, rutschigen Weg weiter. Mir kamen nun viele gebräunte Wanderer entgegen, sicherlich die ersten, die die Hütte verlassen hatten, um abzusteigen. Einige waren offenbar altgediente Veteranen: Helme baumelten hier und da am Rucksack, die technischen Stiefel traten sicher auf die Steine, die deutlich oft benutzten Stöcke klackten auf den Steinen und hinab ging es hurtigeren Schrittes als hinauf. Andere Aufsteiger traf ich auch, denen ging es dann zum Glück nicht anders als mir; wir schwitzten gemeinsam für die Absteiger mit.


    Blick zurück aufs morgendliche Spielmannsau


    Kleine Rast "Am Knie"


    Junge Leute machen Spässkens überm Tobel

    Der Tobel war nass. Überall spritzte Wasser herab, nässte die Steine und rauschte unter uns gen Tal. Eine rutschige Angelegenheit! Ich lud Wasser nach, frisch vom Fels, das schmeckte herrlich kühl und lecker. Dann hatte ich den Sperrbach auch schon hinter mir und vor mir eröffnete sich das breite, grüne Panorama des Talkessels, über mir thronte die Hütte, der Himmel war klar und blau, der schroffe Fels grau und zerklüftet – was will man mehr?




    Gegen viertel nach elf erreichte ich dann völlig erschöpft die Kemptner Hütte, trank ein alkoholfreies Weizen und genoss das grandiose Rund des Panoramas. Mein Kopf schmerzte leicht, vermutlich eine Kombination aus zu wenig Flüssigkeit, viel zu wenig Schlaf im engen Auto und der Anstrengung in ungewohnter Höhe. Ich beschloss, auf der Hütte zu bleiben und den Mittag auf dem Oberen Mädelejoch zu verdösen, mit Blick auf den Krottenkopf, den ich später auch mal besteigen möchte. Größenwahnsinnig, wie ich gerne in den Planungen werde, wollte ich da ürsprünglich an diesem Vormittag noch mal so eben hoch ...



    Für den Nachmittag war noch mehr Gewitter angesagt, hatte es in der Hütte geheißen. Ich legte mich daher faul ins warme Gras der Scharte und nickte sofort ein. Ein Grollen weckte mich und ich sprang auf: Der Ifen war schon nicht mehr zu sehen und die Wolken kamen erstaunlich schnell herüber. Ich packte eilig meinen Kram und stieg zur Hütte ab. Dort nahm ich Quartier, trank ein Bier und machte dann noch ein Nickerchen (es war also definitiv der Schlafmangel). Abends saß ich dann mit meinen netten beiden Lagernachbarn zusammen, die den E5 gingen, wie fast alle anderen hier auch.
    - Kehren eigentlich auch andere in der Kemptner Hütte ein? fragte ich grinsend und die anderen lachten.
    - Nö, wir haben eigentlich Glück, denn offenbar dürfen hier nur vorgebuchte und geführte E5-Gruppen rein, grinste Stefan und deutete auf eine völlig verschwitze, atemlose Gruppe diverser Familien, die gerade mit einem charmant-smarten, langhaarig-blonden Bergführer (der gerade erst warm geworden war) ihr grandioses Ankommen völlig erschöpft feierte. Wir lachten darüber und verbrachten einen lustigen Abend, bis es gegen halb zehn und diversen „letzten Bieren“ ins Lager ging.

    Das muss das Boot abkönnen!

  • Lookas
    Erfahren
    • 01.11.2011
    • 129
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    AW: [D] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

    Tag 2
    Ich wäre gerne in der Gesellschaft dieser beiden Vögel weitergelaufen, aber mein cooler Plan war anders. Ich peilte für diesen Tag das Prinz-Luitpold-Haus an, was knapp 9 Stunden hochalpines Vergnügen bedeutete. Angesagt waren 31° im Schatten ...


    "Moin!" sagt der Bengel doch glatt zu mir - vertraute Worte in fremder Umgebung!


    Fertig zum Aufbruch


    Ein Blick zurück


    Da geht's hoch: Zum Fürschießersattel

    Um halb sieben trennten wir drei uns mit herzlichem Händedruck an der Wegegabelung und ich stieg schnaufend hinauf zum Fürschießersattel. Ursprünglich hatte ich den Weg anders herum gehen wollen, aber die Empfehlungen auf dieser Seite hatte mir eingeleuchtet – auch sah das Etappenprofil deutlich anstrengender aus, wenn man vom PLH aus losging. Ich musste dennoch an das Lied der Kinks „Last Of The Steam-Powered Trains“ denken, so sehr musste ich in der Höhenluft bereits jetzt schnaufen!


    Blumenpracht im kalten Morgentau

    Wir waren alles in allem zu viert auf dieser Route unterwegs: ein Schottisches Pärchen aus Edinburgh, das lieber still für sich blieb, ein netter, fitter Salzburger und ich. Im Märzle entgingen wir knapp einem Steinschlag, den ein paar Gämsen auslösten, denen es ja mal rein vollkommen egal ist, was dann so unter ihnen passiert. Ich fühlte mich auch deutlich wohler, als wir endlich den Grat zum Kreuzeck hinaufstapften, links und rechts ein beeindruckendes Panorama der Allgäuer Alpen.




    Links das Rauheck, rechts im Hintergrund der Hochvogel

    Ich weiß nicht, wie es anderen, geht, aber ich könnte in solchen Momenten am liebsten schreien vor Freude! Um mich blühten die Alpwiesen, über mir kreisten Vögel, die Sonne schien warm und golden und um mich erstreckte sich ein ins Blaue verschwindendes Panorama – und ich lief weit oben in der Stille zwischen zirpenden Grillen und summenden Fliegen, Bienen und flatternden Schmetterlingen entlang. Ein erster, herrlich magischer Moment!





    Auf dem Rauheck störten dann auch bloß die drei Milliarden Fliegen, die über uns herfielen. Der Salzburger und ich vesperten in aller möglichen Ruhe, grinsten glücklich um die Wette und begrüßten den einsamen Entgegenkommenden freundlich. Der Herr sprach aber kaum und schien unterwegs Richtung Kemptner, setzte sich abseits und packte ebenfalls seine Brotzeit aus. Ich sah nun erst mal auch mein eigentliches Ziel: den Hochvogel. Ich war baff, wie deutlich sich diese charakteristische Pyramide aus den umliegenden Klüften abhebt – und wie perfekt sein Name zur Silhouette passt!




    Rechts die drei Wilden", mittig das Himmelhorn, links im Hintergrund die Daumengruppe


    Vorne links der Höfats, dahinter der geplante "Endgegner" Nebelhorn!

    Als Kind hatte ich ihn immer besteigen wollen, gerade weil er so einzigartig aussah. Und nun stand die Premiere bevor. Ich war ein bisschen aufgeregt, das gebe ich zu. Der Tag war eh perfekt, wenn die Besteigung morgen klappte, wäre das die Krönung – nein, der Gipfel. Und so begaben wir uns gemeinsam auf den Abstieg, wobei mich der Salzburger bald in Richtung Dietersbachtal verließ und ich den restlichen Abstieg zum Eissee über die Treppenstufen hinabstürmte. Es war wahrlich heiß! Der Eissee lockte, und so stürzte ich wie ein deutscher Büffel an den überraschten Schotten vorbei zum Ufer, warf das T-Shirt ab und nässte ungeniert meine weiße Wabbelwampe mit eisigem, klaren Nass. Herrlich!

    Ach ja, die Füße habe ich auch hinein gehalten. Jetzt kann man das klare Wasser nie mehr trinken.



    Den Rest des Tages verbrachte ich damit, schnaufend und schwitzend zum Himmeleck hinauf zu tuckern. Es sonnte und glühte, dass ich meinen schlimmsten Fauxpas befluchte, was das Zeug hielt: Ich hatte meine Sonnencreme des Morgens auf der Hütte liegen gelassen! Und nun knusperte meine Haut wie ein Broiler am Spieß ...


    Es floss schneller aus den Poren als zum Mund hinein!

    Ein französisches Pärchen kam herab. Er: ein dunkler Typ, groß, sehr schlank und schmal, fast feminin im Verhalten, sämtliche Körperteile artig in beige bedeckt, selbst farblich passende Handschuhe tragend, der gepflegte Bart perfekt gestutzt. Sie: eine sommersprossige Blondine, zierlich, bildhübsch, hellhäutig, freie Arme und etwas entspannter.
    - Ei, woher ich käme? Wohin ich wolle? Wo wir überhaupt seien? Nein, man spräche nur französisch, bitte sehr. Aha ... oh, meine Karte sei ja richtig gut!
    Er faltete seine einfachen Google-Ausdrucke rasch zusammen und griff mit den Handschuhen hastig meine „amtliche Umgebungskarte“ – ich kam mir furchtbar deutsch vor, besonders, als ich dann schnaufend weiterstapfte und die beiden grazil in die andere Richtung zur Käser-Alpe hinabtänzelten.
    Auf dem Himmeleck verschnaufte ich, schwitzte aus und entblößte erneut meinen Oberkörper, was eine grauhaarige Mutter nebst kräftiger, pubertierender und überforderter Tochter sichtlich amüsierte. Dennoch fragten sie mich nach dem Weg ins Oytal, um dann keuchend weiterzulaufen. Ein älteres Pärchen verzweifelte derweil daran, auf dieser etwas freien Scharte einen möglichst unauffälligen Platz zum Pinkeln zu finden ... und als dann noch die Schotten auftauchten, tauchte ich doch noch ins Tal ab.



    Unten erfrischte ich mich in einem klaren, kühlen Bach und tankte nach einem kritischen Blick in die Quellage Wasser nach – da stand kein Vieh herum, also war das Wasser sauber, basta. Sowieso sah ich kaum Kühe, obwohl alle Wiesen in herrlichster, bunter Blumenpracht standen, die Kräuter sprossen und das Gras fett war. Dafür brachen überall die Matten ein und rutschten ab – was vielleicht an den fehlenden Kuhtritten liegen mag? Ist es derartig schlecht um die Allgäuer Milchwirtschaft bestellt, wie es hier wirkte? Ohne das festigende Vieh sacken offenbar die Lagen mittlerweile häufig ab. Ich stelle es mir jedenfalls vor wie am Deich, wo Schafe notwendig sind, um alles in Schuss zu halten ...




    Blick zurück hoch zum Himmeleck, direkt über dem Schneefeld rechts von kleinen Buckel

    Einen langen, quälend heißen Anstieg durch schwül-feuchtes Gestrüpp später stand ich endlich um halb drei in Blickweite des Prinz-Luitpold-Hauses, das schlicht und doch schön auf einer Felsenterrasse hoch über dem Tal liegt. Was für eine exquisite Lage! Ich stolperte erschöpft und gar gekocht auf die Panorama-Terasse, keuchte aus und tappte dann hinein in den Stiefel-Vorraum. Die bildhübsche Deern hinterm Schalter konnte ich aber nicht verstehen, denn sie sprach irgendetwas abartig breit süddeutsches ... erst, als sie sichtlich bemüht auf hochdeutsch artikulierte, wurde mir klar, was sie wollte. Ich zahlte und zog selbstverständlich – wie sie verlangt hatte – die Stiefel gleich hier im Vorraum aus.




    Der holte sich keine Tasse Kaffee ab, nein. Eine Familie mit vierjährigen Kindern hatte oben vor der Bockkarscharte ohne Wasser auf dem Weg gesessen, weil sie zu wenig zu trinken eingepackt hatten ...


    ... und eine Wanderin, die sie getroffen und ihr Wasser mit ihnen geteilt hatte, sagte im PLH bescheid, wo sofort der Heli gerufen wurde ...


    ... der die Familie auch fand. Die sagten aber, sie bräuchten doch gar keine Hilfe und schickten ihn weiter, um die eigentlich bedürftigen zu suchen und ihn nicht zu blockieren - daraufhin kam der Heli zur Hütte, weil er niemanden sonst fand. Ein Mißverständnis, das glimpflich ausging, die Familie erreichte die Hütte gegen sieben Uhr und war fix und alle. Ein Lehrbeispiel für Fehlplanung, Überschätzung und Glück im Unglück.

    Abends saß ich mit drei schwäbischen Ehepaaren an einem Tisch auf der anderen Terrasse mit Blick auf Kreuzspitze und Hochvogel-Gipfel. Auch hier verstand ich kein Wort – aber die Rita übersetzte, soweit sie dazu kam, was die da alles zusammebabbelten. Ich genoss den Blick, die wirklich netten Leute und das Schwäbisch, dann fiel ich um halb neun in die Koje. Nachts aber rüttelte der Wind, dass wir alle hellwach wurden: Das Blechdach wummerte, dass einem Angst und Bange wurde, der Wind heulte und die Blitze krachten. Teufel, war das ein Wetter! Und neben mir schnarchten zwei Jungs, denen die Schnäpse vom Abend selige Träume bereiteten – und zum Schnarchen und dem Sturm gesellte sich hin und wieder in wörtlich atemberaubender Lautstärke die Nachwirkungen davon, dass mein direkter Nachbar der beiden offensichtlich das AV-Mitgliedsessen gegessen hatte: Linseneintopf mit Würstchen.
    Das muss das Boot abkönnen!

    Kommentar


    • Lookas
      Erfahren
      • 01.11.2011
      • 129
      • Privat

      • Meine Reisen

      #3
      AW: [D] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

      Tag 3
      Wenn ich daran denke, wie ungern ich zu Hause früh aufstehe! Aber hier klingelt der Wecker um halb sechs und der Lukas steht sofort gerade im Bett. Anders als die meisten Wanderer hatte ich am Abend bereits den Rucksack gepackt, schlüpfte also bloß noch von der Matratze, griff Hut und Rucksack und schlich sofort hinaus. Unten konnte ich mich dann waschen, fertig packen, frühstücken und mich in Ruhe ankleiden.


      Das Prinz-Luitpold-Haus im fahlen Morgenlicht

      Um fünf nach sechs zog ich los und war fest davon überzeugt, der letzte zu sein, der hinauf zum Gipfel stürmt. Ich sah vor mir einen freundlichen, schnellen Wanderer aus Schleiden, der scheinbar mühelos die Serpentinen meisterte. Ich dagegen schnaufte und stampfte wieder, Schritt für Schritt schleichend, aber an Höhe gewinnend. Eine Gams-Schule klimperte neben mir im Kar, bis ich auf fast fünfzig Meter heran war.



      Der Aufstieg zur Balkenscharte war hart und steil, aber der letzte, irrwitzig senkrecht wirkende Hang war mit Stufen und einer Treppe versichert. Oben empfing mich die herrlich güldene Morgensonne, trocknete die Schweißtropfen und lachte mich aus: Das war doch noch gar nichts! Und du willst ganz nach oben? Na, dann leg mal noch eine Schippe drauf, Sportsfreund!









      Der Kalte Winkel machte seinem Namen alle Ehre. Das berüchtigte Schneefeld war in den letzten Tagen angetaut, vernässt und über Nacht leicht verhärtet, so dass ich zwar von weitem die beiden Spuren sehen konnte, die hinauf führten, vor Ort jedoch keine Tritte vorfand – nur flache Mulden, die zwar eine leicht matschige Oberfläche, darunter jedoch harten Schnee aufwiesen. Ich war versehentlich im Geröll des Kars zu steil gestiegen und der „Abkürzung“ gefolgt, die in spitzem Winkel hoch zur Hauptspur zog. Die Hauptspur dagegen verlief flacher den Hang hinab und traf viel weiter hinten und viel tiefer auf den eigentlichen Weg.


      Der Hochvogel vom Kalten Winkel aus gesehen. Da soll ich hoch?! Wo denn??


      Von der Mitte hinten kommt der Weg übers Geröll ...


      ... trifft aufs Schneefeld und teilt sich ...


      ... und dann muss man halt durch.

      Nun stand ich am Schnee und war kurz unentschlossen. Ohne Grödel da rauf? Probeweise stieß ich die Stiefelspitze mehrfach fest hinein. Es ging ganz gut, der neue, flache Tritt trug mich. Noch einen – es schien zu gehen, jedoch nur in den Spuren der verwischten alten Tritte. Also beugte ich mich vor und kroch langsam, konzentriert Tritt um Tritt stoßend, auf allen Vieren hinauf. Bald erreichte ich den eigentlichen Weg, wo die Tritte etwas tiefer wurden und es schneller voranging.


      Geht zur Not aber auch ohne Grödel, ist aber nicht unbedingt zu empfehlen.

      Die letzten Meter waren asozial steil, aber da baumelte ein altes Fixseil, auf das ich mich ohne zu Überlegen verließ. Es hielt, und so zog ich mich hinauf zur Winkelscharte. Geschafft! Ich war der erste, der heute diesen Weg gegangen war, und just in dem Moment kam ein junges Pärchen von der Kreuzspitze herab. Ich saß keuchend und mit etwas wackligen Knien auf dem Stein und fluchte über den Schnee, da sprachen die beiden ruhig: Ach, da wollten sie nachher absteigen, der Weg solle auch interessant sein.
      Ich ließ jetzt kurzentschlossen meinen Rucksack stehen, schnallte eine Trinkflasche an den Gürtel, zog die Softshell an (es zog!) und kletterte ohne Ballast hinter den beiden her.


      Nicht, dass den von hier aus einer mitnähme - aber ein einsamer Rucksack kann zu falschen Schlüssen führen und einen Fehlalarm hatten wir ja am Abend vorher schon.

      Und nun wurde es wirklich schön: Der Fels sah zuerst von weitem gar nicht so aus, als sei er leicht zu besteigen, doch die terrassenförmige Struktur ermöglichte es, schnell höher und höher zu kommen. Hier und da gibt es ein paar einfache Kletterstellen, aber nie mehr als einen oder eineinhalb Meter, alles sehr gut zu bewältigen (sofern man schwindelfrei ist). Und dann geht man noch ein paar Schritte, erklimmt eine letzte Stufe – und steht oben!


      Suchbild: leicht rechts von der Mitte klettern die beiden


      An einigen Stellen ist's auch versichert.

      Der Blick vom Gipfel ist einzigartig. Kein Wunder, dass in meinem Wanderführer steht er stelle „das visuelle ‚Herz’ der Allgäuer Alpen dar“! Der Morgen war klar und kalt, die Sonne begann erst, zu wärmen und um uns lag das Allgäu offen und weit da. Bis zum Bodensee reichte der Blick – und ganz weit im Westen zum teilweise schneebedeckte Säntis, der nur noch schemenhaft zu ahnen war. Der schnelle Schleidener saß seelenruhig auf der Bank, lächelte mir entgegen und ging ziemlich schnell wieder. Ich blieb zusammen mit dem Pärchen von etwa viertel nach neun bis kurz nach zehn und genoss das Panorama. Herrlich!


      Da unten, im Schatten der vertikalen Arena liegt die Hütte!




      Blick am Gipfelkreuz vorbei gen Ost-Südost

      Dann erreichte eine freundliche Frau mittleren Alters über den Bäumheimer Weg den Gipfel; sie hatte die Nacht zwischen zwei Hütten (vermutlich den Schwabegghütten) biwakiert und wollte nun übers PLH zur Landsberger Hütte weiter.
      Der Abstieg ging schnell und war nicht minder schön; die Felsen waren fest und gut, die Griffe zwar abgewetzt, aber hilfreich. Uns kamen nun die anderen Spätstarter entgegen, auch die schnarchenden Jungs, die noch etwas müde wirkten. Ich war also gar nicht der letzte gewesen – wir vier waren im Gegenteil die ersten an jenem Morgen! An der Scharte schulterte ich den Rucksack, wünschte dem netten Pärchen alles Gute für das Schneefeld und erklomm nun die Kreuzspitze, die erstaunlich einfach war. Solange man konzentriert ist und sich gut sichert, ist sie selbst mit zehn Kilo auf dem Buckel kein Problem (sofern man trittsicher ist).


      "Ach, das war deiner!" lachte eines der Mädels, die mir entgegenkamen. Jepp! Und er wartete geduldig und war NICHT, wie grinsend behauptet, hinuntergeworfen worden.

      Es ging schnell und reibungslos. Um viertel vor elf saß ich bereits wieder an der Hütte und vesperte. Die Zeit drängte nicht und es versprach, ein schöner Tag zu werden. Gut, gegen drei sollte es gewittern, doch ich entschloss mich, trotzdem übers Laufbacher Eck zum Edmund-Probst-Haus zu laufen. Bislang war das Wetter stets später gekommen als gemeldet und hier konnte ich jederzeit noch einen Notabstieg wagen; die Bergwacht-Hütte lag gar direkt unterm Eck (dort hören sie übrigens laute, schlechte Musik und fläzen in der Sonne).



      Und los ging’s. Ich spürte zwar die Oberschenkel, als ich das Gestrüpp erneut Richtung Schönberg-Haus hinabstieg, doch es ging erstaunlich gut. Ich tankte erneut Wasser am Bach vom Vortag, wusch das Gesicht und plauderte mit zwei netten Mädchen, deren Freunde abseits saßen und mich struppigen, schrägen Vogel geflissentlich ignorierten. Dann begann der lange, harte Anstieg, der mich literweise Schweiß kostete; dagegen sahen (und rochen) die Damen, die mir entgegen kamen, frisch und sauber.


      Die dürften nicht mehr ganz so sauber gerochen haben.

      Knapp unter dem Eck traf ich ein Paderborner Pärchen, das sich langsam den Hügel hinaufarbeitete. Wir schnackten ein bisschen und pausierten dann gemeinsam oben. Eine schöne Pause; ohnehin sind viele der Wanderer sehr offen und freundlich, man bleibt stehen und fragt dies und das, wie der Weg sei, wo es Wasser gebe und woher man komme. Die Touristen tun das kaum, woran man sie denn auch erkennt. Und siehe: Hier oben traf ich sogar Holländer! Die bekommt man in die Berge? Soso. Liegt wohl an der Nebelhorn-Bahn ...


      Von der anderen Seite her kamen die Holländer ...


      ... um das hier zu sehen, inklusive Vogel vor'm Hochvogel.


      Edelweiß hab ich keins gefunden, aber haufenweise diese hier.


      Grandioser Blick auf den Höfats!


      Und da rechts geht's noch hin: Zum Nebelhorn


      Weit ist es nicht mehr

      Den restlichen Weg lief ich allein weiter. Es zog sich, denn die Hitze nahm zu. Quellwolken stiegen auf und südwestlich zog der Himmel zu, jedoch ohne dunkel zu werden. Die letzten Kilometer schwitzte ich unter der Sonne und der Schleidener und ich waren uns später einig, dass das schon ätzend gewesen sei – Genusswandern war’s jedenfalls bei der Hitze nicht mehr.


      "Der Weg hängt schief!" (Loriot zugeschrieben)


      Sind das etwa diese hier?!


      Es gibt doch noch welche: Kühe im Allgäu!

      Am Edmund-Probst-Haus checkte ich ein, wusch, duschte, legte mich ins Bett und döste. Hier traf ich auch einen jungen Kerl mit seinem Vater wieder, die am gestrigen Tag eine Hochvogel-Überschreitung gemacht hatten und nun einen entspannten Weg hierher gehabt hatten. Aber ich war platt und aß nur eine Kleinigkeit zu Abend, ging um halb acht ins Bett und schlief bis halb sieben durch.


      Unwetter ürberm Edmund-Probst-Haus
      Das muss das Boot abkönnen!

      Kommentar


      • Lookas
        Erfahren
        • 01.11.2011
        • 129
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: [DE] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

        Tag 4
        Der Sturm hatte des Nachts ordentlich gerüttelt. Nun war es zwar mäßig klar, aber ich ließ den Plan über Nebelhorn, Geißfuß und Rubihorn abzusteigen, ausfallen und nahm die Fahrstraße. Sollten die gestern Abend viel zu lauten, einander mit ihren Bundeswehr-Geschichten anstachelnden Spinner doch den Klettersteig nehmen, viel Spaß! Ich sah es bereits dunkel über den Piesenkopf schwappen und dann ins Tal fluten: In etwa einer Stunde, schätzte ich, würde das Wetter die Vordere Seealpe haben. Da wollte ich nicht im Stein hängen ...


        Der Morgen über der Nebelhornbahn


        Dort hinab - und noch sieht's gut aus!

        Und es geschah ungefähr so. Der Abstieg ging schnell und war hart, weil unglaublich steil. Aber gegen halb neun war ich an der Alpe und zog das Regenzeug über. Und etwa fünf Minuten später ging’s auch schon los, war aber im Vergleich zum Samstag nur ein leichter Regen. Ich pfiff erneut auf die Wanderwege und ging gemessenen Schrittes den Fahrweg hinab, pausierte am Ausblick und wartete ab. Aus dem Stillachtal klang der Hubschrauber herüber – da hatte sich wohl jemand über- und das Wetter unterschätzt, oha.


        Die Seealpe, als es zuzog


        Bad weather over Oberstdorf


        Ungünstig, da jetzt herumzuklettern ...




        Sommerübungen auf der Schanze

        Am Ski-Stadion vorbei stiefelte ich ins Dorf hinein und traf einen netten Herren aus dem Hessischen, der doch schnell abgestiegen war, als er das Wetter kommen sah. Wir liefen gemeinsam durchs Zentrum, bis ich vor einem Bäcker hielt und mich zu einem Frühstück verabschiedete. Der Kaffee tat gut, die Brötchen waren passabel und die Passanten ebenso. Ein Dorado für Familien und Rentner; wenige von denen würden noch richtig hinauf, denn in den Fels geht man nicht mit Renegades, schätze ich.

        Auf dem Weg zum Auto lief ein rüstiges Pärchen vor mir her, beide in Beige von Kopf bis Fuß gekleidet. Warum glauben alle alten Leute, beige en complet sei kleidsam? Wahrscheinlich gibt es einen geheimen Schrieb, den man mit 60 bekommt und in dem steht:
        „Herzlich willkommen im Club der Scheintoten. Damit Sie als Clubmitglied besser zu erkennen sind, müssen Sie sich laut § 3, Abs. 7 des Geheimen Zusatzprotokolls zum Grundgesetz von 1962 ab nun ausschließlich sand- bzw. beigefarben kleiden und aufdringlich viel Kölnisch Wasser benutzen. Dies unterstreicht zudem ihre beginnende Totenblässe und lässt sie möglichst unvorteilhaft wirken; lebendige bzw. satte Farben sind strikt verboten! Sollten Sie gegen diese gesetzlichen Auflagen verstoßen, werden sämtliche anderen Mitglieder vorzugsweise in der Öffentlichkeit sichtbar über Sie lästern.“

        Nun, ich besorgte mir noch etwas zu Essen für die Rückreise, ein paar Biere für den Abend zu Hause und trat dann um 12:06 die Heimreise an – knapp 780 km inklusive Abstecher zum Marienaltar in Creglingen, den ich ebenso genoss wie die schöne Abwechslung des Taubertals gegenüber der Autobahn. Neben der Mosel könnte das mein nächstes Projekt werden, dieses Taubertal. Jedes Mal, wenn ich hinkomme, gefällt’s mir etwas besser ...


        ... und tschüss, bis zum nächsten Mal! Der Grünten grüßt ...

        Aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht später mal erzählt werden wird. Ich fuhr jedenfalls voller Erfahrungen und Erlebnisse nach Hause, die meine Erwartungen (denn die hat man ja immer, auch wenn’s bloß Hoffnungen sein sollen ...) weit übertroffen haben. Gerade wegen der Gewitter-Zeit hatte ich eher die Befürchtung, die Berge nur von unten zu sehen – und das wäre allein schon toll gewesen, denn das Allgäu ist so anders als z.B. das Berner Oberland, finde ich. Schroffer, steiler, bewachsener – atemberaubend aber nicht minder. Es gibt also noch viel zu entdecken ...
        Das muss das Boot abkönnen!

        Kommentar


        • Fabian485
          Fuchs
          • 12.06.2013
          • 1651
          • Privat

          • Meine Reisen

          #5
          AW: [DE] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

          Gefällt
          Die Aussichten sind teils echt atemberaubend.
          Wäre der Allgäu nicht so weit weg, dann wäre ich auch schon längst mal da gewesen.

          Gruß Fabian.

          Kommentar


          • Todden
            Erfahren
            • 27.03.2011
            • 219
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [DE] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

            Danke für das Auffrischen der Erinnerung...
            Einige Deiner Bilder kommen mir arg vertraut vor...

            Kommentar


            • Lookas
              Erfahren
              • 01.11.2011
              • 129
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [DE] Operation Highbird - Eine Hüttentour durchs Allgäu

              Danke sehr! Ich bin noch ganz geflasht von dem Erlebnis, obwohl es ja eher Standard fürs Allgäu ist. Aber das ist ja das Schöne am Erleben, wie ich es bei Heckmair auch wiederfinde und im ganz Kleinen versuche, zu tun: Es geht darum, den Moment mitzunehmen. Und das war wahnsinnig schön!
              Geht es euch auch so, dass durch das Aufschreiben das Erlebte wiederkehrt und noch mal viel präsenter wird als durchs Foto-Anschauen? Ich weiß nicht, mir bringt es irre viel, alles aufzuschreiben, vermutlich schreib ich sogar zu viel. Schwer zu erklären, aber das ist einfach noch mal wieder richtig schön, ich bin dann wieder vor Ort, sozusagen ... aber das sieht jeder wahrscheinlich ein bißchen anders. Man neigt ja auch zur Nabelschau - ich jedenfalls, befürchte ich.
              War jedenfalls für mich das Highlight des Jahres, denn ich war als Kind zwei Mal in Oberstdorf und dann nie wieder. Und daher fand ich es großartig, wiederzukommen, denn in Spielmannsau hab ich z.B. 1983 und (glaub ich) 1985 meinen Geburtstag an der Trettach verbracht ...
              "I'll be back!"

              Edit
              Übrigens sind die "Fotos" fast sämtlich Schnappschüsse aus den Videostücken, die ich mit meiner kleinen PenCam gemacht habe, daher die eigenartige Matschigkeit in den Pixeln und die etwas dünnen Farben. Mach ich so wohl nicht nochmal, ich find richtige Fotos mit einer halbwegs ordentlichen Kamera dann doch bessser (meine alte Nikon coolpix 4100 ist nur arg schwer).
              Das muss das Boot abkönnen!

              Kommentar

              Lädt...
              X