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Auf dem Pickerweg
Nachdem ich Rouley ein paar Tipps für Tagestouren im Nordwesten gegeben hatte, bekam ich vorgestern selber unbändige Lust, die Strecke Bramsche-Osnabrück noch mal selber zu laufen. Das Wetter war super: trocken, etwas kühl, hin und wieder sonnig und in der Ferne leicht diesig - was kann man sich für November besseres wünschen? Ich war schon froh, dass die Sonne rauskommen sollte und die Temperaturen noch nicht winterlich waren.
Also packte ich gestern morgen ein paar lecker altmodische Butterbrote, zwei Wasserflaschen und unseren Wanderführer ein und fuhr mit der Bahn nach Bramsche. Vor drei Jahren war ich zum ersten Mal auf dieser Strecke unterwegs, denn damals habe ich an der Entwicklung und Umsetzung des Pilgerwegs von Bremen nach Osnabrück (Wege der Jakobspilger) teilgehabt und war auf Fototour dort herumgefahren. Vor zwei Jahren dann habe ich zu Fuß und mit dem Fahrrad den Weg ausgeschildert - und mich dabei in das Nettetal verliebt!
(und das, obwohl meine Freundin dabei war!
)
Nun war ich auf zweierlei gespannt: Hingen meine Schilder noch - und ist "meine Nette" noch so 'ne Nette?
Isse! Sag ich gleich vorweg, ist sie. Meine Nette! Und: Die Schilder hängen an vielen Stellen auch noch, aber offenbar erfreuen sich Jakobsschilder mit Muschelsymbol einiger Beliebtheit, denn der Weg ist u.a. deckungsgleich mit (von Engter Mühlort bis Osna) dem Hünenweg, dem Pickerweg, dem Birkenweg, dem DiVa Walk und anderen wirklich wichtigen lokalen Wanderwegen. Deren Schilder hingen auch noch alle - nur unsere blauen Muschelschildchen waren erstaunlich oft fort. Da muss ich im Frühjahr noch mal ran, dann werde ich aber wohl die ganze Strecke abgehen (und gerne darüber berichten, wenn’s von Interesse ist).
Fittness: War gut, immerhin hab ich fast täglich meine 7,8 km gejoggt und im September mit Johnny die Alpenpassroute gemeistert. Sollte also klappen.
Fotoapparat: Lag im Büro. Da, wo er tatsächlich hingehört. Also leider keine Fotos, was dem Bericht vielleicht nicht so gut tut, denn die Herbstfarben waren spektakulär in der Sonne!
In Bramsche steige ich um 9:15 Uhr aus dem Zug und laufe gleich los, weil: Die Zeit ist knapp, der Weg ist lang. Bis zum Kanal in Bramsche ist es eher langweilig, doch am Wasser kann ich den Tag genießen. Ich laufe oder radele gerne an Gewässern entlang, und auch hier gefällt es mir ganz gut. Regelmäßig ziehen Lastkähne vorbei, auch ein paar Yachten sind auch untrwegs. Das Wasser hat einen leichten Türkishauch, was schöner aussieht als z.B. das eigenartige Dunkel des Küstenkanals. Ich laufe diese lange, meditative Strecke, weil ich gerne in Kalkriese gestartet wäre. Dahin zu kommen, ist aber frühmorgens am Wochenende gar nicht so einfach, also mache ich das einfach zu Fuß.
Die Strecke ist dann doch ganz schön lang; ohne die Wanderkarte ist es schwierig, sich zu orientieren und die richtige Brücke zum „Ausstieg“ vom Kanal zu finden, denn leider stehen hier nirgendwo Schilder mit Hinweisen. Nur eine Übersichtstafel zum Rundweg um Barenaue (auch ein sehr schöner Weg, gut geeignet für Sonntagnachmittage) hilft mir, meine genaue Position festzustellen. Ich zähl die nächsten zwei Brücken ab – und vor der zweiten ist die Straße, die mich nach 13 km Kanal um 11:30 Uhr südwestlich über die B218 an den Venner Berg bringt.
Jetzt wird es erst richtig schön und die eigentliche Wanderung geht los. Erstmals meldet sich die Sonne zaghaft durch den Schleier der Wolken, so dass die mächtigen Buchen um mich herum plötzlich anfangen, orange zu leuchten. Der Weg das Venner Tal hinauf ist traumhaft! Der Pfad führt links durch die „Schlucht“ weitab der Straße über Stock und Stein. Für Kinder muss das hier ein Paradies sein, ich jedenfalls wäre vor zwanzig Jahren nicht mehr weitergelaufen, sondern hätte den restlichen Tag hier verbracht! Die Hänge sind nicht zu steil, alles ist bedeckt mit schön raschelndem, orangem Laub. Bäume, die entwurzelt wurden, liegen quer über den Bach wie natürliche Brücken, weiter oben kann man Buden bauen und Verstecken spielen ...
Leider ist das Tal nicht allzu lang. Weiter oben verengt es sich, die Quelle liegt etwas versiegt zu meinen Füßen und dann trete ich auf die Hochebene des Venner Bergs hinaus. Weiter hinten steht der Aussichtsturm, an dem ich meine erste Rast einlege. Puh, das war auch nötig, denn bis hierher waren es immerhin 16 km und es ist schon viertel nach zwölf. Ob ich die Strecke bis Osna heute komplett schaffe?! Immerhin sind es von Engter auch noch mal 16,5 km laut Karte. Aber ich bin noch fit, ich kann auch nicht lange herumsitzen, denn jetzt scheint die Sonne, die Luft ist herrlich und ich verspüre einfach einen unbändigen Bewegungsdrang. Wer braucht schon Pausen? Ich offenbar nicht! Noch schnell auf den Turm – aber da sieht man nichts, es ist gerade in der Ebene zu dunstig. Schade, denn bei klarem Wetter ist der Rundblick spektakulär!
Die Butterbrote sind halbiert, die Wasserflaschen auch schon. Wenn ich jetzt nur Pfefferbeißer zum knabbern hätte! In Engter gibt’s doch sicher einen Supermarkt, da hol ich mir welche. Also weiter, an einem blühenden Rapsfeld entlang, mittlerweile ohne Softshell, nur in der Fliesjacke, denn es wird jetzt richtig schön, etwas warm, ganz leicht windig, genau richtig. Hinterm Hasselbrock tauche ich in den Wald ein – keine Menschenseele zu sehen, ein breiter, guter Weg, und um mich herum die schönsten Herbstfarben und ein toller Mischwald. Es geht bergab, alles läuft perfekt. So geht es rapide schnell, plötzlich bin ich bereits um halb zwei in Engter. So früh! Ich hatte mit halb drei gerechnet. Also los, rechts die Hauptstraße hinab zum Supermarkt und Würstchen besorgt, schnell die leere Mineralwasserflasche gegen eine volle getauscht und weiter geht es, in den schönen Wald hinein.
Engter ist ohnehin recht hübsch, Wer auf ruhiges, ländliches Wohnen steht, kommt hier sicherlich voll auf seine Kosten; die Randlage zwischen Hügelkette und Campemoor ist ideal für Wandertouren. Im Wald treffe ich auf ein etwas seltsames Pärchen, die fast maschinenartig voreinander herlaufen, den Kopf gesenkt, feste mit den Wanderstöcken arbeitend, in ihren hellen, sandfarbenen Klamotten von weitem zwischen den Bäumen hindurch wie Gespenster wirkend. Mir ist warm, aber der Mann trägt seine Kapuze tief festgezurrt über dem Kopf. Die Frau mit dem leuchtend, fast flammendroten Rucksack tapert tapfer hinterher. Kein Gruß, keine Reaktion. Daher bleibe ich kurz stehen, lasse sie davonziehen und beobachte einen Waldbauer, der seine Kinder dabei hat. Die springen herum, toben und tollen und der Papa schafft derweil im Unterholz. Überall raschelt es im Laub, Vögel hüpfen umher und ich vermute, auch die ein oder andere Maus kriecht hier herum. Dann, als ich ihnen genügend Vorsprung zugestanden habe, folge ich dem Geisterpärchen.
Die treffe ich am Wanderparkplatz Mühlort wieder, wo sie ihre Stiefel am Kofferraum gegen Straßenschuhe austauschen und mich erneut ignorieren. Dabei habe ich doch meinen schönen Hut auf, normalerweise ist der ein echter Hingucker! Eine weitere Rast wird im Häuschen eingelegt, jetzt kalkuliere ich die restliche Zeit für die verbleibenden 15 km. Gegen fünf, schätze ich, wird es dämmern, dann möchte ich gern aus dem Wald und dem Nettetal raus sein. Jetzt ist es halb drei ... in einer Stunde sollte ich Rulle erreicht haben, dann durchs Nettetal und nach Osnabrück hinein – und da kann es mir dann auch egal sein, ist ja eh alles beleuchtet in der Stadt. Passt also alles. Aber ich merke jetzt das stramme Gehen, denn meine Beine sind doch müder, als ich dachte. Aua, ich werde alt! Ach Gott, und damit kann ich mich ja stundenlang selber bemitleiden – auch, wenn es nichts hilft. Also weiter, müde Knochen! Wenn man geht, dann spürt man die Wehwehchen nicht.
Das leicht wellige Profil der Strecke, der schöne Wald – das gefällt mir. Hier ist viel los, eine Radfahrerin mit schwarzem, großem Hund bollert an mir vorbei und ruft ständig: „Go, go!“ Der Hund scheint trotzdem etwas unmotiviert zu sein und wittert zu mir hin – Würstchen? Ist doch viel interessanter als Rumrennen. Dann sind sie weg. Ich biege rechts ab und komme am Piusgarten von Rulle vorbei. Hier wurde 1871 zum zehnjährigen Amtsjubiläum des damaligen Papstes ein Freudenfeuer entfacht und der örtliche Gesangsverein gegründet. So, so. Seitdem steht hier ein kleiner Gedenkgarten. Also bin ich fast schon in Rulle, das ging ja schnell. Ich laufe noch schnurstracks an der Wallfahrtskirche vorbei, mir ist die Natur lieber als dieser fromme Hokuspokus, auch, wenn ich selber gepilgert bin – aber das ist eine andere Geschichte.
Jetzt, um halb vier, wird es bereits abendlich, die Sonne steht tief und leuchtet direkt auf die knallroten Wälder. Ich laufe an der Nette entlang, an der hier in Rulle noch eine wunderschöne, alte, winzig kleine und vergessene Mühle steht und lasse dann den Ort hinter mir. Der Wanderweg kürzt hier übrigens südlich über den Hügel ab, ich laufe aber lieber auf der alten Straße die Talbiegung entlang. Ich könnte jedes Mal schreien, so schön ist es hier! Mehrere uralte Höfe aus Sandstein und Fachwerk liegen im Tal, der Fluss schlängelt sich durch erkennbar uralte Wieseneinteilungen und links steigt direkt der bewaldete Hang auf. Die Sonnenstrahlen bringen die Buchen zum leuchten, dazwischen strahlt das Immergrün der Efeublätter an den Stämmen der Eichen ... Wahnsinn. Die Wittekindsburg lasse ich links liegen, ich kenne sie auch bereits, aber die Zeit verbietet mir nun den Besuch. Ich quere an der Nettemühle, da haben sie auch bereits einen Klettergarten eingerichtet, in dem mehrere junge Leute einen Mordsspaß haben. Dann führt der Weg über einen laubbedeckten Pfad direkt am Ufer durch den Wald. Hier ist was los! Unzählige Familien spazieren, eine Reiterin kommt mir entgegen, überall flitzen Hunde herum. Kein Ort zum Rasten, hier steht auch keine Bank. Ich habe aber schon wieder Lust auf fünf Minuten Pause, aber die nehme ich mir erst an den Steingräbern in Oestringermühle. Die letzten Butterbrote verschwinden, die Sonne auch, also ziehe ich mir wieder die Jacke an.
Die letzte Stunde in die Stadt hinein ist nicht so schön; mit tun die Muskeln weh und ich bin ziemlich platt. Da hat sich offenbar jemand ganz leicht überschätzt! Ich bin zwar weder auf Reserve noch am Ende, aber mittlerweile auch ein wenig müde. Beim Gut Nette taucht der Weg in ein Waldstück ein – niemand zu sehen, also kann ich schnell Pinkeln. Gerade, als ich weitergehe, biegt eine blendend schöne, blonde junge Reiterin um die Ecke, lächelt mich an und wartet, bis ich vorbei bin. Was für Augen! Was für ein Lächeln ... für ein paar freundliche Worte reicht die Zeit, dann trabt sie weiter und ich muss heimlich Lachen! Zehn Sekunden früher und sie hätte mich wohl nicht so lieb angestrahlt ...
Die Sonne verschwindet direkt hinter dem Kirchturm der Christus König Kirche von Haste. Die Glocken klingen herüber, das Licht wird farbig – es ist Blaue Stunde, wie wir hier oben sagen. Leichter Dunst liegt über den Feldern, dann erreiche ich die Anlagen am Nettebad. Nebenan holen zwei ebenfalls erstaunlich hübsche junge Mädchen die Pferde von der Weide, auf den Teichen auf der anderen Seite tummeln sich die Enten. Jetzt hört es auf, malerisch zu sein, denn es geht zwischen Klostermauer und Schrebergärten entlang, über Straßen, auf den Sonnenhügel und durch Wohngebiete – wo ich mich aufgrund der etwas unzureichenden Ausschilderung verlaufe – hinab zum Hasetor. Viertel vor sechs stehe ich endlich vor dem Bahnhof und habe noch etwas Zeit – also gehe ich in die Altstadt, hole mir beim Penny noch drei hochverdiente Feierabendbiere und setzte mich erschöpft, aber glücklich neben meinen alten Kumpel, den Löwenpudel, vor den Dom. Hier sitze ich gerne, sehe mir die Fassade an und beobachte Menschen. Es wird richtig dunkel, der Dom wird nun beleuchtet und geschlossen. Eine junge Mama mit ihrer verspielten Tochter möchte noch hinein, aber der Küster, die Schlüssel in der Hand, bedeutet ihr sehr freundlich, dass das nicht mehr geht. Ein junges Pärchen trifft sich (er hat sie etwas warten lassen, aber da sie eine ganz Hübsche ist, ist mir das recht
) und dann, als die Glocken ausgeläutet haben, schlurfe ich die Hasestraße Richtung Bahnhof hinab, mittlerweile leicht angebrütet durch das Bier und zeige meinen Stiefeln, wo ich sie einst gekauft habe. Das Geschäft existiert leider nicht mehr, was ich bedaure, aber das lässt meine Stiefel kalt.
Also setzte ich mich in den Bummelzug, höre Karl May „Der Schatz im Silbersee“, muss insgeheim über mich selber lachen und genieße die restlichen zwei Flaschen. Wohl bekommt’s – ich hoffe, die nächste Tagestour wird auch so schön.
Nachdem ich Rouley ein paar Tipps für Tagestouren im Nordwesten gegeben hatte, bekam ich vorgestern selber unbändige Lust, die Strecke Bramsche-Osnabrück noch mal selber zu laufen. Das Wetter war super: trocken, etwas kühl, hin und wieder sonnig und in der Ferne leicht diesig - was kann man sich für November besseres wünschen? Ich war schon froh, dass die Sonne rauskommen sollte und die Temperaturen noch nicht winterlich waren.
Also packte ich gestern morgen ein paar lecker altmodische Butterbrote, zwei Wasserflaschen und unseren Wanderführer ein und fuhr mit der Bahn nach Bramsche. Vor drei Jahren war ich zum ersten Mal auf dieser Strecke unterwegs, denn damals habe ich an der Entwicklung und Umsetzung des Pilgerwegs von Bremen nach Osnabrück (Wege der Jakobspilger) teilgehabt und war auf Fototour dort herumgefahren. Vor zwei Jahren dann habe ich zu Fuß und mit dem Fahrrad den Weg ausgeschildert - und mich dabei in das Nettetal verliebt!


Nun war ich auf zweierlei gespannt: Hingen meine Schilder noch - und ist "meine Nette" noch so 'ne Nette?

Isse! Sag ich gleich vorweg, ist sie. Meine Nette! Und: Die Schilder hängen an vielen Stellen auch noch, aber offenbar erfreuen sich Jakobsschilder mit Muschelsymbol einiger Beliebtheit, denn der Weg ist u.a. deckungsgleich mit (von Engter Mühlort bis Osna) dem Hünenweg, dem Pickerweg, dem Birkenweg, dem DiVa Walk und anderen wirklich wichtigen lokalen Wanderwegen. Deren Schilder hingen auch noch alle - nur unsere blauen Muschelschildchen waren erstaunlich oft fort. Da muss ich im Frühjahr noch mal ran, dann werde ich aber wohl die ganze Strecke abgehen (und gerne darüber berichten, wenn’s von Interesse ist).
Fittness: War gut, immerhin hab ich fast täglich meine 7,8 km gejoggt und im September mit Johnny die Alpenpassroute gemeistert. Sollte also klappen.
Fotoapparat: Lag im Büro. Da, wo er tatsächlich hingehört. Also leider keine Fotos, was dem Bericht vielleicht nicht so gut tut, denn die Herbstfarben waren spektakulär in der Sonne!
In Bramsche steige ich um 9:15 Uhr aus dem Zug und laufe gleich los, weil: Die Zeit ist knapp, der Weg ist lang. Bis zum Kanal in Bramsche ist es eher langweilig, doch am Wasser kann ich den Tag genießen. Ich laufe oder radele gerne an Gewässern entlang, und auch hier gefällt es mir ganz gut. Regelmäßig ziehen Lastkähne vorbei, auch ein paar Yachten sind auch untrwegs. Das Wasser hat einen leichten Türkishauch, was schöner aussieht als z.B. das eigenartige Dunkel des Küstenkanals. Ich laufe diese lange, meditative Strecke, weil ich gerne in Kalkriese gestartet wäre. Dahin zu kommen, ist aber frühmorgens am Wochenende gar nicht so einfach, also mache ich das einfach zu Fuß.
Die Strecke ist dann doch ganz schön lang; ohne die Wanderkarte ist es schwierig, sich zu orientieren und die richtige Brücke zum „Ausstieg“ vom Kanal zu finden, denn leider stehen hier nirgendwo Schilder mit Hinweisen. Nur eine Übersichtstafel zum Rundweg um Barenaue (auch ein sehr schöner Weg, gut geeignet für Sonntagnachmittage) hilft mir, meine genaue Position festzustellen. Ich zähl die nächsten zwei Brücken ab – und vor der zweiten ist die Straße, die mich nach 13 km Kanal um 11:30 Uhr südwestlich über die B218 an den Venner Berg bringt.
Jetzt wird es erst richtig schön und die eigentliche Wanderung geht los. Erstmals meldet sich die Sonne zaghaft durch den Schleier der Wolken, so dass die mächtigen Buchen um mich herum plötzlich anfangen, orange zu leuchten. Der Weg das Venner Tal hinauf ist traumhaft! Der Pfad führt links durch die „Schlucht“ weitab der Straße über Stock und Stein. Für Kinder muss das hier ein Paradies sein, ich jedenfalls wäre vor zwanzig Jahren nicht mehr weitergelaufen, sondern hätte den restlichen Tag hier verbracht! Die Hänge sind nicht zu steil, alles ist bedeckt mit schön raschelndem, orangem Laub. Bäume, die entwurzelt wurden, liegen quer über den Bach wie natürliche Brücken, weiter oben kann man Buden bauen und Verstecken spielen ...
Leider ist das Tal nicht allzu lang. Weiter oben verengt es sich, die Quelle liegt etwas versiegt zu meinen Füßen und dann trete ich auf die Hochebene des Venner Bergs hinaus. Weiter hinten steht der Aussichtsturm, an dem ich meine erste Rast einlege. Puh, das war auch nötig, denn bis hierher waren es immerhin 16 km und es ist schon viertel nach zwölf. Ob ich die Strecke bis Osna heute komplett schaffe?! Immerhin sind es von Engter auch noch mal 16,5 km laut Karte. Aber ich bin noch fit, ich kann auch nicht lange herumsitzen, denn jetzt scheint die Sonne, die Luft ist herrlich und ich verspüre einfach einen unbändigen Bewegungsdrang. Wer braucht schon Pausen? Ich offenbar nicht! Noch schnell auf den Turm – aber da sieht man nichts, es ist gerade in der Ebene zu dunstig. Schade, denn bei klarem Wetter ist der Rundblick spektakulär!
Die Butterbrote sind halbiert, die Wasserflaschen auch schon. Wenn ich jetzt nur Pfefferbeißer zum knabbern hätte! In Engter gibt’s doch sicher einen Supermarkt, da hol ich mir welche. Also weiter, an einem blühenden Rapsfeld entlang, mittlerweile ohne Softshell, nur in der Fliesjacke, denn es wird jetzt richtig schön, etwas warm, ganz leicht windig, genau richtig. Hinterm Hasselbrock tauche ich in den Wald ein – keine Menschenseele zu sehen, ein breiter, guter Weg, und um mich herum die schönsten Herbstfarben und ein toller Mischwald. Es geht bergab, alles läuft perfekt. So geht es rapide schnell, plötzlich bin ich bereits um halb zwei in Engter. So früh! Ich hatte mit halb drei gerechnet. Also los, rechts die Hauptstraße hinab zum Supermarkt und Würstchen besorgt, schnell die leere Mineralwasserflasche gegen eine volle getauscht und weiter geht es, in den schönen Wald hinein.
Engter ist ohnehin recht hübsch, Wer auf ruhiges, ländliches Wohnen steht, kommt hier sicherlich voll auf seine Kosten; die Randlage zwischen Hügelkette und Campemoor ist ideal für Wandertouren. Im Wald treffe ich auf ein etwas seltsames Pärchen, die fast maschinenartig voreinander herlaufen, den Kopf gesenkt, feste mit den Wanderstöcken arbeitend, in ihren hellen, sandfarbenen Klamotten von weitem zwischen den Bäumen hindurch wie Gespenster wirkend. Mir ist warm, aber der Mann trägt seine Kapuze tief festgezurrt über dem Kopf. Die Frau mit dem leuchtend, fast flammendroten Rucksack tapert tapfer hinterher. Kein Gruß, keine Reaktion. Daher bleibe ich kurz stehen, lasse sie davonziehen und beobachte einen Waldbauer, der seine Kinder dabei hat. Die springen herum, toben und tollen und der Papa schafft derweil im Unterholz. Überall raschelt es im Laub, Vögel hüpfen umher und ich vermute, auch die ein oder andere Maus kriecht hier herum. Dann, als ich ihnen genügend Vorsprung zugestanden habe, folge ich dem Geisterpärchen.
Die treffe ich am Wanderparkplatz Mühlort wieder, wo sie ihre Stiefel am Kofferraum gegen Straßenschuhe austauschen und mich erneut ignorieren. Dabei habe ich doch meinen schönen Hut auf, normalerweise ist der ein echter Hingucker! Eine weitere Rast wird im Häuschen eingelegt, jetzt kalkuliere ich die restliche Zeit für die verbleibenden 15 km. Gegen fünf, schätze ich, wird es dämmern, dann möchte ich gern aus dem Wald und dem Nettetal raus sein. Jetzt ist es halb drei ... in einer Stunde sollte ich Rulle erreicht haben, dann durchs Nettetal und nach Osnabrück hinein – und da kann es mir dann auch egal sein, ist ja eh alles beleuchtet in der Stadt. Passt also alles. Aber ich merke jetzt das stramme Gehen, denn meine Beine sind doch müder, als ich dachte. Aua, ich werde alt! Ach Gott, und damit kann ich mich ja stundenlang selber bemitleiden – auch, wenn es nichts hilft. Also weiter, müde Knochen! Wenn man geht, dann spürt man die Wehwehchen nicht.
Das leicht wellige Profil der Strecke, der schöne Wald – das gefällt mir. Hier ist viel los, eine Radfahrerin mit schwarzem, großem Hund bollert an mir vorbei und ruft ständig: „Go, go!“ Der Hund scheint trotzdem etwas unmotiviert zu sein und wittert zu mir hin – Würstchen? Ist doch viel interessanter als Rumrennen. Dann sind sie weg. Ich biege rechts ab und komme am Piusgarten von Rulle vorbei. Hier wurde 1871 zum zehnjährigen Amtsjubiläum des damaligen Papstes ein Freudenfeuer entfacht und der örtliche Gesangsverein gegründet. So, so. Seitdem steht hier ein kleiner Gedenkgarten. Also bin ich fast schon in Rulle, das ging ja schnell. Ich laufe noch schnurstracks an der Wallfahrtskirche vorbei, mir ist die Natur lieber als dieser fromme Hokuspokus, auch, wenn ich selber gepilgert bin – aber das ist eine andere Geschichte.
Jetzt, um halb vier, wird es bereits abendlich, die Sonne steht tief und leuchtet direkt auf die knallroten Wälder. Ich laufe an der Nette entlang, an der hier in Rulle noch eine wunderschöne, alte, winzig kleine und vergessene Mühle steht und lasse dann den Ort hinter mir. Der Wanderweg kürzt hier übrigens südlich über den Hügel ab, ich laufe aber lieber auf der alten Straße die Talbiegung entlang. Ich könnte jedes Mal schreien, so schön ist es hier! Mehrere uralte Höfe aus Sandstein und Fachwerk liegen im Tal, der Fluss schlängelt sich durch erkennbar uralte Wieseneinteilungen und links steigt direkt der bewaldete Hang auf. Die Sonnenstrahlen bringen die Buchen zum leuchten, dazwischen strahlt das Immergrün der Efeublätter an den Stämmen der Eichen ... Wahnsinn. Die Wittekindsburg lasse ich links liegen, ich kenne sie auch bereits, aber die Zeit verbietet mir nun den Besuch. Ich quere an der Nettemühle, da haben sie auch bereits einen Klettergarten eingerichtet, in dem mehrere junge Leute einen Mordsspaß haben. Dann führt der Weg über einen laubbedeckten Pfad direkt am Ufer durch den Wald. Hier ist was los! Unzählige Familien spazieren, eine Reiterin kommt mir entgegen, überall flitzen Hunde herum. Kein Ort zum Rasten, hier steht auch keine Bank. Ich habe aber schon wieder Lust auf fünf Minuten Pause, aber die nehme ich mir erst an den Steingräbern in Oestringermühle. Die letzten Butterbrote verschwinden, die Sonne auch, also ziehe ich mir wieder die Jacke an.
Die letzte Stunde in die Stadt hinein ist nicht so schön; mit tun die Muskeln weh und ich bin ziemlich platt. Da hat sich offenbar jemand ganz leicht überschätzt! Ich bin zwar weder auf Reserve noch am Ende, aber mittlerweile auch ein wenig müde. Beim Gut Nette taucht der Weg in ein Waldstück ein – niemand zu sehen, also kann ich schnell Pinkeln. Gerade, als ich weitergehe, biegt eine blendend schöne, blonde junge Reiterin um die Ecke, lächelt mich an und wartet, bis ich vorbei bin. Was für Augen! Was für ein Lächeln ... für ein paar freundliche Worte reicht die Zeit, dann trabt sie weiter und ich muss heimlich Lachen! Zehn Sekunden früher und sie hätte mich wohl nicht so lieb angestrahlt ...
Die Sonne verschwindet direkt hinter dem Kirchturm der Christus König Kirche von Haste. Die Glocken klingen herüber, das Licht wird farbig – es ist Blaue Stunde, wie wir hier oben sagen. Leichter Dunst liegt über den Feldern, dann erreiche ich die Anlagen am Nettebad. Nebenan holen zwei ebenfalls erstaunlich hübsche junge Mädchen die Pferde von der Weide, auf den Teichen auf der anderen Seite tummeln sich die Enten. Jetzt hört es auf, malerisch zu sein, denn es geht zwischen Klostermauer und Schrebergärten entlang, über Straßen, auf den Sonnenhügel und durch Wohngebiete – wo ich mich aufgrund der etwas unzureichenden Ausschilderung verlaufe – hinab zum Hasetor. Viertel vor sechs stehe ich endlich vor dem Bahnhof und habe noch etwas Zeit – also gehe ich in die Altstadt, hole mir beim Penny noch drei hochverdiente Feierabendbiere und setzte mich erschöpft, aber glücklich neben meinen alten Kumpel, den Löwenpudel, vor den Dom. Hier sitze ich gerne, sehe mir die Fassade an und beobachte Menschen. Es wird richtig dunkel, der Dom wird nun beleuchtet und geschlossen. Eine junge Mama mit ihrer verspielten Tochter möchte noch hinein, aber der Küster, die Schlüssel in der Hand, bedeutet ihr sehr freundlich, dass das nicht mehr geht. Ein junges Pärchen trifft sich (er hat sie etwas warten lassen, aber da sie eine ganz Hübsche ist, ist mir das recht

Also setzte ich mich in den Bummelzug, höre Karl May „Der Schatz im Silbersee“, muss insgeheim über mich selber lachen und genieße die restlichen zwei Flaschen. Wohl bekommt’s – ich hoffe, die nächste Tagestour wird auch so schön.