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Mitreisende | |
Land: Deutschland
Reisezeit: Januar 2010
Region/Kontinent: Mitteleuropa
„Bittere Kälte, lange Stunden in vollständiger Finsternis garantiert. Rückkehr ungewiss.“
Mit diesen Worten hatte vor rund 100 Jahren Ernest Shackleton Mitreisende gesucht. Der Fairness halber muss man sagen, dass er dabei nicht das Warten in Halberstadt auf den verspäteten Regionalexpress nach Wernigerode im Sinn hatte. Sondern eine Polarexpedition, die sich nicht einmal ansatzweise mit den kühnen Schneeschuhwanderungen der Gegenwart in die Todeszone des Harzes vergleichen ließ.
Am 2. Januar 2010 verließen zwei finstere Gestalten frühmorgens die Stadt Berlin. Den ganzen Anfang des Jahres hatten sie gezögert, ob die Bedingungen für die Reise gegeben waren.
Schon die Anreise war qualvoll. Vor allem für die 257er-Sammeldroschke, die sich trotz ihrer Bespannung mit weit über 200 Pferden mit den Serpentinen nach Drei Annen-Hohne haderte und auf 540 Meter Höhe hörbar mit Atemnot zu kämpfen hatte. Hier überließ sie die beiden Gestalten ihrem Schicksal.
Von nun an ging es nur noch zu Fuß weiter. Ein dünne Schneeschicht lag über dem knisternden Eis, das die Forststraße nach Westen bedeckte. Nach Westen trieb es die beiden, zur Wolfswarte, dem sagenhaften Südpol des Harzes. Ein erster Anlauf, ihn zu erreichen, war im vergangenen Jahr am an der Landesgrenze gescheitert. Schmählich hatten sich die beiden seinerzeit nach Ilsenburg zurückziehen müssen, wollten sie nicht von der nächtlichen Betriebsruhe auf den Bahnstrecken des Nordharz-Netzes eingeschlossen werden.
Nun wollten sie die Schmach wiedergutmachen. Diesmal übernahm der Jüngere, der sich Ixylon nannte, die Führung. Durch das Felsenlabyrinth der Hohneklippen sollte die Route führen, weiter über die Schneewüste an den Zeterklippen und hinein in die Todeszone des härtesten Brockens zwischen Maas und Memel, Etsch und Belt. Hier hatten schon viele Vorstöße in die Bergwelt ein vorzeitiges Ende gefunden. Ixylon erinnerte sich noch gut, wie sein Gefährte Fredo Schakal im Sommer der Erschießung nur durch einen gewagten Sprung in die Brockenbahn entkommen war.
Weiter sollte die Route der Gefährten über Torfhaus führen. Dieser Ort wird bisweilen als letzter Außenposten der Zivilisation bezeichnet. Ein Attribut von zweifelhaftem Wert. Die schwierige Versorgung des abgelegenen Ortes ist der Grund, weshalb Biodiesel hier vor dem Verbrennen in den Mercedes 200D der autochthonen Bevölkerung noch einen Verwendungszyklus in der Pommes-Zubereitung durchläuft.
Kurz vor dem alten Skihang endete der liebevoll geharkte Schnee. Nur einige zugewehte Vertiefungen ließen ahnen, dass dieser Weg schon einmal begangen worden war. Ohne Schneeschuhe lief hier gar nichts, höchstens das Wild. Trügerisch war die Härte der Schneekruste, unter der sich ein weicher Kern verbarg. Kaum 200 Meter höher erreichten die Gefährten die Zone der Stille. Der Nebel des Grau erfasste sie und verzehrte alle Farben. Durch die verschneite Felslandschaft kämpften sie sich an den Hohneklippen entlang, wo in diesem Jahr noch kein Mensch seinen Fuß hingesetzt hatte. Doch die Überschreitung des Grates fand ein glückliches Ende am Forstmeister-Sietz-Weg. In einer Holzkate stärkten sich die beiden Gefährten und begegneten zum ersten Mal auch wieder menschlichen Wesen. An ihrer Sprache erkannten sie, dass es sich um Eingeborene aus dem Mansfelder Land handeln musste, Abkömmlinge der sagenhaften Ostharzhexen.
Schnell trieb es sie weiter zu den Zeterklippen. Sie heißen deshalb Zeterklippen, weil es oft großes Gezeter aus dem Tross gibt, wenn man sich dort oben im schneidenden Wind bei Schneetreiben zu lange aufhält. Dabei sind sie ein magischer Ort – die Harzwacht hat an den Unteren Zeterklippen eine Kultstätte eingerichtet. Doch bevor man zu den Oberen Zeterklippen kommt, muss man drei Prüfungen über sich ergehen lassen. Die erste Prüfung ist das Offene Schneefeld. Kleine hinterhältige Fichten verstecken sich unter der Schneedecke und bringen jeden zu Fall, der auf sie tritt. Die zweite Prüfung ist der Dichte Wald. Schon bei leichtester Berührung schütteln die Äste ihre Schneelast auf den Prüfling herab. Die dritte Prüfung schließlich ist die Steile Steigung. Unter dem Schnee verstecken sich runde Felsen und nackte Wurzeln, aus dem Schnee heraus ragen Äste. Wer nicht die Wurzeln trifft oder einen der haltbaren Äste fasst, gleitet getreu dem Leninschen Motto „Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück“ wieder gen Tal herab. Doch wer alle drei Prüfungen besteht, darf über die Wolken hinaussteigen und die Oberen Zeterklippen erklimmen.
Inzwischen neigte sich die Sonne schon spürbar dem Horizont zu. Eile war angesagt, denn den größten Brocken hatten die beiden Gefährten noch vor sich. Ein Nachtlager war ebenfalls noch nicht in Sicht, denn die Namensvergabe beim Brockenbett hat nur das Ziel, Umherirrende ins Verderben zu führen. So eilten sie die Brockenstraße hoch, die es an Vereisung jederzeit mit den Ice Roads des fernen Alaska aufnehmen konnte, sie an Steigung jedoch an jedem Punkt übertrifft. Beim letzten Licht tauchten die Gefährten in die Todeszone ein. Vereinzelt strauchelten ihnen noch Angehörige des Stammes der Wolfskin vor die Füße, doch bald umfing sie die Ruhe der größten Brockens zwischen Maas und Memel, Etsch und Belt. 
Dann bereiteten sie sich auf den Abstieg vor. Ketten aus Eisen unter den Füßen sollten dem Älteren, der sich Pfad-Finder nannte, mehr Halt auf dem ewigen Eis verschaffen. Der jüngere vertraute darauf, dass auch gefrorenes Wasser die Oberflächenspannung hatte, die ihn sicher zu Tal tragen würde.
Der Südpol war inzwischen in unerreichbare Ferne gerückt, so dass sich die beiden Gefährten entschlossen, ihr Nachtlager auf halbem Wege aufzuschlagen. Doch es war eine Vollmondnacht, selbst wenn sich der Trabant inzwischen hinter Schneewolken versteckte. Und so galt es besondere Vorsicht walten zu lassen. Nicht nur die Hexen würden tanzen wollen, sondern auch auch die Harzvampire. Nur ein Pfahl in angemessener Nähe würde die Gefahr bannen können. Am besten ein dreieckiger Pfahl.
Schließlich fanden sie einen geeigneten Platz für ihr Nachtlager. Er hätte sogar Ixylons Zelt bequem aufnehmen können, doch der Aberglaube gewann Oberhand und so richteten beide ihre Apsiden nach Osten aus. Daher konnte Ixylon die magischen Schnüre, mit denen er seiner neoromanischen Helsport-Kathedrale Form verlieh, nur mühsam im weichen Schnee befestigen.
In der Nacht ließ Frau Holle 950-Cuin Daunen herabfallen. Ohne aufzubauschen lagen am Morgen überall reichlich zehn Zentimeter loftige Pracht. Ob dass der Grund war, weshalb es am nächsten Morgen im Zelt des Älteren kuschelige 0 Grad hatte und das Wasser vom Innenzelt herabtropfte? Und ob das der Grund war, weshalb der Jüngere um zehn Uhr auf einen Zuruf von außen mit der Antwort „Nö – was auch immer es ist!“ reagierte?
Der Ältere, der unter seniler Bettflucht litt, bereitete sich zu diesem Zeitpunkt schon sein zweites Frühstück vor. Den sibirischen Temperaturen entsprechend gab es Boeuf Stroganoff. Unterdessen dematerialisierte der Jüngere einen Teil seiner Ausrüstung, denn es galt, eine Daune-Schlafsackkombi und seine Helsport-Kathedrale in einem Ultraleicht-Rucksack unterzubringen.
Die unsichtbare Sonne näherte sich schon ihrem Zenit, als sie endlich den Platz ihres Nachtlagers verließen und wieder auf den Weg kamen. Durch lange Spurrinnen glitten Wesen, die man Langläufer nennt. Man erkennt sie an vereisten Schnauzbärten und verbissenem Gesichtsausdruck. Sie tragen Gewänder in Farben, die bei den meisten potenziellen Fressfeinden eine sofortige Verätzung der Hornhaut auslösen. Die übrigen Fressfeinde werden durch den Geruch abgeschreckt, den sie über Schweißdrüsen auf dem Rücken absondern.
Die beiden Gefährten zog es nun zur Achtermannshöhe. Einer Volksetymologie zufolge, die vor allem von Küstenbewohnern verbreitet wird, bedeutet es soviel wie „Hinterwäldlerhöhe“ (achtern = hinten). Zugegebenermaßen gibt es aus Sicht von Kennern des Westharzbevölkerung keine besser zutreffende Erklärung. An diesem Tag bot die Achtermannshöhe so einiges: Einen steilen Anstieg, einen steilen Abstieg, und das alles auf einen durch Pulverschnee abgedeckten Eisschicht. Nur an Aussicht mangelte es.
Die beiden Gefährten zögerten nicht lange und begaben sich nach Oderbrück, wo sie das Beh-Vier überquerten, einen magischen Asphaltstreifen, der den Westharz von Nord nach Süd durchschneidet. Manche meinen auch, es wäre von Süd nach Nord. Aber das ist genauso abwegig wie die Behauptung, der Hexenstieg würde von Osterode nach Thale führen.
Durch lichten Wald ging es hinab zum Märchenweg. Schrottfichteln powered by Borkenkäfer ließen die Sonne auf den Weg scheinen. Es wird wohl nur noch wenige Jahre dauern, bis dieser possierliche Außenskelettträger die erste Etappe des naturnahen Waldumbaus vollendet hat. Dem Abstieg folgte ein Aufstieg, bei dem die „Sonnenkappe“ ihrem Namen alles schuldig blieb. Statt Sonne viel Grau, statt Kappe ein tiefer Einschnitt, den der Wind mit schwerem Schnee zugeweht hatte. Gefühlte 1500 Höhenmeter darüber war die Wolfswarte nicht näher gerückt, sondern ferner: Die Zeit lief schneller als die Gefährten. Selbst der Pfad am Clausthaler Flutgraben war kaum ausgetreten und verlangsamte die Zeit – oder verlängerte er den Weg?
Kaum 500 Meter vor dem Ziel mussten die Gefährten feststellen, dass Raum und Zeit sich gegen sie verschworen hatten. Waren es die Sinusschwingungen der Hochspannungsleitung über den Bruchberg? Der Vollmond? Die Erdstrahlen? Wollten sie dem ungastlichen Ort Torfhaus rechtzeitig mit der Sammeldroschke entfliehen, mussten sie jetzt der Wolfswarte den Rücken zukehren. Und so geschah es, dass der Südpol des Harzes unbezwungen blieb. Vorerst.
Reisezeit: Januar 2010
Region/Kontinent: Mitteleuropa
„Bittere Kälte, lange Stunden in vollständiger Finsternis garantiert. Rückkehr ungewiss.“
Mit diesen Worten hatte vor rund 100 Jahren Ernest Shackleton Mitreisende gesucht. Der Fairness halber muss man sagen, dass er dabei nicht das Warten in Halberstadt auf den verspäteten Regionalexpress nach Wernigerode im Sinn hatte. Sondern eine Polarexpedition, die sich nicht einmal ansatzweise mit den kühnen Schneeschuhwanderungen der Gegenwart in die Todeszone des Harzes vergleichen ließ.
Am 2. Januar 2010 verließen zwei finstere Gestalten frühmorgens die Stadt Berlin. Den ganzen Anfang des Jahres hatten sie gezögert, ob die Bedingungen für die Reise gegeben waren.
Schon die Anreise war qualvoll. Vor allem für die 257er-Sammeldroschke, die sich trotz ihrer Bespannung mit weit über 200 Pferden mit den Serpentinen nach Drei Annen-Hohne haderte und auf 540 Meter Höhe hörbar mit Atemnot zu kämpfen hatte. Hier überließ sie die beiden Gestalten ihrem Schicksal.
Von nun an ging es nur noch zu Fuß weiter. Ein dünne Schneeschicht lag über dem knisternden Eis, das die Forststraße nach Westen bedeckte. Nach Westen trieb es die beiden, zur Wolfswarte, dem sagenhaften Südpol des Harzes. Ein erster Anlauf, ihn zu erreichen, war im vergangenen Jahr am an der Landesgrenze gescheitert. Schmählich hatten sich die beiden seinerzeit nach Ilsenburg zurückziehen müssen, wollten sie nicht von der nächtlichen Betriebsruhe auf den Bahnstrecken des Nordharz-Netzes eingeschlossen werden.
Nun wollten sie die Schmach wiedergutmachen. Diesmal übernahm der Jüngere, der sich Ixylon nannte, die Führung. Durch das Felsenlabyrinth der Hohneklippen sollte die Route führen, weiter über die Schneewüste an den Zeterklippen und hinein in die Todeszone des härtesten Brockens zwischen Maas und Memel, Etsch und Belt. Hier hatten schon viele Vorstöße in die Bergwelt ein vorzeitiges Ende gefunden. Ixylon erinnerte sich noch gut, wie sein Gefährte Fredo Schakal im Sommer der Erschießung nur durch einen gewagten Sprung in die Brockenbahn entkommen war.
Weiter sollte die Route der Gefährten über Torfhaus führen. Dieser Ort wird bisweilen als letzter Außenposten der Zivilisation bezeichnet. Ein Attribut von zweifelhaftem Wert. Die schwierige Versorgung des abgelegenen Ortes ist der Grund, weshalb Biodiesel hier vor dem Verbrennen in den Mercedes 200D der autochthonen Bevölkerung noch einen Verwendungszyklus in der Pommes-Zubereitung durchläuft.



Dann bereiteten sie sich auf den Abstieg vor. Ketten aus Eisen unter den Füßen sollten dem Älteren, der sich Pfad-Finder nannte, mehr Halt auf dem ewigen Eis verschaffen. Der jüngere vertraute darauf, dass auch gefrorenes Wasser die Oberflächenspannung hatte, die ihn sicher zu Tal tragen würde.
Der Südpol war inzwischen in unerreichbare Ferne gerückt, so dass sich die beiden Gefährten entschlossen, ihr Nachtlager auf halbem Wege aufzuschlagen. Doch es war eine Vollmondnacht, selbst wenn sich der Trabant inzwischen hinter Schneewolken versteckte. Und so galt es besondere Vorsicht walten zu lassen. Nicht nur die Hexen würden tanzen wollen, sondern auch auch die Harzvampire. Nur ein Pfahl in angemessener Nähe würde die Gefahr bannen können. Am besten ein dreieckiger Pfahl.
Schließlich fanden sie einen geeigneten Platz für ihr Nachtlager. Er hätte sogar Ixylons Zelt bequem aufnehmen können, doch der Aberglaube gewann Oberhand und so richteten beide ihre Apsiden nach Osten aus. Daher konnte Ixylon die magischen Schnüre, mit denen er seiner neoromanischen Helsport-Kathedrale Form verlieh, nur mühsam im weichen Schnee befestigen.

Der Ältere, der unter seniler Bettflucht litt, bereitete sich zu diesem Zeitpunkt schon sein zweites Frühstück vor. Den sibirischen Temperaturen entsprechend gab es Boeuf Stroganoff. Unterdessen dematerialisierte der Jüngere einen Teil seiner Ausrüstung, denn es galt, eine Daune-Schlafsackkombi und seine Helsport-Kathedrale in einem Ultraleicht-Rucksack unterzubringen.
Die unsichtbare Sonne näherte sich schon ihrem Zenit, als sie endlich den Platz ihres Nachtlagers verließen und wieder auf den Weg kamen. Durch lange Spurrinnen glitten Wesen, die man Langläufer nennt. Man erkennt sie an vereisten Schnauzbärten und verbissenem Gesichtsausdruck. Sie tragen Gewänder in Farben, die bei den meisten potenziellen Fressfeinden eine sofortige Verätzung der Hornhaut auslösen. Die übrigen Fressfeinde werden durch den Geruch abgeschreckt, den sie über Schweißdrüsen auf dem Rücken absondern.
Die beiden Gefährten zog es nun zur Achtermannshöhe. Einer Volksetymologie zufolge, die vor allem von Küstenbewohnern verbreitet wird, bedeutet es soviel wie „Hinterwäldlerhöhe“ (achtern = hinten). Zugegebenermaßen gibt es aus Sicht von Kennern des Westharzbevölkerung keine besser zutreffende Erklärung. An diesem Tag bot die Achtermannshöhe so einiges: Einen steilen Anstieg, einen steilen Abstieg, und das alles auf einen durch Pulverschnee abgedeckten Eisschicht. Nur an Aussicht mangelte es.
Die beiden Gefährten zögerten nicht lange und begaben sich nach Oderbrück, wo sie das Beh-Vier überquerten, einen magischen Asphaltstreifen, der den Westharz von Nord nach Süd durchschneidet. Manche meinen auch, es wäre von Süd nach Nord. Aber das ist genauso abwegig wie die Behauptung, der Hexenstieg würde von Osterode nach Thale führen.

Kaum 500 Meter vor dem Ziel mussten die Gefährten feststellen, dass Raum und Zeit sich gegen sie verschworen hatten. Waren es die Sinusschwingungen der Hochspannungsleitung über den Bruchberg? Der Vollmond? Die Erdstrahlen? Wollten sie dem ungastlichen Ort Torfhaus rechtzeitig mit der Sammeldroschke entfliehen, mussten sie jetzt der Wolfswarte den Rücken zukehren. Und so geschah es, dass der Südpol des Harzes unbezwungen blieb. Vorerst.
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