Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
Route:
[Prolog]
Im Frühjahr hat mich die Wanderlust gepackt, und der Entschluss stand fest: ich möchte diesen Sommer mit Zelt auf Tour gehen. Auf große Tour? Ach, nein – ganz klein anfangen, vor der eigenen Haustür – das reicht mir schon. Im Outdoorforum angemeldet, ein kleines Zelt angeschafft, einen neuen Schlafsack gefunden, Pläne gemacht, verworfen, den Rucksack gepackt, geträumt.
Doch der Frühsommer ist verregnet, der Hochsommer nicht minder, und nach unerwarteter, längerer Krankheit ist der Spätsommer verflogen. Soll es das schon gewesen sein mit meinen spannenden, neuen Plänen für 2017?
Ende September. Ein langes Wochenende naht. Vielleicht ergibt sich ja doch noch eine Chance?
Die Wetteraussichten sind bombastisch. Ich reiche 3 Tage Urlaub ein und mache zur Vorbereitung einen Ausflug mit Übernachtung ins Umland. Vielversprechend. Ich freu mich.
Die Wetteraussichten werden jeden Tag schlechter.
Mir doch egal!
[Freitag, 29.09.2017]
Tag 1: Sangerhausen – Grillenberg, 12km
Früh um 09:15 geht es zu Hause los. Ich habe 6 Tage Zeit und will von Sangerhausen in einem großen Bogen durch den südöstlichen Harz laufen und spätestens am Mittwoch in Nordhausen wieder ankommen. Zur Übernachtung sind Campingplätze eingeplant, entsprechende Tagesetappen um die 20km herausgesucht. Genug Herausforderung für das erste Mal mit Zelt im Rucksack auf Tour!
Nach exakt 4 Stunden Fahrt spuckt mich die Bimmelbahn in Sangerhausen am Bahnhof aus, der den Charme sozialistischer 60er-Jahre-Architektur versprüht. Bestes Sommerwetter – Zeit für kurze Hosen und T-Shirt – und dann kann es auch schon losgehen!

Etwas spärlich beschildert führt der Weg am Tierheim vorbei aus der Stadt hinaus, mit Blick auf eine riesige Kupferschiefer-Abraumhalde, dann am Rande von Obstwiesen den Hang hinauf. Der Herbst hat hier schon Einzug gehalten, die Bäume im sanft geschwungenen Harzvorland leuchten als bunte Farbkleckse in der Landschaft, die Füße rascheln durchs Laub. Herrlich!




Wenig später erreiche ich mit der "Moltkewarte" auf dem Schlößchenkopf das erste Ziel, ein Aussichtsturm zu Ehren besagten Generalfeldmarschalls. Hinaufsteigen kann man nur am Wochenende – schade, man hätte sicherlich eine grandiose Sicht auf das herbstlich-sonnige Harzvorland.


So mache ich nur eine kurze Pause und setze dann den Weg fort – erst einmal vom Höhenrücken wieder hinunter, durch die verschlafene Ortschaft Lengefeld. Gern würde ich meine etwas knapp bemessenen Wasservorräte füllen, finde aber keine gute Gelegenheit; auch zwei Pumpen, die am Straßenrand stehen, geben nichts her. Dann muss es wohl so gehen.
Weiter geht es auf Nebenstraßen und Feldwegen nach Norden, immer auf die gut sichtbaren, bewaldeten Höhenzüge des südöstlichen Harzes zu. Schließlich treffe ich auf den Karstwanderweg, der auf etwa 100km Mansfeld im Osten mit Osterode im Westen des südlichen Harzvorlands verbindet.
Ich folge dem Weg heute nur wenige Kilometer gen Osten – und bin so angetan von der lieblichen Landschaft und den bunten Bäumen, dass fest steht: in irgendeinem Herbst werde ich den Karstwanderweg einmal in Gänze ablaufen.





Als nächstes folgt ein kurzer Abstecher zum Bergbaulehrpfad bei Wettelrode, wo mittelalterliche Kupfererz-Bergwerksanalagen zu Schauzwecken wiedererrichtet wurden. Unter schattigen Bäumen mache ich ausgiebige Rast. Ich habe Kopfschmerzen – zu wenig getrunken? - und mir tun die Schultern weh, die Schultergurte drücken aufs Schlüsselbein, und ich frage mich jetzt schon, wie ich mit dem – trotz "nur" 12kg Gewicht – gefühlt doch viel zu schweren Rucksack morgen die dann bedeutend längere Etappe schaffen soll. So schön die Landschaft und das Wetter auch sind: ganz überzeugt bin ich gerade nicht mehr von meinem Plan. Habe ich mir vielleicht doch zu viel vorgenommen?
Schon bald darauf erreiche ich dann die Ausläufer Grillenbergs, meines heutigen Ziels.
Doch erst einmal umrunde ich den Ort weitläufig, durch hübsche Laubwälder am Ufer der fröhlich dahin plätschernden Gonna entlang, und steige noch zur Burgruine Grillenburg auf, die Namensgeberin für den Ort, auf den man hier hübsch herabschauen kann. Doch am Himmel ziehen sich schon Gewitterwolken zusammen...


Die Luft wird drückender, und Punkt 18 Uhr erreiche ich den Campingplatz am Waldbad Grillenberg. Doch irgendetwas ist komisch...?! Das Gelände liegt einsam und verlassen da. Lediglich ein verwaister Wohnwagen kündet davon, das hier mal gecampt wurde. Hier ist heute definitiv kein Betrieb!
Ich schleiche um das Gelände herum, der Haupteingang ist offen, und an der Kasse – die im Sommer auch dem angrenzenden Freibad dient – hängt ein Aushang: Gäste mögen sich, wenn die Rezeption nicht besetzt ist, einen Platz suchen und sich telefonisch beim Platzwart melden. Aber gilt das auch, wenn man weit und breit der einzige Gast ist?!

Ich erkunde den Rest des Geländes: alle Sanitärräume sind geöffnet, Strom und Wasser gibt es auch. Die Mobilfunknetz-Abdeckung spottet jeder Beschreibung; doch mit Müh und Not erreiche ich unter der angegebenen Telefonnummer schließlich - einen Anrufbeantworter.
Etwas ratlos stehe ich in der Gegend herum, da rauscht plötzlich an mir vorbei die örtliche Feuerwehr aufs Gelände. Drei Mann laden am hinteren Teil des Platzes Brennholz ab, und auf meine Nachfrage zucken sie nur gleichmütig die Schultern: ja, ich soll mir einfach einen Platz suchen. Vielleicht kommt der Platzwart ja auch später noch vorbei. Passt schon.
Die Gewitterwolken künden nichts Gutes – ich bin jetzt zu allem entschlossen; ruckzuck stelle ich das Zelt auf, und kaum steht es, bricht auch schon ein Regenschauer über mich herein. Ich harre unter einem Vordach aus.
Als der Regen abklingt, wird es schon dunkel. Mit Stirnlampe bewaffnet bereite ich mir ein Abendessen - immerhin, das klappt auch bei Dunkelheit gut, den Mini-Trangia hab ich zu Hause schon mal getestet, das war eine gute Idee.
Ganz allein auf dem verlassenen Gelände ist es unheimlich, ich versuche mich nicht beunruhigen zu lassen, räume zügig zusammen, nehme in den kalten Sanitärgebäuden eine Katzenwäsche vor und krieche in meinen wohlig warmen Schlafsack; lese noch zwei Seiten in meinem Reclam-Heftchen (Faust! Was sonst, im Harz?
) und falle erschöpft in tiefen Schlaf.
[Samstag, 30.09.2017]
Tag 2: Grillenberg - Wippra - Dankerode, ca. 20km
Erst um 8 Uhr bekomme ich die Augen auf. Ich habe geschlafen wie das namensgebende Murmeltier, merke jetzt aber, dass die Isomatte arg auf dem Zeltboden herumrutscht, und so steckt das Fußende vom Schlafsack jetzt in der Kondenswasser-feuchten Zeltwand und saugt sich langsam voll. Mist. Das Zelt ist sowieso noch vom gestrigen Gewitterschauer patschnass – keine Chance, es nun zu trocknen. Also wandert es so, wie es ist, in den Packsack und dann in den Rucksack. Immerhin kommt eine Plastiktüte drum...
Das Frühstück verschiebe ich auf "irgendwann später", werfe nur eine Aspirin gegen die penetranten Kopfschmerzen ein, fülle die Wasserflaschen und schultere unter schmerzhaftem Protest des Schlüsselbeins den Rucksack.
Der Platzwart hat sich nicht blicken lassen – ich stelle später den Kontakt unkompliziert und sehr sympathisch per Mail her, um die Bezahlung zu regeln; die zuständige Vertreterin des Fremdenverkehrsvereins zeigt sich dankbar, dass ich mich freiwillig melde – das scheint keine Selbstverständlichkeit zu sein.
Viertel nach neun mache ich mich auf den Weg. Immer noch skeptisch, ob ich die "lange" Etappe heute wirklich schaffe - geplant sind etwa 20km, über Wippra nach Dankerode. Normalerweise laufe ich das locker als Nachmittagsspaziergang, aber mit dem "schweren" Rucksack..?! Ich bin doch langsamer unterwegs, als ich dachte.
Und es geht schon abenteuerlich los: der direkte Weg nach Wippra, den ich auf meiner Karte gefunden habe, ist beim besten Willen nicht zu finden. Ich frage einen Anwohner, Typ "alternder Hippie", nach dem Weg. Er schaut mich skeptisch an: "Schöner ist's da hinten..." - bestätigt aber, dass ich direkt hier die "Abkürzung" den Berg hinauf nehmen kann.
Ich schlage mich durch dichtes Brombeergebüsch einen Pfad hoch, wünsche mir, ich hätte Gamaschen (zum ersten, aber beileibe nicht zum letzten Mal an diesem Wochenende!), weiter in einem trockenen Graben steil in einen Buchenwald hinein, bis ich schließlich die flache Kuppe des Höhenrückens erreicht habe. Der Pfad teilt sich noch einmal, und verliert sich schließlich unter den lichter werdenden Bäumen.

Lecksteine sind aufgestellt. Etwas entfernt steht ein Hochsitz. Statt des Wegs nach Wippra habe ich eine Wildfutterstelle gefunden. Shit. Wo zur Hölle bin ich hier?!
Ich hantiere mit Karte und Kompass. Weitgehend zweifelsfrei kann ich Standort und Richtung identifizieren – nur der markierte Weg, der sich genau da befinden sollte, wo ich gerade bin – der ist nicht da.
Etwas ratlos tappe ich im Wald umher – und plötzlich stoße ich dann doch wieder auf den Pfad, der paar hundert Meter weiter plötzlich in einen bestens markierten Forstweg mündet. Ja, wollen die mich denn hier veräppeln?

Immerhin, nun geht es gut voran, mal auf breitem Forstweg, dann wieder auf zugewucherten Pfaden, aber immer gut markiert.


Kurz vor Wippra falle ich zwischen diesen Markierungen aus dem Gebüsch heraus...

.. und treffe auf den "Lutherweg", an dem sich wenig später, am Rande einer großen Wiese, eine Schutzhüte in Form eines modernen Infohäuschen findet. Ich lasse noch eine Rentnergruppe passieren ("sagen Sie – sind Sie etwa ganz alleine unterwegs?") - die ersten Wanderer, die ich seit 1,5 Tagen treffe!-, dann lasse ich mich dort genüsslich nieder, breite den Schlafsack zum Trocknen aus, hänge das nasse Zelt über eine Metallstrebe und bereite erstmal heißes Wasser, Porridge und Kaffee für das nun wirklich nötige Frühstück zu.


Eine Wanderin kommt vorbei, wir kommen kurz ins Gespräch – mit Blick auf mein ganzes ausgebreitetes Hab und Gut: "Ach, Sie meinen das so richtig ernst mit dem Pilgern?" - Naja, das nun auch nicht gerade...
Als ich wieder zusammenpacke, ist es schon 12 Uhr, und ich habe erst ein Viertel der heutigen Etappe geschafft. Wieder kommen mir Zweifel... doch gut gestärkt geht es nun zügig nach Wippra hinein:


Und Richtung Wipper-Talsperre wieder aus dem Ort heraus, wo ich auf eine Baustelle von beeindruckender Größe treffe:

Hier entsteht - in Form eines imposanten Beton-Monstrums - ein Hochwasserrückhaltebecken, das zukünftig die Orte am Unterlauf der Wipper vor den Fluten schützen wird. Ich meide die Schotterstraße und halte mich auf dem "Knüppeldamm", der zwar seinem Namen keine Ehre macht, sich aber immerhin als angenehmer Waldweg am Hang mit Blick über die idyllischen Wiesen in der Flußaue entpuppt.


Hier muss gefurtet werden:

Schon bald taucht die Staumauer der Wippertalsperre vor mir auf:

Mein Weg führt an der Nordseite des Sees weiter – teils hübsch auf schmalen Pfaden:


Im Bereich des Zulaufs geht der See in Feuchtwiesen über:

Und auch das Wandererlebnis auf den Wegen erinnert stellenweise eher an eine Wattwanderung:

An der letzten Bank am Seeufer treffe ich ein Pärchen: "Haben Sie denn gar keine Angst allein im Wald?" - "Vor wem soll ich mich fürchten, vor Ihnen? Sonst habe ich hier doch noch niemanden getroffen..." - ich bin nicht sicher, ob sie die Antwort so lustig fanden
Leider finde ich danach am Seeufer keinen Rastplatz mehr – also lasse ich mich schließlich, erschöpft und mit dringendem Pausenbedürfnis, auf einem frisch geschlagenen Baumstamm am Wegrand nieder. Auch das Zelt muss noch trocknen: mitten auf dem Forstweg scheint mir ein guter Platz, um es auszubreiten.
Anschließend geht es vom Ufer der Wipper weg, stetig ansteigend, und bald trete ich aus dem Wald heraus auf die Wiesen und Ackerflächen der Harz-Hochfläche, die den kleinen Ort Dankerode umgeben.


Zum Campingplatz ist es nun nicht mehr weit – und entgegen aller Befürchtungen treffe ich um 17:30 noch früh genug ein, um den Besitzer noch vor Ort zu treffen. Geschafft!
Schnell ist alles geregelt, ich darf mein Zelt auf der Wiese aufschlagen, lüfte nochmal alles gut durch, stelle fest, dass ich für die heiße Dusche kein Kleingeld habe und begnüge mich erneut mit Katzenwäsche. Ich nehme mir vor, beim Abendessen passendes Wechselgeld zu erhalten, um morgen früh vor dem Aufbruch schön heiß zu duschen, und mache mich auf in den Ort.
Im Gasthaus genieße ich lokales Wippraer Pils (lecker-würzig!) und vertilge – nach unzählbaren Hochsitzen, an denen ich heute vorbeigelaufen bin – ein deftiges Wildgulasch. Die Rechnung weist 17,60 aus – seufzend schreibe ich die heiße Dusche ab, ich kann mir doch auf 20 Euro nicht noch Wechselgeld rausgeben lassen...
Ich liege gerade im Zelt, als kräftiger Regen einsetzt. Ich döse mehrfach ein, wache wieder auf, bin durstig, hab kein Trinkwasser mehr im Zelt und muss im Regen nochmal raus.
Dämmere wieder ein, wache auf, stelle fest, dass ich nun ungewollt Wasser im Zelt habe. Neben meinen Kopf bildet sich eine Pfütze. Zwischen Außenzelt und Boden ist ein Spalt, weht da Feuchtigkeit durch? Vielleicht. Aber vor allem ist irgendwo über meinem Kopf offenbar eine Naht undicht. Es tropft durch.
Bestimmt kann man das beheben. Aber bestimmt nicht heute nacht.
Über diesen Überlegungen schlafe ich wieder ein...
Hier sollte eine GPX-Karte erscheinen! Wenn diese nicht nach wenigen Sekunden nachgeladen wird bitte die Seite aktualisieren.
[Prolog]
Im Frühjahr hat mich die Wanderlust gepackt, und der Entschluss stand fest: ich möchte diesen Sommer mit Zelt auf Tour gehen. Auf große Tour? Ach, nein – ganz klein anfangen, vor der eigenen Haustür – das reicht mir schon. Im Outdoorforum angemeldet, ein kleines Zelt angeschafft, einen neuen Schlafsack gefunden, Pläne gemacht, verworfen, den Rucksack gepackt, geträumt.
Doch der Frühsommer ist verregnet, der Hochsommer nicht minder, und nach unerwarteter, längerer Krankheit ist der Spätsommer verflogen. Soll es das schon gewesen sein mit meinen spannenden, neuen Plänen für 2017?
Ende September. Ein langes Wochenende naht. Vielleicht ergibt sich ja doch noch eine Chance?
Die Wetteraussichten sind bombastisch. Ich reiche 3 Tage Urlaub ein und mache zur Vorbereitung einen Ausflug mit Übernachtung ins Umland. Vielversprechend. Ich freu mich.
Die Wetteraussichten werden jeden Tag schlechter.
Mir doch egal!

[Freitag, 29.09.2017]
Tag 1: Sangerhausen – Grillenberg, 12km
Früh um 09:15 geht es zu Hause los. Ich habe 6 Tage Zeit und will von Sangerhausen in einem großen Bogen durch den südöstlichen Harz laufen und spätestens am Mittwoch in Nordhausen wieder ankommen. Zur Übernachtung sind Campingplätze eingeplant, entsprechende Tagesetappen um die 20km herausgesucht. Genug Herausforderung für das erste Mal mit Zelt im Rucksack auf Tour!
Nach exakt 4 Stunden Fahrt spuckt mich die Bimmelbahn in Sangerhausen am Bahnhof aus, der den Charme sozialistischer 60er-Jahre-Architektur versprüht. Bestes Sommerwetter – Zeit für kurze Hosen und T-Shirt – und dann kann es auch schon losgehen!

Etwas spärlich beschildert führt der Weg am Tierheim vorbei aus der Stadt hinaus, mit Blick auf eine riesige Kupferschiefer-Abraumhalde, dann am Rande von Obstwiesen den Hang hinauf. Der Herbst hat hier schon Einzug gehalten, die Bäume im sanft geschwungenen Harzvorland leuchten als bunte Farbkleckse in der Landschaft, die Füße rascheln durchs Laub. Herrlich!
Wenig später erreiche ich mit der "Moltkewarte" auf dem Schlößchenkopf das erste Ziel, ein Aussichtsturm zu Ehren besagten Generalfeldmarschalls. Hinaufsteigen kann man nur am Wochenende – schade, man hätte sicherlich eine grandiose Sicht auf das herbstlich-sonnige Harzvorland.
So mache ich nur eine kurze Pause und setze dann den Weg fort – erst einmal vom Höhenrücken wieder hinunter, durch die verschlafene Ortschaft Lengefeld. Gern würde ich meine etwas knapp bemessenen Wasservorräte füllen, finde aber keine gute Gelegenheit; auch zwei Pumpen, die am Straßenrand stehen, geben nichts her. Dann muss es wohl so gehen.
Weiter geht es auf Nebenstraßen und Feldwegen nach Norden, immer auf die gut sichtbaren, bewaldeten Höhenzüge des südöstlichen Harzes zu. Schließlich treffe ich auf den Karstwanderweg, der auf etwa 100km Mansfeld im Osten mit Osterode im Westen des südlichen Harzvorlands verbindet.
Ich folge dem Weg heute nur wenige Kilometer gen Osten – und bin so angetan von der lieblichen Landschaft und den bunten Bäumen, dass fest steht: in irgendeinem Herbst werde ich den Karstwanderweg einmal in Gänze ablaufen.
Als nächstes folgt ein kurzer Abstecher zum Bergbaulehrpfad bei Wettelrode, wo mittelalterliche Kupfererz-Bergwerksanalagen zu Schauzwecken wiedererrichtet wurden. Unter schattigen Bäumen mache ich ausgiebige Rast. Ich habe Kopfschmerzen – zu wenig getrunken? - und mir tun die Schultern weh, die Schultergurte drücken aufs Schlüsselbein, und ich frage mich jetzt schon, wie ich mit dem – trotz "nur" 12kg Gewicht – gefühlt doch viel zu schweren Rucksack morgen die dann bedeutend längere Etappe schaffen soll. So schön die Landschaft und das Wetter auch sind: ganz überzeugt bin ich gerade nicht mehr von meinem Plan. Habe ich mir vielleicht doch zu viel vorgenommen?
Schon bald darauf erreiche ich dann die Ausläufer Grillenbergs, meines heutigen Ziels.
Doch erst einmal umrunde ich den Ort weitläufig, durch hübsche Laubwälder am Ufer der fröhlich dahin plätschernden Gonna entlang, und steige noch zur Burgruine Grillenburg auf, die Namensgeberin für den Ort, auf den man hier hübsch herabschauen kann. Doch am Himmel ziehen sich schon Gewitterwolken zusammen...
Die Luft wird drückender, und Punkt 18 Uhr erreiche ich den Campingplatz am Waldbad Grillenberg. Doch irgendetwas ist komisch...?! Das Gelände liegt einsam und verlassen da. Lediglich ein verwaister Wohnwagen kündet davon, das hier mal gecampt wurde. Hier ist heute definitiv kein Betrieb!
Ich schleiche um das Gelände herum, der Haupteingang ist offen, und an der Kasse – die im Sommer auch dem angrenzenden Freibad dient – hängt ein Aushang: Gäste mögen sich, wenn die Rezeption nicht besetzt ist, einen Platz suchen und sich telefonisch beim Platzwart melden. Aber gilt das auch, wenn man weit und breit der einzige Gast ist?!
Ich erkunde den Rest des Geländes: alle Sanitärräume sind geöffnet, Strom und Wasser gibt es auch. Die Mobilfunknetz-Abdeckung spottet jeder Beschreibung; doch mit Müh und Not erreiche ich unter der angegebenen Telefonnummer schließlich - einen Anrufbeantworter.
Etwas ratlos stehe ich in der Gegend herum, da rauscht plötzlich an mir vorbei die örtliche Feuerwehr aufs Gelände. Drei Mann laden am hinteren Teil des Platzes Brennholz ab, und auf meine Nachfrage zucken sie nur gleichmütig die Schultern: ja, ich soll mir einfach einen Platz suchen. Vielleicht kommt der Platzwart ja auch später noch vorbei. Passt schon.
Die Gewitterwolken künden nichts Gutes – ich bin jetzt zu allem entschlossen; ruckzuck stelle ich das Zelt auf, und kaum steht es, bricht auch schon ein Regenschauer über mich herein. Ich harre unter einem Vordach aus.
Als der Regen abklingt, wird es schon dunkel. Mit Stirnlampe bewaffnet bereite ich mir ein Abendessen - immerhin, das klappt auch bei Dunkelheit gut, den Mini-Trangia hab ich zu Hause schon mal getestet, das war eine gute Idee.
Ganz allein auf dem verlassenen Gelände ist es unheimlich, ich versuche mich nicht beunruhigen zu lassen, räume zügig zusammen, nehme in den kalten Sanitärgebäuden eine Katzenwäsche vor und krieche in meinen wohlig warmen Schlafsack; lese noch zwei Seiten in meinem Reclam-Heftchen (Faust! Was sonst, im Harz?

[Samstag, 30.09.2017]
Tag 2: Grillenberg - Wippra - Dankerode, ca. 20km
Erst um 8 Uhr bekomme ich die Augen auf. Ich habe geschlafen wie das namensgebende Murmeltier, merke jetzt aber, dass die Isomatte arg auf dem Zeltboden herumrutscht, und so steckt das Fußende vom Schlafsack jetzt in der Kondenswasser-feuchten Zeltwand und saugt sich langsam voll. Mist. Das Zelt ist sowieso noch vom gestrigen Gewitterschauer patschnass – keine Chance, es nun zu trocknen. Also wandert es so, wie es ist, in den Packsack und dann in den Rucksack. Immerhin kommt eine Plastiktüte drum...
Das Frühstück verschiebe ich auf "irgendwann später", werfe nur eine Aspirin gegen die penetranten Kopfschmerzen ein, fülle die Wasserflaschen und schultere unter schmerzhaftem Protest des Schlüsselbeins den Rucksack.
Der Platzwart hat sich nicht blicken lassen – ich stelle später den Kontakt unkompliziert und sehr sympathisch per Mail her, um die Bezahlung zu regeln; die zuständige Vertreterin des Fremdenverkehrsvereins zeigt sich dankbar, dass ich mich freiwillig melde – das scheint keine Selbstverständlichkeit zu sein.
Viertel nach neun mache ich mich auf den Weg. Immer noch skeptisch, ob ich die "lange" Etappe heute wirklich schaffe - geplant sind etwa 20km, über Wippra nach Dankerode. Normalerweise laufe ich das locker als Nachmittagsspaziergang, aber mit dem "schweren" Rucksack..?! Ich bin doch langsamer unterwegs, als ich dachte.
Und es geht schon abenteuerlich los: der direkte Weg nach Wippra, den ich auf meiner Karte gefunden habe, ist beim besten Willen nicht zu finden. Ich frage einen Anwohner, Typ "alternder Hippie", nach dem Weg. Er schaut mich skeptisch an: "Schöner ist's da hinten..." - bestätigt aber, dass ich direkt hier die "Abkürzung" den Berg hinauf nehmen kann.
Ich schlage mich durch dichtes Brombeergebüsch einen Pfad hoch, wünsche mir, ich hätte Gamaschen (zum ersten, aber beileibe nicht zum letzten Mal an diesem Wochenende!), weiter in einem trockenen Graben steil in einen Buchenwald hinein, bis ich schließlich die flache Kuppe des Höhenrückens erreicht habe. Der Pfad teilt sich noch einmal, und verliert sich schließlich unter den lichter werdenden Bäumen.
Lecksteine sind aufgestellt. Etwas entfernt steht ein Hochsitz. Statt des Wegs nach Wippra habe ich eine Wildfutterstelle gefunden. Shit. Wo zur Hölle bin ich hier?!
Ich hantiere mit Karte und Kompass. Weitgehend zweifelsfrei kann ich Standort und Richtung identifizieren – nur der markierte Weg, der sich genau da befinden sollte, wo ich gerade bin – der ist nicht da.
Etwas ratlos tappe ich im Wald umher – und plötzlich stoße ich dann doch wieder auf den Pfad, der paar hundert Meter weiter plötzlich in einen bestens markierten Forstweg mündet. Ja, wollen die mich denn hier veräppeln?

Immerhin, nun geht es gut voran, mal auf breitem Forstweg, dann wieder auf zugewucherten Pfaden, aber immer gut markiert.
Kurz vor Wippra falle ich zwischen diesen Markierungen aus dem Gebüsch heraus...
.. und treffe auf den "Lutherweg", an dem sich wenig später, am Rande einer großen Wiese, eine Schutzhüte in Form eines modernen Infohäuschen findet. Ich lasse noch eine Rentnergruppe passieren ("sagen Sie – sind Sie etwa ganz alleine unterwegs?") - die ersten Wanderer, die ich seit 1,5 Tagen treffe!-, dann lasse ich mich dort genüsslich nieder, breite den Schlafsack zum Trocknen aus, hänge das nasse Zelt über eine Metallstrebe und bereite erstmal heißes Wasser, Porridge und Kaffee für das nun wirklich nötige Frühstück zu.
Eine Wanderin kommt vorbei, wir kommen kurz ins Gespräch – mit Blick auf mein ganzes ausgebreitetes Hab und Gut: "Ach, Sie meinen das so richtig ernst mit dem Pilgern?" - Naja, das nun auch nicht gerade...
Als ich wieder zusammenpacke, ist es schon 12 Uhr, und ich habe erst ein Viertel der heutigen Etappe geschafft. Wieder kommen mir Zweifel... doch gut gestärkt geht es nun zügig nach Wippra hinein:
Und Richtung Wipper-Talsperre wieder aus dem Ort heraus, wo ich auf eine Baustelle von beeindruckender Größe treffe:
Hier entsteht - in Form eines imposanten Beton-Monstrums - ein Hochwasserrückhaltebecken, das zukünftig die Orte am Unterlauf der Wipper vor den Fluten schützen wird. Ich meide die Schotterstraße und halte mich auf dem "Knüppeldamm", der zwar seinem Namen keine Ehre macht, sich aber immerhin als angenehmer Waldweg am Hang mit Blick über die idyllischen Wiesen in der Flußaue entpuppt.
Hier muss gefurtet werden:

Schon bald taucht die Staumauer der Wippertalsperre vor mir auf:
Mein Weg führt an der Nordseite des Sees weiter – teils hübsch auf schmalen Pfaden:
Im Bereich des Zulaufs geht der See in Feuchtwiesen über:
Und auch das Wandererlebnis auf den Wegen erinnert stellenweise eher an eine Wattwanderung:
An der letzten Bank am Seeufer treffe ich ein Pärchen: "Haben Sie denn gar keine Angst allein im Wald?" - "Vor wem soll ich mich fürchten, vor Ihnen? Sonst habe ich hier doch noch niemanden getroffen..." - ich bin nicht sicher, ob sie die Antwort so lustig fanden

Leider finde ich danach am Seeufer keinen Rastplatz mehr – also lasse ich mich schließlich, erschöpft und mit dringendem Pausenbedürfnis, auf einem frisch geschlagenen Baumstamm am Wegrand nieder. Auch das Zelt muss noch trocknen: mitten auf dem Forstweg scheint mir ein guter Platz, um es auszubreiten.

Anschließend geht es vom Ufer der Wipper weg, stetig ansteigend, und bald trete ich aus dem Wald heraus auf die Wiesen und Ackerflächen der Harz-Hochfläche, die den kleinen Ort Dankerode umgeben.
Zum Campingplatz ist es nun nicht mehr weit – und entgegen aller Befürchtungen treffe ich um 17:30 noch früh genug ein, um den Besitzer noch vor Ort zu treffen. Geschafft!

Schnell ist alles geregelt, ich darf mein Zelt auf der Wiese aufschlagen, lüfte nochmal alles gut durch, stelle fest, dass ich für die heiße Dusche kein Kleingeld habe und begnüge mich erneut mit Katzenwäsche. Ich nehme mir vor, beim Abendessen passendes Wechselgeld zu erhalten, um morgen früh vor dem Aufbruch schön heiß zu duschen, und mache mich auf in den Ort.
Im Gasthaus genieße ich lokales Wippraer Pils (lecker-würzig!) und vertilge – nach unzählbaren Hochsitzen, an denen ich heute vorbeigelaufen bin – ein deftiges Wildgulasch. Die Rechnung weist 17,60 aus – seufzend schreibe ich die heiße Dusche ab, ich kann mir doch auf 20 Euro nicht noch Wechselgeld rausgeben lassen...
Ich liege gerade im Zelt, als kräftiger Regen einsetzt. Ich döse mehrfach ein, wache wieder auf, bin durstig, hab kein Trinkwasser mehr im Zelt und muss im Regen nochmal raus.
Dämmere wieder ein, wache auf, stelle fest, dass ich nun ungewollt Wasser im Zelt habe. Neben meinen Kopf bildet sich eine Pfütze. Zwischen Außenzelt und Boden ist ein Spalt, weht da Feuchtigkeit durch? Vielleicht. Aber vor allem ist irgendwo über meinem Kopf offenbar eine Naht undicht. Es tropft durch.
Bestimmt kann man das beheben. Aber bestimmt nicht heute nacht.
Über diesen Überlegungen schlafe ich wieder ein...
Kommentar