Berg- und Kletter-Unfälle

[Becks]

Also ich kenne/kannte diverse Bergführer und hab mich auch schon ausgiebig mit dieser Sorte Mensch am Berg gezofft, vor allem dann, wenn sie mal wieder meinten, die Warteschlangeam Berg gelte nicht für sie und ihre Kunden.

Als erstes ist der Bergführer haftbar und hat somit die Entscheidungshoheit. Daran kann man rütteln und mancher ist ganz froh darüber, wenn man ihn auf Details aufmerksam macht, die ihm entgangen sind. Man kann aber auch an der Ehre kratzen und dann reagieren sie sehr grätig.

Ist halt ein Versuch wert, und die Reaktion ist nicht daran gebunden, ob der Führer vom DAV, SAC oder ÖAV oder sonstwo her kommt. Ich hatte auch schon welche, die waren ganz froh daran, wenn ich/wir erklärt haben, einen zweiten Blick auf den Kunden zu werfen, bevor er sich zum Bergführer abseilt, der gerade den Luftraum unter dem Stand erkunden gehen muss.

Und fehlerlos ist keiner. Selbst Michael Boos ist z.B. ein Missgeschick passiert, als er auf dem Rückweg vom Schreckhorn einen losen Stein weggekickt hat, der ungünstig im Pfad lag (weil er verhindern wollte, dass er ev. später spontan los rollt und Leute im Weg trifft), und das Ding schoss eine Etage unter uns über eben den Weg, wo auch noch Leute rauf kamen. Passiert dem Besten.

Auf Skitour würde ich jedoch schon einmal nachhaken, wenn der Leader zumindest auf den ersten Blick komische Dinge macht, z.B. bei LWS Stufe 3 oder gar 4 in einen steilen Nordhang reinzudonnern.

[Becks]

Ach ja, im vergangen Jahr hatte ich die Freude, nach grob geschätzt 30 Jahren einmal wieder mit Führer auf eine Bergtour zu gehen. Nix besonders Schwieriges, lediglich etwas Bergbiwak/Zeltenund Besteigung von zwei 3000er der einfachen Sorte.

Ging ganz gut. Ich habe erklärt, dass ich in solch einem Gelände nicht wirklich einen Bergführer brauchen würde, und am Ende ist er vorraus und ich hab hinten Leichensammler gespielt und nachgesehen, ob es irgendwo kritisch wird.

Man kann sich also auch als Kunde wohl etwas arrangieren.

[Becks]

Zu dem Unfall von Spiss:

Eine Beschreibung des Ablaufs und der orte findet sich z.B. hier - und dort findet man auch eine Luftaufnahme vom Unfallort. Dort wo die Helis stehen, da dürften die Leute ausgegraben worden sein. Es ist etwas schwer, vom Luftbild auf die 2D-Karte der Schweiz umzusteigen und dort dann das Ganze einzuordnen, aber ein paar Dinge dürften ziemlich sicher sein.

Zum einen stammt die Gruppe aus Ischgl und wollte da auch sicher wieder hin. Der einzig sichere sowie logische Zugang sowie Ausweg aus dem Bereich erfolgt über den Spatlasattel ins westlich gelegene Skigebiet, von wo aus man sich nach Ischgl schleppern lassen kann.

Besser ist das Bild hier - denn hier sieht man den Gratverlauf in SO-Richtung sowie sogar zählbar die sechs Spuren der Gruppe. Der Skiführer ist imo also eigentlich kein Risiko eingegangen, denn er ist nicht - wie man vom Text vermuten könnte - vom Gipfel aus in die SO-Wand eingefahren, sondern aussen rum.

Oder bildlich.... rot dürfte grob die Richtung sein, wo die Leute hin wollten. Etwa zu P2372, dann anfellen und nach SW raus aus dem Bild.
Orange sind drei Varianten, um dorthin zu kommen. Die oberste der drei wäre mir bei der Situation am Fr/Sa zu heiss gewesen, weil zu dicht an Steilstellen dran. Also bleiben die unteren zwei, die ich wohl je nachdem, wo die Gruppe zuvor vom Gipfel aus gelandet wäre genommen hätte.
Blau ist das, an was man denkt, wenn man den Text liest - ab durch 35° und steiler, direkt den SO Hang runter. Viel zu riskant an dem Tag, man beachte das Bild von mir mit dem Rutsch, der in einer angehauchten 30er-Zone abging.

Nimmt man nun das zweite verlinkte Bild heran, sieht man, dass die Gruppe aussen herum ist - der grünen Linie nach. Und dann wurde sie im Bereich, wo die Spitze der grünen Linie ist, von einer Lawine erwischt, die sich oben am Grat löste und den ganzen Hang plus eine weite Auslaufzone erwischt hat.


Hier im Detail: orange die Spur, rot ein Bereich, bei dem eventuell ein Tick zu nahe am Steilbereich gefahren wurde. Ist aber nur ein Detail und sah im Hang selber ev. auch weniger steil aus als aus der Sicht.


Mein Fazit: die haben wohl unterschätzt, wie weit solch eine Lawine in flaches Gelände rauschen kann. Und wenn man selber mit wenig Schwung in solch einem Gelände fährt oder gar auf den Rest der Gruppe wartet, dann kommt man da nicht weg.

Von grob fahrlässig und unverantwortlich sehe ich da bislang nix. Kein Vergleich zur Müstair-Nordrinne, wo es auch geknallt hat.

Hatte ich also doch den richtigen Riecher, als ich bei unserer Tour am Samstag links raus bin, als der Rest noch fröhlich in den lawinenbedrohten Kessel rein sind. Nur hat es bei uns halt gehalten - sonst wäre mit Pech auch ne Fünfergruppe drunter gelegen.

[Con]

Nicht mal in Griechenland ist man momentan vor Lawinen sicher :

https://www.n-tv.de/panorama/Drei-To...e23109274.html

[qwertzui]

Becks danke für die detaillierte Analyse

[chri1]

Lawinenwarndienst Tirol: 2022 Blog

[Becks]

Tjo, ich hatte Recht.

Was ev. noch andere bestätigen oder widerlegen können ist, dass letztes Wochende rein gefühlt der Schnee extra mies war. Wir hatten Tage/Wochen keinen Neuschnee, dafür Regen bis auf fast 2800m rauf, gefolgt von Trockenheit. Die ganzen Hänge dürften eine knallharte Masse gewesen sein, mit einer dicken Eisschicht oben drauf. Da drauf gab es dann mit viel Wind 1m Neuschnee, und das Ganze gab viel Masse auf einer wortwörtlich eisglatten Unterlage. Entsprechend einfach konnten Lawinen ausgelöst werden, und weil es eben so rutschig war, kamen die Lawinen auch ungewöhnlich weit in flache Bereiche hinein.

Ich wüsste jetzt spontan nicht, wann ich das letzte Mal so etwas gesehen hätte:

Das ist ein wirklich flaches Stückchen Boden. Der kleine Hubbel rechts im Bild ist P2421. Man beachte, was für Hänge da abgebrochen sind (kaum mehr als 30°) und wie weit das Ganze in den Flachbereich rein kommt.

[chri1]

Der Link war eigentlich als Korrektur zu verstehen, die Verortung des Unfalls ist nicht der Hang vom unteren Malfragkopf, sondern der Hang vom Fliesserberg. Zugegeben sehen die beiden sehr ähnlich aus und die Situation ist auch ähnlich, aber die Dimensionen scheinen mir beim unteren Hang grösser zu sein, hat auch grössere Flächen mit kritischer Steilheit. Die Tour hätte mE auch nicht viel Sinn gemacht, für 300 hm Abfahrt so umständlich rüber und zurück zu queren scheint mir nicht so lohnend zu sein.

[Becks]

Ok, dann stimmen da wohl ein paar Texte/Ortsangaben in den Berichten nicht und meine Schlussfolgerungen sind falsch. Jetzt ist klar, warum ich das Gelände auf den Bildern nicht mit der Karte so richtig in Deckung bringen konnte.

Aber dafür macht die Abfahrt jetzt imo keinen Sinn mehr:




Rot ist dann wohl die Abfahrtslinie, und kurz vor der Fliesser Alpe kam der Hang vom Fliesser Berg runter und hat sie erwischt. Die Alpe aber ist Dead End. Nach unten kommt man eher ungünstig ins Tal nach Spiss und muss dann von dort zumindest bis nach Ravaisch, um mit der Bahn zurück nach Ischgl zu kommen. Alles ausser der orangen Linie über Spatla ist meiner Meinung nach sinnlos.

Warum also um 12-13 Uhr dort runter, wenn man noch so viel Rückweg vor einen hat? Um wenigstens ein paar Höhenmeter Abfahrt zu bekommen (von 2600 runter nach 2000, dann anfellen, zurück und rüber)? Ich dene, ich wäre an dem tag mit der Gruppe wohl eher auf die Breite Krone. Mit Lift bis Val gronda, zur Heidelberger runter, anfellen, Krone und Abfahrt bis Ischgl.


[edit]
Bild wieder eingefügt, weil der Mod planlos ist und keine Ahnung hat.

[Linard]

Ja, chri1 hat recht; Deine erste Variante stimmt wohl nicht, definitiv eher so wie oben bei Deiner zweiten Variante)

Ok, dann stimmen da wohl ein paar Texte/Ortsangaben in den Berichten nicht und meine Schlussfolgerungen sind falsch. Jetzt ist klar, warum ich das Gelände auf den Bildern nicht mit der Karte so richtig in Deckung bringen konnte. ...

Ich finde nicht, dass es falsch geschrieben ist, eher einfach etwas verwirrend.
Hier nochmals der offizielle Pressetext der Polizei (weiter oben schon mal von mir gepostet):
https://www.polizei.gv.at/tirol/pres...706C593D&pro=0

... Die Alpe aber ist Dead End. Nach unten kommt man eher ungünstig ins Tal nach Spiss und muss dann von dort zumindest bis nach Ravaisch, um mit der Bahn zurück nach Ischgl zu kommen. Alles ausser der orangen Linie über Spatla ist meiner Meinung nach sinnlos.

Warum also um 12-13 Uhr dort runter, wenn man noch so viel Rückweg vor einen hat? Um wenigstens ein paar Höhenmeter Abfahrt zu bekommen (von 2600 runter nach 2000, dann anfellen, zurück und rüber)? ...

Also ich kenne mich da im Gebiet überhaupt nicht aus, aber anhand der Karte denke ich, dass man das Zanderstal nach Spissermühle schon hinauskommt. Es hat da ja relativ viel Schutzwald an den Hängen.
Die Abfahrt vom Unteren Malfragkopf auf die Fliesser Alpe ist generell sicherlich sehr schön. Von dem her ist das generell sicher eine schöne Variante und der Bergführer wird das wahrscheinlich auch schon mehrmals gemacht haben. Dass es an diesem Tag die falsche Variante war ist im Nachhinein klar ...
Er wird es sich aber sicher genau überlegt haben.
Es gibt viele gute Bergführer, die tödliche Unfälle mit Gästen hatten.

[Becks]

Ich mach dem Bergführer auch keine Vorwürfe. Ganz im Gegensatz zu manch anderer Selbstmordunternehmung (Arolla sage ich da nur) war das Risiko imo absolut vertretbar und nicht wie in den Medien dargestellt viel zu hoch. Bei grobem Blick auf die Karte hat die Lawine wohl fast 200m Strecke horizontal in einem Hang zurückgelegt, der unter 30° Gefälle hatte. So viel Auslauf plant kaum einer ein, nehme ich an.

Das Gipfelziel selber war auch recht gut gewählt. Es ist einer der wenigen Gipfel, der ohne grosses Risiko und mit recht wenig Höhenmetern aus dem Skigebiet heraus erreicht werden kann.

[Simon]

Ja die wollten sicher runter nach Spiss. Ich war da selber noch nie, habe es mir heuer aber Anfang der Saison einmal als Ziel herausgesucht. Der untere Teil ist soweit ich das überblicke auf einem Forstweg im Wald. Ab Spiss wäre dann vermutlich geplant gewesen wieder mit dem Taxi oder Bus retour. Da laut Polizeibericht eine Person der Gruppe in Landeck zurückgeblieben ist nehme ich an, dass ihre Unterkunft in Landeck war. Das würde auch vom Zeitpunkt passen. In der Früh von Landeck nach Ischgl, dann müssen mehrere Lifte genutzt werden (das dauert). Dann Abfahrt im Gelände und ca. 300 Höhenmeter Aufstieg. Vor Mittags am Gipfel und dann noch eine kurze Gipfelrast ist meiner Ansicht nach schon recht geschwind.
Hier noch ein paar mehr Bilder.

[ApoC]

Ich habe mal grade bei Youtube ein bißchen nach Lawinen gesucht und das hier gefunden. Konnte es noch nicht gucken.

Lawinenupdate des öAV
https://www.youtube.com/watch?v=q9MJBYdmqQo

Wo gibt es denn eigendlich diese ganzen Lawinengeländekarten? Ich hatte die schonmal aber finde sie nicht mehr.

[eames68]

Auch wenn der Magister Larcher bisweilen a bissl selbstverliebt rüberkommt --- die Lawinenupdates sind eine super Sache, kurzweilig und immer sehr lohnend zu schauen. Auch die Vorträge der Vorjahre finden sich m.W. noch auf Youtube. Dafür ein fettes Dankeschön an den ÖAV!

Die von Becks verwendete Karte ist die Schweizer Landeskarte mit aktiviertem Hangneigungslayer. Sie deckt die Schweiz inkl. Grenzrandgebiete (wie hier) ab. Du findest sie z.B. unter
https://map.geo.admin.ch
Den Hangneigungslayer ("Hangneigungsklassen") musst du dort in der Kartensuche suchen und zuschalten.

[Becks]

Bei Sachseln gabs zwei Tote

https://www.luzernerzeitung.ch/zentr...fer-ld.2250871

Die Jungs sind von Norden her aufgestiegen, und der umrandete Bereich ist abgebrochen, wie man auch auf dem Foto in der Zeitung sieht.


(Für Leute, die nicht in der Lage sind, die Quelle der Karte zu identifizieren: Swisstopo, so wie in etwa 99% aller meiner anderen Beiträge auch)

Was erstaunt, ist wie weit der Schnee in den Flachbereich vorgedrungen ist. Aber wenn man sieht, wie steil das Ding dann doch ist, dann wird klar, dass Schnee schon Fahrt aufnimmt, wenn er oben in Kantennähe startet.

Das Problem hier war: wir hatten wochenlang starken Wind aus Richtung West, und dabei gabs die ganzen Niederschläge. Da, wo der Schnee gelandet ist, da isser dann auch abgerissen.

[rumpelstil]

Heftig... vor allem die Menge, die so weit ins Flache gerutscht ist.
Danke, Becks, dass du so oft den Kartenausschnitt raussuchst und auch noch markierst.

[Linard]

Auch noch eindrücklich:
https://www.instagram.com/p/CZze99nA...um=share_sheet
Roccabella (GR) Richtung Osten (Richtung Piz d'Emmat Dadora), scheinbar am Sa. 5.2.22. Abgefahren von der Schulter ist er wahrscheinlich bei ca 2700m.
Zugehöriges Bulletin:
https://www.slf.ch/fileadmin/user_up...e_complete.pdf

[Becks]

Auch noch eindrücklich:
https://www.instagram.com/p/CZze99nA...um=share_sheet
Roccabella (GR) Richtung Osten (Richtung Piz d'Emmat Dadora),

manche sind echte Dangerseeker. Wind aus West bzw. Nordwest mit Schneefall, somit alle Osthänge gut geladen. Dazu da drunter dank langer Trockenperiode eine gut ausgebildete Eisschicht als Gleitfläche. und dann bei ner 3 in felsiges Gelände (also über 45° steil).

Und auch das Resümee des Fahrers ist eindeutig: ohne Airbag hätte ich nicht überlebt, also immer schön auf die Technik setzen. Keinerlei Eingeständnis, dass 45° bei ner 3 nicht die beste Idee ist.

Fehler bei der Einschätzung kann ja mal passieren, aber das war imo grob fahrlässig.

[Flachlandtiroler]

Hatte mich bereits gewundert: Diese Rocciabella ist ja sowas wie die "Geht-immer-Tour".
Und dann so'n fettes Brett aber klar, was fährt der auch in den steilen (die Bilder zeigen das garnicht so finde ich) Leehang...
Wobei der noch deutlich krassere Sachen macht

[rumpelstil]

Ich habe auch erst gedacht: Roccabella? Aber klar, die Ostseite und bei der Situation im Moment... Ich hoff ja, dass es sich noch etwas beruhigt.

Ich bin ja immer etwas zwiegespalten bei solchen Instaaccounts. Ist ja gut, was draus zu lernen...