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Die Alpen sind eine schöne Gegend. Ich mag sie. Im Prinzip. Blöd nur, daß die Wahrscheinlichkeit, schlechtes Wetter zu erwischen, bei gefühlten 80% liegt, jedenfalls auf der Nordseite. Und so überlegte ich mir für einen Kurzurlaub im September 2016, daß ich mich wohl am besten in den südlichen Alpenbereich orientieren würde. Grübel-grübel, googel-googel...
Dann kam mir die Idee: ich fahre mit der berühmten Rhätischen Bahn durch die Schweiz nach Tirano, also ins Veltlin. Und dann?? Tja, von dort würde ich dann eben irgendwie improvisieren: entweder eine Wanderung zurück nach Norden entlang der Via Bernina-Albula, oder etwas mehr Südliches. Auf die Karte der ODS geschaut. Ich „pflanze“, wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, meine Geotags bevorzugt dorthin, wo nicht schon zehn andere sind; denn ich bin seit den Sechzigerjahren ein wissbegieriger Abenteurer von Natur. Meine lesebebrillten Augen sehen da eine größere Lücke im mittleren Bereich der italienischen Alpen. Östlich von Tirano zeigt die Karte „Parco dell´Adamello“. Na, das wäre doch etwas ...
Auf der Website der Bahn schaue ich nach einer Fahrkarte Frankfurt-Tirano. Die soll 65 Euro kosten. Nicht gerade super-billig aber völlig akzeptabel, finde ich. Gerade will ich schon drauf klicken, da sehe ich: die Erste Klasse kostet 70 Euro, Platzreservierung im Panorama-Wagen der Rhätischen Bahn inbegriffen. Bin ich blöd? Natürlich nicht. Also buche ich erste Klasse. Was dann daraus wird, werden wir zu gegebener Zeit schon sehen...
Startpunkt ist Frankfurt, am 5. September 2016. Zunächst tausche ich im größten Outdoor-Laden der Stadt die Meindl-Stiefel um, die mich im voraufgegangenen Oktober in Bhutan so überraschend im Stich gelassen hatten. Super-kulant, muß ich sagen. Am Hauptbahnhof übergebe ich meinen großen Koffer für zehn Tage der Gepäckaufbewahrung und reise nur mit meinem Tourenrucksack weiter. Um 22 Uhr geht mein Zug nach Basel, um ein Uhr ist er dort. Dann penne ich erst einmal vier Stunden auf einer Wartebank. Das macht mir nichts, ich habe so oft auf langen Flugreisen in irgendwelchen blöden Flughäfen mehrere Stunden warten müssen, bin schon routiniert in so etwas. Um halb sechs geht es weiter. Umsteigen in Zürich, umsteigen in Chur. Wenn man nur einen Rucksack dabei hat, ist das kein Problem. Um halb neun Uhr morgens verläßt der Zug Chur, und nun geht es richtig hinein in die Berge.
„OutofSaigon ist ein Element der Schnittmenge zwischen Wanderfreunden und Eisenbahnfreunden“. So gestelzt würde es ein Mathematiker formulieren. Gestelzt oder nicht – ihr versteht, was ich meine. Die Rhätische Bahn ist eines der „Schmankerl“ der Eisenbahntechnik und gehört zum UNESCO-Welterbe: es ist ein Schmalspursystem, das im Kanton Graubünden die Schweizerischen Bundesbahnen ergänzt; die bekannteste Trasse verläuft von Chur über den Albula-Paß ins Engadin und von dort über den Bernina-Paß ins Veltlin, also nach Italien. Die Trasse führt durch zahlreiche Tunnel (teilweise Kehrtunnel) und über kunstvoll angelegte Viadukte, mit steilen Steigungen und engen Kurven, deren geometrische Parameter nicht weit von denen einer Modellbahn entfernt sind. Jeder Eisenbahn-Fan sollte diese Fahrt einmal gemacht haben.



„Tirano, Tirano“ ertönt es aus dem Bahnsteigs-Lautsprecher. Hier sind wir also schon in Italien, kaum ein paar Kilometer hinter der Schweizer Grenze. Hier endet der Zug; er muß hier enden, weil hier das Gleis endet (ich sagte ja schon: die Rhätische Bahn fährt auf Schmalspur und kann deswegen nicht auf Normalspur-Gleisen fahren). Am Ziel bin ich aber noch nicht: ich möchte weiter, mindestens nach Edolo, dem Städtchen am Westrand des Parco dell´Adamello, besser noch direkt nach Bazena am Südrand des Parco dell´Adamello, dem Ausgangspunkt des Treks „Alta Via dell´Adamello“, wie er hier auf Italienisch mit Wort und Karte beschrieben ist. Diese Karte zeigt euch die ganze Alta Via sowie die Start- und Endpunkte.
Weil ich aber eine gute Pizza liebe und soeben in Italien angekommen bin, und weil gleich am Bahnhofsvorplatz eine einladend aussehende Pizzeria ist, mache ich hier erst einmal Mittag. Nach der Pizza (sie war köstlich) geht es mit dem Bus aus dem Veltlin wieder heraus, über den Paß von Aprica und dann in östlicher Richtung nach Edolo im Val Camonica, also einem anderen Tal, das nach Süden führt. In Edolo angekommen, geht es Schlag auf Schlag, und ich habe nur wenige Minuten Zeit, am Bahnhof rasch eine Fahrkarte zu kaufen und in den bereit stehenden Zug nach Brescia zu hüpfen. Im Zug sehe ich zwei Leute, die wie richtige Wanderer aussehen, und frage sie naturgemäß, wo sie hin wollen. Es stellt sich heraus, daß sie – ein Ehepaar aus Basel – die Alta Via dell´Adamello hatten gehen wollen, und zwar von Nord nach Süd. Zu diesem Zweck hatten sie ihr Auto in Bazena (also am südlichen Ende der Alta Via) abgestellt, waren dann mit Bahn und Bus nach Temù am Nordende der Alta Via gefahren und hatten die Wanderung begonnen. Dann aber hatte der Mann Fieber bekommen, sie mußten die Unternehmung abbrechen und sind nun wieder auf dem Weg nach Bazena, um ihr Auto zu holen. So fahren wir denn gemeinsam mit dem Zug bis nach Breno und von dort mit dem Taxi nach Bazena (was rund 20km sind, also zum Laufen eigentlich zu weit). Beide Seiten freuen sich, daß man die Taxikosten teilen kann. Wie ihr auf der Karte seht, befindet sich in Bazena das südlichste Rifugio der Alta Via, und hier mache ich dann Schluß für den Tag.
Dergestalt improvisierend bin ich also in recht kurzer Zeit von Frankfurt nach Bazena gekommen, und ich bin durchaus zufrieden mit dem Erreichten. Das Gefühl der Zufriedenheit wird noch verstärkt durch einen sehenswerten Sonnenuntergang.
Nach dem (sehr guten) Abendessen studiere ich ein Faltblatt, das mir die beiden Baseler gegeben hatten:
Aus urheberrechtlichen Gründen zeige ich hier nur das Titelblatt, auf dem ihr auch einige nützliche Internetadressen seht.
Dieses Faltblatt beschreibt acht Tagesetappen der Alta Via, fast alle davon etwa fünf bis sechs Gehstunden lang, die erste sogar nur knapp über zwei Stunden. Da denke ich mir, daß ich vielleicht einige dieser Etappen zusammen legen kann; denn ich habe leider keine acht Tage Zeit. Selbst mit solchem „Zusammenlegen“ werde ich aber wohl nur einen Teil der gesamten Alta Via bewältigen können. Außerdem lese ich, daß einige Teilstrecken aufgrund der technischen Herausforderungen nur von „esperti alpinisti“ begangen werden sollten, und auch das nicht im Alleingang. Nun bin ich aber ein geübter Hochgebirgswanderer, kenne die „anspruchsvollen Wanderwege“ in Österreich und nehme diese Warnungen daher nicht allzu ernst. Daß dies eine Fehleinschätzung war, sollte sich noch zeigen.
Der Weg ist das Ziel
„Das Adamellogebiet ist dem deutschsprachigen Publikum weitgehend unbekannt“ stand in einem Wanderführer, den ich in Deutschland kurz eingesehen hatte. So ist es auch kein Wunder, daß ich durch Internet-Recherchen nicht viel herausgefunden hatte, und ich bin gespannt, wie sich alles entwickeln wird. Am nächsten Morgen bekomme ich erst einmal ein richtig gutes Frühstück, mit zwei Semmeln von der Art, die der Österreicher „Schusterlaiberl“ nennt, also aus richtig kräftigem Teig. Davon werde ich gut satt. Anschließend verlasse ich das Rifugio Bazena und mache mich auf in Richtung Rifugio Tita Secchi.
Es herrscht wunderbares Spätsommerwetter mit einem strahlend blauen Himmel. Der Weg ist technisch kinderleicht, aber die Route ist schlecht bis gar nicht markiert, und schon bei der ersten Weggabelung stehe ich ratlos da. Da holt mich ein italienisches Paar ein; die haben einen Zettel, auf dem steht „am Brunnen rechts hinauf“, und wir weil hier an einem Brunnen sind, gehen wir also rechts hinauf. Die jungen Leute wandern recht flott und sind mir bald voraus. Eine junge Frau hetzt hinter mir her und fragt mich aufgeregt, ob ich wohl ihre Kuh (Vacca) gesehen hätte. Habe ich aber nicht, und so kann ich ihr nicht helfen. Ich wandere weiter, habe aber nach einiger Zeit wieder das Gefühl, auf dem falschen Weg zu sein; denn ich sehe keinerlei Markierung, von einem ordentlichen Wegweiser ganz zu schweigen. Ich bin wohl nur auf einem Weg zur nächsten Almhütte.
Da sehe ich rechts am Hang weit oberhalb von mir eine Gruppe von Leuten, die offenbar auf irgendwelchen Serpentinen dort hinauf gestiegen sind und recht selbstbewußt dahin marschieren. Die mögen wohl auf dem richtigen Weg sein, und ich sollte sie zumindest fragen. Ich steige nun also rasch und in der Direttissima den grasbewachsenen Hang hinauf, um der Gruppe den Weg abzuschneiden. Das schaffe ich auch, und ich frage sie, wo es denn hier – verdammt noch mal – zum Rifugio Tita Secchi geht. „Vari sentieri“ ist die Antwort, also: „es gibt allerlei Wege“. Es sind fünf italienische Herren, die eine Zwei-Tages-Wanderung machen und mich freundlicherweise einladen, mit ihnen zu gehen. Wir überschreiten einen kleinen Paß, den Passo Valfredda (also: „Kaltentalpaß“) und steigen anschließend in eine kleine Talmulde ab.
Nach kurzer Zeit entdecken wir auf dem Weg eine kleine Schlange („piccolino“ sagen die Herren dazu), aber keiner von uns ist sicher, um welche Spezies es sich handelt. Vielleicht ist jemand aus der Leserschaft in dieser Hinsicht kompetenter (?).
Auf der anderen Seite des Tals erreichen wir einen Autoparkplatz und steigen dann wieder auf. Auch die freundlichen Herren sind mir aber bald voraus, und ich gehe – etwas gemütlicher – mit einem italienischen Ehepaar weiter.
Der Weg ist sehr gut ausgebaut, und ich denke zunächst, daß man dies für die Tagesausflügler getan hat, die in recht großer Zahl von dem erwähnten Autoparkplatz zum Rifugio Tita Secchi gehen. Erst abends beim weiteren Lesen dämmert es mir, daß dies wohl ein Maultierpfad ist, den die Italiener während des Ersten Weltkriegs angelegt haben; denn hier war das Grenzgebiet zwischen Italien und dem damals österreichischen Südtirol und damit eben die Front.
Der Weg geht nun hinauf zum Passo della Vacca (also: „Kuhpaß“), und hier sehe ich zum ersten Mal heute einen ordentlichen Wegweiser.
Als wir uns dem Passo della Vacca nähern, erkenne ich langsam, daß mich die freundlichen italienischen Herren auf eine etwas unsinnige Route geführt haben, die in horizontaler und vor allem auch in vertikaler Richtung einen gewaltigen Umweg bedeutete; es hätte nach dem ersten kleinen Paß einen Weg am Hang entlang gegeben, mit dem wir uns die Durchquerung des Tals mit Abstieg und Wiederaufstieg hätten sparen können. Den Autoparkplatz hätte ich nicht gebraucht. Durch diesen unnötigen Umweg habe ich wohl fast eine Stunde verloren, dazu noch die Zeit, die ich anfangs mit dem Suchen nach dem richtigen Pfad verbracht habe. Als wir das Rifugio Tita Secchi erreichen, war ich ab Rifugio Bazena insgesamt also fast vier Stunden unterwegs gewesen, mithin deutlich länger als die 2:15 Stunden, die in dem Faltblatt stehen.
Verrückterweise haben die Italiener den Weg ausgerechnet dort sehr gut markiert, wo man ihn sowieso nicht verfehlen kann, z. B. auf den letzten Metern die Treppe hoch zum Rifugio, das man ja ohnehin sieht.
Nun aber ist das Rifugio (auf 2367m Meereshöhe) erreicht, und nun wird zunächst einmal Mittagspause gemacht.
Das Rifugio ist nur eine gute Gehstunde von dem erwähnten Autoparkplatz entfernt, fungiert infolgedessen mehr als Ausflugs-Gaststätte und ist mittags stark frequentiert. Es liegt neben einem kleinen Stausee, dessen Zweck wohl die Elektrizitätserzeugung ist; ich sehe allerdings keine Druckleitung. Nebenher dient der Stausee möglicherweise als Wasser-Reservoir für das Rifugio.
Nach dem Mittagessen konsultiere ich wieder mein Faltblatt und lese, daß die Etappe zum nächsten Rifugio (Maria e Franco) 5:30 Stunden dauern soll. Von der Erfahrung des Vormittags gewarnt, denke ich aber, daß dies zeitlich arg knapp wird – es ist ja schon September, und die Tage sind nicht mehr so lang. So beschließe ich, im Rifugio Tita Secchi zu übernachten. Das bedeutet aber, daß mein ursprünglicher Plan, die Tagesetappen Nr. 1 und Nr. 2 zu einer einzigen Etappe zusammen zu legen, schon einmal nicht so aufgegangen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Am späten Nachmittag sind die Tagesausflügler alle verschwunden, und es gibt nur vier Übernachtungsgäste, alles Deutsche: außer mir noch ein sehr nettes junges Paar aus Berlin sowie ein Herr aus Schwaben. Damit ist die Kapazität der Hütte vielleicht zu 10% ausgelastet. Diese drei waren bereits von Garmisch aus unterwegs, gehen also die Alta Via von Nord nach Süd und legen hier gerade einen Ruhetag ein. Wir genießen gemeinsam ein gutes Abendessen.
Am folgenden Morgen höre ich zu allererst einmal das Knattern eines Helikopters: der Versorgungs-Hubschrauber bringt neues Bier und Sonstiges, was man für den Betrieb einer Ausflugs-Gaststätte benötigt.
Anschließend gibt es Frühstück. Ich denke „das ist doch wohl ein Witz!?“: ein paar trockene Zwiebackscheiben, ein bißchen Butter und Marmelade, dazu Tee. Davon soll man satt werden?? Da erinnere ich mich, daß italienische Eßkultur um das Abendessen kreist und das Frühstück keine besonders große Rolle spielt. Dann ziehe ich los. Ich bin der einzige Wanderer weit und breit. Beim Aufstieg zum Blumone-Paß schaue ich noch einmal zurück auf den kleinen See neben dem Rifugio Tita Secchi.
Dann schweift der Blick weit nach Westen:
Dieses Massiv, im obigen Foto rechts, also insgesamt in nordwestlicher Richtung von meinem Standort, muß wohl das Massiv des Piz Bernina bzw. Piz Palü sein, denke ich mir; denn diese sind ja die höchsten Gipfel der Region:
Ich bin aber unsicher, welches dieser markante, allein stehende Gipfel ist; vielleicht ist es der M. Disgrazia (3678m hoch und südwestlich der Bernina-Gruppe gelegen)? Das wissen wohl die Experten, z. B. unser Moderator Becks, der in den Alpen doch jeden Stein kennt (wofür ich ihn in höchstem Maße bewundere).
Monte Disgrazia bedeutet übrigens so viel wie „Unglücksberg“. Wenn ich mir das Profil des Berges so anschaue, kann ich mir gut vorstellen, daß es dort schon das ein oder andere Malheur gegeben hat.
Nach einer knappen Stunden erreiche ich den Passo Blumone. Hier sehe ich die Reste eines Unterstandes bzw. Außenpostens, offenbar der italienischen Armee, aus dem Ersten Weltkrieg.
So lückenhaft bis nicht-vorhanden die Wegmarkierung am ersten Tag gewesen war, so übertrieben ist sie in diesem Bereich: auf den rund zwanzig Metern bis zu dem Felsblock oben rechts im folgenden Foto sind es nicht weniger als acht Markierungen, also im Durchschnitt alle 2,50m eine – rekordverdächtig:
So gehe ich denn weiter dahin, immer Richtung Norden. Einen Weg im eigentlichen Sinne gibt es hier nicht, nur eine markierte Route durch die Abertausende von Steinblöcken. Durch bzw. über diese zu gehen, finde ich ziemlich unangenehm und auch irgendwie riskant. Erstens habe ich nicht das optimale Schuhwerk: ich bin mit Zustiegsschuhen unterwegs, weil meine – siehe oben – gerade erst erworbenen neuen Stiefel noch nicht eingelaufen sind und ich sie deshalb in Frankfurt gelassen habe. Zweitens bin ich der einzige Wanderer soweit das Auge reicht, und die Wandersaison ist fast zu Ende; wenn ich hier stürze und mich verletze, kann ich womöglich bis nächsten Juni warten, bis mich jemand findet; denn Telefonverbindung habe ich hier auch nicht. Bis nächsten Juni werden meine paar Schokoriegel aber nicht reichen...
Was ich noch nicht wußte, als ich das folgende Foto machte, aber jetzt weiß: der Brescia-Paß (Bocchetta Brescia), den ich auf dem Weg zum nächsten Rifugio zu überschreiten habe, liegt unter dem kleinen Wölkchen links der Bildmitte:
Auf meinem einsamen Marsch begegne ich als nächstes einer Herde von Bergziegen; wie ihr seht, haben sie ein dichtes, langes, zotteliges Fell und viel größere Hörner als normale Hausziegen. Sie betrachten mich mit Interesse, eine ist sogar besonders neugierig und will mich aus der Nähe sehen:
Ein wenig weiter, zwischen den ganzen Steintrümmern, beobachtet mich ein Murmeltier:
Dieses hat wohl irgendwo unter den Steinen seine Höhle, aber da es hier viele Steine und nur wenig Gras gibt, kann seine Nahrungsgrundlage nicht besonders üppig sein. Wenn es sich für den Winter mästen will, muß es sich beeilen. Ich erinnere mich an die Gedichtzeile: „...viel Steine gab´s und wenig Brot“.
Dann habe ich den Eindruck, der Pfad führe langsam auf diese Scharte zu; „ist das der Brescia-Paß?“ frage ich mich.
Er ist es nicht: der Pfad führt an dieser Scharte vorbei, und der Brescia-Paß ist noch recht weit entfernt.
Irgendwo in dieser steinernen Öde ist dann plötzlich das Grab (oder Mahnmal) eines gewissen Fabrizio, der nur knapp 18 Jahre alt geworden ist. Es ist aber nicht ersichtlich, wo und wie genau er umkam, und warum sein Grab/Mahnmal sich gerade an dieser Stelle befindet. So gehe ich nach einer Gedenkminute weiter.
Der Pfad steuert nun auf diese kleine Scharte zu:
Oben auf dieser Scharte angekommen, habe ich dann den Blick in das nächste Kar:
Beachtenswert finde ich die Felswand, die sich durch den Bildmittelgrund zieht – sie war auch schon sechs Bilder weiter oben als dunkler Streifen zu sehen. Diese Felswand zieht sich fast vertikal den Hang hinunter und muß eine ganz besondere geologische Grundlage haben; was aber genau dahinter steckt, das kann ich nicht so schnell ergründen.
Ich schaue noch einmal in das Kar hinunter. Sein Boden ist weitestgehend bedeckt von Felstrümmern. „Moränenlandschaft“ lese ich in meinem Faltblatt, aber dem kann ich nicht zustimmen; Moränen sind Material, das von einem Gletscher transportiert und schließlich, mitunter Kilometer weiter talabwärts, wieder abgelagert worden ist, wobei Sand, Steine und große Blöcke wild durcheinander gemischt sind. Die Felstrümmer, die ich hier sehe, sind aber wohl nicht von einem Gletscher transportiert worden; sie liegen mehr oder weniger dort, wo sie von den Steilhängen herab gestürzt sind, allemal ein wenig verschoben von einem Ferner. Ihre von der Verwitterung gerundeten Kanten lassen vermuten, daß sie hier schon seit einigen Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden liegen. Material nach-eiszeitlicher Bergstürze also.
Anschließend führt der Weg immer steiler den Hang hinauf, offensichtlich in Richtung Bresciapaß, und ich schaue genau, wohin ich meine Füße setze. Als ich einmal den Kopf hebe, sehe ich plötzlich – vielleicht 15m vor mir – zwei Steinböcke, ein älteres und ein jüngeres Männchen:
Steinböcke heißen auf Italienisch „Stambecchi“, was bekanntlich wie „Stambecki“ ausgesprochen wird – irgendwie lustig, finde ich. Bis auf rund 10m lassen die Herren Steinböcke mich an sich herankommen, dann trollen sie sich zur Seite davon. Eine solch geringe Fluchtdistanz habe ich bei Steinböcken vorher noch nicht erlebt.
Tja, und dann kommt ein Stück Weg, das – nach den Maßstäben eines Wanderweges – nicht von Pappe ist: mit Ketten gesichert traversiere ich zunächst einen Felshang...
... dann geht es, ebenfalls gesichert, steil hinauf.
“Nichts für Oma und Opa, dieser Weg”, denke ich mir, muß dann aber schmunzeln: ich BIN ja zweifacher Großvater.
Nach den Maßstäben richtiger Bergsteiger ist dieser kleine Aufstieg natürlich gar nichts, aber aus meinem Verwandten- und Bekanntenkreis würden die wenigsten hier gehen wollen, und auch ich hatte mir die Alta Via nicht so vorgestellt, sondern eigentlich eine Art von Wanderweg erwartet, allemal so wie die weiß-blau-weiß markierten Wanderwege in Österreich (die ich mehrheitlich ziemlich harmlos finde). Aber nun bin ich einmal hier, nun gehe ich auch hier durch. Umkehren ist sowieso keine Option mehr, denn dafür ist es nun schon zu spät am Nachmittag. Mein Faltblatt beschreibt diese ganze Tagesetappe als „per esperti“ (also: für Experten), und langsam kapiere ich, was damit gemeint ist.
Nach diesem steilen aber kurzen Aufstieg bin ich dann oben auf dem Bresciapaß und schaue noch einmal zurück: von links unten im Bild bin ich hochgekommen, und nach rechts geht es dann weiter. Das Rifugio kann ja nicht mehr weit sein. Mit 2717m Meereshöhe ist dies der höchste Punkt meiner Wanderung. Auch auf diesem Paß sehe ich wieder die Reste von Trockensteinmauern, die wohl aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammen.
Auf dem Weiterweg fällt dann Nebel ein, aber genau der gibt dem Bild der Gämsen, die neben mir über die Felsen hüpfen, einen besonderen Reiz:
Endlich – es ist schon fortgeschrittener Nachmittag – erreiche ich das Rifugio Maria e Franco. Der Zugang ist etwas schwierig zu finden, aber der Wirt hat mich gesehen, kommt heraus und weist mich ein. Da ich der einzige Gast bin, kann er sich diesen Luxus erlauben. Drinnen ist es richtig gemütlich und urig, so wie man sich das von einer echten Alpenhütte vorstellt. Der holzbefeuerte Ofen bullert anheimelnd.
Nun ist es Zeit für einen Rückblick auf den Tag, und zu diesem Zweck bestelle ich mir einen Cafe Latte, der mir in einer kleinen Schüssel serviert wird. Es war eine ordentliche Tagesetappe gewesen, und ich wäre tatsächlich in Zeitnot gekommen, wenn ich diese Etappe einfach an die vorherige drangehängt und am vorauf gegangenen Nachmittag in Angriff genommen hätte. Mein Faltblatt weist eine Gehzeit von 5:30 Stunden aus, aber ich habe ohne Pausen wohl etwa sieben Stunden gebraucht.
Zum Abendessen gibt es wieder etwas richtig Gutes. Danach quatsche ich noch ein wenig mit den Wirtsleuten, aber dann gehen wir alle bald schlafen.
Am nächsten Morgen mache ich noch ein Abschiedsbild von uns:
Giacomo und Fiomorella sind wirklich nette Leute, von der Art, wie man sich Hüttenwirte von altem Schlag in den Alpen vorstellt: seit nunmehr 25 Jahren betreuen sie dieses Rifugio (und bei dieser Gelegenheit erinnern wir uns, daß das Wort „betreuen“ ja von „treu“ kommt). Leider sind solche Menschen selten geworden. Und das Rifugio Maria e Franco ist in seiner Abgeschiedenheit eben auch etwas ganz anderes als die Ausflugsgaststätten oder Massenunterkünfte in anderen, überlaufeneren Teilen der Alpen. Richtig urig eben.
Leider habe ich allerdings keine Zeit, hier länger zu verweilen, sondern muß weiter. Als erstes gehe ich ein paar Schritte hinauf zu einem „Paß“, der einen kleinen Felsriegel quert.
Auf dem Weiterweg habe ich dann – zum ersten Mal, wie mir scheint – einen freien Blick auf den Adamello, der dem ganzen Massiv sowie dem Park seinen Namen gegeben hat; immerhin 3554m hoch ist er.
In schöner Morgenstimmung marschiere ich auf den Passo de Campo zu.
Wollgras glänzt im frühen Sonnenlicht:
Rechts von mir eine interessante, schroffe Felsenkulisse:
Speziell frage ich mich, wie lange jener eine Block schon in dieser sorgfältig ausbalanciert erscheinenden aber dennoch prekären Position liegt, und wie lange er dort wohl noch so liegen bleiben wird, bevor er herunter knallt. Übrigens haben viele der Steine, die hier herum liegen, recht scharfe Bruchkanten, sind offenbar erst vor relativ kurzer Zeit herab gefallen und noch längst nicht so verwittert wie die Blöcke, die ich am Vortag gesehen hatte.
Linker Hand schweift der Blick nach Westen und Nordwesten zum Berninamassiv (Bildmitte). Im Mittelgrund der Lago d´Arno, ein Stausee zur Elektrizitätserzeugung (der helle Streifen an seinem Ufer zeigt, wie stark der Wasserstand schwanken kann).
Kurz vor dem eigentlichen Passo de Campo sehe ich noch einmal die Reste von Unterständen aus der Ersten Weltkrieg:
Tja, und dann ist der Passo de Campo erreicht. Hier der Blick nach Norden:
Ich freue mich auf den angenehm aussehenden Wanderweg, der nun zu folgen scheint:
So habe ich mir meine Spätsommerwanderung in den italienischen Alpen vorgestellt...
So gehe ich nun jenen Weg entlang. Er ist im ersten Abschnitt auch so angenehm und gemütlich, wie er aussieht. Dann aber wird er immer steiler, so steil und felsig, daß dem Wanderer mit künstlichen Trittstufen aus Baustahl geholfen werden muß. In diesem Aufstieg gibt es einige falsche Pässe (nicht die Art von falschen Pässen, die Kriminelle benutzen, sondern die falschen Pässe, die dem Wanderer vorgaukeln, er habe die Paßhöhe schon fast erreicht, obwohl es dann eben doch noch weiter geht). Schließlich – und etwas keuchend – bin ich dann aber doch oben und sehe, daß dies noch gar nicht der Ignaga-Paß ist, wie ich geglaubt hatte. Um zum Ignaga-Paß zu gelangen, muß ich erst noch einen längeren Hang queren.
Es ist mittlerer Vormittag, das Frühstück im Rifugio war wiederum nicht besonders kalorienreich gewesen, und ich kriege langsam Hunger. Klassisch wäre es, jetzt erst einmal bis zum Ignaga-Paß zu gehen und dort zu rasten. Ich habe aber einfach Hunger und setze mich eben jetzt gleich hier hin, am Fuße einer Felswand. Na, und wie ich da so gemütlich sitze und esse, höre ich von der anderen Talseite her auf einmal ein Krachen und Donnern, dann steigt eine Staubwolke auf.
Dort drüben hat es einen größeren Steinschlag gegeben; nach dem Geräusch und der Größe der Staubwolke schätze ich ganz grob und unprofessionell, daß dort wohl einige Dutzend Tonnen von Material herunter gekracht sind. Wenn du die auf den Kopf bekommst, haut es dir die Brille von der Nase.
Ich gucke hinter mich und nehme zur Kenntnis, daß ich genau am Fuß einer sehr ähnlichen Felswand sitze. Also ist es wohl besser, hier nicht unnötig lange zu verweilen, sondern sich alsbald davon zu machen. So erreiche ich wenig später tatsächlich den Ignaga-Paß.
Auch hier wieder die Reste von Trockensteinmauern:
Und weil es hier so sicher ist und weil die Sonne so schön scheint, mache hier nun eine längere und sehr gemütliche Rast.
Mein Tagesziel für heute ist, das Rifugio Lissone zu erreichen und von dort noch eine Stunde weiter zu gehen bis zum nächsten Rifugio. So könnte ich wohl die Zeit sparen, die ich brauche, um morgen nicht nur die in meinem Faltblatt beschriebene Etappe zum Rifugio Prudenzini zu schaffen, sondern auch dann noch weiter zu gehen bis zum Rifugio Gnutti, damit ich übermorgen von dort wieder ins Tal absteigen kann, weil dann eben mein Zeitbudget erschöpft ist. So stelle ich mir das vor.
Nach dem Aufbruch vom Ignaga-Paß bemerke ich als erstes – und mein Freund Blauloke hätte es auch bemerkt –, daß hier auf einmal ein ganz anderes Gestein ansteht: statt des einförmigen Kristallingesteins sehe mit einem Mal schöne Bändergneise. Binnen kürzester Zeit verlagert sich mein Augenmerk aber von diesen Gneisen auf den Weg: schmal und steil führt er in Stufen bergab, zur Linken fällt das Gelände abrupt nach unten ab, und ich halte mich an der Kette fest, die hier zur Sicherung der Wanderer angebracht ist. Auch dieser Wegabschnitt erscheint mir um einiges anspruchsvoller als die weiß-blau-weiß markierten Wanderwege in Österreich. Mancher findet ihn wohl richtiggehend gefährlich (worauf das schon mehrfach zitierte Faltblatt auch ausdrücklich hingewiesen hatte). Dieses Foto ist der Blick zurück auf einer der Steilstellen: der Abhang ist im Foto also rechts.
Einen halben Kilometer lang geht es wohl so. Meine Trekkingstöcke empfinde ich stellenweise als sehr hilfreich aber Augenblicke später, wenn ich mich an der Kette festhalte, auch wieder als ziemlich störend.
Dann folgt ein Stück, das weniger felsig aber nicht weniger „haarig“ ist. Der Weg wäre von Natur aus unglaublich schmal, aber die Italiener haben ihn mit dicken Planken verbreitert (daß sie diese Planken überhaupt hierher geschafft haben, muß schon ein Kunststück für sich gewesen sein und verdient Anerkennung).
„Schiach“ sagt der Österreicher dazu (kann jemand das für die Nordlichter verständlich übersetzen?). Ich gehe ganz vorsichtig; denn ich bin – wie ich bereits schrieb – ganz allein unterwegs und verletze damit bereits Grundregel Nr. 1 des Berggehens. Ein falscher Tritt, ein einziges Ausrutschen auf irgendwelchen losen Steinchen, und ich fliege 200m links den Steilhang hinunter, was nicht lustig wäre. So hatte ich mir die Alta Via nicht vorgestellt.
Ich verzichte darauf, hier allein zu Dokumentationszwecken mehr als die obigen beiden Fotos von diesem Wegabschnitt einzustellen. Jedenfalls folgt dann ein weiterer langer und steiler Abstieg, auf dem ich immerzu das Rifugio Lissone vor mir sehe. Es ist wohl gerade einmal einen Kilometer Luftlinie entfernt, und trotzdem brauche ich für diesen letzten Kilometer fast eine Stunde. Endlich erreiche ich es. Selbst nach Abzug der Rastzeiten habe ich deutlich länger für diese Etappe gebraucht als mein Faltblatt suggeriert hatte.
Das Rifugio Lissone ist ziemlich neu, hat Internetanschluß und den Charme einer deutschen Bahnhofsgaststätte. Ein paar Italiener sitzen herum und trinken Bier, sind am Abend dann aber bis auf zwei wieder verschwunden. Das Abendessen ist wie immer von italienischer Qualität, und heute gibt es auch einen Salat von den aromatischsten Tomaten, die ich jemals gegessen habe. „Nostre proprio“ (unsere eigenen) sagt die Wirtin stolz in Beantwortung meines diesbezüglichen Kompliments.
Nach dem Abendessen stelle ich eine gründliche Lagebewertung an, denn ich muß mit meiner Zeit haushalten. Ich hatte gedacht, daß ich mit den angegebenen Gehzeiten gut zurecht kommen würde, so wie es in Österreich und im Himalaya ja auch immer gewesen war, und daß ich vielleicht sogar hin und wieder zwei Etappen zu einer einzigen zusammen legen könnte, wie ich es z. B. in Afrika einige Male getan habe. Damit ist es auf der Alta Via dell´Adamello aber Pustekuchen: die Italiener legen bei der Angabe der durchschnittlichen Gehzeiten offenbar ganz andere Maßstäbe zu Grunde, und das war mich nicht klar gewesen. Im Adamello-Gebiet ist ja auch ein anderes Publikum unterwegs als in den österreichen Urlaubsgebieten: alles drahtige und offensichtlich gut trainierte Herrschaften, keine keuchenden, übergewichtigen Großstädter. Ich muß es einsehen: mein Plan, das Rifugio Prudenzini zu überspringen und gleich zum Rifugio Gnutti weiter zu wandern, wird nicht aufgehen. Die Tages-Etappen, die ich in meinem Faltblatt ausgewiesen sehe, sind schon sehr realistisch, gerade weil die tatsächlichen Gehzeiten eher länger sind als dort angegeben. Ich müßte also wirklich im Prudenzini übernachten. Damit käme ich aber in Zeitverzug; denn mein Flug nach Saigon ist fest gebucht, und ich habe davor noch einiges andere zu erledigen. Vom Prudenzini gibt es aber anscheinend keinen passenden Abstiegsweg ins Tal, und so muß ich dann wohl eben schon vom Rifugio Lissone – also morgen – wieder absteigen, obwohl ich dann gerade erst die Häfte der gesamten Alta Via dell´Adamello geschafft habe. Schade, sehr schade, aber was kann man machen...
Die Luft ist raus
So werfe ich am folgenden Morgen – wiederum nach einem eher mageren Frühstück – gleich nach dem Abmarsch einen Blick hinauf ins Adame-Tal. Dort hinein hätte ich wandern wollen, aber es hat nicht sollen sein.
Dieses Tal hat eine Besonderheit, die man nicht so oft sieht: es hat einen relativ flachen oberen Teil (der Valle Adame genannt wird) und einen relativ flachen unteren Teil, der Valle di Saviore (also: Tal des Retters) heißt; es ist aber im Prinzip dasselbe Tal. Getrennt werden seine beiden Teile durch eine Steilstufe von mehreren hundert Metern Höhe. Ob es ein Felsriegel aus besonders hartem Gestein ist, der diese Steilstufe verursacht hat, oder ob es ein gigantischer Bergsturz war, auf jeden Fall ist der Talabschnitt unmittelbar oberhalb der Steilstufe flach und besteht ganz offensichtlich aus abgelagertem Geröll; erst weiter oberhalb findet sich dann das typische U-Profil eines Gletschertales (ihr seht es auf obigem Bild ganz deutlich), dessen Boden aus Fels und nicht aus Geröll besteht.
Besagte Steilstufe gehe ich also hinunter und habe dabei noch einmal einen schönen Blick auf die im Morgenlicht leuchtenden Bergwälder.
Gleich am Fuß der Steilstufe parken Autos, und eine kleine Asphaltstraße beginnt. Auf der gehe ich ein Weilchen entlang und versuche, per Autostop weiter zu kommen. Das gelingt auch bald: das erste Auto nimmt mich mit ins nächste Dorf (Valle), und von dort nimmt mich ein Kleinlaster mit bis ins Haupttal, das Val Camonica, wo mich der Fahrer freundlicherweise am Bahnhof von Cedègolo absetzt. Von Cedègolo bringt mich der Zug eine Stunde später nach Edolo, und von dort wiederum fahre ich nach zweistündiger Wartezeit (und vergeblichen weiteren Autostop-Versuchen) mit dem Bus über Aprica zurück nach Tirano.
Auf dieser Fahrt schaue ich immer wieder sehnsüchtig zurück auf die Berge, aber das ganze Adamello-Massiv ist an diesem Tag in dicke Wolken gehüllt. Fast ist mir, als klopfte mir jemand auf die Schulter und sagte: „Du hast zwar nicht geschafft, was du dir vorgenommen hattest, aber schon gut, Junge! Es ist genug, und es war doch trotzdem schön, oder?“
Und die Moral von der Geschicht‘?
Man unterschätz´ die Sache nicht!
Ich muß zugeben, ich hatte mir die Alta Via dell´Adamello nicht so vorgestellt. Ich hatte gedacht, dies sei technisch so etwas wie der Verwall-Höhenweg, und der ist schließlich auch mehr Wanderweg als Klettersteig. Außerdem hatte ich gedacht, ich käme mit den veranschlagten durchschnittlichen Gehzeiten gut zurecht und könnte vielleicht auch längere Etappen schaffen. Nun weiß ich – und das gebe ich euch hiermit weiter – erstens, daß diese Via Alta einige Abschnitte hat, deren technische Ansprüche über einen normalen Alpenwanderweg deutlich hinaus gehen (die meisten, mit denen ich bisher gewandert bin, hätten an jenen Stellen große Probleme gehabt; einige hätten sich auch einfach geweigert, dort entlang zu gehen), und daß der Ausdruck „esperti alpinisti“, wie er in dem mehrfach zitierten Faltblatt verwendet wird, durchaus nicht unsinnig ist. Zweitens sind die „durchschnittlichen Gehzeiten“ kalkuliert für recht konditionsstarke Wanderer; um diese Gehzeiten zu erreichen, muß man fitter sein als ich es bin. Drittens habe ich demzufolge einsehen müssen, daß das Zusammenlegen von Etappen nur dann klappen könnte, wenn jemand deutlich schneller geht als ich. Der normal fitte Wanderer (für den ich z. B. mich selbst halte) wird wohl sehr gut bedient sein mit den „normal“ vorgesehenen Tages-Etappen, als da wären: Bazena (auch Tassara genannt) – Tita Secchi – Maria e Franco – Lissone – Prudenzini – Tonolini – Garibaldi – Aviolo – Malga Stain. Dabei ist es wohl gut möglich und vielleicht auch üblich, schon das Rifugio Garibaldi als End- bzw- Startpunkt zu nehmen; dann sind es nur noch sechs anstatt acht Etappen. Wie gesagt, hier findet ihr eine Karte, und hier unten zeige ich euch meine eigene Route (orange: meine Wanderstrecke; blau: Fahrzeugbenutzung wie im Bericht beschrieben).
Auf jeden Fall halte ich die Alta Via dell´Adamello für eine lohnende Unternehmung, deren noch ausstehende nördliche Häfte ich gerne irgendwann einmal machen würde. Will jemand mitkommen?
P.S. Diesen Bericht könnt ihr von hier als PDF-Datei herunter laden.
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