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  • Paddolf
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    [DE] Kentern vor Arkona

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    Kentern vor Arkona

    Auf dem Weg Prora - Priwall.kmz von Prora nach Travemünde


    war es manchmal flach


    und häufig gab es Wellen.


    Seeungeheuer lauerten in der Tiefe


    und andere Boote kreuzten meinen Weg.


    Die Einheimischen angeln mit riesigen Posen,


    stellen die Wegweiser aufs Wasser


    und beschenken ihre Haustiere mit gebrauchtem Modeschmuck.


    Am Ende ging es mit der Bahn zurück.


    Soweit die Zusammenfassung.

    . . . . .

    Tritt man aus seiner Haustür und wendet sich gen Norden, gelangt man irgendwann an den Rand. Das kann ganz nach Ausgangslage durchaus verschieden sein, bei mir ist der Rand am Ostzipfel des Darss erreicht. Mit nur 3 Grad Abweichung nach Ost endet die Strecke in Stralsund vor der Rügenbrücke. Und wenn man schon einmal dort ist, kann man auch darüber fahren und kommt beispielsweise in Prora erneut an einen Rand. Ostseeseitig bebaut mit den "Kraft durch Freude"-Blöcken hat der Ort ein weiteres Ufer zum Bodden hin. Nicht ganz einfach zu finden, aber vielleicht gerade deswegen der schönere Rand. Dies sollte der Ausgangspunkt für meine diesjährige Sommertour sein.


    1. Tag

    Kurzfristig haben meine Holde und mein Sohn entschieden, eine Radtour mit meiner schon lange ins Auge gefassten Bootstour zu koppeln, zumindest für die ersten 3 Tage. Deswegen laden wir nun am Kleinen Jasmunder Bodden Räder, Boot, Ausrüstung und uns selbst aus dem Auto.


    Das garagenverwöhnte Gefährt hat danach auch sein Outdoor-Erlebnis, eine Woche auf dem Parkplatz des Bahnhofs Prora. Welche Abenteuer es dabei bestanden hat? Man wird es wohl nie erfahren.

    Erfreulicherweise ist das Boot seit der letzten Tour nicht geschrumpft, die Ausrüstung lässt sich bequem unter Deck verstauen und es bleibt noch eine beruhigende Platzreserve.


    Alles ist vorbereitet, die Tour kann nun mit einem gemeinsamen Picknick beginnen. Der kräftige Ostwind, ca. 5-6Bft hat die Wolken weggeblasen, der Küstenwald schirmt aber hier am Boddenufer den Wind gut ab – Sommerwetter.
    Nun denn, der Abschied ist kurz, wir werden uns bereits am Abend wieder in Breege treffen.
    Das Ufer bleibt zurück. … aber das nächste Ufer nähert sich schon. Der kleine Jasmunder Bodden ist ja ein schöner ovaler See, in den 3 hoch baumbestandene Halbinseln anmutig hineinragen. Der Ostwind treibt mich Richtung Halbinsel Pulitz.


    Bald muss ich leider den Kurs nach Norden setzen, der Rückenwind wird nun zum Seitenwind, hat aber nur 2km "Anlauf", um Wellen aufzubauen. Ich hätte jetzt nicht auf der Außenseite Rügens um die Stubbenkammer herumfahren mögen. Nicht nur 10km mehr wären zu bewältigen, vor allem zeigten sich auf der Ostsee die weißen Streifen brechender Wellenkämme, nicht mehr nur Schaumkappen. Auch wenn hier auf dem Bodden die Wellen einiges an Aufmerksamkeit verlangen und die Winddrift ausgeglichen werden muss, die Verhältnisse sind noch recht moderat.

    Für den Bau der Eisenbahnlinie nach Sassnitz wurde ein Damm durch den Jasmunder Bodden geschüttet – und auf eben dieses Hindernis treffe ich bei Lietzow. Die Jübermann-Karte meldet, dass hier umtragen werden muss, unter besonderer Beachtung des regen Verkehrs auf der B96. Aber irgendeinen Durchlass muss der Damm doch besitzen. Nach kurzer Suche finde ich eine Brücke … ja und dann ragt eine etwa 1,50m hohe Stahlwand vor mir auf, das Wehr unter der Straßenbrücke verhindert zuverlässig die Weiterfahrt. Jübermann hat recht - also zurück.


    Durchs Schilf hat einer der Anwohner eine Schneise für sein Boot gebahnt, hier komme ich aus dem Wasser. Kurz darauf wartet das Kajak an einer Ampel und wenig später die Autos. Kajaks kreuzen die Fahrbahn.
    Auf der anderen Seite des Dammes herrschen wieder völlig andere Bedingungen. Kinder spielen im seichten, warmen Wasser, die Oberfläche ist nur gekräuselt. Ein Junge im Fragealter gesellt sich zu mir, der Opa ist froh, dass sein Enkel ein neues Opfer gefunden hat. Ich antwortete geduldig, denn ich weiß, dass ich in einigen Minuten den Strand verlassen kann.


    Der Opa verabschiedet mich freundlich, der Enkel ist enttäuscht, dass er mit seinem Schwimmtier nicht mitpaddeln darf und ich genieße es, weiter im Windschatten der Steilküste des Jasmund hinter Lietzow fahren zu können. Zwar ist Breege über den Bodden schon zu erahnen, aber unter diesen Verhältnissen würde es wohl länger dauern, den direkten Weg zu nehmen.


    Ab Polchow verlasse ich Kurs West die Küste des Jasmund. Rückenwind und Sonne - herrlich. Ein kurzer Blick zurück zeigt den markanten Turm der Feldsteinkirche von Bobbin. Voraus beschreibt eine bewaldete Landzunge, die Position, an der sich der Kurs Richtung Nordwest wendet und damit der Schaabe folgt. Ostseeseitig präsentiert sich diese Verbindung zwischen den Inselteilen Jasmund und Wittow als 7km langer Sandstrand. Gut für die Badeurlauber, langweilig für den Paddler. Hingegen ist hier auf der Boddenseite die Schaabe viel reizvoller.

    Langsam neigt sich die Sonne, aber für eine kurze Pause am Schaabeufer reicht die Zeit. An Landeplätzen herrscht kein Mangel, die von mir gewählte Stelle lädt dazu, im Schein der Abendsonne windabgeschirmt durch den Küstenwald ein Lager aufzuschlagen. Aber noch sind es knapp 5km bis zum als Treffpunkt vereinbarten Zeltplatz.


    Obwohl nur 200m vom Ufer entfernt besitzt der Zeltplatz keinen Strand am Bodden. Ich hoffe allerdings, dass mich meine Radfahrer an eine geeignete Stelle lotsen. An deren Willen fehlt's auch nicht, jedoch an einer Anlandemöglichkeit. Als ich nach telefonischer Verständigung entlang des Schilfgürtels zu den beiden eifrig winkenden Gestalten paddele, kann ich am Steg einer Hotelanlage aussetzen, von der aus noch 1,8km per Bootswagen zum Zeltplatz zu rollern sind.

    Wellen gucken … ein abendlich-nächtlicher Bummel führt zur Luvseite der Schaabe. Das Dröhnen der Brandung wird lauter; Sand fegt über die Düne, die Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen und dann präsentiert sich die Ostsee vom Dünenkamm aus. Der dunkle Osthimmel und das fast schon schwarze Wasser kontrastieren mit den weiß brechenden Wellen, darüber das Gebrüll der Brandung und der Druck des Windes. Beileibe keine Situation, bei der ich mit dem Kajak draußen sein möchte. Bald ziehen wir uns in den Schutz des Küstenwaldes zurück.
    Noch im Einschlafen kündet das Dröhnen der Brandung vom 300m entfernten Strand von der Macht der Natur.
    Zuletzt geändert von Paddolf; 08.10.2015, 19:58.

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    #2
    AW: [DE] Kentern vor Arkona

    Sehr schön...die Fortsetzung wird mit Spannung erwartet.

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      #3
      AW: [DE] Kentern vor Arkona

      Nachdem ich den Bericht "Prenzlau - Arkona" bereits verschlungen habe, lese ich natuerlich auch hier wieder mit Spannung mit. Vielen Dank schon mal.
      ---
      I'd rather be out on the hills...
      http://chorltoniac.blogspot.com

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        #4
        AW: [DE] Kentern vor Arkona

        Köstlich. Das Wort "Fragealter" kommt sofort in meinen aktiven Wortschatz.
        Schutzgemeinschaft Grüne Schrankwand - "Wir nehmen nur das Nötigste mit"

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          #5
          AW: [DE] Kentern vor Arkona

          Herrlich geschrieben!
          Bei deiner Einleitung musste ich ein paarmal herzlich lachen - dein Humor ist köstlich!

          Bin gespannt, wie´s weiter geht.

          Sylvia

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          • Paddolf
            Erfahren
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            #6
            AW: [DE] Kentern vor Arkona

            Zitat von Meer Berge Beitrag anzeigen
            Herrlich geschrieben!
            Bei deiner Einleitung musste ich ein paarmal herzlich lachen - dein Humor ist köstlich!

            Bin gespannt, wie´s weiter geht.

            Sylvia
            Ich muss bekennen, ich habe mich bei der Zusammenfassung von Alf inspirieren lassen.
            Zuletzt geändert von Paddolf; 08.10.2015, 22:44.

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            • Paddolf
              Erfahren
              • 22.10.2014
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              #7
              AW: [DE] Kentern vor Arkona

              2. Tag

              Etwas trübes Licht, nebenan schnarcht noch jemand und übertönt damit die gegenüber gestern deutlich leisere Brandung, zwei Mücken flüchten aus dem Vorzelt ins Freie und wir folgen. Nun, Zeltwetter kann schöner sein – aber auch viel viel schlechter.
              Heute soll es nach Schaprode gehen, entlang der Rügenschen Außenküste. Der kürzeste Weg führt allerdings durch den Jasmunder Bodden, mit Sicherheit angenehmer zu fahren und möglicherweise auch mit abwechslungsreicheren Blicken. Aber ich bin hier, 8km vor Arkona, da muss ich 'rum … wenn es irgend geht.

              Das Boot rollert durch den Küstenwald dem Strand entgegen, noch versperrt die Düne den Blick auf die Ostsee. Fragende Blicke der Entgegenkommenden … "Der wird ja wohl wissen was er tut." Nein, er weiß es nicht. Grusel macht sich breit, nach außen hin selbstsicher strebe ich zum Meer, innerlich zieht's mich zum Bodden.
              Erste Erleichterung auf dem Dünenkamm, die Schaumkämme der brechenden Wellen sind verschwunden, mein Windmesser zeigt 4Bft. Die Brandung scheint mir allerdings immer noch stark, vermutlich eine Nachwirkung des gestern doch deutlich kräftigeren Windes. Meine Holde ermuntert mich: "Wenn Du hier kenterst, wirst Du wenigstens gleich an Land gespült." Ich denke lieber nicht daran, belade mein Boot und schiebe mich per Robbenstart ins Wasser.

              Der erste Brecher fällt über mich her. So ist das also, jemand schüttet Dir mit Wucht mehrere Wassereimer gleichzeitig entgegen. Die komfortabel-trockene Ausgangssituation ist augenblicklich dahin, ich registriere am Rande, dass meine Billigspritzdecke einen ordentlichen Schwaps Wasser hereingelassen hat. Ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken. Schnell die Bootsspitze wieder ausrichten und mit aller Kraft dem nächsten Brecher entgegen. Ich muss heraus aus der Brandungszone, aber jeder Brecher treibt mich zurück. Adrenalin.


              Geschafft, ich kann mich wieder sortieren. Das Basecap findet sich erfreulicherweise noch auf dem Kopf, der Neoprenpulli ist nicht nur äußerlich feucht und die Hose fühlt sich an wie heftig eingepullert – aber es wird gerade wieder warm. Nur der Sektkorkenverschluss für den Lenzpumpenauslass ist hinüber. Zwar hängt die Kappe noch am Bändchen, der eigentliche Korken jedoch ist abgerissen. Schade, ich habe auf viele interessierte Fragen gehofft: "Steckt da nicht ein Sektkorken im Boot?" – "Ja, das ist ein Alkoholikerkajak, der Korken schützt meine Marschverpflegung vor der Verdünnung mit Seewasser."

              Ein Blick zurück offenbart mir, dass ich doch ein gutes Stück vom Strand entfernt bin, es lohnt sich nicht, noch einmal meinen Radfahrern zu winken. Ab jetzt paddelt es sich ganz gut. Wind und Wellen kommen von schräg vorn, es ist anstrengend aber ich fühle mich sicher. Mehrere Kormoranschwärme ziehen über mich hinweg, Arkona rückt näher und ich bin gespannt, wie ich ums Kap schaukeln werde.


              Vitt bietet vorerst die letzte Landemöglichkeit, eine Pause ist eigentlich unnötig. Jedoch, die fehlende Notwendigkeit ist das Eine, die angenehme Erinnerung an meine erste Arkonaumrundung das Andere: War's nicht schön, hier noch ein Bierchen zu nehmen …
              Heute steht aber eine Brandung vor der Zufahrt, nicht sonderlich ausgeprägt aber gut erkennbar. Der Ministrand ist etwas gegen Norden abgeschirmt, nur kommen derzeit die Wellen von Osten, die Fischerboote scheinen weit aufs Ufer gezogen.


              Was hat mich eigentlich geritten, trotzdem in die Ufernähe zu fahren – und idiotischerweise parallel zu den Wellenkämmen?
              Der erste ernsthafte Brecher trifft mich völlig unvorbereitet, obwohl ich ihn gut kommen sehe. Theoretisch müsste ich zur Welle stützen, aber Fehlanzeige. In meiner Erinnerung läuft ab jetzt alles wie in Zeitlupe. Der Brecher transportiert das Boot nach links, der Oberkörper verharrt, eine hilflose Paddelbewegung und dann kippe ich langsam aber unaufhaltsam nach rechts … aha, so sieht das Kajak unter Wasser aus.
              Eigentlich bleibe ich ruhig. Spritzdecke lösen; aussteigen; Lage prüfen: Vielleicht noch 100m zum Ufer mit Steinpackung, darauf zu prallen würde mindestens blaue Flecke bringen, wie das Boot zu bergen wäre weiß ich nicht. Paddelfloat aufziehen; aufblasen; ok. Zum Bug schwimmen; Bug zum Entleeren anheben – funktioniert nicht, das Boot ist ja beladen. Also Boot so wie es ist umdrehen, die nächste Welle füllt das Cockpit randvoll. Zwischendurch der erste Grundkontakt mit den Füßen, vermutlich ein Findling. Paddel übers Boot; Einstieg; sitzen; vielleicht noch 50m zum Ufer. Boot ausrichten und paddeln, paddeln … raus aus dem Brandungsbereich. Das Boot liegt so tief im Wasser, dass es von jeder Welle überspült wird, aber es wird auch nur in geringem Maße Richtung Ufer transportiert. Geschafft; Spritzdecke aufziehen (irgendetwas schwimmt im Cockpit, egal); Fußlenzpumpe in Betrieb nehmen.
              Erleichterung macht sich breit, das Wesentliche ist erledigt. Das halbvolle Boot wird noch einmal ordentlich kippelig, aber ich habe ja das Paddelfloat als Stützhilfe. Irgendwann röchelt die Pumpe nur noch feuchte Luft mit Spritzern und ich kann das Paddelfloat hinter mir verstauen.
              Wie lange die Aktion gedauert hat? Ich habe keine Vorstellung.

              Jetzt aber Arkona. Irgendwie habe ich nicht den Nerv, die Fahrt ums Kap zu genießen. Ja ... , ich sehe den Leuchtturm, aber die unbändige Freude meiner ersten Umrundung bleibt mir verwehrt. Am Kap steht eine Brandungszone und vor der habe ich gerade einen gewaltigen Respekt. Der Ostwind drückt mich gegen die Küste und ich fahre ihm entgegen ziemlich weit hinaus, um ja nicht in die Brecher zu kommen. Wind und Wellen scheinen hier draußen stärker, obwohl sie es wahrscheinlich nicht sind. Jedenfalls lasse ich lieber die Hände am Paddel, der Fotoapparat bleibt in der Weste. Die nächste Brandungszone reicht vor Gellort recht weit auf die Ostsee.
              Danach wird es entspannter. Offenbar schirmt nun die Küste den Wind etwas ab. Vor allem scheinen die Wellen etwas weicher und rollen gut unter dem Boot hindurch – es ist Zeit für das obligatorische Beweisfoto. Leider ist nur noch die Steilküste von Gellort sichtbar.


              Wellen und Wind treiben mich voran, die Wolkendecke reißt auf. Allerdings, das Wasser ist nun an der Nordküste spürbar kälter. Offenbar hatte der Ostwind vor der Schaabe das erwärmte Oberflächenwasser in der Tromper Wiek zusammengeschoben. Hier hingegen, am Strand vor Nonnevitz vermeldet die Hinweistafel des Rettungsschwimmerhäuschens eine Temperatur von nur 13°C. Die Anlandung durch die moderate Brandung ist einfach, auf dem letzten Meter zieht mich mein Sohn samt Boot auf den Strand. Wir hatten genau am Rettungsschwimmerhäuschen einen Treffpunkt vereinbart.
              Jetzt nach dem Öffnen der Spritzdecke wird auch deutlich, was vorhin im Cockpit schwamm: Beide Badelatschen sind noch vorhanden, den Beutel mit den Signalfackeln hatte ich nicht richtig befestigt, er findet sich, aber in eine anderen Ecke des Cockpits. Das die halbvolle Wasserflasche noch im Boot ist, verwundert mich nicht, sie hat schon vorher durch Hin- und Herrollen auf sich aufmerksam gemacht. Also keine Verluste? … Mist, jetzt wird mir klar, ich bin barhäuptig. Das Basecap ist zum Groundcap mutiert, Neptun hat Zuwachs in seinem Fundbüro.
              Nach der gemeinsamen Mittagspause lege ich meinen Radfahrern vor der Abfahrt ans Herz, mir wenn möglich eine neue Kopfbedeckung zu kaufen.


              Das Wetter wird immer freundlicher. So geht entspanntes Paddeln: mäßiger Rückenwind und Sonne, Glitzerwasser und voraus die Umrisse des Hiddenseer Dornbusch, Pause in Dranske und nun auch wieder wärmeres Wasser zwischen Rügen und Hiddensee.



              Dranske mit Sechsbeiner

              Ich gönne mir den Spaß und fahre den kleinen Umweg zur Ansteuertonne für Hiddensee. Ab hier ist die Fahrrinne markiert und zumindest im Abschnitt um die Untiefen des Libben halte ich mich auch an die Betonnung. Einerseits handelt es sich um ein Schutzgebiet, andererseits ist es an einigen Stellen selbst für Kajaker zu flach.


              Leider bleibt jetzt der wolkenfreie Himmel zurück, und kurz vor Schaprode fahre ich in ein Gebiet mit Nieselregen ein. Die Radfahrer konnten ihr Zelt noch im Trockenen aufbauen, mein Zelt wird mit dem Überzelt zuerst aufgestellt, daher ist das auch kein Problem. Allerdings fühlen sich durch die Feuchtigkeit etliche Mücken ermutigt, den Zeltplatz nach Opfern abzusuchen. Irgendwie müssen angeschwitzte Neoprensachen ausgesprochen verheißungsvolle Düfte absondern, jedenfalls versuchen etliche der kleinen Blutsauger ihre Stechrüssel in den Schaum zu bohren. Leider merken sie irgendwann, dass Neopren wenig nahrhaft ist und suchen nach Alternativen. Der Zeltaufbau ist daher recht erregend. Ein außenstehender Beobachter hätte sicherlich Schwierigkeiten, meine hektischen Zuckungen richtig zu deuten.

              Die Zeltplatzgaststätte wird vom örtlichen Fischer beliefert und bietet … Fisch – sowie ein Menetekel "Strafe der Gier", dass ich Euch nicht vorenthalten möchte.
              Zuletzt geändert von Paddolf; 07.11.2015, 19:39.

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              • geige284
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                • 11.10.2014
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                #8
                AW: [DE] Kentern vor Arkona

                Wow, was für ein cooler, dramatischer Bericht! Klasse, dass du nach dem Kentern so kontrolliert gewesen bist.
                War das der erste "Ernstfall"? Und übst du das regelmäßig?

                Der erste Brecher fällt über mich her. So ist das also, jemand schüttet Dir mit Wucht mehrere Wassereimer gleichzeitig entgegen. Die komfortabel-trockene Ausgangssituation ist augenblicklich dahin, ich registriere am Rande, dass meine Billigspritzdecke einen ordentlichen Schwaps Wasser hereingelassen hat. Ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken. Schnell die Bootsspitze wieder ausrichten und mit aller Kraft dem nächsten Brecher entgegen. Ich muss heraus aus der Brandungszone, aber jeder Brecher treibt mich zurück. Adrenalin.
                Das kenne ich aus einer Tour vor Usedom...Aus der direkten Brandung rauszukommen kostet schon Kraft, sehr cool, wie plastisch du das beschrieben hast!

                [...]die Hose fühlt sich an wie heftig eingepullert – aber es wird gerade wieder warm
                Mhmmhmhmhm

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                • Paddolf
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                  #9
                  AW: [DE] Kentern vor Arkona

                  Das war meine 3. unfreiwillige Kenterung.
                  Die erste erlitt ich beim Kauf meines ersten eigenen Bootes. Von unserem Zweierkajak war ich gewohnt, zunächst einmal hineinzutreten um dann nach einen Sitzplatz Ausschau zu halten ...
                  Die zweite wiederfuhr mir an einem Spreewaldsteg. Ich wollte besonders cool aussteigen. Ausgestiegen bin ich, lag dann aber zwischen Boot und Steg in der Brühe. (Und warum will man besonders cool aussteigen? Um die Zuschauer zu beeindrucken. Das ist mir wahrscheinlich gelungen. )
                  Ansonsten trainiere ich einmal im Jahr mit dem Paddelfloat, aber unter Idealbedingungen auf der heimischen Havel. Insofern bin ich recht zufrieden, dass der Wiedereinstieg auch auf der Ostsee gut funktioniert hat.

                  Nichtsdestotrotz, dieses Ereignis war mir Anlass, am letzten Wochenende einen Kenterkurs zu besuchen.
                  Das Kentern habe ich im Griff, die Erfolgsquote lag bei 100%. Das Hochrollen funktionierte am Ende zu vielleicht 95%. Ich denke, das ist ein guter Ausgangspunkt, ich bleibe dran, um auch auf bewegtem Wasser sicher aufrollen zu können.

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                  • geige284
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                    • 11.10.2014
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                    #10
                    AW: [DE] Kentern vor Arkona

                    2x unfreiwillig geht ja noch

                    Ich habe auch die Erfahrung gehabt, dass das Hochrollen, wenn es denn einmal drin ist, ziemlich häufig gelingt.
                    Klar, Ostsee ist was anderes als Havel, dazu kommt noch ein voll beladenes Boot. Das macht die Sache nicht leichter.

                    Aber schön, dass dir der Kurs geholfen hat!

                    Edit: UUh, 100. Beitrag
                    Zuletzt geändert von geige284; 10.09.2015, 11:25.

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                    • Paddolf
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                      #11
                      AW: [DE] Kentern vor Arkona

                      3. Tag

                      Der Morgen ist noch ziemlich unentschlossen, es nieselt so ein bisschen … Zeit, sich nochmal im Schlafsack umzudrehen.
                      Später beschließt der Morgen dann doch, auf den Wetterbericht zu hören: Beim Verlassen des Zeltes ist alles zwar noch ein wenig feucht, aber es kommt kein neuer Niederschlag hinzu.
                      Meine Radfahrer wollen heute mit der Fähre nach Hiddensee übersetzen, den Tag dort genießen und am späten Nachmittag mit dem Fahrgastschiff nach Zingst auf den Darss übersetzen. Damit ist auch klar, wohin ich fahren möchte. Der endgültige Treffpunkt wird später per Handy abgestimmt.

                      Einsetzen in Schaprode, nur ein laues Lüftchen und ganz annehmbare Temperaturen. In weitem Abstand vom Ufer schiebt eine Mutti ihren Sprössling im Badeboot durchs knietiefe Wasser. Ich komme mir mit Neopulli, Spritzdecke, Paddelleine und Schwimmweste bei 10cm Platz unterm Kiel zunächst etwas deplatziert vor. Man kann noch in erstaunlich großer Entfernung vom Ufer das Paddel auf den Grund setzen, dann wird es aber innerhalb weniger Meter deutlich tiefer. Auch der Wind wird im Laufe des Tages auffrischen, zunächst aber strömt er milde aus Nordost und hilft mir ein wenig beim Vorankommen.


                      Mein erstes Zwischenziel kann ich bereits lokalisieren, im Dunst der Ferne sind die beiden Türme bei Barhöft mehr zu erahnen als zu sehen. Der Ort wurde ehemals militärisch genutzt, daher der zum Aussichtsturm umfunktionierte Beobachtungsturm. Mittlerweile hat er Gesellschaft bekommen durch einen Stahlgittermast für (Handy-) Funkzwecke. Bis Barhöft sind es auf direktem Wege knapp 13km, unter diesen Bedingungen in zwei Stunden zu fahren, aber die Karte weist einen gesperrten Bereich aus, zusätzlich garniert mit der Bemerkung "Achtung Kontrollen". Später zeigt sich, dass man abgesehen von drohenden Strafen diesen Bereich tatsächlich umfahren sollte. So geht es erst einmal auf Freesenort, die Südspitze von Ummanz zu.
                      In Ufernähe üben Windsurf-Anfänger, ich sehe später auch ein hoch beladenes Zweierkajak, aber scheinbar erkennen mich die Kajaker nicht, obwohl ich ein Stück näher Richtung Ufer fahre, um sie (vergebens) zu grüßen.

                      Bei Freesenort sehen wir uns dann gegenseitig in die Augen. Zum Glück hält mich die Gegenseite nur für mäßig interessant. Ich fahre ja auf der Suche nach einer günstigen Ausstiegsstelle sehr dicht am Ufer und falls einer der Bullen (oder doch nur Ochsen?) mit mir spielen wollte … (Angeblich werden Bullen durch Rot provoziert und obwohl dies meine Lieblingsfarbe ist, fühlt es sich jetzt gerade etwas besser an, in einem gelben Boot zu sitzen.) Die Bullen lassen sich aber auch weiterhin von mir nicht beeindrucken

                      und ich gehe ein Stück weiter, fast am südlichsten Zipfel von Freesenort zur Pause an Land.


                      Nun aber nach Barhöft. Zur Orientierung bezüglich des gesperrten Bereiches bin ich mangels geeigneter Navigationshilfen auf die Fahrwassermarkierungen angewiesen. Um das Auffinden der Tonnen muss ich mir aber keine Gedanken machen, draußen sind etliche Segler unterwegs und fahren aufgereiht wie an einer Kette entlang des Fahrwassers von Nord-Hiddensee kommend Richtung Stralsund. Ein Stück fahre ich parallel zum Fahrwasser und lasse mich von den Seglern überholen – deren Boote nutzen den raumen Wind einfach besser. Manch Segler grüßt zurück, andere sehen über mich hinweg, das ist übrigens nicht von der Bootsgröße abhängig.


                      In der Ferne ein schmaler, langgezogener, weißer Streifen, keine Brandung und erst recht keine brechende Tsunamiwelle. Bereiche des Streifens erheben sich, landen und erweitern den Streifen an anderer Stelle. Möwen? Das Flugbild passt nicht.
                      Schwäne … eine riesige Schwanenansammlung bevölkert den gesperrten Vierendehlgrund. Das lässt die Sperrung akzeptabel erscheinen. Zudem erkenne ich beim Umfahren, dass dieses Gebiet sehr flach ist. Das setzt sich auch im frei befahrbaren Bereich bis nach Barhöft fort, so dass ich zur Sicherheit zunächst in der Nähe der Fahrrinne bleibe, um bei Bedarf in tieferes Wasser zu gelangen. Erst als ein übermotorisierter Angelkahn über das Flachwassergebiet "heizt", setze ich den Kurs direkt aufs Ziel.
                      Unmittelbar vor Barhöft lädt ein kleiner Strand zum Anlanden, aber der Herr Bootseigener fährt natürlich standesgemäß durch die Mitte der Hafenzufahrt. (Nicht ohne zuvor ängstliche Blicke auszusenden – kommt vielleicht jemand mit etwas größerer Verdrängung … )




                      Es gibt ihn noch, den Miniladen am Hafen, und wie vor 3 Jahren erwerbe ich Bockwurst, Brötchen und natürlich Kaffee. Ich erinnere mich an ähnliches Wetter und einen ziemlich unerfahrenen Kajaker, der von Barhöft über Hiddensee nach Zingst fuhr. Erstmalig auf der Ostsee, Halbspritzdecke und T-Shirt, ohne Schwimmweste aber mit blauäugigen Vorstellungen darüber, wie man bei 4Bft (zum Glück Rückenwind) nach Kentern und Wiedereinstieg mittels Schwamm das Boot leert. Ohne dass es mir damals bewusst war, mein Schutzengel hatte an diesem Tag wohl etwas mehr zu tun.


                      Heute führt die Route boddenseitig Richtung Zingst, zunächst eingefasst zwischen dem Festland und der Insel Bock. Nach etwa 11km weitet sich die Wasserstraße zum Grabow, einem etwa 8 x 6km großem Bodden. Das abgetonnte Fahrwasser führt weit in den Süden, ich nehme den direkten Kurs auf die Spitze der Halbinsel Fahrenkamp. Die Motivation für die Fahrwasserführung wird bald deutlich. Es ist flach, über weite Strecken weniger als 1m Wassertiefe, zum Teil deutlich darunter. Schwäne äsen im Flachwasser. Im Nachhinein bedauere ich, nicht mitten auf dem Bodden ausgestiegen zu sein. Das hätte schöne Fotos gegeben, das einsame Boot mitten auf dem Bodden, in jede Richtung mindestens 2km bis zum Ufer


                      Die Darsser Boddenkette setzt sich nach dem Grabow Richtung Westen mit dem Barther Bodden fort, für die anschließende Durchfahrt zum Bodstedter Bodden ist der Zingster Strom vorgeschrieben. Obwohl nicht ganz legal, ich nehme die Abkürzung durch den (das?) Fitt. An der schmalsten Stelle beträgt die Breite ca. 350m, weitet sich dann aber rasch auf das Doppelte. Ich paddele möglichst mittig, zügig aber nicht hektisch, um die eigentlichen Bewohner der Boddendurchfahrt möglichst wenig zu stören. Einige Blesshühner ziehen sich rechtzeitig ins Schilf zurück, ein Gänseschwarm erhebt sich mit lautem Spektakel, aber bereits nachdem ich die Stelle passiert habe. Mein Gewissen ist beruhigt.


                      Kurz hinter der Meiningenbrücke,

                      also bereits im Bodstedter Bodden rufe ich auf dem Campingplatz Pruchten an: "Ja, Sie kommen bei uns bequem unter." - Und die Zufahrt? – "Es gibt da eine Badestelle, aber wie die wasserseitig aussieht … ach ja, vielleicht erkennt man die weiße Bank." So halte ich jetzt scharf Ausschau; nicht zu dicht am Ufer, um den Überblick zu behalten, nicht zu weit entfernt, um die weiße Bank zu erspähen. Irgendwann erkenne ich Bewegung am Ufer, Badende, aber auch beim Näherkommen keine weiße Bank. Die Badenden sitzen mittlerweile auf der braunen Bank und bestätigen, dass hier der Weg vom Bodden zum Zeltplatz beginnt. Die vier kommen übrigens von der Mecklenburger Seenplatte, für mich doch etwas seltsam, da mir die dortige Landschaft reizvoller als die hiesige erscheint. Vielleicht braucht auch der Seenplattenbewohner Abwechslung und freut sich dann umso mehr auf seine Heimat.
                      800m sind es bis zum Zeltplatz, ohne die Rückmeldung der Urlauber wäre ich jedoch sehr unsicher, ich könnte auch auf einem Feldweg ins nirgendwo sein. Bald ist der Weg ziemlich "zerlatscht", die Fußspuren überdecken eindeutig die Fahrspuren, ich werde wohl richtig unterwegs sein. So ist es dann auch, ich komme diesmal vor meinen Radfahrern an, übernehme die Anmeldung und suche ein schönes Plätzchen.

                      Die Mückenhölle von Pruchten. Mich juckt es jetzt noch, wenn ich daran denke. Alle Handlungen erfolgen unter der Maßgabe, möglichst eine Hand frei zu behalten, um sich der Blutsauger zu erwehren. Ich muss den Zeltaufbau unterbrechen. Erst der massive Einsatz von Autan schafft Erleichterung. Später, bei Einkehr in die Zeltplatzkneipe sucht man sich seinen Platz in einer bunten Duftmischung verschiedener Mückenrepellanten. (Für skandinavienerprobte Outdoorler klingt das sicher schwer übertrieben, für den hauptberuflichen Indoorler ist das schon die Mückenhölle.)
                      Zuletzt geändert von Paddolf; 27.09.2015, 22:06.

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                      • Paddolf
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                        #12
                        AW: [DE] Kentern vor Arkona

                        4. Tag

                        Der Tag beginnt, wie der vorherige geendet hat – mit Mücken. Dank Autan hält sich die Belästigung in Grenzen, nur das Frühstück hat einen ungewöhnlichen Nebengeschmack. Heute wollen meine Radfahrer nach Graal-Müritz und von dort aus mit der Bahn nach Hause. Bis wohin es mich treiben soll wird sich erst im Laufe des Tages herausstellen, der Campingplatz in Graal-Müritz ist jedenfalls auch eine Option.
                        Erst einmal heißt es Abschied nehmen, jeder rollert in seine Richtung, die einen zum Darss, der andere zum Bodstedter Bodden.

                        Hier angekommen macht sich der für heute angekündigte Ostwind bemerkbar. Zunächst am Ufer mit 3Bft bestimmt zeigt mein Windmesser wenig später auf dem Bodden knappe 5Bft an – und zwar RÜCKENWIND! Das geht richtig ab. Und hej, ich kann auf die Wellen aufspringen: Kurz beschleunigen und dann surfen – juchhuh, jippie (oder so ähnlich … ).

                        Der Koppelstrom verbindet den Bodstedter Bodden mit dem Saaler Bodden und setzt dem Vergnügen ein Ende. Kleine, flache Schilfinseln, sogenannte Bülten schirmen die Wellen ab. Das nutzen einige Kite-Anfänger aus. Der Wind fegt über die Inselchen hinweg, so dass die Lenkdrachen ordentlich Druck machen, das ansonsten ruhige Wasser erleichtert offenbar das Halten der Balance.


                        Schade, obwohl die Überfahrt zu meinem nächsten Zwischenziel Wustrow auf ähnlichem Kurs wie zuvor erfolgt, komme ich kaum noch ins Surfen. Die Strecke über offenes Wasser ist sogar länger als auf dem Bodstedter Bodden, die mangelnde Wellenhöhe kann wohl nicht die Ursache sein. Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang, dass die Wellen auf der Ostsee häufig deutlich höher aber zumindest für mich nicht zum Surfen geeignet sind. Wahrscheinlich liegt das an der Steilheit der Wellen, denn Brandungswellen kann man surfen, auch wenn Sie nur eine geringe Höhe besitzen.


                        Einfahrt in Wustrow: Vom Kopf der Steganlage winken zwei Personen einer einlaufenden Motoryacht. Das Boot ist vorbeigefahren und es winkt immer noch. Oh … ich bin gemeint, meine Radfahrer begrüßen mich. Bei Abfahrt in Pruchten hatte ich verkündet, nahe Wustrow auf nur 450m langer Strecke vom Bodden in die Ostsee überzusetzen. Und da haben meine Anverwandten messerscharf gefolgert, dass ich wohl im Wustrower Hafen eine Pause einlegen könnte. So kommt es unverhofft noch einmal zu einer Familienzusammenführung am Fischbrötchenstand.

                        Ich werde noch einmal mit besten Wünschen und einigen Ermahnungen versorgt, und dann trennen sich die Wege endgültig.


                        Jetzt gilt es die Stelle zum Anlanden zu finden, das Boddenufer ist durchgehend mit Schilf bewachsen, aber die Jübermann-Karte verspricht einen Weg über den Deich. Letztlich findet sich alles recht einfach, ich bin nicht der Erste, der hier sein Boot ein- oder aussetzt.


                        Das Problem entsteht erst etwas später bei Überwindung der Stranddüne: Der Bootswagen steht bis zur Achse im Sand! Jetzt werden richtig Kalorien verbrannt. Ich fühle mit den alten Ägyptern, die wohl auf ähnliche Weise Steinblöcke durch die Wüste zu den Pyramiden geschleppt haben. Selten habe ich es so begrüßt, auf dem verfestigten Uferbereich des Strandes anzulangen.

                        Auf dem Dünenkamm hatte der Windmesser immer noch 5Bft angezeigt, hier unten gibt es aber nur eine schwache Brandung. Die Küste führt deutlich stärker Richtung Süden als Richtung Westen, so dass der Ostwind als ablandiger Wind wirkt. Ich fahre mit etwa 100-200m Uferabstand, der Wind ist hier gut spürbar ohne sonderlich zu stören, die Wellen sind nicht hoch und verlangen daher nur wenig Aufmerksamkeit.

                        Die Küstenlinie auf den nächsten 15km bietet kaum Überraschendes: Sandstrand mit mehr oder weniger vielen Urlaubern nebst zugehörigem Equipment, dahinter die mit Strandhafer bewachsene Düne und noch weiter dahinter duckt sich irgendetwas im Sichtschatten der Düne ab. Eventuell zeigen sich die Wipfel der Küstenwaldkiefern – aber auch das ist es nicht, was man abwechslungsreich nennt.


                        Ab Graal-Müritz wird es interessanter

                        und richtig schön wird es bei Stolper Ort, dort wo die Küste etwas nach Süden abknickt und die Silhouette von Rostock sichtbar wird. Ein guter Platz für ein Biwak, aber ich weiß nicht genau, ob ich mich hier im Naturschutzgebiet befinde, die Sicherheit (und der Komfort) eines Campingplatzes sind mir jetzt wichtiger.

                        Für eine schöne Pause reicht es aber auf jeden Fall.



                        Die Karte sagt, dass es bis zum Zeltplatz Markgrafenheide noch knapp 5km sind, etwas mehr als doppelt so weit ist es bis zur Jugendherberge Warnemünde. Ein Anruf in Warnemünde enthüllt, dass es noch ein freies Doppelzimmer gibt, aber 72€ für eine Übernachtung - da bin ich dann zu geizig. Vom Campingplatz Markgrafenheide bekomme ich eine launige Ansage des Anrufbeantworters und werde auf eine andere Telefonnummer verwiesen. Dort ist aber niemand erreichbar, mehrere Anrufversuche unter beiden Nummern zeigen immer wieder das gleiche Ergebnis. Und damit beginnt eine Kette kleiner Misslichkeiten, die mir diesen Zeltplatz in unangenehmer Erinnerung hinterlassen.

                        Die Überfahrt nach Markgrafenheide ist problemlos, zwar wird die Küste wieder langweilig, dafür entschädigt mich das angenehme Wetter. Der Zeltplatz ist wasserseitig nicht auszumachen, aber freundliche Urlauber verweisen mich bei der ersten Strandannäherung auf den Strandzugang des Zeltplatzes. Dort misslingt mir die Landung in der schwachen Brandung: Ich treibe mein Boot mit dem Bug auf den Strand, Spritzdecke lösen und fix raus – das Timing stimmt leider nicht. Ein Bein ist schon auf dem Strand, da kommt die nächste Welle, füllt das Cockpit mit Sand, Wasser und ein wenig Grünzeug, schlägt das Boot quer und mir gegen das schon draußen befindliche Bein. Alles klar. Ich liege irgendwie quer über dem Boot, habe eine Schramme am Bein und ein interessiertes Publikum. Natürlich tue ich so, als wäre dieser Vorgang normal und widme mich anschließend mit Hingabe der Reinigung des Bootes.

                        Dann beginnt die Puckelei über die Düne. Ich muss das Boot entladen und trage die einzelnen Lasten über mehrere Zwischenstationen, bis der Weg für den Bootswagen geeignet wird. So viel Sport wollte ich jetzt eigentlich nicht mehr haben.
                        Kaum im Küstenwald angekommen, bekomme ich Besuch von alten Bekannten. Aus Pruchten haben mich die Mücken bis hierher verfolgt. Einige müssen sich jedoch unterwegs verirrt haben, die Dichte der Blutsauger ist nicht gar so hoch.

                        Schließlich erfahre ich von anderen Campern, dass die Rezeption mehr als 1,5km entfernt ist, ein telefonischer Kontakt lässt sich immer noch nicht herstellen. Ich irre mit dem Boot etwas über das weitläufige Gelände, treffe irgendwann auf eine Zeltplatzgaststätte und frage nach einer Anmeldemöglichkeit. … "Fahren Sie mal nach vorne ('haha, 1,5km hin und zurück'), beim Nachtwächter können Sie sich vorläufig registrieren lassen ('es ist noch vor 20Uhr') und sich dann morgen richtig anmelden." Ich bedanke mich artig, aber nö – unter diesen Bedingungen werde ich zum Schwarzcamper. In der Nähe des strandseitigen Zeltplatzausgangs versinkt mein Zelt in einer kleinen Kuhle, ich versuche auch im übertragenen Sinne in der Versenkung zu verschwinden und beschränke mich selbst bei den ortsansässigen Mücken im Wesentlichen auf gutes Zureden, um sie nicht zu lautstarken Protesten zu provozieren.

                        ( ... das Bild ist eigentlich vom Morgen danach ...)

                        Spätabends geht es noch einmal in die Zeltplatzgaststätte, Typ Autobahnraststätte kurz nach Mitternacht. Aber es ist ok, ich bekomme ein Bierchen und kann so ein wenig zum Umsatz des Zeltplatzes beitragen.
                        Zuletzt geändert von Paddolf; 08.10.2015, 20:38.

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                        • gargantula
                          Erfahren
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                          #13
                          AW: [DE] Kentern vor Arkona

                          Schön, ich kenne die Gegend landseitig. Es macht Spaß sie von Wasser aus kennen zu lernen. Wäre schön, wenn du noch zu Ende schreiben würdest!
                          “Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.”

                          (Antoine de Saint-Exupéry, französischer Schriftsteller, 1900 – 1944

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                          • Paddolf
                            Erfahren
                            • 22.10.2014
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                            AW: [DE] Kentern vor Arkona

                            5. Tag

                            Heute piepst mich meine Armbanduhr zeitig aus dem Schlaf, es wäre doch recht unangenehm, von Zeltplatzmitarbeitern auf Kontrollgang geweckt zu werden.
                            Als Weg zum Wasser nutze ich den Strandzugang am Restaurant "blaue boje". (Für alle, die mit einem Wägelchen über die Düne müssen: An der "blauen boje" ist der Strandzugang befestigt (Stand 2105). Das Gebäude dieses Restaurants ist das einzige, dass sich bei Markgrafenheide über der Düne zeigt und damit auch vom Wasser aus leicht zu finden.)

                            Die ersten knapp 5km gehören zu den anstrengendsten der Tour: Ich halte direkt auf die Hafenausfahrt Warnemünde zu. Von rechts hinten treffen die Wellen der Dünung aufs Boot. von links hinten hat der Ostwind am Ende über 2km "Anlauf", um sein eigenes Wellensystem zu erzeugen. Die Überlagerung führt zu einem deutlich ungleichmäßigen Wellenbild, man muss hochkonzentriert fahren, um die wechselnden Kräfte auszugleichen. Ich bin jedenfalls froh, nach dem Passieren der Hafeneinfahrt in den Wellenschatten der Westmole einzutauchen.

                            Hafeneinfahrt Rostock

                            Der Strand von Warnemünde mit seinen vielen Urlaubern bleibt zurück.


                            bei Stoltera

                            Bei Stoltera knickt die Küste wieder etwas nach Süden und eröffnet den Blick bis nach Kühlungsborn. Aber so genau kann ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, Kühlungsborn ist immerhin noch 17km entfernt. Hingegen zeigt sich vergleichsweise in der Nähe ein gelbes "Etwas" auf der Ostsee; ortsfest, für eine Seezeichen zu groß, ca. 1,5km vor der Nienhagener Küste gelegen und jetzt Ziel für einen Abstecher. Zunächst entferne ich mich nur vorsichtig aus der Landabdeckung. Das Wasser ist zwar recht bewegt, aber bei Weitem nicht so "schaukelig" wie vor Warnemünde, also kein Grund, um wieder in Ufernähe zurückzufahren.
                            Auf dem Weg zum gelben "Etwas" wird nach und nach ein viel seltsameres "Etwas" sichtbar, zwei Brückenbögen mitten auf der Ostsee, dekoriert mit … "Punkten"?

                            Je näher man kommt, es bleiben Brückenbögen, die Punkte werden aber zu Kormoranen. Also ein Trockengestell für Wasservögel? Letztere entziehen sich näherer Betrachtung und zurück bleibt ein schwimmender Käfig mit überbauten Brücken. (Kann jemand von Euch Aufklärung leisten, ist das ein überdimensionierter Kescher?)


                            Nun aber zum gelben Etwas: Ein gewisser Odas hat sein Feriendomizil in einem gelben Container auf drei gelben Stützen eingerichtet. Zwar ist der zugehörige Strand recht schmal, aber die Lage ist exklusiv. Vom Hotelzimmer aufs Meer blicken, das kann Jeder – aber umgekehrt …

                            (Bauherr jedenfalls ist das Land MeckPom, das hier offenbar eine Forschungsstation betreibt. Dies verkündet eine Aufschrift an einer der gelben Stützen.)

                            Schon von hier ist der weiße Ort auszumachen, Heiligendamm, mein nächstes Ziel. Zum Wasser hin eine Kulisse aus weißen Hotelbauten und damit auch aus größerer Entfernung leicht erkennbar.

                            Heiligendamm voraus

                            Heiligendamm Seebrücke

                            Landung in Heiligendamm: Ich kann mit den Robben mitfühlen. Im Wasser elegant, an den Strand geworfen jedoch plump und unbeholfen. Zwar falle ich beim Ausstieg nicht wie bei Markgrafenheide aufs Boot, aber irgendwie fühlt es sich unwürdig an, das quer an den Strand geschlagene Boot per Kartoffelsackmethode (beschrieben von GermanTourist) zu verlassen. Ein eleganter Ausstieg ist mir bei dem beständig hin- und herrollenden Boot nicht möglich.

                            Nach der Mittagspause führt die Strecke weiter an Kühlungsborn vorüber.


                            Bald schon wird der Bastorfer Leuchtturm sichtbar.

                            Eine Empfehlung für diejenigen, die an Land unterwegs sind. Man muss nicht unbedingt auf den Leuchtturm steigen, der Bastorfer Signalberg beherrscht die Umgebung und bietet auch so eine eindrucksvolle Aussicht.

                            Bald nach Passieren der Bukspitze zieht der Campingplatz bei Meschendorf vorüber. In einem Einschnitt in der Steilküste, verborgen unter reichlichem Bewuchs weiß ich ein Rinnsal, das der Ostsee zufließt. Als Kind habe ich hier mit Begeisterung "gemoddert".


                            Eigentlich ein schöner Anlass, an diesem Ort einen Lagerplatz zu wählen – aber eben nur eigentlich.
                            Vielleicht auch ein Phänomen des Alleinreisens – jedenfalls bei mir. Immer weiter, weiter, hinter der nächsten Biegung wartet das Unbekannte. Und wozu jetzt schon rasten, mit wem soll ich mich austauschen, also weiter. Und ich habe nur eine Woche für die Tour, da muss ich viel sehen, also weiter …

                            Ankunft in Rerik. Etwas hat sich geändert … die Windrichtung. Die losen Enden der Fahnen zeigen mir entgegen, die Dünung kommt immer noch von hinten, der leichte Wind von vorn. Ich hatte gehofft, mich über das Salzhaff pusten zu lassen, jetzt stellt sich die Frage neu, wo ich eine Unterkunft suchen soll.
                            Die Landung gelingt gut. Direkt neben der Seebrücke befindet sich eine betonierte Strandzufahrt für das DLRG-Boot und bald rollt mein Boot durch die Fußgängerzone an der Landenge zwischen Ostsee und Salzhaff.

                            Ein Softeis und eine Tasse Kaffee müssen sein, aber ich bin ein wenig unruhig. Es ist schon Abend, Rerik ist nicht der Ort, an dem man ein Zelt aufschlagen kann und ich weiß nicht, wie sich der Gegenwind entwickelt. Die Pause ist schnell beendet und ich habe mich zu entscheiden, ob ich entlang der landseitigen Küste des Salzhaffs fahre und einen geeigneten Biwakplatz suche oder ob ich den Weg entlang der Halbinsel Wustrow nehme. Die unmittelbaren Ufergewässer der Halbinsel sind gesperrt und es besteht Anlandeverbot. Wer hier entlang fährt muss die ca. 10km bis zum Boiensdorfer Werder komplett unter seinen Kiel nehmen.

                            Ich fahre zunächst etwa 1km mittig zwischen beiden Ufern. Der Wind ist hinderlich, aber erzwingt nicht wie befürchtet die Biwaksuche gleich hinter Rerik. Damit ist die Entscheidung getroffen, ich fahre bis zum Boiensdorfer Werder.
                            Eine gute Wahl: Näher am Ufer wird der Wind ein wenig abgeschirmt und vor allem liefert die Halbinsel Wustrow schon fast romantische Ansichten. Hier steht der Wald bis dicht ans Ufer, an einigen Stellen ergibt sich ein reizvoller Kulisseneffekt und die Sonne zeichnet an dem Bilde mit.

                            Ein Anruf am Campingplatz auf dem Boiensdorfer Werder sorgt für Sicherheit. Ja, es ist kein Problem unterzukommen, ich kann mir irgendwo ein geeignetes Plätzchen suchen und soll mich am Folgemorgen anmelden. Damit erhält die längste Teilstrecke der Tour einen schönen Abschluss. Für richtiges Genusspaddeln ist es leider schon zu spät und auch der bisher zurückgelegte Weg hat seine Wirkung hinterlassen, trotzdem ist es gerade diese Strecke, die mir als angenehmste in Erinnerung bleibt.


                            am Boiensdorfer Werder

                            Und auch der Abend ist so, wie ich ihn auf dieser Tour leider nur einmal erlebt habe. Fast windstill ist es, über mir funkeln, ja tatsächlich funkeln die Sterne, neben mir faucht leise der Kocher, weitere Geräusche gibt es praktisch nicht und ich sitze am Ufer. Augenfällig sind nur die Leuchttonnen draußen vor Poel, sonst ist Frieden.
                            Zuletzt geändert von Paddolf; 07.11.2015, 20:00.

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                            • Paddolf
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                              • 22.10.2014
                              • 344
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                              #15
                              AW: [DE] Kentern vor Arkona

                              So ein schöner Morgen!
                              Alles ist betaut, aber die Sonne macht sich schon bald daran, mein Zelt zu trocknen.

                              Über Poel wabert Frühnebel und die Ostsee liegt da wie ein Spiegel.

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                              Und da sage noch jemand, mit dem Luftboot sollte man nicht auf die Ostsee. Ein Pärchen macht sich nach Norden Richtung Kieler Ort auf den Weg, ich fahre hingegen Richtung Westen, entlang der Außenküste der Vogelinsel Langenwerder. und dann weiter der Poeler Küste folgend.
                              Es ist sehr flach, wie offenbar überall an der Nordküste. Motorbootwellen sind weiter draußen kaum wahrnehmbar, hier jedoch werden sie zu kleinen Brandungswellen aufgeworfen. Ich versuche nach Passieren von Langenwerder am Rande des seichten Bereiches zu fahren. Man kann einerseits den Grund sehen, wird andererseits nicht durch das Flachwasser gebremst.

                              Richtung Westen zeichnet sich vage die gegenüberliegende Küste bei Boltenhagen im Dunst ab und ich beschließe, etwas von meinem Plan abzuweichen. Ursprünglich wollte ich bis kurz hinter Timmendorfer Strand (Timmendorf auf Poel) fahren und dann genau in Westrichtung die Wismarbucht bis zum Tarnewitzer Huk auf 7,5km queren. Aber – das Ziel ist erkennbar, der leichte Wind erzeugt kaum Wellen, selbst wenn er auffrischen sollte, würde die Nordströmung mich höchstens in die Bucht hineindrücken.

                              kurz vor dem "Schwarzen Busch", auf dem hinteren Stein sitzen Kormorane

                              die gegenüberliegende Küste
                              Bereits am Schwarzen Busch gibt es also die erste Pause und danach geht es Richtung Tarnewitzer Huk – denke ich jedenfalls.

                              Ich kreuze nach 4 bis 5km das Fahrwasser bei Tonne 14.

                              Ein Blick in die Karte soll mir zeigen, wo ich bin und wie die sichtbare Küstenlinie einzuordnen ist – und dann ein kleiner Schreck, ich bin viel zu weit auf der Ostsee. Ein dusseliger Navigationsfehler, der sich hätte mit ein wenig Aufmerksamkeit vermeiden lassen. Ich fahre nicht zum Tarnewitzer Huk sondern zum dahinter befindlichen Großklützhöved. Auf der aktuellen Karte ist dieses Kap nicht dargestellt, ich hätte das nächste Blatt bemühen müssen. Aber selbst aus der aktuellen Karte ist zu entnehmen, dass der Kurs Richtung WestSüdWest zu setzen wäre, ich bin aber genau in Westrichtung unterwegs. Unter anderen Bedingungen hätte diese Konstellation zu Problemen führen können, heute sehe ich es als unverhoffte Chance, mit einem Ritt die Wismarbucht und die Boltenhagener Bucht auf ca. 15km zu queren. Nach Karte müsste ich ein knappes Drittel der Strecke zurückgelegt haben, es herrschen immer noch Ententeich-Bedingungen und bei Bedarf könnte ich nach Süden ausweichen. Der Westkurs bleibt also.

                              Allerdings muss ich später die Bootsspitze ein wenig Richtung Nord drehen, um den Einfluss des etwas auffrischenden Windes auszugleichen.

                              Ungefähr auf Höhe von Boltenhagen gönne ich mir eine kleine Pause.

                              Soweit erkennbar scheint der Boltenhagener Strand gut besucht, vor allem dringt der Lärm einer Beschallungsanlage bis zu mir, wahrscheinlich irgendeine Urlauberbespaßung – für Partyinteressierte sicher nicht schlecht, aber ich fühle mich hier draußen besser aufgehoben.

                              Nach knapp 3 Stunden ist Großklützhöved erreicht und ich brauche wieder festen Boden unter den Füßen.

                              nördlichster Punkt von Großklützhöved

                              am Pausenplatz
                              Die Steilküste ist hier fast 30m hoch. Irgendwann schaut auch ein Wanderer hinunter, aber es gibt es keinen Strandabgang. Sicher könnte man an geeigneter Stelle aufwärts kraxeln, dies wäre der Stabilität der Küste an diesem Ort mit Sicherheit wenig zuträglich. So bleiben wir beide wo wir sind. Jeder wird behaupten, er war am nördlichsten Punkt des Klützer Winkels. Ich bin zwar etwas nördlicher, dafür hat der Wanderer den besseren Ausblick.

                              Unbemerkt hat der Wind in der ausgedehnten Pause seine Richtung nach Nordwest gedreht, im Laufe des Nachmittags dreht er weiter auf Südwest und wird stärker. Nach etwa 10km zeigt mein Windmesser fast 4Bft Gegenwind, erfreulicherweise lässt die Windstärke später wieder nach. Einhergehend mit dem Wechsel auf westliche Winde trübt sich der Horizont ein. Kurz ist das Travemünder Strandhotel zu erahnen, dann verschwindet der 117m hohe Klotz für geraume Zeit wieder im Dunst. Das Paddeln ist beschwerlich.

                              Küste am Klützer Winkel
                              Zum ersten und einzigen Mal auf der Tour habe ich keine Lust, weiterzufahren. Aber ich will heute in Travemünde ankommen und muss daher gegen den Wind arbeiten. Die kurzen Wellen spritzen nicht viel aber regelmäßig, man bleibt zuverlässig feucht. Das Boot platscht hin und wieder und wird dadurch zusätzlich abgebremst.
                              ... Und dieser Küstenabschnitt ist lang ...


                              Es stellt sich auch keine Erleichterung ein, als ich endlich in Travemünde einfahre. Zwar wird hier in der Bucht der Wind deutlich abgeschirmt und das Gegenlicht der im Dunst schon tiefstehenden Sonne taucht alles in einen milden Glanz, aber ich weiß, das sind die letzten Meter der diesjährigen Tour … Wehmut.

                              Links bleibt das Segelschiff Passat, links soll sich auch die DKV-Station der Lübecker Kanuten befinden. Die Unsicherheit zerstreut sich, an einem der Stege ist ein ausgedientes Kajak verschraubt. Ich werde freundlich empfangen, kann ein wenig quatschen und dann ist es auch schon Zeit, die Übernachtung vorzubereiten. Bevor ich ins Zelt schlüpfe, zieht vor dem Gelände eine hellerleuchtete mehrstöckige Hauswand vorüber, eine der Fähren läuft aus.
                              Da müsste ich auch einmal mitfahren, das Boot im Gepäck. Hierfür bedarf es jedoch noch einiger Verhandlungen mit meiner Holden, denn die mir zugestandene Woche familienfrei reicht für solche Unternehmungen nicht.
                              Zuletzt geändert von Paddolf; 17.11.2015, 21:33.

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                              • Paddolf
                                Erfahren
                                • 22.10.2014
                                • 344
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [DE] Kentern vor Arkona

                                Letzter Tag

                                Griesegrau ist's, so richtig fetter Nebel.
                                Travemünde bereitet mir einen "zünftigen" Abschied. Bei der Fährüberfahrt auf die andere Traveseite sieht man erst ab der Mitte das gegenüberliegende Ufer.


                                Die Bahn lässt sich zum Glück durch den Nebel nicht beeinträchtigen. An allen 4 Umsteigebahnhöfen ist der Anschlusszug trotz kurzer Umsteigezeiten gut zu erreichen und auch in Prora hat der Bahnhofsparkplatz gut auf mein Auto Obacht gegeben. Die Rückfahrt nach Travemünde ist unspektakulär, mich erwartet nachmittäglicher Sonnenschein, der Nebel soll sich aber erst kurz zuvor aufgelöst haben.


                                Während ich mein Gerödel verpacke, trifft ein Trupp Rostocker Kanuten ein. Ich erfahre, sie waren ebenfalls 6 Tage unterwegs, haben dabei aber weniger als die Hälfte meiner Strecke zurückgelegt.
                                Und, haben sie weniger erlebt? Ich glaube nicht. Irgendwie muss ich an meiner Einstellung arbeiten, diese Kilometerschinderei ist ja nicht schlecht, aber es bleibt so Vieles am Rande unbeachtet. Ich befürchte nur, es bedarf der Einbettung in eine Gruppe, um mich selbst einzubremsen.
                                (Also, sollte jemand für den nächsten Sommer in Richtung Dänische Südsee oder Ostseeschären planen und Mitfahrer suchen, ich würde mich über eine Nachricht freuen, vielleicht passt's … )
                                Nach einem Abschlussspaziergang zur Hafeneinfahrt reise ich endgültig ab.

                                Noch in den letzten Sonnenstrahlen geht es auf der Autobahnbrücke über die Havel und mein Boot sieht wieder sein heimisches Revier.


                                Prora - Priwall.kmz
                                Zuletzt geändert von Paddolf; 08.10.2015, 22:10.

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                                • gargantula
                                  Erfahren
                                  • 09.12.2013
                                  • 222
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                                  #17
                                  AW: [DE] Kentern vor Arkona

                                  Danke für den Bericht (und besonders für Beenden), wenn ich so schöne Berichte vom Wasser lese - würde ich auch immer gerne mal... Ich muss mal meinen Kumpel mit dem Boot anhauen, ob er mich mal mitnimmt.
                                  “Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.”

                                  (Antoine de Saint-Exupéry, französischer Schriftsteller, 1900 – 1944

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                                  • geige284
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                                    • 11.10.2014
                                    • 827
                                    • Privat

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                                    #18
                                    AW: [DE] Kentern vor Arkona

                                    Ein schöner Abschluss des Berichts!
                                    Auch von mir ein Danke dafür!

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                                    • schneehuhn
                                      Gerne im Forum
                                      • 08.07.2005
                                      • 57

                                      • Meine Reisen

                                      #19
                                      AW: [DE] Kentern vor Arkona

                                      Toller Bericht mit vielen schönen Fotos. Vielen Dank.

                                      Welches Boot fährst Du jetzt? Das davor war doch rot, oder?

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                                      • EbsEls
                                        Erfahren
                                        • 23.07.2011
                                        • 434
                                        • Privat

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                                        AW: [DE] Kentern vor Arkona

                                        Danke für den spannenden Bericht! Sehr interessant. Habe den Text mit GoogleEarth im Hintergrund gelesen.
                                        So manches kenne ich ... z.B. die Meiningenbrücke, von uns "EK-Brücke" genannt, wenn wir vom letzten Flakschießen in den Sundischen Wiesen heimwärts fuhren und die Alu-Löffel in den Bodden schmissen.
                                        Ich bin ein bekennendes Landei ... muss diese Gegend wohl mal beradeln.
                                        Viele Grüße aus Thüringen (oder von Sonstwo)
                                        Eberhard Elsner

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