[US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

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    [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

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    Gates of the Arctic – im Winter durch die Brooks Range


    Land: USA
    Reisezeit: März/April 2014






    15.3.

    Wegen technischer Probleme hebt der Flieger mit anderthalbstündiger Verspätung in Düsseldorf ab, so dass mir in Chicago ganze 55 Minuten für Einreise und Zoll bleiben. Eigentlich nicht zu schaffen, aber mit einem gelben Express-Check-Ausweis ausgestattet, hetze ich mich durch die Formalitäten, ein netter immigration officer handelt das obligatorische Interview in Stakkato-Geschwindigkeit ab, der Zollbeamter winkt mich mitsamt meinen Schokoladenvorräten im Handgepäck durch, und buchstäblich in letzter Sekunde erreiche ich den Anschlussflug nach Seattle. Dort dann ebenfalls eine Stunde Verspätung.

    Erst kurz vor Mitternacht komme ich in Fairbanks an. Pulka und Ski, ogottogott, sind in Chicago kleben geblieben (das derartig atypisches Gepäck zur Überprüfung rausgefischt wird, war ja zu erwarten). Doch es soll schon am nächsten Morgen nachgeliefert werden, wird mir versprochen. Eine Taxifahrt vom Flughafen nach Downtown kostet nur 17 Dollar, die Betreiberin des Bead & Breakfeast hat mir, wie versprochen, den Schlüssel unter die Fußmatte gelegt, hat ja fast alles geklappt.

    Als ich morgens beim Frühstück sitze (schlechter Kaffee), kommt tatsächlich schon mein Gepäck, langsam werde ich relaxed. Alles komplett, öhem, fast. Aber davon später...


    16.3.



    Für den Sonntag ist Powershopping angesagt. Man darf so gut wie keine Lebensmittel in die USA einführen, nur 20 Tafeln Schokolade und einige Tütensuppen meines Vertrauens habe ich mitgebracht und muss ansonsten die komplette Tourverpflegung für drei Wochen einkaufen. Ich laufe die drei km von Downtown zu den Einkaufszentren zu Fuß. Fred Meyer's, von meinem Host empfohlen wegen der recht großen Bioabteilung, heißt das Ziel.

    Lebensmittel in Alaska sind teuer, so circa 3,99 Dollar scheint der Einheitspreis für alles zu sein. Egal ob Haferflocken, Butter, Zucker, Tortellini oder Milchpulver. Der Einkauf dauert etwas länger, da ich mich in dem komplett unbekannten Sortiment erst noch zurechtfinden muss. Die Heilsversprechen und sonstigen Beschriftungen der Packungen erlauben erste tiefere Einblicke in die patriotisch amerikanische Seele. „The mint from Oregon is known to be the best in the World“ oder so ähnlich, steht auf den Teebeuteln. Das nenne ich mal selbstbewusst. Und ja: Das war natürlich der BESTE Pfefferminztee, den ich je getrunken habe. Ehrlich.

    Nach drei Stunden habe ich alles beisammen, außer den Fertiggerichten. Auf dem Rückweg komme ich bei Frontier Outfitters vorbei, wo ich 5 Liter Coleman Fuel und ein Bärenspray erstehe.

    Den ganzen Abend beschäftige ich mich damit, das Essen in Tagesrationen umzupacken.




    17.3.

    Der Montag verläuft entspannter; direkt morgens gehe ich beim FAPLIC (Fairbanks Alaska Public Lands Information Center) vorbei und melde die Tour an, dann in den WalMat, der eine recht große Auswahl an Tütenfraß (Mountain House) hat, danach esse ich im angeblich („Insidertipp“) sehr hippen „Diner's“ einen nicht sehr leckeren Hamburger mit Pommes. Der Kaffee ist umsonst, aber noch schlechter als der beim Frühstück. (Ich habe im Verlauf des Urlaub ja noch einige Vergleichsmöglichkeiten gehabt. Es sei deshalb gesagt: Der Kaffee ist nicht wirklich schlecht, er ist halt so, überall). Ach ja, im WalMat kaufe ich eine Dose Bier für den Abend und muss meinen Ausweis zeigen. Ich fühle mich sehr geschmeichelt, die Verkäuferin bleibt nach Studium meines Reisepasses etwas betreten zurück.





    So gegen fünf bin ich zurück und beginne, mein Gepäck startklar zu machen. Und so gegen sechs mache ich mich daran, meinen strategisch in Pulka und Handgepäck verteilten, kleinen Retrokocher wieder zusammen zu schrauben und stelle fest, dass der Docht fehlt. Die Tüte mit den Metall- und Reparatur-Kleinteilen wurde von der Flugsicherheit aufgemacht (es war ein Zettel drin), da muss er rausgefallen sein. Das er bewusst entfernt wurde, glaube ich nicht, sieht ja nicht anders aus als ein Stück Schnürsenkel.

    Ich kippe zur Sicherheit die Pulka einmal komplett aus. Ich finde den Standard-Nähfuß meiner Nähmaschine, den ich seit sechs Wochen vermisse (da habe ich das Pulka-Verdeck erneuert), doch kein Docht nirgends.

    Als erstes klemme ich mich ans Telefon. Beaver Sports auf halbem Weg zum Flughafen hat MSR-Kocher. Das ist Plan B. Plan A ist das Camping-Sortiment von Frontier Outfitters. Die hatten Coleman-Laternen rumstehen, und wo Laternen sind, sind die Dochte nicht weit. Hoffe ich mal. In Blitzgeschwindigkeit, mache ich mich zu Fuß auf den Weg – irgendwann machen die ja auch Feierabend...

    Und ich werde fündig – zwar nicht in der Coleman-Ecke, aber für 30 (in Worten: dreißig) Dollar erstehe ich den anderthalb cm breiten Docht einer Aladdin-Laterne, made in England, und in der Hardware-Abteilung noch eine riesige Rolle Draht, und ich brauche doch nur 10 cm. Zurück in der Pension tranchiere ich den Docht und binde sieben oder acht Fäden mit Draht zu einem Gewuschel zusammen, das ich in den Tank stopfe. Sieht ziemlich so aus wie der originale, ihn auszuprobieren traue ich mich nicht, schließlich soll der zuhause komplett gereinigte Kocher morgen noch mal fliegen. Und ich beschließe, morgens nicht mehr bei Beaver Sports vorbei zu fahren. Spannende Sache, aber so soll es sein, dies ist schließlich ein ABENTEUERURLAUB.


    18.3.

    Um 13:00 geht mein Flieger nach Anaktuvuk Pass, also bestelle ich mir ein Taxi für 10:00 Uhr und bin natürlich viel zu früh da. Das kleine Abfertigungsgebäude von Wright hat den Charme eines russischen Provinzbahnhofs. Für die erheblichen Mengen an Übergepäck zahle ich moderate 70 Dollar Gebühr, das Benzin und das Bärenspray wird als Gefahrgut deklariert, und dann trinke ich zwei Stunden schlechten Kaffee und lese alte Readers-Digest-Hefte. Und dann geht es endlich los.





    Der Anflug ist ein Erlebnis für sich. Bei bester Sicht und strahlendem Sonnenschein erst über Fairbanks hinweg, dann über hügeliges Sumpf- und Waldland mit Seen, mäandrierenden Flüssen und Totarmen, dann werden die Berge höher und steiler, ich erkenne das weite Tal des Koyukuk River, den Dalton Highway, die Ölpipeline, die quer durch die Brooks Range nach Norden führt. Den Sinkflug durch das Tal des John River finde ich schon recht speziell, die Berge scheinen zum Greifen nahe. Aber der Pilot macht das ja nicht zum ersten Mal.












    Nach der Landung bin ich ein wenig verwundert, aber gut: Natürlich haben die Menschen hier Autos, schließlich bin ich in den USA, und außerdem gibt es in Anaktuvuk Pass immerhin sieben Meilen Straße, die wollen befahren werden. Drei, vier Meilen Straßengeflecht im Ort und dann eine Stichstraße Richtung Cache Lake, die exakt an der Grenze des Native Corporation Land endet. Ich sichte ein Polizeiauto, einen Tankwagen, einen Schulbus, diverse Privatautos.





    Und dann probiere ich erstmal den Kocher im Windschatten eines Müllcontainers aus. Er zuscht und faucht, was für ein Glück.



    Im City Council, wo ich vorher schon angerufen habe, lasse ich mir noch mal erklären, wo ich zelten darf. Am Ufer des John River neben der Landebahn. Das klingt schlimmer als es ist, bei drei, vier Flugzeugen am Tag.







    In dieser ersten Nacht ist es mild, -12 Grad, bedeckt und windig. Ich schlafe fröstelig und schlecht, nicht zuletzt wegen der Schneemobile, die fast bis Mitternacht in der Umgebung des Dorfes umherfahren. Und der Jetlag kommt dazu. Irgendwann schlafe ich dann doch ein und schlafe durch bis weit in den Vormittag.


    19.3.







    Nach dem Aufstehen und Packen mache ich erstmal einen Spaziergang durchs Dorf. Gegen elf stelle ich die Tasche mit Wechselklamotten im City Council unter und muss hoch und heilig versprechen, lebend zurückzukommen. Und dann geht’s los.

    Zuerst Richtung Anaktuvuk Pass und dann nach Osten das Anaktuvuk Valley aufwärts. Der Aufstieg ins Tal ist ziemlich hügelig, einmal kippt die Pulka, mein nagelneues MYOG-UL-Verdeck kriegt den ersten Riss. Ich sehe ein paar Karibus und einen Schneehasen, die ersten Tiere der Tour, und auch die letzten - traurig aber wahr. Nur Vögel habe ich gesehen, drei Wochen lang. Pulka und Ski auf Blankeis sind wahrscheinlich ein bißchen sehr laut (frische Spuren gab es nämlich mehr als reichlich).







    Ich laufe weiter bis ca. 19:30 Uhr. Als die Sonne weggeht, sinkt die Temperaturen schlagartig auf -22 Grad. Aber das Wetter ist einfach großartig.




    20.3.

    Am nächsten Morgen nähe ich noch das Pulkaverdeck vor dem Aufbruch und komme gegen 11 Uhr los. Mittags kommt mir ein Jäger auf dem Skooter entgegen. Er sei schon den dritten Tag hier unterwegs auf der Suche nach Wölfen, ob ich welche gesehen hätte? Habe ich nicht. Ich laufe den ganzen Tag den Anaktuvuk River hoch, wobei ich mich erst an eine Terrasse direkt über dem Fluss halte, und später weiter oben am Hang, mit Blick über das Flusstal. Als die Sonne untergeht, suche ich mir einen schönen Zeltplatz auf einer Terasse zwischen Weidenbüschen. Nach dem Zeltaufbau stehe ich noch eine ganze Weile rum und genieße das Licht.































    Zuletzt geändert von Sarekmaniac; 13.02.2015, 21:41.
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    #2
    AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

    21.3.



    Am nächsten Tag geht es weiter flussaufwärts. Nach 20 Minuten stoße ich erstmals auf Wolfsspuren. Ein Pärchen offenbar. Mehrere Stunden lang stoße ich immer wieder auf ihre Spuren am Hang. Ich nähere mich dem Flussufer und mache meine ersten Erfahrungen mit Overflow-Pfützen. Ich bin sehr beeindruckt und drehe einige größere Kurven, um drumherum zu laufen. Der Reiz des Neuen, das hat sich dann ein paar Tage später gelegt (s.u.). Ich schraube mich hoch bis auf den Ernie Pass, 1050 müH. Am Nachmittag sehe ich auf der anderen Talseite in ca 1 km Entfernung drei Tourengeher mit Pulka, die in Richtung Anaktuvuk laufen – drei Norweger, wie ich nach meiner Tour in Erfahrung bringe. Das ist meine letzte menschliche Begegnung für die nächsten zwei Wochen.








    Direkt im Pass hat sich der Ernie River als tiefer Canyon eingegraben. Die beiden zuhause ausgearbeiteten Varianten – links vorbei, oder rechts vorbei - erweisen sich jetzt, wo ich das ganze in natura sehe, als absolut ungangbar. Ich bin ein bißchen konsterniert. Da ich aber weiter unten im Tal Skooterspuren gesehen habe, die jetzt verschwunden sind, fahre ich einfach den Hang Richtung Canyon runter. Mein Bauchgefühl täuscht mich nicht, ein Stück weiter unten stoße ich auf eine Skooter-Spur, die geradewegs in den Canyon hineinführt. Na dann, ab in den Höllenschlund.

    (Das ist der Moment, wo der Göttergatte zuhause zum ersten Mal etwas nervös wurde, als er sah, wo mein Spot-Track verschwand).









    Im Canyon ist es schattig und kalt, nur wenig Schnee liegt auf dem Eis. Es geht etwa 300 Höhenmeter abwärts, als ich gegen 18:30 Uhr unten wieder rausfahre, geht schon die Sonne unter. Ich zelte im Weidengebüsch am Flussufer.












    22.3.



    Heute geht es Richtung Süden, den Ernie River hinunter, über knüppelhartes, blankes blaues Eis. Ich komme extrem flott voran, das Ganze geht aber ordentlich auf die Knie. Und mein MYOG-Pulkagestell hält das Gerappel auf dem Eis genau zwei Stunden durch. Für den Rest der Tour nehme ich Seile. Gut, dass ich hier nicht wieder hoch muss, denke ich mehrmals frohlockend (musste ich dann aber doch, s.u.). Als die ersten Nadelbäume auftauchen, mache ich einen Versuch, zwischen den Weidenbüschen am Ufer langzugehen, um den Knien und Oberschenkel etwas Schonung zu verschaffen. Aber ich kehre schnell reumütig zum Fluss zurück, der Schnee am Ufer ist komplett ungesetzt und das Gestrüpp sehr dicht. Langsam werden die Schneeflecken auf dem Fluss größer, irgendwann habe ich eine geschlossene Schneedecke. Die Knie freut's.























    Das Mega-Hochdruckwetter hält an, ich messe abends 1038 bar (Meereshöhe), und wieder wird es knackig kalt. Die Berge hier sind hoch und steil und in den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Tälern merkt man nicht viel davon, das die Tag-und-Nach-Gleiche schon vorbei ist. Natürlich hat man sehr lange Licht, und eine Stirnlampe ist schon fast überflüssig (ich bin drei Wochen mit einem Batteriensatz ausgekommen), aber in den Tälern wird es früh schattig und morgens dauert es mitunter bis 11:00 Uhr, bis die Sonne den Flusslauf erreicht. Und sobald es schattig ist, wird es kalt, üblicherweise so zwischen -25 und -30 Grad.







    23.3.







    Auf dem schneebedeckten, mitunter flächendeckend mit "ice flowers" überzogenen Flusseis komme ich heute gut voran. Als ich den Zusammenfluss von Ernie Creek und North Fork Koyukuk River erreiche, biegen die vereinzelten Skooterspuren, die man immer mal im Gelände entdeckt, nach Norden ab, den Oberlauf des Koyukuk aufwärts. Von jetzt an sehe ich keine menschlichen Spuren mehr. Ich entdecke heute zum ersten mal eine Vielfraßfährte, und wieder Wolfsspuren, außerdem Spuren von Karibu, Elch, und Luchs.







    Auf den Kiesbänken liegt z.T. kaum Schnee, viel Schwemmholz liegt herum. Ich taufe die Gegend "The Wasteland".







    Heute sehe ich erstmals offenes Wasser und schöpfe mir einmal sogar Trinkwasser. Auf Höhe der „Gates of the Arctic“, zwischen Frigid Crags und Boreal Mountain wird das Tal des North Fork Koyukuk sehr breit, das Wasser mäandriert in mehreren Armen, dazwischen große Kies- und Sandbänke, sowie mit Krüppelweiden und Erlen bestandene Sümpfe. Ich philosphiere immer mal wieder, auf welchem Flussarm ich mich laut Karte und GPS wohl befinde und komme so recht zu keiner Lösung. Ich schiebe es auf die (40 Jahre alte) Karte. Der wahre Grund erschließt sich mir erst, als es dämmert: Der komplette Talgrund, von Bergflanke zu Bergflanke ist überflutet, ein einziger zwei km breiter, zugefrorener See, Bäume und Büsche stehen metertief im Eis.





    Und ich lerne: Je Spiegelung, desto nass. Es gluckert leise, überall riesige Pfützen auf dem Eis, teilweise hat es eine dünne, biegsame, klebrige Eisschicht auf den Pfützen. Das Eis biegt sich unter meinem Gewicht nach unten, die Spur hinter mir füllt sich mit Wasser. Da darunter nochmal 30 oder mehr cm Eis sind, beunruhigt mich das nicht allzu sehr, aber zelten kann man auf so was natürlich nicht. Ich befinde mich am unterhalb der Frigid Crags, hier ist es zu steil zum Zelten. Und so bewege ich mich nach Osten Richtung Boreal Mountain. Der Schnee auf einigen Kiesbänken zwischendurch ist auch mit Wasser vollgesogen und taugt nicht als Lagerplatz. Erst um 19:30 erreiche ich das andere Ufer, wühle mich an einem Bachlauf fünf Höhenmeter hoch in den Nadelwald und trample den losen Schnee zusammen. Dann hänge ich das Tunnelzelt mit den Firstleinen zwischen zwei Bäumen auf – hier hält kein Schneehering.









    Den ganzen Abend und in der Nacht höre ich die Eisplatten im Fluss knallen, sie dehnen sich bei dem knackigen Nachtfrost aus, drücken gegeneinander und brechen. Da wo sie brechen, tritt Wasser aus und fließt über das Eis.
    Zuletzt geändert von Sarekmaniac; 12.01.2015, 20:12.
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      #3
      AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

      24.3.





      Am morgen wieder das übliche: -26, -27 Grad. Ich schlafe recht lang, und pussle dann herum, bis die Sonne den Talgrund erreicht und ich den Schlafsack ein bißchen durchtrocknen kann. Schneebedeckte Passagen, steinhartes Blankeis und sehr nasses Eis wechseln heute ab, dazwischen immer wieder große Wasserlachen, zum Teil offen, zum Teil unter einer dünnen karamellartigen Eisschicht verborgen, die sich biegt und leise knistert, wenn ich darüber gleite. Und immer wieder mal stapfe ich einfach durch das Wasser – möglichst schnell, sodass die Schuhe weitgehend trocken bleiben. Am heikelsten finde ich die schneebedeckten Passagen. Es ist absolut unmöglich, zu beurteile, wie es darunter aussieht. Ein paar Mal sinke ich in sumpfigem Schnee ein, muss die Ski abschnallen und den Eisschnodder schnell entfernen, damit die Bindung nicht einfriert.

























      Gegen Nachmittag nimmt die Schneedecke auf dem Fluss zu, der Schnee wird tiefer, weicher, es hat kaum noch blanke Stellen und ich komme nur noch sehr langsam vorwärts. Als ich mitten auf dem Fluss eine schöne große und harte Schneeverwehung entdecke, schlage ich kurzentschlossen das Zelt schon gegen 16:30 auf. So bekomme ich im Zelt noch etwas Sonne und Wärme mit.













      25.3.

      Wieder so ein kalter Morgen. Das Zelt liegt morgens sehr lange im Schatten. Ich beobachte die Sonnenflecken hoch oben in den Bergen, die langsam weiter nach unten wandern. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie das Zelt erreichen. Einige Male noch passiere ich blankgefegte, eisige Stellen. Doch wie schon am Vortag wird der Schnee bald sehr tief und schwer, weshalb ich gegen Mittag beschließe, vom Flussufer aufzusteigen und westlich am Eroded Mountain vorbei Richtung Tinayguk River zu gehen. Das spart mir außerdem etwa 10 km, habe ich überschlagen. Soweit der Plan. Erstmal laufe ich eine dreiviertel Stunde das Ufer lang, um eine geeignete Stelle für den Aufstieg zu finden. Die Uferböschung hat es in sich, Bäume und Gestrüpp stehen z.T. so dicht, dass man nicht dazwischen kommt. Ich finde schließlich eine halbwegs gangbar Stelle, wühle mich zu Fuß hoch und trage bzw. ziehe dann alles – Ski- Rucksack, und zum Schluss die Pulka – einzeln hoch. Das dauert nochmal eine dreiviertel Stunde. Dann steige ich auf. 150 Höhenmeter. Das dauert drei Stunden. Ich ahne schon während des Aufstiegs, dass das eine Schnapsidee war, ich hatte gehofft, der Schnee würde oberhalb der Bäume härter. Aber gut, der Tag ist eh für die Katz, dann kann ich auch ganz hochsteigen. Der Ausblick ist jedenfalls sehr nett. Aber die Schneebeschaffenheit ist genauso wie auf dem Fluss (ich frage mich, ob es hier überhaupt schon mal ordentlich geweht hat diesen Winter). Ich blicke über die locker mit Bäumen bewachsene Hochebene und finde die Vorstellung, mich 10-12 km weit dadurch zu wühlen, nicht sehr erbaulich.























      Apropos Bäume: Die alten Karten, die ich benutzt habe, sind bezüglich der Topografie sehr gut, die eingezeichnete Vegetation ist allerdings irreführend, denn man könnte meinen (und ich meinte), der Koyukuk sei bis zum Eroded Mountain nahezu baumfrei. Das ist er nicht, die Ufer sind dicht und mit hohen Bäumen bewachsen, mit entsprechender Auswirkung auf die Schneedecke.

      Ich fand es auch erstaunlich, wie schnell sich der Wechsel in der Schneebeschaffenheit vollzog. Neben der zunehmenden Vegetation spielt wohl auch das markante Süd-Nord-Niederschlagsgefälle in der Brooksrange eine Rolle – in Bettles im Süden der Bergkette fällt ein Mehrfaches der Schneemenge von Anaktuvuk Pass.

      Mich trösten der schöne Fernblick, die lang andauernde, nicht von Bergen abgeschirmte Abendsonne und die vergleichsweise milden Temperaturen von nur -18 Grad (Windstille, Inversionswetterlage).











      Zuletzt geändert von Sarekmaniac; 12.01.2015, 20:15.
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      • Kaesehobler
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        • 16.02.2013
        • 1202
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        • Meine Reisen

        #4
        AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

        Sehr cool, freue mich auf die Fortsetzung .

        Aber warum hast du denn eine 40 Jahre alte Karte? Verändert sich topologisch da so wenig?

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          • 10.07.2008
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          #5
          AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

          Wow, richtig klasse!
          Ich freue mich auf die Fortsetzung!

          Viele Grüße, warme Füße,
          Sylvia

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          • Grizzly
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            • 22.11.2010
            • 103
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            • Meine Reisen

            #6
            AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

            Zitat von Sarekmaniac Beitrag anzeigen
            21.3.

            Super Bericht, tolle Leistung und phantastische Bilder!!!

            und so sieht es hier im Sommer aus:


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            • Sarekmaniac
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              #7
              AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

              @Grizzly: Sehr hübsch, macht Spaß, das Sommer-Winter-Spiel. Such ruhig weiter

              @Käsehobler: Neuere Karten gibt es nicht, eine aktuelle Serie, basierend auf Satellitenbildern, wir erst in den kommenden Jahren erscheinen. Die Brooks Range wurde in den 1920ern bis 1950ern kartiert, und die aktuellsten Karten für das Gebiet wo ich unterwegs war (Endicott Mountains) sind aus den 1960ern und 1970ern, ein paar Blätter aus den frühen 1980ern.
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                #8
                AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                26.3.

                Heue geht es erst einmal in meiner Aufstiegsspur vom Vortag wieder hinab. Ich werde weiter den Fluss langgehen, habe ich beschlossen. Allerdings fange ich schon an zu rechnen: Wenn ich weiter so langsam vorwärts komme, brauche ich noch zwei Tage bis zum Zusammenfluss von Tinayguk River und North Fork Koyukuk, dem Scheitelpunkt der geplanten Tour. Länger darf es nicht dauern, ich mag es nicht, in Zeitnot zu geraten.

                Jetzt ist der Schnee nur noch weich und tief. Vor mir der Eroded Mountain einsam in der Ebene. Um den muss ich herum. Manchmal sehe ich frische, oder auch alte, verschneite Elch- oder Karibuspuren. Ich folge ihnen im Zickzack auf dem Flussbett, denn darunter ist der Schnee härter. Oft halte ich mich an die Übergangszone zwischen Eis und offenem Wasser, dort kann ich das Eis sehen und beurteilen, und ich komme auch leichter voran, weil weniger Schnee liegt. Manche Flussarme sind unter dem Eis trocken gefallen, durch Löcher und Risse sehe ich durch Hohlräume auf das trockene Kiesbett. Und wo ich offenes Wasser sehe, ist es maximal 20, 30 cm tief. Und dann, direkt am Zusammenfluss von Koyukuk und Clear River, ist der Wasserlauf plötzlich komplett offen, fließt von einem Prallufer zum gegenüberliegenden. Die Uferböschungen sind nicht begehbar, steil mit dicht stehendem Buschwerk. Ich werde waten müssen, zum Glück ist es nicht tief. Watschuhe habe ich natürlich nicht dabei...

                Also barfuß durch den Fluss, die Pulka schwimmt hinterher. Am rechten Ufer warte ich zehn Minuten, bis wieder Leben in die Füße gekommen ist, und schlüpfe zurück in die Schuhe.






















                Der Clear River führt dem Koyukuk ordentlich Wasser zu. Das erfahre ich gegen 17:00 Uhr eigenen Leib, denn bei dem Versuch, vom Tiefschnee der Uferterrasse auf das einladende, blanke Flusseis zu wechseln, dass ich etwa 50 m vor mir ausmache, breche ich ein. Leider ist es hier überhaupt nicht flach, sondern ich stehe bis zum Bauchnabel im Wasser. Ich werfe Kamera und Rucksack die Böschung hoch, schnalle dann unter Wasser die Ski ab und werfe sie hinterher. Dann stelle ich fest, dass die Stöcke zu kurz sind, um mich aus dem Loch zu stemmen. Also hangle ich mir mit dem Stock einen meiner Ski zurück. Das dauert ein wenig, denn ich hab sie sehr kraftvoll und mit großem Erfolg geworfen, sie liegen ei bißchen zu weit weg. Mit dem Ski stemme ich mich schließlich aus dem Loch hoch und krieche die Böschung hinaus. In dieser Situation hat es echte Vorteile, dass die Pulka nur an Seilen hängt, so behindert mich kein Gestänge, und vor allem steht die Pulka die ganze Zeit brav am oben Ufer und ist mir nicht ins Wasser gefolgt.

                Das Wasser gluckst in meinen Schuhen, aber ich bringe noch die Geduld auf, die Ski wieder anzuschnallen, dann gehe ich 100 m im rechten Winkel vom Ufer weg und dann trample ich eine Stellfläche für das Zelt. Erst danach ziehe ich die nassen Schuhe und Klamotten aus, schlüpfe in Booties und Daunensachen und baue das Zelt auf. Interessantes Details: die Hose (Etaproof) ist nass, aufgequollen und steif wie ein Brett, die lange Unterhose darunter ist nahezu trocken geblieben. Die Kameratasche, die am Rucksack-Hüftgurt hing und ins Wasser tauchte, ist ebenfalls nass, aber die Kamera (Fuji X E2) scheint nur oberflächig nass und ein bißchen vereist zu sein (sie hat das ganze schadlos überstanden). Aber die Schuhe sind aus Leder und pitschnass, ojemine.

                Als das Zelt steht beginnt die Sonne zu schwinden, ich habe keinen Nerv mehr, mich jetzt, wo es wieder schlagartig eiskalt wird, mit den nassen Klamotten zu befassen, Hose, Socken und Schuhe wandern für die Nacht unter die Isomatte, die Wolljacke lasse ich an, sie trocknet am Körper, die Kamera wandert, wie jede Nacht, mit in den Schlafsack.


                27.3.

                Am nächsten morgen ist das ganze nasse Zeug steinhart gefroren. Zum Glück ist es auch wieder sonnig und windstill. Hose und Felle wandern aufs Zeltdach, die Socken unter die Wolljacke, die Schuhe stehen in der sonnenbeschienenen Apsis und werden tatsächlich wieder weich, ich drücke alle paar Minuten an ihnen rum und wische mit einem Lappen die Tropfen auf, die aus dem Leder quellen. Die an den Schuhen montierten Berghaus-Gamaschen schneide ich kurzerhand ab, sonst hätte ich den Schuh nie trocken gekriegt. In den nächsten beiden Nächten habe ich dann abends die Überschuhe meiner Booties über die Lederschuhe gezogen und sie im Schlafsack angelassen. Bequem schlafen ist was anderes, aber so habe ich die Schuhe tatsächlich wieder trocken gekriegt. Nur waren sie leider, da die Gamaschen fehlten, nicht mehr warm genug.







                Nachmittags schalte ich versuchsweise die augenscheinlich völlig trockene Kamera wieder ein – kein Kurzschluss, die Elektronik hat überlebt. Nur auf den Bildern der nächsten zwei, drei Tage entdecke ich (allerdings erst zuhause) einen kleinen Flecken/Unschärfebereich - vermutlich von Feuchtigkeit auf dem Sensor oder irgendwo im Objektiv?

                Meine Stimmung ist nicht die beste, eigentlich habe ich den Wendepunkt meiner Tour fast erreicht, und bin auch im Zeitplan, aber ich weiß natürlich, dass es komplett unvernünftig ist, weiterzugehen. Die Bewaldung des Ufers ist jetzt so dicht, dass ich definitiv jede Flussschleife auslaufen muss. Das wären noch etwa 15 km, bis ich komplett um den Eroded Mountain herum wäre. Und am Zusammenfluss von Koyukuk River und Tinayguk River, den ich dafür passieren muss, wird sich die Wassermenge, grob geschätzt, verdoppeln. Ich habe keine Ahnung, wie die Eisverhältnisse dort sind, gehe aber eher von noch mehr offenem (und vor allem tieferem) Wasser aus. Und der Schnee dürfte auch eher mehr werden. Vor allem mache ich mir Sorgen um meine Füße. (Letztendlich ist es ja gut gelaufen, weil ich die Schuhe gut getrocknet gekriegt habe, und vor allem weil das Wetter sonnig blieb. Aber das weiß man ja vorher nicht. Wenn die Schuhe nass sind und man bei diesen Temperaturen einen bedeckten, windigen Tag hat, bleibt nur Zeltaufstellen und abwarten, notfalls Tage lang.)

                Das Blöde ist, dass ich tatsächlich keine Möglichkeit habe, den Rückweg irgenwie zu variieren. Meine geplante Schleife via Anaktuvuk River, Tinaygugk River, Publituk Creek und dann den John River entlang zurück nach Anaktuvuk Pass hat insgesamt etwa 300 km, in drei Wochen eigentlich locker zu schaffen, aber all die kleinen Nebentäler führen steil in die Berge hinein und enden an sehr alpinen und schroffen, nicht pulkatauglichen Pässen, so dass man nicht weiter abkürzen kann. Eine mögliche Variante wäre gewesen, den Koyukuk River nordwärts zu gehen, komplett aus den Bergen raus, und dann westwärts zurück nach Anaktuvuk Pass, allerdings habe ich von der möglichen Wegführung nur eine vage Erinnerung und keine Karten dabei. Bleibt also nur, auf halber Strecke zu drehen und denselben Weg zurückzugehen. Da ich dafür noch zehn Tage Zeit habe und zudem meine eigene Spur nutzen kann, ist mein Zeitbudget jetzt sehr großzügig (für den Hinweg habe ich acht Tage gebraucht). Ich beschließe, die Tage, die ich am Ende noch übrig haben werde, einfach das Anaktuvuk Valley gen Norden zu laufen, anstatt direkt zum Ort zurück, und dann auf der anderen Talseite wieder südwärts.

                Per Satellitentelefon gebe ich Plan B an den Göttergatten durch. Dann koche ich, gehe ich mit der Thermoskanne vor das Zelt und genieße den Sonnenuntergang.








                28.3.

                Ich habe ja jetzt Zeit, also stehe ich erst auf, als die Sonne aufs Zelt scheint. Aus sicherer Entfernung mache ich ein Bild vom bösen, bösen Loch, nach 40 Stunden bereits wieder komplett überfroren. Keine Ahnung was darunter liegt, ein Tobel? (das Eis ist ja nicht ohne Grund so dünn).

                Nach ein paar hundert Metern muss ich das komplette Gerödel wieder ablegen, denn an der bewussten Stelle von vorgestern muss ich wieder durch den Fluss waten. Diesmal mit ein paar Bildern, ich habe ja Zeit.



















                Obwohl ich erst um 12:00 Uhr aufgebrochen bin, bin ich in meiner alten, ausgehärteten Spur so schnell, dass ich meine beiden letzten Zeltplätze überlaufe.

                Kurz bevor das Tal sich weitet und der riesige Overflow-Bereich beginnt, suche ich mir einen Zeltplatz ein paar Meter oberhalb des Eisspiegels. Der Schee ist seltsam bräunlich, mir kommt für einen Moment der absurde Gedanke, dass hier fünf Mal am Tag ein mindestens zehnköpfiges Wolfsrudel vorbeikommt und seine Notdurft verrichtet. Aber es scheint tatsächlich so zu sein, dass die Kieselalgen, die Eis und Schnee auf dem Flussbett färben, auch weiter oben, im trockenen Schnee des Wald wachsen. Vielleicht verbreiten sie sich durch den sumpfigen Untergrund?











                Zuletzt geändert von Sarekmaniac; 11.01.2015, 15:18.
                Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
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                • Vintervik

                  Fuchs
                  • 05.11.2012
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                  #9
                  AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                  Toller Bericht bisher mit sehr klasse Fotos! Danke!

                  Vielleicht ein nützlicher Ausrüstungstip bzgl. Einbrechen: hier in Schweden haben wir beim Eislaufen so kleine Eispickel dabei, die man sich um den Hals hängt, und mit deren Hilfe man sich aus der Einbruchsstelle rausziehen kann, wenn man durchs Eis geht:

                  http://sv.wikipedia.org/wiki/Isdubbar
                  http://de.wikipedia.org/wiki/Eisdorn

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                  • Rattus
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                    • 15.09.2011
                    • 5177
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                    Wahnsinn, die Fotos und der Bericht

                    Was für eine Spur ist das?

                    https://www.outdoorseiten.net/fotos/...winter&cat=500
                    Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                    • Sarekmaniac
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                      • 19.11.2008
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                      #11
                      AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                      Gute Frage. Der in den Brooks Range endemische Langkrallen-Vielfraß vielleicht.

                      Oder eine Schneehuhnflügel. Eins von beiden.
                      Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
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                      • Sarekmaniac
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                        • 19.11.2008
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                        #12
                        AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                        29.3.





                        Es war schlau von mir, mich ein paar Meter vom Fluss zurückzuziehen. Wo ich gestern lang gekommen bin, sickert und fließt jetzt Wasser über das Eis und „frisst“ langsam meine Spur. Als ich das Zelt aufbaue, sind die Lachen bis auf 50 m an mich herangekommen. Der wasserdurchtränkte Schnee ist leuchtend gelbbraun und auch in Richtung Norden leuchten die Eisflächen orangerot. Ich habe später ein bißchen recherchiert und bin als möglichen Erzeuger von „Blutschnee“ (im englischen „Watermelon snow“) auf die Kieselalge Chlamydomonas nivalis gestoßen. Auf den Abbildungen, die man im Netz findet, sieht das aber immer eher rosafarben aus, als sei der Schnee mit Rotwein getränkt, nicht bräunlich orange. Vielleicht findet sich ja ein Fachmann, der weiß, was das für eine Art ist. Auf jeden Fall scheint der Sonnenschein der letzten Tage den Algen gut bekommen zu sein, sie wuchern durch das ganze Tal.

                        Das glänzende Eis sieht ja auf den Bildern immer so hübsch aus. Ich habe ein paar kurze Filmchen gedreht, damit man sich besser vorstellen kann, wie es sich anfühlt, darüber zu laufen:


                        (INFO: Bitte kein Bildmaterial einfügen, das die Rechte Dritter verletzt. d.h. i.d.R. keine Musikvideos, TV-Serien etc. )


                        (INFO: Bitte kein Bildmaterial einfügen, das die Rechte Dritter verletzt. d.h. i.d.R. keine Musikvideos, TV-Serien etc. )


                        (INFO: Bitte kein Bildmaterial einfügen, das die Rechte Dritter verletzt. d.h. i.d.R. keine Musikvideos, TV-Serien etc. )

                        Es ist zu befürchten, dass meine halbwegs trockenen Schuhe heute wieder viel Wasserkontakt bekommen. Deshalb will ich den gesamten Overflowbereich heute hinter mich bringen. Ich gehe z.T mit Kurzfellen zum Teil mit den nackten Ski, den gesamte Vortrieb leisten dabei die Arme. Ökonomischer wäre es, zu Fuß zu gehen, aber dafür sind die obersten, dünnen Eischichten nicht tragfähig genug.

                        Auf dem Hinweg war ich an diesem Abschnitt irgendwie ein bißchen autistisch unterwegs, sehr auf das Eis und die Wasserlachen fixiert. Natürlich schaue ich jetzt auch genau hin (von der alten Spur ist hier nichts mehr zu sehen, da sind inzwischen zig neue Schichten Eis drüber), aber ich habe inzwischen eine gewisse Routine, einen vernünftigen Weg zu finden. Und wenn die Pfützen größer werden, laufe ich einfach möglichst rasch durch; so tief, dass das Wasser von oben reinläuft, wird es zum Glück nie. Und ich finde viel mehr Ruhe, mir das alles ganz genau anzuschauen, das Eis, mit tausenderlei Strukturen, kein Quadratmeter gleicht dem anderen. Mal mit winzigen geometrischen Rissen durchzogen, mal spiegelglatt und milchig, mal schneeweiß und buckelig wie ein übergekochter und plötzlich erstarrter Topf Milch. Blaues Eis, orangenes Eis, lila Eis, schwarzes Eis, grünes Eis, graues Eis. Mal mit flachen harten Kristallen bedeckt, mal mit riesigen puscheligen Flocken, die die Amerikaner „ice flowers“ nennen. Und überall schauen aus dem Eis Pflanzen heraus – Weidenbüsche, einzelne Zweigspitzen, hochgewachsene Erlen, Totholz. Das Wasser kraucht in die Zastrugiflächen am Ufer und in die Böschungen, alles wird zu Eis.









































































                        Gegen fünf Uhr bekomme ich wieder festen Boden unter den Füßen. Mit dem phantastischen Licht im Rücken laufe ich den Fluss lang. Totale Stille, das einzige, was sich bewegt, ist eine Wasseramsel, die im offenen Wasser nach Insekten fischt und mich dabei komplett ignoriert. Kurzzeitig gesellt sich noch ein zweiter Vogel dazu (später als kanadischer Häher – Gray Jay - identifiziert). Ich hätte ja gegen einen schönen Zeltplatz nichts einzuwenden, aber auf dem Kies liegt kaum Schnee. Erst anderthalb Stunden später stoße ich auf ein paar größere Schneefelder, die dann gleich so fest sind, dass ich die Heringe kaum zur Hälfte hineingesteckt bekomme. Egal, ich glaube nicht dass es windig wird. Wind, was war das nochmal?

































                        Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
                        (@neural_meduza)

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                        • Daddyoffive
                          Fuchs
                          • 24.08.2011
                          • 2437
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                          #13
                          AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                          Super Bericht, danke, dass du dir die Mühe machst und den schreibst. Die Bilder und Geschichten dürfte ich ja schon "live" erleben.
                          Das Leben ist kein Problem, das gelöst werden müsste, sondern ein Abenteuer, das gelebt werden will.
                          John Eldredge
                          ><>

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                          • Dominik

                            Lebt im Forum
                            • 11.10.2001
                            • 9176
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                            #14
                            AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                            Ich befürchtete schon, dass du doch nichts mehr veröffentlichen wolltest. Um so schöner die Überraschung!!
                            Habs noch nicht gelesen, aber freue mich auf die Lektüre heute Abend.

                            Die Fotos hab ich mir aber direkt reingezogen . Spitze!!

                            Grüße
                            Dominik
                            Offizieller Ansprechpartner: Naturlagerplätze - Eifel

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                            • roweat
                              Neu im Forum
                              • 11.08.2014
                              • 6
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                              du kannst dir meiner hochachtung (incl. ein bißchen neid) sicher sein 😊

                              sent from my schmart-fon

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                              • hgr
                                Erfahren
                                • 05.05.2004
                                • 128

                                • Meine Reisen

                                #16
                                AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                                Hallo Sarekmaniac!

                                Respekt. Sehr schöner Bericht von einer Tour für die es eine sehr große Portion Mut braucht.

                                Hast du auch irgendwelche Tiere gesehen?

                                Sehr interessant finde ich auch deine Bilder von "watermelon snow". Habe ich das erste mal gehört und auf deinen Bildern gesehen. Das hat schon was besonderes.

                                Grüße
                                hgr

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                                • Chouchen
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                                  • 07.04.2008
                                  • 20009
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                                  #17
                                  AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                                  Sehr cool, danke.
                                  "I pity snails and all that carry their homes on their backs." Frodo Baggins

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                                  • Spartaner
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                                    • 4796
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                                    #18
                                    AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                                    Zitat von hgr Beitrag anzeigen
                                    Hast du auch irgendwelche Tiere gesehen?
                                    Guten Abend, hgr, ich habe den Bericht gelesen und kann dir sagen, was drinsteht:
                                    Zitat von Sarekmaniac Beitrag anzeigen
                                    Ich sehe ein paar Karibus und einen Schneehasen, die ersten Tiere der Tour, und auch die letzten - traurig aber wahr. Nur Vögel habe ich gesehen, drei Wochen lang. Pulka und Ski auf Blankeis sind wahrscheinlich ein bißchen sehr laut (frische Spuren gab es nämlich mehr als reichlich).

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                                    • Spartaner
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                                      • 24.01.2011
                                      • 4796
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                                      #19
                                      AW: Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                                      @Sarekmaniac: Danke für den interessanten Bericht und die schönen Bilder.

                                      Eine Frage habe ich zum Verständnis:
                                      Zitat von Sarekmaniac Beitrag anzeigen
                                      Den ganzen Abend und in der Nacht höre ich die Eisplatten im Fluss knallen, sie dehnen sich bei dem knackigen Nachtfrost aus, drücken gegeneinander und brechen. Da wo sie brechen, tritt Wasser aus und fließt über das Eis.
                                      Meine Schulphysik sagt mir, das Eis zieht sich bei Kälte zusammen. Wieso meinst du, es dehnt sich Nachts aus?

                                      Gruß Michael

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                                      • Scrat79
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                                        • 11.07.2008
                                        • 12533
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                                        #20
                                        AW: [US] Gates of the Arctic - im Winter durch die Brooks Range

                                        Wow!
                                        Tolle Tour.
                                        Toller Bericht!

                                        Danke!
                                        Der Mensch wurde nicht zum Denken geschaffen.
                                        Wenn viele Menschen wenige Menschen kontrollieren können, stirbt die Freiheit.

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