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Die Obra von Bentschen bis Meseritz, Himmelfahrt 2019
Das Himmelfahrtwochenende stand an. Andrea hatte zu diesen Tagen zwei Termine Pantomimeübungen, also eine gemeinsame Tour war nicht drin, so dass ich zunächst keinen Urlaub beantragt hatte. Am Montag vor Himmelfahrt erfuhr ich, dass noch keiner meiner Kollegen Freitag freinimmt. Das war für mich das Zeichen, doch noch einen Tag Urlaub zu beantragen, und meine einzige Chance in diesem Jahr zu nutzen, nach Ostern noch einmal 4 zusammenhängende Tage aufs Wasser zu kommen - für eine Solotour (neben den 50 Tagen geplante Fernreise 3 Monate später).
Nun habe ich überlegt, wohin es denn gehen sollte. Im Outdoorseitenforum wurde schon monatelang die Himmelfahrtsforumspaddeltour diskutiert, und ich habe überlegt, mich anzuschließen. Es war nicht im hintersten Winkel der Republik, und man könnte mal ein paar Paddler vom Outdoorseitenforum kennenlernen. Bisher kenne ich ja nur die vom Canadier-Forum und vom Faltboot-Forum.
Dagegen sprachen allerdings auch eine Reihe von Punkten. Als passioniertem Wildcamper ist es mir ein Graus, auf offiziellen Campingplätzen zu übernachten. Es ist teuer dort und unruhig. Zum Pinkeln muss man ewig bis aufs Klo latschen. Wahrscheinlich würden sich die anderen Gäste auch über den Qualm von meinem Künzi aufregen. Die geplanten Tagesetappen waren recht kurz, damit auch die SUP-Paddler eine Chance haben. Zudem kannte ich den größten Teil der Strecke bereits (1, 2).
So habe ich mir überlegt, von Lobositz/Lovosice aus zu starten und die Gruppe in Radebeul oder in Meissen einzuholen. Dann hätte ich nur ein oder zwei Übernachtungen in Bootshäusern, und würde oberhalb wild campen können (wobei das im Oberen Elbtal auch nicht ganz stressfrei ist). Vor allem aber hätte man den Beginn der Vulkanstrecke des Böhmischen Mittelgebirges mitgenommen, einen Abschnitt, den ich wirklich gerne gesehen hätte. Aber dann habe ich mir die Entfernungen ausgerechnet, und fand die dafür nötigen Tagesetappen dann auch für mich viel zu lang. Zudem wäre ich viel zu spät in der Nacht in Lobositz angekommen, da ich nach der Arbeit frühestens 20 Uhr aus Berlin loskomme.
Die einzige mir bekannte Berliner Teilnehmerin hatte ich bezüglich Mitfahrgelegenheiten angeschrieben, sie hat sich aber nicht zurückgemeldet.
Also habe ich dann etwas Näherliegendes gesucht. Die Oder sollte es nicht wieder gleich werden, da waren wir ja erst zu Ostern. Die Obra ist auch nicht weit weg, ich kenne sie bereits als hübschen kleinen Fluss in recht natürlicher Landschaft. Im Vergleich zur Oder wäre das allerdings ein wahres Abenteuer.
Die Obra ist bekannt für ihren Holzreichtum, dh es liegen sehr viele umgestürzte Bäume im Wasser. Zudem ist mir völlig unklar, ob der kleine Fluss zur Zeit überhaupt genügend Wasser führt. Wir haben ja hier im Osten bereits eineinhalb Jahre nahezu Dürre. Die Grundwasserstände sind niedrig wie nie und haben sich auch im Winter 2018/2019 nicht erholt. Dennoch will ich es wagen. Natur, Einsamkeit und Abenteuer pur anstatt jeden Abend Geselligkeit bis nach Mitternacht, schnarchende Zeltnachbarn, dröhnende Eisenbahnen und Straßenverkehrsgeräusche im dichtbesiedelten Elbtal. Spartanische Minimalernährung anstatt jeden Abend opulente Gaststättenportionen. Vollkommene Unabhängigkeit.
Ja, so soll es sein!
Nun kommt die Frage, welchen Abschnitt ich ins Auge fassen sollte. Der Unterlauf von Meseritz bis Schwerin a.d.W./Skwierzyna wird wohl zur Zeit gänzlich unfahrbar sein. Hier liegen Dutzende umgestürzte Bäume im Fluss und sperren den Lauf über die gesamte Breite. Einen Eindruck vermittelt der Fahrtbericht einer einzelreisenden Dame: First British Solo Descent of the River Obra. Zitat: “Discovering places untouched by British Tourism is always an adventure ... in my mind it had became a psychological endurance test between me and the river. .... I couldn’t even reach my mobile phone to call for help.” !!!
spannend geschrieben, wirklich lesenswert!
Die Wikinger haben den Fluss vor Jahren auch schon befahren und vermessen, hier ein Auszug ihrer Dokumentation der Baumhindernisse:

Der Oberlauf ab Kopan/Kopanica, den wir vor 4 Jahren unter den Kiel nahmen, ist vielleicht schon leergelaufen oder zugewachsen und außerdem nicht besonders gut öffentlich erreichbar.
So fällt meine Wahl auf den Abschnitt Bentschen/Zbąszyń bis Meseritz/Międzyrzecz. Ich fahre mit dem Auto am Mittwoch Abend nach Meseritz, übernachte am Flussufer, und fahre am nächsten Morgen mit verpacktem Faltboot und allem Bagage mit der Bahn nach Bentschen. Die Tour selbst ist nicht allzu lang, nur ~50 Flusskilometer. Auch hier gibt es immer wieder Abschnitte, die wir aus der Vergangenheit mit etlichen ernsten Baumhindernissen kennen. Am Ende der Tour, Sonntag Abend oder Montag Vormittag, lande ich in Meseritz direkt beim Auto an. Perfekt, mein Plan.
Übersichtskarte des geplanten Abschnitts:

Eine sehr wald- und gewässerreiche Gegend.
Nun geht es ans Fahrkarte kaufen. Es gibt eine einzige Zugverbindung, bei der ich nicht umsteigen müsste. Dieser Zug fährt bereits früh um 7:37 Uhr in Meseritz ab, ein PKP-Intercity. Der passt perfekt in meinen Plan. Ich finde sogar einen Wagenstandsanzeiger im Netz. Fahrradmitnahme ist verboten und ich erkenne auch keinerlei Großraumwaggon, der Platz für mein umfangreiches Gepäck hätte. Ich habe meine Zweifel, ob ich denn überhaupt in die Abteilwagen eingelassen werde.
Aber nach etwas Zuspruch und praktischen Tipps von erfahrenen Bahnfahrern buche ich eine Fahrkarte für mich und 2 mal Extra-Bagage. 13Zł + 2*5.10Zł, Summe 23.20Zł, =5.40€ für 36 Bahn-Kilometer.
Es kann losgehen!
Ein schickes Ticket:

Mittwoch Abend, Dienstschluss 19:35 Uhr, ich demmle nach Hause, ziehe mich um, packe die letzten Sachen in den Wagen und starte um ¾9 in Richtung Osten. Der gewöhnliche Feierabendstau oder schlimmer noch der Himmelfahrtswochenendstau raus aus Berlin ist längst vorüber. Tempomat eingelegt, und der Urlaub beginnt. Auch die polnischen Landstraßen 22 und 24 sind bereits verwaist. Nur einmal mache ich einen Fehler und folge meinem Navi auf eine Nebenstraße, die sich sofort als Katastrophe herausstellt, immer wieder rote Baustellenampeln. Also kehre ich um und bleibe auf der schnurgeraden Strecke 20km durch den Königswalder Forst.
Nach 160km stehe ich in Meseritz auf dem Parkplatz am Obraufer, direkt vor dem Eingang zum Fußballstadion. Auf einer Bank am Ufer unterhalten sich zwei Männer, jetzt noch, kurz vor Mitternacht.
Hier mitten in der Stadt kann ich natürlich kein Zelt aufbauen. Stattdessen klappe ich einfach die Lehne des Autositzes nach hinten und lege mich in den Schlafsack. Diese Nacht soll kalt werden, ich merke das jetzt schon. Aber ich habe vorgesorgt und ein paar zusätzliche Klamotten übergestreift, die morgen früh im Wagen bleiben sollen.
Donnerstag, Himmelfahrtstag
Früh um ½7 säuselt mich der Handy-Wecker aus dem Schlaf. So ungeübt, wie ich im Alleinepacken bin, will ich mich nicht unter Zeitdruck setzen. Den Rest von gestern Abend aufgegessen, ein Schluck Wasser dazu, dann geht es ans Packen. Aber irgendwie habe ich heute kein so glückliches Händchen wie bei meiner letzten Solo-Tour. Ich schaffe es nicht, den Ortlieb Extremer XXL auf dem recht rundlichen Ally-Sack festzuschnallen. Der Ortlieb war damals wahrscheinlich nicht so vollgepackt und dadurch etwas flacher. Diesmal sind zB eine Regenjacke, das Pelicase und das große Stativ neu dabei.

Also hucke ich mir den schweren Ortliebsack auf den Rücken, in einer Hand den Tagesrucksack, an dem der leere 6L-Wasserbehälter baumelt, in der anderen das Boot auf dem Bootswagen (29kg). Die 20kg auf dem Rücken ohne Hüftgurt drücken ganz schön, aber bis zum Bahnhof wirds schon gehen. Ja, das ist eine ganze Menge Gepäck, was halt Canadierfahrer so gewöhnt sind, obwohl ich einen Teil bereits auf ultraleicht umgestellt habe. Die Faltkajak- und Packraftpaddler schmunzeln zurecht.
Ultralight:

Ultraheavy (konnte mich nicht entscheiden, am Ende blieben nur die Tevas unbenutzt):

Kurz nach 7 mache ich mich auf den knapp 1km Weg und bin 12min später überpünktlich auf dem Bahnsteig.
Der Bahnhof ist fast unverändert aus deutscher Zeit überkommen. Nur die Klinkerfassade ist nach der Wende mal gereinigt worden, wobei aber einige Partien übersehen wurden. Selbst ein paar der Holzschwellen meines Bahnsteiggleises scheinen noch original zu sein. Farbtupfer erhält der Bahnhof durch den roten Klatschmohn, der hier überall im Schotterbett gedeiht. Schön ist, dass man ebenerdig über die Gleise gehen kann, um seinen Bahnsteig zu erreichen.




Kurz nach halb 8 fährt mein Zug ein. Der PKP-Intercity besteht aus einer Rangierlok und 3 Abteilwagen 2. Klasse. Zum Glück ist er nur schwach belegt. Ich steige in den letzten Waggon ganz am Ende ein und stelle das Gepäck gleich dort ab. Als ich das Boot hochhieven will, bietet mir ein junger Mann Hilfe an, Pomoc. Ich dachte erst, er will auch mitfahren, aber er steigt wieder aus.
Das letzte Abteil ist unbesetzt und wird jetzt meins.
Die Schaffnerin kommt auch gleich vorbei und meckert erst Mal wegen dem Gepäck. Der Ortlieb-Sack verbaut die Tür und muss da weg.

Dann scannt sie meine Fahrkarte vom Handybildschirm und lächelt wieder. Ich verstehe zwar nur Bruchstücke, aber ich glaube sie lobt mich, weil ich korrekt 2x Bagage gebucht habe. Dabei ist sie so eine strenge, resolute, verbindliche, eine der ich ein Lächeln gar nicht zugetraut habe. Sie ist wahrscheinlich nur froh, jetzt nicht noch von einem Ausländer Nachzahlung fordern zu müssen. Sowas geht ja heutzutage kaum noch ohne sinnlose Diskussion oder Schlimmeres über die Bühne, nach dem, was man so liest.
In Neu-Bentschen/Zbąszynek wird eine größere Lokomotive ans ehemalige Heck gekoppelt, nun sitze ich vorne. Eine Station weiter erweist sich das als Vorteil, denn der Ausgang ist nun ganz nah. Hier in Bentschen/Zbąszyń muss ich raus. Leider kann man nicht ebenerdig über die Gleise gehen, ich muss das ganze Gepäck in einen dunklen Tunnel runterwuchten und wieder hinauf.
Auch hier in Bentschen versuche ich gar nicht erst, den Ortlieb auf das Boot zu packen. ganz so weit ist es ja nicht bis zum Wasser. Unterwegs halte ich an einem Dino Supermarkt, um Verpflegung und Getränke einzukaufen. Ich habe allerdings bereits so viel Verpflegung einstecken, das ich mich auf eine Packung Spaghetti beschränke. Zu trinken gibt es 1½L Bier und einen ½L Żubrówka.
Herrentagsgedeck:

Der Dino führt nur diese eine Sorte Bier in Plastikflaschen, und andere Verpackungen kommen für mich nicht in Frage. Plastikflaschen sind leicht und wiederverschließbar. Eigentlich wollte ich den Wodka auch noch in eine Plastikflasche umfüllen, habe es dann aber gelassen.
Ins Zentrum des Ortes gelange ich heute nicht. Hier steht das Bronze-Denkmal für den einsamen Paddler am Ufer der Obra, ich habe es vor 4 Jahren besucht:

Nach insgesamt 1.7km erreiche ich die Obra, direkt an der alten Eisenbahnbrücke. Heute ist die vielbefahrene Eisenbahnlinie offenbar Teil des 'Nowy Jedwabny Szlak', der 'Neuen Chinesischen Seidenstraße'.

Hier gibt es eine schöne Aufbauwiese, und man gelangt gut ans Wasser. Der Aufbau des Bootes gelingt ganz gut, alles sitzt, wie es soll, was sich vor allem auf die Bodenmatte bezieht, die man genau ausrichten muss.

Das fertige Boot verfrachte ich unter die Brücke ins Wasser und beschwere es mit dem Gepäck. Dann laufe ich noch mal los zu den nächstgelegenen Häusern, um den 6L-Wasserbehälter aufzufüllen. Leider finden sich keine Klingeln an den Einfamilienhäusern. Eine Toreinfahrt steht halb offen, ich schaue hinein, rufe, und zeitgleich zeigt sich ein älterer Mann an einem geschlossenen Fenster. Ich deute auf den Wasserbehälter und er zeigt nach hinten in den Garten, wo ich mir am Gartenwasserhahn was zapfen kann. Besten Dank, das ging fix.

Kurz vor ½11, nun kann es endlich losgehen. Aber was ist das? Nur 100m hinter meiner Einsatzstelle, hinter der ersten Kurve, liegt der erste Baum quer im Wasser. Na das kann ja heiter werden.

Der Baum ist frisch gefallen und lässt mir keine Lücke. Vor ihm sammelt sich der Schaum wohl aus dem Kläranlagenablauf wenige Meter oberhalb. Die Ufer sind wegen dem niedrigen Wasserstand hoch und steil und dicht bewachsen, Umtragen wäre umständlich. Also krame ich die Säge raus und beginne mir einen Weg freizuschneiden. An einer Stelle liegt der Baumstamm recht niedrig, hier müsste ich das beladene Boot rüberwuchten können. Aber da muss ich erst mal hinkommen. Die meiste Zeit säge ich auf dem Baum stehend. Nach 12min bin ich damit fertig und das Boot liegt auf der anderen Seite des Baumstammes. Nun noch ein beherzter spagatähnlicher Schritt ins Boot, und es geht weiter.

Den Rest des Tages muss ich übrigens keine durchgehende Baumsperre mehr überwinden. Aber das weiß ich erst am Abend, die Spannung bleibt.
Stattdessen überwiegen jetzt die schönen Momente.

Wer will, kann entlang der Obra immer wieder auch auf ausgewiesenen Biwak- und privaten Campingplätzen übernachten:


Das Dorf Strese/Strzyżewo:


Freiluft-Klassenraum einer privaten Grundschule, wenn ich das richtig verstanden habe:

Natürlich geht es auf den Tafeln um die Tiere und Pflanzen der Heimat.



Schwäne, abstreichender Graureiher:


Kormorane:

Stuka:

Zeitweise verfolge ich die zwei Schwäne oben, die mehrere hundert Meter mit kläglichen Angstlauten vor mir her schwimmen, weil sie wegen Baumsperren nicht in die Luft starten können. Mein gebannter Blick auf die nahen Schwäne übersieht dabei leider einen Seeadler, der direkt vor mir auf einem niedrigen Baum überm Fluss sitzt. Erst als er 5m vor mir abstreift sehe ich den prächtigen Vogel mit seinem weißen Schwanz. Im Laufe des Tages erkenne ich noch mehrfach Seeadler hoch am Himmel, doch für ein Foto langt es später nur ein einziges mal.
Man fährt hier übrigens bis Tirschtiegel/Trzciel auf der Grenze zwischen den ehemaligen Preußischen Provinzen Mark Brandenburg am Westufer und Posen am Ostufer. 1920 fiel die Provinz Posen infolge des Versailler Vertrags an Polen, während des 2. WK hieß das Land am östlichen Obra-Ufer Reichsgau Wartheland, und heute ist es die Grenze zwischen den polnischen Wojewodschaften Lebus und Großpolen.


Vorbei an den Dörfern Neuland Rajewo/Piaski und Strese/Strzyzewo erreiche ich nach 8km den Naßlettelsee/Jez. Lutol (oder Głębno?). Jeder der Seen auf der Obra-Kanuroute ist mit einem Schild an der Einfahrt gekennzeichnet:


Idyllische Wohnlage:


Am NO-Ufer des Sees ist ein Biwakplatz ausgewiesen:

Gegenüber, auf der 'Koppel', einer Halbinsel, die von Norden in den See hineinragt, mache ich 1¼h Pause, meinen bisher ausstehenden Morgenkaffee zubereiten.


Ein herrlicher Wald bedeckt die Halbinsel:



Früher war das ein herausragend schönes und ruhiges Plätzchen. Seit dem Bau der "Autobahn der Freiheit" jedoch ist es mit der absoluten Ruhe vorbei. Trotzdem sie der Autobahnbrücke in Richtung See eine gläserne Lärmschutzwand spendiert haben, lärmen unablässig die LKW auf der Hauptstrecke zwischen Ost und West. Zumindest bin ich diesmal davon nicht so überrascht wie vor 4 Jahren, und rein visuell ist es immer noch ein sehr schöner Ort. Rheintalbewohner würden ihn sogar still nennen. Zumindest sind die Vogelstimmen immer noch lauter als die Autobahngeräusche.
Kurz bevor ich nach 1¼h wieder ablege, passieren 3 junge polnische Tupperschüssel-Kajakfahrer die Halbinsel. Sie sind wie ich in Bentschen gestartet und werden ihren Paddeltag am Gelände des Bootsclubs in Tirschtiegel beenden.

Autobahn der Freiheit/Autostrada Wolności:

Viel Holz im Wasser:






Ausfahrt auf den Mühlensee/Jez. Młyńskie, am Horizont die Kirchturmspitze von Tirschtiegel:


Quasi am seeseitigen Ortseingang von Tirschtiegel liegt ein Kanuklub(?). Hier liegen die Boote der 3 polnischen Paddler am Ufer:


Ringelnatter:

Am Ende der Tour zähle ich 7 Ringelnattern, die vor mir den Fluss querten. Davon schwamm nur eine von Ost nach West, alle anderen von West nach Ost.
Gegen 4 Uhr passiere ich Tirschtiegel. Die Stadt ist bekannt für ihre Korb- und Schilfprodukte (Möbel, Körbe) und den Spargelanbau. Vom Wasser aus sieht man nicht allzuviel, aber ab und zu gibt es nette Blicke, zB auf den 1903 erbauten Turm der Stadtkirche. Oder auch dieses Haus am Ufer an der Stadtbrücke.


Gleich hinter der Stadtbrücke, an der Bibliothek, soll das ausgebaute Ufer zum Anlegen und campieren einladen. Hier stand früher eine Tafel mit genauen Informationen, wie man sich im folgenden Naturschutzgebiet “Großer See”/Rezerwat przyrody “Jezioro Wielkie” zu verhalten hat. Diese fehlt heute. Vor 10 Jahren galt folgendes: “Auf dem Gebiet des Reservates ist es verboten: - sich aufzuhalten - zu angeln - Boot zu fahren. Dies gilt nicht für Teilnehmer von Kajakwanderungen auf der Obra-Kajakroute, die durch das Reservat "Jezioro Wielkie" abwärts fahren. Gruppen von Kajakwanderern unter Aufsicht von Organisatoren dürfen nur die festgelegte Trasse in der Zeit vom 15. Juni bis 31. August zwischen Sonnenauf- und untergang befahren und nicht am rechten Ufer, an den Inseln und im Schilf aufhalten. Achtung! Der Organisator der Kajakwanderung ist verpflichtet, für das Durchqueren des Reservates jedesmal die Einwilligung des Psczewski-Naturparks zu erlangen. Zuwiderhandelnde gegen diese Anordnung haben eine Strafe lt. Gesetz vom 16. Dezember 1991 über den Schutz der Natur zu erwarten.” Das war ziemlich streng damals.
Seit 2013 lautete die Information nur noch, dass Wassertouristen sich entlang einer orangefarbenen Bojenreihe über den See bewegen dürfen. Es gab keinerlei Einschränkung des Befahrungszeitraumes mehr, zumindest wurde sie in der zitierten Quelle nicht kundgetan. Soweit mein Kenntnisstand zu Himmelfahrt.
Kurz vor der ebenfalls neuen Brücke der ehemaligen Ost-West-Hauptverbindungsstraße nördlich von Tirschtiegel liegt links die mächtig stinkende Kläranlage. Der Auslauf ergießt sich gut sichtbar in den Fluss:

Danach passiert man noch rechterhand eine große Fischzucht, und dann taucht man ein in pure Natur, ein Naturparadies, wie man es nur selten findet hier südlich des Thorn-Eberswalder Urstromtals. Es entstand von 18.000 bis 15.000 v. Chr. und ist damit das jüngste und nördlichste der drei großen weichselzeitlichen Urstromtäler. Diese Abbildung zeigt, dass die Obra sogar ihr eigenes kleines Urstromtal hat, eine Verbindung zwischen dem Warschau-Berliner zum Thorn-Eberswalder Urstromtal.
Schon der letzte Kilometer der Obra vor dem Großen See/Jez. Wielkie ist phantastisch. Vor 100 Jahren war das noch Teil des Großen Sees, aber die Verlandung schreitet hier schnell voran. Die Obra schlängelt sich teils durch mannshohes Schilf, teils durch einen Dschungel aus großen Weiden:

Vor Jahren ist uns hier mal ein Hirsch vor dem Boot durch die Obra geschwommen. Damals mussten wir uns hier auch 2x durch umgestürzte Bäume sägen. Aber heute bleibt mir das Glück hold und ich habe weitgehend freie Fahrt.
¾5 erreiche ich den See. Große Teile des Südteils sind von Teichrosen bewachsen. Die mittlere Tiefe des gesamten Sees beträgt nur 2.1m. Von einer orangefarbenen Bojenreihe ist keine Spur mehr zu sehen. Ist die Befahrung des Sees jetzt völlig frei?


Auf dem See empfängt mich ein pralles Vogelleben:



Dutzende Trauerseeschwalben, Flussseeschwalben und Lachmöwen düsen durch den Himmel. Den Nestern komme ich offenbar nicht zu nahe, denn sie lassen sich bei der Futtersuche nicht stören und greifen nicht an (Gegenbeispiel).
Hier verweile ich schon mal länger. Es ist faszinierend, diesen perfekten Fliegern zuzuschauen (Fremdaufnahmen).
Trauerseeschwalben:






Es ist extrem schwierig, die schnellen Flieger, die dazu noch ständig ihre Richtung wechseln, formatfüllend auf die Platte zu bekommen. Da bin ich froh, wenn sich mal einer in die Nähe setzt:


Daneben sehe ich viele Graureiher und Schwäne auf dem Wasser, in den Sümpfen im Umland des Sees trompeten die Kraniche, und hoch oben kreist wieder ein Seeadler. Insgesamt wurden im Naturschutzgebiet Großer See bereits 120 Vogelarten nachgewiesen, 32 Arten brüten im Gebiet, darunter etliche gefährdete Arten.
Einen ½km weiter passiere ich die Freiers-Insel mit einer Kormoran-Kolonie. Auch hier reges Treiben bei der Fütterung der Jungen:


Und wieder 1km weiter sammeln sich Flussseeschwalben auf einer Ansammlung von Findlingen mitten im See, die wahrscheinlich nur bei niedrigen Wasserständen herausragen.



Zuhause entpuppen sich die “Findlinge” auf den Fotos als ausgehärtete ganze Zementsäcke, die wahrscheinlich mit voller Naturschutz-Absicht mitten im See platziert wurden.

Und so sehen Seeschwalbenbilder vom Profi aus.
Ich wollte schon immer mal wissen, ob man am Nordende bis zum Heidemühler See/Jez. Wędromierz durchpaddeln kann. Genügend Zeit habe ich, also lasse ich die Obra links liegen und paddle weiter nach Norden.
Ganz am Nordende des Sees, der Teil heißt jetzt Nachtigallen-See und liegt schon wieder außerhalb der Grenzen des Naturschutzgebietes, findet sich eine Lachmöwen-Kolonie.
Hier erwische ich doch noch einen jungen Seeadler:

Mannoman, was für ein Abschnitt! So ein pralles Vogelleben habe ich schon lange nicht mehr erleben dürfen.

Die Mündung ist noch leicht zu finden, aber dann geht es einen schmalen, ordentlich fließenden Bach aufwärts. Die erste Kurve paddle ich noch und stake mit dem Paddel, dann steige ich aus und ziehe das Boot stromauf.

Als es dann vor mir auch noch zugewachsen ist, beende ich den heutigen Paddeltag nach knapp 22km auf dem Wasser.

Ich ziehe das Boot auf eine kleine Lichtung, von der aus ein Tierpfad 30m hoch in den Wald führt. Ein schöner Platz, bewegtes Relief, vielleicht kein Traumcampingplatz so ohne gepflegten Kurzrasen, aber mit schönen Blicken in 3 Richtungen (hinter mir eine Fichtendickung).

Der Boden ist vielfach aufgewühlt, bis 1½m-hohe Büsche und Bäume zeigen arge Verbissspuren. Es ist offenbar eine wildreiche Gegend.
Große Eichen stehen in einer Reihe am Talrand, angepflanzt noch in deutscher Zeit. Die tiefstehende Sonne lässt den Wald in warmen Farben erstrahlen. Von Wildnis kann man hier nicht sprechen, aber es ist doch ein schönes Stück Natur, oder besser 'Kulturfolgelandschaft'.
Das Zelt wird auf einer gerade mal 2m langen und ½m breiten halbwegs ebenen Stelle mit trockenem Eichenlaub als weicher Unterlage aufgebaut. Leider musste ich wieder zum schlecht belüfteten Vaude Powerlizard UL 1-2 greifen, da mein luftiges MSR Carbon Reflex 2 schon ewig wegen Gestängeschaden beim MSR-'Kundendienst' liegt.
Nachdem das Lager eingerichtet, der neue Aldi-Luftsessel gefüllt und ein paar Fotos vom Wald im Kasten sind, gehe ich nochmal vor zum Bach, um das Boot abzudecken. Ich krame gerade die Spritzdecke aus der Verpackung, da höre ich ein mächtiges Rauschen und anschließendes Schwingenschlagen ganz nah über mir. Sollte das schon wieder ein Adler sein? Nein, es wird noch besser.
Ein Schwarzstorch versucht, wieder Höhe zu gewinnen. Wahrscheinlich wollte er genau hier auf der kleinen Lichtung landen, dem einzigen Platz am Bach, der aus der Luft erreichbar ist. Er dreht noch eine Runde dicht über den niedrigen Bäumen und wird dabei von der tiefstehenden Abendsonne perfekt angestrahlt. Ein phantastisches Bild mit dem tiefblauem Himmel im Hintergrund. Leider ist die Kamera nicht zur Hand und ich wäre auch nie so schnell gewesen. Aber dieses Bild werde ich auch so nicht so rasch vergessen. Dieses Fremdfoto kommt dem Gesehenen aber schon ziemlich nahe.
Schwarzstörche habe ich schon öfter gesehen, aber immer weit weg, in Bulgarien, im Baltikum, der Ukraine, der Türkei, aber nie bei uns zu Hause. Und nun hier, in der ehemaligen Provinz Brandenburg. So gut und so nah! In Polen leben mit ~1000 ca. doppelt so viele Schwarzstörche wie in Deutschland.
Anstatt eines eigenen Bildes vom Schwarzstorch muss hier das seiner Hinterlassenschaften an seinem Wunschlandeplatz am Bach genügen:

Zufrieden lasse ich den Herrentag im bequemen Luftsessel ausklingen. Es ist windstill und warm, aber zu meinem Erstaunen sind kaum Mücken unterwegs. Dabei müsste es hier angesichts der sumpfigen Bach- und Seeufer von Mücken nur so wimmeln. Vielleicht liegt auch das an der starken Trockenheit. An den Uferbäumen lässt sich erkennen, dass der Wasserstand früher auch mal einen halben Meter höher war.


Ich lasse die Blicke durch den Wald schweifen, ob sich noch ein schöner Gast sehen lässt, und lausche den Geräuschen der Tierwelt. Und die sind nicht ohne! Hinter der Fichtendickung höre ich eine Zeit lang ein mächtiges schnaufen, grummeln und grunzen, aber von so tiefer Stimmlage, wie ich sie nur bei einem sehr großen Eber erwarten würde, eher noch einem Auerochsen. Einen Eber, wie ihn zuvor nur noch das tapfere Schneiderlein zu Gesicht bekam. Das Tier machte ganz klar seinem Ärger über meine Anwesenheit in seinem Revier Luft, hat sich dann aber verzogen.
Ich weiß gar nicht, ist das hier eventuell bereits ein Wisent-Revier? Die nächstgelegenen Siedlungsgebiete sind, dachte ich, noch ~50km entfernt? Eine Karte mit GPS-übermittelten aktuellen Standorten der westpommerschen Wisente zeigt neben den relativ standorttreuen Herden einzelne Sichtungen wandernder Wisente ('Wędrówki żubrów'). Demzufolge bewegen sie sich entlang der Netze- und der Wartheniederung in Richtung Oder. Einer hat es sogar schon bis auf das Westufer der Oder geschafft, wurde aber hier in Deutschland umgehend abgeschossen. Hier ein Foto dieses prächtigen Bullen.
Auch später in der Nacht höre ich nahe dem Boot immer wieder wütendes Geplantsche. Macht sich da einer an meinem Boot zu schaffen? Haut seine Eckzähne in die zarte Bootshaut? Oder springen die Tiere rücksichtsvoll über das Boot ins Wasser? Hoffentlich sind sie nicht so dämlich und treten mit ihren scharfen Hufen in die Spritzdecke und brechen sich die Beine. Immerhin liegt der Kahn quer im Weg des Wildwechsels.
Vertrauter, wenn auch immer wieder schön schauerlich, klingen da die Schreie der Eulen in der Nacht. Ich habe mit dem Handy ein paar Tonaufnahmen versucht, leider immer etwas zu spät. Erst waren die Tiere viel näher dran. Hier meine Aufnahme, Waldkauz und Froschkonzert, das mächtige Rauschen kommt nicht vom Wind, ich lag ja im Zelt, sondern ist das Grundrauschen meines Mi-Phones und dazu etwas Magengrummeln.
Man vernimmt hier in diesem Wald so viele interessante Geräusche, dass man eigentlich immer aufnehmen müsste. Ideal wäre ein Gerät wie eine Dashcam, die ständig aufnimmt und, sobald man etwas Interessantes vernommen hat, auf Knopfdruck die letzten Minuten permanent abspeichert.
Solange man noch draußen sitzt, geht das noch ganz gut mit der Zuordnung der fremdartigen Geräusche (den Rieseneber habe ich draußen gehört). Aber im Zelt ist das nochmal was anderes. Da fehlt mir dann die schnelle visuelle Kontrolle, besonders bei Geräuschen im Nahbereich.
Gegen halb 11 beende ich den Tag und krieche in den Schlafsack.
Ein Tag voller Naturerlebnis geht zu Ende, Naturerlebnis, wie ich es kaum erwartet habe und in dieser Intensität wohl nur alleine erleben kann. In der Gruppe, schon zu zweit, kommt davon nur noch die Hälfte bei mir an.
Der Tag heute war so außergewöhnlich, so erlebnisreich, den musste ich einfach in allen Details für mich festhalten. Die folgenden Tage werden kürzer abgehandelt, versprochen.
Das Himmelfahrtwochenende stand an. Andrea hatte zu diesen Tagen zwei Termine Pantomimeübungen, also eine gemeinsame Tour war nicht drin, so dass ich zunächst keinen Urlaub beantragt hatte. Am Montag vor Himmelfahrt erfuhr ich, dass noch keiner meiner Kollegen Freitag freinimmt. Das war für mich das Zeichen, doch noch einen Tag Urlaub zu beantragen, und meine einzige Chance in diesem Jahr zu nutzen, nach Ostern noch einmal 4 zusammenhängende Tage aufs Wasser zu kommen - für eine Solotour (neben den 50 Tagen geplante Fernreise 3 Monate später).
Nun habe ich überlegt, wohin es denn gehen sollte. Im Outdoorseitenforum wurde schon monatelang die Himmelfahrtsforumspaddeltour diskutiert, und ich habe überlegt, mich anzuschließen. Es war nicht im hintersten Winkel der Republik, und man könnte mal ein paar Paddler vom Outdoorseitenforum kennenlernen. Bisher kenne ich ja nur die vom Canadier-Forum und vom Faltboot-Forum.
Dagegen sprachen allerdings auch eine Reihe von Punkten. Als passioniertem Wildcamper ist es mir ein Graus, auf offiziellen Campingplätzen zu übernachten. Es ist teuer dort und unruhig. Zum Pinkeln muss man ewig bis aufs Klo latschen. Wahrscheinlich würden sich die anderen Gäste auch über den Qualm von meinem Künzi aufregen. Die geplanten Tagesetappen waren recht kurz, damit auch die SUP-Paddler eine Chance haben. Zudem kannte ich den größten Teil der Strecke bereits (1, 2).
So habe ich mir überlegt, von Lobositz/Lovosice aus zu starten und die Gruppe in Radebeul oder in Meissen einzuholen. Dann hätte ich nur ein oder zwei Übernachtungen in Bootshäusern, und würde oberhalb wild campen können (wobei das im Oberen Elbtal auch nicht ganz stressfrei ist). Vor allem aber hätte man den Beginn der Vulkanstrecke des Böhmischen Mittelgebirges mitgenommen, einen Abschnitt, den ich wirklich gerne gesehen hätte. Aber dann habe ich mir die Entfernungen ausgerechnet, und fand die dafür nötigen Tagesetappen dann auch für mich viel zu lang. Zudem wäre ich viel zu spät in der Nacht in Lobositz angekommen, da ich nach der Arbeit frühestens 20 Uhr aus Berlin loskomme.
Die einzige mir bekannte Berliner Teilnehmerin hatte ich bezüglich Mitfahrgelegenheiten angeschrieben, sie hat sich aber nicht zurückgemeldet.
Also habe ich dann etwas Näherliegendes gesucht. Die Oder sollte es nicht wieder gleich werden, da waren wir ja erst zu Ostern. Die Obra ist auch nicht weit weg, ich kenne sie bereits als hübschen kleinen Fluss in recht natürlicher Landschaft. Im Vergleich zur Oder wäre das allerdings ein wahres Abenteuer.
Die Obra ist bekannt für ihren Holzreichtum, dh es liegen sehr viele umgestürzte Bäume im Wasser. Zudem ist mir völlig unklar, ob der kleine Fluss zur Zeit überhaupt genügend Wasser führt. Wir haben ja hier im Osten bereits eineinhalb Jahre nahezu Dürre. Die Grundwasserstände sind niedrig wie nie und haben sich auch im Winter 2018/2019 nicht erholt. Dennoch will ich es wagen. Natur, Einsamkeit und Abenteuer pur anstatt jeden Abend Geselligkeit bis nach Mitternacht, schnarchende Zeltnachbarn, dröhnende Eisenbahnen und Straßenverkehrsgeräusche im dichtbesiedelten Elbtal. Spartanische Minimalernährung anstatt jeden Abend opulente Gaststättenportionen. Vollkommene Unabhängigkeit.
Ja, so soll es sein!
Nun kommt die Frage, welchen Abschnitt ich ins Auge fassen sollte. Der Unterlauf von Meseritz bis Schwerin a.d.W./Skwierzyna wird wohl zur Zeit gänzlich unfahrbar sein. Hier liegen Dutzende umgestürzte Bäume im Fluss und sperren den Lauf über die gesamte Breite. Einen Eindruck vermittelt der Fahrtbericht einer einzelreisenden Dame: First British Solo Descent of the River Obra. Zitat: “Discovering places untouched by British Tourism is always an adventure ... in my mind it had became a psychological endurance test between me and the river. .... I couldn’t even reach my mobile phone to call for help.” !!!

Die Wikinger haben den Fluss vor Jahren auch schon befahren und vermessen, hier ein Auszug ihrer Dokumentation der Baumhindernisse:

Der Oberlauf ab Kopan/Kopanica, den wir vor 4 Jahren unter den Kiel nahmen, ist vielleicht schon leergelaufen oder zugewachsen und außerdem nicht besonders gut öffentlich erreichbar.
So fällt meine Wahl auf den Abschnitt Bentschen/Zbąszyń bis Meseritz/Międzyrzecz. Ich fahre mit dem Auto am Mittwoch Abend nach Meseritz, übernachte am Flussufer, und fahre am nächsten Morgen mit verpacktem Faltboot und allem Bagage mit der Bahn nach Bentschen. Die Tour selbst ist nicht allzu lang, nur ~50 Flusskilometer. Auch hier gibt es immer wieder Abschnitte, die wir aus der Vergangenheit mit etlichen ernsten Baumhindernissen kennen. Am Ende der Tour, Sonntag Abend oder Montag Vormittag, lande ich in Meseritz direkt beim Auto an. Perfekt, mein Plan.
Übersichtskarte des geplanten Abschnitts:

Eine sehr wald- und gewässerreiche Gegend.
Nun geht es ans Fahrkarte kaufen. Es gibt eine einzige Zugverbindung, bei der ich nicht umsteigen müsste. Dieser Zug fährt bereits früh um 7:37 Uhr in Meseritz ab, ein PKP-Intercity. Der passt perfekt in meinen Plan. Ich finde sogar einen Wagenstandsanzeiger im Netz. Fahrradmitnahme ist verboten und ich erkenne auch keinerlei Großraumwaggon, der Platz für mein umfangreiches Gepäck hätte. Ich habe meine Zweifel, ob ich denn überhaupt in die Abteilwagen eingelassen werde.
Aber nach etwas Zuspruch und praktischen Tipps von erfahrenen Bahnfahrern buche ich eine Fahrkarte für mich und 2 mal Extra-Bagage. 13Zł + 2*5.10Zł, Summe 23.20Zł, =5.40€ für 36 Bahn-Kilometer.
Es kann losgehen!
Ein schickes Ticket:

Mittwoch Abend, Dienstschluss 19:35 Uhr, ich demmle nach Hause, ziehe mich um, packe die letzten Sachen in den Wagen und starte um ¾9 in Richtung Osten. Der gewöhnliche Feierabendstau oder schlimmer noch der Himmelfahrtswochenendstau raus aus Berlin ist längst vorüber. Tempomat eingelegt, und der Urlaub beginnt. Auch die polnischen Landstraßen 22 und 24 sind bereits verwaist. Nur einmal mache ich einen Fehler und folge meinem Navi auf eine Nebenstraße, die sich sofort als Katastrophe herausstellt, immer wieder rote Baustellenampeln. Also kehre ich um und bleibe auf der schnurgeraden Strecke 20km durch den Königswalder Forst.
Nach 160km stehe ich in Meseritz auf dem Parkplatz am Obraufer, direkt vor dem Eingang zum Fußballstadion. Auf einer Bank am Ufer unterhalten sich zwei Männer, jetzt noch, kurz vor Mitternacht.
Hier mitten in der Stadt kann ich natürlich kein Zelt aufbauen. Stattdessen klappe ich einfach die Lehne des Autositzes nach hinten und lege mich in den Schlafsack. Diese Nacht soll kalt werden, ich merke das jetzt schon. Aber ich habe vorgesorgt und ein paar zusätzliche Klamotten übergestreift, die morgen früh im Wagen bleiben sollen.
Donnerstag, Himmelfahrtstag
Früh um ½7 säuselt mich der Handy-Wecker aus dem Schlaf. So ungeübt, wie ich im Alleinepacken bin, will ich mich nicht unter Zeitdruck setzen. Den Rest von gestern Abend aufgegessen, ein Schluck Wasser dazu, dann geht es ans Packen. Aber irgendwie habe ich heute kein so glückliches Händchen wie bei meiner letzten Solo-Tour. Ich schaffe es nicht, den Ortlieb Extremer XXL auf dem recht rundlichen Ally-Sack festzuschnallen. Der Ortlieb war damals wahrscheinlich nicht so vollgepackt und dadurch etwas flacher. Diesmal sind zB eine Regenjacke, das Pelicase und das große Stativ neu dabei.

Also hucke ich mir den schweren Ortliebsack auf den Rücken, in einer Hand den Tagesrucksack, an dem der leere 6L-Wasserbehälter baumelt, in der anderen das Boot auf dem Bootswagen (29kg). Die 20kg auf dem Rücken ohne Hüftgurt drücken ganz schön, aber bis zum Bahnhof wirds schon gehen. Ja, das ist eine ganze Menge Gepäck, was halt Canadierfahrer so gewöhnt sind, obwohl ich einen Teil bereits auf ultraleicht umgestellt habe. Die Faltkajak- und Packraftpaddler schmunzeln zurecht.
Ultralight:

Ultraheavy (konnte mich nicht entscheiden, am Ende blieben nur die Tevas unbenutzt):

Kurz nach 7 mache ich mich auf den knapp 1km Weg und bin 12min später überpünktlich auf dem Bahnsteig.
Der Bahnhof ist fast unverändert aus deutscher Zeit überkommen. Nur die Klinkerfassade ist nach der Wende mal gereinigt worden, wobei aber einige Partien übersehen wurden. Selbst ein paar der Holzschwellen meines Bahnsteiggleises scheinen noch original zu sein. Farbtupfer erhält der Bahnhof durch den roten Klatschmohn, der hier überall im Schotterbett gedeiht. Schön ist, dass man ebenerdig über die Gleise gehen kann, um seinen Bahnsteig zu erreichen.




Kurz nach halb 8 fährt mein Zug ein. Der PKP-Intercity besteht aus einer Rangierlok und 3 Abteilwagen 2. Klasse. Zum Glück ist er nur schwach belegt. Ich steige in den letzten Waggon ganz am Ende ein und stelle das Gepäck gleich dort ab. Als ich das Boot hochhieven will, bietet mir ein junger Mann Hilfe an, Pomoc. Ich dachte erst, er will auch mitfahren, aber er steigt wieder aus.
Das letzte Abteil ist unbesetzt und wird jetzt meins.
Die Schaffnerin kommt auch gleich vorbei und meckert erst Mal wegen dem Gepäck. Der Ortlieb-Sack verbaut die Tür und muss da weg.

Dann scannt sie meine Fahrkarte vom Handybildschirm und lächelt wieder. Ich verstehe zwar nur Bruchstücke, aber ich glaube sie lobt mich, weil ich korrekt 2x Bagage gebucht habe. Dabei ist sie so eine strenge, resolute, verbindliche, eine der ich ein Lächeln gar nicht zugetraut habe. Sie ist wahrscheinlich nur froh, jetzt nicht noch von einem Ausländer Nachzahlung fordern zu müssen. Sowas geht ja heutzutage kaum noch ohne sinnlose Diskussion oder Schlimmeres über die Bühne, nach dem, was man so liest.
In Neu-Bentschen/Zbąszynek wird eine größere Lokomotive ans ehemalige Heck gekoppelt, nun sitze ich vorne. Eine Station weiter erweist sich das als Vorteil, denn der Ausgang ist nun ganz nah. Hier in Bentschen/Zbąszyń muss ich raus. Leider kann man nicht ebenerdig über die Gleise gehen, ich muss das ganze Gepäck in einen dunklen Tunnel runterwuchten und wieder hinauf.
Auch hier in Bentschen versuche ich gar nicht erst, den Ortlieb auf das Boot zu packen. ganz so weit ist es ja nicht bis zum Wasser. Unterwegs halte ich an einem Dino Supermarkt, um Verpflegung und Getränke einzukaufen. Ich habe allerdings bereits so viel Verpflegung einstecken, das ich mich auf eine Packung Spaghetti beschränke. Zu trinken gibt es 1½L Bier und einen ½L Żubrówka.
Herrentagsgedeck:

Der Dino führt nur diese eine Sorte Bier in Plastikflaschen, und andere Verpackungen kommen für mich nicht in Frage. Plastikflaschen sind leicht und wiederverschließbar. Eigentlich wollte ich den Wodka auch noch in eine Plastikflasche umfüllen, habe es dann aber gelassen.
Ins Zentrum des Ortes gelange ich heute nicht. Hier steht das Bronze-Denkmal für den einsamen Paddler am Ufer der Obra, ich habe es vor 4 Jahren besucht:

Nach insgesamt 1.7km erreiche ich die Obra, direkt an der alten Eisenbahnbrücke. Heute ist die vielbefahrene Eisenbahnlinie offenbar Teil des 'Nowy Jedwabny Szlak', der 'Neuen Chinesischen Seidenstraße'.

Hier gibt es eine schöne Aufbauwiese, und man gelangt gut ans Wasser. Der Aufbau des Bootes gelingt ganz gut, alles sitzt, wie es soll, was sich vor allem auf die Bodenmatte bezieht, die man genau ausrichten muss.

Das fertige Boot verfrachte ich unter die Brücke ins Wasser und beschwere es mit dem Gepäck. Dann laufe ich noch mal los zu den nächstgelegenen Häusern, um den 6L-Wasserbehälter aufzufüllen. Leider finden sich keine Klingeln an den Einfamilienhäusern. Eine Toreinfahrt steht halb offen, ich schaue hinein, rufe, und zeitgleich zeigt sich ein älterer Mann an einem geschlossenen Fenster. Ich deute auf den Wasserbehälter und er zeigt nach hinten in den Garten, wo ich mir am Gartenwasserhahn was zapfen kann. Besten Dank, das ging fix.

Kurz vor ½11, nun kann es endlich losgehen. Aber was ist das? Nur 100m hinter meiner Einsatzstelle, hinter der ersten Kurve, liegt der erste Baum quer im Wasser. Na das kann ja heiter werden.

Der Baum ist frisch gefallen und lässt mir keine Lücke. Vor ihm sammelt sich der Schaum wohl aus dem Kläranlagenablauf wenige Meter oberhalb. Die Ufer sind wegen dem niedrigen Wasserstand hoch und steil und dicht bewachsen, Umtragen wäre umständlich. Also krame ich die Säge raus und beginne mir einen Weg freizuschneiden. An einer Stelle liegt der Baumstamm recht niedrig, hier müsste ich das beladene Boot rüberwuchten können. Aber da muss ich erst mal hinkommen. Die meiste Zeit säge ich auf dem Baum stehend. Nach 12min bin ich damit fertig und das Boot liegt auf der anderen Seite des Baumstammes. Nun noch ein beherzter spagatähnlicher Schritt ins Boot, und es geht weiter.

Den Rest des Tages muss ich übrigens keine durchgehende Baumsperre mehr überwinden. Aber das weiß ich erst am Abend, die Spannung bleibt.
Stattdessen überwiegen jetzt die schönen Momente.

Wer will, kann entlang der Obra immer wieder auch auf ausgewiesenen Biwak- und privaten Campingplätzen übernachten:


Das Dorf Strese/Strzyżewo:


Freiluft-Klassenraum einer privaten Grundschule, wenn ich das richtig verstanden habe:

Natürlich geht es auf den Tafeln um die Tiere und Pflanzen der Heimat.



Schwäne, abstreichender Graureiher:


Kormorane:

Stuka:

Zeitweise verfolge ich die zwei Schwäne oben, die mehrere hundert Meter mit kläglichen Angstlauten vor mir her schwimmen, weil sie wegen Baumsperren nicht in die Luft starten können. Mein gebannter Blick auf die nahen Schwäne übersieht dabei leider einen Seeadler, der direkt vor mir auf einem niedrigen Baum überm Fluss sitzt. Erst als er 5m vor mir abstreift sehe ich den prächtigen Vogel mit seinem weißen Schwanz. Im Laufe des Tages erkenne ich noch mehrfach Seeadler hoch am Himmel, doch für ein Foto langt es später nur ein einziges mal.
Man fährt hier übrigens bis Tirschtiegel/Trzciel auf der Grenze zwischen den ehemaligen Preußischen Provinzen Mark Brandenburg am Westufer und Posen am Ostufer. 1920 fiel die Provinz Posen infolge des Versailler Vertrags an Polen, während des 2. WK hieß das Land am östlichen Obra-Ufer Reichsgau Wartheland, und heute ist es die Grenze zwischen den polnischen Wojewodschaften Lebus und Großpolen.


Vorbei an den Dörfern Neuland Rajewo/Piaski und Strese/Strzyzewo erreiche ich nach 8km den Naßlettelsee/Jez. Lutol (oder Głębno?). Jeder der Seen auf der Obra-Kanuroute ist mit einem Schild an der Einfahrt gekennzeichnet:


Idyllische Wohnlage:


Am NO-Ufer des Sees ist ein Biwakplatz ausgewiesen:

Gegenüber, auf der 'Koppel', einer Halbinsel, die von Norden in den See hineinragt, mache ich 1¼h Pause, meinen bisher ausstehenden Morgenkaffee zubereiten.


Ein herrlicher Wald bedeckt die Halbinsel:



Früher war das ein herausragend schönes und ruhiges Plätzchen. Seit dem Bau der "Autobahn der Freiheit" jedoch ist es mit der absoluten Ruhe vorbei. Trotzdem sie der Autobahnbrücke in Richtung See eine gläserne Lärmschutzwand spendiert haben, lärmen unablässig die LKW auf der Hauptstrecke zwischen Ost und West. Zumindest bin ich diesmal davon nicht so überrascht wie vor 4 Jahren, und rein visuell ist es immer noch ein sehr schöner Ort. Rheintalbewohner würden ihn sogar still nennen. Zumindest sind die Vogelstimmen immer noch lauter als die Autobahngeräusche.
Kurz bevor ich nach 1¼h wieder ablege, passieren 3 junge polnische Tupperschüssel-Kajakfahrer die Halbinsel. Sie sind wie ich in Bentschen gestartet und werden ihren Paddeltag am Gelände des Bootsclubs in Tirschtiegel beenden.

Autobahn der Freiheit/Autostrada Wolności:

Viel Holz im Wasser:






Ausfahrt auf den Mühlensee/Jez. Młyńskie, am Horizont die Kirchturmspitze von Tirschtiegel:


Quasi am seeseitigen Ortseingang von Tirschtiegel liegt ein Kanuklub(?). Hier liegen die Boote der 3 polnischen Paddler am Ufer:


Ringelnatter:

Am Ende der Tour zähle ich 7 Ringelnattern, die vor mir den Fluss querten. Davon schwamm nur eine von Ost nach West, alle anderen von West nach Ost.
Gegen 4 Uhr passiere ich Tirschtiegel. Die Stadt ist bekannt für ihre Korb- und Schilfprodukte (Möbel, Körbe) und den Spargelanbau. Vom Wasser aus sieht man nicht allzuviel, aber ab und zu gibt es nette Blicke, zB auf den 1903 erbauten Turm der Stadtkirche. Oder auch dieses Haus am Ufer an der Stadtbrücke.


Gleich hinter der Stadtbrücke, an der Bibliothek, soll das ausgebaute Ufer zum Anlegen und campieren einladen. Hier stand früher eine Tafel mit genauen Informationen, wie man sich im folgenden Naturschutzgebiet “Großer See”/Rezerwat przyrody “Jezioro Wielkie” zu verhalten hat. Diese fehlt heute. Vor 10 Jahren galt folgendes: “Auf dem Gebiet des Reservates ist es verboten: - sich aufzuhalten - zu angeln - Boot zu fahren. Dies gilt nicht für Teilnehmer von Kajakwanderungen auf der Obra-Kajakroute, die durch das Reservat "Jezioro Wielkie" abwärts fahren. Gruppen von Kajakwanderern unter Aufsicht von Organisatoren dürfen nur die festgelegte Trasse in der Zeit vom 15. Juni bis 31. August zwischen Sonnenauf- und untergang befahren und nicht am rechten Ufer, an den Inseln und im Schilf aufhalten. Achtung! Der Organisator der Kajakwanderung ist verpflichtet, für das Durchqueren des Reservates jedesmal die Einwilligung des Psczewski-Naturparks zu erlangen. Zuwiderhandelnde gegen diese Anordnung haben eine Strafe lt. Gesetz vom 16. Dezember 1991 über den Schutz der Natur zu erwarten.” Das war ziemlich streng damals.
Seit 2013 lautete die Information nur noch, dass Wassertouristen sich entlang einer orangefarbenen Bojenreihe über den See bewegen dürfen. Es gab keinerlei Einschränkung des Befahrungszeitraumes mehr, zumindest wurde sie in der zitierten Quelle nicht kundgetan. Soweit mein Kenntnisstand zu Himmelfahrt.
Kurz vor der ebenfalls neuen Brücke der ehemaligen Ost-West-Hauptverbindungsstraße nördlich von Tirschtiegel liegt links die mächtig stinkende Kläranlage. Der Auslauf ergießt sich gut sichtbar in den Fluss:

Danach passiert man noch rechterhand eine große Fischzucht, und dann taucht man ein in pure Natur, ein Naturparadies, wie man es nur selten findet hier südlich des Thorn-Eberswalder Urstromtals. Es entstand von 18.000 bis 15.000 v. Chr. und ist damit das jüngste und nördlichste der drei großen weichselzeitlichen Urstromtäler. Diese Abbildung zeigt, dass die Obra sogar ihr eigenes kleines Urstromtal hat, eine Verbindung zwischen dem Warschau-Berliner zum Thorn-Eberswalder Urstromtal.
Schon der letzte Kilometer der Obra vor dem Großen See/Jez. Wielkie ist phantastisch. Vor 100 Jahren war das noch Teil des Großen Sees, aber die Verlandung schreitet hier schnell voran. Die Obra schlängelt sich teils durch mannshohes Schilf, teils durch einen Dschungel aus großen Weiden:

Vor Jahren ist uns hier mal ein Hirsch vor dem Boot durch die Obra geschwommen. Damals mussten wir uns hier auch 2x durch umgestürzte Bäume sägen. Aber heute bleibt mir das Glück hold und ich habe weitgehend freie Fahrt.
¾5 erreiche ich den See. Große Teile des Südteils sind von Teichrosen bewachsen. Die mittlere Tiefe des gesamten Sees beträgt nur 2.1m. Von einer orangefarbenen Bojenreihe ist keine Spur mehr zu sehen. Ist die Befahrung des Sees jetzt völlig frei?


Auf dem See empfängt mich ein pralles Vogelleben:



Dutzende Trauerseeschwalben, Flussseeschwalben und Lachmöwen düsen durch den Himmel. Den Nestern komme ich offenbar nicht zu nahe, denn sie lassen sich bei der Futtersuche nicht stören und greifen nicht an (Gegenbeispiel).
Hier verweile ich schon mal länger. Es ist faszinierend, diesen perfekten Fliegern zuzuschauen (Fremdaufnahmen).
Trauerseeschwalben:






Es ist extrem schwierig, die schnellen Flieger, die dazu noch ständig ihre Richtung wechseln, formatfüllend auf die Platte zu bekommen. Da bin ich froh, wenn sich mal einer in die Nähe setzt:


Daneben sehe ich viele Graureiher und Schwäne auf dem Wasser, in den Sümpfen im Umland des Sees trompeten die Kraniche, und hoch oben kreist wieder ein Seeadler. Insgesamt wurden im Naturschutzgebiet Großer See bereits 120 Vogelarten nachgewiesen, 32 Arten brüten im Gebiet, darunter etliche gefährdete Arten.
Einen ½km weiter passiere ich die Freiers-Insel mit einer Kormoran-Kolonie. Auch hier reges Treiben bei der Fütterung der Jungen:


Und wieder 1km weiter sammeln sich Flussseeschwalben auf einer Ansammlung von Findlingen mitten im See, die wahrscheinlich nur bei niedrigen Wasserständen herausragen.



Zuhause entpuppen sich die “Findlinge” auf den Fotos als ausgehärtete ganze Zementsäcke, die wahrscheinlich mit voller Naturschutz-Absicht mitten im See platziert wurden.

Und so sehen Seeschwalbenbilder vom Profi aus.
Ich wollte schon immer mal wissen, ob man am Nordende bis zum Heidemühler See/Jez. Wędromierz durchpaddeln kann. Genügend Zeit habe ich, also lasse ich die Obra links liegen und paddle weiter nach Norden.
Ganz am Nordende des Sees, der Teil heißt jetzt Nachtigallen-See und liegt schon wieder außerhalb der Grenzen des Naturschutzgebietes, findet sich eine Lachmöwen-Kolonie.
Hier erwische ich doch noch einen jungen Seeadler:

Mannoman, was für ein Abschnitt! So ein pralles Vogelleben habe ich schon lange nicht mehr erleben dürfen.

Die Mündung ist noch leicht zu finden, aber dann geht es einen schmalen, ordentlich fließenden Bach aufwärts. Die erste Kurve paddle ich noch und stake mit dem Paddel, dann steige ich aus und ziehe das Boot stromauf.

Als es dann vor mir auch noch zugewachsen ist, beende ich den heutigen Paddeltag nach knapp 22km auf dem Wasser.

Ich ziehe das Boot auf eine kleine Lichtung, von der aus ein Tierpfad 30m hoch in den Wald führt. Ein schöner Platz, bewegtes Relief, vielleicht kein Traumcampingplatz so ohne gepflegten Kurzrasen, aber mit schönen Blicken in 3 Richtungen (hinter mir eine Fichtendickung).

Der Boden ist vielfach aufgewühlt, bis 1½m-hohe Büsche und Bäume zeigen arge Verbissspuren. Es ist offenbar eine wildreiche Gegend.
Große Eichen stehen in einer Reihe am Talrand, angepflanzt noch in deutscher Zeit. Die tiefstehende Sonne lässt den Wald in warmen Farben erstrahlen. Von Wildnis kann man hier nicht sprechen, aber es ist doch ein schönes Stück Natur, oder besser 'Kulturfolgelandschaft'.
Das Zelt wird auf einer gerade mal 2m langen und ½m breiten halbwegs ebenen Stelle mit trockenem Eichenlaub als weicher Unterlage aufgebaut. Leider musste ich wieder zum schlecht belüfteten Vaude Powerlizard UL 1-2 greifen, da mein luftiges MSR Carbon Reflex 2 schon ewig wegen Gestängeschaden beim MSR-'Kundendienst' liegt.
Nachdem das Lager eingerichtet, der neue Aldi-Luftsessel gefüllt und ein paar Fotos vom Wald im Kasten sind, gehe ich nochmal vor zum Bach, um das Boot abzudecken. Ich krame gerade die Spritzdecke aus der Verpackung, da höre ich ein mächtiges Rauschen und anschließendes Schwingenschlagen ganz nah über mir. Sollte das schon wieder ein Adler sein? Nein, es wird noch besser.
Ein Schwarzstorch versucht, wieder Höhe zu gewinnen. Wahrscheinlich wollte er genau hier auf der kleinen Lichtung landen, dem einzigen Platz am Bach, der aus der Luft erreichbar ist. Er dreht noch eine Runde dicht über den niedrigen Bäumen und wird dabei von der tiefstehenden Abendsonne perfekt angestrahlt. Ein phantastisches Bild mit dem tiefblauem Himmel im Hintergrund. Leider ist die Kamera nicht zur Hand und ich wäre auch nie so schnell gewesen. Aber dieses Bild werde ich auch so nicht so rasch vergessen. Dieses Fremdfoto kommt dem Gesehenen aber schon ziemlich nahe.
Schwarzstörche habe ich schon öfter gesehen, aber immer weit weg, in Bulgarien, im Baltikum, der Ukraine, der Türkei, aber nie bei uns zu Hause. Und nun hier, in der ehemaligen Provinz Brandenburg. So gut und so nah! In Polen leben mit ~1000 ca. doppelt so viele Schwarzstörche wie in Deutschland.
Anstatt eines eigenen Bildes vom Schwarzstorch muss hier das seiner Hinterlassenschaften an seinem Wunschlandeplatz am Bach genügen:

Zufrieden lasse ich den Herrentag im bequemen Luftsessel ausklingen. Es ist windstill und warm, aber zu meinem Erstaunen sind kaum Mücken unterwegs. Dabei müsste es hier angesichts der sumpfigen Bach- und Seeufer von Mücken nur so wimmeln. Vielleicht liegt auch das an der starken Trockenheit. An den Uferbäumen lässt sich erkennen, dass der Wasserstand früher auch mal einen halben Meter höher war.


Ich lasse die Blicke durch den Wald schweifen, ob sich noch ein schöner Gast sehen lässt, und lausche den Geräuschen der Tierwelt. Und die sind nicht ohne! Hinter der Fichtendickung höre ich eine Zeit lang ein mächtiges schnaufen, grummeln und grunzen, aber von so tiefer Stimmlage, wie ich sie nur bei einem sehr großen Eber erwarten würde, eher noch einem Auerochsen. Einen Eber, wie ihn zuvor nur noch das tapfere Schneiderlein zu Gesicht bekam. Das Tier machte ganz klar seinem Ärger über meine Anwesenheit in seinem Revier Luft, hat sich dann aber verzogen.
Ich weiß gar nicht, ist das hier eventuell bereits ein Wisent-Revier? Die nächstgelegenen Siedlungsgebiete sind, dachte ich, noch ~50km entfernt? Eine Karte mit GPS-übermittelten aktuellen Standorten der westpommerschen Wisente zeigt neben den relativ standorttreuen Herden einzelne Sichtungen wandernder Wisente ('Wędrówki żubrów'). Demzufolge bewegen sie sich entlang der Netze- und der Wartheniederung in Richtung Oder. Einer hat es sogar schon bis auf das Westufer der Oder geschafft, wurde aber hier in Deutschland umgehend abgeschossen. Hier ein Foto dieses prächtigen Bullen.
Auch später in der Nacht höre ich nahe dem Boot immer wieder wütendes Geplantsche. Macht sich da einer an meinem Boot zu schaffen? Haut seine Eckzähne in die zarte Bootshaut? Oder springen die Tiere rücksichtsvoll über das Boot ins Wasser? Hoffentlich sind sie nicht so dämlich und treten mit ihren scharfen Hufen in die Spritzdecke und brechen sich die Beine. Immerhin liegt der Kahn quer im Weg des Wildwechsels.
Vertrauter, wenn auch immer wieder schön schauerlich, klingen da die Schreie der Eulen in der Nacht. Ich habe mit dem Handy ein paar Tonaufnahmen versucht, leider immer etwas zu spät. Erst waren die Tiere viel näher dran. Hier meine Aufnahme, Waldkauz und Froschkonzert, das mächtige Rauschen kommt nicht vom Wind, ich lag ja im Zelt, sondern ist das Grundrauschen meines Mi-Phones und dazu etwas Magengrummeln.
Man vernimmt hier in diesem Wald so viele interessante Geräusche, dass man eigentlich immer aufnehmen müsste. Ideal wäre ein Gerät wie eine Dashcam, die ständig aufnimmt und, sobald man etwas Interessantes vernommen hat, auf Knopfdruck die letzten Minuten permanent abspeichert.
Solange man noch draußen sitzt, geht das noch ganz gut mit der Zuordnung der fremdartigen Geräusche (den Rieseneber habe ich draußen gehört). Aber im Zelt ist das nochmal was anderes. Da fehlt mir dann die schnelle visuelle Kontrolle, besonders bei Geräuschen im Nahbereich.
Gegen halb 11 beende ich den Tag und krieche in den Schlafsack.
Ein Tag voller Naturerlebnis geht zu Ende, Naturerlebnis, wie ich es kaum erwartet habe und in dieser Intensität wohl nur alleine erleben kann. In der Gruppe, schon zu zweit, kommt davon nur noch die Hälfte bei mir an.
Der Tag heute war so außergewöhnlich, so erlebnisreich, den musste ich einfach in allen Details für mich festhalten. Die folgenden Tage werden kürzer abgehandelt, versprochen.
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