• Borgman
    Dauerbesucher
    • 22.05.2016
    • 768
    • Privat


    [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

    Reisezeit: 03. Juli bis 19. Juli 2020

    Reiseziel: Island, südliches Hochland und ein paar Tage im Gebiet von Hveragerði





    Sonntag, 05. Juli: Fehlstart?

    So war das alles nicht geplant! Also … mal abgesehen davon, dass eigentlich für dieses Jahr überhaupt keine Island-Tour geplant war, aber das geht ja allen so. Nein, als vor wenigen Wochen der Flug gebucht war und alles so aussah, als könnte das sogar klappen, da hatte ich schnell einen konkreten Plan für die Tour. Endlich auch mal nach Landmannalaugar, wenn da nicht gar so viel Betrieb ist, und gleich richtig loslegen. Mal eben zackig am ersten Tag nach Hattver, ist ja nicht weit, dann bei Kaiserwetter am oder über den Torfakökull zur Strútslaug, Álftavötn, Hólaskjól, Eldgjá, Skælingar, Sveinstindur, ein bisschen am Langsjór entlang und in drei Tagen zurück nach Landmannalaugar. Nichts Exotisches, fast alles bekannte Routen. Hat man schon einiges drüber gelesen, will man mal selber sehen. Abgesehen von der Strecke am Torfajökull sollte alles gut machbar und planbar sein. Denkt man.


    Skalli

    Und dann das! Sechs große Schritte habe ich auf das Schneefeld am steilen Hang vom Skalli gemacht, da zittern mir die Knie. Donnerwetter ist das steil, da möchte ich nicht abrutschen. Wie habe ich es überhaupt vom losen Schotter über den vereisten Rand auf den doch recht griffigen Schnee geschafft? Das geht doch nahtlos ohne eine Trittstufe in den Hang über. Und warum kann ich meinen schweren Rucksack nicht vernünftig ausbalancieren? Ach ja, weil mir die Knie zittern. Warum sind meine Chainsen nicht an den Schuhen? Dabei hatten mich die vier Franzosen doch vor nicht mal einer Viertelstunde gewarnt, es würde nicht einfach sein. Und sie hatten nur leichte Tagesrucksäcke, und sie waren zu viert! Ich müsste nur weitergehen, dann hätte ich die Stelle bald geschafft. Aber dazu fehlt mir der Mut, oder, momentan, das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Wenn ich hier schon zweifele, wie soll dann der restliche Weg sein? Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen doch erst. Was, wenn Hattver eine Sackgasse ist und ich hier wieder zurück muss? Das möchte ich nicht.

    Mut ist vielleicht auch manchmal nur ein Mangel an Fantasie. Oder Angst umgekehrt ein Übermaß an Fantasie.

    Das geht mir alles zu schnell, ich muss zurück auf sicheren Boden und mich sammeln. Was mit zitternden Knien leichter gesagt ist, als getan. Umdrehen kann ich mich hier nicht, ich habe Angst, dass mich dabei der unstet schwankende Rucksack in die Tiefe reißt. Also rückwärts, schön langsam, einen Schritt, zwei, drei nach unten, fest in den Schnee treten. Beim nächsten rutscht der Schnee von der harten unteren Schicht weg und Wasser strömt heraus, ich finde keinen Halt mehr. Es ist zu warm, der Schnee löst sich auf. Runter ginge jetzt nur noch mit einem großen, mutigen Schritt, ich muss versuchen, seitlich zu queren und eine Stufe in den losen Schotter zu treten. Uff, das wäre geschafft! Und noch eine Stufe in den Rand, der durch den abgerutschten Schnee plötzlich ganz harmlos aussieht.




    Sieht doch eigentlich ganz einladend aus: Panikschneefeld

    Was war das? Eine Panikattacke gleich am Anfang der Tour? Von hier sieht die Stelle ja nicht unmöglich aus, wenn man die ersten paar Schritte mal geschafft hat. Soll ich es gleich noch mal probieren, wenn meine Knie sich beruhigt haben und mein Herz nicht mehr bis zum Hals schlägt? Die Chainsen liegen ganz oben im Rucksack, damit ist es bestimmt zu schaffen. Ich gehe zurück zur moosigen Ebene, setze mich hin, krame einen Müsliriegel heraus und schnaufe tief durch. Schaue mich zum ersten Mal richtig um, lasse die Landschaft auf mich wirken. Das ist alles sehr schön, die weiß gefleckten Bergen, die Grate und tiefen Täler, aber sie wirkt auf mich auch fremd und irgendwie surreal, wie eine Landschaft, in die man sich im Traum hineinversetzt sieht, ohne wirklich ein Verhältnis zu ihr zu haben. Eine Landschaft, die man noch nicht versteht.


    Blick zum Hábarmur (links) und Torfajökull (rechts)

    Da wird mir klar, ich habe das zu hastig angepackt. Statt auf mein Gefühl zu achten, bin ich einfach losgerannt. Aus dem heißen, voll besetzten Bus, ich hatte mich blöderweise auf die Sonnenseite gesetzt, als ich am BSÍ noch die Wahl hatte, war ich kaum ausgestiegen, da wollte ich auch gleich aufbrechen. Den ganzen Trubel möglichst schnell hinter mir lassen, quer über die Ebene zu der Stelle, wo ich den Beginn des Aufstiegs vermutete, laufen und rasch Höhe gewinnen. Das hat Spaß gemacht, keine Frage, ich war ganz begeistert vom Grat am Anfang und der Strecke über den Bergkamm danach.


    Landmannalaugar







    Vielleicht hätte ich es ruhiger angehen sollen, aber ich glaube, es war einfach nicht der richtige Einstieg in die Tour. Vor zwei Jahren brauchte ich in Island auch ein paar Tage um reinzukommen, fühlte mich fremd und sogar ein bisschen einsam, bis ich ein Gefühl für die Landschaft bekam und auf dieses Gefühl vertrauen konnte.

    So will ich das jetzt auch machen. Der Plan, der am Schreibtisch so gut aussah, passt einfach nicht, Wie zu kleine Schuhe, oder ein Rucksack, der sich dem Rücken nicht anschmiegt. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sich die Tour ganz anders entwickelt als gedacht, und das war nicht immer schlecht. Nach kurzem Zögern (soll ich nicht doch lieber nach Landmannalaugar zurück gehen?) baue ich hier verbotenerweise das Zelt auf, komme erst mal an. Das sagt mein Gefühl, und auf das will ich fortan hören. Während das Kaffeewasser langsam heiß wird, spüre ich mich selber wieder bis in die Zehenspitzen, beim Ausatmen. Erst jetzt, als sie von mir abfällt, merke ich so richtig die Anspannung der vergangenen Tage.


    Keiner wusste ja so richtig, wie eine Islandreise 2020 aussehen würde. Es war angekündigt, dass Lufthansa ab dem 02. Juli wieder Keflavík ansteuert, also habe ich einen Platz für den Flug am 03.07. gebucht und gehofft, dass der auch stattfinden würde. Mein Geburtstag, da musste ich doch Glück haben! Die isländische Einreiseregelung, nach der jeder ankommende Passagier, der nicht in Quarantäne gehen will, einen PCR-Test absolvieren muss, schien mir aus der Ferne sehr vertrauenerweckend. Gute und detaillierte Informationen auf der covid.is Seite, täglich aktualisierte Zahlen seit dem 15. Juni, klare Ansagen, kein Wischiwaschi wie in anderen Ländern. Zwei Tage vorher habe ich mich registriert und den Test bezahlt, dann war eigentlich nur noch wichtig, dass ich keine Antikörper habe und der Typ neben mir im Flugzeug keine aktive Infektion. Eigentlich hätte ich ganz entspannt sein können, aber in Wirklichkeit war ich tierisch aufgeregt.

    Der Flieger landete dann einigermaßen pünktlich zwanzig Minuten vor Mitternacht. Mein zweiter Mundschutz war von den vielen Stunden Atemluft auch schon so feucht, dass ich das Gefühl hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Wirklich, es ist kein Luxus, nach vier Stunden zu wechseln. Aber es sollte hoffentlich nicht mehr lange dauern. In Keflavík war alles erstaunlich gut organisiert. Wer den Test schon bezahlt hatte, konnte einfach durchgehen in die Halle, wo getestet wurde. Dann musste man nicht allzu lange warten, bis man in eine der 10 Testkabinen gewiesen wurde, scannte seinen Beleg und bekam einen Nasen- und einen Rachenabstrich gemacht. Fertig! Dann bekam man noch eine Broschüre, wie man sich bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses zu verhalten hätte (direkt zur Unterkunft und warten, möglichst keine Kontakte) und durfte zur Gepäckausgabe. Ich war sogar so schnell durch, dass mein Rucksack noch nicht mal in der Katzenklappe lag, der kam erst nach ein paar Minuten.

    Das war gestern in der ersten Stunde des jungen Tages. Danach war mir erst mal alles weitgehend egal. Das Testergebnis würde ich frühestens am Vormittag über die Rakning C-19 App bekommen, der Flybus wartete noch eine Viertelstunde, die Nacht war mild, also genoss ich es einfach nur, den Mundschutz abzunehmen und bis zur Abfahrt die gute isländische Luft zu atmen. So still hatte ich diesen Flughafen noch nie erlebt.

    Gegen viertel vor zwei waren wir in Reykjavík. Bei so wenigen Fahrgästen wurden wir am BSÍ auch nicht in Kleinbusse verteilt, sondern einfach da abgesetzt, wo wir hin wollten. Ich stieg am 22 Hill aus und lief die paar Schritte zum REK Inn. Körperlich war ich wohl müde, schließlich war es schon 4:00 Uhr deutscher Zeit, aber seelisch noch so aufgetrudelt, dass ich erst mal einen Kaffee aufbrühte, damit durch die Straße schlenderte und eine rauchte. Wie gesagt, die Nacht war mild, und der Morgen kündigte sich langsam an. Erst um 3:00 Uhr Ortszeit ging ich rein, hoffte auf ein paar Stunden Schlaf.

    Dann hieß es warten. Ich beneide ja die Menschen, die immer und überall schlafen können. Mir fehlt diese Gabe. Die Stunden vergingen im Schneckentempo, und als der Morgen in den Vormittag überging, wuchs die Anspannung. Dauernd schaute ich aus Telefon. Noch keine Nachricht. Wenn der Test positiv ist, rufen sie an. Hoffentlich kein Anruf. Dass das Ding bloß nicht klingelt! Um 11:00 Uhr wurde es mir zu blöd, da ging ich rüber zum Bónus und kaufte mein restliches Essen für die Tour ein. Hoffentlich kein Anruf im Bónus, es wäre ja schwer zu verheimlichen, dass ich im Einkaufsladen war, statt brav im Zimmer zu warten.

    In Island gibt es keine Empfehlung der Gesundheitsbehörde für das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung, man soll bitte etwas Abstand halten. Da die empfohlenen 2 Meter in den meisten Situationen eher unrealistisch sind und die Isländer sich gegenseitig sowieso nicht so dicht auf die Pelle rücken, war das Einkaufserlebnis für einen verschüchterten Mitteleuropäer fast schon erschreckend normal. Ich fühlte mich anfangs tatsächlich etwas befangen, gewöhnte mich aber schnell daran und fand es herrlich. Eine Insel der Normalität mitten im Nordatlantik – ganz großartig! Hoffentlich darf ich hier bleiben.

    Genau um 12:00 Uhr dann die erlösende Nachricht: „You have not been diagnosed with Covid-19“. Trotzdem vorsichtig sein, es gibt manchmal auch falsch negative Ergebnisse usw., aber ich las nur: „Viel Spaß in Island!“ Danke, werde ich haben. Ich schrieb ein paar Nachrichten an alle, die in der Ferne auf das Ergebnis gespannt warteten und ging dann bei strahlendem Sonnenschein in die Stadt. Jetzt konnte ich mich also tatsächlich frei bewegen, ich war sehr erleichtert. Zurück in der etwas schäbigen, aber erstaunlich billigen Unterkunft, unterhielt ich mich eine ganze Weile mit meinem schwedischen Zimmernachbarn. Er hatte sich hier für fünf Tage einquartiert, wollte einfach mal raus. Da heute sein letzter Tag war und ich seine Einladung zum Sekt dankend ablehnte (das hätte mich auf der Stelle umgehauen), vernichtete er in kürzester Zeit seine restlichen Alkoholvorräte, eine Flasche Sekt und drei halbe Liter Bier, und ging am Abend in die Stadt um sich zu amüsieren. Robuste Natur, anscheinend. Zwei seiner engsten Arbeitskollegen in Gällivare sind schwer an Covid 19 erkrankt, aber er selber nur an einem milden Dachschaden, den er vermutlich schon vorher hatte. Na ja, den habe ich in den Augen einiger Menschen sicher auch. Zum Amüsieren egal welcher Art hatte ich nun überhaupt keine Meinung, wollte einfach nur mal gut schlafen. Das war also gestern, am Samstag.



    Heute klingelte um 5:00 Uhr der Wecker. Genügend Zeit, um ein letztes Mal gründlich zu duschen, Sache zu packen, einen starken Kaffee einzunehmen und die zwanzig Minuten zum BSÍ zu laufen. Da waren schon einige Menschen aus verschiedenen Ländern mit großen Rucksäcken versammelt, und es wurden immer mehr. Der Bus nach Landmannalaugar war dann tatsächlich bis auf den letzten Platz voll. Wer hätte das bei den wenigen Touristen, die zur Zeit ins Land kommen, gedacht? Nun wollte ich mich in Landmannalaugar sowieso nicht aufhalten, sondern umgehend starten, also konnte mir das egal sein.


    Ja, und dann bin ich doch nicht sehr weit gekommen. Mir ist natürlich bewusst, dass man im Friðland að Fjallabaki nicht zelten darf, aber für mich ist das jetzt die einzig richtige Maßnahme. Den Gang rausnehmen, den schönen Abend genießen und offen zu werden für alle Möglichkeiten, die diese einmalige Landschaft und ein Rucksack voll Essen für 10 Tage wohl bieten könnten.


    Camp 1 am Skalli

  • dingsbums
    Fuchs
    • 17.08.2008
    • 1503
    • Privat


    #2
    AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

    Einfach nur schön! Freue mich auf den ganzen Bericht.

    Kommentar


    • evernorth
      Fuchs
      • 22.08.2010
      • 1835
      • Privat


      #3
      AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

      Was für ein Start......herrlich!
      Logisch, ich bin ja mehr als gespannt.
      My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

      Kommentar


      • Freedom33333
        Dauerbesucher
        • 09.09.2017
        • 900
        • Privat


        #4
        AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

        Tolle Bilder, packend geschrieben, ich freu mich schon sehr auf die weiteren Tage in deinem Bericht!

        Trotzdem fühlt es sich komisch an, in diesem Sommer, so einen Bericht zu lesen und das Gefühl zu haben, es wäre alles ganz normal. Und ich bin, wenn ich die Bilder sehe, doch *ein wenig* neidisch, dass du dich getraut hast und bei dir alles geklappt hat, Tom hatte mir vor 2 Wochen schon erzählt dass du einer der ersten warst der sich getraut hat .

        Zitat von Borgman Beitrag anzeigen
        Die isländische Einreiseregelung, nach der jeder ankommende Passagier, der nicht in Quarantäne gehen will, einen PCR-Test absolvieren muss, schien mir aus der Ferne sehr vertrauenerweckend. Gute und detaillierte Informationen auf der covid.is Seite, täglich aktualisierte Zahlen seit dem 15. Juni, klare Ansagen, kein Wischiwaschi wie in anderen Ländern. Zwei Tage vorher habe ich mich registriert und den Test bezahlt, dann war eigentlich nur noch wichtig, dass ich keine Antikörper habe und der Typ neben mir im Flugzeug keine aktive Infektion. Eigentlich hätte ich ganz entspannt sein können, aber in Wirklichkeit war ich tierisch aufgeregt.
        Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich unter diesen Voraussetzungen trauen würde. Was passiert denn, wenn der Test positiv ist? Man kann ja auch erkrankt sein ohne Symptome, ohne es zu bemerken. Oder der Typ in öffis aufm Weg zum Flughafen steckt dich an, keine Ahnung. Was wäre denn dann passiert? Stand dazu was in der Broschüre? Wird man dann angerufen und darauf hingewiesen, jetzt bitte für 100 Euro pro nacht für 2 Wochen ein Hotel zu nehmen und sich für 30€ am Tag Essen aus Zimmer bringen zu lassen? Darüber hast du dir doch bestimmt auch Gedanken gemacht (und ich denke mir, irgendjemand wird ja doch fragen.)

        Ich glaube sowohl finanziell wie auch psychisch (Wenn ich Urlaub nehme dann meist weil ich auch wirklich urlaubsreif bin) hätte ich dieses Risiko nicht eingehen wollen / können.

        Kommentar


        • Fjellfex
          Fuchs
          • 02.09.2016
          • 1511
          • Privat


          #5
          AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

          Ui, es geht schon los - klasse!

          Beim nervenzerfetzenden Einstieg hätte ich wohl einen Herzinfarkt bekommen, wenn nicht das "Traumwandeln" im Titel ein gutes Ende angedeutet hätte. So gab es wohl lediglich Insektenplage ("Kopfnetz"...).
          Umkehren an besagter Stelle war natürlich völlig richtig. Mache ich in den Alpen auch immer öfter. (Wird man mit zunehmendem Alter ängstlicher...?)

          Bin gespannt...

          Kommentar


          • Borgman
            Dauerbesucher
            • 22.05.2016
            • 768
            • Privat


            #6
            AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

            @dingsbums: Danke! Ich muss gestehen, dass ich es noch nicht geschafft habe, Deiren Bericht aus Lappland mit Muße zu lesen (der ja wohl auch noch nicht ganz fertig ist ... ?). Hole ich aber sehr bald nach.

            @evernorth: Du bist ja nicht ganz unschuldig daran, dass ich genau diese Gegend ausgesucht habe , aber vielleicht ist sogar für Dich die eine oder andere kleine Überraschung drin, wer weiß?

            @Freedom33333: Danke auch Dir für die Vorschusslorbeeren. Warte mal ab, was noch kommt, es könnte ja auch sehr bald gähnend langweilig werden . Natürlich konnte ich auf der Reise das Corona-Thema nicht ausblenden und kann es auch in dem Bericht nicht, aber ich würde den Schwerpunkt doch gerne auf die Tour und die Landschaft legen. Fragen dazu gerne in separatem Faden oder als PN.

            Durch den frühen Zeitpunkt für die Reise wollte ich vermeiden, dass sich die günstigen Bedingungen nach den ersten Wochen eventuell wieder verschlechtern. Und natürlich wollte ich raus . Ich war mir bewusst, dass ein gewisses Risiko besteht, fand es aber einschätzbar. Die Regelung in Island ist, wie gesagt, sehr klar ausgestaltet und gut kommuniziert. Alle Infos findet man bei covid.is. Bei einem positiven PCR-Test hätte ich im Landeskrankenhaus weiter testen lassen können, ob ich eine aktive Infektion habe oder Antikörper von einer vergangenen. Diesen Test hätte ich noch selber bezahlen müssen. Alle weiteren Kosten für Behandlung und ggf. Unterbringung in Quarantäne hätte der islandische Staat übernommen. Die deutlich spürbare Anspannung kam also eher aus der Frage, ob die Tour stattfinden kann und nicht, ob sie mich finanziell ruiniert.

            Seit dem 16. Juli können Reisende aus Deutschland, Dänemark, Norwegen und Finnland ohne Test und Quarantäne nach Island einreisen.

            @Fjellfex: Mit zunehmendem Alter braucht man vielleicht nicht mehr jeden Kick. Wobei meine plötzliche Angstattacke mindesten teilweise einer gewissen Kopflosigkeit (schönes Wort) am ersten Tag geschuldet war. Drei Tage später hätte ich wahrscheinlich schon mehr Selbstvertrauen gehabt. Aber ich will nicht vorgreifen. Das Kopfnetz, da hast Du recht, wird jedenfalls nicht ungenutzt bleiben...

            Kommentar


            • Pfiffie
              Fuchs
              • 10.10.2017
              • 2024
              • Privat


              #7
              AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

              Soweit wie bis nach Island habe ich noch nicht über den Tellerrand geschaut, ich freu mich auf deinen Bericht

              Grüße Maik

              Abonniert
              "Freiheit bedeutet, dass man nicht alles so machen muss wie andere"

              Kommentar


              • Dieter

                Dauerbesucher
                • 26.05.2002
                • 537
                • Privat


                #8
                AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                Núúúúú - hvað er Þetta?

                So ein Bericht freut mich doch! Erstklassige Bilder, flüssiger Text und in der Dramaturgie kein Rasenkantenhänger (mangels Cliff). So richtig zum Miterleben, wenn ich dieses Jahr schon nicht nach Island komme. Also - Du hast die Latte hoch gelegt, nun aber:

                áfram, goður mín!

                Dieter

                Kommentar


                • vobo

                  Vorstand
                  Dauerbesucher
                  • 01.04.2014
                  • 734
                  • Privat


                  #9
                  AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                  Hallo Bernd,

                  ich kann mir gut vorstellen, dass Du noch ganz high in Island angekommen bist - und das ganze Adrenalin rund um die Einreise den Tourstart anders als sonst gestaltet hat. Wie so oft ist schön, Deine Texte zu lesen und die Bilder machen Hunger auf mehr. Ich freue mich schon ...

                  Für mich ist es jetzt der erste aktuelle Tourbericht aus dem hohen Norden - schön!

                  VG, Volker.

                  Kommentar


                  • UG
                    Anfänger im Forum
                    • 06.07.2018
                    • 47
                    • Privat


                    #10
                    AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                    @Borgman: Sehr guter Start für einen hoffentlich auch weiterhin spannenden Bericht. Nur mache es bitte nicht zu spannend und warte zu lange
                    Da hattest du bei deiner Einreise offensichtlich mehr Glück als ich. Ich meine nicht das Testergebnis (das war bei mir auch negativ) aber das Prozedere bei der Einreise am Flughafen und im Flybus.


                    Zitat von Dieter Beitrag anzeigen
                    ... wenn ich dieses Jahr schon nicht nach Island komme.
                    Immer wenn ich in Reykjavik bin, habe ich ab und zu Ausschau nach deinem Zelt gehalten, aber das erübrigt sich ja nun. Vielleicht wieder im nächsten Jahr.

                    Uwe
                    www.unique-iceland.de

                    Kommentar


                    • Borgman
                      Dauerbesucher
                      • 22.05.2016
                      • 768
                      • Privat


                      #11
                      AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                      @Pfiffie: Kann ja noch kommen, das mit Island . Schön, dass Du dabei bist.

                      @Dieter: Danke, danke! Nein, wir machen alles hübsch tageweise. Cliff- oder Schneefeldkantenhänger gibt es nur da, wo ich mich abends an der Kante festkralle und morgens genau da wieder aufwache. Áfram - sobald die Fotos hochgeladen sind, denn am Wochenende werde ich keine Zeit dafür haben.

                      @vobo: Ja, nach der Ankunft war ich aufgeputscht, geplättet und ein bisschen durch den Wind, das war am dritten Tag noch spürbar, oder besser am dritten Abend. Dir auch herzlichen Dank für den Ansporn!

                      @UG: Auf lange Pausen habe ich auch keine Lust, es schreibt sich flüssiger, wenn man drin bleibt. Nur sind es diesmal viel zu viele Fotos. Die Qual der Wahl - ich hab sie noch nicht mal alle durchgesehen.
                      Gab es bei Dir Probleme mit der Einreise?

                      Kommentar


                      • Borgman
                        Dauerbesucher
                        • 22.05.2016
                        • 768
                        • Privat


                        #12
                        AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                        Montag, 06. Juli: Kilometer fressen gegen den Corona-Speck

                        Nach einer angenehm kühlen Nacht weckt mich gegen 04:30 Uhr die Sonne. 2°C, leichter Wind, ein paar Wolken am Himmel, die sich langsam auflösen. Ich kann es gar nicht fassen, dass ich tatsächlich in Island bin. Noch fühlt es sich an wie ein Traum, den man beim Aufwachen im Halbschlaf hat. Wie geil! Und der ganze Urlaub liegt noch vor mir! Ein plötzlicher Euphorieschub durchbricht meine Morgenschläfrigkeit. Kaffee, Frühkeks, Karte. Was machen wir denn heute Schönes? Noch ein Versuch mit dem Skalli? Nee, eigentlich bin ich doch sehr froh, dass der ursprüngliche Plan verworfen ist. Nichts gegen gute Planung, es hilft sehr, wenn man sich schon eingehend mit der Karte und Luftbildern beschäftigt hat und Berichte kennt. Aber es hat auch was sehr Befreiendes, seinen Launen und Eingebungen zu folgen.

                        Die ursprüngliche Richtung, Südost bis Ost, würde ich gerne beibehalten, denn da gibt es Einiges, was mich besonders interessiert. Álftavötn, Eldgjá und Uxatindagljúfur zum Beispiel möchte ich auf jeden Fall besuchen, dahin zieht es mich. Vom Bus aus habe ich gestern gesehen, dass die Verlängerung der F208 nach Hólaskjól noch gesperrt ist. Das wäre doch der passende Einstieg. Ein guter, reinigender Marsch durch schöne Landschaft auf der Piste. Das macht den Kopf frei und belastet die Nerven nicht übermäßig durch technische Schwierigkeiten. Also los, Aufbruch um 6:00 Uhr. Zurück nach Landmannalaugar.



                        Skalli – wenn das bedeutet, was ich vermute, dann hat das dieselbe Wurzel wie das englische „skull“, wird nur etwas anders ausgesprochen. Wie ein glatzköpfiger Schädel sieht dieser Berg aus. Heute kann ich die aussichtsreiche Strecke über die Hügel und hinunter ganz anders genießen als gestern. Wirklich eine herrliche Gegend. Als Tourbeginn war das vielleicht ein Fehlstart, aber als Abstecher hat es sich allemal gelohnt. Die dünne Eisschicht auf den Schmelzwasserpfützen lässt erahnen, dass ich heute nicht viel Spaß auf den Schneefeldern gehabt hätte. Für ein kleines, hart überfrorenes Exemplar am Abstiegsgrat muss ich sogar die Chainsen anziehen, sonst hätte ich keine Chance, da rüberzukommen.







                        Da ich jetzt Zeit und Muße habe, will ich auch erkunden, wo der starke Schwefelgeruch herkommt. Dort dampft es, am östlichen Rand der Ebene. Am Reykjakollur, der Name sagt es schon. Ich lasse den Rucksack liegen und laufe hin. Der Dampf kommt aus einer kleinen Vertiefung mit brodelndem Wasser, nicht größer als ein Handwaschbecken. Ein perfekter Topf zum Eierkochen, schade, dass ich keine dabei habe. Island ist schon eine seltsame Insel: Schneefelder, die nur Franzosen überqueren können und Gratis-Eierkocher am Wegesrand. Wer schleppt schon rohe Eier zum Wandern mit? Da darf man ja wirklich gespannt sein, was einem sonst noch begegnet.






                        Brandsgil


                        Grænagil


                        Der warme Bach lässt viele Blumen gedeihen

                        Jetzt noch das kurze Stück nach Landmannalaugar, wo es viel ruhiger zugeht als gestern. Ein paar Zelte, ein paar Autos, alles nicht so schlimm. Ich folge der Piste bis zum Abzweig und etwa zwei Kilometer der gesperrten F208, dann ist es 9:00 Uhr und damit wirklich Zeit fürs Frühstück. Drei Stunden war ich unterwegs. So viel zur Statistik.


                        Jökulgilskvísl



                        Wenn man früh aufbricht, kann man längere Pausen machen und ausgeruht weitergehen. Schon seit Jahren habe ich mich an diesen Rhythmus gewöhnt, zwei Pausen von anderthalb bis zwei Stunden einzulegen. Heute werde ich, wenn mir nichts besseres einfällt, nur noch auf der Piste laufen. Keine sehr spannende Variante, aber gut um in die Bewegung zu finden und sich an den Rucksack zu gewöhnen. Wie der Titel schon andeutet, habe ich in den vergangenen Monaten ein paar Pfunde angesammelt, zu gutes Essen, zu wenig Bewegung, zu viel Alkohol, die ich auf dieser Tour wieder loswerden möchte. Überhaupt der Alkohol. Ich kann jeden verstehen, der gerne eine Flasche guten Whisky mit auf Tour nimmt, aber mir tut es sehr gut, wenn man mal merkt, dass es auch ohne geht.

                        Bei weiterhin kühlem, sonnigem Wetter laufe ich zur Brücke, durch ein sandiges Tal, um den See Kýllingavatn herum und um den Berg Kirkjufell herum zur ersten Furt, Kirkjufellsós. Warum die Piste wohl noch gesperrt ist? Reparaturarbeiten nach der Schneeschmelze? Wasserstand in den Flüssen noch zu hoch? Diese Furt ist jedenfalls kaum knietief. Kurz danach ist es schon Zeit für die Mittagspause. Weil sich hier passende Vegetationsflächen finden und die Sonne trotz leichtem Wind einigermaßen brennt, baue ich hier das Zelt auf und lege meine Jacke, Hose usw. als Sonnenschutz darauf, ich brauche ein bisschen Schatten. Sehr angenehm, nur die Fliegen werden langsam lästig. Ich suche schon mal das Kopfnetz heraus, für alle Fälle.


                        Blick von der Brücke Jökulgilskvísl zurück nach Landmannalaugar...


                        … und in die andere Richtung, zur Tungnaá


                        Kýllingavatn mit Kirkjufell


                        Kirkjufellsós

                        Als ich gerade mein frugales Mittagessen aus Kornmo mit Käsestücken einnehme, kommt ein Wanderer vorbei und ruft aus mehr als angemessen coronasicherer Distanz, nämlich von der anderen Seite des Bächleins, auf deutsch eingefärbtem Englisch, ob ich wohl eine Socke verloren hätte. Nee, hab ich nicht, aber danke fürs Fragen. Dann kommt ein Radfahrer vorbei und zwei Autos, die wohl zusammengehören. Hier ist ja plötzlich was los! Wie sich herausstellt, sind das schon die einzigen Begegnungen des Tages. Auf der Piste bin ich wieder ganz allein. Was sehr gut ist, denn auf der staubigen Strecke bis zum Jökuldalakvísl möchte man ganz sicher keinen Autoverkehr haben. Alles in allem bin ich zufrieden mit dem Tag, ich komme gut voran, und die Piste ist weniger langweilig als befürchtet. Immer wieder hat man schöne Ausblicke.


                        Bach aus der Illagil


                        Jökuldalakvísl



                        Mehrere Bäche sind zu furten, alle völlig problemlos. Keiner davon ist mehr als knietief. Nach der Furt am Halldórsfell mache ich mir langsam Gedanken um das Nachtlager. Bei dem sonnigen Wetter möchte ich unbedingt einen Berg im Westen haben, damit die Sonne irgendwann mal verschwindet. Noch ist kein Sonnenbrand zu befürchten, aber mehr muss auch nicht sein. Da sieht Réttarhnúkur doch ganz famos aus. Wenn es dahinter geeignete Plätze gibt, bleibe ich.

                        Inzwischen ziehen mehr Wolken über den Himmel, und der Wind frischt merklich auf. Als ich einen Platz direkt am Bach gefunden und mich gründlich gewaschen habe, bin ich nicht nur rechtschaffen müde von einem langen Wandertag, sondern kann mich blöderweise kaum richtig bewegen vor Rückenschmerzen. Das ist nicht normal. Klar, der Rucksack drückt und zwickt immer an den ersten Tagen, aber so heftig kenne ich das nicht. Hoffentlich wird das morgen besser.


                        Wegweiser zum Nachtlager


                        Camp 2 am Réttarhnúkur

                        Kommentar


                        • Blahake

                          Vorstand
                          Fuchs
                          • 18.06.2014
                          • 1591
                          • Privat


                          #13
                          AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                          Ooohhhh! Ich will auch mal wieder nach Island!!! Obwohl ich gar nicht weiß, ob ich mich das trauen würde, jedenfalls nicht solche Touren, wie Du sie da machst!. Umso lieber reise ich jetzt virtuell bei Dir mit!

                          Kommentar


                          • evernorth
                            Fuchs
                            • 22.08.2010
                            • 1835
                            • Privat


                            #14
                            AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                            Zitat von Blahake Beitrag anzeigen
                            Ooohhhh! Ich will auch mal wieder nach Island!!! Obwohl ich gar nicht weiß, ob ich mich das trauen würde, jedenfalls nicht solche Touren, wie Du sie da machst!. Umso lieber reise ich jetzt virtuell bei Dir mit!
                            Moin Anne,
                            bisher war das doch gar nicht so schwer: Auf einem gut sichtbaren Pfad ein Stück in Richtung Hattver lustwandeln ( gut, das Schneefeld.....aber da ist Borgmann ja umgekehrt ), dann auf der Piste Richtung Langisjor, wo er dann nach gut zwei Tagen eintrifft ( wollen wir es hoffen..... ).
                            Also „solche Touren“ kannst du doch schon lange!
                            My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

                            Kommentar


                            • Borgman
                              Dauerbesucher
                              • 22.05.2016
                              • 768
                              • Privat


                              #15
                              AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                              Zitat von evernorth Beitrag anzeigen
                              ...dann auf der Piste Richtung Langisjor, wo er dann nach gut zwei Tagen eintrifft ( wollen wir es hoffen..... ).
                              Nö. Du glaubst ja selber nicht an Deine Vermutung , wobei zu dem Zeitpunkt sogar diese einfachste Variante noch theoretisch möglich gewesen wäre. Tatsächlich wollte ich mir aber bis zum Schluss alles offen halten und mich von spontanen Eingebungen leiten lassen.

                              @Blahake: Tom hat recht, auch wenn er es noch gar nicht weiß . solche Touren kannst Du (zum größten Teil, und den kleinsten kann man auch auslassen). Warte mal ab. Schön jedenfalls, dass Du dabei bist!

                              Kommentar


                              • Borgman
                                Dauerbesucher
                                • 22.05.2016
                                • 768
                                • Privat


                                #16
                                AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                Dienstag, 07. Juli: Follow the yellow … Power Line?

                                Mit dem schmerzenden Rücken konnte ich auf keiner Seite lange liegen, deshalb war die Nacht auch unterdurchschnittlich erholsam. Gegen 03:00 Uhr bin ich wach und kann nicht wieder einschlafen, drehe mich nur noch von einer auf die andere Seite. Der Impuls zum Aufstehen kommt dann wie gestern von der Sonne, die um halb sechs aufs Zelt scheint. Und von mindestens drei Goldregenpfeifern. Waren die gestern auch schon hier? Eine Stunde später bin ich abmarschbereit. Mit 4-5°C ist es nicht ganz so frisch, aber immer noch im perfekten Temperaturbereich, um schnell in die Gänge zu kommen. Mir ist es lieber, morgens etwas zu frieren, als zu viel anzuziehen. Gerade am Anfang bleibe ich nicht gern stehen. Da nervt es heute ein bisschen, dass gleich die erste Furt am Bach aus der Steinsgil zu tief für die Stiefel ist. Dieses Problem hat Tom zum Beispiel nicht, weil er mit seinen Trailrunnern einfach durchmarschiert. Andererseits, trockene Füße sind auch was wert.

                                Bald komme ich in die Klappargil, die eigentlich ein hübsches, wildes Tälchen wäre, wenn nicht die Piste mittendurch liefe und die Stromleitung quer darüber. Langsam habe ich genug von der Piste und schaue schon mal, ob es einen direkten Aufstieg zur Hochebene gibt. In dem engen Tal sieht das nicht so gut aus, aber als es sich öffnet und die Piste sich in unnötig weiten Schleifen hangaufwärts windet, kann ich abkürzen.


                                Klappargil




                                Hochebene

                                Eigentlich wäre es ja logisch, von hier nach Nordosten zum Langsjór zu laufen und meinen ursprünglichen Plan aus der anderen Richtung aufzunehmen, aber dagegen sträubt sich etwas in mir. Mein Gefühl sagt unmissverständlich: Álftavötn. Da soll es schön sein, da will ich hin. Vielleicht ist es einfach das saftige Grün, das mich anzieht. Und was läuft genau in diese Richtung? Genau: die Stromleitung. Eben hat sie mich noch gestört, jetzt dient sie zur Orientierung. So ganz verstehe ich meine eigene Entscheidung nicht, aber sie scheint unbewusst längst festzustehen, denn ich bewege mich schon seit einigen Minuten geradewegs auf den nächsten Strommast zu.

                                Hier soll laut Karte auch eine Nebenpiste verlaufen, auf die ich dann ja bald treffen müsste. Sie stellt sich allerdings als eine ziemlich alte Fahrspur heraus, stellenweise gut zu erkennen, dann wieder gar nicht. Soll mir recht sein. Am Bach vom Tindafjall mache ich eine ausgiebige Frühstückspause. Zum Glück sind die Rückenschmerzen, die mich gestern Abend und auch noch in der Nacht geplagt hatten, auf der Morgenetappe fast verschwunden, und irgendwie fühle ich mich in dieser seltsamen Umgebung - graubraune, sandige Hügel, nur wenig Grün am Bachufer und eine völlig unpassende Stromleitung – gar nicht unwohl.


                                Bach vom Tindafjall





                                Weiter geht es kurz vor zehn, auf oder neben der Fahrspur, über Schutthügel und Schneefelder, immer der Stromleitung nach. Ein Bild kommt mir in den Sinn: Dorothy, Toto, Scarecrow und Tin Woodman, noch bevor sie auf den Cowardly Lion treffen, in Technicolor aus dem Film von 1939. Welchem Umstand habe ich denn bitteschön diese seltsame Assoziation zu verdanken? Hmm, da ist was mit dem Lied – We‘re off to see the wizard – ich krieg‘s nicht ganz zusammen. Muss ich nachgucken.

                                „Follow the rainbow over the stream
                                Follow the fellow who follows a dream
                                Follow, follow, follow, follow
                                Follow the yellow brick road“

                                Das kommt so in diesem Film doch eigentlich gar nicht vor, oder? Haha, danke liebes Unterbewusstsein! Passt ja wirklich wie die Faust aufs Auge! So ein herrlich schräger Vergleich verdient Anerkennung. Dann will ich doch mal abwarten, wohin mich diese yellow … äh … Power Line führt. Emerald City wohl kaum, aber vielleicht Emerald Valley? Wow, das wäre mal ein abgefahrener Titel für einen Tour-Bericht: „Follow the fellow who follows a dream“.

                                Ziemlich gut gelaunt durchquere ich eine ziemlich langweilige Landschaft, bis irgendwann ein paar weniger langweilige, eigentlich sogar recht interessante Berge ins Blickfeld kommen und kurz danach die Fahrspur in ein enges Tal abtaucht, Stóragil. Ein nicht gerade seltener Flurname in Island, bedeutet er doch nur „große Schlucht“.





                                Der Bach heißt Strangakvísl und mündet an der Eldgjá in die Norðari-Ófæra. Aber die ist nicht mein Tagesziel, sondern die Álftavötn. Leider muss ich eine schlafende Mama und ihr properes Lamm stören, die es sich auf der Mini-Insel bequem gemacht haben. In diesem schönen Tal möchte ich mich für ein Weilchen hinsetzen und die besondere Atmosphäre oder, wenn man möchte, die Schwingungen aufsaugen. Das ist also die erste kleine Entdeckung dieser Tour, abseits der bekannten Attraktionen. Jetzt bin ich mir auch sicher, dass die rudimentäre Piste gesperrt ist, denn die Moospolster sind weitgehend unversehrt. Hier ist vermutlich seit Jahren kein Auto gefahren.


                                Stóragil



                                Danach geht es wieder hoch, in weitem Bogen um eine Nebenschlucht und hinunter in eine Ebene. Eigentlich hatte ich den hier eingezeichneten Bach für die Mittagspause ins Auge gefasst, aber der ist ausgetrocknet. Dafür sind an den Hängen der gegenüberliegenden Hügel größere Schneefelder, wo es Wasser gibt und eine sandige Stelle für das Zelt, denn es beginnt tatsächlich ein bisschen zu regnen.

                                Als ich nach zwei Stunden weitergehe, ist der Stoff schon wieder trocken, das war nicht viel. Über die Hügel komme ich zur Álftavatnskrókur-Piste, der ich nach rechts bis zur Syðri-Ófæra folge.


                                Yellow




                                Álftavötn

                                Mein Ziel, das wunderschöne Tal der Schwanenseen, oder etwas korrekter Singschwangewässer, ist schon in Sicht, strahlt aber von hier, vermutlich wetterbedingt, nicht im Glanz eines echten Smaragdtals. Dazu muss ich sagen, dass „álft“, also Singschwan, für mich eine besonders sehnsuchtsvolle Bedeutung hat, seit ich vor vielen Jahren die Folge von „Tiere vor der Kamera“ über die Singschwäne in Island gesehen habe, von Ernst Arendt und Hans Schweiger. Das war überhaupt der Grund, warum ich vor 22 Jahren zum ersten Mal nach Island gefahren bin, und noch heute geht mir beim Anblick und den Rufen dieser Vögel, wie man so schön sagt, das Herz auf.

                                Eine knappe Stunde später überquere ich die Syðri-Ófæra trockenen Fußes auf einer natürlichen Lavabrücke und laufe den letzten Kilometer bis zur Hütte. Der Wind ist frisch geworden, es riecht nach Regen. Soll ich besser hier das Zelt aufschlagen und die Annehmlichkeiten der Hütte nutzen, falls das Wetter umschlägt?


                                Syðri-Ófæra mit Brücke


                                Álftavötn mit Hütte



                                Nach einer kurzen Inspektion der Hütte (sauber, gut ausgestattet, unbewohnt) entscheide ich dagegen. Es ist erst kurz nach fünf, ich kann noch ein Stück weitergehen. Und als wollte der Himmel diese Entscheidung anfechten, beginnt es kräftig zu regnen. Na ja, eine kurze Pause kann doch nicht schaden, vielleicht hört es gleich wieder auf. Tut es auch, aber der nächste Schauer folgt auf dem Fuße. Ein Unwetter ist das jedenfalls nicht, also kann ich genauso gut aufbrechen.

                                Von der Hütte zieht sich ein Reitweg durch das Lavafeld nach Nordosten, das dürfte dann auch der Wanderpfad sein. Das ist wirklich ein herrliches Fleckchen Erde hier, selbst im Regen. Links ein Bach mit wunderschönen Zeltwiesen, dann rechts der Bach vom Wasserfall mit genauso schönen Plätzen. Einladender kann es kaum sein. Soll ich hier bleiben? Nein, es zieht mich weiter. Dann komme ich in die Schlucht und … boah, ist das geil hier! Unbeschreiblich! Der Regen hat aufgehört. Fotos!!


                                Bach vom Wasserfall


                                Eingang der Schlucht




                                Blick zurück





                                Wie auf Bestellung kommt die Sonne durch. Das ist also das Smaragdtal! Das Ende des Regenbogens. Klar, deshalb konnte ich auch nicht früher zelten. Glücklich suche ich mir einen passenden Platz, richte mich ein und wasche mich in der Syðri-Ófæra. Die vielen Fliegen stören gerade überhaupt nicht, ich fühle mich sauwohl.


                                Camp 3 in der Märchenschlucht

                                Kommentar


                                • ChuckNorris
                                  Erfahren
                                  • 03.08.2018
                                  • 177
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                  Endlich geht es weiter. Ich wollte schon anfangen zu pöbeln. Wie immer schön zu lesen.

                                  Kommentar


                                  • Borgman
                                    Dauerbesucher
                                    • 22.05.2016
                                    • 768
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                    Zitat von ChuckNorris Beitrag anzeigen
                                    Endlich geht es weiter. Ich wollte schon anfangen zu pöbeln. Wie immer schön zu lesen.
                                    Ey, hier wird nicht gepöbelt, mein Guter! Aber Dein Interesee freut mich natürlich . Wenn Deine Tour in Lomsdal-Visten klappt (danach sieht es ja aus, ich drück Dir die Daumen), dann kannst Du gerne mit gutem Beispiel voran gehen und den Bericht sehr viel schneller abliefern als ich .

                                    Kommentar


                                    • Prachttaucher
                                      Freak

                                      Liebt das Forum
                                      • 21.01.2008
                                      • 11979
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                      In dieser schwierigen Zeit ist es besonders schön diese Bilder zu sehen und berichtet zu bekommen. Freue mich auf die Fortsetzung.

                                      Kommentar


                                      • Borgman
                                        Dauerbesucher
                                        • 22.05.2016
                                        • 768
                                        • Privat


                                        #20
                                        AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                        @Prachttaucher: Danke! Geht schon weiter...


                                        Mittwoch, 08. Juli: Feuerspalte und Lavagarten

                                        An die hellen Nächte kann man sich gewöhnen. Wobei die Zahl Drei nicht ganz von der Hand zu weisen ist, denn das war die erste wirklich erholsame Nacht. Könnte natürlich auch an diesem traumhaften Platz liegen, oder daran, dass es gestern Abend noch mal ausgiebig geregnet hat. Bei Regen schläft es sich sowieso viel gemütlicher im Zelt.

                                        Beim ersten Gang nach draußen begrüßt mich wolkenlos blauer Himmel. Bis die Sonne das Zelt erreicht, wird es allerdings noch dauern, so lange will ich nicht warten. Nach einem schnellen Kaffee mit Haferkeksen packe ich ohne Trödeln zusammen, schnalle Hose und Stiefel gleich an den Rucksack und furte ziemlich genau um 6:00 Uhr die Syðri-Ófæra. Geht doch nichts über ein erfrischendes Fußbad zum Wachwerden. Wobei das Fußbad dann bis Mitte Oberschenkel reicht und eine mäßige Strömung aufweist. Nicht schwierig, nur kalt.





                                        In der Sonne bei nur leichtem Wind fühlen sich die 7°C Schattentemperatur schon richtig warm an, da kann die Softshell auch gleich in den Rucksack. Nachdem die Füße getrocknet sind, folge ich weiter dem Reitweg durch die Schlucht in das offene, hügelige Grasland. Ohne weiter darüber nachzudenken, lasse ich Hólaskjól aus und schwenke stattdessen mit dem Reitweg nach Nordosten. An der Áftavatnskrókur-Piste lasse ich kurz den Rucksack stehen und steige auf einen Hügel, von dem aus man mit etwas Glück ein Mobilnetz haben könnte. Hat man auch. Ich sende meiner Frau ein Lebenszeichen und checke die Wettervorhersage. Für heute und die nächsten zwei Tage sieht das richtig gut aus. Alles sehr erfreulich.


                                        Blick nach Süden


                                        Blick nach Norden. Gut zu erkennen: Gjátindur, der Spaltengipfel

                                        Dann will ich mal versuchen, den Kurs Nord-Nordost zu halten und pfadlos das von Erosionsrinnen durchzogene Grasland bis zur F208 zu queren. Die erste kann ich noch halbwegs umgehen, für die beiden folgenden findet sich auch jeweils schnell ein Übergang. Wenn man bedenkt, wie zerfurcht die Landschaft diesseits der Skaftá auf den Luftbildern aussieht (die Karte lässt davon kaum was erahnen), dann läuft es sich an dieser Stelle eigentlich sehr gut. Kurz hinter der F208 stoße ich auf den neu markierten Pfad Hólaskjól – Eldgjá, der auf der Karte zwar noch nicht eingezeichnet ist, den Tom aber bei der Vorbereitung schon erwähnt hatte. Der windet sich hier sehr idyllisch zwischen Lavabrocken und dem westlichen Flussarm der Norðari-Ófæra nach Norden.





                                        Jetzt sollte ich langsam überlegen, ob ich unten in der Eldgjá oder am oberen Rand gehen will. Beides klingt attraktiv. Die Entscheidung fällt dann zugunsten der höheren Route, weil ich mir von da eine nette Aussicht verspreche und den steilen Aufstieg am Ende vermeide. Also folge ich am Ende des Pfades nur kurz der F208 und biege dann auf die Nebenpiste ab. Jetzt sind beide Flussarme hintereinander zu furten. Mit Neoprensocken, damit die auch mal benutzt werden, aber die Hose fixiere ich nur über dem Knie, was ein Fehler ist. Selbst ein gutes Stück neben der ausgefahrenen Autospur reicht das Wasser noch bis Mitte Oberschenkel. Wobei das heute eigentlich egal ist, ich mache hier, also ein Stück flussabwärts, sowieso Frühstückspause, da kann sie trocknen. Und das Zelt gleich auch.


                                        Einer der Flussarme

                                        So mit dem leichten, kühlen Wind lässt es sich in der Sonne gut aushalten, nur ist er leider nicht stark genug, um die vielen Fliegen zu vertreiben, die zielstrebig Augen, Nasenlöcher und Ohren ansteuern. Also, ganz ehrlich, Schaf möchte ich hier nicht sein, saftiges Gras hin oder her. Wenn man kein Kopfnetz hat, wird man doch wahnsinnig bei dem Gewusel. Anders als vor zwei Jahren habe ich aber eins dabei und kann entspannt sein. Beim Fotografieren sind die Biester übrigens auch nervig – an der Anzahl der verwischten Flecken auf den Bildern lässt sich sehr genau der Fliegen-Belästigungsgrad ermitteln. Besser ein paar mehr machen und später aussortieren.

                                        Von hier kann ich leider nicht so direkt direkt zum Rand der Eldgjá hochgehen, wie ich eigentlich dachte, weil eine Schlucht den Weg versperrt. Warum bin ich überhaupt nach der Furt so weit flussabwärts gegangen? Also zurück zur Piste. Dort, wo sie einen weiten Bogen macht, kürze ich aber direkt über den Hang ab. Hässliche Reifenspuren im weichen, moosbedeckten Boden zeigen an, dass auch schon mal idiotische Autofahrer so dachten. Das ist für den Wanderer trotz aller landschaftlichen Schönheit ein Nachteil dieser Gegend, man kommt fast überall auch mit dem Auto hin. Na ja, bald komme ich zumindest auf einen richtigen Wanderpfad.

                                        Da ist schon der Ófærufoss, ja ja, ich weiß, ohne die Lavabrücke nur halb so imposant, aber immer noch wunderschön. Hier steigt auch ein markierter Pfad aus der Spalte hoch, der anscheinend immer nah an der Abbruchkante in meine Richtung verläuft.


                                        Ófærufoss


                                        Grasnelke


                                        Gjátindur und Moosberg (und gemeine Islandfliege)


                                        Ófærufoss noch mal näher


                                        Eldgjá, die Feuerspalte



                                        Das ist alles sehr schön, und es macht auch Spaß, dem Pfad durch diese Moos- und Schotterlandschaft zu folgen, aber die Eldgjá berührt mich nicht so, wie ich erwartet hätte. Also, es fügt sich alles ganz wunderbar, ich bin gut drauf, das Wetter ist perfekt, und trotzdem fehlt was. Das Phänomen haben auch andere schon beschrieben: man hat schon zu viele Bilder davon gesehen, es fehlt das Überraschungsmoment.

                                        Zum nördlichen Ende hin, dort wo auf beiden Seiten der Spalte rote Klippen leuchten, hören die Moospolster plötzlich auf, und man betritt eine mit Abertausenden von Blütenpflanzen gesprenkelte Wüstenlandschaft. Das ist irre! Leider gelingt es mir nicht, die eigenartige Atmosphäre in einem Bild adäquat einzufangen.










                                        Hier geht‘s runter in die Eldgjá

                                        Am Pfadabzweig setze ich mich für eine halbe Stunde auf die Steine und verspeise einen Müsliriegel. Hier weisen die Markierungspfähle tatsächlich eine Route den absurd steilen Hang aus Sand und feinem Schotter hinab. Runter kommt man wohl auf dem Hosenboden, wobei man die Hose danach sicher wegschmeißen kann, aber hoch? Alle Achtung, wer das mit schwerem Gepäck schafft! Nee, ich bin froh über meine Routenwahl.

                                        Da ich eben auch die Trinkflasche geleert habe, kann ich meine Mittagspause erst am nächsten Bach machen. Also weiter. Nach einem kurzen Anstieg führt der Pfad hoch zum Gjátindur, und rechts zweigt der Pfad nach Skælingar ab. Alles gut ausgeschildert, nicht zu verfehlen. Nur in der Karte ist er irreführend eingezeichnet.


                                        Eldgjá

                                        So richtig viel Wasser gibt es erst mal nicht. Die wenigen Schneefelder bilden nicht mal eine Pfütze, alles Schmelzwasser versickert sofort. Eigentlich könnte ich auch gleich die ganze Strecke runter nach Skælingar gehen, so weit ist das nicht. Aber dann höre ich ein Bächlein, das tief in einer Rinne fließt. Inzwischen brennt die Sonne ganz ordentlich, was die Fliegen und hier auch Kriebelmücken zu höchster Aktivität antreibt. Ich muss mich mal waschen und brauche eine Stunde Ruhe vor dem Viehzeug. Leider klappt es nur bedingt, das Zelt mit allen Klamotten in eine schattige Höhle zu verwandeln. Es ist einfach zu warm.


                                        Blick zur Skaftá

                                        Obwohl eigentlich immer Wolken am Himmel sind, laufe ich nach der unbefriedigenden Pause gefühlt nur noch in der Sonne. Bestimmt kriege ich heute mindestens einen leichten Sonnenbrand. Mal abgesehen davon, dass ich beim Wandern sowieso keine Sonnencreme auf der Haut mag, steht sie für Island immer ganz unten auf der Packliste, bei den Sachen, die man am Ende auch weglassen kann, weil man sie fast nie braucht.

                                        Momentan gehe ich immer noch davon aus, dass der Pfad zumindest so ähnlich verläuft, wie auf der Karte eingezeichnet. Deshalb verpasse ich auch die Stelle, wo die Markierungen links abbiegen und laufe weiter geradeaus auf einem Schafpfad. So kommt man zwar bestimmt auch zur Hütte, aber ich gehe trotzdem zurück, als ich den Irrtum bemerke und bin angenehm überrascht. Der Pfad führt hinunter in eine hübsche kleine Schlucht mit perfekten Zeltwiesen.






                                        Kleine Schlucht nordwestlich von Skælingar

                                        Noch ist es eigentlich zu früh, um den Feierabend einzuläuten, nämlich gerade erst kurz vor vier, aber ich bin schließlich im Urlaub und habe alle Zeit der Welt. Ich laufe noch bis zur nächsten Schlucht, die wieder Stóragil heißt, folge dem nach links abzweigenden Pfad hundert Meter und lasse den Rucksack an einem kleinen Quellteich stehen. Das ist schon die Richtung, in der ich mir später einen Platz suchen will. Aber zuerst erkunde ich die Gegend. Hier beginnt nämlich der wunderschöne Lavagarten von Skælingar, ein natürlicher Skulpturenpark, durch den sich idyllisch der Bach schlängelt. Da ist es, das an der Eldgjá vermisste Überraschungsmoment. Oder mir sind die kleinen Formen einfach näher als die ganz großen. Ich bin jedenfalls begeistert!




                                        Da ist die Hütte Skælingar











                                        An der Hütte steht ein Monsterjeep, aber es ist kein Mensch zu sehen. Eine ganze Weile klettere ich im Lavagarten herum und betrachte die fantastischen Formen aus unterschiedlichen Perspektiven. Trotz aller Fremdartigkeit gewinnt dieses Tal schnell etwas Vertrautes. Ein Ort, an den man zurückkehren möchte.

                                        Beschwingt gehe ich wieder zum Rucksack und laufe noch ein Stück in die Stóragil. Wo der Pfad rechts den Hang hoch führt, bleibe ich allerdings im Talgrund. Gute Zeltwiesen gibt es hier überall, deshalb schaue ich vor allem nach einen möglichst steilen Hang im Westen. Was dann doch nicht so einfach ist. Nach einiger Sucherei entscheide ich mich für eine Stelle, die noch lange nicht im Schatten ist und mache ohne Gepäck einen Spaziergang talaufwärts.


                                        Schafe gibt es hier natürlich auch


                                        Schatten, aber kein ebener Platz


                                        Wollgras


                                        Stóragil

                                        Jetzt kann ich aber wirklich langsam das Zelt aufstellen und mich ausgiebig im herrlich kalten Bach waschen. Der Quellteich von vorhin käme jetzt gerade recht, darin könnte ich ganz eintauchen. So heruntergekühlt entspanne ich mich und beginne mit dem Kaffeekochen, als der ersehnte Schatten dann endlich über das Zelt kriecht. Dazu frischt der Wind merklich auf. Einen Sonnenbrand habe ich wohl doch nicht bekommen, die Haut ist im Nacken und an den Oberarmen zwar gerötet, fühlt sich aber nicht übermäßig heiß an. Ich nehme noch mal die Karte zur Hand und bin ein bisschen erstaunt. Die Strecke von heute muss ähnlich lang gewesen sein wie die von gestern, aber sie kam mir viel kürzer vor. Ich zähle ja keine Kilometer, deshalb kann ich es nicht genau sagen. Früher oder später verliere ich in Island immer das Gefühl für Entfernungen.


                                        Camp 4 in der Stóragil

                                        Kommentar


                                        • evernorth
                                          Fuchs
                                          • 22.08.2010
                                          • 1835
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                          Alles so vertraut, ein schönes Wiedersehen. Storagil und der wunderbare Lava - Garten von Skaerlingar
                                          faszinieren mich auch immer wieder aufs Neue.
                                          My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

                                          Kommentar


                                          • Borgman
                                            Dauerbesucher
                                            • 22.05.2016
                                            • 768
                                            • Privat


                                            #22
                                            AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                            @evernorth: am nächsten Tag wirst Du auch einiges wiedererkennen, aber vielleicht ist auch was Neues dabei … ?

                                            Ich fürchte nur, diesmal sind es viel zu viele Bilder. Konnte einfach nicht genügend aussortieren.


                                            Donnerstag, 09. Juli: Festung der versteinerten Trolle

                                            Nach einer eher unruhigen Nacht kann ich am frühen Morgen noch mal richtig einschlafen und stehe daher etwas später auf. Na ja, nicht wirklich spät, halb sechs ist immer noch recht früh. Wie an allen Tagen bisher scheint auch heute die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Bin ich wirklich in Island? So viel Glück mit dem Wetter kann man ja fast nicht haben. Mit 3°C ist es etwas kühler als gestern, es weht ein frischer Nordwind.

                                            Heute stellt sich überhaupt nicht die Frage, was der Tag wohl bringen wird. Egal welchen Bericht man liest, von Skælingar geht man zur Hütte Sveinstindur. Punkt. Der Pfad dahin soll zumindest teilweise markiert sein und führt an den Uxatindar durch eine Schlucht, die ich unbedingt besuchen will. Die stand bei der Vorbereitung ganz oben auf der Liste. Ich kann es gar nicht abwarten. Um 6:40 Uhr habe ich gepackt und gehe erst mal ein Stück weiter in der Stóragil. Bald treffe ich auf den ersten Abzweig. Links oder rechts? Von links kommt der größere Bach, das ist dann wohl die Hauptschlucht, aber ich entferne mich auch weiter vom Pfad, der irgendwo rechts auf dem Hügelrücken verläuft. Und es ist zu vermuten, dass sich die Schlucht noch weiter verzweigt.

                                            Lieber die sichere Variante nach rechts. Hier läuft es sich anfangs sehr bequem neben dem Bach, aber dann kommt eine Steilstufe, die ich nur mit Mühe überwinden kann. Ich glaube, diese Schluchtenkletterei ist nichts für mich. Da man an dieser Stelle ganz gut am Hang aufsteigen kann, nutze ich die Gelegenheit, um hinüber zum Pfad zu wechseln.


                                            Blick zurück vor der Steilstufe


                                            Aufstieg zum Pfad



                                            Von oben sieht man, dass es tatsächlich ein ziemliches Gewirr von Schluchten ist. Hier treffe ich auf die Markierungen, die bald danach in die Piste münden. Über eintönige Schotterhügel geht es ein paar Kilometer immer weiter hoch. Im Norden kann man schon die Uxatindar sehen, und nach Süden reicht der Blick bis zum Mýrdalsjökull. Trotz der schönen Aussicht zieht sich der Weg unnötig in die Länge, oder ich bin einfach nur zu ungeduldig. Außerdem weht hier über das offene Plateau ein kalter Wind, der in der Skaftá-Ebene ziemliche Staubfahnen aufwirbelt.


                                            Uxatindar in Sicht


                                            Blick nach Süd-Südwest über die Stóragil zum Mýrdalsjökull

                                            Hinter dem nächsten Hügel muss ich aufpassen, wo der Wanderpfad abzweigt. Die Karte schlägt zwei mögliche Routen vor, die aber beide nicht stimmen. Nach meinem Gefühl beginnt die logische Route dort, wo die Piste nach Südwesten schwenkt und ein kurzer Stichweg nach Nordosten abzweigt. Genau da finde ich dann auch an einer Art Parkplatz den ersten gelben Markierungspfahl.


                                            Uxatindar



                                            Ziemlich genau anderthalb Stunden habe ich von meinem Platz in der Stóragil bis hier gebraucht, hat also doch nicht so lange gedauert, wie es mir vorkam. Auf dem letzten Bild kann man den Pfad schon erkennen. Eine halbe Stunde geht es jetzt noch über graue und schwarze Schutthügel und am Hang des südlichsten Uxatind entlang, dann wird es spannend. Eigentlich soll man in der engen Schlucht problemlos gehen können, aber natürlich hält sich da auch der Schnee länger, es ist ja noch recht früh im Sommer.


                                            Eingang zur Schlucht Uxatindagljúfur



                                            Der obere Eingang ist dann tatsächlich von einem Schneefeld ausgefüllt, dahinter kommt ein Abschnitt, wo man bequem neben dem Bach gehen kann. Weiter unten wird es eng. Zu beiden Seiten ragen fantastisch geformte Felsen in den Himmel, die zu dieser frühen Stunde das Sonnenlicht noch abhalten. Wie eine Ahnengalerie versteinerter Trolle. Zum Fotografieren sollte man besser um die Mittagszeit kommen. Markiert ist hier nichts, das wäre in einer Schlucht, die sich durch Steinschlag ständig verändert, auch sinnlos. Man umgeht die Hindernisse auf der einen oder anderen Bachseite, wo es eben geht. An einer Stelle sehe ich keine andere Möglichkeit, als mich mitten im Bach unter einer Schneebrücke hindurchzuquetschen. Hier ist der Bach ein klein bisschen tiefer als meine Stiefel hoch sind.












                                            Auch am Rand können Schneefelder unterhöhlt sein




                                            Unter dieser Schneebrücke bekomme ich nasse Füße



                                            Was für ein tolles Erlebnis! Ich habe einen Heidenspaß in dieser Schlucht. Manchmal sieht es so aus, als ginge es jetzt wirklich nicht weiter, aber dann gibt es doch einen Durchschlupf. Wie man auf den Fotos sieht, ist den Schneefeldern nicht zu trauen. Da bin ich besonders vorsichtig und klettere lieber am Rand einmal mehr über die Steine. Uxatindagljúfur ist wirklich der Hammer! Im unteren Abschnitt werden die Hänge etwas flacher und lassen mehr Sonne ins Tal. Dann weitet es sich und mündet in ein kleines Schwemmland am See 532m, der in der Karte keinen Namen hat.












                                            Blick zurück zum Ausgang der Schlucht


                                            Blick nach Norden



                                            Erst von hier sieht man so richtig, dass der Durchgang zur Schlucht genau so aussieht wie ein Burgtor, eingefasst von mächtigen Mauern. Ja klar, warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Die Festung der versteinerten Trolle! Hierher zogen sich in früheren Zeiten die Trolle nach ihren nächtlichen Raubzügen zu den Schafweiden der Menschen zurück. Hier schliefen sie tagsüber in riesigen Höhlen, abgeschirmt vom tödlichen Sonnenlicht. Bis eines Tages um die Mittagszeit, an einem wolkenlosen Sommertag wie diesem, ein gewaltiges Erdbeben das Dach der Festung zum Einsturz brachte und alle Trolle in Minutenschnelle zu Stein wurden wo sie gerade saßen oder standen. Nur die Festungsmauern blieben stehen und erinnern daran, dass dies keine gewöhnliche Schlucht ist. Wer sich traut, kann sie betreten und sich mit wohligem Grusel den versteinerten Trollen nähern, die vor kaum mehr als zweihundert Jahren alle Bauern, alle Schafe im südlichen Island des Abends in Angst und Schrecken versetzten. Ja, so war das. Man kann es doch sehen!

                                            Der See lässt sich tatsächlich recht einfach westlich umgehen, nur schwinden mir langsam die Kräfte. Drei Stunden bin ich jetzt mit nur zwei Haferkeksen im Bauch gelaufen, es wird Zeit für die Frühstückspause. Weil es immer noch kühl und windig ist, baue ich am Nordende des Sees mein Zelt auf, dann kann ich mich nach dem Müsli eine Stunde ungestört aufs Ohr knallen. Meine Fantasie beschäftigt sich derweil noch in lebhaften Bildern mit dem plötzlichen Ende der Trollplage in Südisland.

                                            Nach zwei Stunden, gegen Viertel vor zwölf, bin ich ausgeruht und bereit zum Weitergehen. Von anderen Berichten weiß ich schon, dass man nicht an der Skaftá zur nächsten Schlucht, Hvanngil, kommt, sondern gleich hier am steilen Hang aufsteigen sollte. Dass das auch der offizielle Übergang ist, zeigt ein einzelner Markierungspfahl an. Der Hang ist sandig, aber man findet trotzdem recht guten Halt. Von oben noch mal ein prachtvoller Blick zurück.


                                            Blick auf die Uxatindar…


                                            … und zur Skaftá...


                                            … und zur Hvanngil

                                            Jetzt geht es hier runter, dann durch den Fluss und auf der anderen Seite wieder hoch. Oder? Seltsamerweise verlaufen die Markierungen nach Norden zur Hochebene. Gibt es vielleicht noch einen anderen Übergang? Oder ist das eine ganz andere Route? Das macht mich neugierig, also folge ich ihr. Einen Pfad gibt es allerdings nicht.


                                            Ebene oberhalb der Hvanngil. Ist der Berg da hinten schon Sveinstindur?

                                            Die Markierungen schwenken bald nach Osten zur Hvanngil, aber ich habe schon Gefallen an der Idee gefunden, dass es eine andere Route gibt, die vielleicht ganz interessant sein könnte. Ich laufe weiter oberhalb der Schlucht nach Norden, bis es über einen sanften Hang hinunter zum Fluss Hellnaá geht.


                                            Hvanngil – hier ist noch nicht die richtige Stelle zum Absteigen...


                                            … sondern hier. Dem Bach in der Mitte folge ich.

                                            An dieser Stelle lässt sich die Hellnaá problemlos furten. Links oder rechts vom Hellnafjall? Nach Gefühl entscheide ich für rechts, denn links käme ich zu früh auf die F235, die Langsjór-Piste. Eigentlich sollte hier laut Karte auch eine Piste sein, die aber nicht existiert oder schon so lange nicht mehr benutzt wurde, dass ihre Spuren komplett getilgt sind. Umso besser. Ich folge jetzt einem größeren Bach in nordöstlicher und später in nördlicher Richtung, den ich ein paar Mal quere, wenn es auf einer Seite zu unbequem wird.


                                            Furt Hellnaá


                                            Blick zurück, eine Viertelstunde später...


                                            … und in meine Laufrichtung. Der Berg müsste schon Mosahnjúkur sein.

                                            Ein leuchtend grün gesäumtes Band inmitten graubrauner, fast vegetationsloser Hügel. Ich spekuliere ein bisschen darauf, dass so ein kräftiger Bach in sandiger Landschaft von interessanten Quellen gespeist wird, und so ist es auch. Im Oberlauf treten überall sprudelnde Quellen aus dem Hang, schon von Weitem erkennbar an saftig dicken Moospolstern. Das gefällt mir sehr gut. Ich bin froh, dass ich eine andere als die bekannte Route gegangen bin und noch nicht schon vorher weiß, was mich erwartet.









                                            Eine einzige kleine Steilstufe lässt sich auf dem Schafpfad überwinden. Dahinter setze ich mich für eine halbe Stunde in den Schatten eines Felsens, umschwirrt von hunderten Fliegen. Während man läuft, sind sie ja noch einigermaßen erträglich, aber sobald man still steht um ein Foto zu machen oder sich gar ein bisschen ausruht, kommen sie von überall her. Sehe ich aus wie ein Dunghaufen, oder was? Haben die keine Schafe, die sie nerven können?


                                            Doch, haben sie!





                                            Merke: anbrüllen beeindruckt die Insekten überhaupt nicht, der Mund-Nase-Schutz schützt bekanntlich nur Mund und Nase gegen Fliegenattacken, aber ein Kopfnetz hilft. Zwei Stunden bin ich seit dem Frühstück gelaufen, da stellt sich die Frage, ob ich es für heute gut sein lasse. Nein, wenn ich ein paar Kornmo einwerfe, kann ich noch ein Stück Richtung Langsjór schaffen. Wasserflasche auffüllen nicht vergessen, noch gibt es frisches Quellwasser.





                                            Oberhalb der Quellen ist der Bach nur ein staubtrübes Rinnsal zwischen aschebedeckten Schneefeldern und Wüstensand. Mühsam stapfe ich durch den Sand, und das wird auch nicht besser, als ich auf die Piste zur Sveinstindur-Hütte stoße. Ich könnte jetzt auch zur Hütte gehen und morgen zum Langsjór, aber das wäre ein deutlicher Umweg. Jetzt beiße ich einfach mal die Zähne zusammen und gehe zum Langsjór. Wobei der Sand natürlich längst zwischen den Zähnen knirscht, denn der Wind hat nicht aufgehört. Sand, Sand, Sand, westlich am Mosahnjúkur vorbei, dann wird es besser.




                                            Sveinstindur in Sicht



                                            Staubfahnen wehen über eine Ebene, die ganz und gar unwirtlich aussieht. Selbst wenn es hier Wasser gäbe, wäre das kein Ort zum Übernachten. Kilometer um Kilometer krieche ich am Sveinstindur entlang und komme meinem Ziel scheinbar überhaupt nicht näher. Gibt es hier überhaupt einen See? Ja doch, sei nicht so ungeduldig, es geht nur noch über einen sanften Pass. Tatsächlich, da ist er. Langsjór. Ich atme auf.





                                            Puh, das wäre geschafft. Der letzte Abschnitt seit dem Tal der Quellen war doch ziemlich eintönig und anstrengend. Jetzt kann ich mir viel Zeit lassen, um einen Platz für die Nacht zu finden, denn es ist erst vier Uhr nachmittags. Kommt mir viel später vor. Also, einen Schattenplatz werde ich hier am Ostufer nicht finden, aber vernünftige ebene Stellen sollte es geben. Bei näherer Betrachtung ist auch das nicht ganz einfach. Ich laufe noch ein Stück am Seeufer entlang, dann etwas höher am flachen Hang, bis ich einen geeigneten Platz finde. Jetzt will ich im See baden und mich komplett im Wind trocknen lassen. Dass das Baden dann nur sehr kurz ausfällt, mindert die Erfrischung und das unbeschreiblich gute Gefühl danach überhaupt nicht. Jetzt noch Sachen waschen, dann kann der gemütliche Teil des Nachmittags beginnen.


                                            Camp 5 am Langsjór

                                            Kommentar


                                            • ChuckNorris
                                              Erfahren
                                              • 03.08.2018
                                              • 177
                                              • Privat


                                              #23
                                              AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                              Sehr schön, da werden Erinnerungen wach. Kannst ruhig weiter so viele Bilder posten!

                                              Kommentar


                                              • Borgman
                                                Dauerbesucher
                                                • 22.05.2016
                                                • 768
                                                • Privat


                                                #24
                                                AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                @ChuckNorris: ich nehme Dich beim Wort, es geht weiter mit vielen Bildern.


                                                Freitag, 10. Juli: Das Wunder des Lebens

                                                Gestern wollte ich noch keinen Plan für die restlichen Tage machen, und irgendwie habe ich heute auch keine rechte Lust dazu. Seltsam. Sonst lege ich mir gerne wenigstens für den Tag eine Route zurecht, die ich dann über den Haufen werfen kann. Aber heute will der Funke nicht zünden. Seit 4:30 Uhr bin ich schon betriebsbereit, das ist auf dieser Tour anscheinend zur Gewohnheit geworden, habe ein Heißgetränk zubereitet und wie üblich die Karte zur Hand genommen.

                                                Fünf ganze Tage habe ich noch zur Verfügung. Das würde gerade so reichen, um einmal um den Langisjór und zurück nach Landmannalaugar zu laufen. Da wäre allerdings kein Reservetag drin, jedenfalls nicht, wenn ich mir Zeit lasse. Oder ich bleibe heute einen Tag in der Südostecke vom Langisjór, steige auf den Sveinstindur und gehe die Runde um den Fagralón. Na, wie wäre das? Keine Reaktion. Anscheinend kann ich mich für gar nichts so recht begeistern. Oder auf der anderen, also westlichen Seite nach Norden und hoch zum Breiðbakur, von da hat man bestimmt auch einen schönen Blick. Das klingt schon besser. Dann könnte ich morgen vielleicht durchs Langidalur Richtung Tungnaá laufen. So ganz überzeugt bin ich nicht, aber es ist wenigstens ein Plan. Dann mal los.

                                                Bei unverändert schönem Wetter laufe ich gegen sechs am Seeufer zurück zur Piste und weiter am Rand der Ebene dem südlichsten Zipfel des Langisjór entgegen. Der Wind treibt ein paar Wolken über den Himmel und Staubfahnen über den Wüstenboden. Hier steht eine Art Infohäuschen mit Toiletten, daneben der offizielle Zeltplatz, der sogar bewohnt ist. Steinig und staubig, nee, da hätte ich nicht übernachten wollen.


                                                Langisjór





                                                Aus irgendeinem unbewussten Grund scheine ich mit dem großen See nicht recht warm zu werden. Mir ist bis heute Morgen nicht mal aufgefallen, dass er eigentlich Langisjór heißt, mit einem „i“ in der Mitte. Dabei sollte der doch eine der großen Attraktionen der Tour sein. Man muss wohl nicht alles verstehen. Statt wie vor einer Stunde geplant dem westlichen Seeufer zu folgen, zieht es mich sozusagen magisch über den Pass Vikurskarð auf die andere Seite der Bergkette. Das ist ein seltsamer Moment, in dem ich aufhöre darüber nachzudenken, sondern mich einfach treiben lasse. Für eine Weile habe ich sogar das Gefühl, dass Beine und Bewusstsein (um jetzt nicht Körper und Geist zu sagen) nur noch lose zusammenhängen. Gar nicht unangenehm, es fühlt sich fast schwerelos an.





                                                Bestimmt ist es die Wüstenlandschaft, die diesen meditativen Zustand hervorruft. Einige Kilometer gehe ich nach Norden, teils auf der Fahrspur, dann lieber eine längere Strecke der Nase nach über die grauen Hügel. Gestern noch fand ich die Wüste abweisend und anstrengend, aber heute fühle ich mich mühelos in die klaren Formen dieser ablenkungsfreien Weite hinein. Nach einem fast vegetationslosen Gebiet gibt es in der Nähe des Langidalur wieder mehr Leimkraut und Grasnelken, die sich hier tapfer und wunderschön den widrigen Bedingungen stellen. Und ich entdecke eine vergängliche Miniatur-Landschaft, die nach der Schneeschmelze im nächsten Jahr wahrscheinlich ganz anders aussehen wird.


                                                Miniatur-Landschaft 1


                                                Stengelloses Leimkraut




                                                Arktische Weide

                                                Nahe des Bachs im Langidalur gibt es sogar überraschenderweise einen mehrere Quadratmeter großen Moosfleck mit einer einzelnen kriechenden Weide, die mir an anderer Stelle sicher nicht weiter bemerkenswert erschienen wäre. Aber nach dem reinigenden Gang durch die Wüste bin ich wieder empfänglich geworden für das Wunder des Lebens. Das waren zweieinhalb unerwartet befriedigende Wanderstunden.

                                                Jetzt hole ich Wasser vom Bach und mache eine lange Frühstückspause. Anders als am Langisjór ist das hier mein besonderer Platz, an dem ich mich wohlfühle und total entspannen kann. Schon seltsam, wo einen die Beine manchmal hintragen, wenn man nicht aufpasst.






                                                Blick zurück zum Frühstücksplatz



                                                Der Bach heißt Lónakvísl. Nach der Frühstückspause lasse ich mich ganz selbstverständlich über die grauen Hügel nach Südwesten treiben. Das war also der Umkehrpunkt, ab jetzt laufe ich wieder auf Landmannalaugar zu. Irgendwann steige ich ins Bachbett ab und gehe mehr oder weniger direkt am Wasser, ich habe ja Zeit. Noch lässt er sich bequem in Stiefeln überqueren, aber dann weitet sich das Tal zu einer wassergesättigten Ebene. Schon an der dunkelgrauen Farbe im Gegensatz zu den helleren Hügeln lässt sich erkennen, dass hier mit festem Boden nicht zu rechnen ist. Überall sprudeln Quellen, nicht nur an den Hängen, sondern auch mitten in der Ebene.




                                                Miniatur-Landschaft 2



                                                Durch Versuch und Irrtum finde ich die Stellen, wo man nicht zu tief einsinkt, komme mir aber dabei wie ein Eindringling vor, der die makellosen Kies- und Sandflächen mit hässlichen Fußspuren verschandelt. So ein abgeschiedenes, empfindliches Fleckchen Natur sollte eigentlich nicht betreten werden. Nach der Ebene steige ich dann auch wieder über die Hügel, was den weiteren Vorteil hat, dass ich Lónakvísl nicht mehrmals furten muss, der hier in scharfen Kehren dicht am Hang strömt. Ohne Schuhwechsel ginge das jetzt nicht mehr. Hunderte von Quellen haben dafür gesorgt, dass er auf wenigen Kilometern zu einem stattlichen Wildbach angeschwollen ist.






                                                Aufgeblasenes Leimkraut und Grasnelke


                                                Lónakvísl

                                                Langsam wird es recht warm in der Sonne. Der kalte Nordwind flaut ab und überlässt das Feld den Fliegen, die sich gierig auf mich stürzen. Ist das eigentlich eine besondere Art von Fliegen, die gezielt die Nasenlöcher und Ohren ansteuern, um so weit wie möglich hineinzukrabbeln, und die Augen natürlich, wo sie nicht weit kommen? Gibt es die nur in Island? Die kenne ich von nirgendwo sonst.

                                                Am Rand der nächsten Ebene furte ich und suche mir auf den nassen Moosflächen östlich vom Lónakvísl einen Platz für die Mittagspause. Na toll, mitten im Fliegenparadies! Von Weitem sah das irgendwie besser aus. Gegen die Sonne stelle ich das Zelt auf und breite den Schlafsack darüber. Und noch alle Klamotten. Jetzt passt es. Kornmo, Käse, Kaffee – die Fliegen lassen mich in der offenen Apsis sitzend sogar weitgehend in Ruhe.


                                                Furt Lónakvísl



                                                Als ich gegen drei aufbreche, lasse ich die Sandalen gleich an, denn es müssen mehrere sandige Nebenarme gefurtet werden. Bis zur Hütte Örk am Kvíslarlón sind es jetzt nur noch wenige Kilometer, vorbei an Quellen, über graue Hügel und zuletzt auf einer einfachen Fahrspur. Eigentlich schade, dass jetzt schon wieder Anzeichen der Zivilisation auftauchen. Andererseits ist hier erst ein einziges Auto gefahren, und das war kein normaler Geländewagen.




                                                Blick nach Westen über die Ebene




                                                Örk, die Hütte am Kvíslarlón

                                                Die Hütte ist abgeschlossen, was aber keine Rolle spielt, denn ich hätte hier sowieso nicht übernachtet. Entweder laufe ich noch weiter, oder ich suche mir einen Platz an einem der kleineren Seen in der Nähe. Aber zuerst will ich die Schlucht westlich des Kvíslarlón anschauen, wo der Fluss durch die Bergkette bricht. Der Rucksack bleibt an der Hütte. Seltsam, dass es von der Hütte keinen Pfad oder wenigstens Fußspuren zur Schlucht gibt. Ist wohl nicht so die Touristenattraktion. Es geht ein Stück am Seeufer entlang, dann über einen flachen Sattel, der noch die Sicht versperrt und … wow, das ist ja unglaublich schön hier.


                                                (Klick auf das Bild für größere Ansicht)

                                                Ich muss mich erst mal hinsetzen und staunen. Bizarr geformte Felsen, ein Wasserfall und diese perfekte grüne Ebene in der Mitte. Natürlich werde ich heute nicht weitergehen, sondern hier zelten. Wie blöd, dass der Rucksack an der Hütte steht. Eine ganze Weile muss ich da gesessen und gestaunt haben, denn als ich zum zweiten Mal über den Sattel komme, diesmal mit Gepäck, ist schon eine Stunde vergangen.









                                                Durch die Schlucht scheint es einen Schafpfad zu geben, obwohl der Hang sehr steil ist. Ja doch, den Pfad sieht man ganz deutlich. Allerdings sind isländische Schafe schwindelfrei und können gut klettern. Bin mir nicht sicher, ob ich das morgen wagen soll. Für heute reicht mir der Blick von unten.

                                                Statt auf der Ebene baue ich das Zelt lieber am Berghang auf, da ist es früher im Schatten. Hätte nie gedacht, dass ich in Island mal so auf der Suche nach Schattenplätzen sein würde. Mobilnetz gibt es hier nicht, und die letzte Wetterprognose ist von Mittwoch, also total veraltet. Nach vollen sieben Tagen Sonnenschein, das bisschen Regen am Dienstag zählt nicht, hätte ich keine Einwände gegen einen gemütlichen Regentag. Mal richtig ausschlafen, in den Schlafsack gekuschelt den Regentropfen lauschen, das klingt auch nicht schlecht. Theoretisch könnte man auch ohne Regen einen Ruhetag einlegen, aber die vielen Sommertouren mit wechselhaftem Nordlandwetter haben mich schon bis in die Knochen darauf konditioniert, jeden Sonnenstrahl zum Wandern zu nutzen.

                                                Von der Wüste am Vikurskarð über den Frühstücks-Moosfleck, die spärliche, kostbare Vegetation auf den grauen Hügeln und das große Tal der Quellen bis zu diesem besonders schönen Platz an der Schlucht – rückblickend war das heute wie ein Sog, der genau auf dieses Ziel hinführte. So fügt sich manchmal ganz harmonisch, was überhaupt nicht geplant war.


                                                Camp 6 am Lónakvísl

                                                Kommentar


                                                • ronaldo
                                                  Freak
                                                  Moderator
                                                  Liebt das Forum
                                                  • 24.01.2011
                                                  • 12506
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                  Einfach großartig, deine Bilder! Vielen Dank dafür.

                                                  Kommentar


                                                  • evernorth
                                                    Fuchs
                                                    • 22.08.2010
                                                    • 1835
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                    Schöne Bilder, Bernd. Die Überraschung ist dir gelungen.
                                                    Ich hatte ja ( aus bekanntem Grund ) auf eine Umrundung des Langisjór gehofft.
                                                    Was für ein tolles Fleckchen Erde!
                                                    My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

                                                    Kommentar


                                                    • Borgman
                                                      Dauerbesucher
                                                      • 22.05.2016
                                                      • 768
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                      Zitat von ronaldo Beitrag anzeigen
                                                      Einfach großartig, deine Bilder! Vielen Dank dafür.
                                                      Gern geschehen! Freut mich, dass es Dir gefällt.

                                                      Zitat von evernorth Beitrag anzeigen
                                                      Schöne Bilder, Bernd. Die Überraschung ist dir gelungen.
                                                      Ich hatte ja ( aus bekanntem Grund ) auf eine Umrundung des Langisjór gehofft.
                                                      Was für ein tolles Fleckchen Erde!
                                                      Ja, nicht wahr? Selbst in einer ziemlich bekannten Gegend kann man noch was entdecken. Dass Du bezüglich des Langisjór ein bisschen enttäuscht sein würdest, dachte ich mir, aber ... soll ich was andeuten? ... soll ich?? Nee, jetzt noch nicht . Erst mal geht es ganz gepflegt mit dem nächsten Tag weiter.

                                                      Kommentar


                                                      • Borgman
                                                        Dauerbesucher
                                                        • 22.05.2016
                                                        • 768
                                                        • Privat


                                                        #28
                                                        AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                        Samstag, 11. Juli: Am großen Fluss

                                                        Beim Aufwachen gegen 5:00 Uhr scheint es, als erfülle sich mein leiser Wunsch von gestern. Es regnet. Die Außentemperatur von 2°C sorgt in Verbindung mit Windstille für ordentlich Kondens am Außen- und sogar ein bisschen am Innenzelt. Ist halt ein Akto, das ist in dem Punkt empfindlich. Ansonsten bin ich sehr glücklich mit meiner Zeltwahl. Die größere Apsis gegenüber dem Soulo empfinde ich immer noch als luxuriös, und dass es stabil im Wind steht, hat sich ja letztes Jahr in Norwegen gezeigt. Das kleine Problem mit der tropfenden Stelle am Lüfter sollte jetzt, mit SilNet beidseitig auf der Naht, auch behoben sein. Ich fühle mich jedenfalls gewappnet für jedes Wetter, das kommen mag.

                                                        Was dann kurz vor acht tatsächlich kommt, ist allerdings nicht das erwartete Wetter, sondern wie immer die Morgensonne. Na gut, dann wird heute eben kein Ruhetag. Weil es schon recht spät ist, frühstücke ich gleich mein Müsli und breche gegen 9:00 Uhr auf. Von hier muss ich natürlich nicht zurück zur „Piste“, also der einzelnen Fahrspur, die im Sand sowieso nichts bringt, sondern halte mich einfach am Hang der Bergkette Richtung Südwesten. Von der vagen Idee, durch die Schlucht zu gehen, halte ich überhaupt nichts mehr. Wo ein trockener steiler Hang vielleicht noch machbar ist, kann ein nasser steiler Hang schnell gefährlich werden. Hier wird es nur mühsam, denn das Gelände ist sandig.





                                                        Warum sind einzelne Schneefelder eigentlich mit schwarzer Asche bedeckt und die meisten nicht? Der erste Abschnitt heute wirkt ziemlich düster. Vor dem nächsten Durchbruch gewinne ich etwas an Höhe, um einen guten Überblick zu bekommen. Viel sehen kann man allerdings nicht. Direkt vor dem spitzkegeligen Faxi ist der Einschnitt, durch den auch die Piste auf die Tungnaá-Seite der Berge wechselt. Beim Abstieg umgehe ich instinktiv ein steiles Schneefeld noch bevor es zu sehen ist. Vielleicht bekomme ich doch langsam ein Gefühl für die Landschaft.


                                                        Faxi


                                                        Das ist die Piste



                                                        Die eigentliche Schlucht ist dann so eng, dass die Fahrspur mitten im Bach verläuft. Als Wanderer kommt man ohne nasse Füße gut rechts am Hang durch. Hinter der schmalsten Stelle empfiehlt es sich allerdings, die Bachseite mehrmals zu wechseln. Bei dem niedrigen Wasserstand geht das heute sogar mit Stiefeln, nach stärkeren Regenfällen sollte man vielleicht besser eine höhere Route suchen.





                                                        Dahinter ist es eigentlich egal wie man geht, so lange man sich zwischen Tungnaá und der Bergkette hält, die den netten Namen Kattarhryggur trägt, Katzengrat. Bis zur Mittagspause kann ich mich also praktisch nicht verlaufen. Auf der Karte ist zwar eine Nebenpiste eingezeichnet, die aber nicht markiert ist und wohl auch nur selten benutzt wird. Es gibt eine einzelne Reifenspur, die ich ignoriere, weil der Sand in der Spur weicher ist als daneben. Bei weitgehend bedecktem Himmel laufe ich jetzt ein paar Kilometer einfach geradeaus. Nur selten kommt die Sonne durch, es bleibt fast windstill. Einzige Abwechslung bieten die seltsam geformten Berge am Katzengrat.


                                                        Grimmiges Alien-Gesicht


                                                        Sieht aus wie beim Bleigießen aus dem Topf gefischt



                                                        Da ist wieder ein Einschnitt. Sollte das schon … nein, das kann nicht sein. Als ich näher komme, sehe ich, dass ein kräftiger Bach durch die Schlucht fließt, der sich in der Ebene vielfach auffächert. Doch, das ist schon Faxasundsgljúfur, das ging aber schnell. Nach einem Blick in die Schlucht steige ich südlich über die Hügel zur Furt ab und wechsele die Schuhe.


                                                        Faxasundsgljúfur


                                                        Der Bach heißt Faxasundslækur

                                                        Die beiden Hauptarme sind gut knietief, eher steinig als sandig und problemlos zu furten.
                                                        Auf der anderen Seite sehen die grünen Flächen so aus, als könnte man da das Zelt für die Mittagspause aufstellen, denn es beginnt leicht zu regnen. Bei näherer Betrachtung sind sie allerdings sehr nass, teilweise sogar sumpfig. Wo soll hier eigentlich die Fahrspur sein? Die hatte ich schon fast vergessen, kann auch nicht erkennen, wo man mit dem Auto die steile Böschung hochkommt. Na ja, das kann mir wirklich egal sein. Schließlich finde ich eine kleine, trockene Erhebung und mache es mir im Zelt gemütlich.

                                                        Ich probiere noch mal mein Glück mit dem Mobiltelefon, und tatsächlich hat es ein Netz. Die Wettervorhersage ist ganz nach meinem Geschmack. Morgen soll es regnen, danach bleibt es wechselhaft. Heute Nachmittag trocken. Dann kann ich noch so weit laufen, bis ich einen richtig guten Platz für den ersehnten Ruhetag finde, sehr schön. Entspannt schlafe ich eine Stunde und dehne die Mittagspause bis 15:00 Uhr aus.

                                                        Die Landschaft wird ab hier grüner und abwechslungsreicher. Bald finde ich auch die Fahrspur wieder, der ich über einen Sattel am Berg 714m bis zur nächsten Ebene folge. Ab jetzt geht es immer mehr oder weniger an der Tungnaá entlang, dem großen Fluss, der hier noch zwischen den Hügeln eingezwängt fließt, sich aber bald auf einer riesigen Fläche ausbreitet. Sehr eindrucksvoll.




                                                        Tungnaá, hier noch schmal...


                                                        … und hier nicht mehr

                                                        Heute strengt mich das Gehen wesentlich mehr an als gestern. Die Beine sind einfach müde. Als die Fahrspur nach Süden abdriftet, bleibe ich nahe der Tungnaá und laufe mitten durch eine sehr nasse Ebene. Die Stiefel sinken bei jedem Schritt mehr ein, als mir lieb ist. Wäre doch besser gewesen sich am Rand zu halten. Zu allem Überfluss gibt es auch noch breite, tiefe Moor- oder wohl eher Quellbäche. Nee, hier muss man nicht durch, da nimmt man lieber den kleinen Umweg in Kauf.

                                                        Nachdem das geschafft ist, halte ich direkt auf den letzten Hügel direkt an der Tungnaá zu. Von hier ist nicht erkennbar, ob es einen sicheren Übergang gibt. Wenn nicht, suche ich mir vorher einen Platz für die Nacht. Erst ganz kurz davor erkenne ich den Schafpfad am Hang. Na prima, dann gehe ich noch bis zum See am Stakihnúkur.


                                                        Nasse Ebene


                                                        Schafpfad an der Tungnaá







                                                        So breit und schlammig wie der Fluss ist auch der Uferstreifen, aber da will ich ja nicht hin. Noch ein kleiner Hügel, dann erreiche ich den See 578m vor dem Stakihnúkur. Sieht nett aus, hier will ich bleiben.

                                                        Wie sich herausstellt ist auch das Seeufer sehr nass, also muss ich mir einen Platz weiter weg vom Wasser suchen. Selbst zum Waschen komme ich an dieser Stelle nicht an den See, ohne tief einzusinken. Zum Glück gibt es in der Nähe ein Schmelzwasserbächlein, das zuverlässig sprudelt. Am südlichen Seeufer steht eine seltsam aussehende Hütte, und es laufen auch Menschen herum, die irgendwas machen. Zu weit weg, um es genau zu erkennen.



                                                        Bis am Abend die Schatten dankenswerterweise länger werden scheint die Sonne auf mein idyllisches Plätzchen. Auf dem See schwimmt ein Singschwanpaar und einige Enten, zwei Goldregenpfeifer rufen sich gegenseitig über die Wiese und bleiben dann doch beide wo sie sind. Ihre klagenden Rufe mischen sich mit anderen Vogelstimmen und schaffen eine Atmosphäre, die so vertraut und anheimelnd ist, dass ich mich sofort wohlfühle. Nichts deutet auf einen Wetterwechsel hin.


                                                        Camp 7 (und 8) am Stakihnúkur


                                                        Sonntag, 12. Juli: Der wohlverdiente Ruhetag

                                                        In der Nacht habe ich ausgezeichnet geschlafen. Wenn nicht Regen angesagt wäre, dann würde ich auch heute Früh um fünf keinen Verdacht schöpfen. Das Wetter sieht gut aus, ein paar Wolken, gelegentlich ein Sonnenstrahl, leichter Westwind. Schon überlege ich, ob ich nicht wenigstens die Furt westlich des Stakihnúkur noch machen kann, bevor der Wasserstand im Regen eventuell ansteigt. Jökuldalakvísl soll an der Stelle angeblich ein ernstzunehmender Fluss sein. In einem Bericht hat mal jemand die Querung nicht geschafft, aber das war wohl auch ein Stück oberhalb der eigentlichen Furt. Da schieben sich schon dichte Wolken vor die zaghafte Morgensonne und es beginnt zu regnen. Dann bleibe ich natürlich.

                                                        Den Vormittag über fällt extrem gemütlicher, einschläfernder Landregen. Genau das richtige Wetter um sich zu entspannen, viel zu schlafen, ein bisschen zu lesen und wieder einzuschlafen. In den kurzen Regenpausen mache ich kleine Gänge nach draußen und hole bei der Gelegenheit noch mal Wasser aus dem Bächlein am Schneefeld, das wegen der kühleren Temperatur nur noch ein Rinnsal ist. Reicht aber trotzdem, um den Platypus zu füllen.

                                                        Am Nachmittag frischt der Wind auf, und auch der Regen wird stärker, aber alles bleibt in der Komfortzone. Ich überlege schon mal, was ich mit den restlichen Tagen anfangen kann. Nach Landmannalaugar laufe ich von hier vielleicht vier Stunden, da bleiben auf jeden Fall zwei volle Tage übrig. Vielleicht weiter an der Tungnaá zum Ljótipollur und von da eine kleine Extrarunde? Hmm, das werden wir dann sehen. Ich will mich noch nicht festlegen, sondern lieber offen sein für spontane Ideen. Das hat auf dieser Tour eigentlich immer sehr gut geklappt. Vielleicht komme ich nach dem Regen auch nicht über den Fluss, dann bräuchte ich sowieso mehr Zeit.

                                                        Kommentar


                                                        • Dieter

                                                          Dauerbesucher
                                                          • 26.05.2002
                                                          • 537
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                          Ein wirklich schöner Bericht und die Bilder machen mir wieder Lust unterwegs zu sein!

                                                          Du hast da eine hochinteressante Frage:

                                                          ... denn das Gelände ist sandig.
                                                          ...
                                                          Warum sind einzelne Schneefelder eigentlich mit schwarzer Asche bedeckt und die meisten nicht?
                                                          Hier mal mein Erklärungsversuch als Geograph:

                                                          Die winterliche Schneedecke in Island hat in ihrem Aufbau häufig relativ dicke Eislagen, welche zur Zeit der Schneeschmelze ein Durchsickern des Schmelzwassers behindert. So kann der berüchtigte Schneesumpf (isl: karp) entstehen. Im Frühjahr ist auch noch der Boden gefroren (Permafrost), so dass alles Schmelzwasser oberflächlich abfließen muss. Häufig kann man auch kleine Muren (Schlammströme) beobachten, die von aperen Hangteilen über tiefergelegene Altschneefelder fließen. Oder in Einschnitten mit alten Schneeverwehungen gräbt sich dieser Oberflächenabfluss Rinnen in die Altschneeoberfläche. Feine mitgespülte Sedimente ("Asche") sammelt sich in diesen Rinnen, welche irgendwann trocken fallen. Mit weiterem Abschmelzen im Frühjahr schützt diese Sandablagerung die direkt unter ihm liegende Schneedecke, während der nicht von Sand bedeckte Schnee in unmittelbarer Nachbarschaft stärker abschmilzt.

                                                          Es kommt schließlich zu einer sogenannten Reliefumkehr. Was vorher eine Sandgefüllte Rinne war, ist nun ein sandbedeckter Rücken. Und genau das zeigen Deine Bilder.

                                                          Dieter

                                                          Kommentar


                                                          • Berserkjahraun
                                                            Gerne im Forum
                                                            • 31.05.2012
                                                            • 77
                                                            • Privat


                                                            #30
                                                            AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                            Hier weisen die Markierungspfähle tatsächlich eine Route den absurd steilen Hang aus Sand und feinem Schotter hinab. Runter kommt man wohl auf dem Hosenboden, wobei man die Hose danach sicher wegschmeißen kann, aber hoch? Alle Achtung, wer das mit schwerem Gepäck schafft!
                                                            Danke für die Blumen


                                                            Ich bin die Stelle hochgekraxelt. Schon etwas steil - von unten sah es aber erst gar nicht so schlimm aus.
                                                            Tolles Wetter hast du gehabt. Bin ja mal gespannt, ob das so blieb.


                                                            Bernd
                                                            https://trekking-berserker.de

                                                            Kommentar


                                                            • Borgman
                                                              Dauerbesucher
                                                              • 22.05.2016
                                                              • 768
                                                              • Privat


                                                              #31
                                                              AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                              @Dieter: Vielen Dank für Deine interessante Erklärung. Das klingt sehr einleuchtend, genau so sah es nämlich aus.

                                                              @Berserkjahraun: Ich habe mehrere Deiner Berichte mit großem Vergnügen gelesen, aber an einen mit Eldgjá kann ich mich gerade nicht erinnern. Schön, dass Du dabei bist.
                                                              Mit dem Wetter hatte ich tatsächlich unverschämt viel Glück, und am nächsten Tag ... ja, der Teil wird hoffentlich heute noch fertig .

                                                              Kommentar


                                                              • Borgman
                                                                Dauerbesucher
                                                                • 22.05.2016
                                                                • 768
                                                                • Privat


                                                                #32
                                                                AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                Montag, 13. Juni: Der Wurm aus dem Weltraum

                                                                Nach dem faulen Tag konnte ich überhaupt nicht gut schlafen, und der Rücken tut vom vielen Liegen auch ein bisschen weh. Trotzdem fühle ich mich erholt, natürlich, dafür war der Ruhetag ja gedacht. Eigentlich könnte ich sofort aufbrechen, jetzt will ich diese Furt auch endlich hinter mich bringen, die mir seit gestern im Kopf herumspukt. Nur regnet es noch etwas zu stark. Heute möchte ich mir das Frühstück für später aufsparen, wer weiß wie lang der Tag wird, und koche erst mal nur einen Kaffee. Nach einer Stunde werde ich ungeduldig, bereite mich seelisch darauf vor, im Regen zu packen, was ich gar nicht mag. Noch ein Kaffee, dann geht es los.

                                                                Na bitte, es nieselt nur noch, wird schon heller. Gegen Viertel nach neun laufe ich östlich am See entlang und durch eine weitere nasse Ebene zum Bus. Ja genau, die Hütte ist ein Bus, hätte ich wegen der seltsamen Form auch früher drauf kommen können. Wie bei „Into the Wild“, nur schicker. Ein schwarz lackierter ausrangierter „Stræto“-Bus. PASSIO BUIL BUSIN steht an der Seite. Was will mir das jetzt sagen? Wahrscheinlich hat hier jemand eine verkappte Leidenschaft fürs Baugeschäft oder so.


                                                                Stakihnúkur



                                                                Über sandige Hügel geht es am Stakihnúkur vorbei und hinunter zur Furt. Man kann sie schon sehen. Kurz davor quert die Stromleitung den tatsächlich sehr breiten Fluss. Beim ersten Versuch, überhaupt in die Nähe der Furt zu kommen, gerate ich in Treibsand. Zum Glück habe ich schon die Sandalen an, sonst wären die Stiefel jetzt voll mit schwarzem Sand. Dabei war das erst ein kleiner Zufluss von Osten und noch gar nicht der Jökuldalakvísl. Den Zufluss muss ich weiträumig umgehen, um von Süden den nächsten Versuch zu starten. Das geht mit der entsprechenden Vorsicht besser. Hier treffe ich auf eine ehemalige Piste, die schon lange nicht mehr benutzt wird. Sind wahrscheinlich zu viele im Treibsand stecken geblieben. Die eigentliche Furt sieht dann nicht schwierig aus.






                                                                Furt Jökuldalakvísl

                                                                Ja, die wird offenbar auch nicht mehr benutzt. Die Röhren wirken zwar eindrucksvoll, erfüllen aber keine Funktion. Einige sind zerdrückt, andere liegen über der Wasserlinie. Man sollte sie mal wegräumen. Sehr hilfreich sind dagegen die aufgeschütteten Steine, ohne die in diesem Treibsand-Delta keine Querung möglich wäre. Der westlichste Arm ist gut knietief und hat eine etwas stärkere Strömung.

                                                                Das war also das letzte Hindernis vor Landmannalaugar. Und ich weiß immer noch nicht, was ich mit der restlichen Zeit anfangen will. Der Regen hat ganz aufgehört, es weht ein mäßiger, kühler Nordwestwind. Zuerst gehe ich einfach in der Richtung weiter und biege dann nach Süden in das überraschend grüne Tal am Stórikýllingur. Ein Schild verkündet, dass die Piste hier wegen Treibsandgefahr endet. Danke, das habe ich auch schon gemerkt.

                                                                Viele Schafe weiden in diesem Tal, und es gibt sogar eine kleine Hütte mit blauem Dach. Sie ist theoretisch offen, das heißt es gibt kein Schloss. Man könnte sie benutzen wenn man genug Kraft hat, um den verdammt fest sitzenden Riegel entweder zu öffnen oder aus dem Türrahmen zu reißen. Damit will man bestimmt die Wanderer abhalten, die bekanntlich alle von Nahrungsmangel geschwächt sind. Mit feinem Sinn für Ironie hat man die Hütte „Höll“ genannt, also Schloss im Sinne von Palast. Vermutlich will man damit dem Wanderer unter die Nase reiben, dass er im Gegensatz dazu ja nur eine dünne Stoffbehausung hat, aber das zieht bei mir nicht. Ich schlafe hundertmal lieber im Zelt als in so einer ranzigen Hütte, selbst wenn sie einen pompösen Namen hat. Jawohl! Mir fällt auf, dass „Schloss“ natürlich ein Teekesselchen ist, was mich wiederum daran erinnert, dass ich noch nicht gefrühstückt habe. Statt hier an der Hütte herumzulungern, sollte ich lieber ein paar Kilometer machen.






                                                                Höll, der Palast im Schafsparadies

                                                                Am Kirkjufell stoße ich wieder auf die F208, auf der ich genau vor einer Woche schon mal gelaufen bin. Obwohl sie inzwischen geöffnet sein dürfte, wird sie heute genauso stark frequentiert, nämlich nur von mir. Der vorläufige Plan sieht so aus, dass ich bis zur Brücke auf der Piste bleibe und ab da pfadlos nach Norden in das Lavafeld vorstoße. Mal in die Karte gucken, wie weit das noch ist … hmm, ich bin jetzt gerade am Kirkjufell vorbei … wie heißt das Tal hier? Halldórsgil. Moment mal, war das nicht woanders? Nee, das war Halldórsdalur, am Halldórsfell, kurz vor Camp 2. Der Halldór hat sich ja hier ganz schön oft verewigt.

                                                                In der Sekunde klickt ein Schaltkreis in meinem Gehirn und die Synapsen feuern was das Zeug hält. Mein Herz schlägt schneller, die Hände werden feucht. Halldórsgil, davon hab ich irgendwo gelesen, und ich weiß auch noch, was das war. Soll ich das wirklich versuchen? Warum bin ich da vor einer Woche nicht drauf gekommen? Doch bestimmt aus gutem Grund: weil es zu unsicher ist. Und selbst wenn es machbar sein könnte, weiß ich ja gar nicht die genaue Route. Erinner dich mal bitte daran, dass du schon am Skalli die Panik gekriegt hast.

                                                                Die Entscheidung ist natürlich längst gefallen. Ich will das! Um die Stimme der Vernunft zu beruhigen, nehme ich mir vor, nur so weit zu gehen, wie ich mir den Weg zurück auch bei schlechterem Wetter noch zutraue. Kein Point of No Return! Aber eigentlich will ich nicht zurück, so viel steht fest.


                                                                Kýllingavatn


                                                                Eingang zur Halldórsgil


                                                                Blick zurück

                                                                Wie zur Bestätigung badet die Halldórsgil in Sonnenlicht, während im Westen dicke Wolken hängen. Aber erst wird gefrühstückt. An Schwäche durch Nahrungsmangel soll mein Vorhaben nicht scheitern. Nach dem leckeren Müsli regt sich der Abenteuerdrang, aber ich ruhe noch eine Stunde aus, damit ich wirklich fit bin. Dieses Tal gefällt mir schon mal sehr gut. Nicht dieser ewige Sand, sondern handfestes Geröll und Flusskiesel, dazwischen hübsche Zeltwiesen.


                                                                Halldórsgil




                                                                Kirkjufell

                                                                Weiter oben geht es mehr und mehr über Schneefelder. Fester, griffiger Schnee, alles ganz einfach. Eigentlich trübt der einsetzende Regen meine gute Laune kaum, nur die Sicht soll bitte nicht schlechter werden. Wenn ich das richtig vermute, muss ich dieses Tal bis ganz zum Ende hochgehen und dann irgendwie diagonal an einem steilen Hang absteigen.






                                                                Blick zurück

                                                                Etwa eine Wanderstunde nach der Pause öffnet sich die Halldórsgil ganz oben zu einem grandiosen Aussichtsbalkon. Das hat sich schon mal gelohnt. Im Westen der nördliche Abschnitt der Sveinsgil, wo sie in die Jökulgil mündet, und aus der Ferne grüßt der Skalli. Na also, die Sicht ist mehr als ausreichend. Voller Ungeduld wende ich mich nach Süden. Jetzt wird es spannend. Der Hang, den ich jetzt queren muss, ist noch zu großen Teilen mit Schnee bedeckt. Zu viel Höhe sollte ich hier nicht verlieren, denn unten fällt er sehr steil in eine ungangbare Schlucht, eben Sveinsgil. Dann ist der Abstieg nicht diagonal, sondern auf der anderen Seite. So weit sieht es machbar aus. Also einmal tief durchatmen und los. Für den Anfang folge ich dem Schafpfad über einen Grat.


                                                                Blick nach Westen zum Skalli


                                                                Das ist meine Richtung


                                                                Schafpfad über den Grat


                                                                Die untere Querrippe will ich anpeilen

                                                                Wahrscheinlich laufen die Schafe seit Generationen aus reiner Gewohnheit hier lang. Unter meinem Gewicht rutscht jedenfalls immer wieder Sand am steilen Hang hinunter. Besser wäre gewesen, den Grat ein paar Meter hoch über das Moos zu queren. Vielleicht sollte ich demnächst mal nachdenken, bevor ich dem erstbesten Pfad folge. Wenn noch zwei oder drei Wanderer hier genauso langschroten, hat sich das sowieso erledigt, dann wird diese Stelle unpassierbar. Deshalb eine große Bitte:


                                                                Liebe Wanderer, liebe Autotouristen, liebe Artgenossen! Eigentlich hatte ich mir nach der Tour vorgenommen, nichts von diesem und dem nächsten Tag zu erzählen. Jedenfalls nicht öffentlich, sondern nur zu gegebener Zeit ein paar Menschen, die sich gezielt dafür interessieren. Bis heute habe ich das auch durchgehalten (es weiß noch niemand, nicht mal meine liebe Frau), stellte aber beim Berichtschreiben fest, dass man nicht einfach zwei Tage auslassen kann. Und ich habe noch mal nachgeschaut, woher die Idee für diese Route kommt. Sie ist also schon im Netz zu finden und wird auch begangen. Hoffentlich nicht zu oft. Ich habe immer noch ein ungutes Gefühl, weil ich nicht mit meinem Bericht dazu beitragen möchte, dass die äußerst empfindliche Natur in diesem Gebiet Schaden nimmt. Außerdem verändert sich die Topographie hier sehr schnell. Die sichere Route, die ich gefunden habe, kann schon im nächsten Jahr problematisch sein. Bitte macht Euch das bewusst, wenn Ihr in dem Gebiet wandern wollt. Falls Ihr irgendwo einen GPS-Track finden solltet, vertraut ihm nicht blind. Danke!



                                                                Blick zurück zum Aussichtsbalkon...


                                                                … und in meine Richtung

                                                                Vor dem ersten steilen Schneefeld zögere ich. Würde ich das im schlechteren Fall auf dem Rückzug noch mal queren wollen? Wird schon klappen. Schön langsam, nicht in die Tiefe gucken. Mit der Stiefelspitze fest in den Schneehang treten, bis eine sichere Stufe entsteht. Dann erst den nächsten Schritt. Puh, das war doch gar nicht so schwer. Ich habe die Nerven behalten. Jetzt geht es ein Stück einfach am Hang entlang, wieder auf einem Schafpfad, der allerdings bald nicht mehr zu finden ist. Unten sieht man schon die Ebene, wo Sveinsgil und Svigagil zusammentreffen. Dahin muss ich absteigen, und zwar genau hier. Wieder zögere ich … ach was, rauf geht einfacher als runter … und die Regenhose ist sowieso nicht die allerneueste. Kurzerhand rutsche ich den nassen Sandhang und das angrenzende kleine Schneefeld auf dem Hosenboden hinunter.


                                                                Da muss ich irgendwie absteigen

                                                                Toll, da ist auch wieder ein Schafpfad, aber … nee, da gehe ich nicht. Das Schneefeld mit der fast senkrechten Kante sieht von hier gruselig aus. Es muss eine andere Möglichkeit geben. Kurz davor ist eine Rinne zum Talgrund, die halbwegs gangbar aussieht. Wenn sie nur nicht im reißenden Gletscherbach endet. Ich probiere mein Glück und steige hier ab.


                                                                Meine Rinne

                                                                Ha! Mit einem Freudenschrei löst sich die Anspannung. Genau hier endet die Kiesfläche, danach schrammt der Bach direkt am Hang. Die Rinne war goldrichtig! Sveinsgil ist auch oberhalb dieser Ebene unpassierbar, genauso der Hang. Es geht nur über die Berge zwischen Sveinsgil und Svigagil, also vorerst weiter genau nach Süden.


                                                                Glücklich in der Ebene


                                                                Svigagil - der Berg links ist Hábarmur


                                                                Da muss ich jetzt hoch

                                                                Als ich die Ebene überquert habe, ist es halb drei. Genau zwei Stunden seit der Frühstückspause. Man könnte kurz ausruhen, aber dafür bin ich zu ungeduldig. Außerdem ist gerade jetzt das Wetter perfekt, das kann sich schnell ändern. Statt über den Elefantenrüssel (letztes Bild) im Vordergrund aufzusteigen, das ginge sicherlich auch, entscheide ich mich für eine flachere, steinige Rinne südlich davon. Das klappt wunderbar. Vom Berg 784m geht es ein bisschen hinunter und dann teils über Schneefelder weiter hoch auf einen breiten Bergrücken. Jetzt nicht zu früh nach Westen abdriften. Immer wieder gibt es überraschend grüne Stellen mit vielen Blumen.


                                                                Alpenhelm

                                                                Natürlich habe ich schon Fotos gesehen. Aber auf diesen Anblick bin ich nicht vorbereitet, nicht auf die Wucht der Eindrücke. Nicht auf die unfassbare Tatsache, dass ich es geschafft habe. Dass ich kleiner Mensch hier sein darf. Ich spüre einen dicken Kloß im Hals, die Tränen schießen mir in die Augen. Grate, Schluchten, Berge, Farben! Mittendrin der verrückte Wurm aus dem Weltraum, Grænihryggur. Kann es das in Wirklichkeit geben? Ist das nicht viel zu unwahrscheinlich? Traum oder Wirklichkeit, ich bin jedenfalls tief bewegt.




                                                                Hábarmur




                                                                Panorama nach Westen – Klick für größere Ansicht


                                                                Panorama nach Süden











                                                                Grænihryggur wirkt in seiner Fremdartigkeit hypnotisierend auf mich. Bloß gut, dass der Abstiegsgrat genau auf ihn zu läuft, denn ich kann den Blick nicht abwenden. Das letzte Stück ist etwas steil, aber problemlos zu bewältigen. Genau eine Stunde nach der Svigagil stehe ich wieder vor dem reißenden Gletscherbach, und diesmal muss ich durch. Eine wirklich gute Stelle gibt es nicht, also kann ich es gleich hier probieren. Das gelingt sogar auf Anhieb. Gerade so kann ich mich gegen die Strömung stemmen, die Stöcke zittern und werden kräftig weggedrückt, sobald ich sie hochnehme. Aber auf dem steinigen Grund finde ich guten Halt. Kleine Schritte, immer erst festen Halt prüfen, dann weiter. Neoprensocken sind schon ein Segen. Auf der anderen Seite stelle ich gleich das Zelt auf. Mittagspause um 15:30 Uhr. Hunger!

                                                                Nachdem die abgezählten Kornmos und die viel zu kleine Käseportion verschlungen sind, koche ich einen Belohnungskaffee und warte mal ab, was das Wetter macht. Momentan sieht es eher trübe aus, aber gegen fünf kommt allmählich die Sonne zum Vorschein. Glück muss man haben! Sofort breche ich auf, um die Gegend zu erkunden. Erst mal hoch zum Grat über dem Wurm. Nein, eigentlich sieht er nicht aus wie ein Wurm, aber irgendwie … lebendig, oder wie ein versteinertes Lebewesen. Aus der Nähe erkennt man, dass er ziemlich homogen aus türkisfarbenen Steinen besteht. Wie ist das möglich?

                                                                Vorerst scheue ich noch davor zurück, den Grænihryggur zu betreten, auch wenn es mich sehr reizt. Ich will hier keine unnötigen Spuren hinterlassen. Stattdessen steige ich links von ihm auf. Eigentlich sollte man ja annehmen, dass ich mich langsam daran gewöhnt hätte, in einer einmaligen Landschaft zu sein, aber als ich den Grat erreiche, bin ich sprachlos. Wie sollte man das beschreiben? Wo sind all die Adjektive, wenn man sie braucht? Auch die Fotos werden nur einen schwachen Eindruck vermitteln können.


                                                                Blick zum Hábarmur und meine Abstiegsroute


                                                                Sveinsgil talaufwärts


                                                                Jökulgil talabwärts


                                                                Blick über den Grat nach Norden...


                                                                … und nach Süden


                                                                Hinten in der rechten Bildhälfte der Berg 1192m am Torfajökull

                                                                Zwischen den Schluchten Jökulgil und Sveinsgil zieht sich der Grat nach Norden, und nur hier gibt es einen erkennbaren Pfad. Es sieht aber so aus, als wäre seine Verlängerung nach Süden, also grob in Richtung Hattver, auch begehbar. Das Problem ist nur, wie man hinunter in die Jökulgil kommt. Hier offensichtlich nur mit Schwierigkeiten. Nach der Karte hätte ich mir vorgestellt, dass man genau an dieser Stelle relativ leicht absteigen kann. Aber der Hang am Grat ist sehr steil, das traue ich mir nicht zu, und eine Rinne direkt südlich des Grænihryggur sieht so aus, als fiele sie ganz unten steil in den Jökulgilskvísl ab. Wissen kann man das nicht, nur vermuten.

                                                                Ich laufe hin und her auf dem Grat, um mehr erkennen zu können, doch eine vertrauenerweckende Abstiegsroute finde ich nicht. Bliebe also die Variante nach Norden zu der Stelle, wo sich Jökulgil und Sveinsgil treffen. Könnte gehen, wenn auch der Grat stellenweise sehr schmal und bestimmt nicht frei von Schwierigkeiten ist. Man darf nicht vergessen, dass sich hier nicht nur die Flussläufe, sondern auch die Hänge aus Sand und losem Schotter sehr schnell verändern. Wer das nicht glaubt, möge sich bitte mal wenige Jahre alte Fotos vom Grænihryggur anschauen, da fällt es sofort auf.

                                                                Mit leicht mulmigem Gefühl verschiebe ich die Entscheidung auf morgen. Zurück ins Tal gehe ich vorsichtig und respektvoll auf dem türkisgrünen Rücken, es sieht einfach zu verlockend aus.






                                                                Sveinsgil talabwärts, da steht mein Zelt


                                                                Nur im Notfall hätte ich die Bachquerung mittels dieser eleganten Schneebrücke probiert





                                                                Zurück am Zelt reicht die Zeit gerade noch für eine gründliche Wäsche im Bach, dann beginnt es kräftig zu regnen. Was habe ich doch für ein Glück auf dieser Tour. Nie hätte ich gestern gedacht, dass mir heute so ein großartiges Erlebnis beschieden wäre. Und dann scheint auch noch die Sonne genau zum richtigen Zeitpunkt. Traumhaft! Den Gedanken an eine mögliche Fortsetzung über Hattver nach Landmannalaugar schiebe ich beiseite, das soll mich wirklich erst morgen kümmern. An diesem Abend bin ich einfach nur glücklich.


                                                                Camp 9 am Grænihryggur
                                                                Zuletzt geändert von Borgman; 13.08.2020, 15:47. Grund: Fehlerkorrektur

                                                                Kommentar


                                                                • Dieter

                                                                  Dauerbesucher
                                                                  • 26.05.2002
                                                                  • 537
                                                                  • Privat


                                                                  #33
                                                                  AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                  Hallo Bernd,

                                                                  vielen Dank für diese Zeilen in Deinem Bericht:

                                                                  Liebe Wanderer, liebe Autotouristen, liebe Artgenossen! Eigentlich hatte ich mir nach der Tour vorgenommen, nichts von diesem und dem nächsten Tag zu erzählen. Jedenfalls nicht öffentlich, sondern nur zu gegebener Zeit ein paar Menschen, die sich gezielt dafür interessieren. Bis heute habe ich das auch durchgehalten (es weiß noch niemand, nicht mal meine liebe Frau), stellte aber beim Berichtschreiben fest, dass man nicht einfach zwei Tage auslassen kann. Und ich habe noch mal nachgeschaut, woher die Idee für diese Route kommt. Sie ist also schon im Netz zu finden und wird auch begangen. Hoffentlich nicht zu oft. Ich habe immer noch ein ungutes Gefühl, weil ich nicht mit meinem Bericht dazu beitragen möchte, dass die äußerst empfindliche Natur in diesem Gebiet Schaden nimmt. Außerdem verändert sich die Topographie hier sehr schnell. Die sichere Route, die ich gefunden habe, kann schon im nächsten Jahr problematisch sein. Bitte macht Euch das bewusst, wenn Ihr in dem Gebiet wandern wollt. Falls Ihr irgendwo einen GPS-Track finden solltet, vertraut ihm nicht blind. Danke!
                                                                  Du hast vielleicht das größte Juwel Islands besucht. Du hast es Dir erarbeitet und verdient und Du weißt es zu schätzen. Ich respektiere Deine Entscheidung, dass Du den Bericht veröffentlicht hast und ich teile Deine Besorgnis um diese Gebiet und dem Albtraum, dass es zum Modeziel werden könnte. Mit jeder Veröffentlichung kommen wir einen Schritt näher an den Zustand den wir ja eigentlich nicht wollen. Wir, die wir über unsere Reisen berichten sind Teil des Problems. Eigentlich möchte ich jedem sagen "geht nicht dorthin", aber mit welchem Recht? Es ist ein Dilemma.

                                                                  Ich habe mich selbst einige Tage in diesem Gebiet aufgehalten und kenne ein paar Wege dort. Also bin ich gespannt wie es weitergeht und ob Du den "leichten, logischen" Weg findest - dort kann man sich ganz bös verhauen.

                                                                  Dieter

                                                                  Kommentar


                                                                  • Borgman
                                                                    Dauerbesucher
                                                                    • 22.05.2016
                                                                    • 768
                                                                    • Privat


                                                                    #34
                                                                    AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                    Du hast recht, Dieter, das ist ein Dilemma. Dieses Juwel verträgt nicht zu viele Besucher. Mein erster Gedanke heute Morgen war: das muss wieder gelöscht werden. Aber dann habe ich den Text zu dem gesamten Tag noch mal gelesen und fand, dass es alles in allem ein recht überzeugender Appell geworden ist, sich der Natur demütig zu nähern. Nur deshalb, finde ich, hat er seine Berechtigung. Da es nun schon mal Bilder und Berichte vom Gebiet um den Grænihryggur gibt, ohne die ich dieses bewegende Erlebnis ja auch gar nicht hätte haben können, kann ich mit meinem Beitrag die Leser vielleicht ein bisschen sensibilisieren. Oder mache ich mir da nur was vor? Ich weiß es nicht.

                                                                    Kommentar


                                                                    • Mika Hautamaeki
                                                                      Alter Hase
                                                                      • 30.05.2007
                                                                      • 3996
                                                                      • Privat


                                                                      #35
                                                                      AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                      So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                                      A. v. Humboldt.

                                                                      Kommentar


                                                                      • ChuckNorris
                                                                        Erfahren
                                                                        • 03.08.2018
                                                                        • 177
                                                                        • Privat


                                                                        #36
                                                                        AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                        Wow, so gut. Ich musste es gleich zweimal lesen.

                                                                        Das sind bestimmt Anblicke, an die du dich noch sehr lang erinnern wirst. Da hast du wirklich einen Hammertag gehabt. Freut mich für dich.

                                                                        Kommentar


                                                                        • fimbulwinter
                                                                          Erfahren
                                                                          • 15.03.2005
                                                                          • 147
                                                                          • Privat


                                                                          #37
                                                                          AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                          Hallo Bernd,
                                                                          vielen Dank für diesen lesenswerten Bericht mit sehr schönen Fotos aus eher unbekannten Regionen! Mir wäre es allerdings sehr schwer gefallen an einigen Stellen einfach durchzulaufen und nicht mindestens einen Erkundungstag einzulegen

                                                                          Zum Thema Veröffentlichung und der Gefahr von Nachahmern glaube ich das die Reichweite dieses Forums dann doch nicht so groß ist. Außerdem ist, wie du ja auch schreibst, dieser Bergrücken auch alles andere als unbekannt. Vor vielen Jahren hat zum Beispiel ein Foto davon groß die Titelseite einer dieser Gratis Zeitungen geschmückt, die überall in Island für die Touristen ausliegen. Gebe ich alleine den Begriff „Fjallabak“ in eine Suchmaschine ein: Rate mal was das erste Foto ist. Auch einige kommerzielle Tourenanbieter werben damit. Problematisch könnte es werden wenn so eine Insta**** Berühmtheit mit tausenden Folgern ein Bild davon veröffentlichen und plötzlich eine ganze Schar Models mit gelben Regenjacken dorthin pilgern möchte. Zum Glück ist der Weg aber nicht gerade einfach und der nächste Parkplatz weit entfernt. Und den GPS Track hast du ja auch nicht veröffentlicht. Aber grundsätzlich treibt mich diese Frage auch um und ich überlege mir ganz genau welches Foto ich wo veröffentliche. Wahrscheinlich hilft das aber letztendlich nur dem eigenen Gewissen…

                                                                          Grüße,
                                                                          Jens
                                                                          Ódáðahraun

                                                                          Kommentar


                                                                          • Ljungdalen

                                                                            Alter Hase
                                                                            • 28.08.2017
                                                                            • 3014
                                                                            • Privat


                                                                            #38
                                                                            AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                            Grandios, vielen Dank.

                                                                            Zitat von fimbulwinter Beitrag anzeigen
                                                                            Zum Glück ist der Weg aber nicht gerade einfach und der nächste Parkplatz weit entfernt.
                                                                            Nicht ganz einfach, sicher, andererseits: 6,5 km Luftlinie von Landmannalaugar. Mapy.cz sagt: hin und zurück 20,6 km, +- 1164 Hm... denke schon, dass das der eine oder andere als Tagestour bei günstigen Wasserständen der (zwei größeren) zu furtenden Flüsse versuchen wird (die Richtung, aus der Bernd gekommen ist, wohl eher nicht die übliche...)

                                                                            Kommentar


                                                                            • Borgman
                                                                              Dauerbesucher
                                                                              • 22.05.2016
                                                                              • 768
                                                                              • Privat


                                                                              #39
                                                                              AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                              @Mika Hautamaeki:

                                                                              @ChuckNorris: Ich bin überzeugt davon, dass mich dieses Erlebnis für den Rest meines Lebens begleiten wird.

                                                                              @fimbulwinter: Gern geschehen! Mit gut zehn Tagen hatte ich tatsächlich kein sehr üppiges Zeitpolster für Erkundungstage, aber es hat sich letzten Endes fast immer so gefügt, dass ich an den Stellen übernachten konnte, die mich besonders interessierten. An den Álftavötn und vielleicht noch Uxatindar hätte ich gern mehr Zeit verbracht.

                                                                              Dass die Reichweite hier im Forum hauptsächlich auf Menschen begrenzt ist, die sich sowieso schon lange respektvoll in der Natur bewegen, hat mich dann auch beruhigt. Bald wird der Bericht in der Versenkung verschwunden sein und nur noch von denen gefunden, die gezielt danach suchen. So wie mich z.B. der unterhaltsame Bericht von Perc darauf aufmerksam gemacht hat, dass man hier selbst bei perfekter Vorbereitung nie so genau wissen kann was geht und was nicht. Und wo. Geführte Touren finde ich eigentlich eine gute Sache, wenn dabei der Naturschutz im Vordergrund steht.

                                                                              @Ljungdalen: Danke! Wahrscheinlich kann man das unter günstigen Bedingungen als Tagestour von Landmannalaugar machen, das konnte ich aber nicht herausfinden, weil die Bedingungen am nächsten Tag eben nicht mehr so günstig waren . Und Dieter sagt ja auch:

                                                                              Zitat von Dieter Beitrag anzeigen
                                                                              dort kann man sich ganz bös verhauen.

                                                                              Kommentar


                                                                              • Borgman
                                                                                Dauerbesucher
                                                                                • 22.05.2016
                                                                                • 768
                                                                                • Privat


                                                                                #40
                                                                                AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                                Dienstag, 14. Juli: Geordneter Rückzug

                                                                                Nachdem sich das Wetter gestern noch von seiner milden, geradezu rücksichtsvollen Seite gezeigt hatte, scheint es sich heute einzuregnen. Dazu weht ein frischer, in Böen kräftiger Südwind. Richtiges Island-Wetter eben, wie wir es kennen und lieben. Das sind nicht die Bedingungen, unter denen ich eine Route nach Hattver suchen möchte. Auf dem Grat wird der Wind noch sehr viel stärker wehen, und die Rinne dürfte bei Nässe unangenehm werden, sollte sie denn überhaupt gangbar sein. Eigentlich müsste ich jetzt enttäuscht sein, aber in Wirklichkeit bin ich ein bisschen erleichtert. Der Abstieg in die Jökulgil war mir sowieso nicht geheuer.

                                                                                So bleibt nur die Route, die ich schon kenne, mit den Schwierigkeiten, die ich vermeintlich einschätzen kann. Das wird kein flockiger Spaziergang, aber ich traue mir die Strecke auch bei Regen und Wind zu. Nach einem drohenden Unwetter sieht es jedenfalls nicht aus. Kein Grund zur Eile. Also entspanne ich mich so gut wie möglich und lasse den Morgen untätig verstreichen.

                                                                                Als gegen 11:00 Uhr immer noch keine Regenpause in Sicht ist, baue ich das nasse Zelt ab, prüfe noch mal, ob ich wirklich nichts als Fußspuren hinterlasse und mache mich an die Furt. Scheint sogar ein kleines bisschen besser zu gehen als gestern, die Abkühlung hat wohl die Schneeschmelze verringert. Trotzdem muss ich mich konzentrieren, um durchzukommen. Auf der anderen Seite stellt sich wieder mal die Frage, wie man im Regen die Füße soweit abtrocknet, dass man mit behaglichem Gefühl in die Bergstiefel wechseln kann. Notorische Antwort: gar nicht. Die Socken werden zwangsläufig nass.

                                                                                Zuerst steige ich an der Leeseite hoch zum Grat und weiter über den ersten Buckel. Spätestens auf dem exponierten Bergrücken dahinter bläst der Wind dann so richtig ungemütlich. Hätte doch wasserdichte Handschuhe mitnehmen sollen. Bevor mir die Hände abfrieren, laufe ich so schnell wie möglich nach Norden. Die Sicht ist mäßig, auf jeden Fall schlechter als gestern, dafür weiß ich immerhin schon so ungefähr wo es lang geht. Eine dieser Rinnen nach Osten sieht vage vertraut aus, oben grün, unten steinig. Ja, die ist richtig. An einer geschützten Stelle setze ich kurz den Rucksack ab und schnaufe einmal durch. Das war der einfache Teil.

                                                                                Danach überquere ich die Ebene und folge dem Bach direkt am Hang. Die steile Aufstiegsrinne ist nicht zu verfehlen und eigentlich auch ganz gut gangbar. Statt gleich an meiner Rutschbahn weiter aufzusteigen (wo ist die überhaupt?), laufe ich ein Stück auf einem Schafpfad, bis der an einem Schneehang endet. Hmm, das ist nicht der von gestern, sonst wären meine Spuren noch sichtbar. Sieht auch etwas steiler aus, oder täuscht das? Mit entsprechender Vorsicht gelingt die Querung auch auf dieser niedriger gelegenen Route. Gleich dahinter noch ein zweites, genauso steiles Schneefeld. Erleichtert mache ich mich an den Aufstieg zum Aussichtsbalkon.

                                                                                Eigentlich hatte ich hier vor, eine längere Pause im Zelt einzulegen und auf Wetterbesserung zu warten. Dann hätte ich noch mal den großartigen Blick zur Jökulgil auskosten können. Aber danach sieht es so gar nicht aus. Der eisige Wind treibt immer neue Regenwolken heran, die sich an den Bergen stauen. Unter den Bedingungen laufe ich lieber ein Dreiviertelstündchen das Tal hinunter und suche mir gleich einen richtigen Platz zum Übernachten, auch wenn es noch recht früh ist.

                                                                                An der breiten Stelle, die mir schon auf dem Hinweg aufgefallen war, baue ich dann das Zelt auf und gehe gleich zum Waschen an den Bach. Entweder liegt es daran, dass die Berge die Wolken vom Tal fernhalten oder das Wetter bessert sich tatsächlich, jedenfalls hört in es dieser Minute auf zu regnen. In kürzester Zeit wird das Zelt vom Wind getrocknet. Dann könnte ich eigentlich heute noch die vielleicht drei Stunden nach Landmannalaugar zurücklegen, da gibt es Duschen und sogar ein warmes Bad, und ich könnte vielleicht was leckeres zu Essen kaufen. Andererseits geht mir das zu schnell, ich bin noch erfüllt von den bewegenden Eindrücken am Grænihryggur. Die wollen sich heute noch ungestört von äußeren Ablenkungen ausbreiten. Eine wilde, einsame Halldórsgil ist der passende Ort dafür.


                                                                                Camp 10 in der Halldórsgil


                                                                                Mittwoch, 15. Juli: Menschen sind Höhlenbewohner

                                                                                Die Wolken hängen tief, es regnet nicht, ein leichter Wind streicht behutsam um das Zelt. An diesem stillen, friedlichen Morgen kann ich es langsam angehen lassen, denn mein Bus fährt erst um 15:30 Uhr. Nach dem Frühstück trödele ich noch ein bisschen herum und packe gegen neun allmählich zusammen. Nicht zu früh, wie sich herausstellt, denn als ich um halb zehn die Halldórsgil weiter hinuntergehe, beginnt der Regen. Nicht, dass ich besonders gerne im Regen laufen würde, aber noch weniger mag ich es, dabei das Zelt abzubauen. Und als Bonus habe ich ein trockenes Zelt, wenn ich heute Abend in Selfoss auf dem Campingplatz ankomme.

                                                                                Nach anderthalb Stunden erreiche ich die Brücke über den Jökulgilskvísl. Vorerst letzte Gelegenheit, die beiden Trinkflaschen zu füllen, denn ich möchte hier im Lavafeld Norðurnámshraun einige Zeit verbringen, eine trockene Lavahöhle suchen und erst auf den letzten Drücker nach Landmannalaugar gehen.


                                                                                Jökulgilskvísl






                                                                                Norðurnámshraun



                                                                                Momentan regnet es nur leicht, deshalb ist die Höhle nicht vordringlich. So durchstreife ich eine Weile die moosbedeckten Hügel, Rinnen und Kessel des Norðurnámshraun. Als Kind wäre ich total begeistert von diesen Formen gewesen, hätte stundenlang klettern und entdecken können. Wobei man Kinder hier eher nicht alleine spielen lassen sollte, denn überall gibt es enge Spalten. Scheint alles ziemlich locker durcheinandergewürfelt zu sein, da sind bestimmt viele Hohlräume, die man nicht sofort erkennt. An manchen Stellen sieht man noch richtig, dass es eingestürzte Blasen sind.

                                                                                Schließlich finde ich eine Höhle die mir zusagt, mit genügend Kopffreiheit und weichem Moos, und richte mich häuslich ein. Soll heißen ich koche einen Kaffee mit dem restlichen Spiritus. Hat genau gereicht für die gut zehn Tage, obwohl ich nicht geizig damit war. Ein paar Kornmos, zwei Haferkekse und drei Müsliriegel sind auch noch übrig. Die Höhle ist nicht sehr tief, aber perfekt windgeschützt und bietet sogar einen ergonomisch geformten Liegeplatz. So kann man es aushalten.



                                                                                Als ich später auf der Straße das letzte Stück nach Landmannalaugar gehe, regnet es stärker und in dicken Tropfen. Passt doch ganz wunderbar. Abgesehen davon, dass er den Abschied erleichtert, schließt so ein Regentag auch gefühlsmäßig die Tour ab, verengt die Perspektive immer mehr, bis nur noch die Bustür übrig ist. Der Deckel auf der Tour, könnte man sagen.

                                                                                Den matschige Zeltplatz und den Trubel hier finde ich nicht sehr anziehend. Ich bin froh über meine Entscheidung, so spät wie möglich nach Landmannalaugar zu gehen. Wie überhaupt alle Entscheidungen auf dieser Tour bemerkenswert glücklich waren. Wegen solcher Erfahrungen glauben manche Menschen wahrscheinlich, dass sie auf ihrem Weg von Engeln geleitet werden. Allerdings glaube ich eher, dass unser bewusstes Denken und Planen oft in einem reflexhaften Wunsch nach Kontrolle und der damit verbundenen, vielleicht nur scheinbaren, Gewissheit festklebt, der unsere weniger bewussten Instinkte behindert. Nicht auszuschließen, dass ich einfach nur Glück hatte, aber es fühlt sich so an, … wie soll ich sagen … als hätte mich der Instinkt diesmal freier leiten können. Mit traumwandlerischer Sicherheit eben.

                                                                                Wie erwartet ist der Bus weniger voll als bei der Hinfahrt. Farblos, düster und wenig einladend zieht die Landschaft am Fenster vorbei. In Hvolsvöllur kommen wir mit einer Viertelstunde Verspätung an, da wartet auch schon der Bus nach Reykjavík. Weil die Plätze sowieso nicht ausreichen, lasse ich all denen den Vortritt, die es eilig haben und warte auf den Kleinbus. Die Fahrerin hatte mich schon darauf hingewiesen und versprochen, mich in Selfoss rauszulassen.

                                                                                Warum Selfoss, wenn ich doch nach Hveragerði will? Ganz einfach: der einzige mir bekannte Supermarkt in Hveragerði hat schon geschlossen. Außerdem brauche ich eine sichere Quelle für Spiritus, und das ist die N1-Tanke in Selfoss. Nachdem ich den Brennstoff abgegriffen habe, laufe ich schnell zum Nettó weiter. Ziemlich schnell, denn es gießt wie aus Kübeln. Jetzt bloß nicht zu viel einkaufen, denk dran, dir bleiben nur drei Tage.

                                                                                Zum Campingplatz ist es nicht weit, und da ich sowieso schon triefend nass bin, gibt es auch keinen Grund zur Eile. Hier stehen nur sieben Zelte, ganz anders als vor zwei Jahren. Obwohl die Straße für meinen Geschmack zu laut ist, mag ich diesen Platz. Wahrscheinlich wegen der saftigen Rasenfläche, die von richtigen Bäumen beschützt wird. Die Duschen sind heiß, der Aufenthaltsraum sauber, was will man mehr? Zurück im Zelt lausche ich noch lange dem prasselnden Regen und dem Wind, der die Bäume schüttelt. Die gemütlichste kleine Höhle der Welt.


                                                                                Camp 11 in Selfoss am nächsten Morgen

                                                                                Kommentar


                                                                                • vobo

                                                                                  Vorstand
                                                                                  Dauerbesucher
                                                                                  • 01.04.2014
                                                                                  • 734
                                                                                  • Privat


                                                                                  #41
                                                                                  AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                                  Lieber Bernd,
                                                                                  jetzt habe ich den Bericht nachgeholt. Tolle Tage hast Du da gehabt und der grüne Fleck ist ja echt außergewöhnlich. Mir gefällt, wie sehr Du Deine Emotionen und Gedanjen in vielen Situationen ausdrücken kannst - darüber würde ich gerne nochmal mit Dir sprechen.
                                                                                  Viele Grüße,
                                                                                  Volker.

                                                                                  Kommentar


                                                                                  • Borgman
                                                                                    Dauerbesucher
                                                                                    • 22.05.2016
                                                                                    • 768
                                                                                    • Privat


                                                                                    #42
                                                                                    AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                                    Na klar, Volker, das können wir gerne machen. Nach dieser Tour war ich so angefüllt mit den unterschiedlichsten Gedanken und nachwirkenden Eindrücken, dass ich auch deshalb schreiben musste um sie in eine Form zu bekommen, mit der ich umgehen kann.

                                                                                    Kommentar


                                                                                    • Borgman
                                                                                      Dauerbesucher
                                                                                      • 22.05.2016
                                                                                      • 768
                                                                                      • Privat


                                                                                      #43
                                                                                      AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                                      Donnerstag, 16. Juli: Im Tal der Dampflinge

                                                                                      Still und nass ist der Campingplatz am frühen Morgen. Hat der Regen aufgehört? Nicht so ganz. Als ich mit meiner Schmutzwäsche zum Haus gehe, kommt ein kräftiger Schauer runter. Abgesehen von der verkehrsgünstigen Lage mitten im Ort, darüber kann man streiten, ist der größte Vorteil dieses Platzes die Waschmaschine und noch viel mehr der Trockner. Wenn ich mich in den nächsten zwei Tagen nicht zu sehr einsaue, kann ich am Samstag einigermaßen präsentabel die Rückreise antreten.

                                                                                      Während die Wäsche trudelt und ich mit einer weiteren Runde gründlicher Körperpflege beschäftigt bin, kann das Telefon laden. Dann schlurfen auch schon die ersten beiden schläfrigen Campinggäste durch die Küche, denen aber kaum mehr als ein gemurmelter Morgengruß abzuringen ist. Auch gut, dann gehe ich mit dem zweiten Kaffee nach draußen und rauche eine. Der Trockner brauch noch eine halbe Stunde.

                                                                                      Vor der Busabfahrt um 10:50 Uhr statte ich dem Nettó noch einen Besuch ab, um eine gute isländische Gurke und ein zweites Brot zu kaufen. Das war lecker, davon will ich mehr. Schon um 11:10 Uhr halten wir in Hveragerði. Der Ort hat eine gewisse nostalgische Bedeutung, weil meine Frau und ich hier bei unserer gemeinsamen Island-Reise 2001 die ersten denkwürdigen Erlebnisse hatten.

                                                                                      Wir wollten eigentlich zum heißen Bach im Reykjadalur, liefen aber, wie sich später herausstellte, versehentlich ins falsche Tal, wie auch immer das passiert sein mag. Wahrscheinlich waren wir von der Ankunft in Keflavík mitten in der Nacht, den wenigen schlaflosen Stunden in der etwas heruntergekommenen und von zwielichtigen Gestalten bevölkerten Jugendherberge von Njarðvík und den Kopfschmerzen wegen der Klimaumstellung (es hatte nur 3°C am Mittag) nicht ganz auf der Höhe unseres Wahrnehmungsvermögens. Allerdings hatten wir auch keine Karte, sondern nur eine grobe Skizze von der Touristinformation. Damals war das Reykjadalur noch keine idiotensicher ausgeschilderte Attraktion. Dann ging auch noch unser neu erstandenes Exped Venus gleich beim ersten Aufstellen kaputt und wir verbrachten eine unbefriedigende Nacht in einem Tal, von dem wir nicht wussten, ob es überhaupt das richtige war. Erst als wir am nächsten Morgen, immer noch mit Kopfschmerzen, über den Pass kamen, ging uns ein Licht auf. Da war er, der heiße Bach, und wir hatten das Tal einen ganzen unvergesslichen Tag für uns allein.

                                                                                      Heutzutage kann man schon froh sein, wenn sich da nur 50 statt 200 Touristen drängeln. Ein komfortabler Schotterweg wurde vom Parkplatz angelegt, der Bach an mehreren Stellen aufgestaut und mit Holzstegen und Windschutzkreuzen zum Umziehen verschönert. Nicht ganz das, was es früher war, aber ich will trotzdem gerne noch mal hin. Als ich aus dem Bus steige, ist erst mal alles falsch, nichts stimmt mit der Erinnerung überein. Damals hielt er vor dem Café Eden, das war der erste Anlaufpunkt und das touristische Herz von Hveragerði. Das ist leider 2011 abgebrannt. Seitdem laufen die Touristen entweder planlos durch den Ort oder fahren ohne Stopp direkt zum Parkplatz am Reykjadalur.

                                                                                      Ich folge dem Bach, der oberhalb vom Campingplatz ein Stück durch Hveragerði fließt und schon bald von Dampfquellen gesäumt ist. Am Ortsausgang beginnt ein schmaler geschotterter Spazierweg durch auffallend saftige Wiesen, in denen sich eine Menge Rotschenkel und Regenbrachvögel tummeln. Schön hier! Nach einem letzten kräftigen Regenschauer scheint sich das Wetter zu stabilisieren.


                                                                                      Kleiner Wasserfall in Hveragerði Downtown





                                                                                      Außer mir ist auf dem Pfad niemand unterwegs, weil alle mit dem Auto fahren. Blech an Blech reiht sich auf dem Parkplatz, und eine Karawane von bunten Regenjacken zieht gen Reykjadalur. Mit so vielen Touristen hätte ich heute nicht gerechnet. Für 20 Minuten setze ich mich in den Windschatten der geschlossenen Imbissbude und denke nach. Eigentlich ist es doch ganz einfach: statt heute mit einer Million Menschen werde ich morgen ganz früh alleine im warmen Bach baden. Und jetzt gehe ich genau wie damals ins Grændalur. Von hier müsste es doch auch einen Einstieg geben.


                                                                                      Blick zum Grændalur von der Imbissbude am Parkplatz

                                                                                      Bis zur Brücke laufe ich noch im Strom der erwartungsvoll fröhlichen Touristen, die vermutlich milde überrascht sind, als ich danach rechst ausschere und über den Schafdraht steige. Vielleicht soll der Schafdraht auch nur die Badegäste davon abhalten, den Weg zu verlassen. Eine höchst effektive Maßnahme. In direkter Linie geht es jetzt, teils etwas steil, zum westlichen Hang des Grændalur, dem ich auf mittlerer Höhe folge. Wow, auch das Tal erkenne ich kaum wieder, das ist ja unglaublich spannend! Überall sind heiße Quellen, Schlammtöpfe, giftig fauchende Erdhöhlen, große Dampfschwaden. Und das direkt neben einer viel besuchten Touristenattraktion. Nicht auszudenken, wenn die hier alle herumlaufen würden! Zum Glück halten sie sich ausnahmslos alle an ihren vorbestimmten Weg und lassen mich hier ganz alleine mit hunderten von Schafen.






                                                                                      Grændalur


                                                                                      Die Schafe lieben ihre Fußbodenheizung (ich zähle 23 auf dem Foto)









                                                                                      Ich bin restlos begeistert! So spannend hatte ich den Abstecher gar nicht erwartet. Natürlich lasse ich öfter den Rucksack stehen und steige hoch und runter am Hang, um mir alles genau anzuschauen. Mit dem Wind drehen auch die Dampfschwaden ständig ihre Richtung, so ergeben sich immer wieder neue Blicke und Fotomotive. Als es dann doch zu regnen beginnt, stelle ich kurzerhand das Zelt auf und erkläre die Wartezeit zur Mittagspause. Hier möchte ich noch mehr Zeit verbringen. Nur kaltes Wasser gibt es hier nicht, alle Bäche am Hang haben geschätzt mindestens 40-50°C.










                                                                                      Heißes Bächlein



                                                                                      Die Schafe haben offenbar keine Angst, im heißen Schlamm zu versinken. Da bin ich doch sehr viel vorsichtiger. Am Nachmittag kommt sogar gelegentlich die Sonne durch, aber es bleibt windig. Weiter oben öffnet sich das Grændalur, und der steinige Hang geht in Wiesen mit hohem Gras über. Was von Ferne lieblich aussah, ist in Wirklichkeit eher unangenehm zu durchqueren, denn das Gras verdeckt alle Hindernisse. Obwohl ich langsam gehe, stolpere ich öfter in ein Loch oder einen schmalen Graben.


                                                                                      Oberes Grændalur











                                                                                      Heute gehe ich auf keinen Fall über den Pass, soviel steht fest. Vor dem letzten Anstieg suche ich lange nach einem geeigneten Zeltplatz, muss mich dann aber doch mit einer leicht abschüssigen Stelle im hohen Gras zufriedengeben. Dafür ist sie windgeschützt und bietet neben der prachtvollen Aussicht auch ein warmes Bächlein zum Waschen. Am Abend regnet es wieder.

                                                                                      Nicht weit entfernt macht eine heiße Quelle sehr merkwürdige Geräusche, sie faucht manchmal wie eine Katze, dann hechelt sie wie ein Hund oder klingt wie ein Lachsack. Ein Dampfling! Das ist doch bestimmt ein seltsames, wärmeliebendes Lebewesen, das sandige Höhlen bewohnt und sich von Schwefel ernährt. Was er mir wohl sagen will? Begrüßt er mich als neuen Nachbarn oder beschwert er sich über meine Anwesenheit? Mit den Schafen leben die Dampflinge jedenfalls einträchtig zusammen, also wird er sich schon noch an mich gewöhnen.


                                                                                      Camp 12 im Grændalur


                                                                                      Freitag, 17. Juli: Windige Sache

                                                                                      Trotz eindeutiger Schräglage konnte ich ganz gut schlafen. Man muss einfach alle verfügbaren Sachen an den entsprechenden Stellen unter die Isomatte stopfen und … äh … irgendwie verhindern, dass sie wieder raus rutschen. Was eine ziemliche Wurschtelei sein kann, aber diesmal ging es. Seit gestern hat der Wind ordentlich zugelegt, er zerrt und rüttelt am Zelt, fegt über das hohe Gras und drückt es in wogenden Wellen nieder. Sieht fast aus wie ein giftgrüner Ozean, wenn man sich die Berge wegdenkt. Gut, dass mein kleines Boot sicher vor Anker liegt.


                                                                                      Blick aus dem Zelt

                                                                                      Immer wieder gibt es Regenschauer, dann reißen die Wolken kurz auf, bevor der nächste Schauer niedergeht. Das alles bei 4-5°C. Vielleicht doch nicht der Tag um superfrüh im heißen Bach zu baden, denn vorher müsste ich ja über den Pass. Also liege ich eine Weile herum, frühstücke spät und warte ab, ob das Wetter sich beruhigt. Das tut es nicht, aber mir wird langweilig. Mal sehen, die Runde um den Ölkelduhnúkur ist von hier ungefähr sechs Kilometer lang. Das wäre doch ein passender Vormittagsspaziergang.

                                                                                      Am Pass Dalskarð bläst der Wind schon sehr unangenehm, aber als ich am Touristensteg vorbei bin und neben der Klambragil hoch gehe, knallt er mir auch noch Hagel vor den Latz, genau von vorne. Das ist fast unerträglich. Ich versuche, das Gesicht so gut wie möglich zu schützen, kämpfe mich mit tief heruntergezogener Kapuze oder seitlich voran. Aber irgendwie muss man ja auch sehen, wo man hintritt.


                                                                                      Grændalur


                                                                                      Reykjadalur, rechts Klambragil


                                                                                      Touristenanlage – hier ist auch nicht viel los


                                                                                      Zu heiß zum Baden




                                                                                      Meet the Locals


                                                                                      Reykjadalur


                                                                                      Klambragil

                                                                                      Nach dem Hagel kommt mir der Nordwind schon nicht mehr so schlimm vor. Alles eine Frage der Perspektive. Nördlich des Ölkelduhnúkur gibt es außer einigen heißen Quellen auch zwei milchige Tümpel, einer türkisgrün, einer bleigrau, die beide nicht wirklich zum Baden einladen, und dann laufe ich auch schon bald entlang der Stromleitung in die Schlucht zwischen Ölkeldu- und Dalskarðshnúkur. Hier ist zum ersten Mal auf dieser Runde etwas mehr Trittsicherheit gefragt, dafür allerdings windgeschützt. Eine nasse Felsstufe ist netterweise mit einer Kette gesichert.


                                                                                      Türkisgrüner Tümpel


                                                                                      Bleigrauer Tümpel


                                                                                      Schlucht zwischen Ölkeldu- und Dalskarðshnúkur



                                                                                      Auf dem Weg zurück über den Pass halte ich vergeblich Ausschau nach einem besseren Platz und kehre dann zufrieden zurück zu meinem plappernden Dampfling. Hatte ihn schon fast ein bisschen vermisst. Der Hang hinter dem Zelt hält doch einigermaßen den Wind ab. Der Nachmittag vergeht mit mehr Regenschauern, zwischendurch Sonne und einem kleinen Spaziergang im Tal, von dem ich allerdings so durchgefroren zurück komme, dass ich mich lieber nicht im Bach wasche, sondern mit warmem Wasser in der Apsis.


                                                                                      Noch eine heiße Quelle beim Nachmittagsspaziergang






                                                                                      Camp 13 neben meinem munteren Dampfling


                                                                                      Abendstimmung


                                                                                      Samstag, 18. Juli: Zum Abschluss ein heißes Bad

                                                                                      Wer auf abflauenden Wind gewettet hat, ist heute ziemlich enttäuscht. Genauso wie gestern, denke ich, nur trockener. Heute muss aber das Bad im Bach sein, und zwar sofort. Noch vor dem Frühstück schnappe ich mir das Handtuch, Mütze, Handschuhe, ein paar Kekse und mache mich ein weiteres Mal an den Aufstieg zum Pass. Lieber als den Touristenweg möchte ich später durch das Grændalur zurück nach Hveragerði gehen. Als ich gegen sieben den heißen Bach erreiche, kommt gerade ein isländisches Paar von unten dazu. Die wollen bestimmt auch mal ohne Touristen hier baden, stören sich an mir aber genauso wenig wie umgekehrt. Aufgestaute Becken gibt es genügend.

                                                                                      Keiner von uns will so schnell aus seiner perfekt temperierten Badewanne zurück in den eiskalten Wind, es ist ganz und gar herrlich.


                                                                                      Touristensteg


                                                                                      Müde Schafe am frühen Morgen

                                                                                      Zurück am Zelt habe ich reichlich Zeit zum Frühstücken und die Sachen zu packen, bevor es dann äußerst gemächlich das Tal hinunter geht. Wie vorgestern sind auch jetzt die üppigen Wiesen der unangenehmste Teil. Diesmal halte ich mich mehr unten am Bach, wo es weniger windexponiert ist, aber auch da schubsen manche Böen ungeduldig von hinten. Eine Gruppe von vier jungen Wanderern mit Tagesrucksäcken kommt mir am Taleingang entgegen, die eine halbe Stunde später, als ich mich gerade fürs Mittagessen einrichte, schon den Rückzug antreten. Sehr weit können die gegen den Wind nicht gekommen sein.




                                                                                      Grændalur

                                                                                      Inzwischen hat auch der zweite Akku meiner Kamera aufgegeben. Schön, hat doch alles genau gepasst. Der Abstecher zu den heißen Quellen im Grændalur war ein anregender Abschluss für diesen Island-Urlaub, der sich so völlig anders entwickelt hat, als ich dachte. Die Insel ist doch immer wieder gut für Überraschungen.

                                                                                      Nach Reykjavík muss ich jetzt nicht mehr unbedingt. Weil man sowieso in Mjódd umsteigen muss, nehme ich lieber den direkten Anschluss nach Hafnafjörður und verbringe da ein paar Stunden, bis der Bus zum Flughafen abfährt. Wenn ich daran denke wie aufgeregt ich war, als ich vor zwei Wochen hier ankam und auf den Test warten musste, dann kommt mir das völlig fremd vor. Heute bin ich erfüllt von einer schwebenden Gelassenheit, die mir hoffentlich noch eine Weile erhalten bleibt.


                                                                                      Ende

                                                                                      Kommentar


                                                                                      • TilmannG
                                                                                        Fuchs
                                                                                        • 29.10.2013
                                                                                        • 1352
                                                                                        • Privat


                                                                                        #44
                                                                                        AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                                        Hei Bernd,
                                                                                        bin auch erst jetzt dabei und konnte nur kurz durchfliegen - aber die vielen schönen Bilder haben sehr berührt und machen riesig Lust, mal wieder in Island unterwegs zu sein.
                                                                                        Hab vielen Dank!
                                                                                        Grüße von Tilmann
                                                                                        http://www.foto-tilmann-graner.de/

                                                                                        Kommentar


                                                                                        • Blahake

                                                                                          Vorstand
                                                                                          Fuchs
                                                                                          • 18.06.2014
                                                                                          • 1591
                                                                                          • Privat


                                                                                          #45
                                                                                          AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór


                                                                                          Ich hab' jetzt gar nicht so genau nachvollzogen, worin die Planänderung bestand. Aber besser als diese Tour hätte der ursprüngliche Plan doch wohl kaum werden können!?
                                                                                          Danke für den tollen Bericht, das Teilhabenlassen an Deinen Gedanken und Gefühlen und diese Hammerbilder!

                                                                                          Kommentar


                                                                                          • Borgman
                                                                                            Dauerbesucher
                                                                                            • 22.05.2016
                                                                                            • 768
                                                                                            • Privat


                                                                                            #46
                                                                                            AW: [IS] Kopfnetz statt Mundschutz: Traumwandeln zwischen Fjallabak und Langsjór

                                                                                            @TilmannG: Gern geschehen! Ein Lob von Dir für die Bilder freut mich natürlich besonders

                                                                                            @Blahake: Die Planänderung bestand darin, dass ich ihn am ersten Tag komplett fallen gelassen habe und danach mehr oder weniger nur noch nach Gefühl gegangen bin. Ob die Tour nach dem ursprünglichen Plan besser gewesen wäre, kann man nicht wissen. Die Route am Torfajökull von Hattver zur Strútslaug hätte mich jedenfalls sehr gereizt. Aber Du weißt ja aus eigener Erfahrung, dass man manchmal einfach (noch) nicht bereit ist, sich mit einer Route auseinanderzusetzen, bei der man die Schwierigkeiten nicht einschätzen kann. Dann soll man es besser lassen und was Anderes machen. Die Entscheidung war auf jeden Fall richtig.

                                                                                            Kommentar


                                                                                            • Bergahorn
                                                                                              Erfahren
                                                                                              • 13.04.2019
                                                                                              • 441
                                                                                              • Privat


                                                                                              #47
                                                                                              Da habe ich so lange herumgetrödelt, bis sich das Forum in den Lockdown begab, deshalb erst jetzt mein Dankeschön für den tollen Bericht! Die Bilder sind echt umwerfend, ich ahne, wie sehr diese Landschaft das Gemüt beeindruckt. Als ich - lang ist es her - in Island war, habe ich erst ein paar Tage gebraucht, ehe ich mit diesen Dimensionen klar kam, von daher kann ich deine "Anlaufschwierigkeit" gut nachvollziehen. Irgendwo habe ich mal den treffenden Satz "Island ist maßlos." gelesen.
                                                                                              Bei den Strommasten musste ich an den isländischen Film "Gegen den Strom" denken, netterweise hast du sie allerdings nicht angesägt (oder dem Forum irgendwelche Tätigkeiten im Untergrund verschwiegen).
                                                                                              Interessant auch der kleine Einblick in die Trollologie - oder heißt das Trolllogie?
                                                                                              Ach, was soll ich lange schreiben...: (Habe mich in der Anzahl der Fünfsternepäckchen mal an Blahake orientiert)

                                                                                              Kommentar


                                                                                              • Borgman
                                                                                                Dauerbesucher
                                                                                                • 22.05.2016
                                                                                                • 768
                                                                                                • Privat


                                                                                                #48


                                                                                                Ooh, vielen Dank! Freut mich auf jeden Fall, dass du noch dran gedacht hast. Die Trollologie oder einfach Trollkunde hat sich als seriöse Wissenschaft leider immer noch nicht etabliert, was wohl daran liegt, dass lebende Exemplare heutzutage nur noch schwer aufzutreiben sind. Wobei man doch genügend eindeutige Zeugnisse aus der Vergangenheit findet. Ja ja, stattdessen überlässt man sie der schamlosen Verfälschung und Ausbeutung durch die chinesische Andenkenindustrie, eine Schande ist das!


                                                                                                Meine Untergrund-Aktivitäten sollen auch weiterhin geheim bleiben, dafür bitte ich um Verständnis. Wenn ich hier offen darüber schreiben könnte, müssten sie ja nicht im Untergrund stattfinden, oder? Aber der Film von Benedikt Erlingsson scheint ganz nach meinem Geschmack zu sein, danke für den Tipp. „Gegen den Strom“ ist irgendwie an mir vorbeigegangen (obwohl ich den früheren „Hross í oss“ toll fand). Ziemlich guter zweideutiger deutscher Titel übrigens, fast besser als der Originaltitel „Kona fer í stríð“ (Eine Frau zieht in den Krieg). Na ja, egal, den gucke ich mir auf jeden Fall an.


                                                                                                Island kann man wahrscheinlich auch gar nicht richtig begreifen, wenn man nur alle paar Jahre mal für drei Wochen im Sommer dort ist. Ich wüsste sehr gerne, wie es sich anfühlt, dort zu leben. Nein, falsch, wie es sich anfühlt, dort hinzugehören, in Island verwurzelt zu sein. Wie es ist, wenn man diese für uns auf den ersten Blick so fremdartige, manchmal abweisende Landschaft und die Natur unmittelbar fühlen kann. Was uns Wanderern ja sogar manchmal für einen Augenblick gelingt, ein inniger Moment, der lange nachwirkt. Vielleicht ist das alles, was wir erhoffen dürfen.


                                                                                                In diesem Sinne: Gleðileg jól!


                                                                                                Kommentar


                                                                                                • Styg
                                                                                                  Gerne im Forum
                                                                                                  • 01.05.2014
                                                                                                  • 86
                                                                                                  • Privat


                                                                                                  #49
                                                                                                  Hallo Bernd, vielen Dank für den tollen, ausführlichen und die vielen Bilder!

                                                                                                  Alles so vertraut, ein schönes Wiedersehen.
                                                                                                  So ist es, eine wirklich tolle Gegend! Fjallabak und Langsjór, dort möchte ich wohl auch irgendwann einmal wieder auf ein paar einsame Tage in der Landschaft verschwinden ...

                                                                                                  Kommentar