• Sylvie
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    [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

    Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

    Diese Tour begann mit Hindernissen. Zwei Wochen vor Start kamen Stef und ich auf die grandiose Idee, noch eine dreitägige, durchaus knackige Paddeltour einzuschieben. Danach hatte ich massive Schulter-Nacken-Probleme. Irgendwelche Nerven waren eingeklemmt. Zumindest vermutete ich das, denn fast alle Finger meiner linken Hand waren taub. Vier Tage später hatte ich ein Gitarrenvorspiel. Da übt man natürlich fleißig im Vorhinein. Immer in dieser ungesunden Gitarristenhaltung: fein den linken Arm nach oben. Das Stück im Quartett haben wir gut gemeistert, auch wenn es sich seltsam anfühlte mit tauben Fingern zu spielen, aber meine Nackenverspannungen und Fingertaubheiten nervten danach umso mehr. Und nur noch eine Woche bis Kiilopää. Wie sollte ich mit diesen Schrott-Schultern einen 20-Kilorucksack tragen? Ich schangelte tagelang rum mit Schmerztabletten, Wärmepflastern und Kirschkernkissen, dann beschloss ich auf’s Äußerste zu gehen und meine Physiotherapeutin aufzusuchen. Die hat mich mit ihren goldenen Händen dann auch halbwegs wieder eingerenkt, ausgeknackst und deblockiert. Für’s erste sollte das reichen, sagte ich mir.

    Blieb vorerst nur noch mein zweites Problem: eine Wunde am Fußrücken, irgendwo aufgeschürft, gekratzt – der Heilungsprozess war langwierig. Normalerweise juckt mich eine solch kleine Wunde überhaupt gar nicht; ich heile sie konsequent mit Spucke, frischer Luft und aggressivem Abwarten, aber jetzt so kurz vor der Tour hatte ich recht ähnliche Bedenken. Die Füße werden ja massiv beansprucht auf so einer Wanderung. Den ganzen Tag luftdicht verschlossen in den stinkenden Botten? Ich kam mir vor wie im Parzifal: Die amfortische Wunde würde sich niemals schließen. Auch hier griff ich zu spezielleren Maßnahmen: fett Jodsalbe und ein dickes Pflaster drauf und die Wunde ignorieren, bis das Pflaster von alleine abfällt. Die Taktik hat sich bewährt. Heilungsfördernd kam, ganz nach Kneipp, immer mal eiskaltes Nass hinzu, in dem ich die Füße bei unseren Furten wässerte.

    Halb-invalidös begannen wir also unsere Tour durch den Urho-Kekkonen-Nationalpark (bei Stefan war alles im grünen Bereich). Dieses Jahr starteten wir nur zu zweit ganz im Nordosten an der Raja Jooseppi und liefen den Park (zunächst) nach Süden ab. Anfangs hatten wir keinen Plan, wir ließen uns vielmehr treiben von spontanen Ideen und Eingebungen. Mutig und sehr entschlossen kletterten wir immer wieder hoch in die wunderbar wilden Fjälls, um danach nur noch angetaner zu sein vom finnisch-lieblichen Märchenwald. Die Touren waren knackig; ich hatte ständig Hunger, denn unser Reiseproviant für acht Tage war knapp bemessen und wurde bis auf den letzten Krümel verspeist. Es gab wenige Hütten, vielmehr Schlafen im Zelt an verwunschenen Feuerstellen. Eine ganz wilde, romantische und äußerst anstrengende Tour war das. Mehr will ich vorerst nicht verraten. Kommt vorbei und schaut selbst!

    Mitternachtssonne am Luirojärvi. Der arktische Sommer zieht wieder alle Register.
    Zuletzt geändert von Sylvie; 27.07.2019, 13:44.

  • andrea2
    Dauerbesucher
    • 23.09.2010
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    #2
    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

    Ui, ein Sylvie Bericht ich freue mich.

    Katastrophen kurz vorm Urlaub hatten wir ja auch schon genug. Aber meist klappt's ja doch irgendwie.

    Ich bin sehr gespannt.

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    • Sylvie
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      #3
      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

      Zitat von andrea2 Beitrag anzeigen
      Ui, ein Sylvie Bericht ich freue mich.

      Katastrophen kurz vorm Urlaub hatten wir ja auch schon genug. Aber meist klappt's ja doch irgendwie.

      Ich bin sehr gespannt.
      Hallo Andrea,
      ja, hab ich gelesen, bei Euch war die letzte Herbsttour ja auch erst mal hindernisbehaftet. Und ja, nach anfänglicher Sorge - ich bin ja noch nicht so lange im Wandergeschäft und hatte eine solche Situation vorher noch nicht - reißt man sich doch irgendwie am Zippel und alles klappt einigermaßen. Aber erst mal macht man sich Gedanken...

      Und nicht zu Unrecht, wie sich noch zeigen wird.

      Bis bald

      Sylvie

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      • Sylvie
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        #4
        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

        Montag, 8. Juli 2019: Anreise und gleich reingetobt in den Wald

        Müde, müde, müde. Ich will den ganzen Tag nur schlafen und nicke in jeder Halle und jedem Flugzeug immer wieder weg. Die Nacht war kurz und die letzten Wochen anstrengend. Jetzt brauchen Stef und ich Erholung und also geht es erneut in den finnischen Märchenwald, der genau das verspricht. Ganz so spontan war es selbstredend nicht. Wie immer bei diesen Touren gehen dem eigentlichen Wanderspaß mehrere Wochen Planung voraus. Normalerweise wächst in dieser Zeit auch die Vorfreude, aber die kam dieses Jahr etwas zu kurz. Zu angefüllt waren unsere Tage mit Konzerten, Tagungen, Partys und Großveranstaltungen. Entsprechend abrupt fühl ich mich deshalb auch plötzlich im Wald abgekippt.

        Dieses Jahr ist alles anders. Wir nehmen nicht den Bus nach Sariselkä, keine Einstimmungsnacht im Hotel, wir lassen uns vielmehr vom Flughafen aus directement an die russische Grenze bringen. Zur Raja Jooseppi wollen wir, da gibt’s einen Parkplatz. Unsere Taxifahrerin ist sehr freundlich. Nehmt lieber den nächsten Parkplatz noch weiter im Osten, am Luttojoki, rät sie uns. Da gibt’s eine Brücke über den Fluss. Es hat die letzten drei Wochen fast ununterbrochen geregnet, meint sie. Die Flüsse sind tief, breit und wild in der Gegend, nicht gut zum Furten. Nehmt lieber die Brücke. Der Preis für die Fahrt ist der Gleiche. Also machen wir das. Wir haben schon immer den Rat der Einheimischen wertgeschätzt.

        Die Frau ist hier geboren. In Ivalo, ihre blauen Augen strahlen mich im Rückspiegel an. Ihr Vater und auch ihr Mann sind Sami. Ihr Vater hat noch ganz traditionell im Inari-See gefischt. Meine Neugier ist entflammt. Ich will wissen, ob sie Kinder hat. Nein leider nicht, ihr Blick trübt sich ein. Oh dumm, falsche Frage, falsche Frage. Oh sorry, sage ich, sorry für meine verdammte Neugier, aber sie lächelt schon wieder. Mit dem Wetter habt Ihr Glück, schwenkt sie um auf weniger morsches Gelände. Diese Woche soll es nicht regnen. Und in der Tat: der finnische Sommer begrüßt uns nicht nur; er umarmt uns mit sonniger Heiterkeit. Der Wald ist lindgrün, alles blüht, wir sehen Butterblumen und Wollgras, der Himmel strahlt babyblau, keine einzige Wolke gibt es heute da oben, es ist 15 Grad warm und ein frischer Wind pustet immer mal keck durch die Bäume.

        Die Fahrt nach Osten dauert etwas mehr als ne Stunde. Zwischendurch halten wir kurz an einer Tankstelle und kaufen Gas und zwei Büchsen Bier für den ersten Abend im Wald. Später dann, auf der Straße nach Osten, sind nur noch wir unterwegs. Und mehrere Rentierherden mit frischen Jungtieren im Gepäck. Die beäugen das Auto neugierig und machen nur ganz gemächlich die Straße frei. Wir zuckeln langsam dahin und plaudern uns den Weg kurz.

        Es kommen die üblichen Fragen: woher, wohin und wie lange. Als wir erzählen, dass wir zum fünften Mal schon im Park sind, wird die Frau plötzlich hellhörig. Ich kenne Euch, meint sie dann. Ich arbeite auch im Outdoorladen in Sariselkä, da wart Ihr schon mehrmals drinne. Das stimmt, geben wir zu und werden ein bisschen verlegen, weil wir anscheinend ein weniger gutes Gedächtnis haben. Aber langsam wundert mich auch nicht mehr, dass man sich kennt in diesen Breiten. Hier oben, am Ende der Welt, wo die Verrückten sich tummeln. Oder sollte ich sagen: die Entrückten? Die der Welt Entrückten, die finden sich hier in der nordischen Einsamkeit. Davon gibt es nicht allzu Viele. Da kann es durchaus passieren, dass man sich manche Leute immer mal merkt. Vorausgesetzt, man hat ein gutes Gedächtnis, wovon Stefan und ich ganz offenbar nicht profitieren.

        Kurz vor dem Ziel will ich noch wissen, ob der Klimawandel hier oben zu spüren ist. Ja, sagt die Fahrerin, irgendwie schon. Die Winter kommen später und sind sehr viel unbeständiger als früher. Zwischen den sehr kalten Phasen kommen immer mal wieder warme Tage. Dadurch gibt es mehr Schnee und auch viel mehr Wind. Man spürt es auch hier, dass die Welt sich wandelt.

        Aber der finnische Märchenwald, der wandelt sich nicht. Als wir endlich ankommen, zieht er uns wie ein Sog aus dem Auto. Wir springen hinaus und fackeln nicht lange: Mückenspray auf die Haut, Schuhe an, Wanderstöcke ausgefahren, Rucksack auf den Rücken geknallt – mach’s gut liebe Fahrerin, bestimmt sehen wir uns irgendwann wieder. Wir geben ihr zehn Euro Trinkgeld, winken fröhlich zum Abschied und ab geht’s über die Brücke hinein in den Park.


        Schnell noch ein Foto vor der Karte gemacht und frisch wie der Wind turnen wir rein in den Park.


        Zumindest am Anfang der Tour gibt's noch ne komfortable Flussüberquerung.


        Es ist abends halb neun und selbstredend ist es noch hell. Die Sonne steht hoch am Himmel und kein einziges Mal wird sie untergehen, während wir hier sind.


        Sommerbläue am Luttojoki

        Wie schon beschrieben: keine Busfahrt nach Sariselkä, kein „hey, hey, I saved the world today“ zur Vorbereitung, generell überhaupt keine geistige Vorbereitung oder liebgewordene Gewohnheit, mit der wir die Tour sonst immer einleiten – so rasend schnell und unvermittelt steh‘ ich plötzlich im Wald, nach einem endlos langen Reisetag voller Müdigkeit, mit schönen Momenten zwar, die mich aber gar nicht so richtig erreichen, so sehr im Nebel ist mein Kopf von der Ereignis-Dichte der letzten Wochen… Also kurz: Ich kann das noch gar nicht richtig begreifen. Während ich sonst immer fasziniert und begeistert das Fremde der nordischen Landschaft begrüße, ist es jetzt irgendwie ganz anders. Dieser lichte, heitere Wald mit seinen tanzenden Sonnenflecken auf hellgrünem Moos und Birkenstämmen, mit seinem Duft nach Kiefern und wildem Rosmarin, der einem unvermittelt entgegenwallt – das alles ist mir so vertraut. Ich habe gar nicht das Gefühl, ich laufe in die Fremde, ins Abenteuer – ich habe vielmehr das Gefühl, ich komme nach Hause. Ah, grüß Dich alter Wald, mein Freund, gibt es Dich immer noch in Deiner finnischen Lieblichkeit? Wir nicken uns still und erkennend zu, mein alter Bekannter und ich. Es liegt darin nichts Euphorisches, nichts Überschwängliches – er ist einfach da, und ich bin einfach da, und das ist gut so.

        Das ist neu, und es wundert mich. Dann jedoch bin ich vom Wandern gefangen. Langsam, aber zielstrebig taucht mein Kopf aus dem Nebel auf, denn mein Körper sendet Signale an ihn. Der Weg durch Finnisch-Lieblich ist angenehm zu laufen, keine Wurzeln, keine Steine, nur ab und zu feuchte Senken – aber ganz ehrlich, das Wandern ist niemals angenehm an den ersten Tagen. Irgendwas ziept, juckt, kratzt, drückt, schmerzt oder brennt immer. Ich will hier jetzt gar nicht zu sehr ins Detail gehen, weh tut noch nix, aber das permanente Brennen und Jucken auf der Haut, macht mich grad uschig. Es beansprucht meine Sinne sehr. Ist’s gar das Mückenspray, das ich nicht vertrage?

        Doch nach einer Weile werde ich ausreichend abgelenkt. Der Weg zieht am Fluss entlang, am Kiertämäjoki, und irgendwann wird daraus ein See, der untere Kiertämäjärvi.


        Kiertämäjoki

        Es gibt ein Shelter hier, bis dahin wollen wir heute noch gehen. Halb neun sind wir aufgebrochen, halb elf sind wir da. Die Sonne steht noch hoch über dem See. Das Shelter ist besetzt. Wir sehen es lange bevor wir ankommen an den frischen Fußspuren im Schlamm. Immer wenn ich Spuren von Wanderschuhen sehe, denke ich an Chingachgook, die große Schlange aus den Lederstrumpfromanen, die ich als Kind verschlungen habe. „Der weiße Mann ist zu laut und zu schwer“, pflegte Chingachgook immer zu sagen. „Seine Spuren gleichen denen einer Büffelherde.“

        Der Beweis kommt dann auch prompt: Zwei weiße Männer, nicht allzu schwer, aber mit großen Füßen, sitzen am Feuer, als wir das Shelter erreichen. Es sind Deutsche. Sie sind nach 20 Jahren wieder zum ersten Mal hier im Park. Wir setzen uns gleich mit dazu und zischen erst mal unser Bier weg. Dann quatschen wir bis in die Puppen. Erst gegen halb zwei verschwinden wir endlich im Zelt. Es wird ja nicht dunkel hier. Dafür aber empfindlich kalt, sobald die Sonne im Norden die Erde küsst. Im Zelt bei dieser Helligkeit schlafen zu wollen, kommt mir noch seltsamer vor, als in den Hütten. Dort ist es wegen der kleinen Fenster zumindest irgendwie schummrig. Im Zelt ist es hell wie am Tage. Ich rede mir ein, ich mache jetzt einen Mittagsschlaf. Müde bin ich nicht wirklich. Obgleich ich den ganzen Tag immer nur schlafen wollte.


        Abends halb zwölf am Kiertämäjärvi



        Seeblick aus dem Zelt
        Zuletzt geändert von Sylvie; 22.07.2019, 22:43.

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        • Aurorahunter
          Anfänger im Forum
          • 18.11.2016
          • 18
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          #5
          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

          Wie ich deine Berichte liebe Sylvie! Da ich schon so oft da oben war, kann ich mich total gut hineinfühlen in eure Reise. Spannend euer Startpunkt! Von da oben sind wir noch nie gestartet. Wär ev. auch mal was. Bin mega gespannt auf die nächsten Beiträge von dir! Super geschrieben! Ganz liebe Grüsse auch an Stef! Und das mit dem "da oben kennt man sich", musste grad mega lachen...Euch haben wir ja schon gekannt, ohne dass wir euch live gesehen haben, nämlich von einem Bericht, den Jarno im Vorfeld unserer ersten Tour im Netz gelesen hat.

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          • Mika Hautamaeki
            Alter Hase
            • 30.05.2007
            • 3996
            • Privat


            #6
            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

            Juhu, es gibt wieder einen Finnlandbericht!
            So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
            A. v. Humboldt.

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            • Sylvie
              Erfahren
              • 20.08.2015
              • 361
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              #7
              AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

              Zitat von Aurorahunter Beitrag anzeigen
              Wie ich deine Berichte liebe Sylvie! Da ich schon so oft da oben war, kann ich mich total gut hineinfühlen in eure Reise. Spannend euer Startpunkt! Von da oben sind wir noch nie gestartet. Wär ev. auch mal was. Bin mega gespannt auf die nächsten Beiträge von dir! Super geschrieben! Ganz liebe Grüsse auch an Stef! Und das mit dem "da oben kennt man sich", musste grad mega lachen...Euch haben wir ja schon gekannt, ohne dass wir euch live gesehen haben, nämlich von einem Bericht, den Jarno im Vorfeld unserer ersten Tour im Netz gelesen hat.
              Grüß Dich Jan,
              na, wie ich mich freue, dass Dir mein Bericht gefällt! Vielen Dank für Deinen Zuspruch. Ich muss sagen, ich habe selbst viel Freude daran, also am Aufschreiben, manchmal vermute ich ja fast, ich gehe eigentlich nur wegen des Schreibens immer wieder in diese inspirierende Landschaft. Das flutscht da alles wie gedruckt aus mir heraus. Ich muss den Ursprungstext kaum noch verändern. Hier zu Hause hab ich dann jede Menge Gaudi beim Antippen - da wird das Ganze gewissermaßen erst verdaut.

              Und ja haha.... unsere Begegnung der anderen Art im Herbst 2016 werde auch ich nie vergessen. Man kennt sich halt dort oben. Wenn nicht, lernt man sich kennen.

              Ich mach jetzt gleich mal bisschen weiter, morgen wird es nichts werden mit dem Schreiben und ab Montag erst recht nicht, da muss ich wieder arbeiten.

              Feine Grüße an Dich und auch an Jarno!
              Sylvie

              - - - Aktualisiert - - -

              Zitat von Mika Hautamaeki Beitrag anzeigen
              Juhu, es gibt wieder einen Finnlandbericht!
              Jawohl! Ich bin stets zur Stelle!

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              • Sylvie
                Erfahren
                • 20.08.2015
                • 361
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                #8
                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                Dienstag, 9. Juli 2019: Durch Finnisch-Lieblich

                Das Zelt stand abschüssig. Wir haben miserabel geschlafen. Ich träumte andauernd, mein Schiff geht unter und ich komme auf die schiefe Bahn. Ich rutsche beständig die drohende Schräge hinunter bis ich ins kalte und alles verschlingende Meer falle. Dann find ich mich jedes Mal an dieser eiseskalten Zeltwand wieder, wo ich schlotternd erwache. Stef hat so ein Ultraleichtzelt gekauft. Das Ding ist dünn wie ne Strumpfhose. Selbst als am Morgen die Sonne drauf scheint, wird es da drinne nicht warm. Dabei hatte ich auf die wärmende Sonne im Osten gehofft, denn ich friere die ganze „Nacht“ wie ein Schneeglöckchen.

                Aber immerhin: Die Sonne scheint fein. Wir schälen uns aus unserer Strumpfhose und springen erst mal in den See.



                So. Nun ist uns warm. Nun wird gefrühstückt. Die beiden Deutschen sind auch schon wach. Sie haben im Shelter übernachtet. Ein bisschen mückenzerstochen, aber sonst ganz munter, kriechen sie brabbelnd aus ihren Schlafsäcken. Wir essen gemeinsam am Feuer, dann packen wir alles zusammen und hopp – geht es los.

                Über Essen und Ausrüstung haben wir uns im Vorhinein viele Gedanken gemacht. Über den Weg hingegen nur grob. Wir wollen zunächst am Ostrand des Parks nach Süden marschieren, dabei möglichst viel offroad über die Fjälls gehen und irgendwann Richtung Nordwesten nach Kiilopää abbiegen. Wir wissen noch nicht, wie weit wir heute gehen wollen, aber erst mal gehen wir los. Wir peilen zunächst die Hütte am oberen Kiertämäjärvi an. Vielleicht laufen wir weiter, vielleicht auch nicht. Der Fluss zwischen den beiden Kiertämä-Seen mäandert sich liebreich durch die finnische Landschaft. Der Weg mäandert brav nebenher.



                Heute ist nicht nur der Wald äußerst lieblich, der ganze Rest ist es auch. Die Sonne scheint, aber nicht zu warm, der Weg ist wie gestern steinlos und wurzellos, nur immer mal sumpfig. Diese glatten Wege hier… eigentlich ist das ein russischer Märchenwald, denke ich während des Laufens. Der toppt den finnischen noch mal in seiner Lichtheit und Heiterkeit. Ich warte beständig darauf, dass Wasja und die schöne Aljona singend durchs Heidekraut gewandelt kommen. Das würde zur Stimmung hier passen.

                Mücken gibt es freilich. Aber sehr viel weniger, als vor vier Jahren im August. Sie fallen uns an, wenn wir Pause machen, doch lassen sie gleich wieder ab von uns. Das Ballistol, mit dem wir uns eifrig einreiben, verscheucht die Biester zuverlässig.


                Das beste Mittel gegen Mücken, das wir kennen. Riecht angenehm, schmeckt nicht, irritiert die Haut nicht und das Wichtigste: es wirkt.

                Irgendwann wird es uns doch zu warm. Da springen wir schnell in den Fluss und laufen erfrischt und wohltuend sauber die letzten paar Meter bis zum See.


                Unsere Badestelle. Hier staut sich das Wasser und es ist tief.

                Die Hütte am oberen Kiertämäjärvi ist zauberhaft. Sie liegt direkt am See mit einer feinen Feuerstelle am Ufer.



                Im Inneren des Hauses ist es jedoch weniger einladend: es gibt hier seltsame ranzige Matratzen, auf die ich mich lieber nicht legen wollte. Aber man kann sie ja zur Not beiseite schieben.



                Es ist noch früh am Tage (wenn man bei endlosen Tagen überhaupt von früh oder spät sprechen kann), gerademal nachmittags um vier. Hier ist die Stimmung so schön. Wir beschließen in großer Einhelligkeit, am See zu bleiben. Stefan baut das Zelt auf, ich koche Kaffee am Feuer. Den trinken wir fein im Sonnenschein, bevor Stef in den Wald springt, um Vögel zu sichten. Ich aber bleibe am Feuer sitzen und fange lustvoll mit Schreiben an. Bei diesem grandiosen Ausblick finde ich schnell hinein.


                Den Stuhl, der ausschließlich Stefans Erholung dienen soll...



                ... darf ich heut mal als Dichterstuhl benutzen.

                Lange jedoch währt die Schreibphase nicht, denn die beiden Deutschen trudeln am Feuer ein und ähnlich wie gestern verbringen wir unsere Zeit mit Quatschen, Essen und Trinken (heute freilich nur Tee mit einem Schuss Rum drin). Irgendwann wird es Zeit für den „Mittagsschlaf“ und also verziehen wir uns ins Zelt. So richtig müde sind wir immer noch nicht, aber die Vernunft mahnt uns, die Nacht nicht zum Tage zu machen. Auch wenn draußen im Wald genau das passiert und das Licht gerade dazu besonders verführt.
                Zuletzt geändert von Sylvie; 24.07.2019, 18:21.

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                • Fjellfex
                  Fuchs
                  • 02.09.2016
                  • 1511
                  • Privat


                  #9
                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                  Das sind schöne Photos und ein ganz besonders geschriebener Bericht - vielen Dank!

                  Nebenbei ist es für mich eine nette Einstimmung auf meinen Urlaub in gut 1 Monat: da will ich mich nämlich (zumindest laut Plan A) auch ein wenig in Nordfinnland tummeln...

                  Freue mich auf die Fortsetzung!

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                  • Sylvie
                    Erfahren
                    • 20.08.2015
                    • 361
                    • Privat


                    #10
                    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                    Zitat von Fjellfex Beitrag anzeigen
                    Das sind schöne Photos und ein ganz besonders geschriebener Bericht - vielen Dank!

                    Nebenbei ist es für mich eine nette Einstimmung auf meinen Urlaub in gut 1 Monat: da will ich mich nämlich (zumindest laut Plan A) auch ein wenig in Nordfinnland tummeln...

                    Freue mich auf die Fortsetzung!
                    Danke Dir Fjellfex!
                    Na dann hoffe ich mal, dass Plan A ordentlich durchgezogen wird. Willst Du auch in den UKK?

                    An der Fortsetzung arbeite ich emsig. :-)
                    Bis denne
                    Sylvie

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                    • Pfiffie
                      Fuchs
                      • 10.10.2017
                      • 2024
                      • Privat


                      #11
                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                      Große Klasse...Finnland wäre ja vll auch mal was für mich. Was mir im Fjäll immer fehlt ist der Schutz des Waldes und ein Lagerfeuer. Allerdings gibt es dort auch nicht diese eindrucksvollen Berge, man kann wie immer nicht alles haben.

                      Was macht das Wandern dort so anstrengend? Sümpfe, Anstiege, gestrüp?

                      Grüße Maik
                      "Freiheit bedeutet, dass man nicht alles so machen muss wie andere"

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                      • Fjellfex
                        Fuchs
                        • 02.09.2016
                        • 1511
                        • Privat


                        #12
                        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                        Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen

                        An der Fortsetzung arbeite ich emsig. :-)
                        Brav!

                        Was mein genaues Ziel angeht: da will ich mich öffentlich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen; bin gebranntes Kind: letzten September war bei mir aufgrund der Gegebenheiten Plan E statt A angesagt.

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                        • Sylvie
                          Erfahren
                          • 20.08.2015
                          • 361
                          • Privat


                          #13
                          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                          Zitat von Pfiffie Beitrag anzeigen
                          Große Klasse...Finnland wäre ja vll auch mal was für mich. Was mir im Fjäll immer fehlt ist der Schutz des Waldes und ein Lagerfeuer. Allerdings gibt es dort auch nicht diese eindrucksvollen Berge, man kann wie immer nicht alles haben.

                          Was macht das Wandern dort so anstrengend? Sümpfe, Anstiege, gestrüp?

                          Grüße Maik
                          Hallo Maik,
                          so sieht's mal aus: Sümpfe, Anstiege und lästiger Untergrund. Zumindest wenn man fast die ganze Zeit offroad läuft, so wie wir dieses Jahr und sehr oft hoch auf die Fjälls klettert (ich werde noch davon berichten) - dann macht das mitunter ganz schön müde. Die Anstiege fand ich gar nicht mal so schlimm, aber Anstieg auf Geröll (oder noch schlimmer Abstieg) oder stundenlanges Waten durch knietiefes Heidekraut, unter dem sich Geröll versteckt und das alles mit 20 Kilo Gepäck auf dem Rücken - das fand ich auf Dauer recht kräftezehrend. Ich hatte eigentlich geglaubt für diese Tour recht fit zu sein... aber manchmal hatte ich Zweifel. Nu ja... das Wandeln in der Wildnis zeigt einem eben auch gern mal die eigenen Grenzen auf.

                          Aber man wird ja so reichlich belohnt. Mit Zentrierung und Kontemplation und vielen wunderschönen Ausblicken und Eindrücken. Ich möchte diese Tour nicht missen. So wie ich auch alle anderen Touren nicht missen wollte. Das geht Dir bestimmt genauso, oder?

                          LG Sylvie

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                          • Sylvie
                            Erfahren
                            • 20.08.2015
                            • 361
                            • Privat


                            #14
                            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                            Zitat von Fjellfex Beitrag anzeigen
                            Brav!

                            Was mein genaues Ziel angeht: da will ich mich öffentlich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen; bin gebranntes Kind: letzten September war bei mir aufgrund der Gegebenheiten Plan E statt A angesagt.
                            Oha....Du bist abergläubisch. Das kann ich gut verstehen. Oder Du willst hier im Forum keine Erwartungen wecken... auch ein Grund. Aber ich kenne ja mittlerweile Deine Ziele.

                            Meine gedrückten Daumen hast Du!

                            So und nun weiter hier im Reisebericht. Ich will auf keinen Fall so lahm schreiben, wie ich mitunter gelaufen bin. Noch sind die Finger frisch und das Gehirn im Turbomodus. Das muss genutzt werden, ehe die Alltagstretmühle wieder in Schwung kommt.

                            Sylvie

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                            • Sylvie
                              Erfahren
                              • 20.08.2015
                              • 361
                              • Privat


                              #15
                              AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                              Mittwoch, 10. Juli 2019: Hoch hinauf in die Tunturi

                              Diese Nacht schlafen wir hervorragend. Keine Schräglage lässt uns in wilde Meere stürzen, kein Buckel kratzt uns am Buckel. Wir hüpfen munter und gut gelaunt aus den Daunen. Unsere beiden Parkabschnittsgefährten sind auch schon wach. Auch sie haben gut geschlafen, nachdem sie meine Hütten-Mückenreinigungs-Methode beherzigt und erfolgreich angewandt haben. Jetzt sitzen sie glücklich am Tisch und frühstücken, während Stef und ich draußen am Feuer essen. Ein letzter Blick in die Hütte – wir wünschen uns Glück und Abenteuer – ein letzter Blick auf den See, dann laufen wir los.

                              Heute wollen wir hoch hinaus. Finnisch-Lieblich lassen wir hinter uns. Das Wetter ist kühler heute und etwas trübe, aber regnen tut es nicht. Wir sind’s zufrieden und traben zunächst gemütlich am Fluss entlang. Kurz hinter der Hütte soll es im Fluss laut Karte eine leicht zu furtende Stelle geben, die wollen wir gerne treffen. Wir finden die Watstelle nicht, aber wir suchen auch nicht wirklich euphorisch danach, denn wir haben erst mal andere Probleme. Dicht am Flussufer ist ein Sumpf. Es wird nasser und nasser. Irgendwann stoppen wir das Gehoppse von Insel zu Insel und packen schnell unsere Watstrümpfe aus. Wenn ich hier schreibe „schnell“, ist das nur so dahingesagt. Ich habe den Eindruck, beim Wandern geht überhaupt nichts wirklich schnell. Alles geschieht irgendwie langsam und sehr bedächtig hier oben. Keine Ahnung, woran das liegt. Entweder fahren wir unsere Hektik einfach herunter in die Tiefenentspannung oder wir haben nicht genügend Energie für schnelle Bewegungen oder wir sehen einfach ihren Sinn nicht ein, denn wir haben den ganzen Tag Zeit. Hierzumal noch viel mehr, denn der Tag ist doppelt so lang.

                              Jetzt aber im Moor, wo wir einbeinig wie die Störche in unsere Crocs balancieren, jetzt wäre ein bisschen Schnelligkeit durchaus angebracht, denn die Mücken lieben das Moor. Und ein Moor mit Menschen drinne ist ihnen ein Fest. Dummerweise reißt mir beim Anhosen der linke Watstrumpf ein. Gottseidank nur am Oberschenkel, ich könnte also ohne Gefahr durch die Sümpfe damit, aber Stef besteht auf Ordnung. Er repariert das gleich vor Ort, also an meinem Schenkel, mit Panzertape. Das dauert…. Tja, und immer wenn wir in Mückenmoornot sind, kommt plötzlich auch noch die Sonne hervor und ballert uns auf die Birne. Es wird schwül, die Mücken summen – ich finde das alles gar nicht fein. Ich frage Stef, ob er auch das Gefühl hat, dass die Sonne Menschen in Mooren liebt und deshalb besonders drückend nach unten scheint. Stef allerdings findet den langatmigen Austausch über dieses oder jegliches andere Thema jetzt grade unzeitgemäß. Er gibt mir zwar vorsichtshalber und auch vorbehaltlos erst mal Recht, drängt aber dann zur Eile. Jawohl! Das Mückengesumse macht uns meschugge. Also los jetzt, schnell hinein in den garstigen Mückensumpf.

                              Das Moor jedoch ist tückisch. Einmal passiert es mir tatsächlich, dass ich bis weit über’s Knie im Boden versinke. Wie Rumpelstilzchen. Nur mit Mühe und sehr viel Kraft und jeder Menge Panik gelingt es mir, mein Bein wieder rauszuziehen, ohne dass mir der Schuh vom Strumpf gelutscht wird. Ich verfluche das Moor. Und stakse schimpfend noch langsamer und noch viel vorsichtiger durch den gierigen Sumpf. Soviel zur hiesigen Schnelligkeit.

                              Nach vergeblicher aber wie schon gesagt, nicht besonders ambitionierter Suche nach der Furt, queren wir den Fluss einfach irgendwo. Die Watstrümpfe machen es möglich, denn das Wasser ist tief. Drüben indes noch keine Entwarnung: Das Moor geht hier weiter. Doch wir haben uns inzwischen an seine Boshaftigkeit gewöhnt und stapfen wacker voran. Irgendwann ist es vorbei und wir gönnen uns erst mal ne Schokipause im sicheren Heidekraut. Dann laufen wir lange und weglos bergauf durch den Wald, immer nach Süden, bis wir die Obstbaumwiesenzone erreichen.





                              Unterwegs finden wir auch das Ziel: Wir wollen nach Anterinmukka gehen. Eine wunderbare Hütte soll Anterinmukka sein, die Finnen schwärmten die letzten Jahre immer wieder davon. Also ist das unser Ziel und weil wir oben über die Fjälls uns kämpfen, erklimmen wir dafür zunächst den Peuranampumapää. Viel Arbeit liegt vor uns. Der Weg durch die Obstbaumwiesenzone, wie ich die Birkenhaine auf halber Fjällhöhe nenne, zieht sich endlos dahin. Am Ende kommen wir kaum noch voran, weil die Felsbrocken unter Moos und Heide immer größer werden und immer dichter gesät sind. Wir beschließen, den kleineren Berg, der vor dem Peuranampumapää liegt, nicht zu umrunden, sondern direkt über seine Kuppe zu ziehen. Von dort geht es noch steiler hinauf bis zum Gipfel des Peuranampumapää. Der Weg ist anstrengend, wir schwitzen mächtig. Trotzdem ziehen wir uns irgendwann Jacken und Handschuhe an, denn ein scharfer Nordwind zischt uns im Nacken. Die Landschaft speziell auf dem Gipfel ist sehr bizarr. Riesige Felsblöcke liegen hier rum. Als hätte ein Riesenkind alle seine Legobausteine verschüttet.



                              Stef ist hier oben ganz beglückt, denn überall piept und pfeift es. Es scheinen hier einige Vögel zu brüten. Besonders eindrücklich ist der einzelne langgezogene Pfeifton des Goldregenpfeifers, der pausenlos im Abstand von zehn Sekunden ertönt. Dann antwortet ein zweiter Vogel aus einer anderen Ecke. Piep? – Püüp!, Pause, Piep? – Püüp!, Pause. So geht das die ganze Zeit. Der Piep-Ton geht hinten nach oben, er klingt fragend. Beim Püüp-Ton hingegen tändelt die Tonlage nach unten. Das ist die Antwort. Irgendwann sehen wir den Pieper auch (den Püüper leider nicht, den hören wir nur). Er sitzt auf einem Stein und stößt diese immergleichen einzelnen Laute aus. Warum tut er das nur? Will er sein Revier markieren? Oder unterhalten die sich? Etwas gesprächsartiges hat es ja an sich, auch wenn es eher an die wortkargen Lautäußerungen von Ostfriesen erinnert. Moin?- Pause - Moin!-Pause. Vielleicht sind es auch Warnrufe, weil wir hier vorbeikommen. Dieses fortwährende, recht monotone Piepen hat fast schon was Technisches an sich. Man könnte meinen, man ist auf einer Intensivstation. Andererseits… inmitten dieses kargen Gesteins, bei ansonsten absoluter Stille… kurzzeitig komm ich mir vor wie auf dem Mond. Oder irgendwo, wo ich sehr sehr fremd bin. Es ist unwirklich, was ich hier grad erlebe.

                              Stefan hingegen kriegt sich vor Freude nicht wieder ein. Andauernd zückt er seine Vogel-App, vergleicht die Rufe, sieht sich die passenden Vögel an, schreibt sich das alles in seine Liste und zeigt mir das dann voller Stolz. Sein Fernglas hängt griffbereit um seinen Hals. Es ist wohl der meistgenutzte Gegenstand auf dieser Tour. Auch Birkhühner und Brachvögel tummeln sich hier in den Steinen. Die kommen sofort auf Stefans Liste.

                              Inzwischen sind wir oben angekommen. Aus den Legosteinen sind Duplosteine geworden oder gar gleich mächtige Felsbrocken. Sie sind aber moderat angeordnet, sodass wir sie gut umsteigen können und auch sonst bei mäßiger Steigung recht gut vorankommen.



                              Wir machen Pause irgendwann. In einer wind-armen Ecke sitzen wir friedlich und betrachten die kluftige Landschaft. Es gibt sogar Kaffee und einen Pickup. Was kann die Welt schön sein in dieser kargen Sternen-Einsamkeit.





                              Ein Goldregenpfeifer hat sich ganz in der Nähe niedergelassen und kommentiert all unser Tun und Streben mit kräftigen Piepern. Die Sonne wärmt uns gnädig und manchmal schießt eiskalt ein launischer Wind um die Ecke. Gleichzeitig warm und kalt auf der Haut – das ist ein bisschen wie die Geschmacksexplosion auf der Zunge, wenn man exotische Dinge isst, die gleichzeitig süß und salzig schmecken.

                              Dann gehen wir weiter, nach Süden und immer nach Süden. Wir marschieren wacker auf dem Sattel entlang, hinter uns Sonne und Wind, vor uns viele kleine Schmelzwassermulden, die der Winter zurückließ. Und der Goldregenpfeifer ruft.


                              Steinwüste bis zum Horizont

                              Plötzlich gibt es einen mächtigen Schlag in meiner Schulter, ein stechender Schmerz wie ein Dolchstoß – seltsamerweise in der rechten Schulter, und nicht in der linken, die ja vor dem Start meine Problemseite war. Uff. Der Rucksack drückt mir die Schultern platt, ich brauch dringend ne Pause. Ein bisschen trallern wir rum, Rucksack abwerfen, Armkreisen, Massieren, Schmerzpunkte drücken, aber nichts hilft wirklich. Hart wie der Fels ringsumher sind auch meine Muskeln im Rücken, es hilft nichts, ich brauch ne längere Pause. Wir setzen uns hin und betrachten die Felsen im Sonnenlicht.



                              Und dann stehen wir einfach nicht wieder auf. Also Stefan schon, der baut das Zelt auf. Wir bleiben hier, entscheidet er. Du wirst sehen, morgen bist Du wieder wie neu. Eine gute Entscheidung, ich bin ganz seiner Meinung.



                              Formidabel ist unser Platz zwischen den Steinen. Anterinmukka muss eben noch warten. Wir kochen noch schnell unser Abendmahl, dann kriechen wir eilig ins Zelt. Es ist sehr frisch hier oben und endlich sind wir mal richtig müde. Die Helligkeit kann uns jetzt nichts mehr vorgaukeln. Es ist Nacht und nachts wird geschlafen. Das tun wir dann auch ziemlich sofort. Und ewig piept uns der Goldregenpfeifer.


                              Eine Andeutung vom Tal

                              Heute noch schreiben? - frag ich mich halb schon im Traum. Zu müde, zu kalt, zu ungemütlich!


                              Der Puikkapää rechts und daneben die Hirvas-Berge. Dorthin geht unsere Reise morgen.


                              Einschlafen im Abendlicht
                              Zuletzt geändert von Sylvie; 23.07.2019, 22:23.

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                              • Fjellfex
                                Fuchs
                                • 02.09.2016
                                • 1511
                                • Privat


                                #16
                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                Oha....Du bist abergläubisch. Das kann ich gut verstehen. Oder Du willst hier im Forum keine Erwartungen wecken... auch ein Grund.
                                "Eifersüchtig sind des Schicksals Mächte/ Voreilig Jauchzen greift in ihre Rechte" (Schiller)

                                Was anderes: in puncto Finnland kenne ich mich sehr wenig aus. Bemerkenswert fand ich, daß die finnischen Wanderkarten fein säuberlich zwischen passierbaren und unpassierbaren Mooren unterscheiden. Und auch Geröllfelder sind akkurat vermerkt. Aufgrund Deiner Erfahrungen dort: wie verläßlich sind diese Angaben? Bei Eurer letzten Etappe las ich von garstigem Moor und Geröll...

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                                • Pfiffie
                                  Fuchs
                                  • 10.10.2017
                                  • 2024
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                  Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                  Aber man wird ja so reichlich belohnt. Mit Zentrierung und Kontemplation und vielen wunderschönen Ausblicken und Eindrücken. Ich möchte diese Tour nicht missen. So wie ich auch alle anderen Touren nicht missen wollte. Das geht Dir bestimmt genauso, oder?

                                  LG Sylvie
                                  Ja so ist es , zum Teil kann man manche Touren garnich miteinander vergleichen, muss ja auch nicht, hauptsache es ist schön gewesen

                                  Danke dir
                                  "Freiheit bedeutet, dass man nicht alles so machen muss wie andere"

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                                  • Zz
                                    Fuchs
                                    • 14.01.2010
                                    • 1648
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                    Zitat: „Auch sie haben gut geschlafen, nachdem sie meine Hütten-Mückenreinigungs-Methode beherzigt und erfolgreich angewandt haben. „

                                    Hallo Sylvie,
                                    Ihr wart sehr wahrscheinlich noch nie im Winter da und habt vor einem leeren Holzschober gestanden bei minus 25 Grad Celsius oder noch tieferen Temperaturen.
                                    Da verfluchst Du lautstark alle, die im Sommer sinnlos Holz verfeuern und heizen.
                                    Das Feuerholz kommt halt nicht umsonst und alleine dorthin.
                                    Vielleicht kauft Ihr Euch einfach mal ein Mückennetz?
                                    Denkt mal drüber nach,
                                    Z

                                    PS.: Hallo Fjellfex,
                                    die finnischen Karten sind im allgemeinen recht genau. Schwierig wird es mit der Orientierung im Wald im flachen Gelände, aber dafür gibt es ja mittlerweile GPS Geräte zur Unterstützung.
                                    "The Best Laks, Is Relax."
                                    Atli K. (Lakselv)

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                                    • Sylvie
                                      Erfahren
                                      • 20.08.2015
                                      • 361
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                      Zitat von Zz Beitrag anzeigen
                                      Zitat: „Auch sie haben gut geschlafen, nachdem sie meine Hütten-Mückenreinigungs-Methode beherzigt und erfolgreich angewandt haben. „

                                      Hallo Sylvie,
                                      Ihr wart sehr wahrscheinlich noch nie im Winter da und habt vor einem leeren Holzschober gestanden bei minus 25 Grad Celsius oder noch tieferen Temperaturen.
                                      Da verfluchst Du lautstark alle, die im Sommer sinnlos Holz verfeuern und heizen.
                                      Das Feuerholz kommt halt nicht umsonst und alleine dorthin.
                                      Vielleicht kauft Ihr Euch einfach mal ein Mückennetz?
                                      Denkt mal drüber nach,
                                      Z

                                      PS.: Hallo Fjellfex,
                                      die finnischen Karten sind im allgemeinen recht genau. Schwierig wird es mit der Orientierung im Wald im flachen Gelände, aber dafür gibt es ja mittlerweile GPS Geräte zur Unterstützung.
                                      Hallo Zz,
                                      echt? Du kommst im Winter in eine so abgelegene Hütte? Interessant.

                                      Wir haben die ganze Zeit im Zelt geschlafen, ein Mückennetz hatten wir auch dabei, haben es diesen Sommer aber nie benutzt. Ich denke nicht, dass die drei Scheite, die unsere beiden Parkabschnittsgefährten an diesem Abend in der Hütte verfeuert hatten (auch, um sich zu wärmen), die Holzvorräte aufgebraucht haben.

                                      Ich habe da schon ganz andere Kaliber erlebt, unter den Finnen selbst.

                                      Aber schön, dass Du vorbeigeschaut hast.

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                                      • Sylvie
                                        Erfahren
                                        • 20.08.2015
                                        • 361
                                        • Privat


                                        #20
                                        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                        Zitat von Fjellfex Beitrag anzeigen
                                        "Eifersüchtig sind des Schicksals Mächte/ Voreilig Jauchzen greift in ihre Rechte" (Schiller)

                                        Was anderes: in puncto Finnland kenne ich mich sehr wenig aus. Bemerkenswert fand ich, daß die finnischen Wanderkarten fein säuberlich zwischen passierbaren und unpassierbaren Mooren unterscheiden. Und auch Geröllfelder sind akkurat vermerkt. Aufgrund Deiner Erfahrungen dort: wie verläßlich sind diese Angaben? Bei Eurer letzten Etappe las ich von garstigem Moor und Geröll...
                                        Hallo Fjellfex,
                                        die Moore sind eingezeichnet, aber manchmal kommt man halt schwer drumrum. Die richtig moorigen Gegenden ganz im Süden des Parks haben wir bisher immer gemieden. Die Geröllfelder sind ebenso sehr gut auf der Karte zu erkennen. Hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie unterschiedlich schwer zu nehmen sind. Bei manchen kommt man ganz gut durch, bei anderen weniger. Muss man halt immer vorher abwägen, wo man langwill und wie viel Umweg man in Kauf nehmen will. So richtig unpassierbare Stellen habe ich im Geröll noch nicht erlebt, was aber nichts heißen will.

                                        LG Sylvie

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                                        • Fjellfex
                                          Fuchs
                                          • 02.09.2016
                                          • 1511
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                          Danke für die Infos.

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                                          • Aurorahunter
                                            Anfänger im Forum
                                            • 18.11.2016
                                            • 18
                                            • Privat


                                            #22
                                            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                            Groooooossssssartiger 2. Teil der Story! ) Ich bin sowas von live drin in Gedanken! Diese Moorbeschreibung...man o man, da haben Jarno und ich auch schon Geschichten erlebt sag ich dir...

                                            Bin gespannt wies weitergeht!

                                            Übrigends, hab ich Dir schon gesagt dass ich den gleichen Stuhl wie Stef habe? Geniales Teil!

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                                            • danobaja
                                              Alter Hase
                                              • 27.02.2016
                                              • 3287
                                              • Privat


                                              #23
                                              AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                              hi sylvie!

                                              was isn das für urlaub? sonne satt, stuhl zum sitzen, kein axtmann, das einzige drama ein loch im schuh und ein schräg stehendes zelt. hat euch das überhaupt spass gemacht?

                                              aber ich hab volles vertrauen in dich. das schlechte wetter wird schon noch kommen...

                                              ich freu mich auf den rest! !

                                              lass hageln, sylvie!
                                              danobaja
                                              __________________
                                              resist much, obey little!

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                                              • TARunner
                                                Gerne im Forum
                                                • 17.02.2016
                                                • 66
                                                • Privat


                                                #24
                                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                Super!

                                                Ein toller Bericht, ich warte auf die Fortsetzungen...
                                                Am 1.9. geht es bei mir los in den UKK und der Bericht lässt mich jetzt schon in Urlaubslaune und -lust schwelgen.

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                                                • Zz
                                                  Fuchs
                                                  • 14.01.2010
                                                  • 1648
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                  Hallo Sylvie,
                                                  es halt so, wenn Du den Schnee im leeren Holzschuppen umgräbst, dann freust Du Dich über jeden einzelnen Holzscheit, erst recht über drei auf einmal.
                                                  Kannst glauben.
                                                  Ich weiß wie Finnen Feuer machen.
                                                  Es geht ja nicht darum was andere machen, sondern um das eigene Handeln. Darum schrieb ich ja, denkt mal darüber nach.
                                                  Habt Ihr ja auch gemacht und Euch für diese Tour ein Mückennetz beorgt.
                                                  So und nun gerne weiter mit Eurer Reise und Deinem Bericht darüber.
                                                  Gruß Z
                                                  "The Best Laks, Is Relax."
                                                  Atli K. (Lakselv)

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                                                    Alter Hase
                                                    • 28.08.2017
                                                    • 3014
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    OT: AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                    OT:
                                                    Zitat von Zz Beitrag anzeigen
                                                    Hallo Sylvie,
                                                    es halt so, wenn Du den Schnee im leeren Holzschuppen umgräbst, dann freust Du Dich über jeden einzelnen Holzscheit, erst recht über drei auf einmal.
                                                    Kannst glauben.
                                                    Ich weiß wie Finnen Feuer machen.
                                                    Es geht ja nicht darum was andere machen, sondern um das eigene Handeln. Darum schrieb ich ja, denkt mal darüber nach.
                                                    Habt Ihr ja auch gemacht und Euch für diese Tour ein Mückennetz beorgt.
                                                    So und nun gerne weiter mit Eurer Reise und Deinem Bericht darüber.
                                                    Gruß Z
                                                    ...falls jemand noch nicht wusste, was *mansplaining* ist. Denkt mal drüber nach. SCNR.

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                                                      Erfahren
                                                      • 20.08.2015
                                                      • 361
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                      Zitat von Aurorahunter Beitrag anzeigen
                                                      Groooooossssssartiger 2. Teil der Story! ) Ich bin sowas von live drin in Gedanken! Diese Moorbeschreibung...man o man, da haben Jarno und ich auch schon Geschichten erlebt sag ich dir...

                                                      Bin gespannt wies weitergeht!

                                                      Übrigends, hab ich Dir schon gesagt dass ich den gleichen Stuhl wie Stef habe? Geniales Teil!
                                                      Orrr, Deine Begeisterung steckt mich gleich an! Du bist herrlich. Und echt? Du hast auch diesen Stuhl? Das ist verrückt, weil Du bist nicht der Erste, den wir von diesen Stühlen überzeugt haben.

                                                      Wir nutzen die sogar in der Stadt, immer, wenn wir im Sommer in irgendein Freiluft-Theater oder -Konzert gehen, dann nehmen wir sie mit. Die Leute gucken meist erst mal blöde, aber es ist soooo viel bequemer als irgendwelche harten Holzbänke. Dazu ein nettes Getränk, schon fühlt man sich wie im Urlaub.

                                                      Bis gleich, ich mach weiter!
                                                      Sylvie

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                                                        Erfahren
                                                        • 20.08.2015
                                                        • 361
                                                        • Privat


                                                        #28
                                                        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                        Zitat von danobaja Beitrag anzeigen
                                                        hi sylvie!

                                                        was isn das für urlaub? sonne satt, stuhl zum sitzen, kein axtmann, das einzige drama ein loch im schuh und ein schräg stehendes zelt. hat euch das überhaupt spass gemacht?

                                                        aber ich hab volles vertrauen in dich. das schlechte wetter wird schon noch kommen...

                                                        ich freu mich auf den rest! !

                                                        lass hageln, sylvie!
                                                        Ahhhhhhhhhhh Dan! Hier kommen wieder die Erdbeeren mit Schlagsahne. Auf Deine Kommentare habe ich schon gewartet. Reichen Dir meine verdammten Schulterschmerzen etwa gar nicht aus? Soll ich noch bisschen übertreiben? So richtig Drama-Queen spielen? Ich werde mal schauen, ob ich so ein paar Dan-Passagen in den Text einbauen kann. Die werde ich dann mit einem großen "D" markieren. Extra für Dich!!!!

                                                        Schneesturm und Feuerwind!!!!
                                                        Sylvie

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                                                        • Sylvie
                                                          Erfahren
                                                          • 20.08.2015
                                                          • 361
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                          Zitat von Zz Beitrag anzeigen
                                                          Es geht ja nicht darum was andere machen, sondern um das eigene Handeln. Darum schrieb ich ja, denkt mal darüber nach.
                                                          Habt Ihr ja auch gemacht und Euch für diese Tour ein Mückennetz beorgt.
                                                          So und nun gerne weiter mit Eurer Reise und Deinem Bericht darüber.
                                                          Gruß Z
                                                          Aber genau das tust Du doch jetzt, lieber Z: Dich darüber beschweren, was andere machen.

                                                          Prinzipiell kann ich Dir nicht mal Unrecht geben, aber dieses "Denkt mal drüber nach" löst in mir eine starke Abwehrhaltung aus. Ich halte solche Sätze für oberflächliche Social-Media-Phrasen, die gar nicht zum Ziel haben, eine Diskussion anzustoßen, weil sie beschuldigend sind. Also ich empfinde sie zumindest so, als vorwurfsvoll und abwertend. Ich finde immer, man sollte so schnell nicht urteilen. Und verurteilen.

                                                          Denn vielleicht haben wir ja drüber nachgedacht? Und in der Tat fand bei uns gerade auch in diesem Sommer ein Umdenken statt, das aber noch einmal in eine ganz andere Richtung geht. Ich werde darüber berichten.

                                                          Gleichzeitig möchte ich gerne die Frage in den Raum stellen: Bist Du der Meinung, dass das Holz an den Hütten und Feuerstellen nur für die Winterwanderer bestimmt ist?

                                                          Es gibt auch sehr kühle Sommer hier oben, wir hatten letztes Jahr im Juni um die Null Grad und Schnee... und keine Skihosen eingepackt... ohoh.... Einmal trafen wir auf unserer Tour einen sehr kranken Mann, dem ich noch meine Antibiotika schenkte. Er war froh über die warme Hütte. Und für Insekten-Allergiker, wie mich, ist der Schutz vor den Mücken - zumindest draußen am Feuer - eine Wohltat, wenn nicht gar lebensrettend im krassesten Fall.

                                                          So, und nun weiter im Text.
                                                          Viele Grüße
                                                          Sylvie

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                                                          • Sylvie
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                                                            • 20.08.2015
                                                            • 361
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                                                            #30
                                                            AW: OT: AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                            Zitat von Ljungdalen Beitrag anzeigen
                                                            OT:

                                                            ...falls jemand noch nicht wusste, was *mansplaining* ist. Denkt mal drüber nach. SCNR.
                                                            Hallo Ljungdalen,
                                                            ... ich musste erst mal Tante Google fragen, was SCNR bedeutet... .

                                                            Wir sollten es aber jetzt gut sein lassen, sonst kommen hier wieder Klagen wegen "Thema verfehlt."

                                                            Bis denne
                                                            Sylvie

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                                                            • Sylvie
                                                              Erfahren
                                                              • 20.08.2015
                                                              • 361
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                                                              #31
                                                              AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                              Zitat von TARunner Beitrag anzeigen
                                                              Super!

                                                              Ein toller Bericht, ich warte auf die Fortsetzungen...
                                                              Am 1.9. geht es bei mir los in den UKK und der Bericht lässt mich jetzt schon in Urlaubslaune und -lust schwelgen.
                                                              Vielen Dank TARunner! :-)
                                                              Ich hoffe dann sehr, es gibt auch von Dir einen Bericht. Damit dann wiederum ich in Fernsucht schwelgen kann.

                                                              LG Sylvie

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                                                                Erfahren
                                                                • 20.08.2015
                                                                • 361
                                                                • Privat


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                                                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                Donnerstag, 11. Juli 2019: Hinab ins Anterin-Tal

                                                                Der Morgen begrüßt uns neblig und klamm. Ratlos und klamm fühl ich mich auch. Am liebsten würde ich ja erst mal gar nichts machen, aber wenn es schon sein muss, dann wenigstens etwas, wo ich den Schlafsack nicht verlassen muss. Ah, hier ist ein Kamm in greifbarer Nähe - na, das ist doch schon mal ein brauchbarer Anfang. Das Haarekämmen eignet sich nämlich hervorragend, um mir drei brennende Fragen zu beantworten, die ich mir eigentlich jeden Morgen stelle: Wo bin ich? Wer bin ich? Und warum bin ich? Und tut meine Schulter noch weh? Nein? Wie wunderbar!



                                                                Doch auch diese fabelhafte Neuigkeit reißt mich nicht aus den Daunen. Abwesend und morgenmüde bin ich heute. Ich bleibe noch immer im Zelt einfach sitzen und suche nach weiteren sinnvollen Tätigkeiten, die ich im Schlafsack verrichten könnte. Dann reißt mich Stef aus der Schlafsackfalle, um mir den heutigen Frühstücksplatz zu präsentieren. Ein wahrhaft königlicher Platz ist das. Windgeschützt, sonnenbeschienen und mit Blick auf die kleinen Schmelzwasserseen. Das alles versöhnt mich etwas mit meinem Schicksal.



                                                                Wir frühstücken herrlich im Sonnenschein und der Kaffee macht mich nun vollends wach. Nach dem Essen verzieht sich mein Mann. Ich hab keine Ahnung, wohin er gegangen ist, vielleicht Vögel angucken oder im Zelt irgendwas rumwerkeln, aber ich nutze die Gunst der Stunde und klaue mir flugs seinen Stuhl. So! Ein Weilchen mach ich's mir noch auf diesem Thron in der Sonne bequem.


                                                                Stef erwischt mich dabei und knipst das heimlich...

                                                                Doch irgendwann heißt es Packen und danach tun wir das, was wir am liebsten machen auf dieser Tour: Auf die Karte gucken und über den Weg philosophieren. Guck mal, wir könnten auch hier rüber gehen, das Joch da umrunden und dann hier hochklettern – ja, das ist auch nicht schlecht, aber hier herum sparen wir uns diesen Anstieg – nee da ist es bestimmt zu geröllig… Wir haben an diesen Flügen im Geiste so viel Freude, dass wir sie täglich neu zelebrieren. Das weglose Laufen auf den Fjälls ist ja relativ neu für uns. Ich selbst habe anfangs Mühe, mich in diesem Gewirr von Hügeln und Tälern überhaupt zurechtzufinden und sie adäquat auf die Karte runterzubrechen.

                                                                Meist endet unser Pläneschmieden in einem großen: Hm… ach, lass uns doch erst mal losgehen. Und so machen wir es. Wir laufen zum ersten besprochenen Wegpunkt, dann schauen wir erneut. Diese Freiheit, uns entscheiden zu können (oder zumindest das Gefühl zu haben, wir könnten es), schmeckt süß. Wir fallen fast immer in eine Art euphorischen Aufbruchstaumel, der uns hochmotiviert loslaufen lässt. Meist weist uns der Weg dann ja selbst in unsere Grenzen und unser Aktionsrahmen wird von ganz alleine eingeschränkt – von Geröll oder schlechtem Wetter oder anderen Unwägbarkeiten, aber am Anfang, am Anfang einer jeden offroad-Strecke scheint alles noch möglich und das sorgt – zumindest bei mir – für große Entdeckerlust und Aufbruchstimmung.

                                                                Auch heute laufen wir fröhlich ins Blaue. Die Sonne scheint und der Wind weht frisch. Wir sind entschlossen und guten Mutes.


                                                                Auf geht's in Richtung Hirvaspäät

                                                                Wie vorher besprochen umrunden wir zunächst das tiefe Joch vor dem vorderen Hirvaspää und suchen dann unterhalb des Gipfels nach einem gangbaren Weg zwischen den beiden Hirvasbergen hindurch.



                                                                Hier wollen wir aus dem Gebirgszug in südlicher Richtung aus- und auf tiefere Höhen absteigen. Der gangbare Weg ist wohl Wunschdenken. Es wird zunehmend gerölliger hier. Das hatten wir zwar vorher schon auf der Karte gesehen, aber die beiden Hirvas-Brüder sahen von Weitem so lieblich und harmlos aus, dass wir es einfach versuchen wollten. Anfangs gibt es nur wenige Geröllzungen, die sich träge den Berg hinunter blecken. Später verdichten sie sich mehr und mehr bis kein Gras mehr zwischen ihnen wächst. Völlig unpassierbar sind die Geröllfelder nicht, aber es kostet Kraft, sie zu durchqueren.


                                                                Durch das Geröll. Während ich diesen Kampf lieber weiter oben ausfechte...



                                                                ... geht Stefan lieber mehr unten lang.

                                                                Wir kämpfen uns mutig durch die Steine. Geröll hochlaufen ist ätzend, Geröll herunterlaufen die Hölle und Geröllzungen queren liegt irgendwo dazwischen. Sehr bald schon machen wir die erste Pause.


                                                                Grandiose Aussicht am Hirvaspää. Leider sieht man auf den Fotos nicht, wie steil das hier eigentlich nach unten geht.



                                                                Wir gucken wieder fleißig in die Karte

                                                                Nach der Passage des Hirvas-Jochs, auf der anderen Seite des Fjälls leider keine Entspannung. Auch hier ist der Berg über weite Flächen mit Geröll bedeckt. Aber die Aussicht ins Tal ist wunderbar.



                                                                Wir setzen uns hin und beraten; wir sind ziemlich kaputt. Stef will sofort bis ganz nach unten ins Tal und dort den viel längeren Weg am Fluss entlang nehmen. Ich aber will die mühsam erkämpften Höhenmeter nicht sofort wieder aufgeben. Es ist mir so schön hier oben. Ich mag einfach diese Übersicht. Und kann es total gut leiden, wenn ich zumindest in etwa weiß, wo ich mich grade befinde. Aber dennoch: hier oben durchs Geröllfeld zu asten, würde uns sehr viel Kraft und Zeit kosten. Wir beschließen erst mal, bis in die Birkenhainzone hinabzusteigen und auf dieser Höhe mehrere Bäche zu kreuzen, die vom Fjäll ins Tal herabdonnern. Dann wollen wir neu entscheiden.

                                                                Der erste Bachlauf wird heiß erwartet, denn unser Wasservorrat wird knapp. Ich bin immer sehr durstig dort oben in den Fjälls. Ein bisschen kommt es mir vor, als zöge der eisige Wind mir stets fordernd das Wasser aus dem Leib. Unten am Bach wird erst mal getrunken und im lieblichen Schatten von Krüppelbirken anschließend festlich pausiert. Es gibt Salami und unsere Knäckebrote: für mich zweie und für Stefan drei. Kalorintechnisch ist das die fetteste Mahlzeit am Tag, aber trotzdem hab ich ständig das Gefühl, dass sie einfach im Magen verpufft. Ich könnte jetzt gerne noch mal so viel essen. Stefan geht es ähnlich. Ich glaube, wir hätten für wegloses Fjäll einfach bisschen mehr Brennstoff einplanen sollen. Freilich könnten wir jetzt unserem Heißhunger nachgeben und sinnlos drauflos fressen, noch ist das möglich, der Rucksack ist voll mit Essen, aber wir sind ja vernünftig. Ganz erwachsen, planend, vorausschauend und furchtbar einsichtig phantasieren wir nur von üppigen Fressgelagen. Stattdessen die allersüßeste Gönnung: ein feiner Kaffee und einen Pickup dazu.



                                                                Hach… ist das hier schön! Ich liebe ja dieses Zigeunerleben. Wir strecken uns aus ins Heidekraut und sehen den Wolken beim Treiben zu. Die Sonne scheint und der Wind tobt sich wild weiter oben aus. Hier unten ist er recht brav. Nur manchmal braust er heran, so als kleiner Zephyr, und küsst uns neckend den Schweiß von der Stirn.

                                                                Das Leben könnte so schön sein, wenn wir nicht irgendwann weiter müssten. In Anterinmukka gibt es eine Sauna. Die sehnen wir sehnlichst herbei. Ohne Laufen keine Sauna, also packen wir alles zusammen. Dann diskutieren wir erst mal die weiteren Weg-Optionen. Es stehen zur Auswahl: Fjällweg über den Rovapää oder Talweg unten am Fluss entlang. Wir werfen die Fakten vor uns ins Gras. Tal: weite Strecke, aber richtige Wege. Fjäll: steiler Anstieg, viel Wind, Bodenbeschaffenheit unklar, aber schön. Schlussendlich wählen wir die dümmste aller Möglichkeiten: den Kompromiss dazwischen. Quer durch die Obstbaumwiesenzone auf halber Höhe. Vermutlich der kürzeste Weg, aber vielleicht auch der anstrengendste.

                                                                Fortsetzung folgt
                                                                Zuletzt geändert von Sylvie; 26.07.2019, 11:06.

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                                                                  Alter Hase
                                                                  • 27.02.2016
                                                                  • 3287
                                                                  • Privat


                                                                  #33
                                                                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                  hi sylvie,

                                                                  naja, ich bin besseres von dir gewohnt wie nur schulterschmerzen! in anderen reiseberichten kann ICH den schmerz fühlen. hier komm ich mir vor wie "ach, macht doch nix, die sonne scheint ja immer noch..."

                                                                  "... Ich will hier jetzt gar nicht zu sehr ins Detail gehen, weh tut noch nix, aber ...." also echt. billiger cliffhanger.

                                                                  lass mal die dramaqueen raus! das ist doch das salz in der suppe. anfänge sind ja schon gemacht, sitzt scheints doch in den genen:
                                                                  "...Die amfortische Wunde würde sich niemals schließen. .."
                                                                  "... Dolchstoss ..."
                                                                  herrlich. so kanns weitergehen! julius c. kommt immer gut an bei mir (war zwangslateiner mit konstant 5-6, das hat mich natürlich zum masochisten gemacht!).

                                                                  aber auch parzival klingt vielversprechend: „Ich habe schmerzlich darauf gewartet, ob ich wohl je noch einmal durch Euch wieder fröhlich würde. ..." also da ist noch hoffnung in mir.


                                                                  aber was ich am meisten liebe das sind solche aussagen:
                                                                  "...Ah, hier ist ein Kamm in greifbarer Nähe ..."

                                                                  denk ich , hey super, die gehen bergsteigen!

                                                                  nur um dann festzustellen dass es um kosmetik geht???

                                                                  "...Finnisch-Lieblich lassen wir hinter uns. Das Wetter ist kühler heute und etwas trübe, aber regnen tut es nicht. ..."

                                                                  "....Trotzdem ziehen wir uns irgendwann Jacken und Handschuhe an, denn ein scharfer Nordwind zischt uns im Nacken. ..."

                                                                  ich harre der dinge die noch kommen, so langsam entwickelt sich das ja.

                                                                  also her mit dem schneesturm, für den feuerwind brauchst du ja nur bissl mit offenen haaren durch die gegend zu rennen.

                                                                  ich leih mir deinen stuhl. danke!
                                                                  danobaja
                                                                  __________________
                                                                  resist much, obey little!

                                                                  Kommentar


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                                                                    Erfahren
                                                                    • 20.08.2015
                                                                    • 361
                                                                    • Privat


                                                                    #34
                                                                    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                    Zitat von danobaja Beitrag anzeigen
                                                                    hi sylvie,

                                                                    naja, ich bin besseres von dir gewohnt wie nur schulterschmerzen! in anderen reiseberichten kann ICH den schmerz fühlen. hier komm ich mir vor wie "ach, macht doch nix, die sonne scheint ja immer noch..."
                                                                    MEINOOOOR,
                                                                    hier gilt das Gleiche wie im letzten Jahr, da wolltest Du unbedingt Sonne, die kam aber nicht, jetzt willst Du unbedingt Schnee, den gab's aber nicht. Ich halte mich an die Fakten, die Fotos würden mich sonst ja auch Lügen strafen. Das Leben ist keine Honigtorte. Dummerweise hatten wir dieses Jahr sogar Handschuhe mit - eine Dramaquelle weniger, sorry dafür.

                                                                    Und ein KAMM, mein Lieber, ist äußerst wichtig, wenn man so viel Wolle offm Kopp hat, wie ich. Generell wird alles auf den Touren wichtig, was man mitschleppt und benutzt. Man hat ja auch sonst nix zu tun: Essen, Laufen, Schlafen - Essen, Laufen, Schlafen...

                                                                    Dieses Jahr gings nicht so gut mit dem Schreiben, ich hatte immer keine Zeit dafür, das wird noch ein langer Punkt am Ende meines Berichts. Tut mir wirklich Leid, wenn Du meinen Schmerz nicht fühlen kannst... , aber vielleicht bist Du auch bisschen abgestumpft???

                                                                    Bis bald
                                                                    Sylvie

                                                                    Kommentar


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                                                                      Alter Hase
                                                                      • 27.02.2016
                                                                      • 3287
                                                                      • Privat


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                                                                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                      ich lass dich jetzt erstmal in ruhe machen. wenns nicht genug weh tut hau ich mir einfach selber eine rein....

                                                                      und letztes jahr, da wollte ich sonne für euch, nicht für mich! grummel grummel! aber diesmal haben wir ja den kamm. ist mir als nahezu haarloser (am kopf) völlig unverständlich wieso das nicht am kamm links und rechts gefährlich runter geht.

                                                                      "...Essen, Laufen, Schlafen - Essen, Laufen, Schlafen..." fehlt da nicht noch ...Kämmen...?


                                                                      nene, du machst das schon richtig. das ergebnis war immer sehr überzeugend bis jetzt. ich bin sicher dieser bericht wirds auch!
                                                                      danobaja
                                                                      __________________
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                                                                      Kommentar


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                                                                        Erfahren
                                                                        • 20.08.2015
                                                                        • 361
                                                                        • Privat


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                                                                        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                        Zitat von danobaja Beitrag anzeigen
                                                                        nene, du machst das schon richtig. das ergebnis war immer sehr überzeugend bis jetzt. ich bin sicher dieser bericht wirds auch!
                                                                        Oh Mann! Du setzt mich ganz schön unter Druck! Wie soll ich jetzt noch ordentlich schreiben können? Geschweige denn schlafen? Essen? Kämmen? Drama nach der Tour... nur weil das Wetter nicht stimmte und ich nicht genug gelitten habe... Herre, das hatten wir auch noch nicht.

                                                                        Hach... was wäre ich ohne Dich? Ich sach nur: Erdbeeren mit Schlagsahne.

                                                                        :-*

                                                                        Sylvie

                                                                        Kommentar


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                                                                          Erfahren
                                                                          • 20.08.2015
                                                                          • 361
                                                                          • Privat


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                                                                          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                          Immer noch Donnerstag, 11. Juli: Nach Anterinmukka

                                                                          Das Laufen durch die Obstbaumwiesen ist anfangs noch leicht. Da trällern wir lieblich auf Moos zwischen Krüppelbirken. Nur hier und da mal ein Stein. Später: immer öfter mal ein Stein. Am Ende: die pure Geröllhalde versteckt unterm Kraut. Wir kämpfen uns schwitzend hindurch.

                                                                          Dann gibt es wieder einen Schlag in meinem Rücken und meine Schulter steigt aus. Herrgottnochmal, was ist denn das nur? Bin ich Siegfried? Fiel mir ein Lindenblatt auf die Schulter? Nicht die Knie und nicht die Füße sind meine Achillesferse auf dieser Tour, sondern der Rücken. Immer der gleiche Schmerzpunkt, es tut höllisch weh. Wir setzen mal wieder die Rucksäcke ab. Stef massiert meine Schulter, ich schlucke ne Schmerztablette und spiel mit den Armen Helikopter, um die Verspannung ein bisschen zu lösen. Ich ahne es da bereits schon und es wird sich bestätigen: immer, wenn ich müde und erschöpft bin, wird mir mein Körper das anzeigen. Über genau diesen Schmerz.

                                                                          Auf meine innere Einkaufsliste schreib ich mir: neuer Rucksack? Ein zweites Paar Wrightsocks kommt gleich noch dazu. Diese sogar mit Ausrufezeichen, denn meine Füße fühlen sich blasig an. Ein Blick hinter die Kulissen bestätigt das auch. Drei Blasen gibt es heute gratis dazu. Yeah und Yeahrer! Hätte ich bloß die doppellagigen Socken angelassen. Die anderen, einfachen Wandersocken, die ich mir heut Morgen überzog, sind vielleicht doch bisschen alt? Zumindest sind sie nicht ansatzweise so saugfähig wie die Wrightsocks. Das und das ständige Hanghuhn-Gelatsche fordern den dreifachen Blasentribut. Ich klebe die Blasen mit Zinkpflaster ab, dann raff ich mich auf, ich will weiter. Ich will heute noch in die Sauna.

                                                                          Bald steigen wir tiefer hinab und die Gegend wird wieder waldiger.



                                                                          Eine tiefe Schlucht noch müssen wir links (von uns) liegen lassen, dann sollte hier irgendwo der Weg anfangen, der uns im Tal zwischen Rovapää und Mukkavaara direkt bis zur Hütte führt. Der Pfad beginnt viel früher, als auf der Karte verzeichnet. Wir freuen uns. Endlich hat das Gekraxel ein Ende. Schnell wie der Wind, naja nee… schnell wie zwei müde Wanderer mit schwerem Gepäck trudeln wir eilig dem Tal entgegen. Einmal noch müssen wir furten, den Anterinjoki, dann sind wir da. Wir lassen die Crocs nach der Furt gleich an und marschieren gummibeschuht in Anterinmukka ein. Die Hütte klebt launisch auf einer Insel am Fuß eines Hügels. Als wir ankommen, staunen wir. Das hier ist die Luxusausführung von allen Hütten, die wir bisher besuchten.


                                                                          Anterinmukka

                                                                          Sehr geräumig geschnitten, mit breiten Bänken vor der Tür und einem Extra-Küchenraum. Nächtliche Wanderer oder Frühaufsteher können im Zwielicht ihren Haferbrei kochen, ohne die anderen aufzuwecken.

                                                                          Drei Leute bewohnen die Hütte zurzeit, ein Pärchen, sehr scheu, aber freundlich und ein finnischer Recke mit Pferdeschwanz. Wir bereden nur kurz das Woher und Wohin, dann suchen wir uns einen Platz zum Zelten. Direkt nach dem Aufbau stiefeln wir eilig hinunter zum Fluss ins Saunahäuschen. Auch dieses ist luxuriös gestaltet, mit vielen kleinen Details, die sich Finnen wahrscheinlich in dunklen Polarnächten ausdenken.


                                                                          Finnische Sauna direkt am Fluss. Das Leben ist manchmal perfekt.

                                                                          So gibt es im Fluss flache Steine, die Dir treppenartig den Weg ins halstiefe Wasser weisen. Ein Tauchbecken! Wie wunderbar. Wir befeuern die Sauna ordentlich. Und dann hört und sieht man lange Zeit nichts mehr von uns. Außer vielleicht das schmerzvolle Prusten, als wir uns todesmutig in die Fluten des Anterin stürzen.

                                                                          Erst gegen elf essen wir. Fein im Sonnenschein draußen auf der Terrasse. Dann geht es recht zielstrebig ab ins Zelt, denn plötzlich ist es sehr zugig hier. Wir kriechen klappernd in unsere Schlafsäcke. Ich weiß man auch nicht. Auf dieser Tour habe ich ständig Hunger oder ich friere. Vermutlich hängt das zusammen. Ich schreibe noch schnell 3 ½ Seiten, dann fallen mir einfach die Augen zu. Ich bin mit dem Schreiben sehr im Rückstand, was mich ein bisschen besorgt. Die wirklich schönen Ideen, die einem unterwegs so ins Hirn springen, halten sich nicht drei Tage. Sie entfleuchen dann wieder in luftige Leichtigkeit, so als wären sie nie gedacht worden.
                                                                          Zuletzt geändert von Sylvie; 26.07.2019, 13:09.

                                                                          Kommentar


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                                                                            Dauerbesucher
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                                                                            • 777
                                                                            • Privat


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                                                                            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                            Wie immer bin ich Eurer erneuten Wanderung im UKK gefolgt.

                                                                            Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                            Das hier ist die Luxusausführung von allen Hütten, die wir bisher besuchten.
                                                                            Die Hütte wurde auch nicht vom Staat gebaut, sonder von der Wandergruppe des Kesko Handelsunternehmens. Darum ist sie bei Finnen auch unter dem Namen Keskon kämppä bekannt. Der heute offizielle Name ist jedoch Anterinmukka. Die Hütte wurde 1984 an Metsähallitus übergeben.
                                                                            Da Ihr Euch in der Sauna so wohl gefühlt habt, nehme ich an, dass Ihr auch den geforderten Obolus bezahlt habt.

                                                                            Kommentar


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                                                                              Erfahren
                                                                              • 20.08.2015
                                                                              • 361
                                                                              • Privat


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                                                                              Zitat von Inarijoen Peter Beitrag anzeigen
                                                                              Wie immer bin ich Eurer erneuten Wanderung im UKK gefolgt.



                                                                              Die Hütte wurde auch nicht vom Staat gebaut, sonder von der Wandergruppe des Kesko Handelsunternehmens. Darum ist sie bei Finnen auch unter dem Namen Keskon kämppä bekannt. Der heute offizielle Name ist jedoch Anterinmukka. Die Hütte wurde 1984 an Metsähallitus übergeben.
                                                                              Da Ihr Euch in der Sauna so wohl gefühlt habt, nehme ich an, dass Ihr auch den geforderten Obolus bezahlt habt.
                                                                              Danke Dir Peter für diese Informationen. Deine Frage nach dem Obolus finde ich etwas befremdlich/inquisitorisch. Aber ja, haben wir, wenn auch nicht an diesem Tag.

                                                                              Gruß
                                                                              Sylvia

                                                                              Kommentar


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                                                                                Dauerbesucher
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                                                                                • 777
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                                                                                Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                Deine Frage nach dem Obolus finde ich etwas befremdlich/inquisitorisch. Aber ja, haben wir, wenn auch nicht an diesem Tag.
                                                                                Ich muss mich hier bei Dir und Deinem Mann öffentlich entschuldigen, dass ich mir erlaubt habe auf die doch recht neue Bezahlung für die Sauna einzugehen.
                                                                                Ich weiß, Aussagen welche eventuell sogar als Kritik aufgefasst werden könnten, sind bei Dir nicht gern gesehen. Dies musste ja auch Zz erfahren, als er über den Holzverbrauch schrieb.
                                                                                Nun ich werde mich in Zukunft zurückhalten und hoffe in meinem Alter von 75 und fast 50 Jahren Erfahrung in Lappland eines natürlichen Todes zu sterben und nicht an "Political Correctness" zu ersticken.

                                                                                Kommentar


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                                                                                  Erfahren
                                                                                  • 20.08.2015
                                                                                  • 361
                                                                                  • Privat


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                                                                                  Freitag 12. Juli 2019: Über die sieben Berge...

                                                                                  Wir schlafen lange und fest. Die Sonne scheint auch am Morgen noch fleißig und das gibt uns Hoffnung, auch wenn der Wind hier ganz schön launig über die Anhöhe pustet. Aber im Windschatten der Feuerstelle gibt es erst mal ein nettes Frühstück. Dann packen wir ein und laufen los.

                                                                                  Wohin gehen wir heute? Wir könnten zu der Hütte mit dem unaussprechlichen Namen wandern: Muorravaarakanruoktu. Der Weg dorthin am Anterin entlang soll schön sein. Aber wir haben keine Lust auf Muorravaaraka, wir kennen die Hütte schon von vor drei Jahren. Und ich persönlich habe auch von den Fjälls noch immer nicht genug. Ich will nicht am Fluss entlang laufen, ich will hoch hinaus in die Freiheit der Berge und mir den dreisten Wind um die Nase pusten lassen. Also peilen wir zunächst eine wilde Feuerstelle an, die Stef letztes Jahr auf seiner Solotour entdeckt und für höchst romantisch befunden hatte.

                                                                                  So machen wir es! Kurz vor dem Start diskutieren wir mit dem Pferdeschwanz-Helden noch einmal (wie gestern Abend bereits) die Sauna-Fee. Hier im Tal haben wir sowieso kein Netz, da ist an Bezahlung nicht zu denken. Ihr müsst Euch bei Telia anmelden, rät uns der Finne, oder hoffen, dass Euer Telefon Telia als Netzanbieter aussucht. Irgendwo, wo Ihr Netz habt, dann müsste es eigentlich klappen. Also gut, dann versuchen wir das. (Um es hier gleich vorweg zu greifen, das Thema scheint ja im Forum von Interesse zu sein: wir schaffen es nie von unterwegs und erledigen das dann in Kiilopää. Eine Kasse des Vertrauens wäre hier vielleicht angebrachter?). Also los jetzt, es ruft uns der Weg. Wir laufen zunächst den Wanderweg Richtung Muorravaaraka, der sich liebreich und sonnig am Fluss entlang schlängelt.



                                                                                  Nach drei Kilometern verlassen wir die finnische Lieblichkeit und steigen hinauf in die finnische Rauheit. Über die Obstbaumwiesen geht es stetig bergan, bis wir irgendwann auf dem nackten Heidekraut laufen.


                                                                                  Aufstieg ins Blaue



                                                                                  Warten ohne den Rucksack abzusetzen. Die hohe Kunst. :-)



                                                                                  Mit freundlichen Grüßen: Euer Winter. P.S. Ich komme wieder.

                                                                                  Oben angekommen, müssen wir uns erst mal setzen. Auch wegen der atemberaubenden Aussicht, mit der wir hier wieder begrüßt werden. Der Wind bläst wie immer kräftig und eisig. Wir ziehen uns Handschuhe und eine zweite Jacke an. Dann sitzen und staunen wir.


                                                                                  Bzw. liegen und staunen.

                                                                                  Unser Abstiegspunkt aus dieser Bergkette, liegt faktisch genau gegenüber, seitlich des Anteripää an einem Joch zum nächsten Hügel. Wir könnten mittig den Talkessel durchqueren und auf der anderen Seite wieder nach oben laufen – aber ich habe keine Lust darauf. Das sind mir zu viele Höhenmeter, ich will lieber hier oben bleiben. Mein Vorschlag daher an Stef: Wir laufen wie Schneewittchen auf den sieben Bergen einmal um den Talkessel herum, bis wir auf der anderen Seite den Anteripää erreichen. Dort steigen wir wieder hinab ins Tal. Du hast wohl von Kraft geträumt, meint Stefan zu mir. Ja, hab ich! Jetzt lass es uns wenigstens erst mal versuchen, auf diesen putzigen Gipfeln rumzuturnen.

                                                                                  Also los! Wir wagen die Umrundung. Auch wenn wir die Gipfel nicht direkt überschreiten, sondern meist höhenmetersparend etwas unter-gipfelig umwandern.



                                                                                  Der Wind pustet immer noch ziemlich extrem, als hätte er sich’s zum Spiel gemacht, uns kleine Kraftmeier von seinen Wipfeln herunterzufegen. Das macht die Schneewittchen-Tour schon wesentlich anstrengender als anfangs erträumt. Auch die putzigen Gipfel erweisen sich bei genauerer Betrachtung als weit weniger putzig. Ich habe diese irre Weite stark unterschätzt. Ein Hügel grenzt nicht unbedingt nahtlos an den anderen, wie man aus großer Distanz vermutet. Die oftmals recht tiefen Einkerbungen zwischen den Bergen kennen wir ja schon, aber dann gibt es noch diverse Bodenwellen, die man von Weitem als solche gar nicht erkennt. In der Nähe entpuppen die sich als kleinere Extra-Einzel-Hügel, die man entweder umlaufen oder übersteigen muss. Und Schneewittchen läuft über die 107 Berge…

                                                                                  Aber zumindest Geröll gibt‘s es hier Gottseidank erst mal nicht, sodass wir trotz aller Unwägbarkeiten, recht gut vorankommen. Immer Schritt für Schritt kämpfen wir uns voran, bis zu jenem Sattel, und dann weiter bis zu diesem Zwischenhügel, und dann immer noch weiter bis zu jenem großen Felsblock da.


                                                                                  Stef ist schon fast auf dem Sattel.

                                                                                  Manche Strecken schätze ich auf 20 Minuten Wegzeit ein, aber wir brauchen ne Stunde dafür. Das also ist das Fjäll. Es ist gigantisch. Die Aussicht ist grandios. In seiner rau-wilden Windigkeit ruft das alles in mir eine Art trotzigen Kampfesmut hervor: Du nicht, gräulicher Nordwind, Du pustest mich nicht vom Berge hinab! Am spannendsten aber ist immer jener Moment, wo ich endlich den Gipfel oder den Sattel erreiche und voller Freude ins Nachbartal blicken kann. Schon als Kind wollte ich immer wissen, was hinter den Bergen liegt, jetzt kann ich das endlich mehrfach erfahren. Was für ein tolles Gefühl.



                                                                                  Wir kämpfen uns wacker voran und erreichen alsbald den letzten Sattel vor dem Anteripää. Der Blick zurück lässt mich schaudern. Da drüben sind wir losgelaufen. Sieht aus, als könnte man diesen Weg eben mal locker in 30 Minuten zurücklegen.



                                                                                  Kein bisschen lassen die sanften Wellenhügel von hier aus betrachtet erahnen, wie hart sie erkämpft und erklommen wurden. Wir sind ziemlich erschöpft, wir brauchen dringend ne Pause. Der Wind pfeift mit Schwung über den Sattel. Im näheren Umkreis entdecken wir nichts, das uns irgendwie schützen könnte. Keine Kuhle, in die wir uns kauern können, kein größerer Stein, hinter dem man dem Sturm entkommt.


                                                                                  Das Steinmännchen ist leider zu klein.

                                                                                  Also türmen wir kurzerhand unsere Rucksäcke zu einer winzigen Mauer auf und legen uns einfach dahinter.



                                                                                  Zur Stärkung gibt es Beef Jerky und Walnüsse. Dann aber müssen wir weiterziehn, denn der Durst treibt uns ins Tal.


                                                                                  Stef guckt ausnahmsweise mal nicht nach Vögeln, sondern nach dem Weg.

                                                                                  Eine Weile laufen wir auf dem Sattel entlang, dann wird uns das zu geröllig und wir steigen kurzzeitig hinab in etwas tiefere Lagen, wo weniger Steine sind.


                                                                                  Oben lang wird uns bald zu mühselig.

                                                                                  Hier umturnen wir flugs den Gipfel des Anteripää, steigen dann wieder höher hinauf bis zum nächsten Sattel, wo wir den Abstieg beginnen. Wenn wir hier relativ grade herunterlaufen, dürften wir so ziemlich genau auf eine Feuerstelle am Ufer des Muorravaraakanjoki treffen. Der Blick ins Muorravaarakatal ist großartig. An der Bergkette gegenüber erkennt man das Teufelsjoch.



                                                                                  Das haben wir vor drei Jahren von Sarvioja kommend durchquert.


                                                                                  Von etwas weiter unten erkennt man es besser.

                                                                                  Der Abstieg ist mindestens ebenso anstrengend wie der Aufstieg. Es geht relativ steil hinab, Hagens Dolchstoß terrorisiert mich schon wieder im Schulterblatt. Der erste ernstzunehmende Wasserlauf ist deshalb unser. Wir pausieren länger hier, essen Schokolade und trinken uns satt. Erst dann gibt es Kaffee und unsere Knäckebrote, die wir fortan die Verpuffungsmahlzeit nennen.

                                                                                  So! Der richtige Abstieg kann jetzt beginnen. Nach der längeren Pause kommen wir gut voran. Bald schon erreichen wir wieder den finnischen Märchenwald. Nach der rauen Wildheit von eben, bin ich schon wieder total beeindruckt von der hiesigen Lieblichkeit. Nichts hartes liegt hier in der Luft. Alles ist weich und fließend, üppig und grün. Chlorophyll-Explosion im Tal. Wer sich hier ein Haus baut, baut sich nirgendwo anders mehr eins.


                                                                                  Chlorophyll-Explosion im hohen Norden

                                                                                  Wir finden die Feuerstelle (Akanhärkäkuru) sofort, nutzen sie aber nur, um unsere Wanderschuhe gegen die Crocs auszutauschen. Dann queren wir flugs den Muorravaarakajoki. Drüben am anderen Ufer lassen wir unsere Füße einfach in der Sonne trocknen.


                                                                                  Zerschredderte Füße, aber wenigstens ordentlich angemalt.

                                                                                  Etwas feucht-sumpfig geht es gleich darauf weiter, aber es ist Gottseidank nicht so schlimm, dass wir unsere Watstrümpfe brauchen. Wir suchen den Weg zu Stefans romantischer Feuerstelle und finden ihn schnell. Sie liegt etwas höher in der Obstbaumwiesenzone am Ufer des… vermutlich ist das noch immer der Muorravaarakjoki, so genau kann man das auf der Karte nicht erkennen. Es ist langsam Abend geworden. Im Schatten der umliegenden Berge kraxeln wir friedlich wieder nach oben, immer dem großen Sokosti entgegen. Die Feuerstelle ist verwaist. Die Holzbänke um den kreisrunden Herd zersplittern bereits und modern fleißig. Holz gibt es keins. Ein bisschen enttäuscht bin ich schon, aber weiterlaufen ist jetzt nicht mehr. Stef weist nur stumm auf die Gegend ringsrum. Ja, bis auf die lottrige Feuerstelle ist der Platz ausnehmend zauberhaft. Etwas weiter oben finden wir eine zweite, kleinere Feuerstelle mit ein paar toten Ästen daneben. Wir betrachten das als Einladung. Also ist es beschlossen, hier bleiben wir. Stef baut das Zelt auf, ich fange an, das Essen zu kochen. Wir entfachen ein winziges, aber dennoch sehr tröstliches Mückenschutz-Feuerlein und essen froh unser Wandererfood.



                                                                                  Dann beraten wir den morgigen Tag. Bisher haben wir uns von Neugier und netten Gelüsten treiben lassen. Jetzt wird es Zeit, der Reise ein bisschen Struktur zu geben. Denn langsam müssen wir zusehen, rechtzeitig wieder nach draußen zu kommen. Der Pausentag im Park wird vermutlich unseren launischen Fjäll-Eskapaden zum Opfer fallen. Wir müssen jeden Tag laufen, um wenigstens noch einen freien Tag in Kiilopää zu haben, den wir mit Chillen, Essen und Klamottenwaschen verbringen wollen. Und da wir zunächst erneut wieder über die Berge müssen, werden wir auch morgen kaum Strecke schinden. Also: erst mal Luirojärvi. Wir wollten den zwar umgehen, doch als erste Station soll er uns dienen. Und je nach Verfassung dann eben als Zwischenstation. Wir packen zusammen und verschwinden ins Zelt. Schreiben? Ist heut nicht mehr.
                                                                                  Zuletzt geändert von Sylvie; 30.07.2019, 20:07.

                                                                                  Kommentar


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                                                                                    Erfahren
                                                                                    • 01.02.2014
                                                                                    • 303
                                                                                    • Privat


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                                                                                    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                    Liebe Sylvie,
                                                                                    mal wieder: vielen, vielen Dank für deinen wunderschönen Bericht! Du schreibst einfach toll. Bitte mehr!
                                                                                    Das mit dem Moor ging mir gerade gestern durch den Kopf. Ich war die letzten ein paar Tage Moltebeeren sammeln. Dabei nahm ich ungewollt ein Bad in einem Sumpfloch. Ich habe es gerade noch geschafft, aus eigener Kraft rauszukommen. Und alles - schlicht aus eigener Blödheit 😂
                                                                                    Liebe Grüße
                                                                                    Maahinen

                                                                                    Kommentar


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                                                                                      Erfahren
                                                                                      • 27.01.2017
                                                                                      • 148
                                                                                      • Privat


                                                                                      #43
                                                                                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                      Scheint ja alles in allem eine gemütliche Wanderung gewesen zu sein
                                                                                      Und der Bericht ist toll und unterhaltsam geschrieben

                                                                                      Auf der Webseite "dein-finnland.de" steht geschrieben: "Der Urho-Kekkonen-Nationalpark ist ideal für Trekking Anfänger die sich schrittweise an längere Trekkingtouren heranwagen möchten. Mit der sehr guten Infrastruktur in der Basiszone können Anfänger sich mit der Gegend und dem Gelände vertraut machen, bevor sie sich in die Wildniszone mit ihren hohen Fjells, Flussüberquerungen, gemütlichen Hütten und Saunas aufmachen [...].

                                                                                      Kommentar


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                                                                                        Erfahren
                                                                                        • 20.08.2015
                                                                                        • 361
                                                                                        • Privat


                                                                                        #44
                                                                                        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                        Zitat von maahinen Beitrag anzeigen
                                                                                        Liebe Sylvie,
                                                                                        mal wieder: vielen, vielen Dank für deinen wunderschönen Bericht! Du schreibst einfach toll. Bitte mehr!
                                                                                        Das mit dem Moor ging mir gerade gestern durch den Kopf. Ich war die letzten ein paar Tage Moltebeeren sammeln. Dabei nahm ich ungewollt ein Bad in einem Sumpfloch. Ich habe es gerade noch geschafft, aus eigener Kraft rauszukommen. Und alles - schlicht aus eigener Blödheit 
                                                                                        Liebe Grüße
                                                                                        Maahinen
                                                                                        Hallo Maahinen,
                                                                                        wie schön, dass Du wieder "mitwanderst", da macht es gleich nochmal so viel Spaß, weiterzuschreiben. Ja, Sümpfe sind der Hass. Ich habe dieses Jahr mal wieder gelernt: langsam laufen! Umsichtig. Bedächtig. Es nützt nichts und ist meist kontraproduktiv, wenn man da so schnell wie möglich durch will. Meist landet man im Loch. Wie tief hast Du drinne gesteckt?

                                                                                        Liebe Grüße
                                                                                        Sylvie

                                                                                        Kommentar


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                                                                                          Erfahren
                                                                                          • 20.08.2015
                                                                                          • 361
                                                                                          • Privat


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                                                                                          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                          Zitat von Munzelchen Beitrag anzeigen
                                                                                          Scheint ja alles in allem eine gemütliche Wanderung gewesen zu sein
                                                                                          Und der Bericht ist toll und unterhaltsam geschrieben

                                                                                          Auf der Webseite "dein-finnland.de" steht geschrieben: "Der Urho-Kekkonen-Nationalpark ist ideal für Trekking Anfänger die sich schrittweise an längere Trekkingtouren heranwagen möchten. Mit der sehr guten Infrastruktur in der Basiszone können Anfänger sich mit der Gegend und dem Gelände vertraut machen, bevor sie sich in die Wildniszone mit ihren hohen Fjells, Flussüberquerungen, gemütlichen Hütten und Saunas aufmachen [...].
                                                                                          Hallo Munzelchen,
                                                                                          oja, absolut gemütlich. Und gar nicht anstrengend.

                                                                                          Das mit der Basiszone für Anfänger stimmt. Wir sind aber gleich auf unserer ersten Tour raus aus der Komfort Zone und rein in die Wilderness Zone. Trotzdem würde ich mich nicht unbedingt als erfahren bezeichnen. Wir machen das erst fünf Jahre und ich halte mich sehr wohl noch für einen Frischling auf diesem Gebiet. Macht aber nix... in jedem Anfang liegt ein Zauber inne.

                                                                                          Bis denne
                                                                                          Sylvie

                                                                                          Kommentar


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                                                                                            Erfahren
                                                                                            • 01.02.2014
                                                                                            • 303
                                                                                            • Privat


                                                                                            #46
                                                                                            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                            Hei Sylvie,
                                                                                            Danke für die Nachfrage
                                                                                            Man könnte daraus eine dramatische Erzählung ausbauen, aber dein erzählerisches Talent besitze ich leider nicht.
                                                                                            Also, ganz schlicht... es war schon recht schwer, alleine rauszukommen, mit einem Bein war ich bis zum Oberschenkel in dem Modder, einen meiner schönen Nokiastiefel habe ich fast verloren. Ich musste mich auf einer Seite werfen, damit ich nicht mehr tiefer versinke, danach waren meine Hose und auch das Hemd nass. Bei fast 30 grad allerdings schön erfrischend.
                                                                                            Mein Fehler war eigentlich, dass ich an einer heiklen Stelle stehenblieb...

                                                                                            Liebe Grüße
                                                                                            Maahinen

                                                                                            Kommentar


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                                                                                              Erfahren
                                                                                              • 20.08.2015
                                                                                              • 361
                                                                                              • Privat


                                                                                              #47
                                                                                              AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                              Zitat von maahinen Beitrag anzeigen
                                                                                              Hei Sylvie,
                                                                                              Danke für die Nachfrage
                                                                                              Man könnte daraus eine dramatische Erzählung ausbauen, aber dein erzählerisches Talent besitze ich leider nicht.
                                                                                              Also, ganz schlicht... es war schon recht schwer, alleine rauszukommen, mit einem Bein war ich bis zum Oberschenkel in dem Modder, einen meiner schönen Nokiastiefel habe ich fast verloren. Ich musste mich auf einer Seite werfen, damit ich nicht mehr tiefer versinke, danach waren meine Hose und auch das Hemd nass. Bei fast 30 grad allerdings schön erfrischend.
                                                                                              Mein Fehler war eigentlich, dass ich an einer heiklen Stelle stehenblieb...

                                                                                              Liebe Grüße
                                                                                              Maahinen
                                                                                              Ohoho Maahinen,
                                                                                              das klingt aber schon sehr dramatisch, wie Du es hier beschreibst. Ich weiß genau, was Du meinst, ich hatte als ich so mit einem Bein im Loch steckte, genau die gleiche Idee, mich auf die Seite zu rollen, damit ich ne Hebelwirkung am Bein habe. Ich weiß bloß nicht, ob ich das mit dem Rucksack hingekriegt hätte. Vor meinem inneren Auge sah ich mich schon dort am Loche liegen und mit dem Arme im Schlamm suchen, um meinen Schuh wieder rauszufischen. Aber mit Hilfe der Wanderstöcke konnte ich mich dann nach oben stemmen, und dabei den Fuß ganz dolle zusammenkrampfen, damit der Schuh haften bleibt... oder so... Was lernen wir? Zu schnell darf man nicht gehen und stehenbleiben darf man auch nicht. Warum aber bliebst Du stehen? Gab es dort besonders viele Beeren? Pilze? Bären? Mücken? Klingelte etwa Dein Telefon? Fragen über Fragen türmen sich vor mir auf.

                                                                                              Ganz liebe Grüße
                                                                                              Sylvie

                                                                                              Kommentar


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                                                                                                Erfahren
                                                                                                • 20.08.2015
                                                                                                • 361
                                                                                                • Privat


                                                                                                #48
                                                                                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                Samstag 13. Juli 2019: Durchs Nebelgebirge

                                                                                                Das Wetter durchkreuzt unsere Pläne. Am nächsten Morgen regnet es. Ich wache auf und habe sofort dieses wundersame Lied von Element of Crime im Kopf. Ins Dunkel rausgeschickt verfusselt sich die Zeit…. Die Melancholie, die es ausstrahlt, passt perfekt zum kaltfeuchten Trübsinn, der sich heute in meinem wirren Haar und ebenso wirren Verstand verfängt.

                                                                                                Es regnet und wieder nichts getan, nur wieder wie im Wahn ein Luftschloss aufgebaut
                                                                                                Es regnet und wieder eine Nacht am Fenster zugebracht und Träume durchgekaut

                                                                                                Es regnet, begossen wird die Welt. Wer jetzt nicht schläft, verfällt der feuchten Träumerei
                                                                                                Es regnet – in Müdigkeit verstrickt, ins Dunkel rausgeschickt, verfusselt sich die Zeit

                                                                                                Und im Garten blüht die Illusion, das kenn' ich schon. Mal seh'n, ob sich das Warten lohnt
                                                                                                Immer wieder geht ein Regen nieder und am Himmel hängt ein halber Mond.


                                                                                                Stefan meint freilich, ich ließe mich zu sehr von schlechtem Wetter beeindrucken. Stimmt auch wieder. Also hopp hopp, raus aus den Federn und erst mal Frühstück gemacht. Wir kochen im Vorzelt Kaffee und Haferbrei und essen das alles fein unterm heimelnden Baldachin des schützenden Zeltes.


                                                                                                Haferflocken mit getrockneten Beeren und weiterem Schnickschnack. Unsere tägliche Gönnung.

                                                                                                Der Regen verzieht sich nach ein paar Stunden und wir packen alles zusammen. Stefan zeigt mir auf der Karte, wo er heute gedenkt entlangzulaufen, am Vesipää hinauf in die Fjälls. Oben entscheiden wir, wie es weitergeht. Ich widerspreche nicht, heute gibt es kein großes Palaver, bei schlechtem Wetter erkenne ich anstandslos an, dass er der Chef du Tour ist, was zählt, ist der kürzeste Weg.

                                                                                                Kurz vor dem Aufbruch borg ich mir Stefans Stuhl. Sorry, sag ich zu ihm, aber ich brauche bevor wir aufbrechen, noch einen kleinen Moment der Kontemplation. Du bist also auch der Meinung, dass dieser Stuhl für Deine innere Sammlung unerlässlich ist?, fragt Stefan mich hinterlistig. (Die Stuhlfrage wird nicht nur hier im Forum heiß diskutiert, auch familienintern bietet sie immer wieder Anlass für philosophische Betrachtungen.) Na nee, sag ich, ich kann mich überall kontemplieren, ich setz mich sonst einfach auf den Boden, nur geht das jetzt nicht, denn der Boden ist nass. Womit wir wieder bei meiner Frage wären, konstatiert der Filou lakonisch. Ok. Wir einigen uns auf die Aussage: Unter feuchten Bedingungen ist der Stuhl unerlässlich für Sylvies Zentrierung und Wohlbefinden. Dann packen wir auch dieses letzte Refugium fein in den Rucksack und setzen uns in Bewegung.

                                                                                                Gleich zu Beginn balancieren wir in unsre Watstrümpfe, denn wir müssen über den Fluss, der tief und reißend hier ist. Der Anstieg danach ist anspruchsvoll. Wir laufen ihn sehr bedächtig. Nicht dass wir hier jemals wirklich schnell laufen würden oder überhaupt irgendetwas in lästiger Hast verrichteten – aber dieser Anstieg ist dennoch bedächtiger als alle anderen Strecken zuvor. Zum Einen, weil die Landschaft hier sehr bizarr ist und wir einige Zeit mit Staunen verbringen. Zum Anderen aber auch, weil der Weg über große Granitblöcke, teilweise rutschig, weil nass, unsere ganze Aufmerksamkeit und Kraft erfordert.





                                                                                                Der Wind bläst eisig, der Himmel ist verhangen. Weltuntergangsstimmung am Ende der Welt. Wir marschieren südöstlich am Sokosti vorbei, nur sehen wir nicht sehr viel von ihm, sein Kopf steckt verschämt in einem Nebelhäubchen. Wie auch alle anderen Berge ringsrum.



                                                                                                Während wir uns mühsam nach oben schleichen, staune ich einmal mehr, wie man unterwegs zu Entscheidungen kommt. Es gibt hier keinen Weg, der unser Streben einschränkt, aber auch nicht erleichtert. Und so steht man manchmal suchend vor einem Hindernis und entdeckt mit der Zeit mehrere gangbare Möglichkeiten. Erst eine, dann zwei, dann vielleicht sogar drei oder vier. Eine nur kann man nehmen; jede bietet Vor- und auch Nachteile. Schließlich reduziert man die Möglichkeiten wieder auf zwei – links oder rechts. Dann gibt es einen spürbaren inneren Ruck und man stiefelt los – alle Nachteile dieser Entscheidung in Kauf nehmend und alle potentiellen Vorteile der möglichen anderen Entscheidungen ausblendend. Das Ganze passiert ständig, meist unterbewusst und wie nebenbei. Nur manchmal, in kniffligen Lagen, durchbricht es die Schranke zum Bewusstsein und gibt uns zumindest das Gefühl, etwas willentlich entschieden zu haben. Und so werkeln wir uns mühsam im Zickzack voran und diesen schwierigen Berg hinauf.

                                                                                                Irgendwo mitten im Fjäll, nachdem wir die erste Kuppe bereits hinter uns haben, pausieren wir kurz. Wir suchen ne Weile erfolglos nach einer windstillen Ecke und nehmen dann die erste beste, winzige Kuhle, die zumindest Placebo-artigen Schutz verspricht. Außerdem gibt’s hier einen einzigen blanken Stein, der noch trocken ist. Auf den setze ich mich für die Pause, Stefan nimmt selbstverständlich den Stuhl. Wir essen Beef Jerky und Aprikosen, leckere Kombi aus Eiweiß und Zucker. Dann geht es zügig weiter, bis wir den Sattel zwischen Vesipää und Kärppäpää erreichen.



                                                                                                Wir sehen uns kurz um und laufen dann wortlos drüber hinweg in tiefere Lagen. Wir könnten noch eine Weile hier oben langtingeln, in Richtung Sokosti, aber es ist uns einfach zu ungemütlich. Der Nebel nimmt uns die Sicht und kriecht uns in jede Pore. Und in meine Schuhe, wie es scheint. Die sind mittlerweile ziemlich nass. Bei jedem Schritt quackert es gurgelnd aus ihnen hervor. Ich hoffe mal still für mich, dass das keine neuen Blasen mehr gibt.

                                                                                                Die Hanghuhn-Schräglage für die nächsten zwei Stunden lässt diese Hoffnung schrumpfen, aber noch halten sie sich wacker, meine Füße. Hier hinterm Berg ist es etwas milder. Der Nebel treibt sich oben auf den Gipfeln rum. Und wir treiben uns an, um ins Tal zu kommen. Nach den Obstbaumwiesen und einem wahrhaft märchenhaften Taigawald erreichen wir die angepeilte Feuerstelle am Kärppäjärvi. Hier pausieren wir kurz. Zeit für unsere Verpuffungsmahlzeit. Dann brechen wir hastig auf – und diesmal meine ich wirklich hastig. Bis zum Luirojärvi sind es noch sieben Kilometer. Jetzt aber hurtig, es gibt einen Weg. Wege sind in dieser Gegend wie Autobahnen. Selbst wenn sie stolprig und steinig sind – allein der Fakt, dass man die Steine, auf die man tritt, wenigstens sieht, macht, dass man forscher ausschreitet. Ich jedenfalls tue das jetzt mit Inbrunst. Nach all diesen Trippelschrittchen der mühsamen Fjällkletterei will ich endlich mal große Schritte machen. Und ich will ankommen und meine Schuhe trocknen. Ich schalte hoch in den Turbogang. Das erste Mal auf dieser Tour laufe ich wirklich schnell. Stef schiebt es freilich auf die Jagdwurst, die ich grade gegessen habe.

                                                                                                Am Luirojärvi gibt’s einen Trockenraum. Bisher hat es immer geregnet, wenn wir zum Luiro kamen, egal wann, egal aus welcher Richtung. Wir haben den Trockenraum immer gebraucht und waren froh, dass er da war. Es ist als könnte der Trockenraum das finnische Wetter bezirzen. Komm, launische Wetter-Diva, lass es regnen und schneien, die Leute sind dann himmlisch dankbar für mich. Der Trockenraum muss sich doch lohnend bewähren. Unterwegs schicke ich fünfzehn Gebete zum Himmel, dass vielleicht die alte Hütte nicht besetzt ist - das wäre so wunderbar, denke ich - wir laufen inzwischen an einem großen Geröllfeld entlang - ich habe so gar keine Lust, das Zelt aufzubauen - viel lieber will ich ins Warme - jetzt geht der Weg wieder etwas nach oben in lichte Birkenhaine, wir sehen den See von hier aus – oh Mann, der ist immer noch ganz schön weit weg - hopp, schon sind wir wieder im Wald - es ist Sommer - die Finnen gehen im Sommer nie in den Park – da ist es ihnen zu mückig – zack, die Gegend wird sumpfig - sie bevorzugen lieber den Herbstdie letzten Male war es immer so gewesen – husch, sind wir wieder im Wald, und wir wissen: der See ist nah – andererseits am Luirojärvi ist es immer voll, egal wann man dort auf leere Hütten hofft – dieses Glück hatten wir nur beim ersten Mal – Anfängerglück sozusagen…. - doing, plötzlich stehen wir vor der Hütte. Mein Gedankenstrom stoppt kurz für zwei Sekunden. Vor der Tür kein Hinweis auf eine Besiedlung. Vielleicht haben wir ja doch bisschen Glück nach diesem regennassen Tag? Aber der Blick in die Hütte pfeift uns zurück. Zwei Teenagermädchen sitzen hier schnatternd zwischen mannshohen Wäschebergen. Sie begrüßen uns freundlich und lachen dazu. Ok, dieses Chaos stören wir trotzdem nicht. Wir ziehen gleich weiter zur neuen Hütte.

                                                                                                Auch hier ein ähnliches Bild: Etwa zehn Schlafplätze sind schon besetzt. Ich zögere kurz: ich könnte mich mit dazu legen. Die Versuchung lockt, aber dann entscheide ich mich dagegen. Es ist ziemlich spät. Die meisten Bewohner liegen schon in den Daunen, die will ich jetzt nicht mit Geklapper wecken. Wir stecken Schuhe und Socken zu den 20 anderen Schuhen und Socken in die Trockenkammer und bauen im Wald unser Zelt auf. Dann kochen wir was an der Feuerstelle. Eine rot bezopfte Finnin kommt grad aus der Sauna. Die ist noch schön warm, erklärt sie uns freundlich, geht doch hinein, wenn Ihr mögt. Aber selbst dazu sind wir zu müde. Wir wollen nur noch ins Bett. Jetzt freilich, so kurz vor Mitternacht, reißt lächelnd noch einmal der Himmel auf.



                                                                                                Und Mitternacht wird zur Mittsommernacht. Die Sonne grüßt aus Nordwesten hinter den Bergen hervor. Der See strahlt jetzt gülden und die Bäume ringsum in Pfirsichsfarben.


                                                                                                Das typische Luirojärvi-Motiv. Zu jeder Tages- und Jahreszeit äußerst malerisch.



                                                                                                Nachtlicht am Ufer

                                                                                                So wunderschön ist das! Was für eine feine Belohnung für Nebelfelsen und nasse Schuhe.



                                                                                                Wir werfen noch zwei bis drei Blicke auf diese entrückende Unfassbarkeit, dann aber fallen wir ziemlich erschöpft ins Zelt. Heute noch schreiben? Fehlanzeige!
                                                                                                Zuletzt geändert von Sylvie; 03.08.2019, 02:30.

                                                                                                Kommentar


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                                                                                                  Erfahren
                                                                                                  • 13.04.2019
                                                                                                  • 441
                                                                                                  • Privat


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                                                                                                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                  Wunderbarer, sehr lebendiger und amüsanter Reisebericht, vielen Dank!

                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                    Alter Hase
                                                                                                    • 27.02.2016
                                                                                                    • 3287
                                                                                                    • Privat


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                                                                                                    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                    ahh welch poesie! regen, nebel, watstrümpfe.

                                                                                                    ich hab grad entdeckt dass man dich rückwärts lesen muss um auch die wirklich dramatischen effekte deines eloquenten schreibstiles zu entdecken. beispiel gefällig?


                                                                                                    Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                    ...
                                                                                                    Ich hoffe mal still für mich, dass das keine neuen Blasen mehr gibt. Bei jedem Schritt quackert es gurgelnd aus ihnen hervor.




                                                                                                    macht aber süchtig. ich geh jetzt alle deine reiseberichte von von hinten nach vorne durch!
                                                                                                    danobaja
                                                                                                    __________________
                                                                                                    resist much, obey little!

                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                      Erfahren
                                                                                                      • 20.08.2015
                                                                                                      • 361
                                                                                                      • Privat


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                                                                                                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                      Zitat von Bergahorn Beitrag anzeigen
                                                                                                      Wunderbarer, sehr lebendiger und amüsanter Reisebericht, vielen Dank!
                                                                                                      Danke sehr Bergahorn. Und vor allem vielen Dank für's Mitkommen! :-)

                                                                                                      Bis ganz bald
                                                                                                      Sylvie

                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                        Erfahren
                                                                                                        • 20.08.2015
                                                                                                        • 361
                                                                                                        • Privat


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                                                                                                        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                        Zitat von danobaja Beitrag anzeigen
                                                                                                        ahh welch poesie! regen, nebel, watstrümpfe.

                                                                                                        ich hab grad entdeckt dass man dich rückwärts lesen muss um auch die wirklich dramatischen effekte deines eloquenten schreibstiles zu entdecken. beispiel gefällig?

                                                                                                        macht aber süchtig. ich geh jetzt alle deine reiseberichte von von hinten nach vorne durch!
                                                                                                        Orr quackernde Blasen... Kopfkino ... und Aua... bist Du irgendwie Schlachter oder sowas? Chirurg? Leichenaufschnippler? Meine Phantasie in Deine Richtung wird immer gräuslicher.... kommt gleich nach dem Axtmann.

                                                                                                        Ich kann vor Lachen nicht mehr schreiben. Und ja!!! Die Idee ist gut, die Berichte rückwärts zu lesen. Ich glaube, da kommt viel bei rum. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich in der Tat anfangs Dinge schrieb, die dann plötzlich wahr wurden. Für den Axtmann will ich das mal nicht hoffen, aber sonst... lauter freudscher Sch..... irgendwo bewegt ein Schmetterling seine Flügel und in China fällt gleich een Sack Reis um... kurze Zeit später Fukushima, ein Kind wird geboren, Jemand verhungert, die Pole schmelzen ab, ein alter Mann singt Gutenachtlieder, die Sonne scheint, Mücken wollen auch überleben, ein Blutbad in Jerusalem... und so und so... das hängt doch alles zusammen... mein eloquenter Schreibstil ohne Drama, nur beim Rückwärtslesen... niemand kann wissen, was das bei Dir auslöst.

                                                                                                        Schneesturm und Feuerwind oder Erdbeeren mit Schlagsahne?

                                                                                                        Na gut... ich VERSUCHE !!! mal jetzt ein bisschen weiter zu schreiben. Kommt ja eh nix bei rum.

                                                                                                        Bis denne
                                                                                                        Sylvie

                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                          Erfahren
                                                                                                          • 20.08.2015
                                                                                                          • 361
                                                                                                          • Privat


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                                                                                                          Sonntag, 14. Juli 2019: Drei lustige Gesellen

                                                                                                          Heute geht’s Richtung Lankojärvi, ein langer Ritt nach Nordwesten. Ob wir den See erreichen, lassen wir offen. Meine Schulter zickt rum, jeden Tag, obwohl der Rucksack schon so viel leichter geworden ist. Die amfortische Wunde pulst nicht an den Füßen, sondern viel weiter oben, nahe beim Kopf. Heute fühl ich mich regelrecht schlapp-krank. Warn’s die nassen Füße etwa, die mich hier in die Knie zwingen wollen? Nach neun Stunden Schlaf bin ich noch immer wie zermartert. Aber tapfer schäl ich mich aus dem Schlafsack und verrichte recht automatisch all die vielen kleinen Dinge, die man hier so erledigen muss. Ein bisschen ist das wie Arbeiten, sag ich zu Stef. Ich wünsche mir grad einen Koch und einen Zusammenpacker.

                                                                                                          Irgendwann sind wir mit allem fertig und Stefan baut wie immer brav unser Zelt ab. Wenn ich hier schreibe: „Wir bauen das Zelt auf (oder ab)“, stimmt das nämlich nicht ganz. Stef baut es meistens allein auf und er tut das sofort, wenn wir ankommen. Sowas kann ich nicht. Ich muss, wenn ich ankomme, erst mal nur sitzen und vor mich hin starren. Erst nach einer Weile ausgiebigen Starrens kann ich mich aufraffen, um irgendwas an mir irgendwohin zu bewegen. Stef ist dann meist schon fast fertig mit dem Zelt. Ich darf höchstens noch Handlangerarbeiten verrichten. Meistens mach ich dabei aber alles falsch. Stets stecke ich irgendwelche Schlaufen falsch oder in der falschen Reihenfolge in die falschen Ösen – kurz: Ich kann hier nur verlieren. Das Zelt ist Stefans Baby. Er hegt und pflegt es liebevoll. Ähnlich wie manche Frauen ihre Männer stets kritisieren, wenn sie das richtige Baby angeblich nicht richtig wickeln, genauso werde ich kritisiert, wenn ich Stefans Baby nicht richtig behandle… die Heringe nicht schräg oder nicht grade genug reinstecke, irgendwelche Stangen nicht ziehe, sondern schiebe… wie auch immer. Ich habe bis dato nicht gewusst, wie viel man eigentlich falsch machen kann beim Zeltaufbau. Ich habe mir deshalb angewöhnt, ihn und sein Baby in Ruhe zu lassen. Er findet das, glaub ich, auch ganz ok. Manchmal hab ich sogar den Eindruck, er kann es überhaupt nicht leiden, wenn ich irgendwelche Arbeitsschritte vornehmen will, die ER gerne gemacht hätte. Also Heringe in Tüten packen ist schon ok, das darf ich ohne Bedenken tun, solange ich beachte, sie vorher zu säubern und sie richtig rum (!!!) in die richtige Tasche zu verstauen. Aber schon beim Stangenzusammenfalten hört der Spaß für ihn auf. Das macht er viel lieber ganz alleine und ganz richtig, wie sich das gehört.

                                                                                                          Während er also am Zelt rumpuzzelt, gehe ich meistens Holz suchen oder bereite das Essen vor. Oder ich sitze eben und starre. So wie heute. Irgendwie komm ich heut gar nicht in die Puschen. Dabei wird es mal Zeit, ebenjene aus dem Trockenraum zu holen. Also hopp, sonst setze ich hier noch Moos an. Langsam, fast schon in Zeitlupe, schleiche ich runter zur Hütte und hole unsere Schuhe und Socken aus dem Trockner. Dann setz ich mich still auf ein kleines Bänkchen und fette sie ein. So. Mal sehen, welche Unbill uns heute ereilt, aber nasse Füße werden allerhöchstwahrscheinlich nicht dazu gehören.

                                                                                                          Langsam preschen wir vor in die Poleposition. Einen ganzen Eimer voll Selbstermunterung brauche ich heute, um die lähmenden Startprobleme zu meistern. Nur die Vorfreude auf meinen schönen Lankojärvi pusht ein wenig meine Motivation. Nun gut, der Weg wird mich schon wieder einnorden. Immerhin laufen wir ja nach Norden heute. Wir überqueren den Luirojoki und wählen die gleiche Route wie im letzten Jahr, über die Berge und nicht die am See entlang.



                                                                                                          Sehr hoch müssen wir heute nicht, nur bis in die Obstbaumwiesenzone, dann durch ein Joch ins nächste Tal, über den Suomujoki und schon sind wir da. Eigentlich ist es auch mal nett, wenn man den Weg schon kennt, denke ich mir. Auch wenn er wie heute 25 km lang ist und also erst mal gemeistert werden will. Das Wetter ist immer noch trübe und für meine Begriffe etwas zu kalt.



                                                                                                          Oder für meine luftige Hose zu kalt, wie man‘s nimmt. Ich müsste schneller laufen, um die schlackernden Hosenbeine mit Wärme aufzufüllen. Auch mein Hosenproblem kommt auf meine to-buy-Liste, gleich unter den Rucksack und die Socken. Ich hab mir die Hose, die mir viel zu weit war, nur eben schnell von meiner wundersamen Schneiderin abnähen lassen. An der Taille sitzt sie wie geschmiert, an den Beinen aber schlottert sie. Die hatte ich bewusst nicht verengen lassen, weil ich es mag, wenn ich Bewegungsfreiheit habe. Nun gut, wer das Eine will, der muss das Andere mögen. Meine Beine sind jetzt zwar sehr frei, aber eben auch ziemlich kalt. Eine lange Unterhose würde hier helfen, aber ich bin zu faul, sie aus dem Rucksack zu kramen. Da hoffe ich lieber auf besseres Wetter. Immerhin, meine Füße sind heute schön warm und trocken. Immer wieder bin ich erstaunt, wie man beim Wandern selbst die winzigsten Annehmlichkeiten ungeheuer positiv wertet, um die Motivation hoch zu halten. Und überhaupt: Dinge, die sonst selbstverständlich sind - warme Füße, Essen, ein schützender Ort – sind es hier eben nicht und man ist dankbar dafür. Selbst der kleinste Funke nährt unsere Hoffnung und die lässt uns weiterlaufen.

                                                                                                          Während ich dieses und jenes gedanklich erörtere, sind wir bereits am 2. Bach. Ein Weg muss hier abzweigen, der uns hoch in die Obstbaumwiesen führen soll. Wir suchen nach ihm, doch wir finden ihn nicht. Wie schon im letzten Jahr. Also laufen wir erst mal weglos hinauf in die Birken. Ich entdecke ihn dann. Ich entdecke tatsächlich den Ursprung des Weges. Stefan vermerkt das als einen historischen Moment. In der Tat ist uns das noch nie gelungen. Wir fanden die Wege immer erst dann, wenn sie schon irgendwie da waren und in beide Richtungen hätten verfolgt werden können. Heute mal nicht. Die Quelle ist ausgemacht, der Pfad wird jungfräulich von uns betreten und damit die Existenz dieses Weges fundamental zementiert. Wir folgen dem Weg und stiefeln – mittlerweile recht guter Dinge - durch die Obstbaumwiesen, immer hinauf bis zur Kuppe und von dort aus hinein ins Nachbartal. Mal wieder piept uns der Goldregenpfeifer – was für ein schönes, vertrautes Geräusch.



                                                                                                          Drüben im anderen Tal durchlaufen wir wieder Regionen von grünstem Grün. Im ganzen Park ist es grade sehr grün, aber an manchen Stellen scheint die Natur in den Neontopf zu greifen. Wenn das ein Maler genauso malen würde, sag ich zu Stef, die würden den für verrückt erklären. Dabei malte er nur, was er sähe.



                                                                                                          Der finnische Wald ist schon wieder um uns und in uns, voll duftender Würzigkeit vom blühenden wilden Rosmarin. Wir rasten lange an einer Feuerstelle am Fluss, dem Palovanganjoki. Letztes Jahr gab‘s hier noch Holz. Dutzende Baumarktsäcke mit geschnittenen Scheiten. Dieses Jahr nur klägliche Reste, ne kaputte Säge und eine Axt. Entweder ist das Holz dieses Jahr schon alle oder man will diesen Platz verwaisen lassen, überlegen wir laut. Zumindest wird diese Holzlosigkeit uns eher dazu bewegen, weiter zu ziehen, statt hier unser Zelt aufzubauen (mein Rücken mal wieder!).

                                                                                                          Wir wollen gerade zusammenpacken, da kommt ein lustiger Trupp angeschossen: die beiden Teenagermädchen, die wir gestern Abend am Luirojärvi trafen, mit einer älteren Frau im Schlepptau. Die dreie stolpern mit sperrigem Gepäck und Mückennetzen an den Hüten durch wegloses Gelände am anderen Ufer des Flusses. Alles an ihnen ist bunt, Isomatten und Schlafsäcke baumeln wild an ihren Rucksäcken, teils werden sie in Plastiktüten in der Hand getragen. Wenn ich sie nicht mit meinen Augen vor mir sähe, ich glaubte, ich träume das. Ich fühle mich sofort in die märchenhafte Welt von Eno Raud versetzt, Drei lustige Gesellen, ein äußerst amüsantes Kinderbuch. Ok, die Protagonisten Moosbart, Halbschuh und Muff sind Wichtel, aber trotzdem: diese bunte Truppe hier und vor allem ihr Equipment macht, dass ich sofort das Buch vor Augen habe. Den ganzen Weg bis hierher sind die in Sommerklamotten und mit diesem Gigantengepäck gelaufen? Ich staune mal wieder über die Härte der Finnen.

                                                                                                          Allerdings sind sie unterwegs vom rechten Pfad abgekommen oder sie haben einen anderen Weg genommen, denn der Fluss trennt sie jetzt von der Feuerstelle. „Könnt Ihr uns sagen, wo Ihr den Fluss überquert habt?“, ruft eines der Mädchen, die Ältere, über die rauschenden Fluten. „Wir haben den Fluss gar nicht überquert“, antwortet Stefan wenig hilfreich. Die Mädels gucken irritiert und sagen erst mal nichts. Dann fangen sie an, recht aufgescheucht, immer wieder am anderen Ufer hin- und herzulaufen. Sie diskutieren lautstark und laufen vor, zurück, vor zurück, ihre Schlafsäcke schlackern wie wild gegen ihre Beine. Langsam misch ich mich ein: „Wenn Ihr über den Fluss wollt oder müsst, warum kommt Ihr nicht hier herüber?“, rufe ich fragend hinüber. „Findest Du?“, fragt das Mädchen zurück. „Ja“, sag ich, „der Fluss ist seicht hier, man kommt gut hinüber.“ Die Augen des Mädchens leuchten auf, das sieht man sogar durch das Mückennetz. „Wir gucken noch mal auf die Karte“, strahlt sie und dann pischpern die dreie emsig über die Karte gebeugt, es klingt wie das Murmeln des Flusses selbst. Endlich haben sie sich entschieden und waten in durchsichtigen Plastikschuhen hinüber zu uns ans andere Ufer. Was für drollige Typen! Schrieb ich nicht anfangs, dass sich nur Verrückte hier tummeln? Und bitte: da sind sie. Ich nehme mir postwendend vor, das Buch noch einmal zu lesen.

                                                                                                          Wir kommen sofort ins Gespräch. Die alte Dame übernimmt das Ruder, sie spricht erstaunlich gut Englisch und erzählt uns, kaum dass sie sitzt, dass sie dieses Jahr auch schon in Deutschland war. Und auch in Luxemburg und in Frankreich, denn sie ist jetzt in Rente und hat für immer Ferien, erklärt sie uns strahlend. Aha, denke ich, die Mädchen sind jung, schwer zu schätzen, vielleicht 14 und 17, also muss das die Oma der beiden sein. Das jüngere Mädchen fragt uns nach unseren Namen. Wir tauschen brav die allgemeine Faktenlage aus. Die Oma heißt Aava, die jüngere Schwester Emma und die Ältere Iida (die Namen habe ich geändert). Emma setzt sich sofort ans Feuer und fängt an zu schreiben. Das kann ich total verstehen. Der Drang zum Stifte ist immer übermächtig, sie ist meine Schwester im Geiste. Ich sage ihr das – und sie freut sich darüber.

                                                                                                          Omi Aava trocknet sich derweil die winzigen Füße am Feuer. Sie passt mir in ihrer Zartheit so gar nicht recht in die raue Landschaft hier. Ich sehe sie vielmehr sofort am Kamin im Schaukelstuhl sitzen. Mit Filzpantoffeln und einem kecken Dutt auf dem Kopf. In der Hand eine blaue Milchkanne mit weißen Punkten darauf. Aus der Kanne dampft lieblich heißer Kakao. „Wollt Ihr hier bleiben?“, reißt mich das Ömchen aus meinen Gedanken. „Nein“, sage ich. „Wir gehen noch ein Stückchen. Es gibt uns zu wenig Holz hier.“ „Ach Unsinn“, ruft Iida, die Ältere und rennt sofort los, um Totholz zu sammeln. Dann entfacht sie unser mickriges Feuerlein zu stattlicher Größe. Was für eine nette Arbeitsteilung: Eine macht Feuer, eine wärmt sich die Füße und Emma, die Dichterin, schreibt darüber. Ich lobe das Feuer ausgiebig und Iidas türkisblaue Augen strahlen wieder so intensiv durch das Mückennetz, dass ich kurz versucht bin, den Schleier zu heben, um dieses Wunder ganz unverhüllt zu bestaunen. „Bitte sehr, gern geschehen“, sagt Iida stolz. Und ungesagt fügt sie hinzu: „Da müssen erst wir Finnen kommen, um Euch zu zeigen, wie man ein richtiges Feuer macht.“

                                                                                                          Wir bleiben aber trotzdem nicht hier. Unser Kaffee ist getrunken, wir müssen langsam weiterziehen. Ich bedaure das so sehr. Ich würde am liebsten hierbleiben und diese drei Urgesteine der finnischen Wanderkultur ausfragen, bis ich alles weiß. Oder einfach nur Mäuschen spielen und sie beobachten, ihr Zusammenspiel, ihre Interaktionen, auch das würde meine Neugier sehr bedienen. Noch im Weggehen sehe ich, dass Iidas Augen geschminkt sind. Auch die Wimperntusche und der Eyeliner haben demnach ihren Platz gefunden in diesen Massen an Gepäck, das diese drei Heldinnen hier wacker durch den Wald hucken. Durch Iidas hellbeigen Pullover blitzt ein schicker BH, ihre feine Baumwollhose trüge ich eher zum Tanz. Wo ist eigentlich der Wohnwagen, mit dem die drei lustigen Gesellen durch die nordischen Wälder ziehen?, frage ich mich entgeistert. Zumindest im Buch tun das die Wichtel. Hier aber müssen sie schleppen. Wir verabschieden uns regelrecht überschwänglich voneinander. Macht’s gut, Ihr drei! Vielleicht sehen wir uns am Lankojärvi?

                                                                                                          Fortsetzung bald. Ich muss die Texte bisschen teilen, weil die Bearbeitung hier auf den Seiten sonst sehr unhandlich wird. Sorry dafür.
                                                                                                          Zuletzt geändert von Sylvie; 17.08.2019, 08:57.

                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                            Dauerbesucher
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                                                                                                            • 977
                                                                                                            • Privat


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                                                                                                            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                            Liebe Sylvie,

                                                                                                            wie immer ist es ein Vergnügen mit dir durch Finnland zu wandern. Auch wenn ich die Wanderung nicht auf der Karte verfolge wie in den von uns bevorzugten Gebieten in Schweden und Norwegen, so freue ich mich doch über jeden deiner Berichte und sehe alles förmlich vor mir. Ich beneide dich, dass es dir solche Freude bereitet alles aufzuschreiben. Für mich ist das immer ein notwendiges Übel um daheim nicht schon die Hälfte vergessen zu haben. Jeden Abend schlage ich meinem Mann vor, er könnte das auch mal übernehmen. "Nein, nein mach du mal, ich koche lieber", meint er dann immer.

                                                                                                            Wie muss ich mir eure Watstrümpfe vorstellen? Sind das so Angelerhosen mit Füßen dran, aus Neopren? Wie schwer sind die? In Finnland mit den vielen Mooren ist sowas wohl nicht verkehrt.

                                                                                                            Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                            Einmal passiert es mir tatsächlich, dass ich bis weit über’s Knie im Boden versinke. Wie Rumpelstilzchen. Nur mit Mühe und sehr viel Kraft und jeder Menge Panik gelingt es mir, mein Bein wieder rauszuziehen, ohne dass mir der Schuh vom Strumpf gelutscht wird….
                                                                                                            Das erinnert mich sehr lebhaft an unsere erste Tour mit den Kindern, bei der sich eine Katasrophe an die andere reihte

                                                                                                            https://www.outdoorseiten.net/forum/showthread.php/46420-NO-SE-Ein-paar-Tage-von-Gr%C3%B6velsj%C3%B6n-in-den-Femundsmarka-NP?p=732371&viewfull=1#post732371

                                                                                                            Zitat von andrea2 Beitrag anzeigen
                                                                                                            …Doch auch heute war das Glück nicht mit uns. Wir waren wohl noch keine Stunde gelaufen, da höre ich meine Tochter hinter mit stöhnen. Ich drehe mich um, und sehe sie bis weit über die Knie -wohl eher bis an den Hintern- im Sumpf eingesunken. Mit dem Oberkörper kippte sie dann noch nach vorne, so dass sie fast komplett nass war. Gemeinsam zogen wir sie aus dem Moor. Das hieß nun schon wieder Abbruch, möglichst schnell zurück zum Zelt, trockene Klamotten anziehen…
                                                                                                            Das Piepen der Goldregenpfeifer ist meist einfach nur ein Anzeichen für eine Störung, oder sie wollen euch vielleicht von ihrem Gelege weglocken. Oft kann man beobachten, wie sie, sich krank stellenden, über den Boden laufen. Dabei schleift gerne ein Flügen am Boden in der Hoffnung so ihre Feinde vom Nest bzw. den Jungvögeln wegzulocken.

                                                                                                            Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                            Doch irgendwann heißt es Packen und danach tun wir das, was wir am liebsten machen auf dieser Tour: Auf die Karte gucken und über den Weg philosophieren.
                                                                                                            Das ist jeden Abend auch unsere Lieblingsbeschäftigung, auch wenn der Weg eigentlich komplett klar ist. Aber mit dem Finger auf der Karte wandert es sich so wunderbar leicht.

                                                                                                            Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                            Ich aber will die mühsam erkämpften Höhenmeter nicht sofort wieder aufgeben. Es ist mir so schön hier oben. Ich mag einfach diese Übersicht. Und kann es total gut leiden, wenn ich zumindest in etwa weiß, wo ich mich grade befinde…
                                                                                                            Meine Rede. Ich liebe diese Weite. Im Wald ist es auch ganz schön, mal kurzfristig.

                                                                                                            Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                            ..und furchtbar einsichtig phantasieren wir nur von üppigen Fressgelagen..
                                                                                                            Das kennt wohl jeder auf Tour. Schon im Laufe des Tages überlegen wir lang und breit, was wir am Abend kochen wollen. Und am Ende der Tour wird dann schon im Kopf die erste Einkaufsliste geschrieben.

                                                                                                            Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                            Kurz vor dem Aufbruch borg ich mir Stefans Stuhl. Sorry, sag ich zu ihm, aber ich brauche bevor wir aufbrechen, noch einen kleinen Moment der Kontemplation. Du bist also auch der Meinung, dass dieser Stuhl für Deine innere Sammlung unerlässlich ist?, fragt Stefan mich hinterlistig. (Die Stuhlfrage wird nicht nur hier im Forum heiß diskutiert, auch familienintern bietet sie immer wieder Anlass für philosophische Betrachtungen.)
                                                                                                            Ja, ja der Stuhl Ich würde immer noch nicht in Erwägung ziehen einen mitzunehmen, auch wenn es noch so bequem ist.

                                                                                                            Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                            …und Stefan baut wie immer brav unser Zelt ab. Wenn ich hier schreibe: „Wir bauen das Zelt auf (oder ab)“, stimmt das nämlich nicht ganz. Stef baut es meistens allein auf und er tut das sofort, wenn wir ankommen. Sowas kann ich nicht….
                                                                                                            Ich muss gerade sehr lachen…

                                                                                                            Aber so gibt es überall die Arbeitsteilung. Bei uns ist es eben das Kochen und Schreiben. Koche ich mal, dann heißt es: pass auf es brennt an, oder lass den Deckel auf dem Topf, die Wärme verpufft, oder pass auf dass der Brenner nicht umfällt…. Man könnte meinen ich muss verhungern wenn ich alleine wandern täte. Also schreibe ich halt ;)

                                                                                                            Liebe Grüße

                                                                                                            Andrea

                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                              Erfahren
                                                                                                              • 20.08.2015
                                                                                                              • 361
                                                                                                              • Privat


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                                                                                                              Liebe Andrea,
                                                                                                              vielen vielen Dank für Deine superschöne, ausführliche Antwort und die vielen Anregungen. Ich bin grad wirklich geflasht von der Mühe, die Du Dir gemacht hast.

                                                                                                              Für mich ist das immer ein notwendiges Übel um daheim nicht schon die Hälfte vergessen zu haben. Jeden Abend schlage ich meinem Mann vor, er könnte das auch mal übernehmen. "Nein, nein mach du mal, ich koche lieber", meint er dann immer.

                                                                                                              Also, ich finde nicht, dass Deine Texte nach Mühe klingen. Dein Stil ist locker und sehr schön. Mich beeindruckt bei Dir aber immer besonders, wie genau und detailliert Du alles beschreibst, nicht nur jeden Berg in der Nähe, sondern auch alle Verrichtungen, die man so machen muss, wenn man unterwegs ist. Ich denke dann immer: ja. Genau so ist es. All die vielen kleine Dinge, die man erledigen und beachten muss. Niemand, der nicht wandert, weiß das eigentlich. Deshalb sind Deine Berichte auch so wertvoll für die Außenwelt. Sie legen Zeugnis ab. Von einer ganz speziellen Kultur. Und jedes Zeugnis sollte in Äonen eingehen.

                                                                                                              Und ja, haha, Ihr habt also auch eine ganz spezielle Arbeitsteilung, Du und Dein Mann. Das Witzige ist: ich musste, als ich das aufschrieb, genau an Euch beide denken. Ich dachte mir: bestimmt ist das bei Andrea + Partner ähnlich, wie das eben bei alten Ehepaaren so ist. :-)


                                                                                                              Wie muss ich mir eure Watstrümpfe vorstellen? Sind das so Angelerhosen mit Füßen dran, aus Neopren? Wie schwer sind die? In Finnland mit den vielen Mooren ist sowas wohl nicht verkehrt.

                                                                                                              Die Dinger sehen so aus:



                                                                                                              Material? Keine Ahnung, irgendein PVC, sie wiegen 270g und kosten 14 €. Der Hersteller/Verkäufer preist ihre Festigkeit an - nu ja, das war bissel übertrieben, aber sonst sind sie praktisch.

                                                                                                              Das erinnert mich sehr lebhaft an unsere erste Tour mit den Kindern, bei der sich eine Katasrophe an die andere reihte

                                                                                                              https://www.outdoorseiten.net/forum/showthread.php/46420-NO-SE-Ein-paar-Tage-von-Gr%C3%B6velsj%C3%B6n-in-den-Femundsmarka-NP?p=732371&viewfull=1#post732371


                                                                                                              Oh... Ihr habt auch Kindertouren gemacht? Wie schön. Dann weiß ich jetzt schon, was ich lesen werde, nachdem ich meinen Bericht beendet habe. Bin gespannt.

                                                                                                              Das Piepen der Goldregenpfeifer ist meist einfach nur ein Anzeichen für eine Störung, oder sie wollen euch vielleicht von ihrem Gelege weglocken. Oft kann man beobachten, wie sie, sich krank stellenden, über den Boden laufen. Dabei schleift gerne ein Flügen am Boden in der Hoffnung so ihre Feinde vom Nest bzw. den Jungvögeln wegzulocken.

                                                                                                              Ja. Das war auch meine Befürchtung, dass wir die armen Vögel ganz schön verwirrt haben, indem wir durch ihr Gelände gelatscht sind.

                                                                                                              Aber so gibt es überall die Arbeitsteilung. Bei uns ist es eben das Kochen und Schreiben. Koche ich mal, dann heißt es: pass auf es brennt an, oder lass den Deckel auf dem Topf, die Wärme verpufft, oder pass auf dass der Brenner nicht umfällt…. Man könnte meinen ich muss verhungern wenn ich alleine wandern täte. Also schreibe ich halt ;)


                                                                                                              .... genau! Und ich würde das Zelt NIE NIEMALS alleine aufgebaut bekommen, wenn ich Stef nicht mit dabei hätte. :-)


                                                                                                              So, ich mach mal weiter im Text!

                                                                                                              Sei herzlich gegrüßt

                                                                                                              Sylvie

                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                Erfahren
                                                                                                                • 20.08.2015
                                                                                                                • 361
                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                Immer noch Sonntag 14.09.2019: Waldesruh

                                                                                                                Wir sind längst wieder krass unterwegs in Finnisch-Lieblich, aber meine Gedanken weilen noch lange bei den Drei lustigen Gesellen. Wo ist der Opa zu diesem Gespann? Ist er gestorben? Hatte er keine Lust zum Wandern? Und was ist mit der Mutter der Mädchen? Lebt sie noch? Oder ist sie vielleicht krank? Warum kümmert sich hier diese zarte Oma um die beiden? Was ist die Geschichte dieses Trios? Stef rennt derweil vorneweg, während ich lahm hintertrottend die Story im Kopfe weiterspinne.



                                                                                                                Seltsamerweise fallen mir nur traurige oder dramatische Varianten ein. Das muss der Wald mit mir machen. Da sehe ich überall Horrorszenarien. Aber hey, was ist, wenn es alles ganz einfach ist? Die Oma hat jetzt endlich Zeit für ihre Enkel. Sie geht gerne wandern. Also machen die drei eine große Abenteuertour in der Wildnis… Hm…so richtig gefällt mir das nicht. Was ist schon einfach im Leben? Ich denke und denke, sehe ganze Sequenzen eines großen Beziehungsdramas vor mir – und der Fluss nebenan säuselt dazu ganz leise. Er lullt mich ein in meine Gedankenwelt.

                                                                                                                Das alles stimmt mich versöhnlich und müde. Pünktlich, wie immer wenn ich erschöpft bin, meldet sich auch mein Rücken. Und Hagen sticht Siegfried von hinten ins Herz. Es wird also Zeit für uns, die Füße ruhen zu lassen. Und vor allem, den Rucksack abzuwerfen. Der Fluss wird lauter jetzt und wilder. Er drängelt sich dröhnend durch das enger werdende Flussbett und schmirgelt hier lärmend die Steine glatt. Es gibt mehrere Feuerstellen hier, teils am felsigen Steilufer, teils etwas tiefer drinne im Wald. Auch hier gibt es kein Holz. Nun gut, also machen wir es wie Iida und suchen das Holz im Wald.

                                                                                                                Nach einigem Hin und Her entscheiden wir uns für ein liebreiches Plätzchen im Wald. Hier wollen wir heute das Zelt aufstellen. Also Stefan macht das, wie immer, ich laufe los nach Feuerholz.



                                                                                                                Der Wald ist aufgeräumt. Hier hatten schon einige vor mir die gleiche Idee. Es dauert ein Weilchen, ehe ich ein kleines Häuflein zusammen habe. Ein Feuer aus halbvermodertem Holz brennt natürlich nicht ganz so gut wie eins aus frisch gehauenen Scheiten. Es flackert kurz auf und verzischt dann. Mit ihm alle Käfer, Pilze und Kleinstlebewesen, die hier ihre wichtige Zersetzungsarbeit leisten. Hier komme ich langsam ins Grübeln. Ein bisschen Sorge habe ich schon, dass wir hier zu sehr ins biologische Gleichgewicht eingreifen. Also nicht nur wir, sondern alle Feuermacher vor uns und nach uns an diesem Platz. Stefan meint aber, gemessen an der Gesamtgröße des Parks, nehmen diese wenigen Feuerstellen nur sehr winzige Flächen ein. Der Aktionsradius der Feuerholzsammler ist auch eher gering. Die kommen alle mit zerlatschten Füßen hierher, die laufen keine größeren Strecken mehr, um Holz einzusammeln.


                                                                                                                Mückenschutz und Quelle der Hoffnung

                                                                                                                Hm… aber trotzdem, sag ich, das ist paradox: Wir können, um die Schönheit dieser Landschaft kennenzulernen, nur durch sie hindurchwandern. Und nur was wir kennen, schätzen wir. Und nur was wir schätzen, wollen wir schützen. Und dennoch verwunden wir das, was wir kennenlernen, indem wir es kennenlernen. Wir achten zwar peinlichst darauf, nirgendwo auch nur ein Fitzelchen Müll zu hinterlassen, aber wir sammeln das Holz, wir treten die Pflanzen platt. Andererseits… die Pflanzen hier oben sind stark. Sie sind Meister des Widerstandes. Sehr gut spezialisiert auf das raue Klima. Moderater Stress schädigt sie nicht, sondern stärkt sie. Das ist ja beim Menschen nicht anders. Was aber ist moderater Stress? Und so und so… wir kommen im Plaudern zu keinem befreienden Schluss. Das Feuer ist längst niedergebrannt und wie zur Versöhnung guckt endlich die Sonne mal aus ihrem Bett. Ja, scheine Du nur, scheine! Immer fleißig in unser Zelt. Wir waren heute viel weniger faul als Du. Wir mussten uns unseren Mittagsschlaf hart erwandern.

                                                                                                                20 Kilometer waren es heute. Genug, um sich von der Helligkeit nicht beeindrucken zu lassen. Soll ich noch schreiben? Zu müde! Oh Mann, ich bin mehrere Tage im Rückstand. Ich hoffe, ich krieg dann noch alles zusammen. Ich denke zurück an Emma, das Dichtermädchen, die offenbar ziemlich schnell in den Schreibmodus wechseln kann. Ich brauch dafür bisschen mehr Muße. Und Wachheit natürlich im Kopf. Die aber hat sich verzogen. Oder besser: sie wurde verdrängt. Von dieser alles beherrschenden Müdigkeit, die von den Füßen her gekrochen kam und langsam meinen ganzen Körper okkupierte.
                                                                                                                Zuletzt geändert von Sylvie; 09.08.2019, 23:04.

                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                  Erfahren
                                                                                                                  • 20.08.2015
                                                                                                                  • 361
                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                  #57
                                                                                                                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                  Montag, 15. Juli 2019: Stille am Lankojärvi?

                                                                                                                  Eigentlich ist heute unser Pausentag. Eigentlich wollten wir längst schon am Lankojärvi sitzen und die Seele baumeln lassen. Zeit und kraftraubend waren die Touren über die Fjälls. Wir sind streckentechnisch etwas ins Hintertreffen geraten. Und also müssen wir erst mal zum Lankojärvi hin, bevor wir dort die Seele baumeln lassen können. Also frisch die Schuhe geschnürt und hinaus in die Welt mit unseren morschen Körpern. Gottseidank sind es nur ein paar Kilometer, die rutschen wir doch auf der halben Arschbacke ab. Die Tour heute beginnt allerdings fast schon wieder mit einem Abenteuer. Zwei junge Männer kommen uns entgegen und warnen uns vor. Die Brücke über den Suomujoki ist kaputt, man kommt dort nicht mehr über den donnernden Fluss. So richtig wundert mich das nicht. Die Brücke war schon im letzten Jahr nur noch ein wackliger Steg, auf dem zu verweilen Torheit bewiesen hätte. Dennoch ist ihr Verlust natürlich wenig erfreulich. Mein Frohlocken auf eine chillige Tour schmilzt gerade dahin.

                                                                                                                  „Was sollen wir tun?“, frag ich den einen der beiden finnischen Recken. „Oh“, sagt der, „nur drei Kilometer flussabwärts gibt’s eine andere Brücke. Die könnt Ihr nehmen.“ Drei Kilometer in die falsche Richtung und dann drei Kilometer wieder zurück macht schon sechs. Sechs Kilometer zusätzlich zu jenen, die wir sowieso schon vor uns haben – mein Frohlocken wird immer kleiner. „Oder Ihr nehmt die Planken etwa 50 Meter stromaufwärts“, klärt unser Wanderfreund uns auf. „Aber die sind extrem wacklig. Da drüber zu gehen halte ich für gefährlich. Wir sind eben über die Planken und mir zittern noch immer die Knie.“ Oh, oh, oh…. wenn ein Finne etwas gefährlich findet, dann sollte man ihm unbedingt Glauben schenken. Für Finnen ist nämlich sonst nie was zu schwer, zu gefährlich, zu anstrengend, die Wege sind immer kurz und einfach zu laufen, das Wetter ist immer gut. Körperliche Anstrengung kennen die einfach nicht, zumindest nicht in dem Maße wie unsere verweichlichten deutschen Körper sie kennen, also ganz speziell mein Körper, der von Stefan ist ja scheinbar doch eher nordischer Natur. Mein Frohlocken wird klein wie ne Maus. Gleichzeitig meldet sich trotzig mein Kampfesmut. Also gut, sag ich, wir sehen uns die Planken mal an. Lieber kurz gezittert, als ewig gewandert.

                                                                                                                  Wir setzen uns in Bewegung, aber schon kurze Zeit später stoppe ich. Guck mal den Fluss hier an, sag ich zu Stef. Das ist doch der, über den wir dann sowieso müssen. Hier ist grad ne Stelle, wo er recht breit ist, sich in zwei Arme teilt und relativ sanft über die Kiesel gleitet. Also relativ sanft ist natürlich milde ausgedrückt, der Fluss ist auch hier unbändig wie ein wütendes Kind, aber dennoch: eine Furt scheint möglich an dieser Stelle. Stefans Augen leuchten auf und er zückt seine Karte. Wenn wir zu früh hier furten, kann es nämlich passieren, dass wir noch irgendwelche Nebenflüsse queren müssen, ehe wir den Wanderweg am Hauptfluss erreichen. Aber alles ist frei. Stefan nickt. Da ist nur ein kleiner Sumpf auf der anderen Seite. Den können wir aber leicht umgehen. Na hoffen wir das! Wir machen uns startklar. Kein wildes Geplanke, keine sechs Kilometer Umweg – mein Frohlocken wird grade zum Adler, der sich kühn in wirbelnde Höhen schwingt. Wir laufen in Crocs rüber, ein bisschen nervenkitzelig ist es schon, aber lange nicht so wie im Sumpfloch zu stecken.

                                                                                                                  Drüben finden wir das Moor und umklettern es. Die Gegend ist Gottseidank felsig, sodass sich der Sumpf nicht endlos breitmachen kann. Pünktlich zum Sumpfbeginn kommt auch die Sonne raus und lockt das Mückenkroppzeug hervor. Aber uns hält jetzt nichts mehr auf. Wir finden den Weg und wir laufen ihn. Die Wege zum Lankojärvi hin und auch die von ihm weg, sind allesamt anspruchsvoll. Zumindest, wenn man sie im erschöpften Zustand absolviert, wie es bisher immer geschah. Sie führen über Felsen, in ständigem Auf und Ab, immer am Fluss entlang. Oben drohen steile Stufen, unten sumpfige Senken mit Mückenplagen. Aber heute sind wir nicht erschöpft, sondern ausgeruht. Heute macht der Weg richtig Spaß. Kurz vor dem Ziel furten wir schnell noch den Fluss...


                                                                                                                  Der Suomujoki ist breit hier, aber nicht sehr tief.

                                                                                                                  .. und schon sind wir da. Mein Lankojärvi, mein liebster aller finnischen Seen begrüßt uns heute mit Düsternis. Die Sonne ist wieder verschwunden, der Himmel dräut regenschwer und die Mücken freuen sich auf uns.



                                                                                                                  An der Hütte treffen wir seltsame Gestalten – warum wundert mich das eigentlich nicht mehr? Ein mittelalter Mann mit wildem Bart und wilden Augen, dazu ein junger Mann, baumstark und blond, und ein Mädchen mit grünen Haaren. Also am Scheitel sind die Haare blond, dann aber wedeln sie grün von dieser blonden Kappe herunter, sodass ich das alles von Weitem zunächst für ein Mückennetz hielt. Das Mädel ist trotzig-scheu, hebt kaum ihren Blick, der Baumprinz blickt tumb durch uns hindurch, der Rädelsführer ist der mittelalte Waldzausel. Aber auch er sagt nicht viel, nur das Nötigste. Die drei sind zum Angeln hergekommen, erzählt er knapp. Drei Tage wollen sie hierbleiben und dann zum Luirojärvi weiterziehen. Nach dieser kurzen Einführung werfen wir erst mal die Rucksäcke ab und kochen uns Kaffee am Feuer.

                                                                                                                  Die Fishermangang gesellt sich hinzu und wieder mal staune ich irre, was die alles mit in den Wald schleppen. Schwere Angelausrüstung, Stiefel, Essen jeglicher Art in Dosen jeglicher Form und dies noch und das noch. „Wie schwer sind Eure Rucksäcke?“, frag ich den Anführer. „Etwa 35 Kilo“, antwortet er kauend. Danach sagt von ihnen lange Zeit keiner mehr was. Mit Filzpantoffeln und dicken Wollsocken drin sitzen die Dreie friedlich am Feuer, ein jeder ein Pfadfindertuch um den Hals, und genießen schweigend ihre unüberschaubaren Mengen an Brot mit Butter und Wurst, dazu Müsli, Kaffee und Tütensuppen. Stefan und ich reden ganz leise nur, damit wir diese Idylle an finnischer Beredsamkeit nicht sinnlos zerstören.

                                                                                                                  Der Tag ist noch jung. Stef macht sich zu seinen Vögeln auf, während ich mich in die Hütte verziehe, um endlich zu schreiben. Hier drinnen ist es noch warm, die letzten Bewohner sind noch nicht lange weg, schätze ich. Ich packe erst mal meine Matte aus, denn aus nostalgischen Gründen will ich heute mal wieder im Haus schlafen. Ein kurzes Probeliegen und schon bin ich weggenickt. Geweckt von den Mücken schieb ich mich wieder in die Vertikale und koche mir erst mal einen feinen Tee. Und dann, endlich, endlich greif ich zum Stift und zum Block. Um mich herum summen die Mücken. Hier am Tisch schreibt es sich wunderbar, ich bin sofort wieder drin in der Story – aber die Mücken! Ist hier ein Loch in der Hütte? Wo kommen die alle denn plötzlich her? Frustriert geb ich irgendwann auf und geh wieder raus ans Feuer. Der Lankojärvi, so lieblich er ist, hat ein Mückenproblem. Zu viele Sümpfe ringsrum, zu feucht all die Mulden und Senken, für die Mücken ein feines Vermehrungsparadies.

                                                                                                                  Die Fishermangang baut gerade ihr Zelt auf. Dann werfen sie sich ihre Angeln über und verschwinden in Richtung See. Erst später erfahren wir, dass die drei eine Pfadfindersippe sind. Der ältere Zausel ist tatsächlich der Anführer. Er ist mit der Grünhaarnixe und dem russischen Recken schon in die Wildnis gezogen, als diese noch Kinder waren. Jetzt verstehen wir auch, warum der bärtige Zausel von den beiden Jüngeren auf eine sehr rührende Art und Weise regelrecht angehimmelt wird. Wenn er redet, schweigen sie. Wenn er schweigt, schweigen sie erst recht. Wenn er mit dem kleinen Finger wackelt, springen sie auf und bedienen ihn. Das nenne ich wahre Lehenstreue. Die Natur geizt ja niemals mit Abenteuern und gemeinsam bestandene Abenteuer in rauer, unkomfortabler, lebensfeindlicher Umgebung schweißen ja durchaus sehr fest zusammen. Vielleicht hat der Scout diese Kinder aus schwierigen Verhältnissen geholt? Zumindest bei dem Grünhaarmädchen wäre das anzunehmen. Denn sie wirkt extrem ruhelos, subversiv, verzweifelt, süchtig vielleicht? Besonders ihr Verhalten gegenüber dem Sippenführer zeugt von großem Respekt und von großer Dankbarkeit.

                                                                                                                  Ich sitze hier lange und genieße die Stille. Und schreibe wie besessen. Gottseidank fallen mir die Gedanken allesamt aus dem finnisch-verhangenen Himmel direkt in den Schoß. Manchmal plauzen sie mit geballter Wucht wie ein Starkregen auf mich ein, sodass ich Mühe habe, sie so schnell aufzuschreiben. Mein bester Kuli ist schon zerschlissen. Gottseidank hab ich noch einen zweiten mit. Luxus muss man sich er-schleppen können. Die Ruhe ist himmlisch hier.



                                                                                                                  Ab und zu turnt Stefan vorbei und demonstriert mir sehr anschaulich, welche Vögel er wieder getroffen hat und wie die sich ihm gegenüber verhalten haben. Noch sind wir allein hier am See. Da traut er sich, so zu hampeln. Es ist niemand hier, der uns für schräge Vögel halten könnte. Obwohl… hier oben im Park ist das Schräge ja das Normale, es würde wahrscheinlich niemanden wundern, wenn er Stef so hüpfen und mit den Armen rudern sähe. Stef hat seine Vögel, ich hab meine Ruhe und jeder von uns ist glücklich damit.

                                                                                                                  Irgendwann sind wir nicht mehr allein. Erst kommen die Unglückshäher, drei an der Zahl, und dann kommen weitere schräge Vögel, diese jedoch in Menschengestalt. Zunächst schnauft ein älteres Ehepaar ein. Sie wollen sich morgen am Luiro mit Sohn und Schwiegertochter treffen, erzählen sie mir. Ihre Ausrüstung ist wunderbar oldschool und nach kurzer Verschnaufpause beginnen sie auf wunderbar umständliche Art und Weise ihr winziges altes Zelt aufzustellen. Es ist dreieckig wie ein Dach und hat gerade mal Platz für zwei Luftmatratzen. Die Rucksäcke dieser wackeren Wanderer müssen draußen schlafen, sorgsam verpackt in Regenponchos. Ich bin entzückt und beobachte alles mit großem Behagen. Dabei stelle ich fest, dass auch bei diesem Pärchen eine nette Arbeitsteilung herrscht: der Mann baut eher auf und die Frau sitzt eher daneben im Gras. Dann kommt eine Mutter mit ihrer Tochter. Das Mädchen ist vielleicht zehn oder zwölf. Die beiden sind sichtlich erschöpft und verziehen sich schnell in die Hütte. Und dann höre ich sie endlich: die Stimmen, auf die ich gewartet habe. „Hallo Sylvie und Stefan“, tönt es von Weitem laut durch den Wald. „Das ist ja schön, Euch wiederzusehen“, rufen die Stimmen laut durchs Geäst. Da sind sie wieder, meine drei lustigen Gesellen Aava, Iida und Emma. Sie wirken erschöpft, aber fröhlich. Ich frage sie, wie sie geschlafen haben. „Schlecht“, sagt Aava, „unsre Schlafsäcke sind nicht so toll. Wir haben im Zelt ziemlich gefroren.“

                                                                                                                  Einen Platz am Feuer lehnen sie dennoch ab. Auch sie wollen erst mal in die Hütte. Später kommt Iida zu uns ans Feuer. Ich frage sie, ob Emma ihre Schwester ist. „Jawohl“, sagt sie, „das ist korrekt.“ Und dann frage ich, ob Aava ihre Großmutter ist. „Nein!“ Iidas sternenblaue Augen werden verwundert kugelrund. „Aava ist unsere Mutter.“ Oh Mist, denke ich, was für ein Fettnäpfchen. Ich schweige erst mal verlegen und fummle plötzlich wie wild an unserem Kocher rum, den ich grade zusammenpacken will. Die Mutter! Ich werde gar nicht drüber fertig. Wir waren völlig auf der falschen Fährte. Weil sie doch immer wieder betonte, dass sie jetzt in Rente ist. Ab wann geht man in Finnland eigentlich in Rente? Und die Mädels sind noch so jung. Oder sind sie vielleicht doch schon älter? Oder sind sie vielleicht adoptiert? Und wo ist der Vater? Ich frage das alles natürlich nicht, ein Fauxpas am Tag ist mehr als genug, aber mein Kopf spinnt sofort die Geschichte um, gleiches Drama, weitere Protagonisten, das macht dieser Taiga-Märchen-Wald mit mir. Und wieder frage ich mich, warum dieses Drama so düster ist. Vielleicht ist alles ganz einfach und die drei machen fröhlich hier Ferien? Aber nein, denke ich, so spielt das Leben nicht, irgendwas haben die an sich, das unter der Fröhlichkeit sitzt. Und erst das macht ihr Fröhlichsein glaubwürdig.

                                                                                                                  Ein paar Momente später gibt das Leben mir Recht. Emma, die Dichterin, kommt kurz ans Feuer und mir fällt jetzt noch deutlicher auf (als gestern schon), dass sie ihre Arme so seltsam schlenkert, als würden sie gar nicht zum Rest ihres Köpers gehören. Und dann sehe ich es: Ihre Arme sind vom Handgelenk bis weit über die Armbeuge mit feinen weißen Narben übersät, alle fein säuberlich eingeritzt in einer Reihe ins zarte mädchenhafte Dichterinnenfleisch. Beide Arme sind rot und geschwollen davon. Wer sich das ansieht, spürt sofort den Schmerz, den die Wunden jetzt noch verursachen. Die beiden Schwestern bleiben nur kurz, wir bereden ein bisschen dies und das, dann verschwinden sie wieder im Haus. Nach dem Essen laufe ich hoch zur Hütte. Gleich als erstes frage ich Emma, ob sie heute schon geschrieben hat. „Ja“, sagt sie, „gleich heute Morgen am Feuer. Ich schreibe nämlich an einem Abenteuerroman“, verkündet sie stolz. Sehr gut! Schreibe das alles auf meine Dichterin. Dann musst Du es nicht mehr in Deine Haut ritzen. Letzteres freilich denke ich nur.

                                                                                                                  Es ist heiß in der Hütte. Die Finnen haben hier ordentlich hochgeheizt. Aava und Emma pumpen schwitzend und stöhnend im oberen Bettenlager ihre Luftmatratzen auf. Iida kocht derweil das Essen. Die andere Mutter und ihre Tochter schlafen bereits im unteren Lager. Mir ist es zu heiß hier. Ich beschließe spontan, im Zelt zu schlafen und den Platz im unteren Lager freizugeben. „Ich gehe ins Zelt zu meinem Mann“, erklär ich den lustigen Gesellen. „Da ist es zwar kalt, aber Ihr könnt dann unten liegen, wenn Ihr wollt und müsst da oben nicht schwitzen.“ Die drei Damen begrüßen das. Iida meint lachend dazu: „Deine Matratze sieht aus, als hält sie was aus. Und bestimmt ist Dein Schlafsack besser als meiner. Du wirst es überleben.“ Wir wünschen uns grinsend ein schönes Überleben und dann schleich ich mich hinaus.

                                                                                                                  Draußen ist inzwischen die Hölle los. Willkommen beim Lankojärvi-Festival, meint Stefan lakonisch zu mir. Die Feuerstelle ist dicht besetzt. Zwei Pärchen sind noch gekommen. Dazu noch drei Wanderer, die nebenan in der Varaustupa schlafen. Auch die Fisherman’s Friends sind vollzählig zurück. Gefangen haben sie nichts. Nur die Grünhaarnixe hatte kurz was an der Angel, erzählt ihr zerzauster Mentor. Aber der Fisch war zu klein, um ihn rauszuholen. Ich stehe indes fassungslos vor diesen wuselnden Massen hier. Mit uns sind es 19 Leute am Lankojärvi. Früher waren wir hier fast oder ganz allein. Zumindest im Sommer. Da ist der Park eigentlich leer. Nun, dieses Jahr offenbar nicht. Und vielleicht auch nie wieder mehr? Am Feuer geistert indes die Geschichte, dass in Anterinmukka ein Bär gesehen wurde. Mit jeder Version, die wir davon hören, wird die Story dramatischer. Die Finnen sind voll in ihrem Element. Bei Gruselgeschichten wird selbst der Schweigsamste plötzlich gesprächig. Ich aber hab keine Lust mehr auf Bärengeschichten. Ich geh lieber ins Zelt und schreib noch ein bisschen.


                                                                                                                  Schreiben im Zelt um Mitternacht. Läuft bei mir.

                                                                                                                  Morgen wird ein harter Tag. Der Weg nach Kiilopää ist weit, aber ich freue mich schon auf ein richtiges Bett. Und auf die Sauna. Und erst das Essen!!! Und darauf, einen ganzen Tag schreiben zu dürfen, ohne dafür irgendwohin laufen zu müssen. Stefan kommt irgendwann auch ins Zelt und wir lauschen gemeinsam den netten Geräuschen, die unsere neuen Nachbarn beim Zeltaufbau machen. Darüber schlafen wir ein.
                                                                                                                  Zuletzt geändert von Sylvie; 12.08.2019, 20:46.

                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                    Erfahren
                                                                                                                    • 20.08.2015
                                                                                                                    • 361
                                                                                                                    • Privat


                                                                                                                    #58
                                                                                                                    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                    Dienstag, 16. Juli 2019: Einzug ins Paradies

                                                                                                                    Heute weckt uns der Wecker, denn wir wollen früh raus. Ein Viertelhundert Kilometer liegt vor uns bis Kiilopää. Schnell packen wir alles zusammen und stiefeln los, immer das Tal am Rautujoki hinauf bis nach Rautulampi. Wie immer am letzten Tag bin ich irgendwie fertig mit der Welt und will nur noch ankommen. Das Wetter ist mies, ein eiskalter Nieselregen ärgert uns stets, ich friere, ich habe Hunger und mein Nacken puckert. So sieht’s mal aus. Nach endloser Latscherei durch das Tal – Stef versüßt mir den Weg mit Vogel-Erklärungen – erreichen wir jene Stelle, an der wir im letzten Jahr falsch abgebogen sind. Stolz laufen wir dieses Mal richtig, überqueren den Nebenfluss und bleiben dem Hauptfluss ein treuer Begleiter. Aber ach, nur kurze Zeit später und kurz vor der Hütte passiert uns ein ähnlicher Fehltritt an einem weiteren Nebenfluss. Das Gelände ist einfach zu unübersichtlich hier mit seinen vielfach verzweigten Flussadern. Wir laufen ein Weilchen am falschen Fluss entlang und als die Hütte ewig nicht kommt, wird Stefan misstrauisch. Déjà-vu, meint er beschwörend zu mir und diesmal gehen wir gleich zurück. Wir sind erst 400 Meter im falschen Abzweig, aber trotzdem: 400 Meter hin und zurück, das macht schon fast nen Kilometer mehr Weg und jeder Meter Umweg ist einer zu viel, wenn man kurz vor den Toren des Paradieses steht. Das alles mosere ich ungehalten in mein Doppelkinn, ich hatte wirklich schon bessere Laune auf dieser Tour.

                                                                                                                    Die Hütte indes wird niemals mehr kommen. Rautulampi ist abgebrannt. Von der ältesten Hütte im Park gibt es nur noch verkohlte Balken. Das muss irgendwann dieses Jahr passiert sein, denn letztes Jahr sahen wir sie noch unversehrt am Lampi-See stehen, pittoresk (wie ein Reiseführer schreibt) und von oben, von der Raututunturi aus, wohin es uns fälschlicherweise verschlagen hatte. Unglaublich, was hier abgeht. Hütten und Brücken verschwinden, Feuerholz gibt es nicht mehr und der Park wird geflutet von Menschenmassen. Wir setzen uns fassungslos an die Feuerstelle und kochen uns einen großen starken Kaffee. Das müssen wir erst mal verdauen. Zum Schock dazu gibt’s die letzten Knäckebrote. Jetzt heißt es für uns nur noch ankommen, denn unser Proviant ist bis auf den letzten Krümel aufgegessen. Nur eine Notration Travellerfood dümpelt noch irgendwo in den Tiefen unserer Rucksäcke. Die allerletzte eiserne Reserve - wir hoffen natürlich, wir brauchen sie nicht.

                                                                                                                    Plötzlich hören wir hinter uns im Gebüsch wieder die lieblich-vertrauten Stimmen: „Hello again, Sylvie und Stefan“, tönt es fröhlich aus kichernden Mädchenmündern. Das gibt’s doch gar nicht! Die drei lustigen Gesellen sind wieder am Start. Sie müssen kurze Zeit nach uns am Lankojärvi losgelaufen sein. Ich freue mich so sie zu sehen, dass ich sie gleich auf nen Kaffee einlade. Die drei setzen sich dankend ans Feuer und packen auch gleich ihr Essen aus. Emma, die Dichterin, trägt nur ein T-Shirt bei dieser Eiseskälte. Ich selbst habe zwei Jacken über zwei Pullovern an. Ich frage sie, ob sie nicht friert. Sie verneint lächelnd, der Anstieg war sehr schwer, sagt sie. Dann setzt sie sich hin und schreibt. Ihre Arme sind rot, blau glänzen die Narben, sie aber schreibt und lächelt ein bisschen dabei. Sie ist Linkshänderin und sie schreibt akkurat. Mir fällt ein, dass ich sie nie mit Jacke sah in den letzten Tagen. Immer nur kurzärmelig. Vielleicht hat sie Schmerzen, wenn sie die Arme bedeckt? Ich weiß gar nicht, was ich hier fühlen soll. Der Anblick des schreibenden Mädchens macht mich gleichzeitig traurig und froh. Es fällt mir sehr schwer, sie nicht anzustarren.

                                                                                                                    Aava, die Mutter, bemerkt mein Sinnieren, und mit ihrem feinen Humor lenkt sie uns zart auf andere Themen. Wir reden über unsere Wege. Die drei wollen heute am Nilanpää schlafen. Dann wandeln wir plaudernd von diesem zu jenem. Wir schlürfen gemütlich unseren Kaffee und Emma schreibt. Ich würde gerne noch weiter reden, aber Stefan drängelt und das zu Recht. Der Weg über die Fjälls ist noch lang bis nach Kiilopää. Ich schenke den dreien meinen letzten Rest Kaffeepulver und auch den Kaffeeweißer dazu. Sie bedanken sich hocherfreut. Na, ich weiß doch, womit man Finnen verzücken kann. Im Kaffeetrinken sind die wackeren Recken Weltmeister. Wir verabschieden uns herzlich von diesen drei sehr bezaubernden Exemplaren der menschlichen Spezies. Ein letzter Blick auf die forsch-kecke Iida mit ihren Sternenaugen und auf Aava, die Feine in allen Belangen, na und auf Emma...die fortwährend schreibende Unbeschreibliche – dann schultern wir unsere Rucksäcke und asten uns hoch auf die Fjälls.


                                                                                                                    Rautulampi


                                                                                                                    Der See hinter uns wird kleiner und kleiner. Schließlich verschwindet er ganz. Insgeheim hoffe ich, dass ich die drei noch mal wiedersehe.

                                                                                                                    Der Wind ist gnädig heute mit uns. Er pustet nur manchmal von hinten uns an, immer noch kalt, aus dem Osten heute, aber längst nicht so rüttelnd und schubsend wie neulich am Anteripää. Der endlose Weg über die Raututunturi, vorbei am Rautupää zieht und zieht sich. Er ist steinig und schwer zu laufen. „Hopp, hopp, schnell übers Fjäll“, hatte Stefan gestern getönt. Von wegen hopp hopp, bei dieser Steinbrockendichte hier geht wieder mal gar nichts wirklich schnell. Ich nehme mir grummelnd vor, Stefan nicht immer wortwörtlich zu nehmen. Irgendwann haben wir genug von den garstigen Steinen und steigen hinauf in höhere Lagen.



                                                                                                                    Wir umrunden den Nilanpää weglos und gehen auch dann nicht wieder hinab auf den Wanderweg, sondern schlängeln uns mutig oben herum. Von Ferne winkt uns der Kiilopää. Wir sind also auf der Zielgeraden. Mir geht es noch immer nur mittelprächtig. Meine Schulter meldet sich mehrfach stechend zu Wort. Ich komme mir wahrlich alt und morsch vor an diesem sehr trüben und feuchtkalten Tag.

                                                                                                                    Eine längere Pause machen wir noch. Wir verbringen sie liegend in einer Kuhle, in der ich so ziemlich sofort tief und fest einschlafe. Irgendwann schrecke ich hoch, geweckt von meinem eigenen Schnarchen – und dann geht es deutlich besser mit mir. Ich fluche nur noch halb so viel rum über Steine, Geröll, sinnlose Anstiege, zu steile Abstiege und dergleichen mehr. Stefan erträgt die maulende Myrte stoisch in der ihm eigenen Art. Ab und zu fragt er mich mal, was ich jetzt tun will, wo ich jetzt lang will. Hier lang oder da lang? Was schlägst Du vor, frag ich quarrig zurück. Ich finde am besten, hier runter und dort wieder hoch – orr nee, nicht schon wieder hier hoch und da wieder runter, maule ich bockig weiter. Einen Tod musst Du sterben, das ist nun mal so, sagt er dann seelenruhig, lächelt dazu und geht einfach los.



                                                                                                                    Und ich trabe stirnrunzelnd, aber stille, brav hinterher. Wir sind schon ein nettes wanderndes Pärchen. So richtig zum Streit kommt es aber nicht. Wozu auch? Wir sind ja fast da. Auf den letzten paar Metern phantasieren wir uns unsere Träume zurecht. Stef träumt von Bier. Ich träume von Strom für meine E-Zigarette. In den letzten Tagen ist mir der Strom immer knapper geworden und selbst die Solarbatterie riss dieses Loch nicht wirklich heraus. Heute war ich dann endgültig saftlos. Wahrscheinlich auch deshalb bin ich so knatschig und schwer zu ertragen.

                                                                                                                    Unser Eintritt ins Paradies fühlt sich wie immer heroisch an. Auch wenn unser Kiilopää, anders als sonst, voll mit Touristen ist. Der Parkplatz ist ziemlich zugeparkt und statt spärlicher Gruppen mit tristen Rentnern tollen hier junge Familien mit Kindern herum. Wir bangen plötzlich um unser Zimmer. Aber Glück gehabt – das allerletzte Blockhaus, ganz am Rande der Siedlung ist noch frei. Und also ist es unseres. Ahhh….die irdischen Freuden können beginnen. Essen, trinken, dampfen (!), waschen und saunieren. Manchmal denke ich ja: Nur für diesen einen, jeglichen Rahmen an erlebbarer Freude sprengenden Moment, nur für dieses eine große Glücksgefühl, lohnt es sich, überhaupt loszugehen. Das stimmt natürlich so nicht, denn es gibt diese vielen Momente des Glücks ja auf der Tour schon. Und das sind meist so winzig kleine Begebenheiten, im hektischen Alltag würden wir die nur flüchtig vielleicht als positive registrieren – hier aber kriegen sie so ein gigantisches Gewicht. Inmitten von Unbill und Strapazen wird auch die kleinste Erleichterung dankbar zur Kenntnis und angenommen. Trockene Füße, kein Regen, abgeheilte Blasen, nachlassende Schmerzen, keine Mücken, Feuer, Wärme, Licht, Essen, Kaffee, Schokolade, gerade Zeltflächen – die Liste könnte beliebig lang fortgesetzt werden. Dieses alles macht es natürlich ebenso lohnenswert, loszugehen. Mal abgesehen von der wunderschönen Landschaft, dem Abenteuer und der Selbsterfahrung. Aber selbst wenn es das alles nicht gäbe, wenn die Tour also durch und durch misslungen wäre, was am Ende bleibt, ist dann ja erst Recht: dieses fulminante, alles beschließende Glücksgefühl, der Stolz und die Freude, es wieder einmal überlebt zu haben. Ich würde lügen, wenn ich das als unwichtig abtäte.

                                                                                                                    Und so beginnen wir also unser „normales“ Leben in überquellender Dekadenz, die uns bald schon wieder alltäglich sein wird. Noch aber beglückt sie uns. Hungrig und staunend stürzen wir uns ins Touristengetümmel eines gut gefüllten Speisesaals und füllen unsere leeren Mägen mit vielem was da ist und allem, was das Herz sich wünscht. Dann fallen wir seeligst einfach um und träumen den Traum im Schlaf weiter.
                                                                                                                    Zuletzt geändert von Sylvie; 17.08.2019, 11:13.

                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                      Erfahren
                                                                                                                      • 20.08.2015
                                                                                                                      • 361
                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                      Mittwoch, 17. Juli 2019: Schreibrausch im Paradies

                                                                                                                      Heute erlebe ich einen wahrhaften Schreibrausch. Gleich nach dem Frühstück fange ich an, es gibt so viel nachzuholen, ich bin tagelang im Rückstand. Stefan treibt sich derweil irgendwo im Park rum. Oder keine Ahnung, was der macht. Ich kann mich dafür jetzt nicht interessieren, denn ich muss schreiben und schreiben. Ich tue das in allen Körperlagen, in der Hütte auf dem Bett liegend, Blick auf’s Feuer...



                                                                                                                      ...dazwischen immer mal Saunagänge, Recherchen zu finnischen Pfadfindern, zum Ritzen, zum Rentenalter in Finnland, zu diversen Vögeln und Blumen, zu Fjellformationen, zu den Skanden, zwischendurch nick ich auch immer mal weg, dann wache ich auf und mach weiter. Was für ein herrlicher Tag! Bei den ersten Tagen in den Fjells habe ich anfangs Mühe, mich korrekt zu erinnern, wo sind wir gleich noch mal hoch? Welche Richtung sind wir gegangen? Woher kam der Wind? Das sah ja da oben alles so ähnlich aus. Und die Touren waren auch ähnlich, wir sind hoch, oben lang und irgendwo wieder runter, rein in den Wald, da war meist eine Feuerstelle, und dann erst kam unser eigentliches Ziel. Später dann, bei den jüngeren Ereignissen wird es leichter und alles fließt. Der Staudamm im Kopf ist endlich geöffnet und kann sich entleeren. Wenn auch zuweilen etwas unkontrolliert und übersprudelnd.

                                                                                                                      Wenn ich nicht mehr liegen kann, gehe ich ins Restaurant, bestell mir nen Kaffee, beobachte die Leute und schreibe hier einfach weiter. Und die Leute beobachten mich. Neugierig. Manchmal lächeln wir uns an. Aber nur zwei Sekunden, dann bin ich wieder im Text. Möglicherweise halten die mich für irre … wie ich da sitze, fiebrig, die Finger flitzen über das Papier, ohne Unterlass, selten schaue ich auf. Ein Tag schiebt sich zum anderen, ein Moment gebiert den nächsten, ein Gedanke weitet sich aus zur Idee, eine Beobachtung wird zum Gefühl. Ich schreibe so, wie andere reden. Ohne Punkt und Komma. Pausen mach ich nur kurz, wenn ein Tag beendet ist und ein neuer beginnt – also auf dem Papier, nicht in echt. Aber auch in echt fliegt die Zeit. Irgendwann fällt mir auf, dass ich wirklich lange, 60, 70 Minuten am Stück nur schreibe, ohne auch nur ein einziges Mal innezuhalten. Die Leute müssen wirklich denken, ich bin verrückt. Eine arme Irre, getrieben von blauer Tinte. Dieser Fokus verwundert mich, denn allzu oft habe ich Mühe, mich lange zu konzentrieren. Irgendwann steigt mein zweiter Kuli aus. Auch das Papier ist alle.

                                                                                                                      Ich gehe nach nebenan in den kleinen Laden und suche nach Ersatz. Es gibt aber weder Blöcke noch Stifte hier. Die nette Dame an der Kasse hilft aus: sie schenkt mir zwei Blatt Papier und borgt mir ihren Kugelschreiber. Zwei Blatt sind besser als nix. Ich nehme mir vor, klein zu schreiben. Zur Sicherheit nehm ich aber noch zwei Veranstaltungsflyer mit, die sind auf der Rückseite unbedruckt und zum Vollschreiben daher geeignet. Ich frage die Frau, ob ich ihr den Stift auch erst morgen zurückgeben kann. Ja, darf ich. (Als ich ihn aber am nächsten Tag brav wieder hinlegen will, schenkt sie ihn mir. Du kannst den brauchen, sagt sie lachend. Sie hat wohl gesehen, wie besessen ich bin. Jetzt habe ich einen schönen Kuli aus Pappe, auf dem Suomen Latu Kiilopää steht. Er schreibt hervorragend. Ein wahrhaft königliches Geschenk.)


                                                                                                                      Heute ist übrigens auch das Wetter sehr königlich.

                                                                                                                      Nach einigen Tassen Kaffee geh ich zurück in die Hütte und schreibe dort weiter. Stef ist inzwischen auch wieder da und baut sein Zelt zum Trocknen auf. Wir quatschen noch ne Weile, dann gehen wir Abendbrot essen. Dann schreibe ich wieder. Erst tief in der Nacht beende ich den Bericht. Unglaublich. Keine Ahnung, wie viele Stunden ich jetzt nur mit Pinseln zugebracht habe. Stef wird irgendwann wach davon und fasst lakonisch zusammen: Sylvie macht mal wieder keine halben Sachen. Dann dreht er sich um und schläft weiter.

                                                                                                                      Genau. Und hier kommt mein Fazit:
                                                                                                                      Dieses Jahr bin ich gesättigt vom Park. In meinem Fazit vom letzten Jahr hatte ich ja diverse Wünsche und Träume formuliert, und was soll ich sagen, einen Großteil davon haben wir wunderbar in die Tat umgesetzt. Hier ist ein Auszug meiner Wunschliste 2018:

                                                                                                                      Stef und ich kamen aber auch zu dem Schluss, dass wir auf dieser schmerzarmen Tour nicht richtig ausgelastet waren. Das hatten wir zwar genauso gewollt, wir wollten keine Hetzjagden durch wildes Gelände – jetzt aber wollen wir mehr.
                                                                                                                      1.)Wir wollen mehr sehen vom Park, vor allem die Regionen im Osten reizen uns sehr.
                                                                                                                      Also müssen wir entweder länger bleiben oder weiter laufen.
                                                                                                                      2.)Wir müssen es schon machen wie die Finnen: früher aufstehen, weitere Strecken zurücklegen und mittags ordentlich was zusammenkochen, damit wir gut über den Tag kommen.
                                                                                                                      3.)Der Gang durch Weglosigkeiten über die atemberaubenden Weiten der Fjälls soll noch mehr Gewicht und Gestalt bekommen. Und auch wenn ich die Hütten liebe, wir wollen uns unabhängiger machen von Hüttenromantik und –komfort. Auf Unwegen werden wir wandeln und unter Zeltplanen ruhen, bis wir uns sattgelüstet haben an Stille und Grenzenlosigkeit.
                                                                                                                      Die zweite Option, länger zu bleiben, steht natürlich auch zur Debatte. Dann allerdings müssten wir mehr Essen schleppen oder den Gürtel enger schnallen. Vielleicht machen wir auch beides? Weiter laufen und länger bleiben? Mit Tagen dazwischen wo wir uns vollends treiben lassen. Das hielte ich eigentlich für einen ganz ausgezeichneten Plan. Ob wir es schaffen, ihn durchzuziehen? Wir wissen es nicht, aber wir träumen davon. Und es ist nie verkehrt, einen guten Traum zu haben.


                                                                                                                      Wenn ich das jetzt hier für mich noch mal aufsplitte, dann komme ich auf eine erstaunlich feine Bilanz:
                                                                                                                      zu 1.) Wir sind im östlichen Teil gelaufen, so wie wir es wollten. Hier ist es wunderbar einsam und der Märchenwald ist russisch.

                                                                                                                      zu 2.) Früher aufgestanden als neulich sind wir nicht wirklich, aber da die Sonne nicht unterging, war das kein limitierender Faktor. Eine ordentliche Siesta aber (nur ohne drückende Hitze) haben wir dieses Jahr tatsächlich immer zelebriert. Geblieben sind wir mit acht Tagen, zwei Tage länger als 2018. Sehr viel weiter gelaufen als sonst sind wir eigentlich nicht. Zumindest gefühlt nicht. Nach rationaler Betrachtung der zurückgelegten Entfernungen haben wir dieses Gefühl leicht korrigiert und zumindest in Zahlen verankert. Knapp 120 Kilometer in sechs und zwei halben Tagen – wir sind’s zufrieden.

                                                                                                                      zu 3.) Die wunderbaren Fjälltouren haben wir wie geplant durchgezogen. Wir wissen jetzt, wie es ist, sich tagelang oben im Sturm rumzutreiben und mitten im Wald zu schlafen.

                                                                                                                      Insgesamt ist zu sagen: Wir hatten einen Traum und den haben wir in die Wirklichkeit gehoben. (Gottseidank hab ich ihn vorher aufgeschrieben und damit ein bisschen schon manifestiert.) Vor allem die wilden Touren durch die Tunturi waren atemberaubend und wunderschön. Kein Geschehnis auf dieser Welt kann jene tiefe Befriedigung hervorrufen, als genau das: ein Traum, der nicht wie Fortunas Glückshorn über Dich kam, sondern durch eigenes Tun (und unter Schmerzen) in Lehm gegossen und modelliert wurde. Das ist ein wunderbares und ganz besonderes Gefühl, das eine ganz besondere Sättigung hervorruft.

                                                                                                                      Gesättigt war ich auch anderweitig, denn mir persönlich war es ein bisschen zu anstrengend. Wandern ist in jedem Fall eine sehr körperliche Angelegenheit. Besonders, wenn einen die Zipperlein plagen, so wie es dieses Jahr bei mir ganz massiv der Fall war, kann diese physische Präsenz des eigenen Körpers alle anderen Eindrücke von Wetter, Landschaft und Leuten dann doch sehr stark einfärben oder gar überstrahlen. Ich wurde recht schmerzlich auf meine Sollbruchstellen zurückgeworfen. Es war niemals unaushaltbar, aber vielleicht werden ja die Signale, die der Körper aussendet, in dieser ungewohnten Reizarmut und Stille auch sehr viel stärker wahrgenommen, als im hektischen Alltag, wo unser überhitztes Gehirn sich immer wieder der permanenten Überreizung mit Lautem und Grellem zu stellen und sich ihr zu entziehen hat – ein aktiver Prozess, vermute ich, der Energie kostet. Diese Energie ist dann nicht mehr vorhanden, wenn man sie braucht, zum Beispiel, um seine eigenen Körpersignale genügend wahrzunehmen und richtig zu interpretieren. Beim Wandern hingegen gibt es von außen keine Reiz-Überlagerung mehr. Man hat plötzlich genügend Raum und Zeit, diese seltsamen Körpersignale zu empfangen. Nun ja, wie das am Ende ausgehen kann, beschrieb ich ja bereits.

                                                                                                                      Was mir sehr gefehlt hat, war das Schreiben unterwegs. Für mich scheint das offenbar ein ganz wesentlicher Teil der Wahrnehmung und Verarbeitung dieser Touren zu sein. Ich kam zu der Erkenntnis: Ich bin mehr der Schreiber, als der Wanderer. Laufen ist fein und ganz wunderbar, aber wenn ich es danach nicht aufschreiben kann, ist der Genuss nur ein halber. Dieser Wunsch-Drang nach geistiger Transformation des Erlebten hatte sich dann ja sogar im Außen manifestiert: in Emma, der Dichterin, die mir nachhaltig und eindrücklich an drei Tagen hintereinander über den Weg lief. Die mir gezeigt hat, wie man es auch machen kann. Und die mich tief beeindruckt hat. Sie hat mir ausdrücklich erlaubt, über sie und ihre Familie zu schreiben – darüber war ich sehr glücklich, denn sie hat die Geschichte am Ende rund gemacht. Ich meine, ich konnte ja anfangs nicht wissen, dass ich so wenig zum Schreiben kommen werde und dass es mir so fehlen würde. Und ich konnte auch nicht wissen, dass ich sie treffen werde, die mir genau das noch stärker bewusst macht. Gerade an jenem Tag, als ich sie kennenlernte, als wir vom Luirojärvi kamen, hatte ich noch zu Stefan gesagt, dass ich mir wünschte, ich würde mehr zum Schreiben kommen. Drei Stunden später tauchte sie auf und hielt mir meinen eigenen Wunsch direkt vor die Nase. Das Leben ist voller Wunder und seltsamer Koinzidenzen.

                                                                                                                      Schlussendlich die letzte Sättigung: Wir waren sehr überrascht über die vielen Leute, die wir am Ende der Tour im Park antrafen. Am Anfang ja nicht, im Prinzip war die Tour dreigeteilt: erst durch Finnisch-lieblich, dann sehr einsam über die Fjälls und dann sehr busy durch gemischte Landschaften und durch Menschenmassen. Das hat mich erschreckt und sehr nachdenklich gemacht. Auch die Holzknappheit an den Feuerstellen und dass wir den Wald um sein Totholz brachten, hat mich dazu gebracht, umzudenken. In letzter Konsequenz habe ich für mich die Entscheidung getroffen: Eine weitere Tour durch den Park wird es vorerst nicht geben. Zumindest im nächsten Jahr nicht – und auch jetzt, mehrere Wochen nach Beendigung der Tour, ist diese Entscheidung nicht durch relativierende Wankelmütigkeit geprägt. Vielleicht hat sich die Besucherzahl in ein paar Jahren ja wieder ein bisschen nach unten eingepegelt (bei Populationen ist es ja auch so: zu viele Raubfische – keine Friedfische mehr – weniger Raubfische – wieder mehr Friedfische), weil außer uns auch andere Leute auf die Idee kamen, den Park durch ihr eigenes Nichtkommen zu entlasten. Diese Entwicklung bleibt abzuwarten.

                                                                                                                      Ob und wo wir nächstes Jahr wandern werden, wissen wir noch nicht. Aber nach Skandinavien wollen wir schon. Stef und ich träumen im nächsten Sommer von einem Haus am See in Schweden. Dort wollen wir zwei Wochen lang chillen und angeln und gemeinsam Musik machen. Ein neuer Traum. Und wie bereits angedeutet: Es ist nie verkehrt, einen guten Traum zu haben.



                                                                                                                      Euch allen vielen Dank für's Mitkommen. Es war mir wie immer eine Freude, mit Euch in Kontakt zu treten.

                                                                                                                      Sylvie

                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                        • 27.02.2016
                                                                                                                        • 3287
                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                        vielen dank sylvie!

                                                                                                                        hier fehlt ein verbeug-smilie.

                                                                                                                        du bist schön zu lesen, ich mag alles von horror über hiker-sadomaso bis finnisch lieblich von dir. und vor allem, dass, wenn man schon die lösung vor augen hat immer noch eine kurve kommt.

                                                                                                                        ich freu mich schon wenn dich nächstes jahr der axtmann an der hütte am see besuchen kommt und dem stefan seinen stuhl wegnimmt. oder so ähnlich.

                                                                                                                        auf jeden fall brenn weiter, feuerwind! brennen ist das schönste was einem passieren kann!

                                                                                                                        das wird jetzt wieder ewig dauern bis du vom nächsten urlaub zurück bist.
                                                                                                                        danobaja
                                                                                                                        __________________
                                                                                                                        resist much, obey little!

                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                          Liebt das Forum
                                                                                                                          • 19.11.2008
                                                                                                                          • 10987
                                                                                                                          • Privat


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                                                                                                                          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                          Dein Bericht erinnert mich daran, dass ich da gern mal im Sommer, bzw. zur Ruska-Zeit hin möchte.

                                                                                                                          Der Gang durch Weglosigkeiten über die atemberaubenden Weiten der Fjälls soll noch mehr Gewicht und Gestalt bekommen. Und auch wenn ich die Hütten liebe, wir wollen uns unabhängiger machen von Hüttenromantik und –komfort. Auf Unwegen werden wir wandeln und unter Zeltplanen ruhen, bis wir uns sattgelüstet haben an Stille und Grenzenlosigkeit.
                                                                                                                          Wenn es Euch über der Baumgrenze so gut gefällt, solltet ihr vielleicht fürs nächste mal vielleicht ein anderes Gebiet angehen. So deutest Du es ja in deinem Fazit an, wenn auch aus anderen Beweggründen. Und es muss ja auch nicht Finnland sein.


                                                                                                                          Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                                          echt? Du kommst im Winter in eine so abgelegene Hütte? Interessant.
                                                                                                                          Auch die Holzknappheit an den Feuerstellen und dass wir den Wald um sein Totholz brachten, hat mich dazu gebracht, umzudenken.
                                                                                                                          Nur um das, was auch Zz anmerkte, und was in deinem Fazit anklingt, ein bißchen zu erläutern:

                                                                                                                          Anterinmukka würde ich nicht als abgelegen bezeichnen. Eigentlich würde ich keine Hütte im Urho Kekkonen als "abgelegen" bezeichnen.

                                                                                                                          Es gibt tatsächlich weit abgelegenere Hütten in Finnland, bspw. im (östlichen) Käsivarsi-Gebiet. Die werden so wenig von Wanderern frequentiert, dass sie nur alle zwei Jahre von den Rangern "gewartet" werden. Das heißt: Im Winter mit Skooter hochfahren, entmüllen, Holzvorräte auffüllen. Einmal in 24 Monaten.

                                                                                                                          Ein paar Hütten dort werden gar nicht mehr gewartet, das heißt kein Feuerholz, das muss man sich mitbringen (Öfen gibt es noch) und alles was Wanderer dort hinterlassen, wird zu Müll (falls es sich nicht von vornherein um solchen handelt). Ich habe letztes Jahr aus einer solchen Hütte ca. 3-4 kg mitgenommen bis zurück nach Kilpisjärvi (und noch einmal soviel im Ofen verbrannt).

                                                                                                                          Wenn man auf Wintertour geht, und beispielsweise die (auf längerer Tour immer anfallenden) Ruhetage plant oder Notfallpläne macht, tut man gut daran, vorab zu eruieren, wann die letzte Wartung in den einzelnen Hütten erfolgt ist. In einer Hütte, die schon zwei Sommer und eine Wintersaison hinter sich haben, würde ich nicht auf Holz zählen.

                                                                                                                          Ich habe schon zwei Mal im Winter unerwartet kein Holz gehabt, einmal im Urho-Kekkonen. Situationen, dass nur noch Langholz und dicke Stammabschnitte da sind, die man nach einem langen harten Tag und bei großer Kälte erst mühsam kleinmachen darf, sind dabei nicht mitgezählt (das ist schon blöd genug). Ich meine Schuppen leer, niente.

                                                                                                                          Sämtliches Holz für die Hütten und Zeltplätze dort wird übrigens im Urho-Kekkonen Nationalpark selbst geschlagen. In irgendeiner Touribroschüre steht die Menge zu lesen (müsste ich suchen), ungeheuerlich. Ich bin mal im Winter querfeldein gegangen und ca. 1 km von einer Hütte entfernt zufällig auf ein riesiges überdachtes Langholzlager gestoßen, mit Skooter und Anhänger durchfahrbar, wo Holz gelagert und getrocknet wurde.

                                                                                                                          Dem Wald ist es dabei natürlich völlig egal, ob das Holz im Sommer, Herbst, oder Winter von uns verheizt wird.
                                                                                                                          Zuletzt geändert von Sarekmaniac; 27.08.2019, 19:43.
                                                                                                                          Eshche odin zhitel' Ekaterinburga zabralsja na stolb, chtoby dokazat' odnoklassnice svoju bespoleznost'.
                                                                                                                          (@neural_meduza)

                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                            • 2024
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                                                                                                                            Hej Sylvie

                                                                                                                            Das war ja wie aus einem Buch, toll geschrieben und mit tollen Bildern untermalt. Vielen Dank fürs mitnehmen.

                                                                                                                            Viele Grüße Maik
                                                                                                                            "Freiheit bedeutet, dass man nicht alles so machen muss wie andere"

                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                              Zitat von Sarekmaniac Beitrag anzeigen
                                                                                                                              Ich habe schon zwei Mal im Winter unerwartet kein Holz gehabt, einmal im Urho-Kekkonen. Situationen, dass nur noch Langholz und dicke Stammabschnitte da sind, die man nach einem langen harten Tag und bei großer Kälte erst mühsam kleinmachen darf, sind dabei nicht mitgezählt (das ist schon blöd genug).
                                                                                                                              Wenn Du bei Ankunft in der Hütte kein Kleinholz vorfindest und zuerst sägen und spalten musst, kannst Du das den Vorgängern in der Hütte verdanken. Früher war es noch so, (ungeschriebenes Gesetz) dass man vor dem Verlassen der Hütte die verbrannte Holzmenge wieder ersetzt hat. Die Nachfolgenden freuten sich auch über etwas Birkenrinde oder 1-2 Kiehinen.

                                                                                                                              Zitat von Sarekmaniac Beitrag anzeigen
                                                                                                                              Sämtliches Holz für die Hütten und Zeltplätze dort wird übrigens im Urho-Kekkonen Nationalpark selbst geschlagen. In irgendeiner Touribroschüre steht die Menge zu lesen (müsste ich suchen), ungeheuerlich. Ich bin mal im Winter querfeldein gegangen und ca. 1 km von einer Hütte entfernt zufällig auf ein riesiges überdachtes Langholzlager gestoßen, mit Skooter und Anhänger durchfahrbar, wo Holz gelagert und getrocknet wurde..
                                                                                                                              Das Holz mag dort gelagert worden sein um es dann später aus dem Lager an die Bestimmungsorte zu verteilen. Geschlagen wurde es jedenfalls nicht im Park, denn Metsähalitus kauft das Holz beim günstigsten Anbieter.
                                                                                                                              Dieses Jahr wird zB. im Nationalpark Pallas-Yllästunturi und in den Käsivarsi Wildnis Gebieten sehr viel russisches Holz verbrannt, welches zum Teil bis zu tausend Kilometer Entfernung aus Russland herangekarrt wird.

                                                                                                                              Die Mengen an Brennholz sind enorm und man spricht schon von Bezahlung. Für die Sauna muss ja bereits ein Beitrag von 7€ bezahlt werden. Metsähalitus will die Holzmengen und Feuerstellen reduzieren und bittet die Wanderer die vorhandenen Gaskocher oder den eigenen Kocher zu verwenden. Den Leuten ist gar nicht bewusst, dass ein Holzstück mit allem drum und dran wie Holzpreis, Transport und Aufbereitung mit 1€ zu buche steht.
                                                                                                                              Um die jährliche Holzmenge für den Urho Kekkonen Nationalpark bildlich darzustellen nehme man einen Holzstapel von einem Meter in der Breite und Höhe sowie einer Länge von 650 Metern.

                                                                                                                              Es müssen in Lappland mehr als 200 Wildnis Hütten, ca. 300 Kota und Laavu sowie rund 500 Feuerstellen mit Holz versorgt werden. Um das alles zu transportieren, braucht es ca. 70 solcher Lastwagen.
                                                                                                                              Im Käsivarsi muss das zum Marktpreis gekaufte Holz meist zuerst über 100 Kilometer mit Lastwagen transportiert werden und anschließend noch rund 50 Kilometer mit dem Motorschlitten.

                                                                                                                              Der Aufwand für die finnischen Nationalparks ist enorm. Es sind noch ausstehende Unterhalts Arbeiten wie Wege, Brücken, Hütten etc. im Betrag von 44 Millionen € zu leisten und es wird jährlich immer mehr.
                                                                                                                              Die Kosten für "Hauswart Arbeit" in den großen Parks beträgt 200000-450000€ im Jahr. Darunter fallen zB. Abfallbeseitigung, Fäkalien Abtransport, Gasflaschen sowie kleine Reparaturen.

                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                Alter Hase
                                                                                                                                • 01.12.2004
                                                                                                                                • 3325
                                                                                                                                • Privat


                                                                                                                                #64
                                                                                                                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                Das problem unserer heutigen gesellschaft:

                                                                                                                                Alles ist selbstverständlich, keine Wertschätzung, kein Respekt, Egoismus.....




                                                                                                                                Zitat von Inarijoen Peter Beitrag anzeigen
                                                                                                                                Wenn Du bei Ankunft in der Hütte kein Kleinholz vorfindest und zuerst sägen und spalten musst, kannst Du das den Vorgängern in der Hütte verdanken. Früher war es noch so, (ungeschriebenes Gesetz) dass man vor dem Verlassen der Hütte die verbrannte Holzmenge wieder ersetzt hat. Die Nachfolgenden freuten sich auch über etwas Birkenrinde oder 1-2 Kiehinen.

                                                                                                                                Das Holz mag dort gelagert worden sein um es dann später aus dem Lager an die Bestimmungsorte zu verteilen. Geschlagen wurde es jedenfalls nicht im Park, denn Metsähalitus kauft das Holz beim günstigsten Anbieter.
                                                                                                                                Dieses Jahr wird zB. im Nationalpark Pallas-Yllästunturi und in den Käsivarsi Wildnis Gebieten sehr viel russisches Holz verbrannt, welches zum Teil bis zu tausend Kilometer Entfernung aus Russland herangekarrt wird.

                                                                                                                                Die Mengen an Brennholz sind enorm und man spricht schon von Bezahlung. Für die Sauna muss ja bereits ein Beitrag von 7€ bezahlt werden. Metsähalitus will die Holzmengen und Feuerstellen reduzieren und bittet die Wanderer die vorhandenen Gaskocher oder den eigenen Kocher zu verwenden. Den Leuten ist gar nicht bewusst, dass ein Holzstück mit allem drum und dran wie Holzpreis, Transport und Aufbereitung mit 1€ zu buche steht.
                                                                                                                                Um die jährliche Holzmenge für den Urho Kekkonen Nationalpark bildlich darzustellen nehme man einen Holzstapel von einem Meter in der Breite und Höhe sowie einer Länge von 650 Metern.

                                                                                                                                Es müssen in Lappland mehr als 200 Wildnis Hütten, ca. 300 Kota und Laavu sowie rund 500 Feuerstellen mit Holz versorgt werden. Um das alles zu transportieren, braucht es ca. 70 solcher Lastwagen.
                                                                                                                                Im Käsivarsi muss das zum Marktpreis gekaufte Holz meist zuerst über 100 Kilometer mit Lastwagen transportiert werden und anschließend noch rund 50 Kilometer mit dem Motorschlitten.

                                                                                                                                Der Aufwand für die finnischen Nationalparks ist enorm. Es sind noch ausstehende Unterhalts Arbeiten wie Wege, Brücken, Hütten etc. im Betrag von 44 Millionen € zu leisten und es wird jährlich immer mehr.
                                                                                                                                Die Kosten für "Hauswart Arbeit" in den großen Parks beträgt 200000-450000€ im Jahr. Darunter fallen zB. Abfallbeseitigung, Fäkalien Abtransport, Gasflaschen sowie kleine Reparaturen.
                                                                                                                                - - - Aktualisiert - - -

                                                                                                                                Das problem unserer heutigen gesellschaft:

                                                                                                                                Alles ist selbstverständlich, keine Wertschätzung, kein Respekt, Egoismus.....




                                                                                                                                Zitat von Inarijoen Peter Beitrag anzeigen
                                                                                                                                Wenn Du bei Ankunft in der Hütte kein Kleinholz vorfindest und zuerst sägen und spalten musst, kannst Du das den Vorgängern in der Hütte verdanken. Früher war es noch so, (ungeschriebenes Gesetz) dass man vor dem Verlassen der Hütte die verbrannte Holzmenge wieder ersetzt hat. Die Nachfolgenden freuten sich auch über etwas Birkenrinde oder 1-2 Kiehinen.

                                                                                                                                Das Holz mag dort gelagert worden sein um es dann später aus dem Lager an die Bestimmungsorte zu verteilen. Geschlagen wurde es jedenfalls nicht im Park, denn Metsähalitus kauft das Holz beim günstigsten Anbieter.
                                                                                                                                Dieses Jahr wird zB. im Nationalpark Pallas-Yllästunturi und in den Käsivarsi Wildnis Gebieten sehr viel russisches Holz verbrannt, welches zum Teil bis zu tausend Kilometer Entfernung aus Russland herangekarrt wird.

                                                                                                                                Die Mengen an Brennholz sind enorm und man spricht schon von Bezahlung. Für die Sauna muss ja bereits ein Beitrag von 7€ bezahlt werden. Metsähalitus will die Holzmengen und Feuerstellen reduzieren und bittet die Wanderer die vorhandenen Gaskocher oder den eigenen Kocher zu verwenden. Den Leuten ist gar nicht bewusst, dass ein Holzstück mit allem drum und dran wie Holzpreis, Transport und Aufbereitung mit 1€ zu buche steht.
                                                                                                                                Um die jährliche Holzmenge für den Urho Kekkonen Nationalpark bildlich darzustellen nehme man einen Holzstapel von einem Meter in der Breite und Höhe sowie einer Länge von 650 Metern.

                                                                                                                                Es müssen in Lappland mehr als 200 Wildnis Hütten, ca. 300 Kota und Laavu sowie rund 500 Feuerstellen mit Holz versorgt werden. Um das alles zu transportieren, braucht es ca. 70 solcher Lastwagen.
                                                                                                                                Im Käsivarsi muss das zum Marktpreis gekaufte Holz meist zuerst über 100 Kilometer mit Lastwagen transportiert werden und anschließend noch rund 50 Kilometer mit dem Motorschlitten.

                                                                                                                                Der Aufwand für die finnischen Nationalparks ist enorm. Es sind noch ausstehende Unterhalts Arbeiten wie Wege, Brücken, Hütten etc. im Betrag von 44 Millionen € zu leisten und es wird jährlich immer mehr.
                                                                                                                                Die Kosten für "Hauswart Arbeit" in den großen Parks beträgt 200000-450000€ im Jahr. Darunter fallen zB. Abfallbeseitigung, Fäkalien Abtransport, Gasflaschen sowie kleine Reparaturen.
                                                                                                                                \"wir haben gelernt wie vögel zu fliegen, wie fische zu schwimmen, aber wir haben verlernt wie menschen zu leben\"

                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                  Anfänger im Forum
                                                                                                                                  • 20.11.2013
                                                                                                                                  • 14
                                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                                  #65
                                                                                                                                  Hallo,

                                                                                                                                  wieder eine schöne Erzählung über Saariselkä/UKK, danke dafür! Es ist wie Neuigkeiten von alten Freunden zu hören. In den 80-90er Jahren war ich dort - schon an die 10 mal, fast ausschließlich im Winter. Anfangs sind wir fast immer alleine gewesen und die wenigen, die wir getroffen haben waren hauptsächlich Finnen. Es hat sich aber sehr geändert, es wurde immer voller und die "ungeschrieben Gesetze" wurden immer weniger beachtet - auch zum Teil deswegen weil die "Neuen" meistens keine Einheimische waren, was als solches nicht negativ ist, anfangs war es sogar spannend - aber es war schon sehr anders. Letztendlich habe auch ich den Entschluss getroffen, dass Saariselkä/UKK nichts mehr für mich ist. Nun, seit dem sind an die 20 Jahre vergangen und ich habe viele neue schöne Gegenden entdeckt und die Einsamkeit der "Wildnis" wieder gefunden. Natürlich hilft es wenn man eher schwierig erreichbare und eher unbekannte Zielorte aussucht im Zelt übernachtet und soweit es geht Wege und Pfade vermeidet - wenn man die Ruhe sucht.

                                                                                                                                  Viele Grüße, Fjellsurfer

                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                    Alter Hase
                                                                                                                                    • 28.08.2017
                                                                                                                                    • 3014
                                                                                                                                    • Privat


                                                                                                                                    #66
                                                                                                                                    OT: AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                    OT:
                                                                                                                                    Zitat von marcus Beitrag anzeigen
                                                                                                                                    Das problem unserer heutigen gesellschaft:

                                                                                                                                    Alles ist selbstverständlich, keine Wertschätzung, kein Respekt, Egoismus.....
                                                                                                                                    SCNR: Das Problem "unserer" früheren Gesellschaft: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Rassegesetze, StGB §175, BGB §1356 (Fassung bis 1977) usw.usf., zeugt eigentlich alles nicht von sonderlicher "Wertschätzung und Respekt"... Ein Glück, dass wir unsere heutige Gesellschaft haben. Frage des bevorzugten Blickwinkels halt.

                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                      Alter Hase
                                                                                                                                      • 01.12.2004
                                                                                                                                      • 3325
                                                                                                                                      • Privat


                                                                                                                                      #67
                                                                                                                                      AW: OT: AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                      Zitat von Ljungdalen Beitrag anzeigen
                                                                                                                                      OT:

                                                                                                                                      SCNR: Das Problem "unserer" früheren Gesellschaft: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Rassegesetze, StGB §175, BGB §1356 (Fassung bis 1977) usw.usf., zeugt eigentlich alles nicht von sonderlicher "Wertschätzung und Respekt"... Ein Glück, dass wir unsere heutige Gesellschaft haben. Frage des bevorzugten Blickwinkels halt.

                                                                                                                                      Was bitte haben die weltkriege mig dem heute fehlenden gegenseitigem respekt zu tun?
                                                                                                                                      \"wir haben gelernt wie vögel zu fliegen, wie fische zu schwimmen, aber wir haben verlernt wie menschen zu leben\"

                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                        Alter Hase
                                                                                                                                        • 28.08.2017
                                                                                                                                        • 3014
                                                                                                                                        • Privat


                                                                                                                                        #68
                                                                                                                                        OT: AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                        OT:
                                                                                                                                        Zitat von marcus Beitrag anzeigen
                                                                                                                                        Was bitte haben die weltkriege mig dem heute fehlenden gegenseitigem respekt zu tun?
                                                                                                                                        Ich schrieb nicht nur von Weltkriegen. Aus deinem "Das problem unserer heutigen gesellschaft" (Hervorhebung von mir) klang für mich "früher war alles (oder: genau das Aufgezähle) besser". War es nicht, denn das von mir Genannte zeugte in keiner Weise von "Wertschätzung, Respekt" und Altruismus (so verständlich?).

                                                                                                                                        Davon abgesehen, dass Geschichte *immer* mit gegenwärtigen Zuständen zu tun hat, vor allem, wenn es um "unsere heutige Gesellschaft" im Ganzen geht...

                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                          Erfahren
                                                                                                                                          • 20.08.2015
                                                                                                                                          • 361
                                                                                                                                          • Privat


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                                                                                                                                          [QUOTE=Sarekmaniac;1763602]

                                                                                                                                          Wenn es Euch über der Baumgrenze so gut gefällt, solltet ihr vielleicht fürs nächste mal vielleicht ein anderes Gebiet angehen. So deutest Du es ja in deinem Fazit an, wenn auch aus anderen Beweggründen. Und es muss ja auch nicht Finnland sein.


                                                                                                                                          Richtig. Das war auch unsere Idee. Aber nach all den Berichten, die ich hier schon gelesen habe, soll es im Sarek ja auch nicht unbedingt gerade leer sein. Was kannst Du empfehlen?


                                                                                                                                          Anterinmukka würde ich nicht als abgelegen bezeichnen. Eigentlich würde ich keine Hütte im Urho Kekkonen als "abgelegen" bezeichnen.

                                                                                                                                          Anterinmukka beschrieb ich auch nicht als abgelegen, sondern eine ganz alte Hütte am Kiertämäjärvi, die liegt wirklich ganz am nordöstlichen Rand des Parks. Aber letztlich hast Du Recht, auch diese Hütte ist nicht abgelegen, wenn man genau dort an der Raja Jooseppi in den Park einsteigt.

                                                                                                                                          Wenn man auf Wintertour geht, und beispielsweise die (auf längerer Tour immer anfallenden) Ruhetage plant oder Notfallpläne macht, tut man gut daran, vorab zu eruieren, wann die letzte Wartung in den einzelnen Hütten erfolgt ist. In einer Hütte, die schon zwei Sommer und eine Wintersaison hinter sich haben, würde ich nicht auf Holz zählen.

                                                                                                                                          Ich habe schon zwei Mal im Winter unerwartet kein Holz gehabt, einmal im Urho-Kekkonen. Situationen, dass nur noch Langholz und dicke Stammabschnitte da sind, die man nach einem langen harten Tag und bei großer Kälte erst mühsam kleinmachen darf, sind dabei nicht mitgezählt (das ist schon blöd genug). Ich meine Schuppen leer, niente.


                                                                                                                                          Hm... meine Bedenken bezogen sich ja eher auf das Totholz, das wir im Wald verbrannten und damit, meiner Meinung nach ungebührlich in die biologischen Kreisläufe eingriffen. Dann noch auf die Holzknappheit an den Feuerstellen - also an den Feuerstellen im Wald, nicht an den Hütten, da war sehr sehr viel Holz vorhanden, eigentlich so viel, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass man das bis zum nächsten Sommer irgendwie alle kriegen könnte. Andererseits...bei den Massen, die jetzt bereits schon im Sommer im Park waren... Also ja: ich gebe Dir Recht, etwas mehr Achtsamkeit und weniger Leichtsinn beim Verfeuern (auch wegen der Kosten, die weiter unten aufgeführt wurden) werden in Zukunft mein Handeln prägen. Komplett auf Feuer verzichten werde ich aber auch nicht. Man sollte das Kind nie mit dem Bade ausschütten.

                                                                                                                                          Viele Grüße
                                                                                                                                          Sylvie

                                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                                            Erfahren
                                                                                                                                            • 20.08.2015
                                                                                                                                            • 361
                                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                                            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                            Und auch noch mal zu den Kosten: Wir haben uns immer schon gewundert, warum das Wandern im Park so völlig kostenfrei ist. Es ist ja eben nicht nur Wald, der durchwandert werden darf, sondern die Feuerstellen werden bestückt, die Hütten und Brücken repariert etc. Ich persönlich hätte nichts dagegen, für die Tage im Park zu bezahlen, oder auch für das verbrauchte Holz. Es müsste sich dann ein gutes System erdacht werden, wie man die Gelder einnimmt. Das mit dem Sauna-Eintritt übers Handy funktioniert nämlich zumindest für Ausländer nicht, man kann da nur mit ner finnischen Nummer anrufen. Wir haben es schlussendlich so gelöst, dass wir zwei wackeren Burschen in Kiilopää die Nummer und 15 € gaben und sie baten, für uns dort anzurufen.

                                                                                                                                            Grüße

                                                                                                                                            Sylvie

                                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                                              Dauerbesucher
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                                                                                                                                              • 777
                                                                                                                                              • Privat


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                                                                                                                                              AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                              Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                                                              Wir haben es schlussendlich so gelöst, dass wir zwei wackeren Burschen in Kiilopää die Nummer und 15 € gaben und sie baten, für uns dort anzurufen.
                                                                                                                                              Sehr schlecht organisiert von der Parkverwaltung. Direkt bezahlen kann man nur im Infocenter Kiehinen in Saariselkä oder in Tankavaara beim Koilliskaira Natur Zentrum.
                                                                                                                                              Ich meine sicher 80% (oder mehr) der Wanderer betreten/verlassen den Park in Kiilopää. Dort sollte man die Saunabenutzung bezahlen können.

                                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                                Alter Hase
                                                                                                                                                • 27.02.2016
                                                                                                                                                • 3287
                                                                                                                                                • Privat


                                                                                                                                                #72
                                                                                                                                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                darf ich hier mal schnell zwischenfragen wie das denn generell geregelt ist?

                                                                                                                                                hängt ein preisaushang in der hütte? kosten die alle gleich? wieviel ca je nacht? gas und feuerholz extra dazu? kostet zelten dort was, oder nur in der hütte schlafen?

                                                                                                                                                hernach überweisung? kasse in der hütte? abarbeiten?

                                                                                                                                                kann man reservieren? wie wird das gehandhabt in der hütte wenn voll ist? der axtmann zb wird keine reservierung brauchen
                                                                                                                                                danobaja
                                                                                                                                                __________________
                                                                                                                                                resist much, obey little!

                                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                                  Erfahren
                                                                                                                                                  • 20.08.2015
                                                                                                                                                  • 361
                                                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                                                  #73
                                                                                                                                                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                  Zitat von danobaja Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                  darf ich hier mal schnell zwischenfragen wie das denn generell geregelt ist?

                                                                                                                                                  hängt ein preisaushang in der hütte? kosten die alle gleich? wieviel ca je nacht? gas und feuerholz extra dazu? kostet zelten dort was, oder nur in der hütte schlafen?

                                                                                                                                                  hernach überweisung? kasse in der hütte? abarbeiten?

                                                                                                                                                  kann man reservieren? wie wird das gehandhabt in der hütte wenn voll ist? der axtmann zb wird keine reservierung brauchen
                                                                                                                                                  Hallo Dan,
                                                                                                                                                  der Axtmann braucht nicht mal ne Tür, er schlägt sich so durch... Aber Reservierungen von anderen würde er lieben. :-)

                                                                                                                                                  Die meisten Hütten kosten nichts, auch Gas und Feuerholz sind kostenlos. Es gibt ein paar private Hütten (Varaustupa), da kostet die Nacht 11 Euro. Man "kauft" die Übernachtungen in den jeweiligen Hütten vor Beginn der Tour in der Touristeninfo Sariselkä (oder in Kiilopää ist es glaub ich auch möglich). Dann bekommt man einen Schlüssel mit auf den Weg, der in jeder Hütte passt. Zum gegebenen Tag kann man dann in der jeweils gebuchten Hütte übernachten, theoretisch aber auch in jeder anderen Hütte, falls diese nicht voll ist.

                                                                                                                                                  Keine Ahnung, wie man das Bezahlsystem, falls man es einführen wollte, händeln will. Eine Kasse am Eingang des Parks? Ich würde für jeden Tag eine Pauschale berechnen, egal ob man in Zelt oder Hütte schläft, dazu eine Feuerholzpauschale, fertig. Irgendwann wird man das alles mit Trackern und Apps lösen, schätze ich.

                                                                                                                                                  Auf Deinen wundertollen Kommentar am Ende meines Haupt-Textes antworte ich noch separat. Das wollte ich mir bis zum Schluss aufheben, denn das Beste kommt immer zum Schluss. Ich hatte jetzt nur keine Zeit, da ich schon wieder auf der nächsten Tour war.

                                                                                                                                                  Bis bald

                                                                                                                                                  Sylvie

                                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                                    Fuchs
                                                                                                                                                    • 10.10.2017
                                                                                                                                                    • 2024
                                                                                                                                                    • Privat


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                                                                                                                                                    Ich finde das System für den Glaskogen zum Beispiel ganz gut wenn es darum geht. Ist quasi wie eine Eintrittkarte.
                                                                                                                                                    "Freiheit bedeutet, dass man nicht alles so machen muss wie andere"

                                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                                      Erfahren
                                                                                                                                                      • 20.08.2015
                                                                                                                                                      • 361
                                                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                                                      AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                      Zitat von Pfiffie Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                      Ich finde das System für den Glaskogen zum Beispiel ganz gut wenn es darum geht. Ist quasi wie eine Eintrittkarte.
                                                                                                                                                      Hallo Maik,
                                                                                                                                                      ja, klingt erst mal gut, wie sie es dort handhaben, auch wenn ich 60,- pro Tag bisschen viel finde. Was ich aber sehe, ist der Fakt, dass man praktisch überall einsteigen kann in solche Parks. Dann ist die Kasse an nur einem Platz ungünstig.

                                                                                                                                                      Liebe Grüße

                                                                                                                                                      Sylvie

                                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                                        Fuchs
                                                                                                                                                        • 10.10.2017
                                                                                                                                                        • 2024
                                                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                                                        AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                        Das stimmt, man kann sie aber glaube auch online kaufen und man muss es ja nicht ganz genau so umsetzen.
                                                                                                                                                        "Freiheit bedeutet, dass man nicht alles so machen muss wie andere"

                                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                                          Erfahren
                                                                                                                                                          • 20.08.2015
                                                                                                                                                          • 361
                                                                                                                                                          • Privat


                                                                                                                                                          #77
                                                                                                                                                          AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                          Zitat von Pfiffie Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                          Hej Sylvie

                                                                                                                                                          Das war ja wie aus einem Buch, toll geschrieben und mit tollen Bildern untermalt. Vielen Dank fürs mitnehmen.

                                                                                                                                                          Viele Grüße Maik
                                                                                                                                                          Vielen Dank Maik,
                                                                                                                                                          freut mich sehr, dass es Dir gefallen hat. Wir sehen uns, schätze ich, im Forum immer wieder. Mal hier, mal dort. :-)

                                                                                                                                                          Liebe Grüße
                                                                                                                                                          Sylvie

                                                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                                                            Erfahren
                                                                                                                                                            • 20.08.2015
                                                                                                                                                            • 361
                                                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                                                            AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                            Zitat von Fjellsurfer Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                            Hallo,

                                                                                                                                                            wieder eine schöne Erzählung über Saariselkä/UKK, danke dafür! Es ist wie Neuigkeiten von alten Freunden zu hören. In den 80-90er Jahren war ich dort - schon an die 10 mal, fast ausschließlich im Winter. Anfangs sind wir fast immer alleine gewesen und die wenigen, die wir getroffen haben waren hauptsächlich Finnen. Es hat sich aber sehr geändert, es wurde immer voller und die "ungeschrieben Gesetze" wurden immer weniger beachtet - auch zum Teil deswegen weil die "Neuen" meistens keine Einheimische waren, was als solches nicht negativ ist, anfangs war es sogar spannend - aber es war schon sehr anders. Letztendlich habe auch ich den Entschluss getroffen, dass Saariselkä/UKK nichts mehr für mich ist. Nun, seit dem sind an die 20 Jahre vergangen und ich habe viele neue schöne Gegenden entdeckt und die Einsamkeit der "Wildnis" wieder gefunden. Natürlich hilft es wenn man eher schwierig erreichbare und eher unbekannte Zielorte aussucht im Zelt übernachtet und soweit es geht Wege und Pfade vermeidet - wenn man die Ruhe sucht.

                                                                                                                                                            Viele Grüße, Fjellsurfer
                                                                                                                                                            Hallo Fjellsurfer,
                                                                                                                                                            für den Winter kann ich nicht sprechen, aber im Sommer und Herbst haben wir im Park hauptsächlich Finnen getroffen, Ausländer waren eher in überschaubarer Anzahl unterwegs. Ich weiß nicht genau, ob die Bewanderungsdichte dieses Jahr nur die Ausnahme war oder ob sich hier ein Trend abzeichnet. Ich vermute aber Letzteres, wenn selbst die sonst eher wenig frequentierten Hütten gut besucht waren. Die einzige Möglichkeit, Trends entgegen zu wirken, sehe ich für mich darin, diesen Trend nicht mehr mitzumachen. Spannend bleibt dennoch die Frage, wie sich solche Trends entwickeln. Warum war zum Beispiel auch das Touristenzentrum in Kiilopää (am Rande des Parks) dieses Jahr im Sommer regelrecht überfüllt? Haben die ne Werbekampagne geschaltet, dass der Besuch dieser Gegend durchaus auch im Sommer lohnenswert ist? Wie hat sich das rumgesprochen? Liegt es vielleicht auch am Wetter? Welche Faktoren spielen eine Rolle, dass Menschen sich entscheiden, den Park oder die Umgegend zur gleichen Zeit aufzusuchen? Liegt es ausschließlich an der relativ guten Erreichbarkeit des Parks? Wurde diese eventuell in den letzten Jahren verbessert durch zusätzliche Bus- oder Bahnlinien? Wurde das Wandern an sich in den Medien mehr beworben, so als finnische Tugend? Wurde es in den Schulen mehr zum Thema gemacht? Haben die Leute mehr oder weniger Geld, dass sie sich für einen solchen Urlaub entscheiden? Gibt es die Entwicklung, dass die Menschen mehr gestresst sind und deshalb verstärkt die Erholung in der Natur suchen? Fürchten sie vielleicht auch, dass es die Wälder irgendwann in dieser Form nicht mehr geben wird? Diese Faktoren ausfindig zu machen und zu analysieren, hielte ich für eine spannende Angelegenheit. Trends könnten früher ausfindig gemacht und (im Sinne des Naturschutzes) entsprechend reguliert werden. Falls das nicht passiert, erfolgt eben verzögert und eventuell weniger nachhaltig die Selbstregulation: Park zu voll, Leute gehen nicht mehr hin. Oder aber die Entwicklung geht in Richtung: Jeder geht hin, weil es ist so schön, so viele Menschen dort zu treffen. Eine andere Klientel würde einziehen... na ich weiß nicht...

                                                                                                                                                            Mit diesen offenen Fragen lass ich das Ganze jetzt einfach mal im Raum stehen. Die Zeiten ändern sich, das ist gewiss.

                                                                                                                                                            Viele Grüße
                                                                                                                                                            Sylvie

                                                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                                                              Erfahren
                                                                                                                                                              • 20.08.2015
                                                                                                                                                              • 361
                                                                                                                                                              • Privat


                                                                                                                                                              #79
                                                                                                                                                              AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                              Zitat von danobaja Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                              vielen dank sylvie!

                                                                                                                                                              hier fehlt ein verbeug-smilie.

                                                                                                                                                              du bist schön zu lesen, ich mag alles von horror über hiker-sadomaso bis finnisch lieblich von dir. und vor allem, dass, wenn man schon die lösung vor augen hat immer noch eine kurve kommt.

                                                                                                                                                              ich freu mich schon wenn dich nächstes jahr der axtmann an der hütte am see besuchen kommt und dem stefan seinen stuhl wegnimmt. oder so ähnlich.

                                                                                                                                                              auf jeden fall brenn weiter, feuerwind! brennen ist das schönste was einem passieren kann!

                                                                                                                                                              das wird jetzt wieder ewig dauern bis du vom nächsten urlaub zurück bist.
                                                                                                                                                              Lieber Dan,
                                                                                                                                                              auch jetzt, Wochen nach Deinem Kommentar hier, bin ich noch immer gerührt davon. Vielen Dank, das macht Mut. Vielleicht wird der Axtmann ja nächstes Jahr im Sommer endlich mal in Lehm gegossen und modelliert, damit er sein klägliches Dasein als unausgereifte Horror-Figur in meinem Kopf beenden kann. Zeit genug wäre ja dann in einer Hütte am See, die inspirierende Landschaft direkt vor Augen, ohne sie mühsam durchwandern zu müssen... Eine Idee, einmal gedacht, wirkt terroristisch irgendwie.... Aber immer ist es der Kleinmut, der mich an vielen Dingen hindert. Das sei nun beendet. Das Feuer ist ja schon da, es muss nur noch gefüttert werden.

                                                                                                                                                              Auf in ein neues Abenteuer! Schneesturm und Feuerwind!!!

                                                                                                                                                              Ich denke an Dich, lass es Dir gut gehen, bis vielleicht ganz bald?

                                                                                                                                                              Sylvie

                                                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                                                Erfahren
                                                                                                                                                                • 20.08.2015
                                                                                                                                                                • 361
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                                                                                                                                                                AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                                Wenn die Lokal-Journalisten Deine Beiträge verfolgen und davon recht angetan sind, dann kommt am Ende sowas bei raus. Ich finde, das ist ein krönender Abschluss meiner Schreiblaufbahn hier. Zumindest erst mal vom UKK.



                                                                                                                                                                Ahoi in die Runde!

                                                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                                                  Fuchs
                                                                                                                                                                  • 02.09.2016
                                                                                                                                                                  • 1511
                                                                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                                                                  #81
                                                                                                                                                                  AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                                  Zitat von Sylvie Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                                  ein krönender Abschluss meiner Schreiblaufbahn hier.
                                                                                                                                                                  Was heißt hier "Abschluß"...? Wir erhoffen uns noch mehr Berichte von Dir.

                                                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                                                    Erfahren
                                                                                                                                                                    • 20.08.2015
                                                                                                                                                                    • 361
                                                                                                                                                                    • Privat


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                                                                                                                                                                    AW: [FI] Über die Fjälls in Lappland: Vom Wandern und Schreiben

                                                                                                                                                                    Zitat von Fjellfex Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                                    Was heißt hier "Abschluß"...? Wir erhoffen uns noch mehr Berichte von Dir.
                                                                                                                                                                    Ja. Der "Abschluss" war auf dieses Jahr gemünzt. Mal gucken, wohin es uns verschlägt im nächsten Jahr. Dann sehen wir uns wieder. Bis dahin. Salut et bonne chance!

                                                                                                                                                                    Sylvie

                                                                                                                                                                    Kommentar