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    [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

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    Wer glaubt, ich wäre mit dem Klapproller von Hamburg nach München gefahren oder hätte weglos den Mt. Everest bestiegen, der irrt leider. Es wurde: Eine Bahnreise. Aus der Not geboren entwickelte sie sich zu einem grandiosen Erlebnis, an dessen Verlauf ich Euch gerne teilhaben lassen möchte. Im Gepäck: Ein Interrail-Ticket (10 Tage innerhalb von 22 Tagen), ein Klapproller, Zeltgerödel, Reisegerödel und ein Jugendherbergsausweis. Die ersten beiden Übernachtungsstationen waren geplant, wie auch der Besuch in der Schweiz, alles andere ergab sich spontan. Eine Fahrradreise ohne Fahrrad sozusagen. Dafür hatte ich eben die Bahn. Und den Roller.

    Warum diese Reise und keine Fahrradtour? Bereits in den ersten Januartagen schwante mir, dass dieses Jahr nicht mein Jahr wird. Meine sorgfältig geplante Klapprodelwanderung scheiterte an dem fehlenden Schnee, während andere zwei Monate später bei besten Schneeverhältnissen ihre Wintertouren durchführten. Aber ich hatte bereits einen neuen Plan: Eine Wanderung in Finnland und Anreise mit dem Motorrad. Dachte ich. Da traf mich ein hinterhältiger, unerwarteteter, schwerer Fall von Obsoleszenz. Obsoleszenz von lateinisch obsolescere, laut wikipedia „sich abnutzen, alt werden“, was bedeutet, dass ein Produkt auf natürliche oder künstliche Art veraltet ist oder altert. Um es kurz zu machen: Meine Knie und mein schon seit einigen Jahren muckendes rechtes Handgelenk entschieden sich, den gewohnten Dienst zu versagen. Wandern? Nicht möglich. Schweres Gewicht tragen? Aua. Fahrradfahren? Tut weh. Motorradfahren? Keine Chance. Streckenweise konnte ich nur mit Mühe ins Zelt krabbeln. Und nun?






    Um Ideen bin ich ja nie verlegen und so war klar, dass ich wohl endlich mal die Fahrt nach Kroatien in Angriff nehmen muss. Vielleicht noch Mazedonien? Griechenland? Meine Kollegin aus Mazedonien ist von dieser Idee sehr angetan (und meint, wenn ich gerne in der Hitze verglühen wollen würde, wäre das eine exzellente Wahl – im September ist immer noch mit über 40 Grad zu rechnen), verweist aber zusätzlich auf Rom. Rom sei schön. Hhm. Italien? Eigentlich nicht so mein Fall. Ich entscheide mich für Kroatien (das ich – dies vorweg – wieder nicht erreichen werde). Mit dem Motorrad scheidet aus. Das Auto? Nein, danke. Die Vorstellung, stundenlang im Auto zu sitzen, widert mich an. Warum nicht wieder die Bahn? Interrail, wie in Finnland? Die Vorstellung begeistert mich. Prompt schmiede ich Pläne. Griechenland ist mit dem internationalen Zugverkehr nicht mehr erreichbar, nur noch mit Bussen. Von dort doch nach Italien und über die Schweiz zurück? Und dort Becks und Vegareve besuchen? Ich grübele und beschließe die endgültige Entscheidung zu vertagen. Inzwischen besitze ich einen Roller, der mir beim Muskelaufbau hilft. Aber die Reichweite ist gering, für eine Tour reicht das nicht. Also Bahnfahren und nur einen kleinen Rucksack mitnehmen? Aber ohne Zelt verreisen geht gar nicht. Ich schaue sehnsuchtsvoll auf meinen Klapprodel, der mir so gute Dienste geleistet hatte. Leider wird wohl kein Schnee zu erwarten sein. Vielleicht statt dessen den Rollwagen mitnehmen? Der löst aber das Problem nicht, dass ich längere Strecken nur schwer zu Fuß bewältigen kann. Ein Klapproller wäre dagegen geeignet. Ich informiere mich beim Berliner Tretrollershop und drücke mich um die Entscheidung. Viel Geld für einen Zweitroller. Andererseits wäre dieser auch im Alltag von Nutzen – den gelben Kostka kann ich in der U-Bahn nicht in den Stoßzeiten mitnehmen und schon öfter habe ich mir gewünscht, mich hin setzen zu können.
    Im Mai entscheide ich mich dann doch, den Mibo Folding Master zu bestellen. Er fährt sich gut. Die Idee ist geboren. Es gibt sogar einen Gepäckhalter dafür, doch diesen bestelle ich nicht. Ich entscheide mich, den Aufsatz meines Rollwagens mit zu nehmen. Er ist zugleich ein Rucksack. Kein Leichtgewicht, aber er lässt sich an den Lenker hängen und kann das Zeltgerödel aufnehmen. Die Elektronik, die Wäsche und der Hygienebeutel sowie das Futter kommen in den Vaude Rock 25, den ich sonst auch auf dem Fahrrad immer mitnehme. Robust, wasserdicht und ziemlich diebstahlsicher (er hat keine Fronttaschen).





    Dominik meldet sich und will nun doch ein Forumscamp im Angriff nehmen. Im August ist er noch da. Ich nehme eine Deutschlandkarte zur Hand und sehe, dass die Mitte von Deutschland ungefähr bei Erfurt liegt. Thüringen – warum nicht? Ich schlage die Gruppenhausseite auf und das fünfte Bild zeigt eine Hütte auf einer Wiese. Mein Herz macht „hüpf“ und ich weiß, das ist es. Pflichtbewusst schaue ich mir noch weitere 45 Objekte an, aber nichts sagt mir zu. Ich frage Ende August an (vor meinem Urlaub), hoffe aber, dass es September wird (nach meinem Urlaub). Der Platz ist Ende August frei, die anderen Termine sind schon belegt. Damit ist es entschieden. Leutenberg in Thüringen wird meine erste Station. Als Rhodan76 schreibt, dass wir uns keine schlechte Gegend für das Forumscamp ausgesucht haben, fällt mir ein Stein vom Herzen. Vor lauter Freude buche ich meine zweite Station: Wien. Da ich von Leutenberg schlecht wegkomme, plane ich eine Zwischenübernachtung in München. Der Preis für die Jugendherberge ist fett: 31 Euro im 6-Bett-Zimmer. Ich lege 10 Euro für ein Einzelzimmer drauf, falls ich das Zelt trocknen muss. Auf ODS Treffen regnet es ja bekanntlich in Strömen. Die Bahnfahrkarten sind ebenfalls schnell gebucht: HH-Leutenberg kostet 24 Euro, München 21 Euro und Wien ebenfalls 21 Euro. Damit kann ich leben. Ab Wien habe ich dann das Interrail-Ticket (Anmerkung: Interrail heißt, dass man nicht im Heimatland fahren darf) zur Verfügung.

    Am Wochenende vor meinem Urlaub – bis dahin habe ich der Sache noch nicht ganz getraut, wer weiß, ob ich wirklich in Urlaub fahren kann, bei meinem Glück – rollere ich zum Bahnhof und kaufe das Interrail-Ticket. Eigentlich soll es ein 15 Tage Ticket werden und ich halte es schon in der Hand. Da erklärt mir die Bahnmitarbeiterin, dass ich auch damit die Züge dokumentieren muss. Wie doof. Ich frage, ob ich umbuchen kann und sie lacht: Wenn ich es jetzt sofort mache, kein Problem. Gesagt, getan. Ich buche auf 10 Tage in 22 Tagen um, spare dadurch 42 Euro und kann sogar länger unterwegs sein. Mehr Tage brauche ich sowieso nicht, ich bin ja nicht auf der Flucht, sondern will auch ein wenig Outdoor sein und mich umsehen. Beglückt rollere ich heimwärts und merke, dass mein linker Fuß ziept. Vielleicht habe ich mal wieder zuviel Temperament gezeigt, aber ich bin zuversichtlich, dass sich das morgen wieder geben wird. Denke ich. Es wird sich als schwerwiegende Verletzung entpuppen. Glückskind eben. Als Schuhe nehme ich meine Hanwag Alaska mit, die etwas mehr Stabilität geben als die leichten Sommerschuhe. Mittwoch Abend wird gepackt – es dauert nur kurz, ich weiß blind, was ich brauche. Das kleine Dragonfly XT kommt mit. In Kroatien kann es windig sein, da will ich Stabilität. Das ist mir 2 kg wert. Der Footprint kann als Tarp dienen. Und am nächsten Morgen geht es dann los.


    29.08. bis 2.9.2013 Leutenberg und München

    Die Zugfahrt nach Leutenberg in IC und Regionalzug funktioniert gut. Ich klappe den Roller ein und verberge ihn in einer Rucksackhülle, die im Winter bereits meinen Klapprodel getarnt hatte. Gegen halb fünf treffe ich in Leutenberg ein. Mein Fuß tut weh und vorsichtig rollere ich vom Bahnhof Richtung Zeltplatz. Der Weg ist nicht ganz eben und der Rollwagenrucksack gibt dem Roller Frontlast. Solange ich drauf stehe, kein Problem, aber Absteigen sollte ich besser nicht. Die Wiese vor dem Gruppenhaus ist huckelig und äußerste Sorgfalt ist vonnöten, kurz, der Roller schlackert ganz schön. Schwerer Geländeeinsatz ist nicht zu empfehlen. Mein Fuß schmerzt, aber ich bleibe tapfer. Auf der Kräuterwanderung geht das Laufen ganz gut, aber als ich dann den Ehrgeiz habe, auch die geführte Wanderung mit zu machen, merke ich a) meinen Fuß und b) die Schwäche im Knie. Das hält mich nicht davon ab, den „Gipfel“ zu erklimmen und mich auf dem Rückweg voll auf die Schnauze – besser – aufs Knie zu legen. Eine Schürfwunde am linken Knie und ein fettes Loch in meiner Reisehose sind das Resultat. Schlimmer kann es nun nicht werden. Eher besser. Die anderen fragen nett nach meinem Befinden und ich komme mir vor wie ein Greis. Wo soll das enden.
    Am Sonntag ist Abreise und lina fährt mich netterweise zum nächsten Bahnhof (Kaulsdorf / Saale), damit ich nicht umsteigen muss. Wir fragen in einer Seitenstraße nach dem Weg und in der Kurve steht ein Herr mit Kappe, der mir irgendwie bekannt vor kommt. Aber das kann natürlich nicht sein. Oder kenne ich den aus dem Fernsehen? Als er den Kopf zu uns wendet, kommt mir ein leiser Verdacht und ich winke schüchtern. Auch der Herr schaut erstaunt auf das Auto und tritt näher. Tatsächlich: Es ist Göga! Er fotografiert ein Schloss. Lina wendet das Auto und schwungvoll kommt von vorne ein Kennzeichen aus NRW. Ein Betrieb hier! Es sind rumtreiberin und Sabine38. Der Ort wird dank ODS schlagartig zum Zentrum touristischen Lebens!

    Wir finden den Bahnhof und kombinieren, welches Gleis richtig ist. In Nürnberg muss ich in den ICE umsteigen und kann mich eines kleinen Triumphes nicht erwehren, dass ich mit einem zweirädrigen Gefährt in einen ICE einsteigen kann. Dann bin ich recht schnell in München. Ich lasse es mir nicht nehmen, zur Jugendherberge zu rollern und es geht erstaunlich gut. Meinem Fuß empfehle ich, sich ruhig zu halten. Die JH ist ein älteres Gebäude und ich soll ein Zimmer im 7. Stock beziehen. Einen Aufzug gibt es nicht. Ich bitte um Gnade und erhalte ein Zimmer im Nebengebäude im 2. Stock. Der Roller wiegt 9 kg und die Ausrüstung ca. 13 kg, das muss ich nicht in den 7. Stock transportieren. Es ist ein lauer Abend und ich humpele ein wenig auf der Straße herum. Das Restaurant mit bayrischer Küche ist geschlossen, aber ich finde ein nettes vietnamesisches Restaurant. Bei einem guten Essen klingt der Tag aus.





    Am nächsten Morgen ist meine Fußsohle dick geschwollen und ich besorge Beinwellsalbe in der Apotheke. Außerdem erstehe ich beim Kaffeeröster ein neues Portemonnaie, da mein altes einen Reißverschlussdefekt hat. Dann rollere ich vorsichtig zum Bahnhof. Das Viertel sieht nett aus. Auf dem Bahnhof spricht mich ein Mann auf den Roller an. Er macht Fahrradtouren, findet die Idee mit einem Klapproller allerdings sehr interessant. Der Zug fährt nach Budapest und viele Ungarn stehen am Bahnsteig. Ich klappe den Roller zusammen und los geht es. Die nächste Station ist Wien. Ich habe für zwei Tage ein Zimmer im Hostel vorgebucht. Sie kosten weniger als eine Nacht München.
    Zuletzt geändert von Torres; 22.03.2015, 20:59. Grund: geotagging
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    #2
    AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

    Juhu, es geht los!















    – schreib schneller!

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    • Torres
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      #3
      AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

      02.09.-03.09.2013 Wien

      Die Fahrt vertreibe ich mir zunächst mit „Wachtmeister Studer“ von Friedrich Glauser (E-Book Reader), Zürich 1936. Dann befinde ich mich unerwartet „Out of Rosenheim“. Erste Hügelketten der Alpen tauchen auf und als ein Mädchen mit dem Fotoapparat ans Fenster stürzt und sich ärgert, dass Häuser das Fotomotiv verstellen, entdecke ich über den Dächern Salzburgs die Festung Hohensalzburg. Ich esse den Rest des Ziegenkäses aus Thüringen, der als Geschenk für Vegareve gedacht war, aber zu zwei Dritteln einem Hund zum Opfer gefallen war, der ihn aus der Apsis meines verschlossenen Zeltes geraubt hatte (Klein-Atze war es nicht!). Gegen 15.30 Uhr erreiche ich Wien. Ich besorge mir für Mittwoch eine Reservierung nach St. Gallen und erhalte den Tipp, dass die Fahrt mit dem Regionalzug über den Bernina Pass genau so schön ist, wie die Bernina Bahn. Diese Strecke will ich unbedingt fahren.





      Mein Navi hat mal wieder im ausgeschalteten Zustand die Batterien entladen und als es mir endlich Wien anzeigt, sind nur die Ausfallstraßen sichtbar. Ein Mann mit Smartphone googelt den Weg, so dass ich die ungefähre Fahrtrichtung kenne. Auf der Hauptstraße ist es für Rollerfahren zu voll, aber Wien ist logisch aufgebaut und ich fahre parallel. In 15 Minuten bin ich am Hostel in der Myrthengasse. Es wirkt sehr ansprechend, ich erhalte ein Zimmer zum Hof hinaus. Das Gepäck kann in Schränken verwahrt werden, wobei man ein eigenes kleines Schloss dabei haben sollte (habe ich). Im Hof treffe ich ein Kieler Ehepaar, das berichtet, dass man für 7 Euro abends warmes Essen vom Buffett bekommt. Das Essen ist tatsächlich phantastisch und dank Rindfleisch mit Knödeln bekomme ich endlich das mir kürzlich verwehrte Essen (Insider). Ich suche und finde einen Supermarkt und kaufe Mineralwasser. Die Häuser sind schön, viele Kneipen, Lokale und Geschäfte sind zu sehen und ich kann verstehen, warum Wien als eine der Städte mit hoher Lebensqualität gilt. Die Einwohnerzahl ist etwas höher als die Hamburgs, aber nicht viel. Wenn nur der Verkehrslärm nicht wäre. Durch die engen Häuserschluchten gibt es kein Entrinnen.


      Am nächsten Morgen ist das Wetter zwar warm, aber durchwachsen. Ich rollere die Burggasse in Richtung Innenstadtring und stelle fest, dass Wien perfekte Rollerverhältnisse bietet. Leichte Steigungen und immer wieder leicht bergab. Kein Wunder, dass ich gestern schon zwei weitere Rollerfahrer gesehen habe - allerdings die mit kleinen Rädern. Der Verkehr dröhnt in den Straßen. Ich rollere auf Kaiserin Maria Theresia zu, eindrucksvoll sitzt sie auf dem von Kaiser Franz Joseph I. errichteten Sockel - aber ich merke, dass ich gereizt bin. Am Ende der Reise hätte ich die Besichtigung wohl anders angegangen, aber an dem Tag will ich einfach nur weg. Ins Grüne. Irgendwohin, wo die Autos nicht so laut sind.
      Ein Schild führt zu "Sissi", ein Tribut an die Deutschen vermutlich und ihren Romy-Schneider-Sissi-Kult. Ein paar Männer haben sich Perücken aufgesetzt und historische Kleider angezogen und werben Touristen für die Museen. Es sind aus, als hätte man polnische oder ungarische Billiglöhner engagiert, das ganze sieht doch recht abgewrackt aus. Den Stephansdom lasse ich achtlos liegen, vermutlich ein unverzeihlicher Fehler. Aber in Städtebesichtigung bin ich noch nicht geübt, ich bin ja eigentlich Outdoorer. Immerhin bemerke ich im letzten Augenblick die Spanische Hofreitschule und zahle 12 Euro, um ein paar Gäulen bei der Morgenarbeit zu zuschauen. Die Morgenarbeit wirkt wie in jedem Reitstall, spektakuläre Übungen finden gerade nicht statt, sondern die Pferde werden lediglich bewegt. An den Wänden blättert der Putz und da ich nicht sitzen kann, tut mir der Fuß weh. So ernüchternd hätte ich mir die Hofreitschule nicht vorgestellt. Vermutlich bedarf es der festlichen Beleuchtung der Aufführungen, damit der Charme zur Geltung kommt. Immerhin habe ich jetzt einmal einen Lippizaner gesehen.





      Ich biege rechts ab, denn ich habe Sehnsucht nach einem eingezeichneten Park und komme an der 1. Philharmonikerstraße bzw. der Wiener Staatsoper heraus. Etwas weiter ist das Büro der Wiener Philharmoniker und vor der Tür sind Sterne auf dem Gehweg eingelassen: Joh. Sebastian Bach, die Wiener Philharmoniker (gegründet 1842), Johann Strauß Sohn, Pierre Boulez. Ich gehe am Karlsplatz vorbei, finde den gesuchten Park und atme etwas auf. Kitschig in Goldfarben verewigt spielt Johann Strauß die Geige. Touristen drängen sich in seine Nähe, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Ich meine, ich mochte seine Walzer und Operetten als Kind gerne, aber das hier ist zu viel. Ich flüchte. Ich passiere eine weitere Skulptur (Landschaftsmaler J.E. Schindler), beobachte einen kleinen Jungen beim Taubenjagen und werde langsam entspannter, während der Verkehr weiterhin in der Ferne dröhnt. An der Seite des Parkes ist ein kleines Rinnsaal zu sehen und eine Skupltur an einem Brunnen fasziniert mich und ich fotografiere sie. Ein Schild, das sie erklärt, entdecke ich nicht. Immer wieder mache ich kleine Pausen, damit mein Fuß sich erholen kann. Am Ende des Parks haben Obdachlose mehrere zusammenhängende Parkbänke für sich in Beschlag genommen. In Sichtweite, vor der Büste von Bürgermeister Zelinka, sitzen Japaner und essen mitgebrachtes Brot.





      Als der Park zu Ende ist, bin ich den Verkehrsmassen erneut ausgeliefert. Am Donaukanal finde ich immerhin ein Stück Radweg. Überall sind Graffitis aufgesprüht. Es liegt Glas auf der Straße, auf der anderen Seite fotografiert ein Mann aus einem weißen Sportwagen einen Skater. Ein Polizeiboot rauscht vorbei. Ich denke an „Der dritte Mann“. Der Slogan „Tourist are Terrorist“ erfreut sich großer Beliebtheit in der Szene, denn er findet sich an mehreren Stellen abgedruckt.





      Als ich hinter der Brücke die Straße überquere, werde ich fast von einem Reisebus überfahren, dessen Fahrer um Orientierung ringt. Ich sehe eine Parklandschaft und begreife, warum das Lied „Im Prater blüh´n wieder die Bäume“ heißt. Ich dachte, der Prater ist nur der Wiener „Dom“.





      Ich halte mich links und kurz darauf stehe ich vor der “Unabhängigen Republik Kugelmugel“. 1971 hatte der Künstler Edwin Lipburger auf seinem Grundstück ein rundes Haus gebaut, dass – da ohne Baugenehmigung gebaut – sofort abgerissen werden sollte. Es beginnt ein Rechtstreit zwischen der Republik Österreich und Edwin Lipburger, der wohl heute noch nicht abschließend entschieden ist, denn Edwin Lipburger gründet kurzerhand rund um sein Haus einen eigenen Staat: Die Unabhängige Republik Kugelmugel. Er muss daraufhin ins Gefängnis (Amtsanmaßung) und die Stadt Wien schlägt ihm Anfang der 80er schließlich vor, das Gebäude in den Prater zu bringen. Dort steht es noch heute. Eine Ausstellung erklärt die Geschichte.

      Der Jahrmarkt ist größer als ich dachte. Das Riesenrad ist alt und steht still, es ist wenig los an diesem Tag. Der Eingang wirkt ein wenig disneyartig, scheint aber auch alt zu sein. Figuren aus Pappmaschee lassen die Erinnerungen an alte Zeiten aufleben. Die Hendlstation ist abgebrannt, rechts gegenüber befindet sich die Monsterschlucht Hölle. Am Schweizerhaus befindet sich der Bankomat. Abends – bei Beleuchtung - wird es hier sicherlich schön sein. Nicht umsonst ist das Riesenrad eines der Wahrzeichen Wiens.





      Da es auch im Parkbereich des Prater nicht still ist und Schilder eher auf eine kommerzielle sportliche Nutzung hinweisen, als auf ein Naturschutzgebiet, sehe ich davon ab, dort Ruhe und Natur zu finden. Ich wende mich der Donau zu. Als ich Richtung Donau rollere, fängt es an sintflutartig zu regnen. Zusammen mit anderen flüchte ich unter die Überdachung der U-Bahn. An der Messe wird rege gebaut, ebenso in Uninähe. Ich rollere an einer netten Gaststätte vorbei, dann versperrt mir den Zugang zur Donau ein Wohnsilo, das wirkt, als wären hier eher sozial schwächere Familien untergebracht. Ein kleiner Umweg und dann kommt die erhoffte Brücke über die Bahngleise. Ein gläsernes Haus gibt Informationen über die Bewohner preis. Das Restaurant an der Donau heißt passenderweise „Bosporus“ und ist geschlossen. Die Donau ist grau wie das Wetter, ein paar Donaukreuzfahrer liegen am Kai und werden mit Rotwein und edlen Speisen beladen. In der Ferne sehe ich Berge und wünsche mir mein Fahrrad herbei. Einfach losfahren in die Natur fernab der Zivilisation. Liegt Krems in dieser Richtung? Aber heron ist vermutlich noch auf Tour und wenn nicht, wäre es eh zu spät.
      Ich verdränge die trüben Gedanken und rollere zurück. Mein Fuß schmerzt. Die Geschäfte auf dem Weg haben schon besser Zeiten gesehen. Wieder trifft mich ein Schauer von Starkregen und ich nehme die U-Bahn. Fahrräder sind erlaubt. Vor Schwarzfahren wird gewarnt: „Wir haben alle Ausreden analysiert. Schwarzfahren kostet so oder so 103 Euro.“





      Ich komme an der U-Bahn Station Volkstheater und damit direkt an der Burggasse heraus. Immer noch ist viel Verkehr. Ich passiere das kleinste Haus Wiens, ein Uhrmacher ist dort angesiedelt. In der Jugendherberge ruhe ich meinen Fuß und mich kurz aus, dann gehe ich noch einmal los und mache kleine Besorgungen. Zwei fertige Klöße werden morgen meinen Proviant darstellen, immerhin werde ich fast 8 Stunden im Zug sitzen. Mit Erstaunen lese ich die Verbotsschilder und erinnere mich dunkel an Threads, in denen deutsche Verbotsschilder als unhöflich moniert wurden. Gegen diese Schilder ist das gar nichts. Besonders die unverhüllte Drohung „Anzeige, Abschleppung und Besitzstörungsklage!“ - man bemerke das zusätzliche Ausrufungszeichen! - gefällt mir außerordentlich. Für kurze Zeit kommt die Sonne heraus und taucht die Straßen in gnädigeres Licht.





      In den anderen Betten haben sich zwei Interrailer einquartiert, die pro Tag ein Budget von 30 Euro zur Verfügung haben und fleißig ausrechnen sind, was sie sich heute noch leisten können. Es ist ihre Belohnung für das Abitur und sie sind fast ein Monat unterwegs. Gestartet sind sie in Münster und - um Geld zu sparen und sich eine teure Reise durch Deutschland zu ersparen - über Amsterdam, Paris, Rom, Bari nach Griechenland gereist und von dort über Sofia und Budapest nach Wien gefahren. Jetzt wollen sie nach Venedig. Es klingt, als hätten sie überwiegend in Zug, Bus und Fähre gesessen, teilweise in Bahnhöfen geschlafen und sich von Hostel zu Hostel gekämpft. Allerdings waren sie auch mal zelten – sie haben ein Zelt dabei. Die Fahrt über Griechenland war abenteuerlich, da eben nur die Regionalzüge fahren und vieles über Busersatzverkehr läuft. Sie raten davon ab. Ich beschließe, Griechenland hinten an zu stellen. Wieder labe ich mich am warmen Abendessen und gehe früh zu Bett. Die anderen nehmen netterweise Rücksicht und verlassen das Zimmer, um mich schlafen zu lassen und so entschlummere ich sehr bald tief und fest. Morgen geht es nach St. Gallen. Becks wird mich am Zug abholen.
      Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:00.
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        #4
        AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

        04.09.-05.09.2013 St. Gallen und Schachen

        Am nächsten Morgen sind die Nebenstraßen Wiens fast menschenleer, als ich Richtung Bahnhof rollere. Der Weg ist einfach, ich habe den Stadtplan im Kopf. Auf dem Bahnsteig packe ich den Roller in seine Hülle und ärgere mich über das Klettband, das den geklappten Roller justiert und nicht richtig hält. Der einzige Schwachpunkt. Mein Zug geht um 9.36 Uhr und führt zunächst wieder über Salzburg und Rosenheim. Ich mache die Fotos, die vorgestern misslungen sind.





        Dann geht es über Kufstein Richtung Innsbruck und ich bestaune die Berge. Innsbruck gefällt mir und ich überlege, auf der Rückfahrt dort einen Halt ein zu legen.





        Mit deutlicher Klarheit sehe ich: Wäre ich in den Bergen aufgewachsen, dann hätte ich da rauf gewollt. Der Faszination der Gipfel hätte ich mich nicht entziehen können.





        In Buchs steige ich aus dem Railjet aus und fahre mit einer Regionalbahn Richtung St. Gallen. Ich frage einen Schweizer, ob ich den Roller umsonst mitnehmen kann, aber ein Roller ist für ihn ein Motorroller. Tretroller heißen dort Scooter. Er hat sein Mountainbike dabei und die Strecke, die er zu seinem Wohnort zurück zu legen hat, ist sehr steil. Durchtrainierte Radler betreten das Abteil mit ihren Rennrädern, und ich fühle mich ausgeschlossen. Ein riesiger See taucht auf, und mir wird ganz warm ums Herz. Wasser! Ich frage einen Mitfahrer nach dem Namen. Es ist der Bodensee. Geographie war noch nie meine Stärke.

        In St. Gallen suche ich in der Bahnhofsvorhalle nach Becks und erkenne ihn sofort: Kein Gramm zuviel. Ich reserviere den Zug nach Tirano (Bernina Strecke), aber der Bus von Tirano nach Lugano ist ausgebucht und eine andere Verbindung gibt es nicht. Die Schalterbeamtin bittet mich, ins Reisebüro zu gehen, da die Schlange hinter mir angewachsen ist. Becks ist auch schon etwas ungeduldig, und ich verschiebe das Problem auf morgen. Mit der Vorortbahn geht es nach Schachen, und ich bin überrascht wie schön es dort ist. Es ist Sommer in Schachen, und Vegareve wundert sich, wie viele Sachen ich anhabe. Mit diesen Temperaturen habe ich nicht gerechnet, hier ist tatsächlich Sommer.

        Becks ist immer noch am Preppern, und er zeigt mir den Einweckapparat und seine neuesten Produkte. Auch die Katze wird mir vorgestellt und lässt sich verwöhnen. Nach dem Abendessen (u.a. das Siedfleisch der von ihm eingekochten Brühe) gibt es einen exzellenten Wein, und Becks und ich verstricken uns in heiße Diskussionen. Das Thema ist mir entfallen. Dann beziehe ich mein Gästezimmer und schlafe tief und fest. Ein Wunder, dass die beiden eher selten ODS Besuch haben. Es ist so schön hier.

        Am Morgen können sich Vegareve und ich Zeit lassen. Wir fahren nach St. Gallen hinein. Ich lerne, dass man die Vorortbahn mit einem Halteknopf anfordern muss, da sie sonst durchfährt. St. Gallen entpuppt sich als wunderhübscher Ort.





        Gemeinsam laufen wir zu Vegas Arbeitsstelle, dann besichtige ich die berühmte Stiftsbibliothek. Ich bin so voll der Eindrücke, dass ich es versäume, auch die Stiftskirche zu besichtigen, ein grober Fehler. Stattdessen wandere ich zum Bahnhof und reserviere einen Zug nach Lugano. Der Bahnmitarbeiter empfiehlt mir die Strecke über Arth-Goldau, da diese besonders schön ist. Noch weiß ich nicht, dass Arth-Goldau der Schrecken aller Bahnfahrer ist, weil die Umsteigezeiten dort unglaublich knapp bemessen sind. In meinem Fall sind es 4 Minuten, um von einem Bahnsteig zu anderen zu hechten.





        Mit dem Bus fahre ich zu Vegas Arbeitsstelle, aber sie ist bereits an der Stiftskirche. Also laufe ich wieder zur Stiftskirche, und mein Fuß schreit bei jedem Schritt vor Schmerzen. Vega bringt mich zu einem Café und lädt mich zu einem Stück Schokoladenkuchen ein. Weiter oben ist er bereits abgebildet. Was für ein Genuss, ich kann es kaum fassen. Ich kann ihn immer noch auf der Zunge spüren. Im Migros kaufen wir ein, und ich erwerbe meine Wegzehrung für den morgigen Tag. Viel kann ich ja sowieso nicht mitnehmen. Angesichts der Preise passt das gut, die Schweiz ist einfach unglaublich teuer geworden – auch für die Schweizer.

        Zu Hause will Vegareve mich für die Hausrunde gewinnen. Normalerweise würde ich sofort starten wollen, aber mein Fuß ist dick geschwollen, und so lenke ich vom Thema ab. Becks kommt nach Hause, schnappt sich einen Eimer, murmelt „Holunderbeeren“ und ist schon wieder verschwunden. Als er mit einem vollen Eimer wieder auftaucht, helfe ich ihm, die Beeren vom Stiel zu entfernen. Dann recherchiere ich im Internet nach Campingplätzen in Lugano. In Lugano selbst scheint es keinen zu geben. Vegareve empfiehlt mir einen Campingplatz bei Tenero, aber ich möchte mich nicht zu nahe von der Hauptbahnstrecke entfernen. Jeder Umstieg ist eine Fehlerquelle. Dann finde ich doch noch Campingplätze am Luganer See, aber so richtig befriedigt bin ich nicht. Was das wohl wird? Becks ist so nett, mir leihweise einen Speicherstick zu überlassen, und ich sichere meine Fotos. Dann ist wieder Schlafen angesagt, der Zug fährt morgen um 9.36 Uhr ab Schachen.


        Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:01.
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          AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

          06.09.2013 – 07.09.2013 Lugano

          Vegareve bringt mich zum Bahnhof. Nervös drücke ich mehrfach auf den Aufforderungsknopf, und tatsächlich hält der Zug. In Deggersheim steige ich in den Panoramazug Richtung Arth-Goldau um. Der Schaffner verspricht, dass die 4 Minuten Umsteigezeit reichen werden. Eine Tafel zeigt den Streckenverlauf: Watwil, Uznach, Schmerikon, Rapperswil, Pfäffikon, Biberbougg, Rothenthurm, Arth-Goldau. Weiter fährt er über Küßnacht a.R. nach Luzern. Im Zug hängt eine Werbung eines Schuhherstellers, der einen Schuh entwickelt hat, der intelligentes Abwärtsgehen ermöglichen soll. Die Landschaft ist großartig, und längere Zeit geht es am Zürichsee entlang.





          Dann schraubt sich der Zug wieder langsam nach oben.





          Vorsichtshalber packe ich den Roller aus, damit ich schnell genug den Bahnsteig wechseln kann. Diese Vorsichtsmaßnahme ist gerechtfertigt. Als der Zug hält, stürzen alle in Windeseile zur Unterführung. Ich nutze die Rampe und rollere hinter einem Familienvater her, der in unglaublicher Geschwindigkeit einen riesigen Koffer hinter sich her zieht und seine Familie anweist, Gas zu geben. Ich überhole ihn, und da ist mein Zug. Aber es ist der falsche Wagon. Instinktiv ahne ich, dass a) der Zugführer mich sieht, b) noch 2 Minuten Zeit sind und c) ein Teil der Reisenden noch mindestens eine Minute braucht, um den Zug zu erreichen und gebe Vollgas. Ich möchte mich nicht mit dem schweren Gepäck bei voller Fahrt durch den Zug quetschen. Ein, zwei, drei Waggons – hier ist er. Ich reiße die Tasche vom Roller, klappe ihn in Windeseile zusammen und verspüre ein Poltern. Die kostbare 1,5 Liter Mineralwasserflasche hat sich aufgrund des Bückens trotz Absicherung aus der Seitentasche meines Rucksackes entfernt und rollt ins Gleisbett. Kreisch. Hilft nix. Dafür springt man nicht hinterher. Blitzschnell wuchte ich Roller und Tasche ins Abteil. Der schwere Rucksack kommt auf die Gepäckablage, dann packe ich den Roller in die Tasche. Geschafft. Eine Sekunde später setzt sich der Zug in Bewegung, und ich nehme meinen Platz ein. Ein Fahrgast läuft an mir vorbei und grinst mich anerkennend an. Coole Aktion. Sehe ich auch so.

          Der Zug fährt nun Richtung Gotthardtunnel, und die Berge werden immer beindruckender. Leider ist die Scheibe nicht sauber, und ich kämpfe mit Reflexionen, als ich Fotos mache. Meine Mitfahrerin, eine elegant gekleidete Schweizerin, erklärt mir dass wir immer an der gleichen Kirche vorbei fahren, weil sich der Zug in Schlaufen den Berg hochschraubt. Wir kommen ins Gespräch, und ich bin einen Moment nicht bei der Sache. Da: Ein Gletscher. Ich drücke auf den Auslöser, aber ich habe sie gerade ausgemacht gehabt und schon sind wir im Tunnel verschwunden. Vielleicht sollte man mal einen Thread eröffnen: „Bilder, die man nie gemacht hat, weil man die Gelegenheit verpasst hat.“





          Und dann sind wir auch schon auf der anderen Seite der Alpen. Ich komme mit der Dame ins Gespräch, und sie erzählt, dass die Lebenshaltungskosten in der Schweiz ständig steigen. Für Menschen mit einfachen Berufen wird das Leben langsam unbezahlbar. Sie wohnt in der Nähe des Zürichsees bei Pfäffikon, und auch dort wird das Leben immer schwieriger. Viele Deutsche kaufen sich Häuser am Zürichsee und das wird nicht gerne gesehen, weil es die Preise ständig nach oben treibt. Ich spreche sie auf Arth-Goldau an, und auch sie war bei den eilenden Umsteigern. Das scheint an dem Bahnhof leider Normalität zu sein. Wir reden über Schwyzerdütsch und Hochdeutsch, und sie erzählt von Vorbehalten gegenüber Deutschen, weil wir so redegewandt mit der Sprache umgehen können. Ich denke an einige wortkarge Norddeutsche, aber das sind wohl kaum die Leute, die sich am Zürichsee niederlassen.
          Dann sind wir auch schon in Bellinzona. Dort wimmelt es vor Burgen und sonstigem Gemäuer, aber ein gutes Bild gelingt mir nicht. Lugano ist nun nicht mehr weit. Ich mache mich bereit und stelle mich an die Tür. Der Zug hält, und ich steige aus. Es ist unglaublich warm. Als ich den Roller auspacke, fällt mein Blick auf einen Kiosk und was sehe ich? Zweifelchips. Kein Zweifel, balticskin hat recht: In der Schweiz gibt es sie in jeder Berghütte, und in Deutschland sind sie nicht erhältlich. Schade, dass ich keinen Platz habe, balticskin welche mit zu bringen.





          Nachdem ich mich orientiert habe und beeindruckt die Standseilbahn betrachtet habe, die in die Innenstadt führt, gehe ich zum Fahrkartenschalter und darf für mein Reservierungsanliegen eine Nummer ziehen. 29 Personen sind vor mir. Die sind doch nicht ganz dicht. Ich kriege einen kurzen Anfall italienischen Temperamentes und lege mich auf italienisch mit einem italienischen Bahnbeamten an. Ich kann zwar kein Italienisch, aber zum Fluchen italienischer Art reicht es. Das kenne ich von den italienischen Einwanderern aus meiner Kindheit. Er schaut ein bisschen anerkennend, ihm ist klar, dass ich kein italienisch spreche. Nach einer geschlagenen Stunde bin ich endlich dran und bekomme einen früheren Zug empfohlen, weil die Chance, dass er pünktlich ist, größer ist. Anschließend rollere ich zur Touristeninformation neben dem Bahnhofsgebäude, die in einer Art Container untergebracht ist. Die Frau kollabiert fast, als ich mit dem Roller eintrete, neulich hat ihr wohl ein Fahrrad die Tür zerkratzt. Genervt erklärt sie mir, dass die Campingplätze auf anderen Seite des Berges in Agno sind und gibt mir eine Liste der Plätze in die Hand. Ich muss die Vorortbahn nehmen. Sie ist unter der Erde auf der anderen Straßenseite. Vorsichtig parke ich aus und rollere über die Straße. Ich bin genervt. Italienische Schweiz, Italien. Was will ich hier eigentlich? Ich hätte in die französische Schweiz fahren sollen.

          Ich hebe meinen Roller die Treppe hinuntern (den Kofferzugang finde ich erst den nächsten Tag), ziehe ein Ticket und warte. Ein Rollerfahrer taucht auf, und ich frage, ob Roller extra bezahlt werden müssen. Er verneint. Die Bahn hat das Ziel Ponte-Tresa und fährt im Zwanzig Minutentakt. Zwei Kontrolleure stürmen das Abteil, und als ich brav mein Ticket zücke, grinst er. Vom Roller redet er nicht, der bepackt neben mir steht.





          In Agno steige ich aus und finde im Navi die drei Campingplätze. Es lenkt mich an der Hauptstraße entlang, obwohl es eine Abkürzung gäbe. Immerhin sehe ich, dass es dort mehrere Supermärkte gibt. Mein Fuß tut höllisch weh, und ich eiere zum ersten Campingplatz, der ausgeschildert ist. Ein Caddyfahrer lädt mich ein und zeigt mir den Platz. Der Platz macht einen guten Eindruck. Er hat einen Seezugang, direkt am See kann man aber nicht zelten. Der Caddyfahrer erklärt mir, dass ich mir überlegen müsse, ob mir das 20 Franken mehr wert sei. Schluck. Als mir die rudimentär englisch sprechende Dame am Empfang erklärt, dass der Zeltplatz für mein winziges Zelt 24 Euro kostet, bekommt ich eine kurze hormonelle Störung. Ein Wohnmobil kosten gerade mal 5 Franken mehr und ich erkläre ihr, dass auf einen Wohnmobilstellplatz fünf meiner Zelte passen würden. „Wir müssen auch leben“, sagt sie und das ist ein Argument. Ich checke für zwei Nächte ein. Mein Zelt ist schnell aufgebaut. Ich wähle eine sonnengeschützte Ecke und nutze das footprint als Tarp. Gegenüber steht ein Familienzelt und es handelt sich um eine nette Familie aus Lettland mit einem vielleicht zweijährigen Kind, dass kurz darauf untröstlich ist, weil die italienische Familie mit der neugewonnen Freundin abreist.

          Ich rollere zum Supermarkt und kaufe die Zutaten für eine Minestrone, Müsli, Milch, Joghurt, Brot und etwas Käse. Dazu Mineralwasser. Lange stehe ich vor dem Müsliregal, denn 500 gramm Müsli kosten 3 Franken mehr als 1 kg Müsli. Ich nehme das 1 kg Müsli, preisbewusst wie ich bin. Nudeln habe ich dabei. Dennoch kostet mich der Einkauf 20 Franken.

          Zurück am Zelt koche ich auf dem Reactor mein Süppchen. Die anderen Zelter grüßen und mit einigen halte ich ein kleines Schwätzchen. Ich muss mir morgen um meine Sachen keine Sorgen machen, hier herrscht Zusammenhalt. Nach dem Essen mache ich mich auf den Weg zum See. Schön ist es hier, kein Zweifel. Ein paar Leute baden, es sind die Camper mit den Decathlon Zelten. In der Ferne sieht man die Vorortbahn, mit der ich gekommen bin. Kreischend fliegt ab und zu ein Flugzeug über den See, aber Lugano scheint nur ein Provinzflughafen zu sein. Es sind Learjets unterwegs und ab und zu eine Propellermaschine oder ein Wasserflugzeug.





          Als ich zurück komme, spielt im Restaurant eine Musikgruppe Volksmusik. Ich tarne meinen Roller, schließe ihn an den Stromkasten an, setze mich vor das Zelt und lese noch ein wenig. Zum Schlafen ist es viel zu heiß. Es dürften immer noch um die 30 Grad sein. Als die Dämmerung einsetzt, gehe ich noch einmal an den See und schaue lange auf das Wasser.





          Am nächsten Morgen wache ich erholt auf, obwohl selbst das Inlett als Decke zu warm war. Es ist schwül. Ich frühstücke. Die Familie aus Lettland kündigt ihre Abreise an. Morgen soll es regnen und sie möchten das Zelt trocken einpacken. Sie fahren Richtung Frankreich weiter. Nach einem Spaziergang am See nehme ich die Vorortbahn nach Lugano. Meine Frage, ob ich nach Lugano rollern könne, wurde mit Verwunderung aufgenommen. Hier sind Berge, sagt die Dame vom Empfang, deshalb kommt hier jeder mit dem Auto.





          In Lugano angekommen, entscheide ich mich, den Berg hinunter zu laufen, anstatt die Bahn zu nehmen. Den Treppen folgen Straßen, aber herunterrollern will ich dann noch nicht, so sehr vertraue ich meinen Bremsen nicht. Meinem Fuß geht es etwas besser. Am Morgen habe ich die Einlage aus meinem linken Schuh genommen und das scheint eine gute Idee gewesen zu sein, weil sie immer gegen die Schwellung gedrückt hatte. Ich muss zwar jetzt aufpassen, dass ich nicht umknicke, aber es geht viel besser als ich dachte.

          Die Gassen der Altstadt sind schmal und eng und es sind einige Touristen unterwegs. Ich rollere Richtung See. An ihm kann ich mich nicht satt sehen. Einen Moment setze ich mich auf eine Bank. Mein Banknachbar spielt irgendein Rubbellotto und stöhnt vor sich hin. Er hat bestimmt schon 30 Blätter verbraucht, aber zu gewinnen scheint er nicht.





          Auf einer Karte entdecke ich einen Park und rollere hinein. Familien mit Kindern sind unterwegs und die Stimmung ist gelöst.





          In der Nähe eines Wasserbrunnens setze ich mich auf eine Bank und beobachte die Vögel, die an dem Brunnen ihren Durst stillen.





          Dann wandere ich weiter. Ein Strand taucht auf. Er ist gesperrt, aber das interessiert niemanden. Ich habe eine Ermäßigung für die Schienenseilbahn zum Monte Bre erhalten und rollere eine Hauptstraße entlang, um den Eingang zu suchen. Der Zugang ist etwas irritierend, denn es gibt keine Kasse. Die erste Bahn fährt mir vor der Nase weg, dann begreife ich das System. Wenn das Licht grün leuchtet, kann man durch die enge Drehschranke gehen. Wie gut, dass mein Roller klappbar ist, er geht gerade so durch.

          Die Bahn klappert abenteuerlich, und ich schaue lieber nicht nach unten, damit ich nicht wieder Höhenangst bekomme. Die Rückfahrt wird zeigen, dass diese Sorge unberechtigt ist. Nach einer Station kommt die Kasse und ich steige in eine andere Bahn um. Schnell ist man oben und ich humpele bergab in Richtung Aussichtsrestaurant. Der Ausblick ist atemberaubend, wird aber durch die Gewitterwolken etwas gedämpft. Es ist drückend heiß, aber noch ist der Wind nicht aufgefrischt. Vom Berg herunter gibt es eine Mountainbikestrecke und einen Wanderweg. Sehnsüchtig schaue ich in die Richtung des Weges, aber ich weiß nicht, wie lange mein Fuß das aushalten würde. Nicht, dass ich nachher der Bergrettung bedarf.





          Als ich das kurze Stück Weges, das ich gekommen bin, wieder hochsteige, weiß ich, dass die Entscheidung richtig war. Mein Fuß glüht und ich muss ab und zu Pause machen. Das erste Mal kommt mir der ernsthafte Gedanke, dass ich vielleicht mal einen Arzt konsultieren sollte. Oben angekommen, vergesse ich den Gedanken gleich wieder und belohne meine Tapferkeit mit einem Eis. Auf einer Schautafel stehen die Wanderwege und ihre Schwierigkeiten. Es wird davor gewarnt, sich zu überschätzen.

          Nach zehn Minuten fahre ich mit der Bahn wieder herunter. Vor der Endstation steht eine Stadtrundfahrtbahn für die Schnellentschlossenen oder die Unterbrecher. Der Plan gelingt, fast alle Gäste steigen ein. Ich rollere dagegen Richtung Innenstadt, und als ich mich umdrehe ist es schon ein interessantes Gefühl, dass ich soeben da oben auf der Spitze war. Zwar nicht aus eigener Kraft, aber man kann nicht alles haben. Es gibt sogar noch eine zweite Strecke, die noch viel interessanter ist. Für sie reicht leider die Zeit nicht. Mit der Vorortbahn fahre ich zurück und verspeise den zweiten Teil meiner Minestrone. Dann fängt es langsam an zu nieseln.
          Ich kontrolliere noch einmal meine Reiseplanung und lege mich ins Zelt. Es ist noch drückender als gestern. Mein Fuß brennt wie Feuer. Der Regen nimmt zu, und da ich bei Regen wunderbar einschlafen kann, fallen mir schon bald die Augen zu. In der Nacht wache ich allerdings ein paar Mal auf, als es blitzt und donnert.

          Am nächsten Morgen stehe ich um 6 Uhr auf, dusche und packe konzentriert meine Sachen. Ich habe sogar Glück, dass ich mich in einer kleinen Regenpause unter das Vordach eines unbewohnten Wohnwagens flüchten kann, so dass ich das nasse Zelt so verpacken kann, dass die anderen Sachen trocken bleiben. Gegen halb acht verlasse ich den Platz. Die Rezeption ist noch geschlossen, aber ich hatte gestern bereits gezahlt. Ich bin gut eine Stunde zu früh. Mein Zug fährt erst um 9.48 Uhr. Als ich am Bahnsteig stehe, bekomme ich übermüdetes Selbstmitleid. Mein Fuß tut weh, die Umgebung am Bahnsteig ist trostlos, es regnet und schwülwarm ist es immer noch. Warum fahre ich nicht einfach nach Hause, lege mich ins Bett und kuriere meinen Fuß aus? Lesen und Schlafen. Nichts tun. Warum kann ich nicht einfach wie andere Leute Pauschalurlaub in einem All-Inklusive Hotel buchen, sondern muss wie von einer unsichtbaren Macht getrieben immer weiter reisen? Ich habe ein Tief.





          Und dann kommt Rom.
          Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:02.
          Oha.
          (Norddeutsche Panikattacke)

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          • boulderite
            Fuchs
            • 12.05.2012
            • 1260
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            #6
            AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

            Ach schön, in Wien bist du in einer feinen Ecke gelandet. Wenige hundert Meter entfernt von der Jugendherberge im 7. Bezirk habe ich einige Jahre gewohnt. Schön dort.

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            • Sonnenanbeter
              Neu im Forum
              • 12.09.2013
              • 7
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              #7
              AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

              Schöne Bilder. Die sind dir gut gelungen

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              • changes

                Dauerbesucher
                • 01.08.2009
                • 981
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                #8
                AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                Dachte ich les noch n bisschen um wieder einzuschlafen.................

                von wegen.....

                fesselnde Erzählung, bin ganz gespannt auf die Fortsetzung.
                Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich bin in Euch und geh’ durch Eure Träume. (Michelangelo)
                Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen. (Albert Schweitzer)

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                • Wafer

                  Lebt im Forum
                  • 06.03.2011
                  • 8845
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                  Hallo Torres.

                  Toller Bericht! Liest sich sehr abwechslungsreich und spannend. Bin mal gespannt was noch alles kommt. Wenn ich richtig mitgezählt habe, dann hast du erst 3 von den 10 Bahntagen verbraucht. Da ist noch viel Potential für weitere interessante Tage mit schönen Bildern und netten Geschichten. Ich freu mich auf die Fortsetzung!

                  Gruß Wafer

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                  • Rattus
                    Lebt im Forum
                    • 15.09.2011
                    • 5177
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                    Verflixt, ich muss arbeiten Also später lesen. Aber sag, welchen Roller hattest du dabei?
                    Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                    • Torres
                      Freak

                      Liebt das Forum
                      • 16.08.2008
                      • 30727
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                      Herzlichen Dank für die ermutigenden Kommentare. Ja, da kommt noch einiges . Erst war ich etwas unsicher, ob den Reisebericht überhaupt schreiben soll. Aber die Reise war so toll, da musste ich einfach schreiben.

                      Hier ist übrigen die Quelle allen Übels und da war die Schwellung schon stark zurückgegangen.





                      @Rattus: Ich hatte den Mibo Folding Master dabei. Klick. Er ist günstiger geworden. Skandal! Und wiegt ein Kilo mehr, als ich dachte.
                      Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:02.
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                      • Rattus
                        Lebt im Forum
                        • 15.09.2011
                        • 5177
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                        Danke. Nicht ärgern, weiterfahren
                        Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                        • derSammy

                          Lebt im Forum
                          • 23.11.2007
                          • 7412
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                          Fährt "Die" 2X durch Rosenheim und sagt net "Hallo"

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                          • Torres
                            Freak

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                            • 16.08.2008
                            • 30727
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                            Ich hab "Hallo" gesagt aber nur zu Marianne Sägebrecht... .

                            Aber hast ja Recht. Das nächste Mal gibt es eine detaillierte Vorschau meiner Zugverbindungen, damit ich dann rechtzeitig winken kann.
                            Oha.
                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                            • Torres
                              Freak

                              Liebt das Forum
                              • 16.08.2008
                              • 30727
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                              08.09. (-10.09.) 2013 Roma


                              Als ich in Lugano auf dem Bahnhof stehe, weiß ich, warum die weiteren Züge Verspätung haben werden. Es ist Sonntag und am Sonntag reisen die Familien nach Hause. Zwei italienische Familien mit Kindern versammeln sich um die Bank, auf der ich sitze und sie haben insgesamt 4 riesige Koffer und 6 mittlere Koffer dabei. Zuzüglich der Handtaschen. Der Junge tobt herum. Ich vermute, sie haben das gleiche Abteil reserviert und ich mache mir Sorgen, ob ich meinen Roller unterbekommen. Denn sie sind nicht die einzigen, immer mehr Familien verabschieden sich von den Verwandten oder Oma und Opa und bauen ihre Kofferburg auf. Eine Durchsage erklärt, dass der Zug heute mit der Wagennummerierung in umgekehrter Reihenfolge einfährt. Da ich im Gegensatz zu den unaufhörlich plappernden Mitreisenden zuhöre, kombiniere ich sofort, dass mein Waggon zwei Abschnitte weiter links sein muss. So ist es. Gemütlich verstaue ich den Roller, während die Familie im falschen Wagen einsteigt und anschließend durch den ganzen Zug läuft. Irritieren tut sie das keinesfalls und ich mache erste Bekanntschaft mit italienischem Pragmatismus und italienischer Lebensfreude.

                              Die Fahrt vergeht schnell und knapp eine Stunde später steige ich in Mailand um. Da das Gleis auf der Reservierung nicht verzeichnet ist, packe ich meinen Roller aus und rollere zur Schautafel. Dann weiter zu dem angegebenen Gleis. Dort steht ein italienische Highspeedtrain. Am Eingang des Gleises steht ein Einweiser, vor den Wagen der ersten Klasse stehen Mitarbeiter in Uniform und begrüßen die Einsteigenden. Das hat Stil. Die Assoziation Orient-Express kommt auf. Ist das wirklich mein Zug? Ich rufe dem einweisenden Herren „Roma Termini“ zu, aber er starrt auf meinen Roller und schüttelt mit wedelndem Zeigefinger den Kopf. Ich mache eine „ist gut“ Handbewegung, gebe Gas und rollere den Zug entlang. Wird schon der richtige sein. Der Roller wird geklappt und passt. Aber wo ist Sitz 58? Die Nummer gibt es nicht. Ich brauche etwas Zeit, bis der Groschen fällt. In den Highspeedtrains gibt es nur kleine Nummern, dafür aber die Sitze ABCD. Ich habe also Sitz 5 B.

                              Neben mir sitzt ein Herr aus Neapel (it. Napoli, eng. Naples) und wir kommen auf Englisch ins Gespräch. Er legt mit Napoli ans Herz: Dort ist es am wärmsten und das Essen ist dort am besten. Dort ist das echte Italien. Das hatte ich von der Schweizerin vor zwei Tagen etwas anders gehört, sie berichtete davon, dass der wirtschaftlich erfolreichere Norden Italiens den armen Süden gerne abspalten würde, da der Süden nicht Italien sei. Die Wirtschaftskrise stärkt derartige Tendenzen. Ich krame nach meiner Italienkarte und entdecke, dass bei Napoli die Amalfiküste entlang geht. Sie war mir von einem Kollegen als traumhafte Küstenstraße empfohlen worden und gehört hatte ich davon auch. Ich erinnere mich außerdem dunkel, dass es mal einen Film „Es begann in Neapel“ mit Sophia Loren gab, der mich als Kind beeindruckt hat, weil ich die Fischerorte so schön fand. Die Handlung habe ich nicht verstanden. Den Film kennt er aber nicht. (Amerik. Spielfilm, 1960, Clark Gable und Sophia Loren). Auch Sophia Loren scheint er nicht zu kennen – oder spreche ich ihren Namen falsch aus? Sie stammt aus der Nähe von Neapel. Napoli kommt auf die Liste meiner Reiseziele.

                              Aus dem Zugfenster ist nicht viel zu sehen – rechts ein paar Hügel, links flaches Land mit wenigen Häusern. Fotos mache ich daher keine. Der Zug fährt auf einer extra Hochgeschwindigkeitstrasse, oftmals parallel zur Autobahn, und er hält nur in den größten Städten. Entsprechend kostete seine Reservierung 10.00 Euro. Ohne Reservierung darf man nicht mitfahren. Die italienischen Schaffner kontrollierten und markierten auf meiner Reise nur die Reservierung, das Interrailticket hat sie nicht interessiert (das wurde von mir allerdings bei der Reservierung am Schalter vorgelegt).

                              Noch einmal überprüfe ich, ob ich die Adresse meiner Unterkunft noch habe. Ich hatte mich gestern gegen Camping und für ein Hostel entschieden. Das Hostel liegt sehr nah am Bahnhof und ich habe das Problem mit der Aufsicht über meine Sachen nicht. Mein Plan, zum Campingplatz zu rollern, hatte ich als unrealistisch gecancelt. Außerdem ist es im Zelt einfach zu warm. Kurz: Ein Hostel ist einfach flexibler. Ich hatte dort gestern angerufen, aber leider werden Reservierungen nur noch per e-mail vorgenommen (das gilt auch für andere Hostels). Bald wird Reisen ohne Internet der Vergangenheit angehören. Es scheint aber genug Platz vorhanden zu sein.

                              Als ich in Roma Termini aus dem Zug steige, wird meine Entscheidung, ein Hostel zu nehmen, untermauert. Es ist brütend heiß. In der Eingangshalle ist es sehr hektisch und an dem Fahrkarten- und Reservierungsschalter für den Fernverkehr stehen Trauben von Menschen an. Die Schlange ist noch größer als in Lugano. Das muss ich morgen erledigen. Erst einmal muss ich hier raus. Vor der Tür ist die Lage aber nicht übersichtlicher, hier ist der Busparkplatz und Menschenmassen strömen zu den Gefährten. Ticketverkäufer rufen irgendetwas und noch weiß ich nicht, dass man in Italien die Bustickets für den öffentlichen Nahverkehr nicht beim Fahrer, sondern in Kiosken, Zeitungsläden oder an eigenen Verkaufsstellen bekommt. Ich bin froh, dass ich jetzt keinen Bus zum Campingplatz suchen muss. Das würde mich überfordern.
                              Ich verdrücke mich in eine ruhigere Ecke und schalte das Navi ein. Rom wird angezeigt. Uff. Ich gebe die Adresse ein und das Navi zeigt mir eine längere Strecke an. Hä? Der Hostelmitarbeiter sprach gestern von 3 Minuten vom Bahnhof entfernt. Ich vertraue dennoch dem Navi und es lenkt mich vom Bahnhof aus gesehen erst ans Ende des Vorplatzes, dann nach rechts. Ich brauche etwas, bis ich begreife, dass ich auf der Längsseite des Bahnhofes entlang fahre. Dann muss ich durch eine lange Unterführung und komme an der anderen Längsseite des Bahnhofes heraus. Okay – ein riesiger Umweg. Immerhin finde ich das Hostel: Es ist das Downtown Hostel Allessandro Rome.

                              Es befindet sich in einem unauffälligen Wohnhaus. Ich betrete den kleinen, altertümlichen Aufzug, mein Gepäck passt gerade so rein. Die Rezeption ist im zweiten Stock. Es geht zu wie im Taubenschlag. Eine buckelige Italienierin mit nordafrikanischen Wurzeln schreit herum, sie scheint psychisch krank zu sein. Die Mitarbeiter beobachten ihren Weg aus dem Haus auf den Überwachungsmonitoren und sind erleichtert, als sie weg ist. Ich erkläre, dass ich gestern angerufen habe und werde freundlich begrüßt. Die Preise sind nach Wochentagen gestaffelt: Sonntag 21 Euro, Montag 22 Euro, Dienstag 24 Euro. Frühstück kostet 4 Euro, Tickets dafür gibt es am Automaten. Okay. Später erfahre ich, dass mittwochs Papstaudienz ist. Ob das der Grund für die Preisstaffelung ist? Ich bitte um ein ebenerdiges Bett und mein Wunsch wird erfüllt. Eine perfekte Logistik. Ich bin beeindruckt.

                              In meinem Zimmer treffe ich auf Australien – nett und mitteilsam, England – nett, Taiwan – total nett und mitteilsam und China – mein Gruß wird angewidert abgewiesen. China kommuniziert nicht, sondern raschelt ständig mit dem Gepäck, knabbert in den kurzen Zeiten der Anwesenheit krachend trockene Chinanudeln im Raum und schnarcht. Da hilft nur ignorieren. Ich packe mein Zelt zum Trocknen aus und verschließe den Rest des Gepäck im Schrank – mein kleines Vorhängeschloss ist wieder sehr nützlich. Als Backpacker sollte man immer eines dabei haben, die JH Wien hatte extra darauf hingewiesen. Die tageswichtigen Sachen kommen in den kleinen Rucksack.

                              Dann marschiere ich los, um Mineralwasser zu kaufen. Bei einer derartigen Hitze bevorzuge ich Aqua frizzante (Mineralwasser mit Kohlensäure) und ein bisschen Brot für morgen wäre auch nicht schlecht. Für heute abend brauche ich auch noch etwas zu essen. Ich gehe ans Ende der Straße, aber ein Supermarkt ist nicht in Sicht. Ich biege links ab und frage eine Italienerin, aber sie spricht kein Englisch. Sie zeigt an das Ende der Straße und sagt etwas von Piazza. Also laufe ich weiter und komme an eine belebtere Straße. Unter den Arkaden stehen Straßenhändler. Die meisten sind nordafrikanischer oder afrikanischer Herkunft. Vermutlich ist Straßenhandel der einzige Bereich, in dem sie Beschäftigung finden. Einen Supermarkt sehe ich nicht. Da ich nicht gerne umkehre, versuche ich es mit der nächsten Straße, nichts. Okay, noch eine Straße und dann kehre ich um. Ich stoße auf altes Gemäuer und einen Park. Gegen einen Park ist nie etwas zu sagen und ich betrete ihn. Es sind einige Menschen unterwegs, man lacht, spielt Fußball, unterhält sich mit anderen, flaniert oder ruht sich aus. Ein kleiner Junge fällt mir auf, der fasziniert zuschaut, wie sich seine Geschwister ärgern und darüber seinen Feuerwehrwagen vergisst.





                              Ich lenke meine Schritte nach rechts und sehe plötzlich etwas, was ich später scherzhaft als „altes Gerümpel“ bezeichnen werde: Alte Steine. In runder Form. Das kann eigentlich nur.... Richtig. Das ist es. Das Colosseum. Cool. Kaum aus dem Haus gegangen und schon über eine Sehenswürdigkeit gefallen. Jetzt aber zurück. So lange darf ich meinen Fuß nicht belasten.
                              Aber irgendwie kann ich nicht umdrehen. Irgendetwas zieht mich näher. Ein richtiges Foto machen? Gar nicht so einfach. Das Ding ist groß und die Sonne steht ungünstig. Vielleicht von der Seite? Rechts oben steht ein Haus im Sonnenlicht, davor sind ebenfalls alte Steine. Klick. Das Foto gelingt. Vielleicht gehe ich einfach mal ein Stück weiter, um es von der Seite zu fotografieren? Gott sind hier viele Menschen. Aber hier ist ein Baugerüst davor. Mist. Verdammt, warum habe ich meinen Roller nicht mitgenommen. Aah, sieh mal an. Da vorne ist eine Touristeninformation. Da bekomme ich einen Stadtplan. Sehr gut. Was machen bloß die ganzen Leute hier? So toll sieht das Colosseum nun auch nicht aus. Und dahinter ist Baustelle. Immerhin ist die Straße hier autofrei. Ein weißes Gebäude blinzelt am Ende der Straße. Ein paar Säulen ragen in den Himmel. Auf Pappschildern wird irgendwas zu Ausgrabungen und zum Colosseum erklärt. Muss man sich mit so etwas beschäftigen? Städtebesichtigungen sind langweilig, das weiß ich schon seit meiner Kindheit. Eine Pferdekutsche mit Touristen fährt vorbei – so etwas gibt es also auch hier und nicht nur in Wien. Da ist die Touristeninformation. Sprechen Sie Englisch? Das ist gut. Danke für den Stadtplan. Der nächste Supermarkt ist im Hauptbahnhof? Fein, da komme ich her. Danke schön. Nein, das lese ich mir jetzt nicht durch. Morgen ist auch noch ein Tag. Ich verlasse die Touristeninformation und trete wieder auf die Straße.





                              Und da passiert es.

                              Ich weiß nicht, wieso es passiert und was die Ursache ist. Es passiert einfach. Ich trete auf die Straße und plötzlich ist die Umgebung verändert. Ich werde von einer Stimmung erfüllt, die unbeschreiblich ist. Immer noch sind viele Menschen auf der Straße, aber plötzlich liegt ein Zauber über den Dingen. Die Menschen sind fröhlich und gelöst, und ich merke, wie auf einmal alles einfach und leicht wird. Und ich reihe mich in den Strom glücklicher Menschen ein und sehe es an ihrem Lächeln und den Augen, dass es ihnen in diesem Moment genauso geht wie mir. Und ich lassen mich forttreiben. Vom Straßenrand her ertönt irische Musik. Junge Leute laufen einen Pfahl hinauf und landen nach einem Salto wieder auf den Füßen. Es sind Filmaufnahmen. Die Obsthändler bieten ihre Waren feil und es riecht nach Sommer und Sonne. Junge Mädchen kaufen Wasser oder Obst, junge Männer machen Fotos mit ihrem I-Pad. Kinder spielen auf der Straße. Ehemännern erklären ihren Frauen die Altertümer, und ältere Leute sitzen auf den Bänken und schauen zu. Ein Gewirr von Sprachen ist zu hören und gibt einen ruhigen Klangteppich. Wieviele Nationen mögen sich an diesem Abend in dieser einen Straße versammelt haben? Fünzig? Oder mehr? Das Colosseum färbt sich rot in der Abendsonne. Straßenkünstler zeigen ihre Kunststücke, Straßenmaler malen Passanten und am Wegesrand steht das über 2000 Jahre alte Forum Romanum mit den übrig gebliebenen steinernen Zeugnissen und Säulen. Eine friedliche Stille liegt über der Straße, obwohl die Menschen reden.





                              Ich setze mich auf eine Bank und schaue dem Treiben zu. Tauben picken Beeren unter einem Gebüsch hervor. Rom. Ja, ich glaube, die Antwort auf die Frage nach dem Grund dieser Stimmung ist: Rom. Was für eine Stadt. Rom, die ewige Stadt. Hier verbinden sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer wunderbaren Mischung, als gäbe es kein gestern und kein morgen. Wie viele Tausende oder Millionen von Menschen mögen schon diesen Weg hier gegangen sein oder werden ihn noch gehen? Dieser Ort kennt keine Zeit, er ist zeitlos. Hier ist Ewigkeit.

                              Langsam gehe ich die Straße weiter und immer wieder entdecke ich neue Spuren des Alten im Neuen. Später werden mir andere Reisende erzählen, dass sie schon seit Jahren nach Rom fahren und Rom jedes Mal völlig neu entdecken. Rom endet nie.
                              Ein weißes Gebäude mit Pferden auf dem Dach kommt näher und ragt eindrucksvoll in die Dämmerung hinein. Es ist das Monumente Vittoria Emanuelle II an der Piazza Venezia. Auf der Piazza ist viel Verkehr, aber die meisten Menschen sind – wie ich – noch in Trance. Es fällt schwer, sich in die Realität zurück zu versetzen und noch längere Zeit drängen die Fußgänger die Autofahrer zurück. An der nächsten Hauptstraße wird es dann ernst und die Menschen zögern, als sie den Zebrastreifen betreten. Ein Anfängerfehler. Die Italiener fahren zwar schnell, aber gut, und man muss sich schon durchsetzen, wenn man die Straße überqueren will. Zunächst versucht man es im Rudel, aber bald merkt man, dass es erheblich effektiver ist, wenn man den Zebrastreifen offensiv und energisch betritt. Die Autofahrer rechnen damit und halten.





                              Ich halte mich rechts. Das Wachsfigurenkabinett zeigt Papst Joh. Paul II (Wojtyla), mittlerweile heilig gesprochen und einen Vorgänger. Aus einer Palme ertönt Kreischen und ich vermute Papageien im Baum. Erst heute sehe ich bei einer Vergrößerung der Bilder, dass es vermutlich Wellensittiche waren. Am Teatro dell´ Opera riecht es nach Marihuana. Das Theater steht an der Piazza Benjamino Gigli. Benjamino Gigli war Anfang des letzten Jahrhunderts ein sehr berühmten Tenor. Ich biege in Nebenstraßen ab. Langsam wird es dunkel und es scheint, als würde die Stadt erst jetzt zum Leben erwachen. Auf den Bürgersteigen stehen die Tische der Restaurants und man wirbt um Kundschaft. Kleine einladende Seitengässchen verlocken zur Einkehr. Was für eine Atmosphäre.





                              Nach langem Suchen finde ich im Bahnhof den Supermarkt, er ist vom Hostel aus gesehen weit weg am anderen Ende des Bahnhofs. Zur Feier des Tages gönne ich mir für 2,50 Euro einen frisch zubereiteten halben Hahn, sowie ein Joghurt und ein Sixpack Mineralwasser. Brot ist ausverkauft. Ein großgewachsener Türsteher mit afrikanischen Wurzeln steht an der Tür und prompt geht die Warnanlage los, als ich durch die Sicherheitsschranke schreite. Sofort wird er offiziell. Ich zeige meinen Kassenzettel vor. Der Hahn ist der Übeltäter. Bezahlt hatte ich ihn aber. Als ich die 9 Liter Mineralwasser durch die Gänge des Bahnhofes schleppe, rückt sich mein Fuß wieder in Erinnerung. Ich hatte ihn ganz vergessen. Ein gutes Zeichen! Dennoch verfluche ich mich mehrmals. Diese Schlepperei war nicht notwendig. Ich hätte ja morgen wieder kommen können. Typisch!

                              Ich esse mein Hähnchen im ziemlich trostlosen Aufenthaltsraum und quatsche dann noch mit meinen Mitbewohnern. Taiwan ist ganz aufgeregt. Morgen ist der letzte Tag und die größte Sorge ist, irgendetwas verpasst zu haben. Ich lächele und denke an die Reisevorbereitungsthreads im Forum, in denen einige am liebsten haarklein vorher wissen wollen, was sie sehen und erleben werden und müssen. „Die Sachen, die wirklich wichtig sind, begegnen einem von selbst und was man nicht gesehen hat, war nicht wichtig. Dafür sieht man dann etwas anderes“, ist meine Antwort. Sie überzeugt nicht. Mein Zelt ist bereits trocken. Ein schöner Tag war das. Was wohl morgen passieren wird?
                              Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 23:11.
                              Oha.
                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                              • lina
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                                • 12.07.2008
                                • 42965
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                                #16
                                AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                Ah, Rom, wunderbar! Diese Bäume kommen mir bekannt vor – aber so viel Wasser hättest Du, dank der vielen römischen Leitungen, die noch immer funktionieren, doch gar nicht kaufen müssen?

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                                • Torres
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                                  • 16.08.2008
                                  • 30727
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                                  #17
                                  AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                  Wenn es heiß ist, mag ich Wasser mit Kohlensäure. Die Brunnen habe ich auch genutzt. Ich habe ja täglich fast 4 Liter getrunken. Da reicht eine 1,5 Liter Flasche nicht für den ganzen Tag.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • lina
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                                    • 12.07.2008
                                    • 42965
                                    • Privat

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                                    #18
                                    AW: [D][A][CH][I] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                    Ok, seh ich ein, Kohlensäure kannten die alten Römer wahrscheinlich noch nicht

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                                    • Stephan Kiste

                                      Lebt im Forum
                                      • 17.01.2006
                                      • 6773
                                      • Privat

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                                      #19
                                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                      Wow, bin total begeistert.
                                      Werd mir den Bericht mal für nen richtig
                                      ekligen kalten nassen Tag aufbewahren :-)

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                                      • Torres
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                                        Liebt das Forum
                                        • 16.08.2008
                                        • 30727
                                        • Privat

                                        • Meine Reisen

                                        #20
                                        AW: [IT][CH][A][D] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                        09.09.213 Roma


                                        Nach dem Frühstück nehme ich meinen Roller und rollere los. Mein Ziel ist der Staat Vatikanstadt. Nach ein paar Metern tauchen die ersten Fotomotive auf: San Maria Maggiore und der dazugehörige Platz. Ich suche mir kleine Nebenstraßen, und das Gebäude der Guardia di Finanza, einer Spezialeinheit für Wirtschaftskriminalität, gerät in mein Blickfeld. Eine ältere Dame quält sich mit vollen Einkaufstüten über das Kopfsteinpflaster den Hügel hinauf. Sie geht auf der Straße, denn die Bürgersteige sind in den Seitenstraßen oft nur sehr schmal und in schlechtem Zustand. Oder sie sind einfach zugeparkt. Die Straße endet vor einem eleganten Stadthaus, und als ich zufällig zur Seite schaue, sehe ich das bemalte Einbahnstraßenschild, dass sich am Anfang dieses Berichtes befindet. Es ist also hier entstanden. An der Hauptstraße sitzen arabischstämmige Männer auf einer Treppe herum und langweilen sich. Motorroller werden auf offener Straße vor kleinen Werkstätten repariert. Die Motorroller sind auf den Straßen allgegenwärtig und die Fahrer fahren teilweise halsbrecherisch.
                                        Ich komme am Forum Romanum heraus und wieder ist die Atmosphäre gelöst, doch der Zauber von gestern abend ist verschwunden. Als ich die Beeren pickenden Tauben fotografiere, schrecken sie auf und fliegen davon.





                                        So interessant die Ausgrabungen auch sein mögen, ich steige lieber den Hügel hinter dem Monument zur Kirche hinauf. Oben schaue ich von einer Mauer aus auf antike Säulen. Eine österreichische Reiseführerin erklärt temperamentvoll ihre Bedeutung, und selbst eine Schülerin in Gruftie-Kleidung scheint interessiert. Etwas weiter oben macht ein Mann Verrenkungen und versucht irgendein Gebüsch zu fotografieren. Erst fotografiere ich ihn bei seinem Tun, dann schaue ich das Gebüsch näher an und entdecke einen Bären ähh, eine Wölfin. Da war doch was: Romulus und Remus, 753 - Rom kroch aus dem Ei. Knapp die Kurve bekommen. Die Kirche lasse ich rechts liegen und betrete den Hof: Ich stehe auf dem Kapitolsplatz. Er wurde von Michelangelo entworfen und im Mittelpunkt steht ein Reiterstandbild des Kaisers und Philosphen Mark Aurel. Allerdings handelt es sich um eine Kopie, das Original steht im Museum. Eine französische Reisegruppe strebt einem Aussichtspunkt zu und ich überhole sie rollernd. Von dort hat man einen guten Ausblick über die Stadt. Mehrere Teilnehmer starren gebannt auf meinen Roller. Endlich mal etwas Abwechslung. Zuviel Geschichte ist ermüdend.





                                        Das sehe ich auch so und versuche einen Weg zum Tiber zu finden. Obwohl ich manchmal Zweifel habe, ob mich der Weg wirklich dahin führt, so habe ich doch Glück. Nachdem ich eine Treppe abgestiegen bin, befinde ich mich auf der anderen Seite des Hügels. Kurzzeitig verliere ich den Überblick, wo ich bin, aber ein Lehrer aus den Niederlanden zeigt mir meine Position. Ich komme an der Kirche Santa Maria vorbei, in welcher der Wahrheitsmund aufgestellt ist, doch ein Foto mache ich nicht. Es sind zu viele Menschen dort.





                                        Und dann bin ich endlich – fast – Outdoor. Vor mir ist der Tiber. Es handelt sich um den drittlängsten Fluß Italiens. Ein Radfahrer radelt direkt am Wasser entlang – es ist der erste, den ich in Rom sehe. Tatsächlich. Dort ist ein Fahrradweg. An der Brücke Ponte Cestio gehe ich die Treppen hinunter. Auf einer Insel im Tiber wird Veranstaltungsequipment aufgebaut. Ein Tanklaster kommt, und ich bin mir nicht sicher, ob er Wasser holt oder Flüssigkeit loswerden will. Ein Motorradpolizist kommt hinzu und prüft irgend etwas. Die Fahrt wird nun immer idyllischer. Menschen sind nur wenige da – meist Radfahrer. Unter den Brücken heißt es aber Vorsicht Glas. Die Unsitte, Glasflaschen von Brücken zu werfen, scheint hier auch Verbreitung gefunden zu haben. Auch die Zelte der Obdachlosen entgehen meinen Blicken nicht. Wasservögel flattern umher, und der Verkehr scheint weit weg zu sein. Ein Schiff taucht auf – ich glaube, es ist das hässlichste Schiff, das ich je gesehen habe. Ein Vogel betrachtet mich misstrauisch. Als ich ihn fotografieren will, fliegt er davon, um kurz darauf wieder zu kommen. Er weiß nicht, was er will. Auch ein Angler darf nicht fehlen.





                                        Auf den Brücken staut sich der Verkehr. Anscheinend ist mein Ziel nicht weit. Gefühlt jedes zweite Fahrzeug ist ein Reisebus. Ein Mann pinkelt auf der Treppe gegen die Wand. Kein Wunder, dass es an den Zugängen so stinkt. Auf dem Wasser befinden sich kleine Inseln, auf denen Enten sitzen, aber sie sind zu weit weg, um sie zu fotografieren. Dafür scheint die Engelsburg nicht mehr weit zu sein, sie lugt durch die Brücken durch. Vor mir sind Straßenhändler aus Bangladesh oder Pakistan, die Ware oder Geld tauschen. Sie schauen mich misstrauisch an, und ich entscheide mich, den Radweg zu verlassen und mein Glück an der Straße zu versuchen. Der Treppenaufgang hat sogar eine Fahrradrinne, ich bin überrascht. Oben herrscht das blanke (Verkehrs-)Chaos und ich rollere so schnell ich kann auf den nächsten autofreien Platz. Ein Straßenhändler verkauft Seifenblasen. Als er sieht, dass ich das fotografiere, gibt er sich richtig Mühe, kaufen tue ich dennoch nichts. Ich überlege, den Garten der Engelsburg an zu schauen und ein wenig Pause zu machen.





                                        Aber da sehe ich das:





                                        Und da muss ich hin.












                                        Die Zahl der Menschen hält sich in Grenzen, man kann sich gut bewegen. Ich setze mich an den Rand, denn es ist sehr warm draußen, und ein wenig Schatten kann nicht schaden. Ich trinke Mineralwasser und erhole mich von meiner Rollertour. In der Nähe sitzen Leute aus dem Odenwald, und wir unterhalten uns ein bisschen, und ich kläre sie über meinen Roller auf. Aus der Richtung der Basilica di San Piedro kommen viele Menschen, und ich frage naiv, was die da so machen. Naja, die Kirche anschauen und Fotos machen. Hhm. Keine schlechte Idee, wenn man schon mal da ist. Sie erzählen, dass am Mittwoch Papstaudienz ist, man muss allerdings Karten kaufen. Sie waren letzte Woche dabei – zusammen mit 70.000 Menschen. Ein tolles Erlebnis. Schade. Da bin ich nicht mehr da. Den Papst sehen, wäre ja was. Ich bin zwar nicht katholisch, aber das macht ja nichts. Ich verabschiede mich und rollere zum Seiteneingang der Kirche. Die Schlange ist nur kurz, aber Schilder weisen darauf hin, dass man a) korrekt gekleidet sein muss – meine Kollegin wird später lachen und sagen, dass sie beim ersten Mal nicht hinein durfte, da sie nur ein kurzärmliges T-Shirt und kurze Hosen anhatte. Das ist nicht erwünscht. Und b) keine Scheren oder Messer dabei haben darf. Mist. Im Rucksack ist mein Opinel. Ich wende und entscheide mich, den Vatikanstaat zu umrunden. Als ich den Platz verlasse, macht es plötzlich „Klick“. Basilica di San Piedro. Basilica di San Piedro? DAS IST DER PETERSDOM!!! Mein Gott, manchmal bin ich echt ein Daddel. Natürlich muss ich mir den Petersdom anschauen. Der Petersdom. Natürlich. Ich bin in Rom!

                                        Ich rollere um die Kurve, aber die Gebäude im Vatikanstaat sehen unauffällig auf. Buntgekleidete Wachen stehen an den Eingängen. Ständig rollen Autos hinein und wieder heraus. Natürlich wird das Gelände bewacht, aber es fällt kaum auf. Eine Polizistin grinst mich an, als sie meinen Roller sieht. Steil geht es auf einem schmalen Bürgersteig einen Hügel hinauf, und ich schnaufe etwas. Die Mauer immer im Blick. Dann geht es wieder herunter, und ich rollere auf der Straße. Hui, macht das Spaß. Ein paar Autos hupen. Ich komme am Vatikanmuseum heraus. Leider erfahre ich erst am nächsten Abend, dass der Zugang zur Sixtinischen Kapelle nur über das Museum möglich ist, und so besichtige ich sie nicht. Ich muss wohl irgendwann einmal wieder kommen.





                                        Ich bin müde geworden und entscheide mich, nicht mehr zurückzurollern, sondern die Metro zu nehmen. Ich rollere durch ein schönes Wohnviertel und finde den Eingang nach kurzem Suchen. Der Ausgang führt über mehrere Rolltreppen zum Seiteneingang des Hauptbahnhofes. Ich rollere auf kurzem Weg Richtung Hostel. Müll liegt auf dem Bürgersteig und ich nehme das erste Mal den Park richtig wahr, der sich kurz vor dem Hostel befindet. Ich suche den Eingang, aber als ich ein Foto von den Beeten mache und mit einem Fuß den Rasen betrete, stürzt ein Ordner auf mich zu. Ich verstehe ihn nicht, und er schiebt mich zum Fahrradständer. Das ist ein Roller, verdammt noch mal. Schlagartig vergeht mir die Lust, mich im Garten nieder zu lassen.





                                        Ich gehe erst einmal ins Hostel. England ist abgereist und dafür ist Mexiko gekommen. Wir unterhalten uns sehr nett. Aber der Petersdom lässt mir keine Ruhe. Ich leere meinen Rucksack und mache mich zu Fuß auf den Weg. Mit der Metro fahre ich wieder zurück und hetzte Richtung Petersdom. Wann macht er zu? Es ist kurz vor fünf. Hoffentlich habe ich Glück.

                                        Das Glück ist mir hold, und ich reihe mich in die Schlange ein. Natürlich schlägt die Sicherheitsschleuse an, und ich leere meine Taschen. Die Umstehenden grinsen, als ich Zahnbürste und Zahnpasta auf das Laufband lege. Aber die Sicherheitsanlage piept immer noch. Die Schuhe, sage ich, und klopfe meine Kleider ab, um zu zeigen, dass ich nichts mehr am Körper habe. Das kenne ich nämlich schon. Der Sicherheitsbeamte ist etwas genervt und winkt mich durch. Und dann staune ich nur noch. Das schwebende Gefühl ist wieder da. Damit habe ich nicht gerechnet.








                                        Diese Höhe und diese Weite. Ich kann mich nicht satt sehen.















































                                        Ganz zuletzt fotografiere ich noch die Skulptur von Michelangelo. Fast hätte ich sie übersehen.





                                        Als ich aus der Kirche ins Freie trete, bin ich wie benommen.






                                        Voller Eindrücke humpele ich zur Metro und fahre nach Hause. Dieses Erlebnis muss man erst einmal verarbeiten. Ich finde einen kleinen Einkaufsmarkt in einer Seitenstraße. In einer Pizzeria an der Straße esse ich eine Pizza. Der Teig ist dünn, so muss eine Pizza sein. Das Essen ist preiswert in Rom.





                                        Wieder ist es ein milder Abend. Rom ist schön.
                                        Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 08:04.
                                        Oha.
                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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