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Bild: Svinafellsjokull
Kinderkram
Es muss an einem dieser verregneten Novembertage gewesen sein, der Kamin brannte und im Schein der Kerzen saßen unsere Kinder Bücher blätternd in ihrer Lieblingsecke unter dem großen Bücherregal. Meine Frau schrieb eine Rezension über eines der vielen Kinderbücher, welche sie Woche für Woche durchackerte auf der Suche nach dem nächsten neuen Bestseller. Ich selbst stand in der Küche, das Abendbrot vorbereitend. Brot, Käse, Rohkostteller, von allem etwas.
Der Herbst war bisher launisch gewesen. Einige unbeendete und einige neu begonnene Sachen standen sich unentschieden gegenüber. Halbzeit eben. Das Jahr dümpelte träge seinem Ende entgegen. Mein Bruder hatte sich für den Abend angekündigt. Wir würden neuen Wein probieren, von längst vergangenen Zeiten träumen und unseren Gedanken nachhängen.

Die Klingel schellt und kurze Zeit später tritt mein Bruder poltern in unseren Flur. Er schält sich aus seiner nassen Ledermontur und zieht die schweren Stiefel aus. Im Wohnzimmer nimmt er am Feuer Platz und ist sofort umringt von unseren Jungs.
„Onkel Finn“, unsere Eltern haben ihn wirklich nach Huckleberry Finn benannt, heben unsere Kinder an, „bist du schon einmal in Island gewesen?“. Sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck nach mir umwendend, entgegnet er „Nein, aber warum fragt ihr?“. „Unser Vater ist schon so oft dort gewesen und hat uns noch nie mitgenommen. Immer wieder verspricht er es, aber nie hält er seine Versprechen.“ „Da haben sie Recht.“ mischt sich meine Frau ein. „Kinderkram.“ brumme ich vor mich hin und stelle das Essen auf den Tisch. „Das habe ich gehört.“ merkt meine Frau ironisch an, ohne dabei den Kopf von ihrer Lektüre zu heben. „Schließlich habe ich zu der Zeit dort gearbeitet und ihr wart noch zu jung. Ach was, eigentlich seid ihr es auch jetzt noch.“ antworte ich etwas genervt.
„Ich war damals noch zu jung? Muss ich erst in Rente gehen, um mich wieder für Island zu qualifizieren?“ fragt meine Frau mit einem sichtlich entrüsteten Blick. „In ein paar Jahren, und das gilt jetzt nur für die Generationen bis zehn Jahre, mag es gehen. Dann starten wir gemeinsam auf unsere erste große Abenteuertour. Und dann von mir aus auch in Island. Erzählt mal lieber, ob ihr die Hausaufgaben fertig habt und die Schultaschen gepackt sind.“ lenke ich das Thema in unbedenklichere Gebiete.
Später, als die Kinder und meine Frau bereits im Bett sind, kommen Finn und ich noch einmal auf das Thema Island zu sprechen. „Du hast doch seinerzeit mit Iris nach eurer ersten großen Reise einen Bildband über Island angefertigt. Habt ihr den noch?“ fragt mein Bruder in das Knistern des Kamins hinein. Ich stehe auf und beginne im Bücherregal zu suchen. „Ja natürlich, da ist er.“ antworte ich. „Aber das Thema ist tot. Iris zieht es jetzt mehr in die wärmeren Gefilde, und das, obwohl es in Island nicht einmal richtig kalt ist.“
Ich blättere die großformatigen Seiten um. Schwarzer Hintergrund und davor die leuchtenden Farben der Brennisteinsalda. In der Sonne weißgleißende Gletscher, neongrünes Moos im anthrazitfarbenen Sand, das weite hufeisenförmige Tal von Asbyrgi. Knapp zwanzig Jahre ist das nun schon her.

Bild: Brennisteinsalda
„Zeig doch mal her.“ bringt sich mein Bruder mir wieder in Erinnerung. „Und wenn du schon dabei bist, kannst du mir auch gern noch etwas nachschenken.“
„Die Bilder sehen doch eigentlich ganz zivil aus.“ bemerkt er nach einiger Zeit. „Und das Wetter scheint damals auch ganz passabel gewesen zu sein. Gut, ein, zwei Schneestürme. Wann wart ihr dort noch mal genau?“
„Anfang August bis in den späten Oktober hinein.“
„Wieso bist du eigentlich der Meinung, dass das nichts für Kinder ist? Das Land ist doch Abenteuer pur. Ich sehe hier nur tolle Sachen. Robben, Papageientaucher, Eisberge, blubbernde Schlammlöcher. Mir hätte das als Kind schon gefallen.“
„Ich denke, dass sich die Kurzen dort noch ziemlich langweilen würden. Unsere sind schließlich erst sechs und zehn und deiner ist auch erst knapp zehn Jahre alt. Dort gibt es viel zu viele Steine, wenig Tiere und Pflanzen, kaum Spielplätze. Das Genöle und Gezeter kann ich mir heute schon lebhaft vorstellen. So viel Abwechslung können wir gar nicht organisieren, dass keine Langeweile aufkommt. Das ist wirklich noch nichts.“
„Und wenn doch? Nur mal so als Gedankenspiel? Was müssten wir tun, dass es funktioniert? So rein theoretisch.“
„Hm, also rein theoretisch. Es gibt inzwischen einige wirklich gut gemachte Museen. In den Nationalparks gibt es brauchbare Tagestouren. Aber wir bräuchten nicht nur Plan A und B sondern auch C und D. Wir müssten alles doppelt und dreifach absichern. Das Wetter ist launisch und unberechenbar. Wir hätten viele und vor allem lange Bustransfers vor uns, um verschiedene Orte zu erreichen. Und … vergiss es einfach. Iris hat nach der diesjährigen verregneten Alpentour schon angekündigt, dass nächstes Jahr auf jeden Fall Badestrand ansteht.“
„Den kann sie ja immer noch kriegen. Vielleicht davor, vielleicht danach. Wir müssen ja nicht einen ganzen Monat auf die Insel. Zwei Wochen würden vollkommen ausreichen, um das mal mit den Kids anzutesten.“
Ich lege etwas Holz nach und hole aus dem Keller eine neue Flasche Wein. Es verspricht eine kurze Nacht zu werden. Als ich zurückkomme, surft Finn bereits im Netz und notiert sich die Ferienzeiten zweier Bundesländer. Glück gehabt, die drei Wochen Überlappung sollten ausreichend sein. Als nächstes suchen wir nach erträglichen Flugpreisen. Die Preise sind keine echten Schnäppchen, wenngleich auch noch nicht wirklich teuer.
„Was meinst Du?“ fragt Finn, „Sollten wir die mal eine Weile beobachten?“.
„Nein.“ entgegne ich, „Wir haben nur ein ganz enges Zeitfenster, in welchem wir gemeinsam auf Tour gehen könnten. Und wir sind fünf, vielleicht sechs Leute. Am liebsten würde ich die Flüge sofort buchen, um kein Risiko einzugehen.“
„ Na ja, vielleicht sollten wir morgen deine Frau und die Kinder doch noch fragen. Sonst hängt dein Haussegen schief. Und wenn dann keiner außer uns mitkommt, wäre das ein teurer Spaß.“
„Noch habe ich auch nicht gesagt, dass es funktionieren könnte. Wir haben gerade mal den Zeitpunkt und halbwegs akzeptable Flugpreise gefunden. Aber lass uns weitersuchen. Wenn ich mich recht erinnere, können Kinder in Island kostenlos oder zum halben Preis in den Bussen mitfahren. Und auch sonst gibt es eine Menge Vergünstigungen. Die Isländer sind uns, was diese Dinge angeht, meilenweit voraus.“
Stunde um Stunde tragen wir die kleinen Mosaiksteine einer Tour zusammen, die sich am Morgen wahrscheinlich wieder in Gespinst und Nebel auflösen wird. Aber als der Morgen graut, steht auf dem Papier ein vages Gerüst aus Möglichkeiten. Lücken hier und da, Orte, Preise, Wenn und Aber.
Wir sind aufgedreht. Aus dem „geht ganz und gar nicht“ ist ein „geht wahrscheinlich nicht“ geworden. Noch gibt es viele Unsicherheiten, aber immerhin, Plan A beginnt sich zu formen und unsere Köpfe zu erobern. Was wäre wenn. Was wäre, wenn sich die Kinder und meine Frau von der Idee ernsthaft, und ich meine ernsthaft, anstecken ließen. Was wäre, wenn alles gelingen würde, das Wetter mitspielte, die Langeweile ausgesperrt bliebe, wenn die Kinder selbst die Mehrtagestouren mit Gepäck klaglos laufen würden, wenn es am Ende ein echtes Abenteuer mit glücklichem Ausgang werden würde.
Was müssten wir tun, um das zu erreichen?

Bild: Reykjavik Panorama Seeseite
Um den Wahnsinn der vergangenen Nacht zu vertreiben, holen wir Brötchen und beginnen das Sonntagsfrühstück vorzubereiten. Verschlafen kommt meine Frau in die Küche und betrachtet nachdenklich das frisch bereitete Frühstück.
„Das hast du schon lange nicht mehr getan. Ihr meint es wohl wirklich ernst. Aber ich warne dich. Ich bin nicht bestechlich. Island ist für mich ausgeschlossen und für die Kinder auch. Wenn es unbedingt sein muss, könnt ihr ja meinetwegen gern eine Herrentour machen. Aber ohne uns.“
„Ehm, so ist es wirklich nicht gemeint.“ stottere ich mit fahrigen Handbewegungen. „Es sieht jetzt vielleicht nicht so aus, aber auch ich bin ein ganz entschiedener Gegner einer solchen Tour. Und mit Kindern, geht gar nicht.“ sage ich im Brustton der Überzeugung.
„Du bist, Gott sei Dank, der schlechteste Lügner weit und breit.“ antwortet meine Frau und greift sich den unscheinbaren Zettel, der auf ihrem Teller unter einer Serviette hervorlugt. Sie überfliegt die eingekreisten Daten, setzt das Mosaik zusammen. Sieht, dass mehr dahinter steckt als nur eine banale Tour. Sie ahnt die angeträumte Geschichte, die hinter dem Ganzen steht. Merkt, dass die Vorbereitungen bereits begonnen haben, dass die Tour hier und jetzt startet. Sie muss nur noch ja sagen.
„Nein, ohne mich. Und ohne die Kinder. Ich will nicht, dass eure seltsamen Ideen, meine Kinder in Gefahr bringen.“
„Deine …“
„Ja, meine Kinder. Wenn du sie in Gefahr bringen willst, sind es meine Kinder.“ Ihre Augen blitzen angriffslustig. „Ansonsten sind sie auch deine, ein bisschen wenigstens.“ Ein versöhnliches Strahlen geht auf.
„Was macht ihr? Streitet ihr?“ fragt unvermittelt Lukas, unser Ältester, hinter uns. Unbemerkt war er die Treppe herunter gekommen, seinen kleinen Bruder im Schlepptau.
„Aber wieso denn. Wir überlegen nur laut, ob ihr schon alt genug für Island seid.“ geht Finn in die Offensive und nimmt mich aus der Schusslinie.
„Natürlich …“ und mit einem ohrenbetäubenden Johlen tanzen die beiden Jungs durch die Küche.
Der angespannte Gesichtsausdruck meiner Frau verrät allerdings, dass dieser Jubel auf jeden Fall verfrüht ist und dieser Überrumpelungsversuch noch eine ausführliche Diskussion nach sich ziehen wird. „Familienrat.“ sagt sie kurz und knapp.
Der Waffenstillstand dauert nur kurz. Schon beim Frühstück bedrängen unsere Jungs Finn nach den Einzelheiten, die er natürlich nicht beantworten kann. So bleibt es an mir, das dünne Eis mit den ersten Ideen zu verfestigen. Es knirscht noch oft und sehr verdächtigt und meine Frau vermerkt aufmerksam jede noch so kleine Unwägbarkeit, jedes Risiko. Natürlich schwimme ich. Wie soll es auch anders sein, da ich von der Idee selbst noch nicht felsenfest überzeugt bin.

Bild: Reykjavik Panorama Innenstadt (Stadtverwaltung)
Familienrat.
Es geht um Bedingungen und um Zeit. Wir einigen uns darauf, die Idee nicht von Grund auf abzulehnen. Wir einigen uns darauf, uns zwei Monate Zeit für die Entscheidung zu geben. Wir einigen uns darauf, die Idee richtig auszuarbeiten. Zum Jahresende wollen wir gemeinsam einen definierten Stand der Vorbereitungen erreicht haben, andernfalls werden wir Island verschieben. Und wir einigen uns darauf, mit denjenigen Dingen bereits zu beginnen, welche auf dem Zettel zwar vermerkt sind, aber mit der eigentlichen Reise nicht viel zu tun haben.
- Anton muss seinen Schwimmkurs erfolgreich beenden, weil ihm ohne Ziel die Motivation gänzlich zu fehlen scheint.
- Lukas muss am Wochenende mit mir Joggen gehen, da er zwar wächst und wächst, aber ohne zusätzliche Bewegung mit der Koordination seiner Gliedmaßen außer Takt zu geraten droht.
- An den Wochenenden stelle ich meine Arbeit ab sofort ganz nach hinten, um wieder mehr mit der Familie unternehmen zu können.
- Iris wird sich in die Vorbereitungen nicht nur kritisch sondern auch konstruktiv einbringen. Und sie kann demnächst mit ihren Freundinnen einen Badeurlaub ganz ohne Familie verbringen. Nein, Bestechung wollen wir beide das nicht nennen.
Natürlich geht es bei diesen Dingen nicht vordergründig um Island, sondern um die Idee, wieder mehr Familie sein zu können. Im tagtäglichen Trott gehen uns, wie vielen Anderen auch, die gemeinsamen Ideen etwas verloren, so dass wir zwar gemeinsam gut funktionieren, uns gleichzeitig aber die Visionen fehlen. Dies wird sich jetzt ändern.
Nach dem kurzen Familienrat gehen Finn und ich nahtlos in die Vorbereitungen über. Wir definieren verschiedene Themen, welche abgearbeitet werden müssen und nach unseren Erfahrungen einige Zeit in Anspruch nehmen werden. Dabei sind die Rahmenbedingungen noch am einfachsten festzulegen.
Reisezeit:
zwei Wochen zwischen Juli / August 2010 (20.07. – 03.08.2010)
Reisegruppe:
drei Kinder, drei Erwachsene (ironisch: ein Retter pro Kind)
Reisemittel:
Bahn, Flugzeug, Bus
Reiseziele:
Reykjavik, Tagestouren im Skaftafell Nationalpark, Jökulsarlon, Mehrtagestour auf dem Laugavegur
Alternativen bei Schlechtwetter:
Whale Watching, Golden Circle Bustour, Blaue Lagune, Wikinger-Ausstellung im Perlan, Experimente-Pavillon an der Universität in Reykjavik

Bild: Panorama Thingvellir
Weitaus spannender gestalten sich anschließend die Themen Bekleidung, Verpflegung, Unterkunft, Rucksäcke, etc. Vor dem Hintergrund der geplanten Mehrtagestour auf dem Laugavegur geht es hauptsächlich darum, das Gepäck von drei großen und drei kleinen Wanderern auf mehr oder weniger drei Rucksäcke verteilen zu können. Natürlich sollen auch die Kurzen ihren Teil tragen, aber im Fall der Fälle müssen es die Großen allein schultern können. Wir nennen diese Projektphase spaßeshalber UL im XL-Format.
Bekleidung:
Bei der Auswahl der Bekleidung sind natürlich die üblichen Punkte zu beachten, wie Temperaturen, Wind, Sonne und Regen. Der Sommer auf Island hat normalerweise von Allem etwas zu bieten, wobei ausgemachte Schneestürme recht selten sind. Dafür kann das Wetter mehrmals am Tag von warmem Sonnenschein über Bewölkung in Sturm und kalten Regen drehen. Da wir mit dem Laugavegur eine Mehrtagestour planen, müssen wir zugleich das Gewicht und das Volumen berücksichtigen, um den ganzen Hausrat auch transportieren zu können.
Letztlich einigen wir uns nach einigen Tests darauf, nur ein Minimum an funktionaler Bekleidung mitzunehmen und angesichts der Preise einen Teil davon selbst herzustellen. Jedem von uns stehen genau fünfzehn Teile oder Sets an Bekleidung zu, von denen immer der größte Teil getragen wird. Das sind pro Person jeweils eine Regenjacke, eine Regenhose, eine normale Wanderhose, eine Jacke aus 100er Fleece, ein Pullover aus 50er Fleece, ein Set lange Unterwäsche aus Merinowolle, ein Set lange Unterwäsche aus Kunstfaserwolle, ein Set kurze Unterwäsche aus Kunstfaserwolle, zwei Sets Wandersocken, ein Paar Wanderstiefel, ein Paar Strandschuhe, ein Paar Handschuhe, eine Bacclava und Badesachen.
Bei einigen Regen- und Winterwanderungen testen wir die bereits vorhandenen Bekleidungsstücke und beschließen, einige dieser Teile wieder dem weltweiten Rohstoffkreislauf zuzuführen. Auf diesem Wege reduzieren wir so nebenbei den Inhalt unserer Schränke, und das erstmalig ohne die Gegenwehr unserer Kinder, um einen nicht unerheblichen Teil ihrer bereits verschlissenen Lieblingsstücke. Bei den darauf zwangsläufig folgenden Einkäufen keimt so etwas wie eine erste Vorfreude auf. Einkaufen geht immer und Bestechung – nein Bestechung ist etwas anderes.

Bild: Brennisteinsalda
Kochen:
Für die Menge der hungrigen Mäuler und als Ausfallreserve planen wir zwei Kocher ein. Gas ist bei den zu erwartenden Temperaturen kein Problem und vor allem mit Kindern eindeutig einfacher zu handhaben als Benzin. Wir gönnen uns den Luxus eines mittelgroßen Topfes mit zwei Liter und eines kleinen Topfes mit einem Liter Fassungsvermögen. Zusätzlich dazu nehmen wir eine kleine Pfanne mit, welche gleichzeitig als Topfdeckel fungiert.
Auch die restliche Küchenausrüstung wird unserem begrenzten Trainingszustand angepasst, so dass wir uns freuen, nur sechs leichte Teller, Spork, Tassen und Liquitainer Wasserflaschen tragen zu müssen. Ergänzt wird unsere Feldküche durch zwei Wassersäcke, einen Kochlöffel, einen Messbecher, wasserdicht verpackte Streichhölzer, ein Feuerzeug, einen Schwamm, ein Tuch und etwas Reinigungsmittel. Unsere Maxime ist, weniger Gewicht vor Schönheit, so dass die ganzen wunderbar chromblitzenden, edelstahlmattierten und holzeingefassten Utensilien unserer Küche ausnahmsweise einmal zu Hause bleiben dürfen.

Bild: Hrafntinusker Gletscherfeld
Verpflegung:
Unser interessantestes Testfeld in der Vorbereitungsphase sind die Lebensmittel. Wir sind uns einig, dass wir in der Nähe der Zivilisation auf deren Annehmlichkeiten nicht verzichten werden. Sprich, wir werden die einheimische Küche ausgiebig probieren und mehr oder weniger frische Lebensmittel hinzukaufen. Eigentlich gibt es bis auf drei Stationen im Hochland während der Laugavegur-Tour immer die Möglichkeit in einem Supermarkt, an einer Tankstelle oder in einem Camp unsere Kochbasis aufzupeppen. Sei es, dass wir frischen Fisch oder Krabben dem Abendessen beifügen oder auch Ost und Gemüse verarbeiten.
Um aber überhaupt eine einigermaßen gerechte Auswahl unserer Basis-Lebensmittel treffen zu können, welche den unterschiedlichen Geschmäckern Rechnung trägt, probieren wir in den Wintermonaten jede käuflich zu erwerbende Fertignahrung aus und vergeben Punkte für Aussehen, Geruch, Geschmack und Konsistenz. Nicht zu vergessen, dass sich die eine Hälfte unserer Familie überwiegend vegetarisch ernährt, während die andere Hälfte … Details erspare ich mir.
In akribischer Kleinarbeit entsteht so ein olfaktorisches und gustatorisches Lexikon unserer Familie, mit welchem die absoluten Unmöglichkeiten einer gemeinsamen Reise vermieden werden können. Die Tests finden immer unter den gleichen Laborbedingungen statt, welche sich aus einem kargen Frühstück, einer dreistündigen Wanderung und dem Entfall jeglicher Zwischenmahlzeiten zusammensetzen. Der Begriff Sonntagsbraten hat in dieser Zeit für unsere Familie eine leicht abgewandelte Bedeutung bekommen und lässt uns noch heute beim Anblick eines frisch gesottenen Bratens schreiend aus dem Zimmer laufen.
Neben dem unvermeidlichen Unwohlsein bei einigen dieser Tests und der gegenseitigen Rücksichtnahme bei der Vergabe von Toilettenbenutzungszeiten haben uns die teils wahnsinnigen und völlig gescheiterten Versuche zur Geschmacksverbesserung eines großen Teils dieser Speisen an den Rand des Zwerchfellbruchs geführt. Einzig die Pfannkuchen und die Süßspeisen haben wir in der Überzeugung ihrer Unfehlbarkeit nicht getestet, was sich später noch als einer der größten Fehler unserer Reisevorbereitung herausstellen sollte. Das Ergebnis dieser überaus spannenden Zeit ist bei Licht betrachtet dann doch etwas banal, wie die nachfolgende Auflistung erahnen lässt.
Grundlage des Frühstücks wird Nussmüsli sein, wahlweise mit Milch oder Kakao aufgekocht. An Getränken wird es Tee, Kaffee, Milch, Kakao oder Zitrone zur Auswahl geben, natürlich nicht jeden Tag, aber zumindest am Anfang. Ergänzen werden wir diese Basis mit den örtlichen Angeboten an Joghurt, Obst und Backwaren.
Während des Tages werden Obst, Müsliriegel, Fruchtschnitten, Trockenobst, Schokolade, Panzerplatten und Landjäger gereicht, wenngleich wir nicht vorhaben, die Farben unserer Bekleidung den teils martialischen Namen unserer Pausensnacks anzupassen.
Am Abend wird eine Trekkingmahlzeit gekocht, welche zu einem Teil aus einem dehydrierten Vorfabrikat und zum anderen Teil aus den vor Ort erworbenen Ergänzungen besteht. Nach besonders anstrengenden Tagen wird es auch einen Nachtisch in Form von Pfannkuchen oder einer Süßspeise geben können. Und als allerletzter Notnagel wird in den Tiefen des Medipacks eine große Tüte mit Gummibärchen versteckt.

Bild: Brennisteinsalda
Unterkunft:
In unserer Familie ist eine Vielzahl an unterschiedlichen Zelten vorhanden, welche je nach Einsatzzweck vom Ein-Mann-Zelt über Winterzelte bis hin zur luxuriösen Afrika-Lodge reicht. Nach einer genauen und über den dicken Daumen gespuckten wissenschaftlichen Analyse kommen Finn und ich zum Schluss, dass unsere in etwa gleich alten Winterzelte ihre beste Zeit bereits hinter sich haben und die isländischen Windgeschwindigkeiten nur noch mit einer eingeschränkten Wahrscheinlichkeit meistern können. Das gibt uns somit eine gute Gelegenheit mitten in der Finanzkrise die europäische Outdoor-Wirtschaft wirkungsvoll zu unterstützen.
Unsere Wahl fällt für Finn und seinen Sohn auf das Nachfolgemodell seines bisherigen Winterzelts, womit er langfristig wieder gut aufgestellt sein sollte.
Für uns vier habe ich den großen Geodäten von VauDe, das Power Atreus, auserkoren, welches laut VauDe-Werbeversprechen nur vier Kilogramm wiegen und als Expeditionszelt geeignet sein sollte. Um es vorweg zu nehmen, nie wieder und ich meine NIE WIEDER !!!, werde ich auf die Werbung von VauDe hereinfallen. Auch wenn sie früher einmal ein ganz passabler Produzent von Zelten gewesen sind, das Power Atreus wiegt weder vier Kilogramm NOCH ist es für Expeditionszwecke geeignet. Dazu aber später mehr.
Den Reinfall mit der falschen Gewichtsangabe habe ich nur deshalb nicht mit einer Reklamation geahndet, weil ich ein ähnlich großes und zugleich stabiles Zelt auch bei anderen Anbietern nicht für unter 4,7 Kilogramm gefunden habe. Dazu kommt, dass ich das Zelt zu einem unschlagbar günstigen Preis erworben habe- es ist die Pest des Schnäppchens.

Bild: Hrafntinusker Gletscherfeld
Schlafen
Da wir Erwachsenen gewöhnt sind, unsere Daunenschlafsäcke auch bei widrigen Bedingungen trocken zu halten, erübrigen sich hier Modifikationen. Iris wird einen 800er ME-Helium, Finn und ich werden je einen 350er ME-Zero nutzen. Als Backup gibt es Anda-Seideninletts. Für uns stellt dies erprobtes und ausreichendes Material dar.
Bei den Schlafsäcken der Kinder entscheiden wir uns stattdessen für den Weg der größeren Sicherheit und nehmen statt der Daunen- die Kufa-Schlafsäcke mit (Deuter Starlight EXP), welche wir mit Fleece-Inletts pimpen. Das Gewicht fällt zwar dadurch deutlich höher aus, aber die Gefahr eines Wärmeverlustes bei feuchten Schlafsäcken reduziert sich für die Kids. Gut, wahrscheinlich geht diese Entscheidung auf das Konto der typischen Eltern-Überheblichkeit, aber sicher ist eben sicher.
Für drunter wählen wir für alle als Kompromiss zwischen Gewicht und Komfort die TR-Isomatten in der ProLite-Variante aus. Alles in allem entspricht die Kombination aus Schlafsack und Isomatte nicht ganz den Ansprüchen von Iris an ein Himmelbett, wird aber von ihr als akzeptabel abgehakt und löst bei mit im Gegenzug Erleichterung aus. Sie hätte sich ja auch für die superweiche und superschwere Wintervariante entscheiden können.

Bild: Landmannalaugar Camp
Rucksäcke
Auch wenn auf dem einen Schlafsack Helium drauf steht, ist leider keins drin und so müssen wir uns mit dem Thema Gewicht ernsthaft auseinander setzen. Im Ernstfall wird es im schlimmsten Getöse darauf hinauslaufen, dass drei Schultern das gesamte Gewicht tragen können müssen. Das Ergebnis dieser Überlegung sind Gewichtsbegrenzungen der Rucksäcke, jeweils 20 kg für Finn und mich, 16 kg für Iris, 6 kg für die beiden Zehnjährigen, 4 kg für den Sechsjährigen. 72 kg für vierzehn Tage ist die Messlatte, die es zu erfüllen gilt. Hiervon sind 28 kg Lebensmittel und 6 kg Trinkwasser geplant.
Für uns sechs Wanderer kommt letztlich eine ganze Menge an großen und kleinen Gegenständen zusammen, welche ausgebreitet den Boden unseres Wohnzimmers vollständig ausfüllen. Um Ordnung in das Chaos zu bringen und die Teile auf Tour zuverlässig wiederfinden zu können, entwerfen wir ähnlich einer Expedition ein Pack- und Verladeschema für jeden der Rucksäcke. Dabei werden die Hauptgruppen Bekleidung/ Hygiene, Kochen/Verpflegung, Zelt/Schlafen und Orga/Sonstiges in unterschiedlich farbigen, wasserdichten Packbeuteln sortiert.
Aus Gewichtsgründen werden wir Erwachsenen unsere Millet 65L verwenden, welche nur 1,56 kg auf die Waage bringen. Für die beiden Zehnjährigen sind jeweils Terra Nova Laser 35L mit 500 g und für den Sechsjährigen die Variante mit 20L und 350 g Gewicht vorgesehen.
Um es kurz zu machen, unser Startgewicht zum Beginn der Tour beträgt schließlich knapp 80 kg, was jeweils 23 kg für Finn und mich sowie 18 kg für Iris bedeutet. Nach unzähligen Diskussionen und Abwägungen haben wir uns dann doch noch für Buntstifte, Malblöcke, Kartenspiele, Reisespiele, GPS, Kartenmaterial, Kompass, zwei Kameras, eine 20 m lange Repschnur und ein deutlich umfangreicheres Medipack entschieden. Auch die vor Ort gekauften, frischen Lebensmittel schlagen noch einmal mit geschätzten 2 - 3 kg zu Buche.

Bild: Gullfoss
MYOG:
Das Unterfangen, die ganze Familie mit einer entsprechenden Ausrüstung auf den neuesten Stand zu bringen, stellt sich letztlich als recht kostenintensiv heraus, so dass ich die alte Nähmaschine von Iris Mutter für einige Wochen in Beschlag nehme und verschiedene Dinge selbst anfertige. Hilfreich sind dabei die Stoffe von Extremtextil und meine rudimentär noch vorhandenen Fähigkeiten diese zu verarbeiten. Zur Überraschung meines Bekanntenkreises muss dieser in den folgenden Wochen gänzlich neue Seiten mit all ihren Vor- und Nachteilen an mir kennenlernen. Das geht von panischen Versagensängsten, über nächtlichen Telefonterror bis hin zur Bitte, als lebende Kleiderständer und Modeberater auszuhelfen. Die Liste unserer gequälten Freunde, denen ich die Unterstützung ähnlich einem Plattencover danken müsste, ist ellenlang. Ich trage sie in meinem Herzen.
Aus eigener Produktion stammt für unsere Reise schlussendlich die körperbetonte Merino-Unterwäsche, für deren erfolgreichen Einsatz ausgeschlossen werden muss, in den kommenden Wochen weder Fett- noch Muskelmasse aufzubauen. Ebenso fertige ich das Groundsheets für das Zelt und die Flecce-Inletts für die Kinder-Schlafsäcke an. Für die Kameras entstehen wasserdichte und stoßgepolsterte Rollhüllen, welche am Rucksack oder am Gürtel befestigt werden können. Und als Höhepunkt dieser kurzen aber äußerst produktiven Schaffensphase nähe ich mir und meinem Bruder einen (Alp-) Traum von Hose aus einem bionischen Material von Schöller. Um diese Dinge schaffen zu können, verbringe ich fast jede freie Minute mit meiner Familie, einen Großteil der Zeit zwar geistig abwesend aber in tendenzieller Sicht- und Rufweite. Und ganz nebenbei erfülle ich auf den Pfaden des MYOG wandelnd somit das gegebene Versprechen einer hingebungsvollen Familienpflege.

Bild: Reykjavik Hafen
Zwischenstand:
Zu Weihnachten stellen wir zu unser aller Überraschung fest, dass unsere materiellen Vorbereitungen bereits so weit genug gediehen sind, dass wir das Wagnis auch wagen zu können. Die Entscheidung ist gefallen. Mit einem leichten Schaudern des Entsetzens werden die Flüge gebucht. Das Geld entschwindet von unserem Konto und es gibt kein Zurück mehr.
Der bisherige Erfolg beflügelt uns und wir beginnen voller Elan mit dem schwierigeren Teil, den mentalen Vorbereitungen. Nach unserer Einschätzung benötigen die Kinder noch ein Grundgerüst aus Erfahrungen und Wissen, um bei ungünstigen Bedingungen nicht zu blockieren. Nicht an jeder Stelle werden wir uns im Hochland basisdemokratische Diskussionen oder einen Abbruch leisten können. Stehenbleiben, Verzweifeln, Ratlosigkeit und Misstrauen sind keine echten Optionen. Die Tour ist nicht wirklich schwierig, aber für Stadtkinder, vorsichtig ausgedrückt, ungewöhnlich.
Wir lernen. In einigen unserer Bücher finden wir Informationen zu Flora, Fauna, Wetter und Geologie auf Island. Was man kennt, sieht man auch, ist die Devise. Und unsere Kinder werden plötzlich schlau, fühlen sich schon als angehende Naturforscher.
Wir üben. In anderen Büchern finden wir Verhaltensweisen für Flussdurchquerungen, Schlechtwetter und Notfallsituationen. Was man trainiert, kann man auch, ist die Devise. Und unsere Kinder lernen plötzlich DEN Respekt vor der Natur, den es braucht, um sich in schwierigen Situationen an das Gelernte zu erinnern.
Und wir Erwachsenen? Wir sind ganz einfach erstaunt über den Elan und die Begeisterung unserer Kinder.
Einige Wochen später, auf der Insel tobt sich gerade der Eyiajjallajökull aus und hüllt ganz Europa in eine schwarze, undurchdringliche Aschewolke, steigt unsere Nervosität dann doch noch einmal merklich an, ob dieses Projekt vielleicht nicht etwas zu hoch gegriffen ist. Im Bekanntenkreis wird bereits getuschelt, von wegen Verantwortungsbewusstsein. Ein Anruf bei einem befreundeten Geo-Ingenieur auf der Insel rückt das Drama des in ganz Europa verschwundenen Sonnenlichts aber wieder ins Lot. Alles halb so schlimm, typisch europäische Hysterie, sie leben noch und Pompeji ist noch fern. Der Laugavegur, ja, der ist wie vor zwanzig Jahren wieder einmal direkt betroffen, aber es gibt ja auch noch andere Routen. Also statt Plan A stehen uns dann eben noch die Pläne B bis D zur Verfügung. Geht schon.

Bild: ... der Wanderverein
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