
Der Hausherr hat seinen Werkzeugkoffer, der Handwerker sagt:
Was willst mit dem Spielzeug?
Und bleibt man mit dem Wagen liegen, ruft man den ADAC.
Wen also haben die Hersteller als Zielgruppe auserkoren?
Nun, diese Dinger verkaufen sich auf der Illusion, dass man sich wie Mad Max oder Indiana Jones aus jeder erdenklichen Notlage befreien kann, wenn man nur ein ‚Leatherman’ am Gürtel trägt.
Eines davon im Stiefel versteckt und selbst Stacheldraht ist, zwack zwack, kein Hindernis für den Befreiungskünstler.
Der eigentliche Kunde jedoch ist der Büromensch mit gleitender Arbeitszeit.
Ihn, der seine Lebenszeit vor dem PC verbringt, dürstet es nach Aufgaben, die des kalten Stahls seines Taschenwerkzeuges bedürfen.
Sein miniaturisiertes Allzweckgerät, das alles kann und nichts richtig, nährt ein Allmachtsgefühl, das sich in den Widrigkeiten des Alltags - Benzinpreiserhöhung, S-Bahn-Verspätungen, zänkische Kollegen, Poststreik, Rauchverbote, Messertrageverbote, persönliches Übergewicht und Milchteuerung - nicht entfalten kann.
Mal ehrlich, womit kann sich der echte Mann schmücken?
Mit einer goldenen Uhr? Mit silbernen Manschettenknöpfen? Seidenkrawatte? Einem Tausend-Euro-Füller? Einem Pferdeledergürtel?
Ist doch alles Quatsch.
Ein richtiger Mann braucht eine Waffe.
Waffe geht aber nicht, also ein Taschenwerkzeug.
Und: Sind sie nicht schick, diese Dinger?
Na klar, müssen sie auch sein. Das ist ja ihr eigentlicher Zweck.
Dass man die multitools noch nicht beim Juwelier kauft, ist nur eine Frage der Zeit und der Preise, die noch ein bisserl anziehen müssen. (Swarovski soll mal ein paar Steinchen beisteuern, mit dem man das Ding veredeln könnte, tun sie bei Handys ja auch.)
Der bizarre Erfolg der ganzen Gattung Taschenwerkzeuge ist letztlich dessen hermaphroditischer Natur geschuldet.
Es vereint – bestes Beispiel ist das Juice – labia major und labia minor mit dem phallischen Signum von Zange und Zangenkopf, einbegriffs fortwährender Aussicht auf Spontan-Erektion, wann immer sein Besitzer es will.
Im Unterschied zum Hammer, den kaum jemand am Gürtel mit sich führt, ist ein Taschenwerkzeug nicht nur potent im Sinne von ‚fähig’,
sondern eben auch ‚mächtig’: ‚Ich krieg jede rum,(jede Aufgabe), weil, ich kann immer.’
Das Taschenwerkzeug ist das Antidot der Erfahrung des Scheiterns und darauf hackt jede Werbung herum und verbreitet bösartige Geschichten über die Qualität italienischer Autos.
Wie bei allen Begehrlichkeiten muß man das Verebben des ersten Kaufimpulses abwarten (...muß noch mal drüber schlafen ...), um zu einer überlegten Kaufentscheidung zu kommen, die einen nicht in die eigene Gefühlsduselei hinein versklavt.
Ich persönlich halte es auch für völlig legitim, sein Taschenwerkzeug nach ästhetischen, klanglichen oder haptischen Kriterien zu erwählen,
statt des üblichen Diktums von Brutalität, nämlich der Frage,
bei welchem Druck das Zangengelenk bricht, die Schalen verbiegen und Schneiden verstumpfen, als Prior aller Grobiane, die nichts können, außer fest zudrücken.
Ich selbst, nur als Beispiel, würde niemals ein Gerber, ein SOG oder neuerdings ein Skeletool, also eine dieser hässlichen Metallkröten mit mir herumtragen, von Firmen, die sich um Anstellung und Bezahlung eines anständigen Industriedesigners herumdrücken wollen.
Ich bin ein großer Fan von diesem Zeug, aber ich meine, man darf sich nicht einlullen lassen.
Aber kommen wir zur Einzelkritik:

S.
Was ich den Schweizern nicht verzeihe ist, dass sie ihr Ding, dessen Namen ich nie aussprechen werde, allzuoffensichtlich in spirituelle Höhen erheben wollen und das ist anmaßend, dumm und dreist und verunglimpft die Welt des Begriffs.
Die Schweizer sind auch nicht entschuldigt durch schwedische Möbelhäuser, die vor Jahrzehnten begannen, ihren Plastikeimern Individualnamen zu verleihen, so als ob diesem Massenzeug Würde und Wert singulärer Seinskennzeichnung zuzukonnotieren wäre.
Es gibt ja keinen Hersteller mehr, der nicht selbst seine Wollsocken nach europäischen Großstädten benennt, von den Unterhosen nicht zu reden.
Eine Schande ist das.
Nichtsdestotrotz ist das Ding, dessen Namen ich niemals erwähnen werde, hochgradig gelungen.
Oberflächen handschmeichlerisch feinst poliert, völlig grat- und wackelfrei und die Werkzeuge ordentlich, fast schon pedantisch aufgeräumt und insgesamt mit dem kleinen Knick, ja unkeuschen Schwung, den man den Schweizern ja so gar nicht zutraut, und der das Ding, dessen Namen ich verschweigen muß, so gefällig macht, dass man sich hütet, von einem Damenwerkzeug zu sprechen.
Beglückend auch der anmutige Klang, der leichte Doppelklick beim Einrasten der Werkzeuge: Zuerst ein matt-helles Kleck, dann ein sonores Klack und dann beim Zurückführen, je nachdem, ob man es schnalzen lässt oder nicht, eine Melodei von Klock bis Kliiek, immer aber ein Hörgenuß, weil keinerlei Nebengeräusche: Kein Kratzen, kein Schaben, kein Quietschen. Wunderbare Stille.
Wunderbar auch die herrliche Geschmeidigkeit, mit der das alles geschieht, bis hin zum ausgetüfteltsten Federdruck, an dem man sicherlich monatelang sich versucht haben muß, um ihn genau so in der exaktest bemessenen Stärke hinzubekommen, der die Werkzeuge im bestmöglichen Widerstand führt, freigibt und aufnimmt.
In dieses Teil, dessen Name mir entfallen ist, haben die Schweizer ihren erlauchtesten Grips hineingegeben und es ist, man muß es zugeben, über die Maßen wohlgeraten.
Nebenbei, nehmen Sie Leder; für das Plastiktäschchen, weil zu tief, brauchen Sie zwei Hände, um das Ding rauszubekommen.

Swisstool
Was für das Ding, das nicht genannt wird, gesagt wurde, gilt im Wesentlichen auch für das Swisstool.
Nur: Das obige Ding ist eine Tänzerin, das Swisstool ein Panzer. Gemacht für den Steinlupfer, Ochsenknecht und andere Betonschlepper.
Lokführer können damit entgleiste Züge zurückhieven und Piloten ihre Kanzel zum Notausstieg abhebeln, was aber soll der arme Berufspendler im öffentlichen Nahverkehr damit anfangen, der schon an seinem missratenen Bürojob so schwer schleppt?
Das Swisstool hat die Anmutung eines Briketts, ist also etwas aus der Zeit, würde auch zur Betonfrisur manches Fußball-Experten passen, aber uns, die wir diesem erbärmlichen Leben eine Spur Eleganz und Leichtigkeit abgewinnen wollen, will es nicht so recht behagen.
Schenken Sie es Ihrem Vater zum Siebzigsten! Er wird es nie gebrauchen, sich aber an dessen Solidität erfreuen und den Sohn inwendig honorieren, der ihm zutraut, auch im Alter das Leben noch in die eigenen Hände nehmen zu können. Salut!

Juice XE6
Mein erklärter Liebling. Ist es nicht hinreißend schön?
Ja, es ist. Es ist so liebreizend, dass ich nur Indoor, also inhäusig, am sauberen Schreibtisch damit arbeite, wenn überhaupt.
Obwohl es manchenorts als Gimmick verschrieen ist, halte ich es für eines der vollständigsten Taschenwerkzeuge überhaupt.
Zusammen mit meinem Taschencampingbesteck, mit dem es eine unschlagbare Gemeinschaft bildet, halte ich es immer parat, um ohne weiteres Zubehör sofort in den Campingurlaub starten zu können.
Aber ich campe nie. Campen macht schmutzig und das mute ich dem Juice nicht zu.
Ich habe hingegen schon mehrere Flaschen Wein mit dem Hebelkorkenzieher des Juice öffnen können und darin hat es sich sehr bewährt. Manche Werkzeuge sind ein bisschen weich, aber die schone ich dann und setze sie nicht wieder ein.
Für alles Grobe nutze ich eh ausschließlich das Workzone.
Das Juice nähert sich der Produktqualität von Victorinox, biegt aber vorher ab.
Das ist nicht weiter schlimm, wenn man auch deren Taschenwerkzeuge besitzt.
Man wechselt dann einfach mit dem Gürteltäschchen die Marke.
Das Juice bekommt mal meine Tochter, denn die Feilen darin sind erstklassig und die Schere auch und in seiner Kompaktheit ist es unübertroffen. Es sollte in keinem Kosmetikkoffer fehlen.
Für echte Männer ist die Schalenfarbe lila natürlich ein Ausschlusskriterium.
Völlig zu recht. Aber schön iss es doch! Man muß es halt schwarz lackieren.

Leatherman Charge TTi
Der angestrebte Höhepunkt im Taschenwerkzeugbau liegt vor uns und erweckt den Eindruck, als möchte man auf die höchsten Gipfel, aber schafft’s nur mit Sauerstoff.
Die Gürteltasche immerhin ist richtiges Sattelleder und nicht nur mit Kunstharz aufgeblähte Haut und hat auch einen echten Druckknopf statt Klett.
Gut auch das seitliche elastische Gummigewebe, sogar gedoppelt, da bringt man glatt noch einen SpacePen unter.
Ja, sie denken mit, die Ingenieure des Herrn Leatherman! Der alte amerikanische Pioniergeist!
Das Charge ist fast 18% Neutralgrau, also gut getarnt, da fällt es nicht so auf, dass es mittlerweile eigentlich verboten ist, wenn ich mich nicht irre.
Aber welch echten Mann interessieren schon Maßregelungen von Krawattenträgern.
Das Charge ist eine ehrliche Haut. Da wird nichts verheimlicht. Alles liegt offen zutage und unpraktisch innen geschützt.
Aber mal im Ernst:
Das ganze Victorinox-Zeugsel ist doch für überlangjährigangetraute, bis zur Geschlechtsunkenntlichkeit entstellte Mustergatten, die ihre bessere Hälfte Samstagabend zum Ballett begleiten müssen oder zur konzertanten Aufführung von L’apresmidi und Le sacre du printemps mit anschließendem Diner und Barbesuch.
Mann, zu so was kannst doch nur das Ding mitnehmen, das mir nicht über die Lippen kommt!
Aber kein Charge!
Alles, was ich über das namenlose Ding geschrieben habe, gilt für das Charge nicht! Es klingt nicht, es ist nicht schmiegsam und adrett ist es auch nicht und die bei Leatherman haben sich sicherlich zurecht gedacht, Wozu auch, wir sind ja nicht im Schönheitssalon. Richtig!
Ein Kunsthistoriker würde es wohl so formulieren:
Die Anmutung des Charge verliert auf einer defizitären Achse an Liebreiz, der invers korrespondiert mit dem gewachsenen Anspruch auf Unverfälschtheit und mittels einer hohlklingendem Titanschale nicht eingelöst werden kann, dadurch aber redundant die Authentizität unterstreicht, die ein zweitklassiges Produkt zur Erstklassigkeit verdammt: Der Preis.
Mit anderen Worten: Könnt Ihr Euch Indiana Jones mit einem Ihr wisst schon was vorstellen?
Nie und Nimmer!
Eben.
Deswegen gibt es das Charge vollkommen zu Recht.
Außerdem ist es praktisch. Man kann praktisch vier Verbote gleichzeitig ausklappen, einhändig, wohingegen beim anderen da gar nichts geht, was auch nur irgendwie anrüchig wäre, nicht mal das Pottwalsägefischmesser.
Das ist nur nett und das ist ein Manko, für’s andere.
Das Charge, man muß sich ihm in der Negation nähern, ist nicht für Hampelmänner, Schönlinge und Büroklammerntester gemacht, agiert aber in einer Preisregion, die es zum Distinktionsgewinn eben dieser Kundengruppe werden lässt: Seht her, ich kann es mir leisten.
Das ist das Handicap aller Premium-Produkte, dass sie von der Gruppe der Schnösel bevorzugt wird, zu der man auf keinen Fall zugerechnet werden will, weil man selber einer ist.
Aber es gibt einen Ausweg und der kommt jetzt:

Workzone
Das Workzone im Plastikkasten, leider nur unschick zwischen Bauch und Gürtel einzuklemmen, misst vom Umfang her zwei Taschenwerkzeuge und erlaubt als einziges, weil eine Sammlung von Einzelwerkzeugen, die tiefen Gehäuseschrauben von Plastikspielzeug aufzudrehen, wo jedes Taschenwerkzeug versagt.
Deren Ergonomie eiert ja gelegentlich sehr ums Zentrum und irgendwie geht nichts über einen anständigen, symmetrischen, traditionell zentrierten Schraubenzieher, der nichts anderes will als er soll und der sich griffrichtig in die Hand schmiegt.
Für den Preis eines Charge bekäme man mehr als Vierzig (40!) Workzonekästchen, wenn man nicht prinzipiell dagegen ist, sein Geld den Gebrüdern Aldi zu überlassen.
Dessen Qualität ist formidabel und in Koexistenz mit zwei mittleren Schraubendrehern, Schlitz und Kreuzschlitz, ließe sich im alltäglichen Haushalt nahezu jede Aufgabe bewältigen. Ließe, ja, weil, wenn das Workzone nicht gänzlich ohne jedes Gusto wäre.
Nämlich dem Ruf: ‚Schaatz! Die Zierblende vom Küchenradio ist locker. Kannst Du mal kommen?’, mit solch einem Miniköfferchen entgegenzutraben, muß dem schon vormittags gürteltäschchenbewehrten MultiToolTräger das ganze Vergnügen am Schrauben rauben, weil es den Akt holistischer Reparatur auf eine bloße technische Anwendung zurückführt, wohingegen der Einsatz eines Taschenwerkzeuges einer Handlung mit vollständigem Charakter nahe kommt: Natürlich kann man seinen Wein aus einem Plastikbecher trinken, wie man ja auch profan schrauben kann.
Nur, will man das?
Und dem Technizisten: ‚Glaubst, die Schraube interessiert, mit welchem Tool sie reingedreht worden ist?’, muß man strikt entgegenhalten: ‚Die Schraube nicht. Aber mich! Es kommt nicht auf die Schraube an, sondern auf den Schrauber!’; aber das kapieren die Funktionalisten nicht.
Deswegen muß man festhalten: Das Workzone ist saugut, aber defizitär.
Es ist wie Sex mit der eigenen Gattin.
Funktioniert, aber das ist auch schon alles.
Wer nicht muß, lässt es bleiben.
Resümee:
Bevor mich der Rappel gepackt hat, bin ich 10 Jahre lang mit einem sechsteiligen Hartkopf-Taschenmesser ausgekommen und wenn ich geistig wieder gesundet bin, befreit vom Taschenwerkzeugfieber, werde ich auch wieder zu ihm zurückkehren. Alte Liebe rostet nicht.

Nachtrag:
Nach Jahren der Erprobung stelle ich fest:
Das Juice benutze ich praktisch nie, das Charge selten und das Swisstool überhaupt nicht. Ich bin ein Fän des Unaussprechlichen und es hängt immer an meinem Gürtel und es ist das einzige, das ich gerne in die Hand nehme, ganz einfach weil es sich angenehm in selbige schmiegt.
Mittlerweile hat es etwas Spiel, wurde auch viel gearbeitet damit, Parkett habe ich damit verlegt und Sockelleisten geschraubt, Kettenschaltungen justiert, Backofenbleche entnommen und Bienenstacheln entfernt.
Die Schweizer, hört man sagen, mögen die Deutschen nicht.
Ich aber mag die Schweizer.
Ein Volk, das so was schönes hervorbringt, kann nicht von Grund auf schlecht sein.
Bis auf die Banken.
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