[SE] abseits im Abiskofjäll mit Sörweiweleinlage

[Moltebaer]

"Ich bin wohl zu spät dran", denke ich mir beim Durchschreiten des alten Kungsledentors bei Abisko Ende September 2016, denn die Ruska war schon vorbei und das Fjäll eher kahlbraun statt herbstfarben.

Mal sehen, was die Tour sonst noch so bringt... Und es ward nichts gutes

[Moltebaer]

Ich will mich abseits des Hauptpfades durchs Ballin- und Siellavagge in Richtung Mårma schlängeln und mich dann via Vistas, Nallo und Unna Räita auf den Jojoleden begeben um kurz auf dem Kebnekaise vorbeizuschauen und dann bei Nikkaluokta wieder rauszukommen. Eigentlich eine ganz nette Idee, nur: warum habe ich die Tour so spät im Jahr geplant?

Nach der Ankunft in Abisko Turist mache ich mich nachmittags noch auf den Weg hoch zum Tältlagret wo ich einen älteren Wanderer mit Hund antreffe und ein wenig mit ihm schwätze bevor ich mich in mein Zelt verkrieche.

Ich schlafe recht lang nach der Anreise, der ältere Hundewanderer ist bereits aufgebrochen, so erkunde ich noch ein wenig die nähere Umgebung und mache mich dann auf ins Ballinvagge. Das Wetter ist soweit passabel, es ist frisch und bewölkt, doch nicht zu windig oder kalt. Allerdings beginnt es nun leicht zu regnen, nicht viel aber es bewegt mich dazu, den Poncho überzustreifen. Da meine Regenjacke aufgrund Undichtigkeit gerade im Service ist, hatte ich kurzerhand auf den Poncho umgesattelt. Von der vielen Islandreiserei sind meine Schuhsohle ziemlich abgeschliffen aber trotzdem wollte ich noch eine letzte Tour mit ihnen machen, bevor sie zum Wiederbesohlen sollten - also irgendwie doch kein taugliches Material...

[ks]

Das fängt ja gut an. Und diese Cliffhänger - arg.

[Moltebaer]

So laufe ich nun querfjällein, teils noch einer Trampelspur folgend, als es plötzlich auf einem nassen Stein geschieht: ich rutsche leicht ab, kann mit den vom Poncho verdeckten Händen nicht gut ausgleichen, verdrehe das linke Sprunggelenk und lande mit Schmerzen im feuchten Gras. Toll! Es tut richtig weh und ich brauche eine Weile, bis ich mich mit dem 30 kg schweren Rucksack wieder aufgerichtet habe.
Ich komme nur noch humpelnd voran, versuche zur der flachen Stelle mit den Ruinen des alten Windschutzes im nördlichen Ballinvagge zu gelangen, was angesichts der Schmerzen lange dauert. Endlich dort angekommen, baue ich schnell das Zelt auf, hole Wasser aus dem nahen Fluß und begebe mich ins Zelt um dem Wind zu entkommen.

Kurze Diagnose: der linke Knöchel ist geschwollen und ich habe ein Hämatom unterm Sprunggelenk, wird also wohl (mal wieder) ein Bänderriß sein. Prima! Den letzten dieser Sorte hatte ich unweit einer S-Bahn-Haltestelle und konnte mich direkt ins Krankenhaus fahren lassen. Hier sieht die Lage ein wenig anders aus.


Wenigstens nicht absolut dramatisch: ich habe genug Wasser, Proviant und Gas zu Beginn der Tour, ich habe ein stabiles Zelt bei moderatem Wetter und einen warmen Schlafsack. Nur sitze ich abseits des Hauptpfades, außerhalb der Saison einigermaßen immobil fest und habe keinen Handyempfang. Aber grundlegend geht es mir gut. Aus meiner Erfahrung weiß ich, daß das beste ein wenig Schonung ist, gefolgt von moderater Belastung.
Ich beschließe, mir etwas zu essen zu machen und entspanne mich, soweit das möglich ist. Grüner Nebel wabert durchs Zelt. Den nächsten Tag verbringe ich damit, heiße Schokolade zu trinken, ein wenig ums Zelt zu humpeln und mich wieder zu verkriechen. Ich sehe einen Helikopter durchs Tal des Abiskojåkka fliegen, vielleicht nur 5 km entfernt aber unerreichbar.

[ronaldo]

Spannend! Wird er es schaffen? Oder ist der Bericht eine letzte virtuelle Flaschenpost??

[Moltebaer]

Am nächsten Morgen checke ich nochmal den Handyempfang: Null. Egal. Ich habe einen Plan: erstmal zum Tältlagret kommen und dann weitersehen, für die 3 km habe ich den ganzen Tag Zeit - und die nehme ich mir auch. Mit meinem soliden Manfrottostativ als Krücke humpele ich vorsichtig den Hang hinab bis zum ersten Zeltplatz meiner Tour.




Den nächsten Tag verbringe ich am Tältlagret, gehe im nahen Bach duschen und bestaune einen hÿbschen Regenbogen überm Torneträsk. Mehr passiert an diesem Tag nicht, außer daß der Helikopter noch ein paar Male mit einem erlegten Elch unten drangebunden nach Abisko fliegt.

[Moltebaer]

Tagsdarauf packe ich meine Sachen und humpele mit meiner Fotokrücke die 3 km talwärts bis zu einem gemütlichen Plätzchen am Nissonjohka, der mir noch von unserer ersten großen Tour anno 2002 bekannt ist.

Zuerst geht es auf einem kleinen Trampelpfad mit zeitweiser Lapplandautobahn vorwärts, später auf breiteren Wegen, die gleichzeitig auch als Winterroute dienen.



Am bekannten Platz angekommen baue mein Zelt auf.

Als ich so im Zelt liege, kommt plötzlich wieder der Hubschrauber dahergeflappert und steht eine Weile über meinem Zelt als ob das so ungewöhlich wäre, hier jemanden campen zu sehen. Vielleicht prüft er kurz, ob ich auch brav außerhalb des Nationalparks zelte? Später am Abend kommt noch ein Sami auf einem 6x6-Quad (also ein "Sex") mit Anhänger dahergefahren, er furtet den Fluß gekonnt samt aufgeladenem Elch, wie ich erst beim Vorbeifahren bemerke.

[MaxD]

Puuh....die Spannung zerrt an den Nerven....

[berniehh]

Diese Spätherbstfarben haben was.
Echt blöde Geschichte mit Deinem Fuss. Bin gespannt wie es weitergeht......

[Moltebaer]

Am nächsten Tag mache ich wieder Pause und beobachte, wie nachmittags eine Gruppe Wanderer nach und nach am gegenüberliegenden Ufer eintreffen, ihre Zelte aufbauen und Sachen trocknen.

Einer der Wanderer kommt schließlich rüber zu mir und ich erfahre, daß die Gruppe gerade ihr Friluftslivseminar der Universität abschließen wird. Beim Geschirrspülen beäugen sich beide Ufer des Nissonjohka.


Ich schieße noch ein Foto vom Zelt und den teils schon verzuckerten Bergen im Hintergrund, dann lege ich mich schlafen.

[Moltebaer]

Am nächsten Morgen hängen die Wolken um einiges tiefer und auch die Schneefallgrenze ist deutlich gesunken. Ob ich meine geplante Wanderung tatsächlich so hätte durchziehen können?


Die "Königsetappe" auf breiten Wegen nach Abisko meistere ich (humpelnd) mit Bravour und besorge mir erstmal einen Kaffee bevor ich mich in der Turiststation einquartiere, die Sauna genieße, mein Ticket umbuche und am kommenden Tag nach Stockholm fahre.

Und die Moral von der Geschicht': manchmal läuft es, manchmal nicht!