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Gegend: Schonen, südlichstes Schweden
Weg: Österlenleden, einer der vielen Varianten des Skåneleden.
Wenn ich schon einen vorgekauten Fernweg laufe, bringe ich wenigstens etwas Revolte rein: Ich wandere ihn entgegen der empfohlenen Laufrichtung.
Zeit: Februar 2020 (nicht ahnend, dass dies vielleicht auf lange Zeit die letzte größere Unternehmung sein wird)
Samstag wird es dauerregnen im südlichen Schweden, also kaufe ich mein Fährticket kurzfristig für einen Tag später als geplant. In dieser Jahreszeit ist das kein Problem, es ist Februar. Samstag Abend ablegen in Rostock, Sonntag Früh Anlegen in Trelleborg.
Sonntag

unscharf, aber anheimelnd
Es ist noch stockdunkel, aber hier kenne ich mich aus. Am Automaten etwas Bargeld abheben, dann am Bahnhof ebenfalls am Automaten die Fahrkarte für die Weiterfahrt kaufen und endlich frühstücken. Pressbyrå hat noch geschlossen, so gibt es statt Bullar und heißem Kaffee nur mitgebrachtes Käsebrot und kaltes Wasser.

vor dem Bahnhof in Trelleborg - ungemütlich aber vertraut
Mit Bus und Zug über Svedela nach Ystad. Hier beginnt er, der Österlenleden – die Strecke für meine diesjährige Winterwanderung. Der Anfang scheint mir nicht interessant genug, also noch ein Stück mit dem Bus bis Sövestad und dann geht’s los.

Bushaltestelle Sövestad kyrka - es geht loooos
Was soll ich groß schreiben? Ich bin gelaufen, Tag für Tag, darum war ich schließlich hier. Und Schonen sieht in dieser Ecke in etwa so aus, wie ich es mir vorgestellt habe: weites offenes Land, viel Landwirtschaft, wenig Wald, Streusiedlungen, Einzelgehöfte.

Das also ist Schonen - erstes Wegzeichen des Österlenleden

Schonen schon schöner
Um Snogeholm dann eine Art Naherholungsgebiet, Wasser, Spazierwege. Es ist Sonntag, Menschen machen ihre Sonntagsspaziergänge. Am Snogeholmssjön hat das Besucherzentrum geöffnet. Das ist erwähnenswert, es ist auf meiner gesamten Tour das einzige nicht geschlossene touristische Angebot außerhalb der größeren Städte – es ist schließlich Februar. Ich fülle dort mein Trinkwasser auf und trinke eine Tasse Kaffee.

leicht marodes Schloss am Snogeholmsjön

Kunst am Baum
Das Wetter wird püsseliger, geht in eine Art Dauerniesel über. Aber noch habe ich ein gutes Stück Weg vor mir. Klar gäbe es auch hier mit etwas Umsicht Zeltmöglichkeiten, die gleichzeitig erlaubt und geeignet wären, aber man müsste schon etwas länger suchen als in anderen Gegenden. Aber ich bin ja in Schweden und da gibt es an den meisten Fernwanderwegen diese praktischen Unterstände. So einen will ich heute noch erreichen.
Das letzte Stück bis zum Lagerplatz Vitabäck zieht sich gewaltig, aber nach ca. 25 km habe ich es endlich geschafft. Jetzt ist es trocken, aber für die Nacht ist wieder ergiebiger Regen angesagt. Auf ein nasses Zelt habe ich aber keine Lust. Luxus ist, wenn ich auch einfach in der Hütte schlafen kann. Für ein Zelt gibt es ohnehin keinen wirklich geeigneten Platz, das wird sich an den nächsten Stellen noch wiederholen.

Lagerplatz Vitabäck
Montag

Wege übers Land
Irgendwo hier auf oder in der Nähe des Weges soll ein alter Runenstein stehen. Ich habe ihn nicht gefunden und sage mir deshalb: Der hier wird es sein, es hat nur jemand die Runen abgekratzt.

Runenstein ohne Runen

gut gewässertes Weideland

Gehöft
Rasthütte Lövestad und damit Etappenende - theoretisch. Praktisch mache ich hier nur Mittagspause und gehe noch weiter, denn bis hierher waren es erst 14 km.
Auf der offiziellen Webseite werden für die einzelnen Etappen Schwierigkeitsstufen festgelegt. Größtenteils ist es mir ein Rätsel, warum einige davon als mittelschwer oder gar als schwierig bezeichnet werden. Die folgende Etappe von nur sechs km ist z.B. ist mittelschwer. Bemerkenswert: für mich ist sie das tatsächlich. Denn die Weideflächen sind jetzt im zeitigen Frühjahr so stark überschwemmt, dass die offiziellen Pfade teilweise durch einen Bach oder durch eine riesige Wasserflächen führen. Ich suche mir eine Art Wanderstab, um die Tiefe auszutesten und muss diese Flächen oft weiträumig umgehen. Das ist anstrengend und frisst Zeit. Dabei ist die Landschaft wunderschön: offenes Hügelland mit Wacholderbüschen oder auch kleinen Waldstücken dazwischen. Mit niedrigen Steinmauern, an denen man entlang gehen oder die man an einer Leiter überklettern muss.

unpassierbar

Passiertreppe

Hier geht's lang
Rastplatz Heinge: Das ist mit der schönste Platz auf der ganzen Strecke, halb versteckt und trotzdem mit Aussicht auf den tief unten gelegenen See. Ich überlege kurz, hier schon zu bleiben. Bis zur nächsten Hütte sind es noch einmal acht Kilometer, die sich gewaltig ziehen können. Aber es ist auch erst Nachmittags und ich habe den nächsten Platz am Verkasjön gewissermaßen für heute Abend eingeplant. Also bleibt es hier bei einer ausgiebigen Pause.

Bank mit Aussicht
Jetzt wäre es an der Zeit, mich um Trinkwasser zu kümmern. Aber was wirklich brauchbares finde ich nicht direkt am Weg. Ich baue auf das Etappenende, ein ehemaliges Alaunwerk aus dem 18. Jahrhundert, heute mit touristischer Infrastruktur: eine nachgebaute Siedlung, eine Kaffeestube, Souvenierläden. Das Kaffee öffnet wieder zu Midsommer – so lange möchte ich nicht warten. Auch der Rest wirkt wie ausgestorben. Die offizielle Trinkwasserzapfstelle soll die Feuerwache sein, doch die habe ich erst gar nicht gefunden. Es gibt noch einen riesigen Hof etwas ausserhalb. Dort parkt sogar ein Auto und es brennt ein schwaches Licht. Ich klopfe, die Hunde schlagen an. Aus der Seitentür kommt ein alter Mann, sehr freundlich aber distanziert. Er sagt mir, dass es auf der Rückseite einen Wasserhahn gibt und ist wieder verschwunden, noch bevor ich richtig danke sagen kann.

letzte Brücke für heute
Etwas weiter ab liegt dann die ersehnte Hütte. Auf einer Brücke muss ich noch über den schäumenden Verkaån und sehe auf der anderen Seite einen Bach in einem Wasserfall hinunter stürzen. Von hier hätte ich das Trinkwasser auch nehmen können – aber besser man hat, als man hätte.
Heute bin ich echt geschafft, ca. 32 km – nichts mit Schongang

Blick von drinnen nach draussen
Dienstag

Erinnerung an das Alaunwerk
Heute will ich endlich die Ostsee erreichen. Aber vorher ist noch Flusswandern angesagt, immer am Verkaån entlang bis zu seiner Mündung ins Meer. Mal weit oberhalb mit Blick auf den Fluss, dann wieder direkt am Ufer. Vereinzelte Gehöfte, meist ehemailge Mühlen.

Fast wie in Schweden

Wassermühle
Und dann der Rastplatz Vantalängan - hier ist wirklich viel Platz, eine große Wiese mit Bäumen und einigen verstreut liegenden Hütten und Grillplätzen. In der Sonne mache ich Mittagpause.

Eine weite Hügellandschaft mit Wiesen und Weiden, der Blick auf die unten liegende Stadt Brösarp, sogar ein Wein"berg". Der Weg, zum Ende hin sogar eine Straße, wird mir lang. Bis zur Küste ist es jetzt nicht mehr weit. In Haväng gibt es ein Vandrarhem, natürlich geschlossen.

verweile doch ...

kuckuck?

Schneewittchen
Dann der Blick auf das Meer, wuchtige Steine gegen den Horizont. Havängsdösen - ein Steinkammergrab, etwa 5000 Jahre alt.

Der Verkaån, der mich heute den ganzen Tag begleitet hat, findet hier sein Ende.

Es ist sonnig und windig. Ich laufe direkt am Strand oder auf einem Pfad durch die Dünen.

Ostsee im Februar

Boote bei Vitamölla
Bis in das Städtchen Kivik. Die Wasserbeschaffung habe ich bis hierhin aufgeschoben, ich vertraue auf die Infrastruktur. Doch nicht nur das Eiscafe, selbst die Pizzeria und die Dönerbude haben geschlossen. Weiter im Ort gäbe es sicher einen Lebensmittelladen. Doch am Hafen gleich an der Fischräucherei wirbt ein Aufsteller für öffentliche Toiletten, Wasch- und Duschmöglichkeiten. Da bin ich dabei, auf die Dusche verzichte ich, aber meine Wasserflaschen fülle ich auf. Selbst der Laden mit frischem Räucherfisch hat geöffnet. Wäre es ein paar Stunden früher und ich könnte mich mit einem Stück Fisch in die Sonne setzen und den Möwen beim Schreien zuhören, ich hätte sicher zugegriffen. Aber jetzt wird es dämmrig und es ist kalt. Ich will keinen kalten Fisch, sondern Nudeln und einen heißen Tee.
Rastplatz Kivik - die eine Seite direkt an der Ostsee, die andere Seite am Sportplatz bzw. an einem Parkplatz. Aber was soll's. Der Platz liegt trotzdem relativ versteckt, der Blick geht zum Meer und um diese Jahreszeit ist hier kein Mensch mehr.
ca. 24 km

Mir geht's gut
Mittwoch
Gleich außerhalb von Kivik gibt es ein angeblich sehenswertes restaurierets Königsgrab aus der Bronzezeit, im Februar natürlich geschlossen.

Kommt ein anderes mal wieder ...

Steinsetzung direkt an der Straße

Von der Arbeit ins Vergnügen
Apfelbäume, Apfelbäume, eine Mosterei und dahinter ein Nationalpark. Wahrscheinlich wollen die Südschweden auch einen solchen Park haben - nun gut: Stenshuvud. Viel Wald, viel Stein, viel Strand, viele Orchideen und ein Berg namens Steinkopf. Immerhin so steil, dass die Schonen eine Treppe hinauf gebaut haben. Der Blick vom Kopf hinab lohnt sich. Das Naturum samt Cafe, muss ich es erwähnen? Natürlich geschlossen.

Blick vom Steinkopf
Der folgende Weg teils über Straßen im Inland ist zermürbend, aber der Weg entlang der Steilküste scheint nicht mehr vollständig zu existieren.
Das Fischerdorf Vik und der folgende Weg an der Küste entschädigen für vieles. Die Cafes am Hafen halten ebenso Winterschlaf wie das Vandrarhem Baskemölla.



Auf Tafeln wird entlang der Küste immer wieder vor gefährlichen Unterströmungen gewarnt, die auch geübte Schwimmer in den Tod ziehen können.

Für den Notfall

Erste Anzeichen der "großen" Stadt
Bis Simrishamn ist es nicht mehr weit. Nach 22 km öffne ich die Tür zum Hotel Kockska Garden, dort habe ich einen Platz im Bett & Breakfest bestellt. Wahrscheinlich weil ich dort die Einzige wäre und das Personal keine Lust hat, dort alle Bereiche zu säubern, bekomme ich zum gleichen Preis ein Hotelzimmer mit eigenem Bad.
Simrishamn ist ein hübsches kleines Städtchen mit den üblichen Läden und Restautants, mit einer imposanten Kirche und natürlich mit Hafen. Früher, als es noch genug Fisch gab, lag hier Schwedens größte Fischereiflotte (sagt Wikipedia).



Donnerstag

Guten Morgen Simrishamn

Felszeichnungen am Ortsende

Die wichtigen Dinge des Lebens
In Brantevik, einem wirklich malerischem Dorf, stehe ich etwas zweifelnd. Der offizielle Wegweiser führt mich tatsächlich auf die Straße durchs Landesinnere, aber auf meiner Karte ist auch an der Küste ein Weg eingezeichnet. Aus dem Eckhaus kommt eine Frau auf mich zu gelaufen und erklärt mir, dass man auch problemlos am Wasser entlang laufen kann. Sie machen hier oft eine Art "Wachposten", um die Wanderer von der unschönen Straße zur Küste zu lenken. Aber um diese Jahreszeit kommt hier normalerweise niemand vorbei.
Ich habe Zeit, es ist warm, es ist sonnig. Ich mache viele Pausen, bade die Füße in der Ostsee.





Engstelle für Schrankwandwanderer

Es wird Abend
Teilweise laufe ich direkt am Strand entlang. Der Sand ist hart, es ist kaum beschwerlich.
In Borrby Strandbad steht die nächste Rastschutzhütte, dort will ich übernachten. Die Atmosphäre ist leicht seltsam. Ganz vorne der Strand, dann eine kleine Grünfläche mit Bäumen, Volleyballnetz, Grillplatz und der Hütte, dahinter die Sommerhäuser des Ortes. Ich laufe eine Weile umher, bis ich jemanden sehe und frage nach Trinkwasser. Dann setze ich mich noch auf eine aus Europlatten zusammengezimmerte Bank am Strand und warte bis es dämmert. Erst dann richte ich mich in der Hütte für die Nacht ein. Um diese Jahreszeit ist das kaum ein Problem, ähnlich wie schon in Kivik. Nur wird es an den hellen und warmen Abenden hier noch viel voller sein und der schlafende (oder besser nicht schlafen könnende) Wanderer wird hier deplatziert wirken. Auf den dann geöffneten Zeltplätzen würde ich mich dann sicher wohler fühlen.
Heute waren es nur ca. 20 km, ich bin im Schongang angekommen.



Freitag
Heute ist mein letzter Wandertag. Das Muster ist ähnlich wie an den Vortagen, nur nicht mehr ganz so warm. Anfangs führt der Weg direkt auf dem Strand entlang. Regenwolken treiben entweder vor mir oder über dem Meer. Anderswo sehe ich die Wasserfäden, mich treffen sie vorerst nicht.

Ostsee wie sie sein soll

Eine Pausenbank

Noch eine Pausenbank - mit den schwedischen und schonischen Landesfarben

Wo stehe ich?

Jetzt bitte abbiegen
Ab dem Leuchturm von Sandhammaren führt der Österlenleden weg von der Küste durch den Wald, dann über Weideland und Wiesen. In der Nähe von Backåkra such ich nach dem Hof von Dag Hammarskjöld. Hier soll er irgendwo sein, aber erst als ich vor einem plötzlichen Regenschauer an den höher gelegenen Waldrand flüchte, kann ich den Meditationsplatz und den etwas abgelegenen Hof entdecken. Hier an der schonischen Küste hat Hammarskjöld sein Sommerhaus gehabt. Eine Begegnungsstätte gibt es hier und ein Vandrarhem, natürlich geschlossen, klar. Auch ein kleines Museum ist hier eingerichtet. Das es nicht ganzjährig geöffnet hat, finde ich dann schon etwas verwunderlich und auch schade. Da ich das vorher nachgelesen habe, laufe ich aber nicht hinüber. Was sollte ich auch dort? Lieber bleibe ich noch eine Weile hier am Meditationsplatz sitzen, esse meine Weizenfladen mit Erdnussbutter und schaue auf die Ostsee.

Gedenken an Dag Hammarskjöld
Nach Löderup folgt das allerletzte Stück, aber das wird richtig fies. Wieder einmal führt der Weg auf dem Strand entlang. Nur ist der diesmal nicht breit und sandig, sondern äußerst schmal und steinig. Oben entlang geht es nicht, also muss ich hier irgendwie durch. Wenn die Welle kommt, flutet das Wasser bis zum Anschlag und ich muss sehen dass ich die Schuhe irgendwie trocken halte. Wenn die Welle abläuft, laufe ich möglichst schnell das nächste Stück und suche schon nach einem trockenen bleibenden Plätzchen für den nächste Schub. Dazwischen gibt es auch immer wieder alte Bunker, über die ich klettern muss. Theoretisch sind hölzerne Treppen oder Leitern da, nur sind die meist schon kaputt. Dieser Abschnitt ist zeit- und nervenraubend. Aber das Ziel sehe ich immer vor mir: den Hafen von Kåseberga.

Du hast ja ein Ziel vor den Augen ...
Es ist eine Ansammlung etlicher Fress- und Souvenierbuden. Ihr ahnt es schon: alle geschlossen. Ich gebe zu, ein klein wenig bin ich enttäuscht. Zum Abschluss hätte ich nir schon gerne ein Stück Räucherfisch oder eine Portion Pommes gegönnt und natürlich einen Pott Kaffee. Aber letztlich ist es ein gutes Zeichen. Denn wenn all die Buden geöffnet haben und all die vielen Parkplätte mit Autos belegt sind, könnte ich die Attraktion hier kaum in Ruhe genießen.

Hafen und Rummelplatz Kåseberga
Ich kann hier oben eine lange Zeit laufen, fotografieren, stehen, sitzen, essen, den letzten Tee trinken und einach nur schauen. Ab und zu kommen noch andere Menschen, sind aber schnell wieder weg. Vielleicht Einheimische?

Ales Stenar - seit vielen Jahren schon einer meiner Wünsche - und nun stehe ich hier
Klar könnte ich noch weiter laufen, aber wo schlafe ich dann heute? Nach dem Ende des Naturreservates, zwischen Landstraße und Acker, kurz vorm nächsten Ort? Um dann am nächsten Tag ebendiese Landstraße bis nach Ystad hinein zu laufen? Das muss nicht sein. Kåseberga mit Ales Stenar ist der perfekte Ort für den Abschluss meiner Wanderung. Heute früh habe ich mir telefonisch ein Anruflinientaxi in die Stadt bestellt, ein regulärer Bus fährt hier im Februar nicht.

Trostloses Warten
Als ich in Ystad ankomme, wird es dunkel. Ich laufe trotzdem noch durch die Stadt und nehme dann den nächsten Bus nach Trelleborg. Eine der Stationen heißt so wie mein Sofa.

Ystad beim Einbruch der Dunkelheit

Ebenso unscharf und ebenso anheimelnd wie das erste Fährbild - es geht nach Hause
Weg: Österlenleden, einer der vielen Varianten des Skåneleden.
Wenn ich schon einen vorgekauten Fernweg laufe, bringe ich wenigstens etwas Revolte rein: Ich wandere ihn entgegen der empfohlenen Laufrichtung.
Zeit: Februar 2020 (nicht ahnend, dass dies vielleicht auf lange Zeit die letzte größere Unternehmung sein wird)
Samstag wird es dauerregnen im südlichen Schweden, also kaufe ich mein Fährticket kurzfristig für einen Tag später als geplant. In dieser Jahreszeit ist das kein Problem, es ist Februar. Samstag Abend ablegen in Rostock, Sonntag Früh Anlegen in Trelleborg.
Sonntag
unscharf, aber anheimelnd
Es ist noch stockdunkel, aber hier kenne ich mich aus. Am Automaten etwas Bargeld abheben, dann am Bahnhof ebenfalls am Automaten die Fahrkarte für die Weiterfahrt kaufen und endlich frühstücken. Pressbyrå hat noch geschlossen, so gibt es statt Bullar und heißem Kaffee nur mitgebrachtes Käsebrot und kaltes Wasser.
vor dem Bahnhof in Trelleborg - ungemütlich aber vertraut
Mit Bus und Zug über Svedela nach Ystad. Hier beginnt er, der Österlenleden – die Strecke für meine diesjährige Winterwanderung. Der Anfang scheint mir nicht interessant genug, also noch ein Stück mit dem Bus bis Sövestad und dann geht’s los.
Bushaltestelle Sövestad kyrka - es geht loooos
Was soll ich groß schreiben? Ich bin gelaufen, Tag für Tag, darum war ich schließlich hier. Und Schonen sieht in dieser Ecke in etwa so aus, wie ich es mir vorgestellt habe: weites offenes Land, viel Landwirtschaft, wenig Wald, Streusiedlungen, Einzelgehöfte.
Das also ist Schonen - erstes Wegzeichen des Österlenleden
Schonen schon schöner
Um Snogeholm dann eine Art Naherholungsgebiet, Wasser, Spazierwege. Es ist Sonntag, Menschen machen ihre Sonntagsspaziergänge. Am Snogeholmssjön hat das Besucherzentrum geöffnet. Das ist erwähnenswert, es ist auf meiner gesamten Tour das einzige nicht geschlossene touristische Angebot außerhalb der größeren Städte – es ist schließlich Februar. Ich fülle dort mein Trinkwasser auf und trinke eine Tasse Kaffee.
leicht marodes Schloss am Snogeholmsjön
Kunst am Baum
Das Wetter wird püsseliger, geht in eine Art Dauerniesel über. Aber noch habe ich ein gutes Stück Weg vor mir. Klar gäbe es auch hier mit etwas Umsicht Zeltmöglichkeiten, die gleichzeitig erlaubt und geeignet wären, aber man müsste schon etwas länger suchen als in anderen Gegenden. Aber ich bin ja in Schweden und da gibt es an den meisten Fernwanderwegen diese praktischen Unterstände. So einen will ich heute noch erreichen.
Das letzte Stück bis zum Lagerplatz Vitabäck zieht sich gewaltig, aber nach ca. 25 km habe ich es endlich geschafft. Jetzt ist es trocken, aber für die Nacht ist wieder ergiebiger Regen angesagt. Auf ein nasses Zelt habe ich aber keine Lust. Luxus ist, wenn ich auch einfach in der Hütte schlafen kann. Für ein Zelt gibt es ohnehin keinen wirklich geeigneten Platz, das wird sich an den nächsten Stellen noch wiederholen.
Lagerplatz Vitabäck
Montag
Wege übers Land
Irgendwo hier auf oder in der Nähe des Weges soll ein alter Runenstein stehen. Ich habe ihn nicht gefunden und sage mir deshalb: Der hier wird es sein, es hat nur jemand die Runen abgekratzt.
Runenstein ohne Runen
gut gewässertes Weideland
Gehöft
Rasthütte Lövestad und damit Etappenende - theoretisch. Praktisch mache ich hier nur Mittagspause und gehe noch weiter, denn bis hierher waren es erst 14 km.
Auf der offiziellen Webseite werden für die einzelnen Etappen Schwierigkeitsstufen festgelegt. Größtenteils ist es mir ein Rätsel, warum einige davon als mittelschwer oder gar als schwierig bezeichnet werden. Die folgende Etappe von nur sechs km ist z.B. ist mittelschwer. Bemerkenswert: für mich ist sie das tatsächlich. Denn die Weideflächen sind jetzt im zeitigen Frühjahr so stark überschwemmt, dass die offiziellen Pfade teilweise durch einen Bach oder durch eine riesige Wasserflächen führen. Ich suche mir eine Art Wanderstab, um die Tiefe auszutesten und muss diese Flächen oft weiträumig umgehen. Das ist anstrengend und frisst Zeit. Dabei ist die Landschaft wunderschön: offenes Hügelland mit Wacholderbüschen oder auch kleinen Waldstücken dazwischen. Mit niedrigen Steinmauern, an denen man entlang gehen oder die man an einer Leiter überklettern muss.
unpassierbar
Passiertreppe
Hier geht's lang
Rastplatz Heinge: Das ist mit der schönste Platz auf der ganzen Strecke, halb versteckt und trotzdem mit Aussicht auf den tief unten gelegenen See. Ich überlege kurz, hier schon zu bleiben. Bis zur nächsten Hütte sind es noch einmal acht Kilometer, die sich gewaltig ziehen können. Aber es ist auch erst Nachmittags und ich habe den nächsten Platz am Verkasjön gewissermaßen für heute Abend eingeplant. Also bleibt es hier bei einer ausgiebigen Pause.
Bank mit Aussicht
Jetzt wäre es an der Zeit, mich um Trinkwasser zu kümmern. Aber was wirklich brauchbares finde ich nicht direkt am Weg. Ich baue auf das Etappenende, ein ehemaliges Alaunwerk aus dem 18. Jahrhundert, heute mit touristischer Infrastruktur: eine nachgebaute Siedlung, eine Kaffeestube, Souvenierläden. Das Kaffee öffnet wieder zu Midsommer – so lange möchte ich nicht warten. Auch der Rest wirkt wie ausgestorben. Die offizielle Trinkwasserzapfstelle soll die Feuerwache sein, doch die habe ich erst gar nicht gefunden. Es gibt noch einen riesigen Hof etwas ausserhalb. Dort parkt sogar ein Auto und es brennt ein schwaches Licht. Ich klopfe, die Hunde schlagen an. Aus der Seitentür kommt ein alter Mann, sehr freundlich aber distanziert. Er sagt mir, dass es auf der Rückseite einen Wasserhahn gibt und ist wieder verschwunden, noch bevor ich richtig danke sagen kann.
letzte Brücke für heute
Etwas weiter ab liegt dann die ersehnte Hütte. Auf einer Brücke muss ich noch über den schäumenden Verkaån und sehe auf der anderen Seite einen Bach in einem Wasserfall hinunter stürzen. Von hier hätte ich das Trinkwasser auch nehmen können – aber besser man hat, als man hätte.
Heute bin ich echt geschafft, ca. 32 km – nichts mit Schongang
Blick von drinnen nach draussen
Dienstag
Erinnerung an das Alaunwerk
Heute will ich endlich die Ostsee erreichen. Aber vorher ist noch Flusswandern angesagt, immer am Verkaån entlang bis zu seiner Mündung ins Meer. Mal weit oberhalb mit Blick auf den Fluss, dann wieder direkt am Ufer. Vereinzelte Gehöfte, meist ehemailge Mühlen.
Fast wie in Schweden
Wassermühle
Und dann der Rastplatz Vantalängan - hier ist wirklich viel Platz, eine große Wiese mit Bäumen und einigen verstreut liegenden Hütten und Grillplätzen. In der Sonne mache ich Mittagpause.
Eine weite Hügellandschaft mit Wiesen und Weiden, der Blick auf die unten liegende Stadt Brösarp, sogar ein Wein"berg". Der Weg, zum Ende hin sogar eine Straße, wird mir lang. Bis zur Küste ist es jetzt nicht mehr weit. In Haväng gibt es ein Vandrarhem, natürlich geschlossen.
verweile doch ...
kuckuck?
Schneewittchen
Dann der Blick auf das Meer, wuchtige Steine gegen den Horizont. Havängsdösen - ein Steinkammergrab, etwa 5000 Jahre alt.
Der Verkaån, der mich heute den ganzen Tag begleitet hat, findet hier sein Ende.
Es ist sonnig und windig. Ich laufe direkt am Strand oder auf einem Pfad durch die Dünen.
Ostsee im Februar
Boote bei Vitamölla
Bis in das Städtchen Kivik. Die Wasserbeschaffung habe ich bis hierhin aufgeschoben, ich vertraue auf die Infrastruktur. Doch nicht nur das Eiscafe, selbst die Pizzeria und die Dönerbude haben geschlossen. Weiter im Ort gäbe es sicher einen Lebensmittelladen. Doch am Hafen gleich an der Fischräucherei wirbt ein Aufsteller für öffentliche Toiletten, Wasch- und Duschmöglichkeiten. Da bin ich dabei, auf die Dusche verzichte ich, aber meine Wasserflaschen fülle ich auf. Selbst der Laden mit frischem Räucherfisch hat geöffnet. Wäre es ein paar Stunden früher und ich könnte mich mit einem Stück Fisch in die Sonne setzen und den Möwen beim Schreien zuhören, ich hätte sicher zugegriffen. Aber jetzt wird es dämmrig und es ist kalt. Ich will keinen kalten Fisch, sondern Nudeln und einen heißen Tee.
Rastplatz Kivik - die eine Seite direkt an der Ostsee, die andere Seite am Sportplatz bzw. an einem Parkplatz. Aber was soll's. Der Platz liegt trotzdem relativ versteckt, der Blick geht zum Meer und um diese Jahreszeit ist hier kein Mensch mehr.
ca. 24 km
Mir geht's gut
Mittwoch
Gleich außerhalb von Kivik gibt es ein angeblich sehenswertes restaurierets Königsgrab aus der Bronzezeit, im Februar natürlich geschlossen.
Kommt ein anderes mal wieder ...
Steinsetzung direkt an der Straße
Von der Arbeit ins Vergnügen
Apfelbäume, Apfelbäume, eine Mosterei und dahinter ein Nationalpark. Wahrscheinlich wollen die Südschweden auch einen solchen Park haben - nun gut: Stenshuvud. Viel Wald, viel Stein, viel Strand, viele Orchideen und ein Berg namens Steinkopf. Immerhin so steil, dass die Schonen eine Treppe hinauf gebaut haben. Der Blick vom Kopf hinab lohnt sich. Das Naturum samt Cafe, muss ich es erwähnen? Natürlich geschlossen.
Blick vom Steinkopf
Der folgende Weg teils über Straßen im Inland ist zermürbend, aber der Weg entlang der Steilküste scheint nicht mehr vollständig zu existieren.
Das Fischerdorf Vik und der folgende Weg an der Küste entschädigen für vieles. Die Cafes am Hafen halten ebenso Winterschlaf wie das Vandrarhem Baskemölla.
Auf Tafeln wird entlang der Küste immer wieder vor gefährlichen Unterströmungen gewarnt, die auch geübte Schwimmer in den Tod ziehen können.
Für den Notfall
Erste Anzeichen der "großen" Stadt
Bis Simrishamn ist es nicht mehr weit. Nach 22 km öffne ich die Tür zum Hotel Kockska Garden, dort habe ich einen Platz im Bett & Breakfest bestellt. Wahrscheinlich weil ich dort die Einzige wäre und das Personal keine Lust hat, dort alle Bereiche zu säubern, bekomme ich zum gleichen Preis ein Hotelzimmer mit eigenem Bad.
Simrishamn ist ein hübsches kleines Städtchen mit den üblichen Läden und Restautants, mit einer imposanten Kirche und natürlich mit Hafen. Früher, als es noch genug Fisch gab, lag hier Schwedens größte Fischereiflotte (sagt Wikipedia).
Donnerstag
Guten Morgen Simrishamn
Felszeichnungen am Ortsende
Die wichtigen Dinge des Lebens
In Brantevik, einem wirklich malerischem Dorf, stehe ich etwas zweifelnd. Der offizielle Wegweiser führt mich tatsächlich auf die Straße durchs Landesinnere, aber auf meiner Karte ist auch an der Küste ein Weg eingezeichnet. Aus dem Eckhaus kommt eine Frau auf mich zu gelaufen und erklärt mir, dass man auch problemlos am Wasser entlang laufen kann. Sie machen hier oft eine Art "Wachposten", um die Wanderer von der unschönen Straße zur Küste zu lenken. Aber um diese Jahreszeit kommt hier normalerweise niemand vorbei.
Ich habe Zeit, es ist warm, es ist sonnig. Ich mache viele Pausen, bade die Füße in der Ostsee.
Engstelle für Schrankwandwanderer
Es wird Abend
Teilweise laufe ich direkt am Strand entlang. Der Sand ist hart, es ist kaum beschwerlich.
In Borrby Strandbad steht die nächste Rastschutzhütte, dort will ich übernachten. Die Atmosphäre ist leicht seltsam. Ganz vorne der Strand, dann eine kleine Grünfläche mit Bäumen, Volleyballnetz, Grillplatz und der Hütte, dahinter die Sommerhäuser des Ortes. Ich laufe eine Weile umher, bis ich jemanden sehe und frage nach Trinkwasser. Dann setze ich mich noch auf eine aus Europlatten zusammengezimmerte Bank am Strand und warte bis es dämmert. Erst dann richte ich mich in der Hütte für die Nacht ein. Um diese Jahreszeit ist das kaum ein Problem, ähnlich wie schon in Kivik. Nur wird es an den hellen und warmen Abenden hier noch viel voller sein und der schlafende (oder besser nicht schlafen könnende) Wanderer wird hier deplatziert wirken. Auf den dann geöffneten Zeltplätzen würde ich mich dann sicher wohler fühlen.
Heute waren es nur ca. 20 km, ich bin im Schongang angekommen.
Freitag
Heute ist mein letzter Wandertag. Das Muster ist ähnlich wie an den Vortagen, nur nicht mehr ganz so warm. Anfangs führt der Weg direkt auf dem Strand entlang. Regenwolken treiben entweder vor mir oder über dem Meer. Anderswo sehe ich die Wasserfäden, mich treffen sie vorerst nicht.
Ostsee wie sie sein soll
Eine Pausenbank
Noch eine Pausenbank - mit den schwedischen und schonischen Landesfarben
Wo stehe ich?
Jetzt bitte abbiegen
Ab dem Leuchturm von Sandhammaren führt der Österlenleden weg von der Küste durch den Wald, dann über Weideland und Wiesen. In der Nähe von Backåkra such ich nach dem Hof von Dag Hammarskjöld. Hier soll er irgendwo sein, aber erst als ich vor einem plötzlichen Regenschauer an den höher gelegenen Waldrand flüchte, kann ich den Meditationsplatz und den etwas abgelegenen Hof entdecken. Hier an der schonischen Küste hat Hammarskjöld sein Sommerhaus gehabt. Eine Begegnungsstätte gibt es hier und ein Vandrarhem, natürlich geschlossen, klar. Auch ein kleines Museum ist hier eingerichtet. Das es nicht ganzjährig geöffnet hat, finde ich dann schon etwas verwunderlich und auch schade. Da ich das vorher nachgelesen habe, laufe ich aber nicht hinüber. Was sollte ich auch dort? Lieber bleibe ich noch eine Weile hier am Meditationsplatz sitzen, esse meine Weizenfladen mit Erdnussbutter und schaue auf die Ostsee.
Gedenken an Dag Hammarskjöld
Nach Löderup folgt das allerletzte Stück, aber das wird richtig fies. Wieder einmal führt der Weg auf dem Strand entlang. Nur ist der diesmal nicht breit und sandig, sondern äußerst schmal und steinig. Oben entlang geht es nicht, also muss ich hier irgendwie durch. Wenn die Welle kommt, flutet das Wasser bis zum Anschlag und ich muss sehen dass ich die Schuhe irgendwie trocken halte. Wenn die Welle abläuft, laufe ich möglichst schnell das nächste Stück und suche schon nach einem trockenen bleibenden Plätzchen für den nächste Schub. Dazwischen gibt es auch immer wieder alte Bunker, über die ich klettern muss. Theoretisch sind hölzerne Treppen oder Leitern da, nur sind die meist schon kaputt. Dieser Abschnitt ist zeit- und nervenraubend. Aber das Ziel sehe ich immer vor mir: den Hafen von Kåseberga.
Du hast ja ein Ziel vor den Augen ...
Es ist eine Ansammlung etlicher Fress- und Souvenierbuden. Ihr ahnt es schon: alle geschlossen. Ich gebe zu, ein klein wenig bin ich enttäuscht. Zum Abschluss hätte ich nir schon gerne ein Stück Räucherfisch oder eine Portion Pommes gegönnt und natürlich einen Pott Kaffee. Aber letztlich ist es ein gutes Zeichen. Denn wenn all die Buden geöffnet haben und all die vielen Parkplätte mit Autos belegt sind, könnte ich die Attraktion hier kaum in Ruhe genießen.
Hafen und Rummelplatz Kåseberga
Ich kann hier oben eine lange Zeit laufen, fotografieren, stehen, sitzen, essen, den letzten Tee trinken und einach nur schauen. Ab und zu kommen noch andere Menschen, sind aber schnell wieder weg. Vielleicht Einheimische?
Ales Stenar - seit vielen Jahren schon einer meiner Wünsche - und nun stehe ich hier
Klar könnte ich noch weiter laufen, aber wo schlafe ich dann heute? Nach dem Ende des Naturreservates, zwischen Landstraße und Acker, kurz vorm nächsten Ort? Um dann am nächsten Tag ebendiese Landstraße bis nach Ystad hinein zu laufen? Das muss nicht sein. Kåseberga mit Ales Stenar ist der perfekte Ort für den Abschluss meiner Wanderung. Heute früh habe ich mir telefonisch ein Anruflinientaxi in die Stadt bestellt, ein regulärer Bus fährt hier im Februar nicht.
Trostloses Warten
Als ich in Ystad ankomme, wird es dunkel. Ich laufe trotzdem noch durch die Stadt und nehme dann den nächsten Bus nach Trelleborg. Eine der Stationen heißt so wie mein Sofa.
Ystad beim Einbruch der Dunkelheit
Ebenso unscharf und ebenso anheimelnd wie das erste Fährbild - es geht nach Hause
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