In Carcassonne war ich schon im letzten Jahr auf meiner Europawanderung gewesen. Nur war ich damals viel zu erschöpft, um viel von der Stadt zu sehen. Diesmal schaffte ich es allerdings, mir mehr anschauen. Wie im Vorjahr quartierte mich wieder in die Jugendherberge in der Altstadt ein.
In meinem Zimmer waren noch drei andere Frauen und bei einer entdeckte ich sogleich Wanderstiefel unter dem Bett. Es würde sich doch nicht etwa um eine andere Langstreckenwanderin handeln? Ariadne, so stellte sich heraus, war auch wandernd unterwegs, allerdings aus einem anderen Grund. Sie betrieb gerade Feldforschung für ihre Master-Arbeit über den Katharerweg. Diesen Weg durch Südfrankreich kannte ich schon vom letzten Jahr und auch diesmal würde ich ein Stück davon gehen. Ich war daher natürlich gleich sehr neugierig und befragte sie eingehend. Die Katharer waren eine christliche Sekte, die im 12. Jahrhundert vor allem in Südfrankreich weit verbreitet war und dann von der Inquisition komplett ausgelöscht wurde. Einzig die beeindruckenden Felsburgen ihrer Anhänger blieben erhalten, die ich in den nächsten Tagen auf dem Katharerweg mehrfach zu sehen bekommen würde.
Die Katharer faszinierten mich sehr und ich verbrachte mehrere Stunden damit, die Buchläden in Carcassonne nach entsprechendem Informationen zu durchforsten. Und natürlich machte ich den obligatorischen Besuch bei Decathlon und Co. Die zwei Stadttage vergingen wieder mal wie im Flug und ich machte mich auf Richtung Pyrenäen. Der Weg ließ sich zunächst sehr nett an: Ich durchquerte ein militärisches Übungsgelände und dann ging es durch Weinberge – in denen leider mittlerweile Ende Oktober kam mehr Weintrauben zu finden waren.
Dann tauchten plötzlich Dutzende von Nonnen auf dem Weg auf. Angesichts der Nachwuchsprobleme in der katholischen Kirche erstaunte mich deren Anzahl doch sehr und ich glaubte anfangs sogar an eine Kostümparty, als mir Nonne um Nonne im weißen Habit, aber mit Tagesrucksack am Rücken entgegen kam.
Ich näherte mich nun dem Alaric-Gebirgszug, der auf der Karte völlig unscheinbar aussah, den die Wegplaner jedoch in möglichst schwieriger Art und Weise durchquerten. Bald hing ich im Gestrüpp an rutschigen und extrem steilen Hängen und fluchte über den GR 36. Es würde bald dunkel werden und in diesem schwierigen Gelände würde ich kaum einen anständigen Zeltplatz finden, wenn ich nicht direkt auf dem Weg zelten wollte. Ich war daher extrem erleichtert, als ich endlich auf einem ebenen Bergsattel ankam, der mir geradezu grandiose Zeltmöglichkeiten eröffnete. Da ich aufgrund des nächtlichen Kondensproblems nicht im offenen Gelände zelten wollte, suchte ich lange hin und her, bis ich auf einen schmalen Seitenpfad stieß, der mich ins Unterholz führte. Dort fand ich etwas abseits in den Büschen einen halbwegs geschützten Zeltplatz. Ich ärgerte mich noch über meine übertriebene Vorsicht als ich mühsam im Gebüsch mein Zelt aufbaute.
Ich war gerade gegen 22 Uhr am Einschlafen als ich plötzlich Stimmen hörte. Ich war sofort alarmiert, glaubte aber zunächst noch an verspätete Jäger. Nur leider wurden es immer mehr Stimmen, die zu allem Unglück immer näher kamen. Eine ganze Männergruppe hatte sich ca. 100 m von meinem Zeltplatz auf dem Bergsattel versammelt und diskutierte aufgeregt. Immer wieder streifte der Schein von starken Stabtaschenlampen mein Zelt. Ich wurde mittlerweile fast von Panik ergriffen, denn ich konnte keine plausible Erklärung für diese nächtliche Menschenansammlung finden. Mir blieb fast das Herz stehen, als sich der ganze Trupp in Bewegung setzte und ausgerechnet den schmalen Seitenpfad entlang wanderte, an dem sich mein Zeltplatz befand. Über 15 Mann in Stiefeln stampften ca. 5 m von mir entfernt unter zahlreichen Flüchen vorbei – ohne mich zu entdecken. Ich lag in höchster Alarmbereitschaft in meinem Zelt als ich endlich die Erleuchtung hatte. Früher am Tag war ich ja an einem Militärübungsplatz vorbeigekommen und was da gerade an meinem Zelt vorbei lief, sah eindeutig aus wie Springerstiefel. Und da ich ausschließlich junge Männerstimmen hörte, wurde mir bald klar: Es handelte sich um eine nächtliche militärische Übung! Da die Jungs mich aber nicht entdeckt hatten, obwohl ich gerade mal 5 m von ihnen entfernt ein Zelt aufgebaut hatte, schien es sich nicht gerade um einen Aufklärungstrupp zu handeln. Noch lange hörte ich laute „Putains“ durch den Wald schallen bis endlich Ruhe einkehrte. Leider sollte dies nicht mein letztes nächtliches Abenteuer in Frankreich sein.
Die Route durch das Pyrenäen-Vorland war traumhaft schön. Erst die Ruinen der Katharerburgen auf dem Katharerweg und dann ging es sukzessive immer höher hinauf, dazwischen immer wieder verfallene Kirchen und Klöster. Es gab sogar einen Kunst-Erlebnisweg!
Leider waren jetzt im Herbst auch viele Jäger unterwegs und so stieß ich an einem Sonntag-Nachmittag auf eine groß angelegte Wildschwein-Jagd. Ich trug zwar meine neon-orange Jagdmütze, aber das hinderte einen der Jäger nicht daran, mit seinem Gewehr auf mich anzulegen. Total erschrocken sprang ich ins Gebüsch. Doch kaum wagte ich mich wieder hervor, zielte er schon wieder auf mich. Nachdem wir dieses Spiel ein paar Mal wiederholt hatten, dämmerte mir so langsam, dass der Kerl nicht auf mich schießen wollte, sondern mich lediglich mit dem Zielfernrohr an seinem Gewehr anvisierte. Dennoch nicht gerade die feine Art. Ich passierte fast ein Dutzend dieser Freizeitjäger, die mir allerdings alle versicherten, dass mir keinerlei Gefahr drohte. Nun ja, nach diesem Erlebnis war ich mir da nicht mehr so sicher, aber wie man sieht habe ich es überlebt.
Bei Vinca überquerte ich die Tet, aber der große Stausee war fast komplett trocken. In dieser Nacht hatte ich wieder mal nächtlichen Besuch: Gegen Mitternacht wurde ich durch lautes Hundegebell geweckt. Dies ist an und für sich nicht ungewöhnlich, denn nahe an Ortschaften hörte ich nachts oft Hunde bellen. Beunruhigend war eher, dass das Gebell immer näher kam. Ich war gerade aus dem Schlaf gerissen worden und konnte noch keinen klaren Gedanken fassen, als etwas fast mein Zelt umrannte. Und bevor ich mich wieder fassen konnte, preschten auch schon mehrere Hunde an meinem Quartier vorbei. Nun, mein Zelt stand noch und mir war auch nichts passiert. Nun hellwach wurde mir auch sehr schnell klar, was passiert war. Der erste Passant muss irgendein Wildtier, wahrscheinlich ein Wildschwein gewesen sein, gejagt von mehreren Jagdhunden, die kurz danach vorbeigekommen waren. Sie waren dabei sogar an meine Zeltschnüre gekommen und hatten einen Zelthering herausgezogen...
Ich näherte mich nun immer mehr den Pyrenäen, die vor allem psychologisch ein großes Hindernis für mich darstellten. Schon Tage zuvor hatte ich Befürchtungen, bei meiner Pyrenäenüberquerung eingeschneit zu werden, obwohl ich ganz bewusst einen sehr weit südlich und damit auch sehr niedrig gelegenen Übergang gewählt hatte. Das Wetter war regnerisch und trüb und ich hoffte, dass sich der Regen auf 1.400 m Höhe nicht in Schnee verwandeln würde. Zuerst aber musste ich durch Amelie-les-Bains, den letzten französischen Ort auf meiner Wanderung. Mit Hilfe eines gpx tracks suchte ich nun den Einstieg in den HRP, der mich zum Roc de France führen sollte. Aber obwohl ich am Stadtrand von Amelie-les-Bains fast eine Stunde lang durch die Büsche kroch, konnte ich keinerlei Wegmarkierung finden. Ich befragte also einen Anwohner, der mich allerdings wo ganz anders hinschickte, als mein gpx track anzeigte. Erst nach vielem Nachfragen und Nachdenken dämmerte mir so langsam, dass einfach der gpx track komplett falsch war. Natürlich weiß man bei anonymen Internetquellen nie, wie gut die Qualität eines tracks ist, aber so dermaßen daneben lag ich noch nie. Mit mehreren Stunden Verspätung fand ich dann endlich den HRP und stieg langsam im Nieselregen immer höher hinauf. Auf 1.400 m schneite es zwar immerhin nicht, aber der Regen wurde immer heftiger. Aber mich konnte jetzt nichts mehr halten. Am 04.11. nachmittags erreichte ich ziemlich durchnässt den Pass am Roc de France und damit die spanische Grenze.
Fazit: Das Pyrenäenvorland ist ein großartiges Wandergebiet, vor allem der ausgesprochen sehenswerte Katharerweg mit seinen grandiosen Burgruinen ist absolut empfehlenswert.
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