[SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

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  • mrburnes99
    Anfänger im Forum
    • 24.05.2015
    • 40
    • Privat

    • Meine Reisen

    [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Hallo in die Runde,
    vorab eine Einführung in die Beweggründe, diese Strapazen auf mich zu nehmen und was mich dann erwartete. Ich habe einmal bei einer Recherche ein Bild mit dem Blick vom Skierffe gefunden. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Hab's auf's Handy geladen, um einen Traum zu haben. Mein Wunsch stand, einmal im Leben dort stehen und diesen Blick durch die eigenen Augen sehen. Ich bin von Natur ein Genusswanderer, der sich an jedem noch so kleinen und schönem Ding erfreuen kann. Ein Trekker war ich nie. Irgendwann habe ich doch mal ein Nachtlager mit einem sehr erfahrenen Freund gemacht. Es kam, was kommen musste. Ich zeigte ihm das Bild und schwärmte. Tage später kam ein Anruf von ihm: "Du Ar***, ich bekomme das Bild nicht mehr aus meinem Kopf!" Aha, er also auch. Die Chance habe ich genutzt und einen Tripp dort hin angesprochen, ohne die geringste Vorstellung von dem zu haben, was mich in allen Facetten, von der Planung, dem Training, der Anreise bis hin zu der Tour erwarten würde. Er sagte zu, unter der Bedingung, eine Testtour gemeinsam zu gehen, eigene physische und psychische Grenzen auszuloten, um kein körperliches oder menschliches Fiasko zu erleben.

    Gesagt, getan. Wir fuhren im April ins Elbsandsteingebirge, um sechs Tage lang nur in Boofen zu pennen. Es war nach Ostern und teils fielen die Temperaturen nachts bis -5° ab. Die Äußerlichkeiten machen mir nichts aus. Kälte vertrage ich. Doch er führte mich bereits an Tag 2 an meine mentale Grenze. Nach 20 Kilometer Weg mit annähernd 30 Kilo auf dem Rücken zeigte er auf einen hohen Berg. "Dort oben pennen wir heute" Ich dachte bei mir, der hat sie nicht alle! Mitten im Berg machte ich schlapp und sogleich meinem Unmut Luft. Er ist der Typ Wanderer und Trekker "Die Tour war Schei**, wenn ich nicht oft genug im roten Bereich unterwegs war". Da stellt jetzt mal meinen Typ dagegen, der sehen und genießen will. Also polterte ich los, was der Mist soll. Warum wir an solche Grenzen gehen? Er lachte, aber nicht böswillig. Er war über meine Reaktion erstaunt. Nach 30 Minuten getrennter Ruheplätze saßen wir am Kocher und haben Tacheles geredet. Er hatte gesehen, was er wollte. Es gab keinen Streit, es war einfach nur Frust.

    Am sechten Tag wollte er mir eine Freude machen und einen perfekten, der schwedischen Natur ähnelnden Rastplatz suchen. Es endete in einem Desaster. Wir gingen steilste Berge hoch, fanden nichts. Ein Blick nach hinten machte mir das Risiko deutlich. Ein Sturz in diesen Hängen wäre das Ende aller Träume gewesen. Also ergriff ich das Steuer. Resolut leitete ich uns in einen Seitental und bestand darauf, dass wir am nächstbesten Platz rasten. Die Dämmerung kam bereits und wir hatten schon weit über 20 Kilometer in den müden Knochen. Das beeindruckte ihn, dass ich im richtigen Moment die Führung übernahm und er meinte, er hat wieder gesehen, was er sehen musste. Aus dem Traum Sarek wurder der Plan Sarek.

    Die Vorbereitung hat mich ordentlich durchgerüttelt. Umstellung der Tagesabläufe, Arbeitstzeiten in die zweite Tageshälfte gelegt, um Trainingszeiten zu schaffen. Zusätzlich hatte ich 3 zusammenhängende Blöcke für Trekks eingeplant, die ich allein gehen wollte, um Routinen zu entwickeln, Ausdauer und Kraft zu trainieren. Bereits der erste Block zerbrach in einer Tragödie. Im engsten Familienkreis gab es einen Todesfall und ich musste für meine Familie da sein. Also blieb es weiter bei Tagestouren. Den zweiten Block hatte ich meiner Partnerin "geopfert". Mein Gedanke war, wenn dort oben etwas passiert, möchtest du nochmal eine schöne Zeit mit ihr gehabt haben. Das konnte ich unmöglich rückgängig machen, obwohl ich das Training mehr denn je gebraucht hätte.

    Mein Kumpel wurde unruhig, entwickelte Druck auf mich. Ein 90-minütiges Gespräch schaffte Klarheit. Bei einer Tageswanderung hatte ich dann mal einen grottenschlechten Tag erwischt und mein Kumpel stellte sofort die gesamte Tour in Frage. Das frustete mich enorm, denn ich kannte meinen wahren Leistungsstand und hatte noch einen Trainingsplan. Es folgten harte Trainingstage, nach denen ich mich permanent gemüßigt sah, eine Wasserstandsmeldung abzugeben. Das war nicht mehr das, wofür ich lebe und träume. Wenige Wochen vor dem Start habe ich eine weitere Runde angesetzt. Es sollte 9 Tage allein losgehen. 6 Tage lang war ich stolz wie Oskar, ich schlug mich passabel durch, brachte mich an Grenzen und funktionierte. Dann kam der Regen und mit ihm Überschwemmungen. Ich brach am 6.Tag ab. Kurze Zeit später soff die Gegend ab. Mein Kumpel kritisierte mich extrem hart für den Abbruch. Unser Verhältnis eskalierte ein weiteres Mal. Irgendwann hielten wir es beide nicht mehr aus und trafen uns auf ein Bier. Es wurden 3, dann 4. Wir saßen Stunden und sprachen uns aus. Der Plan stand weiter.

    Auf Grund des hohen Stresslevels und der permanent angespannten Situation zerbrach 2 Wochen vor unserer geplanten Tour meine langjährige Beziehung. Man ging sich aus dem Weg, schottete sich ab, ein Versuch der Klärung wurde seitens meiner Partnerin zurückgewiesen. War denn dieser Stress und die Überforderung nicht abzusehen, aber deren Ende nach der Tour auch?

    So stand ich denn kurz vor Ultimo allein da. Ich sagte mir, du hast mir den Tod geschickt, das Leben zur Hölle gemacht und meine Beziehung zerbrochen. Aber es ist verdammt nochmal mein Traum und ich werde trotzdem kommen! Wirkliche Vorfreude konnte ich bis zum Einstieg nicht mehr entwickeln. Ich funktionierte nur noch, wollte aber um keinen Preis vor der Zielgraden aufgeben.

    Das ist eine ganz schön bescheidene Geschichte. Ich kenne eure Erlebnisse rund um die Vorbereitung nicht, aber vielleicht ist es Mahnung an Leute, die solche Pläne mit sich tragen. Ihr werdet viel aufs Spiel setzen, manches vielleicht verlieren. Aber es wird DER Test sein, ob ihr das wirklich wollt.

    Dann soll jetzt dem Gejammer das Erlebnis Sarek folgen.

    Meine Heimat - der Harz

  • mrburnes99
    Anfänger im Forum
    • 24.05.2015
    • 40
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

    Es folgen jetzt meine Tagesberichte.

    Der Tag der Wahrheit

    Endlich wird es ernst. Nach rund 2.800km Autofahrt, 4 Stunden Fähre, 3 Zwischenstopps in Schweden und ungezählten Trainingseinheiten, Entbehrungen, Stress und was weiß ich noch, trudeln wir am 14.08. abends in Vietas Stora Sjöfallet ein. Hier wird unser Auto die nächsten 8-9 Nächte allein verbringen müssen, denn wir sind dann mal weg!

    Die vorhergesagten 2° und Schneeregen erwarten uns zum Glück nicht. Auf den letzten Kilometern meinen wir für einen Moment, durch ein erstes Schneetreiben zu fahren. Die Realität holt uns ein. Es sind dichte Schwärme von Moskitos.

    Also Zelt aufgebaut, Feuer entzündet und das Fleischfetzensolarium angeschmissen. Ja, ein letztes Barbecue für die nächsten 8-10 Tage. Unbemerkt bleibt unsere Ankunft nicht. Es regt sich Leben und sammelt sich um uns. Sind das die berüchtigten Arktischen Säbelzahnkaninchen, die durch den Duft unseres Grillfleischs angelockt werden? Zu unserem Schutz bleiben wir dicht am Feuer.


    Am nächsten Morgen großes Packen. Was du jetzt vergisst, bleibt Mangel auf der Tour. Dann Rucksäcke auf und ab zum Heliplatz. T -30 Minuten, Team Harz meldet sich bei der Einsatzleitung. Wenige Minuten später fliegen wir schon über dem See Stora Lulevatten unserem Absetzpunkt Aktse, einer Fjellstation am Rande des Sareks, entgegen.


    Der Heli verschwindet in der Ferne und es wird still. Ganz so still doch wieder nicht. Aktse liegt am Kungsleden und ist erstaunlich frequentiert. Der mühselige Anstieg zum Skierffe beginnt. Dank Karstens logistischen Qualitäten gehen wir mit nur 20 und 22 Kilogramm Gepäck in den Sarek.

    Oberhalb der Baumgrenze zweigt der Pfad zum Skierffe vom Kungsleden ab. Es wird ruhiger. Wir treffen einen beneidenswerten 18-jährigen Aussteiger aus Schwaben. Er ist schon 5 Wochen auf 800km im Norden unterwegs, um so die Zeit zwischen Abitur und Studium ganz für sich zu nutzen. Unser Neid und Bewunderung sind ihm sicher.

    Am Fuß des Skierffe lassen wir unser Gepäck zurück. Eine Flasche Wasser und eine goldbräunliche Flüssigkeit, dem Anlass mehr als würdig, nehmen wir noch mit. Oben angekommen, ringen wir nach Luft. Weder der Anstieg noch Mangel an Sauerstoff sind der Grund. Der Anblick auf dem Gipfel des Skierffe ist mit Worten nicht zu beschreiben. Unser Schicksal belohnt uns für die vergangenen Leiden mit strahlendem Sonnenschein. Das Rapadalen liegt in ganzer Schönheit zur Rechten, links die spiegelnde Oberfläche des Laitaure, alles umrahmt von den Gletschermassiven des Sarek und senkrecht 700 Meter unter uns das einzigartige Delta des Rapaädno, Auslöser dieser Reise.

    Der Gipfelschluck ist verdient, unzählige Fotos folgen. Wir saugen den Moment auf und blicken zuversichtlich und doch etwas sorgenvoll auf die nächsten Tage. Unser Pilot sprach schon von Wasserpegeln höher als gewöhnlich. Auf den Bergen liegt teils in niedrigen Höhen um die 1000 Meter noch Schnee. Die Überquerung des Rapaädno scheint noch nicht sicher.

    Wir lassen uns viel Zeit, ehe wir wieder absteigen. Auf etwa 1000 Meter Höhe wird das erste Camp im Sarek aufgeschlagen. So langsam beginnt das Abenteuer.
    Meine Heimat - der Harz

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    • mrburnes99
      Anfänger im Forum
      • 24.05.2015
      • 40
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      • Meine Reisen

      #3
      AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

      Zahltag

      Es gibt wenig geschenkt im Leben, aber der Sarek schenkt dir gar nichts. Je eher du das akzeptierst, um so leichter wird deine Reise.

      Wir wachen nach unserer ersten Nacht auf. Blauer, leicht bewölkter Himmel begrüßt uns. Es gibt Kaffee und wir besprechen den Ablauf des Tages. Ziel ist das Erreichen des Rapadalen, um die "Grüne Hölle" in so wenigen Tagen wie möglich zu durchqueren. Also ist heute Ausdauer und Kilometerfressen angesagt.

      Hinter uns zieht Wetter auf. Sonne und Wolken ringen um den Skierffe und unsere Hochebene. Es wankt hin und her. Plötzlich ist für Minuten unser Kurs im Nebel verschwunden. Schnell muss der Kompass her. Doch genau so schnell ist die Sicht wieder klar. Ein verrücktes Spiel.

      Wir treffen auf ein erstes, nicht enden wollendes Blockfeld. Es gibt nur noch Steine. Jetzt ist mit 20 Kilo auf dem Rücken Balance gefragt. Leichter Regen folgt und immer wieder Steine.

      Dann stellt sich uns eine erste Hürde in den Weg. Eine Kerbe in der Landschaft, V-förmig eingeschnitten von einem sonst kleinen Gletscherfluss. Der wirkt auf uns gar nicht mehr klein. Karsten bemüht sich, den ersten Wasserkontakt so lang wie möglich zu vermeiden. Verständlich, denn es ist wirklich eiskalt. Nur wenige Meter weiter liegen Schneefelder und Gletscher. Es folgt Ausweichverhalten und somit viele Höhenmeter, die uns wichtige Kraft kosten. Die Furt bleibt trotzdem unvermeidlich.

      Wir machen den Fehler, dass jeder seine Strategie hat, aber keiner sie im Team umsetzt. Ich will mich am Rapadalen und den markanten Stellen wie Bergen orientieren, Karsten weiter rein in die Ebene und an den Geröllfeldern entlang gehen. Wir eiern rum und verlieren weiter Zeit.

      Irgendwann einigen wir uns und finden wieder auf Kurs. Zwei weitere furchteinflößende Flüsse bauen sich vor uns auf. Der Größere von beiden hat locker 100-200 Meter stark abfallende Böschung. Auch ihn durchqueren wir mittlerweile pitschnass.

      Wir nähern uns dem Abstieg ins Tal. Es ist kalt und wir beide sehnen uns nach einem Lagerplatz. Karsten meint, da unten könnte es lang gehen. Minuten später fühlen wir uns wie GI's in Vietnam. Kein Weg, keine 20 Meter Sicht, Kraut mannshoch und darunter Geröll. Der Regen bleibt. Schnauze voll und wieder hoch auf den Kamm. Ja wie nur? Es gleicht Bergsteigen im Dschungel. Die unvermeidlichen Stürze folgen. Zum Glück bleiben sie folgenlos, da unser Gepäck uns an Ort und Stelle gnadenlos zu Boden reißt. Es dauert Ewigkeiten, raubt uns Kraft und demoralisiert uns. Ich will und kann nicht mehr. Doch was ist die Alternative?

      Wir erreichen völlig erschöpft den Kamm und stoßen auf den AlepVássjájågåsj, den Fluss, der die letzte Abstiegsmöglichkeit hinunter ins Rapadalen markiert. Interessante Lagerplätze mit grandiosen Aussichten müssen wir mangels Wasser ignorieren. Welche Ironie! Wir müssen ins Tal.

      Irgendwann auf halbem Abstieg finden wir eine kleine Stelle für uns. Sie liegt nur 10 bis 20 Meter neben dem tosenden Alep Vássjájågåsj. Wir würden heute auch neben einer Autobahn schlafen. Zelt aufgebaut, nasse Kleidung aus, Essen im Zelt gekocht und erschöpft eingeschlafen.

      Der Sarek hat uns zum ersten Mal für unsere Unerfahrenheit verprügelt. Zahltag!
      Meine Heimat - der Harz

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      • Blahake

        Fuchs
        • 18.06.2014
        • 1432
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        • Meine Reisen

        #4
        AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

        Zitat von mrburnes99 Beitrag anzeigen
        Ein normaler Bericht wird das aber nicht. Ich liebe die Dramatik.
        Stimmt Trotzdem freue ich mich über Deinen Bericht und habe ihn gleich abonniert

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        • kroessebastian

          Gerne im Forum
          • 16.10.2014
          • 79
          • Privat

          • Meine Reisen

          #5
          AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

          Wirklich ein etwas anderer Bericht, aber gerade deswegen auch abonniert!

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          • mrburnes99
            Anfänger im Forum
            • 24.05.2015
            • 40
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

            Danke für euer Feedback! Mir liegt dieser Schreibstil mehr, als nur eine einfache Abhandlung zu schreiben.

            Wunden lecken

            Niederlagen sollte man sich offen eingestehen. Sie zu nutzen und seine Lehren daraus zu ziehen, bringt dich wieder einen Schritt nach vorn.

            Geschunden und geschlagen wachen wir am nächsten Morgen am Alep Vássjájågåsj auf. Nach wie vor hat er den Lärmpegel einer U-Bahnstation. Der Sarek gibt sich als Sieger mit der ersten Lektion, die er uns erteilt hat, zufrieden. Er lässt die Sonne ins Rapadalen scheinen. Kurzerhand entscheiden wir uns, so viel Sachen wie möglich zu trocknen. Unser Lager gleicht einem Wäscheplatz. Tatsächlich bekommen wir bis Mittag fast alle Sachen trocken.

            Wir folgen dem AlepVássjájågåsj weiter ins Tal, wo wir ihn furten müssen. Die Querung ist einfach und Karsten kann endlich seine Neoprensocken testen. Ein kurzer Abstecher an den Rapaädno führt uns die Größe des Rapadalen vor Augen. Es ist gewaltig.

            Unseren ursprünglichen Plan, im Rapasalet den Rapaädno zu queren und dann ins Sarvesvagge abzubiegen, haben wir bereits verworfen. Der Rapaädno führt zu viel Wasser und eine Furt wäre lebensgefährlich. Sandbänke sind nur ganz selten zu sehen. Also Plan B, wir kürzen die Runde um die Schlaufe durchs Sarvesvagge. Wir haben eine schlechte Saison mit zu viel Wasser erwischt, was wir jetzt anerkennen.

            Weiter durch die "Grüne Hölle" Rapadalen. Über den Pfad wechseln sich Sümpfe mit offenen Geröllfeldern ab, nur um dann wieder in den scheinbar undurchdringlichen Dschungel zurückzuführen. Vor dieser Umgebung hatte ich schon zu Hause bei der Sichtung einiger Videos höchsten Respekt entwickelt. Außerdem hat hier Europas größtes Landraubtier, der Braunbär, sein zu Hause. Die fehlende Sicht auf die schönen Berge tut ihr übriges. Meine Laune sinkt mit jedem Schritt. Karsten tut sein Bestes, um mich in Gespräche zu verwickeln. Es ist hoffnungslos. Später vergleicht Karsten den Gang durch den Dschungel mit einer Horde Kinder, die ständig an dir zerren. Es schlaucht!

            Irgendwann kommen wir an den Rand des Rapasalet und stehen am Ufer des Rapaädno. Die Gegend ist atemberaubend. Hier treffen, von riesigen Bergen flankiert, drei Täler aufeinander und bilden einen Kessel. Zwei Schwedinnen sitzen bereits dort und genießen den Blick. Wir kommen ins Gespräch und können uns über Route und Ausrüstung austauschen. Sie empfehlen uns die Besteigung des Lådebakte, der direkt neben uns, 1500 Meter hoch, über dem Rapasalet wacht. Von seinem Gipfel ist ein Blick in alle drei Täler möglich. Endlich! Wir haben ein neues Ziel!

            Hier bleiben und die Blessuren des zweiten Tages zu pflegen, ist jetzt die einzig richtige Entscheidung. Wir bauen das Lager auf, essen und sind sogar zu platt, ein Feuer zu machen. Beim Abwaschen schwimmt mir unser einziger Schwamm im Rapaädno davon. Ersatz ist schnell gefunden. Meine eine Socke ist von einem Blasenpflaster hin. Ausgewaschen ist sie so gut wie ein Schwamm. Befindlichkeiten gibt's hier nicht. Alles hat seinen Sinn.

            Wir gehen ins Zelt und pflegen unsere geschundenen Körper. Wunden lecken.
            Meine Heimat - der Harz

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            • vobo

              Dauerbesucher
              • 01.04.2014
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              #7
              AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

              Ohh, mittlerweile habe ich ja schon deine Fb-Berichte durchstöbert. Umso dramatischer dann die Einleitung bzw. Vorbereitung, wobei ich den Preis eigentlich zu hoch finde. Aber dafür gab es dann ja grandiose Erlebnisse - und für uns einen bleibenden Bericht. Danke dafür!

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              • tjelrik
                Fuchs
                • 16.08.2009
                • 1244
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                #8
                AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                Super Bericht und wirklich sehr gute Fotos! Dein Schreibstil gefällt mir ausgesprochen gut. Bitte weiter!
                bear shit - sounds like bells & smells like pepper

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                • mrburnes99
                  Anfänger im Forum
                  • 24.05.2015
                  • 40
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                  Zitat von vobo Beitrag anzeigen
                  Ohh, mittlerweile habe ich ja schon deine Fb-Berichte durchstöbert. Umso dramatischer dann die Einleitung bzw. Vorbereitung, wobei ich den Preis eigentlich zu hoch finde. Aber dafür gab es dann ja grandiose Erlebnisse - und für uns einen bleibenden Bericht. Danke dafür!
                  Auf den Preis hatte ich nur bedingt Einfluss. Der Skierffe war das Ziel, also habe ich Kompromisse gemacht. Alles andere war nicht absehbar und lag nicht in meiner Hand.

                  Grüße Thomas
                  Meine Heimat - der Harz

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                  • tjelrik
                    Fuchs
                    • 16.08.2009
                    • 1244
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                    Moin, wann gehts denn endlich weiter?
                    bear shit - sounds like bells & smells like pepper

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                    • mrburnes99
                      Anfänger im Forum
                      • 24.05.2015
                      • 40
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                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                      Moin,
                      Ich mache heute Abend weiter 😉
                      Meine Heimat - der Harz

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                      • tjelrik
                        Fuchs
                        • 16.08.2009
                        • 1244
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                        Yes
                        bear shit - sounds like bells & smells like pepper

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                        • mrburnes99
                          Anfänger im Forum
                          • 24.05.2015
                          • 40
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                          Hier kommt Tagesabschnitt 4. Wir hatten ursprünglich das Ziel, das Rapasalet am Raubtierplatz zu durchqueren. Dieses Ziel haben wir spätestens bei Ankunft am Rapaädno an Tag 3 verworfen und unsere Tour um die Schleife Sarvesvagge und Alggavagge gekürzt. Als Ausgleich stand dann die Besteigung eines Berges und der Rand eines Gletschers auf dem Plan.


                          Moskito Hill

                          Träume werden wahr, genau so wie sie vor deinen Augen wieder platzen. Im Sarek bist du den Elementen ausgeliefert. Sie allein richten über dich.

                          Wir stehen erholter auf als am Tag zuvor. Großes haben wir vor, den Aufstieg zum Låddebákte. Doch schon beim ersten Blick hinauf ist klar, das wird heute nichts. Wolken hängen dicht bis zum Fuß. Ein Aufstieg wäre lebensgefährlich und auch ohne Nutzen. Für Karsten verschwimmt der Traum von der Besteigung eines Gipfels im Nebel.

                          Die Route ist längst umgeplant. Also raus aus der "Grünen Hölle" und hinauf zum Snávávágge, einem Hochtal mit 400-500 Höhenmeter über uns. Wir treffen die beiden Schwedinnen wieder. Sie haben oberhalb der Baumgrenze gerastet. Eine leichte Furt liegt vor uns, ihr folgt ein steiler Anstieg. Beim Blick zurück entdeckt Karsten einen Elch, der sich schwimmend durch den Rapaädno kämpft. Wir haben mit dem Verzicht der Furt des Rapaädno die richtige Entscheidung getroffen. Kurz vorm Einstieg ins Tal stoßen wir auf zwei Schweden aus Helsingborg. Wir tauschen Informationen aus und fachsimpeln über Ausrüstung. Hier oben sind alle Leidensgenossen. Du musst nichts beweisen, denn jeder geht durch die gleiche Knochenmühle.

                          Snávávágge empfängt uns mit Wolken und endlosen Steinfeldern. Irgendwann wird auf 977 Metern Höhe der Blick auf den See Snávvájávvre frei. Der Låddebákte liegt noch immer dicht verhüllt.

                          Beim Ausstieg aus dem Snávávágge trifft es mich unvermittelt. Bei der Tourplanung hatte ich das Tal eher am Rande behandelt und war auf das, was jetzt kam, nicht vorbereitet. Schier endlose Schönheit zwingt mich beinahe zu Boden, Tränen der Rührung laufen meine Wangen runter. Karsten grinst bis zu den Ohren. Das obere Rapadalen liegt vor uns. Kilometerweite Sicht in die Anfänge des Tals, schneebedeckte Gipfel, das Grün des Tals und das Türkis des Rapaädno sind beinahe zu viel für unsere Sinne. Natürlich rasten wir hier.

                          Der Weg ins nächste Tal führt über ein Geröllfeld im Steilhang. Mal was anderes. Es fordert höchste Konzentration, um nicht zu stürzen. Im Eingang des Tals Bielavallda entdecken wir einen Hügel und steuern diesen direkt an. Von hier haben wir noch einmal ausgezeichnete Sicht. Erst Minuten später wird uns klar, er ist schon besetzt. Schwärme von Mücken fallen auf einem Hügel ohne Bäume in mehr als 800 Metern Höhe über uns her. Zuerst müssen unsere Regenjacken Schutz bieten, später sogar die Moskitohüte. Für den Rest des Tages werden wir die Blutsauger nicht mehr los. Man zieht sie wie eine Schneeschleppe hinter sich her.

                          Karsten lotst uns zielsicher durch einen Sumpf an die westliche Flanke des Tals. Der See Bierikjávvre kommt in Sicht. Er liegt türkisblau zwischen den Bergen eingeklemmt. Sehr beeindruckend. Zu unserer Freude finden wir den perfekten Rastplatz 10 Meter vom Ufer des Sees entfernt. Die Sonne scheint bis in unsere Herzen hinein. Nicht mal die zahllosen Rüsselträger können unseren Abend trüben.
                          Meine Heimat - der Harz

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                          • Dogmann
                            Fuchs
                            • 27.09.2015
                            • 1022
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                            Toll geschrieben, lebendiger Bericht!
                            Find ich gut, zumal es bekannte Ecken sind.
                            Klasse Bilder, wie man die Gegend in Erinnerung hat.
                            Bin ganz gespannt , wie es weiter geht!?
                            Ja auch als Schinderei kann man manches schon mal bezeichnen. Klar sieht es hinter her dann meistens wieder anders aus, aber.............
                            Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

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                            • mrburnes99
                              Anfänger im Forum
                              • 24.05.2015
                              • 40
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                              Hallo Dogmann,
                              danke für dein Lob. Es kommen noch 2 Berichte zu den restlichen Etappen.

                              Sehe gerade, dass wir den gleichen "Lebensraum" teilen ;)

                              Harzliche Grüße
                              Thomas
                              Meine Heimat - der Harz

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                              • Mortias
                                Fuchs
                                • 10.06.2004
                                • 1194
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                                Sehr erfrischend geschrieben der Bericht. Du bringst es gut rüber, dass eine Sarek Tour nicht immer nur ein Wellness Urlaub ist. Vor allem die Anfangsmotivation mit dem Skierffe Bild hat mir gefallen. Zu sagen, da will ich unbedingt mal stehen und es live sehen. Und es dann auch wirklich zu tun, trotz der damit verbundenen Strapazen.

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                                • mrburnes99
                                  Anfänger im Forum
                                  • 24.05.2015
                                  • 40
                                  • Privat

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                                  #17
                                  AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                                  @Mortias:
                                  Das Bild war wirklich der Auslöser für diese Geschichte. Jemand der den Norden liebt, muss einfach berührt sein von diesem Anblick. Zum Glück habe ich einen zweiten "Bekloppten" gefunden und gemeinsam haben wir diesen Traum mit Leben erfüllt.

                                  Es folgt Abschnitt 5 mit dem Übertritt vom Sarek in den Stora Sjöfallet.


                                  Moonwalk

                                  Immer wenn du denkst, du hättest schon alles gesehen, legt der Sarek noch einen drauf. An diesem Tag legt er uns Steine in den Weg.

                                  Wir verlassen den schönsten Schlafplatz unserer Tour. Der Bierikjávvre bleibt noch lange Zeit in unserem Rücken zu sehen. Die Täler werden weiter. Noch immer hängen die Wolken sehr tief. Gestern haben wir wieder Kriegsrat gehalten. Eine letzte Chance für einen Gipfel und einen Gletscher sehen wir noch. Die endgültige Entscheidung verschieben wir auf unsere Ankunft vor Ort.

                                  Das Frühstück nehmen wir auf einem Hügel mit einem letzten Blick auf den Bierikjávvre. So langsam entsteht Abschiedsstimmung. Wir haben Tag 5 und behalten den sicheren Ausstieg im Blick. Hinter der nächsten "Bodenwelle" wartet das Guhkesvagge. Hier verläuft die Grenze zwischen den Nationalparks Sarek und Stora Sjöfallet.

                                  Die Welle entpuppt sich als kleiner giftiger Zahn. Oben angekommen, liegt das breite Guhkesvagge vor uns. Wir furten einen vergleichsweise einfachen Fluss. Dann manövrieren wir uns durch einen Sumpf, um vor dem beeindruckenden Guhkesvakkjåhkå zu landen, der geografischen Grenze des Sarek. Zum Glück führt eine Brücke über den Fluss. Die einzige auf unserer Tour.

                                  Ich filme die Überquerung. Karsten braucht etwas länger, der Abschied vom Sarek fällt ihm sichtbar schwer. Später bemerkt er jedoch, dass es doch nur eine von Menschen geschaffene Grenze ist.

                                  Karsten erreicht das Ende der Brücke, wo ich bereits auf ihn warte. Dann ein Schockmoment, für mich vielleicht der gefährlichste der gesamten Tour. Ich drehe mich um und will losgehen, doch da ist kein Grund. Die Brücke hat an jedem Ufer einen riesigen Sockel, auf dem sie ruht. Der auf meiner Seite ist abrupt zu Ende. Keine Stufe, nichts. Unter mir mindestens 1 Meter Leere. Ich kippe wie eine Schranke nach vorn. Karsten greift instinktiv nach mir und verhindert meinen Sturz aus dieser Höhe. Mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken sind die Verletzungen nicht auszumalen, die ich erlitten hätte. Dieser Schock sitzt.

                                  Die Landschaft bleibt weit und offen. Leicht vor uns eine Bergkette, die morgen unser Ziel sein soll, um den Traum vom Berg und dem Gletscher zu verwirklichen. Also wird am Fuß der Kette unser Lagerplatz gesucht. Die Gegend wirkt surreal. Weiter Blick, tiefe dunkle Wolken und Felsblöcke wohin das Auge wandert. Einladend sieht anders aus. Karsten findet den durchaus treffenden Vergleich einer Mondlandschaft. Irgendwann drückt es uns sogar auf die Moral. Keine Abwechslung, nur Weite, Steine und Wolken. Ein graues Etwas.

                                  Als Navigationspunkt in dieser Runde wählen wir einen Berg, den wir wegen seines für uns unaussprechlichen Namens einfach Nintendo nennen. Irgendwann ist ein Schlafplatz gefunden und das Zelt wird aufgebaut. Stellenweise haben wir bereits wieder Netz und Karsten kann ein Lebenszeichen nach Hause senden.

                                  Zum Wasserholen lasse ich meine Brille am Zelt. Das wird mir beinahe zum Verhängnis. Als ich zurück will, sieht alles gleich aus. Unser Zelt hebt sich in diesem Geröll nicht ausreichend ab. Ich gerate kurz in Unruhe. Da wir in einer Senke rasten, muss ich erst auf einen Hügel steigen, um es zu finden. Eine weitere Lehrstunde.

                                  Dann beginnt Dauerregen für die Nacht. Schlechte Zeichen für das gesteckte Ziel des nächsten Tages.
                                  Meine Heimat - der Harz

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                                  • Dogmann
                                    Fuchs
                                    • 27.09.2015
                                    • 1022
                                    • Privat

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                                    #18
                                    AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                                    Ja was soll ich sagen. Du beschreibst es wirklich wie es ist, wie man es erlebt hat, mit all seinen für und wieder!
                                    Wenn einen das Sarek-Fieber erstmal erwischt hat, wenn man dem Norden verfallen ist.
                                    Sagenhaftes Fjäll mit egenen Gesetzen, die Gesetze der Natur!
                                    Richtig wohl fühle ich mich nur draußen !

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                                    • tjelrik
                                      Fuchs
                                      • 16.08.2009
                                      • 1244
                                      • Privat

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                                      #19
                                      AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                                      Sehr geil!
                                      bear shit - sounds like bells & smells like pepper

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                                      • Ziz
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                                        #20
                                        AW: [SE] Traum erfüllt und doch bleibt etwas offen

                                        Schön geschrieben, dabei habe ich unterwegs nicht mal Bilder. Der Bericht funktioniert auch so! Ich freue mich aufs Finale.

                                        PS: Die Bilder schau ich mir dann zu Hause an.
                                        Nein.

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