[NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

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  • Borgman
    Dauerbesucher
    • 22.05.2016
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    • Privat

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    [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: Norwegen, Finnmark Fylke

    Reisezeit: Mitte August bis Anfang September 2017


    Auf nach Seiland!

    Wenn ich an die vor mir liegende Tour denke, habe ich oft ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits freue ich mich natürlich darauf, eine wenig bekannte, spannende Insel zu erkunden und insgesamt drei Wochen draußen in der Natur zu sein. Schon seit einiger Zeit regt sich im durchstrukturierten Alltag immer wieder diese erwartungsvolle Euphorie, wird die belebende Energie geweckt, die ich mit jeder größeren Wandertour verbinde. Der Flug nach Alta ist gebucht, zwei, drei mögliche Routen sind geplant, die Karten besorgt und die Bus- und Bootsverbindungen in allen erdenklichen Varianten gecheckt. Jetzt warte ich nur noch ungeduldig, dass es losgeht. Vier Wochen ... drei Wochen ... noch eine Woche arbeiten.

    Je näher der Reisetermin rückt, umso öfter beschleichen mich aber auch leise Zweifel an meinem Vorhaben. Ob ich mich damit nicht ein wenig übernommen habe? Seiland ist ein sehr wenig begangenes Wandergebiet, Infrastruktur wie Pfade oder Hütten gibt es nur in den äußersten Randgebieten und im Nationalpark gar nicht. Entsprechend dürftig sind die Informationen, die man bekommen kann. Im Netz findet sich kein einziger Bericht über eine erfolgreiche Durchquerung der Insel, nur zwei oder drei Bergbesteigungen.

    Einige hilfreiche Tipps kamen von Einheimischen, die ich schon im Frühjahr kontaktiert und ausgefragt hatte. Zuerst hatte ich mich an die Nationalparkverwaltung in Alta gewandt, wo man aber auch nicht umfassend Auskunft geben kann, sondern eher nur punktuell. Anders als z.B. letztes Jahr in Lomsdal-Visten gibt es hier nicht die zwei, drei Frauen und Männer, die sich richtig gut auskennen. Immerhin bekam ich dadurch Kontakt zu jemanden, der die Gegend zwischen Storvannet und Straumen im Norden gut kennt und einem Menschen aus Altneset, der über den Südosten Bescheid weiß. Leider nicht für alle Gegenden. Gerade zu der Einstiegsroute, die mich am meisten interessiert, nämlich von Kårhamn zur Seilanstuva, konnte niemand etwas sagen. Das macht die Sache zwar spannend, es ist aber auch eine Reise ins Ungewisse.

    Außerdem bin ich körperlich nicht ganz so fit wie ich gern hätte - leichte Knieprobleme seit zwei Monaten, die nicht gerade begünstigt werden durch die unbestreitbare Tatsache, dass sich in letzter Zeit eindeutig zu viel Speck auf meinen Rippen (und knapp darunter) angesammelt hat. Ja, so ist das wohl, wenn man zu viel im Sitzen arbeitet und seinem Hang zu Bier und Whisky allzu oft nicht widerstehen kann. Immerhin liegen jetzt drei abstinente Wochen vor mir, das kann nicht schaden.

    Meine vorläufige Routenplanung: Anfahrt mit dem Schnellboot nach Kårhamn, von dort an der Küste entlang zum Engedalsvann und Aufstieg zur Seilandstuva im zerklüfteten Westteil der Insel. Das wird wohl teilweise recht steinig, sollte aber eigentlich machbar sein. Wenn ich mit dem Aufstieg vom Engedalsvann nicht klar komme (liegt bei Norgeibilder größtenteils im Schatten, daher ungewiss), muss ich zurück und von Hønseby aus eine andere Route versuchen. Von der Seilandstuva ganz hinunter nach Straumen und Aufstieg zum Seilandsjøkelen, danach durch ein Gewirr von Seen und Hügeln und ein steiler Abstieg hinunter nach Altneset.

    Sollte das richtig gut klappen, was ich aber ehrlicherweise nicht ernsthaft glaube, will ich noch zur Nachbarinsel Stjernøya. Ansonsten bleibt es bei Seiland. Über Stjernøya gibt es noch weniger Infos als über Seiland, da bin ich noch mehr auf Versuch und Irrtum angewiesen. Die Topographie von Stjernøya ist eigentlich haarsträubend, und ich habe lange über einer möglichen Route gebrütet. Das versuche ich wirklich nur, wenn ich fit bin und das Wetter mitmacht. Ungewiss, aber träumen darf man ja.

    Ob nun mit Stjernøya oder nicht, anschließend gehe ich noch für 10 Tage in den Stabbursdalen Nationalpark. Mir schwebt eine Durchquerung von Rafsbotn (Alta) nach Stabbursnes vor. Wenn das Wetter es zulässt, auch durch den grauen Teil um Čohkkarášša in der Mitte des Gebiets. Das wird aber auf jeden Fall einfacher als Seiland, und ich kann mich spontan, nach Gefühl und Wetterlage, für die eine oder andere Route entscheiden.

    Genug der Vorrede, ich bin schon ganz aufgeregt und ungeduldig. Am 14. August geht's endlich los!







    Tag 1
    Anreise

    Mein leicht flaues Gefühl im Bauch, als Aniela mich am Morgen zum Flughafen fährt, liegt nicht an der vor mir liegenden Reise nach Alta und schon gar nicht daran, dass ich jetzt wieder drei Wochen allein unterwegs bin. Im Gegenteil, ich freue mich auf die Freiheit, zu tun und lassen was ich möchte, und die spüre ich am intensivsten, wenn ich eine Wandertour in einsamer Gegend unternehme. Bei allem Familiensinn brauche ich auch Zeit für mich allein, eine Herausforderung, an der ich mich abarbeiten kann, am besten in einem ungezähmten Berggebiet, das noch nicht von Menschen zu einem planbaren Ausflugsziel herabgewürdigt ist, sondern dem man sich als Wanderer demütig annähert. Und ja, ich liebe auch im Allgemeinen (...wenn auch nicht unbedingt immer im Speziellen...) das unberechenbare Wetter, von vielen so oft beklagt, dessen Launen der Wanderer ganz und gar ausgeliefert ist. Man braucht Erfahrung und gelernte Strategien, um damit klarzukommen, man erkennt sich selbst als kleinen, schwachen, im Stadtleben verweichlichten Menschen. Und gleichzeitig, so geht es mir jedenfalls, spürt man eine von den Füßen zum Kopf strömende Energie, ungeahnte Kraftreserven und die Lust, es mit allen Widrigkeiten aufzunehmen. Gleichzeitig Wurm und Riese.

    Aber ich schweife ab, sitze doch in der Chronologie gerade erst mit flauem Gefühl im Auto auf der Fahrt zum Flughafen. Dieses Mal ist es ein bisschen anders. Ich bin mir nicht so sicher, ob ich überhaupt gut wandern kann. Mein rechtes Knie schmerzt immer mal wieder beim Laufen, und zwar so deutlich, dass ich die Zähne zusammenbeißen muss um weiterzugehen. Nicht vorhersagbar, wann es auftritt, verschwindet dann auch wieder nach zehn Minuten. Wie das in schwierigem Gelände wird, kann ich nicht abschätzen. Ob die Tour, die ich mir vorgenommen habe, nicht doch zu anspruchsvoll ist?

    Ich lasse es darauf ankommen und nehme mir vor, das Beste aus meinem Urlaub in der Finnmark zu machen. Gibt ja viele Möglichkeiten. Erst mal fliege ich, um es kurz zu machen, nach Kopenhagen. Die dreieinhalb Stunden Aufenthalt verkürze ich mit einem kleinen Snack und einem großen Bier, danach bin ich in angemessen entspannter Urlaubslaune. Trotzdem ist mir immer sehr langweilig in Flughäfen. Kurios: Viele Menschen zusammengedrängt, die eigentlich gar nicht an diesem Ort sein wollen, sondern irgendwo anders. Zum Beispiel in Oslo, wo es warm und sonnig ist und ich noch vier Stunden verbringen muss. Da verlasse ich aber den Flughafen und gehe erst mal zur Statoil-Tankstelle, um einen Kaffee und ein Dreierpack der leckeren Rosinenbrötchen zu kaufen. Das ist schon so was wie eine Tradition geworden, wenn ich in Gardermoen länger Aufenthalt habe oder von dort mit dem Zug weiterfahre. Die Rosinenbrötchen sind einfach unschlagbar gut.

    Gegen 20:10 Uhr geht dann der Flieger nach Tromsø und Alta. Leider gibt es schon nach kurzer Zeit eine geschlossene Wolkendecke, so dass man nicht viel sehen kann. In Tromsø regnet es. Wir warten noch auf einen verspäteten Flug aus Bodø und fliegen eine Viertelstunde verspätet weiter nach Alta, wo wir kurz nach 23:00 Uhr ankommen. Kein Regen zum Glück, so kann ich sofort losgehen, um mir einen Platz für die Nacht zu suchen. Das Regenzeug ist irgendwo im Rucksack vergraben. Es gab mal Zeiten, da hätte ich mir nach so später Ankunft ein Hotelzimmer geleistet, habe aber festgestellt, dass mir das nichts bringt. Die erste Nacht im Hotel kann ich nie schlafen, im Zelt dagegen fast immer.

    Zuerst mache ich aber einen Stopp bei der Statoil-Tankstelle. Ja, ich weiß, heißt jetzt Circle K, aber ich sage trotzdem noch Statoil. Wer ist bitteschön außerhalb von Texas so bescheuert, eine Tankstellenkette nach einem Brandzeichen für Rinder und Pferde zu benennen?


    Statoil Elvebakken um 23:40 Uhr

    Hier kaufe ich Spiritus und ein Schinken-Käse-Baguette für ein Mitternachtsessen, das leider noch eine Weile warten muss. Dafür regen sich nach der langweiligen Reise, trotz der späten Stunde, beim Laufen meine Lebensgeister. Mitte August wird es in Alta noch nicht ganz dunkel, da werde ich problemlos einen Platz am Fluss Altaelva finden. Direkt hinter der Brücke biege ich rechts ab und gehe immer am Flussufer entlang, bis ein Pfad beginnt. Nach einem knappen Kilometer auf diesem wird ein kleiner Bach gefurtet, aber der Wald ist hier dicht und nicht zum Zelten geeignet. Also noch ein Stück weiter, durch ein Weidetor und dann direkt zum Fluss. Hier sieht es besser aus, und nach kurzer Zeit ist ein perfekter Platz gefunden. Als das Zelt steht, ist es schon 01:10 Uhr, aber ich habe Hunger und esse noch von meinem spärlich belegten Baguette, bevor ich zufrieden in den Schlafsack krieche.


    Altaelva, Blick aus dem Zelt

  • Bankhar
    Erfahren
    • 24.09.2010
    • 280
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    • Meine Reisen

    #2
    AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

    Hi Borgman,

    deine Stimmung vor der Anreise und auf dem Weg zum Flughafen kenne ich nur zu gut. Und ich dachte immer es geht nur mir so, bin ich also doch nicht alleine...

    Aber wie geht es denn weiter? Bin neugierig, also setzt Dich hin und schreib!

    Kommentar


    • Antracis
      Fuchs
      • 29.05.2010
      • 1280
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      #3
      AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

      Die Einführung ist Dir gut gelungen. Man kommt sofort in Tourstimmung und freut sich auf die nächsten Kapitel.

      Ich bin sehr gespannt. Eine Karte von Seiland liegt auch hier, ich hatte ja auch mal einen Thread dazu eröffnet, aber die verwertbarsten Infos schien noch Norgeibilder zu liefern. Es bleibt also spannend.--und die Rosinenbrötchen werden nächstes Jahr probiert.
      Zuletzt geändert von Antracis; 09.09.2017, 15:17.

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      • Bankhar
        Erfahren
        • 24.09.2010
        • 280
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        #4
        AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

        Zitat von Antracis Beitrag anzeigen
        --und die Rosinenbrötchen werden nächstes Jahr probiert.
        Ok, mache ich auch.

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        • evernorth
          Fuchs
          • 22.08.2010
          • 1828
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          #5
          AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

          Spannendes Tour - Gebiet und ein guter Start. Abonniert und....bitte gleich weiter schreiben.
          My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

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          • Borgman
            Dauerbesucher
            • 22.05.2016
            • 724
            • Privat

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            #6
            AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

            Zitat von Bankhar Beitrag anzeigen
            deine Stimmung vor der Anreise und auf dem Weg zum Flughafen kenne ich nur zu gut. Und ich dachte immer es geht nur mir so, bin ich also doch nicht alleine...
            Das ambivalente Gefühl vor einer Tour, besonders wenn man sich an eine neue Herausforderung wagt, kennen wahrscheinlich die meisten. Nur: wenn man sich ans Aufschreiben seiner Erlebnisse macht, ist das oft nicht mehr so präsent.

            ...setzt Dich hin und schreib!
            Zitat von evernorth Beitrag anzeigen
            ... bitte gleich weiter schreiben.
            Bin schon dabei, morgen hab ich Zeit...

            Zitat von Antracis Beitrag anzeigen
            Die Einführung ist Dir gut gelungen. Man kommt sofort in Tourstimmung und freut sich auf die nächsten Kapitel.
            Danke!

            ... die verwertbarsten Infos schien noch Norgeibilder zu liefern.
            Werde hier versuchen, einiges Brauchbare unterzubringen. Darüber hinaus habe ich in der Vorbereitung noch weitere Infos gesammelt, die ich für meine Planung nicht verwertet habe. Du kannst mich bei Bedarf einfach ansprechen.

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            • Borgman
              Dauerbesucher
              • 22.05.2016
              • 724
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

              Tag 2
              Von Alta nach Øksfjord

              In der ersten Nacht im Zelt habe ich erstaunlich gut geschlafen, wenn auch nicht sehr lang. Bin kurz nach Sieben einigermaßen wach und munter. Der Himmel ist bewölkt, aber es sieht trocken aus. Heute kann ich mir sehr viel Zeit lassen. Ich muss nur um 16:00 Uhr den Bus nach Øksfjord erreichen und vorher einkaufen. Frühstücke gemütlich Rosinenbrötchen mit Kaffee, schreibe noch Tagebuch von gestern und gehe am Vormittag langsam los.


              Erster Zeltplatz, Altaelva

              Anders als noch vor zehn Jahren kaufe ich mittlerweile fast alles, was ich an Nahrungsmitteln für die Tour brauche, in Norwegen ein. Einige Tüten Nudelessen bringe ich mit, die ich dann später mit Real Turmat aufstocke (nur RT wäre mir einfach zu teuer), Kaffee (sonst hätte ich heute früh keinen gehabt) und Vollmilchpulver für die ganzen drei Wochen. Deshalb steuere ich zuerst mal den Coop extra Elvebakken an. Zwar weiß ich genau, was ich brauche, genieße aber vor dem Aufbruch in die Wildnis noch einmal die Fülle der Möglichkeiten, lasse mir Zeit mit dem Aussuchen.

              Ein gutes Brot, Sommersalat, Schinken und Tine Kremost wird das Abendessen für die ersten drei Tage, bevor es mit dem weniger beliebten Nudelessen losgeht. Außerdem Axa Blåbær-Müsli, Kornmo-Cracker und ein Klotz Norvegia-Käse für mittags, genügend Bixit-Kekse (ein Grundnahrungsmittel), Turmiks, Eisteepulver, 2 Kvikk Lunsj als besondere Belohnung und ein kleines Bier für heute Abend. Als ich mit meinem Großeinkauf vor dem Rucksack stehe, frage ich mich wieder einmal, wie ich das alles noch hineinquetschen soll. Aber es ist wie in einer vollen U-Bahn: wenn alle etwas zusammenrücken, passt es schon. Nur das Brot hängt natürlich außen am Rucksack.

              Mit einem Kaffee aus dem Automaten (steht 10 Kr dran, aber er ist gratis) gehe ich danach hoch zur Kirche, wo ich ein ruhiges Plätzchen finde. Es ist noch frisch, 12°C, aber langsam breitet sich ein angenehmes Urlaubsgefühl aus, der Kopf wird frei, die Gedanken ziehen durch. Nichts ist wichtig.

              Gegen Mittag laufe ich hinunter zum Schnellbootkai und nutze die Behindertentoilette, um mir ein vorerst letztes Mal die Haare mit warmem Wasser zu waschen und mich vor einem richtigen Spiegel zu rasieren. Hier kann man auch nett sitzen und ein kleines Mittagbrot einnehmen.


              Alta Hurtigbåtkai

              Anschließend schlappe ich das kurze Stück zum Flughafen, wo um 16:00 Uhr der Bus nach Øksfjord abfährt. Es gibt viel zu sehen, denn der Bus fährt meist an Fjorden entlang. Zuerst am Altafjord, dann am Langfjord (hier regnet es zwischenzeitlich) und schließlich am Øksfjord, wo sich schon faszinierende Blicke auf die zerklüfteten Berge der Øksfjordhalbinsel eröffnen. Das ist ein Gebiet, das mich auch sehr interessiert, da würde ich gerne mal wandern.

              Nach knapp zweieinhalb Stunden steige ich am Fähranleger aus. Heute komme ich nicht mehr nach Seiland, das Schnellboot fährt erst morgen früh. Ja, das Reisen in der Finnmark hat seine Vor- und Nachteile. Für ein so dünn besiedeltes und Gebiet mit großen Abständen zwischen den Ortschaften sind die öffentlichen Verkehrsmittel ganz hervorragend ausgebaut (hoffen wir, dass das noch lange so bleibt), aber oft gibt es nur eine Verbindung am Tag. Das entschleunigt das Reisen natürlich enorm, man ist gezwungen, aus seinem üblichen ich-will-jetzt-schnell-ankommen-Denken auszubrechen. Es schafft auch Raum für ungeplante Erlebnisse.

              Jedenfalls will ich hier einen richtig guten Platz für die Nacht finden. Ich laufe durch den kleinen Ort Vassdalen zum Vassdalsvatn und dann links den Berghang hinauf, zuerst auf einem Schotterweg, bis dann ein markierter Wanderpfad beginnt.


              Vassdalen


              Hang am Vassdalsvatn

              Beim Aufstieg von nur etwa 140 Hm komme ich mächtig ins Keuchen, das muss noch besser werden. Dafür ist die Landschaft hier wunderschön, und das Wetter hat sich gebessert, nur der Wind ist noch eiskalt. Morgen soll ein sonniger Tag werden. Als es flacher wird, finde ich schnell einen perfekten Platz um das Zelt aufzustellen. Sehr zufrieden richte ich mich ein und wasche mich kurz im Bach. Das Bier brauche ich nicht zu kühlen, denn sobald die Sonne hinter dem Berg verschwindet, sinkt das Thermometer auf 5°C. Dafür gibt es kaum Mücken.


              Tag 3
              Von Øksfjord nach Kårhamn und Wanderung zum Engedalsvann



              Noch vor dem Weckerklingeln bin ich um 6:00 Uhr wach und ausgeschlafen. Mir kommt es wärmer vor als gestern Abend, aber das Thermometer sagt 4°C, es ist also nur nicht viel kälter. Nach dem Frühstück mache ich mich gleich an den Abstieg nach Vassdal. Wie versprochen ist es ein herrlicher Tag.




              Vassdalen

              Am Fähranleger ist schon Betrieb, aber ich muss ja zum Schnellbootkai nach Øksfjord, etwa einen Kilometer die Straße entlang. Dort steht im Warteraum ein Wasserkocher, Instantkaffee, Teebeutel, Zucker und Kaffeeweißer, so dass man sich selber ein Heißgetränk zubereiten kann, daneben eine Tasse zum Bezahlen (10 Kr). Sehr nett, das nehme ich gerne an und mache mir einen zweiten Kaffee, um die Zeit zu vertreiben.


              Øksfjord Fergekai


              Øksfjordjøkelen im Hintergrund

              Langsam trudeln noch ein paar Leute ein, die auch auf das Schnellboot warten, das pünktlich um 09:00 Uhr einläuft. Abfahrt 09:15 Uhr, jetzt geht es erst mal in rasanter Fahrt nach Hasvik auf Sørøya. Dabei hat man auch einen schönen Blick auf die schroffe Westseite von Stjernøya und die Küstenberge der Øksfjordhalbinsel.


              Stjernøya


              Nuvsfjorden, Middagsfjellet, Svartfjellet


              Hasvik am Berg Navaren

              Hier steigen noch mehr Menschen ein, danach fahren wir an der Südküste von Sørøya entlang nach Osten. Sørøya würde mich auch sehr reizen, wie es überhaupt hier in der Westfinnmark viele attraktive und abwechslungsreiche Wandergebiete gibt. Der einzige Halt vor Hammerfest ist die winzige Siedlung Kårhamn auf Seiland, wo wir um 10:50 Uhr anlegen. Die Fahrt hat Spaß gemacht, aber ich bin schon ein bisschen aufgeregt, weil jetzt endlich die Wanderung beginnt. Erst noch ein paar Bilder von Kårhamn:









              Wie schon auf Norgeibilder zu erkennen, führt vom südlichsten Ende der Bucht, kurz vor dem kleinen Fischverarbeitungsbetrieb, ein Pfad hinüber zur Mellabukt. Der Pfad ist unmarkiert, aber gut zu verfolgen und wird offenbar vor allem von Schafen benutzt. Er steigt sanft auf 100 Hm an und führt etwa in dieser Höhe um die Bucht herum.


              Mellabukta, Sørøya im Hintergrund


              Skreifjorden, Blick auf Lossefjellet

              Hinter dem nächsten Bergausläufer verliert sich der Pfad, also folge ich dem kleinen Seitental vor dem Stordal hinunter zur Küste. Auf der Turkart Seiland ist eine Route eingezeichnet, die über den nächsten Berghang verläuft, ich fürchte nur, sie orientiert sich einfach an der Stromleitung und ist nicht wirklich die beste Wanderroute. Zu der Karte und den Routenvorschlägen sage ich später noch etwas, letztere ignoriert man am besten ganz einfach. Schön ist es hier, aber ich bin schon mächtig ins Schwitzen gekommen und fülle die Wasserflasche im Bach aus dem Stordal. Der Übergang zur nächsten Bucht, Jonsbukta, ist recht unübersichtlich, aber ich versuche mein Glück an der Wasserlinie und finde eine Möglichkeit um die Felsen herum.







              Jetzt bin ich schon ziemlich erschöpft und sonnengedörrt, Zeit für eine kurze Pause im Schatten. Die verfallende Hütte nebst Birke eignet sich leider nicht dafür, aber kurz dahinter finde ich eine Felsstufe, die gerade den nötigen Schatten spendet. Schon ist die Wasserflasche wieder leer, und auf den nächsten drei Kilometern ist kein Bach eingezeichnet. Hoffentlich finde ich trotzdem Wasser.

              Durch Heide und kleine Moore laufe ich weiter über den Punkt 39m, ein Stück weg von der Küste, dann wieder hinunter, bis ich auf eine von üppigem Gras umwucherte Ruine treffe.


              Blick zum Flaskefjord mit dem markanten Flasketind und Seilandstuva im Hintergrund




              Skreifjordstranda, am Ende Skreifjordeidet


              Blick zurück

              Die Wiesen sehen einladend aus, aber unter dem hohen Gras verbergen sich große Steine und gefährliche Löcher. Deshalb gehe ich wieder direkt an der Wasserlinie, wo man die Steine wenigstens sehen kann. Kurz danach beginnt eine unangenehme Strecke auf dem schmalen und sehr steinigen Küstenstreifen unterhalb des steilen Berghangs. Obwohl ich langsam und vorsichtig gehe und eine feste Bandage trage, meldet sich mein rechtes Knie jetzt öfter, allerdings ist es hier für eine längere Pause denkbar ungünstig, denn es gibt kein Wasser. Also weiter.





              Die steinige Strecke ist sehr anstrengend, der Schweiß läuft mir in Bächen herunter, und bald muss ich eine Pause machen, um Kraft zu sammeln. Irgendwo an diesem Hang muss es doch verflixt nochmal einen Bach geben. Ich setzte den Rucksack ab und suche in der einen, dann in der anderen Richtung nach einem verheißungsvollen Plätschern, ohne Erfolg. Schließlich wuchte ich den Rucksack wieder auf den Rücken und kämpfe mich noch ein Stück weiter. Es hilft ja nichts.

              Erst 800m vor Skreifjordeitet findet sich dann doch noch das ersehnte Bächlein. Glücklich kühle ich mich in dem eiskalten Wasser ab und fülle die Flasche. Sogar ein paar kleine Birken als Sonnenschutz, herrlich! Als ich so gemütlich im Kraut liege und vor mich hindöse, fährt ein Motorboot Richtung Skreifjordeidet vorbei. Ein Mann mit Hund steigt in der Bucht aus und geht langsam den Hang hoch, er hat aber keinen Rucksack auf, so viel kann ich erkennen. Der andere Mann fährt mit dem Boot wieder weg.

              Als ich weitergehe, wird das Gelände bald flacher und ich erreiche das schon von Weitem erkennbare Haus, das auch schon bessere Tage gesehen hat.


              Geschafft: Skreifjordstranda liegt hinter mir


              Skreifjordeidet

              Ab hier gibt es zwei mögliche Routen zum Engedalsvann. Entweder über die Berge oder weiter an der Küste entlang. Da ich über die ganze Gegend hier keinerlei Informationen gefunden habe, entscheide ich nach Lust und Laune. Für den Moment habe ich keine Lust, mehr Höhenmeter als nötig zu machen, also wird es die längere Küstenstrecke. Ab hier sollte es auch einfacher werden. Bislang bin ich deutlich langsamer vorangekommen als erhofft. Wenn das weiter so geht und ich es heute noch zum Engedalsvann schaffen will, dann brauche ich noch mal eine längere und wirklich entspannte Pause. Und einen großen Kaffee. Einen Kilometer gehe ich noch auf dem teilweise extrem dicht bewachsenen Küstenstreifen nach Westen, dann treffe ich in Höhe Sandaholmen auf einen Bach und packe den Kocher aus. Es ist 16:30 Uhr, ich habe Zeit genug.

              Mittlerweile ziehen von Westen schon einige Wolken auf, aber es bleibt freundlich, als ich anderthalb Stunden später weitergehe. Erst folge ich weiter der Küste und schwenke nach Süden, später gewinne ich etwas an Höhe, um das Engdal knapp oberhalb der 100m-Höhenlinie zu queren.


              Schwenk nach Süden


              Gåsenga, Skreifjordstranda im Hintergrund

              Bisher komme ich gut voran, aber sobald ich den Hang zum Engedalsvann quere, wird es sehr unwegsam. Unter der dichten Krautschicht im Birkenwald lauern wieder große Steine, ich suche vorsichtig meinen Weg zum größeren See. Bald stelle ich fest, dass offenbar das ganze Tal aus überwuchertem Geröll besteht. Unangenehm zum Laufen und keine guten Aussichten, um einen ebenen Platz für das Zelt zu finden. Außerdem werden hier die Mücken sehr pestig. Weil ich zu faul bin, das Mückengift aus dem Rucksack zu kramen, bin ich an Armen und Schultern schnell arg zerstochen.

              Jetzt sehe ich auch erstmals die beiden möglichen Aufstiegsrouten zum Jernesfjell vor mir, die einzigen Auswege nach Süden aus diesem Talkessel. Momentan sind mir beide nicht ganz geheuer, steil und unwegsam. Ich bin mir nicht mehr sicher, dass ich da hoch will. Auf mein Knie kann ich mich nicht hundertprozentig verlassen, und schon im Tal ist das Vorankommen schwierig genug. Bestimmt wäre es machbar, aber kurz gesagt, mich verlässt der Mut.


              Mögliche Aufstiegsroute

              Als ich beim oberen, östlichen See ankomme, immer noch auf der Suche nach einem Platz, sehe ich ein helles Tier und kurz darauf einen Mann auf mich zukommen. Es ist der Mann mit Hund, der heute Mittag aus dem Boot gestiegen ist. Er ist Rentierhüter und sucht nach einem verletzten Rentier. Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Das Rentier sei durch den See geschwommen, habe sich hier hingelegt und sei seitdem verschwunden. Den fünften Tag sucht er jetzt schon, morgen will er eine Pause machen. Keine einfache Arbeit. Er findet das Gelände hier auch sehr anstrengend, durch die dichte Vegetation. Wir reden über meine Planung, endlich kann ich mal jemanden fragen, der sich hier gut auskennt. Klar, Du kannst beide Strecken laufen, kein Problem. Habe ich schon oft gemacht. Weiter oben wird es einfacher, und bis zur Seilandstuva ist es fast eben. Die Rentiere machen das auch, sie ziehen auf der anderen Seite zum Store Kufjord hinunter bis Altneset.

              Es ist schon nach 21:00 Uhr als wir uns verabschieden. Also lag ich doch nicht ganz verkehrt mit meiner Vermutung, dass hier eine gangbare Route verläuft. Ob ich sie mir zutraue, ist eine andere Sache. Die Entscheidung vertage ich auf morgen.

              Am Seeufer finde ich eine ebene Stelle im Moos, etwas feucht, und die Heringe halten auch nicht so gut. Egal, ich bin todmüde nach dem anstrengenden und ereignisreichen Tag.

              Kommentar


              • neumania
                Erfahren
                • 22.02.2015
                • 292
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                Hallo Borgman,

                sehr, sehr schöner Bericht, der direkt Lust macht nachzuwandern
                Auch sehr lesenswert geschrieben und tolle Fotos, jetzt schon dickes Dankeschön für's Mitnehmen!

                Grüße,
                Markus

                Kommentar


                • sarek2007
                  Erfahren
                  • 22.08.2007
                  • 449
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                  genügend Bixit-Kekse (ein Grundnahrungsmittel)
                  Die sind bei mir auch immer dabei

                  Schon jetzt mein Kompliment zu dem Beginn des Berichts. Sehr guter Schreibstil, man ist sofort mit dabei. Ich freue mich auf die Fortsetzung. Der Berichtstitel lässt ja Spannung aufkommen.

                  Wir waren fast zur selben Zeit im Øvre Dividal, auf Senja und im Bjørnfjell bei Narvik. Ich gehe mal davon aus, dass das Wetter weiter im Norden auch beständig unbeständig war.

                  Gruß,
                  Tilman

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                  • Horst24
                    Erfahren
                    • 01.02.2012
                    • 211
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                    Ehrlich gesagt habe ich überhaupt noch nie von Seiland gehört und wusste dementsprechend auch nicht, wo es liegt. Und dann so eine tolle Landschaft, klasse. Das ist das Schöne an diesem Forum. Herrlich. Hoffentlich hält dein Knie.
                    Prima Reisebericht.

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                    • Borgman
                      Dauerbesucher
                      • 22.05.2016
                      • 724
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                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                      Zitat von neumania Beitrag anzeigen
                      sehr, sehr schöner Bericht, der direkt Lust macht nachzuwandern
                      Auch sehr lesenswert geschrieben und tolle Fotos, jetzt schon dickes Dankeschön für's Mitnehmen!
                      Gern geschehen, freut mich, dass es Dir gefällt!

                      Zitat von sarek2007 Beitrag anzeigen
                      Schon jetzt mein Kompliment zu dem Beginn des Berichts. Sehr guter Schreibstil, man ist sofort mit dabei.
                      Danke, ich hatte schon befürchtet, es wäre am Anfang zu viel Text bei zu wenigen Bildern, wollte aber nichts weglassen.

                      Wir waren fast zur selben Zeit im Øvre Dividal, auf Senja und im Bjørnfjell bei Narvik. Ich gehe mal davon aus, dass das Wetter weiter im Norden auch beständig unbeständig war.
                      Ganz genau, erst ganz am Ende begann eine anhaltende Schönwetterperiode, aber da musste ich schon wieder nach Hause...
                      Gab es bei Dir auch so wenige reife Beeren? Moltebeeren waren fast alle noch rot, und sogar die Heidelbeeren meist noch sauer. Sonst Ende August eigentlich immer eine sichere Sache, um den Speiseplan anzureichern.

                      Zitat von Horst24 Beitrag anzeigen
                      Prima Reisebericht.
                      Danke! Seiland kennen auch viele Norweger nicht, obwohl es Nationalpark ist.

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                      • Ditschi
                        Freak

                        Liebt das Forum
                        • 20.07.2009
                        • 12345
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                        #12
                        AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                        Schöner Bericht und tolle Bilder. Seiland war hier schon einmal Thema, aber mit Fragen zur Reisevorbereitung, nicht als Reisebericht.
                        https://www.outdoorseiten.net/forum/...hlight=Seiland
                        Wie damals schon berichtet, ist Seiland deutschen Meeresanglern durchaus ein Begriff.
                        Ditschi

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                        • Gast180628
                          GELÖSCHT
                          Dauerbesucher
                          • 08.10.2012
                          • 510
                          • Privat

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                          #13
                          AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                          schöner bericht, ich lese sehr gerne mit!
                          und ich bin total gespannt, vom weiteren weg zu erfahren...wir hatten ja (2015) erstmal nur nen tagesausflug von karhamn gemacht (edit: 2 tagesausflüge -fotos nachgeguckt, mitternachtssonne, schnee...), nachm weg geguckt (auch "kein problem" gehört) und uns im steilen verhaun und warn dann im regen mit boot nach honseby getrampt...
                          Zuletzt geändert von Gast180628; 14.09.2017, 11:34.

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                          • sarek2007
                            Erfahren
                            • 22.08.2007
                            • 449
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                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                            Ganz genau, erst ganz am Ende begann eine anhaltende Schönwetterperiode, aber da musste ich schon wieder nach Hause...
                            Gab es bei Dir auch so wenige reife Beeren? Moltebeeren waren fast alle noch rot, und sogar die Heidelbeeren meist noch sauer. Sonst Ende August eigentlich immer eine sichere Sache, um den Speiseplan anzureichern.
                            Ich hatte schon im Vorfeld unserer Reise mit wenigen Beeren gerechnet. Die späte Schneeschmelze gab ja wenig Anlass zur Hoffnung. Umso überraschter waren wir, als wir im im oberen Rostadalen reife Multebeeren gefunden haben. Die meisten waren allerdings noch nicht so weit. Auf Senja haben wir auf dem Rücken vom Berg Segla wieder vollreife Multebeeren gefunden. Einfach ein Genuss.

                            Bei den Heidelbeeren war die Situation noch trauriger. Oberhalb vom 500 m waren nur kleine grüne Beeren an den Sträuchern. Wir waren allerdings noch 5 Tage unten im Dividalen zum Lachsangeln und haben wenigstens dort unseren Bedarf an Heidelbeeren decken können .

                            In Summe waren wir zufrieden, doch hin und wieder Beeren pflücken zu können aber dieses Jahr war einfach kein gutes Beerenjahr.

                            Gruß,
                            Tilman

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                            • Borgman
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                              • 22.05.2016
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                              #15
                              AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                              @Ditschi: Danke, dass Du mich an den Vorbereitungsfaden vom vergangenen Jahr erinnerst. Zu diesem hatte ich mit meinem damals nur rudimentären Wissen auch was beigetragen, das ich noch richtigstellen muss. Hätte ich fast vergessen, das sollte nicht so stehenbleiben.
                              Und die Meeresangler, ja, das waren tatsächlich die einzigen Touristen, die ich auf Seiland getroffen habe.

                              @wonderrenter: Dein Beitrag zum Them Wandern auf Seiland im Trekkingforum war ja bisher so ziemlich das Einzige, was man im Netz in deutscher Sprache lesen konnte (auch wenn ich ehrlich gesagt nicht ganz schlau draus geworden bin ). Schön, dass Du dabei bist.

                              @Sarek2007: Dann war weiter südlich zumindest eine Sache schon mal besser, wenn auch nicht das Wetter...

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                              • Borgman
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                                • 22.05.2016
                                • 724
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                                #16
                                AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                                Tag 4
                                Über die Berge zurück nach Skreifjordeidet

                                Am frühen Morgen drückt kräftiger Wind den Regen direkt auf den Zelteingang. Wie so oft hat sich mit dem Wetter auch die Windrichtung geändert. Da werde ich erst mal gar nichts machen. Koche mir nur schnell einen Kaffee und verkrieche mich wieder im Schlafsack. Was für ein befriedigendes Gefühl, mit vollständig trockenen Sachen im trockenen Zelt zu sein, während der Regen auf das Außenzelt prasselt. Eine kleine Wohlfühlblase in unwirtlicher Umgebung.

                                Jetzt habe ich Zeit, um über mein weiteres Vorgehen nachzudenken. Bei dem Wetter möchte ich den Aufstieg nicht wagen, selbst wenn der Rentierhüter die Strecke gestern ausdrücklich empfohlen hat. Er ist ja hier zu Hause und nicht mit schwerem Gepäck unterwegs. Zurück nach Kårhamn ist auch keine attraktive Option, dann hätte ich sehr früh aufgegeben, und so angenehm ist die Strecke nicht, dass ich sie unbedingt zweimal laufen muss. Dann fallen mir immer mehr Argumente gegen das Weitergehen ein. Wahrscheinlich gibt es oben auf dem Höhenzug gar kein Wasser, was mache ich, wenn das Wetter entgegen der letzten Prognose doch nicht besser wird, wenn mein Knie schlimmer wird. Damit ist die Tendenz klar. Ich verzichte auf den Aufstieg zur Seilandstuva und versuche von einem anderen Ausgangspunkt eine neue Tour.

                                Wie zur Bestätigung bessert sich das Wetter beim Frühstück, da gibt es schon Regenpausen. Als ich gegen 12:00 Uhr aufbreche, kommt sogar die Sonne kurz durch.


                                Engedalsvannet

                                Wenn ich schon zurückgehe, kann ich wenigstens die andere Route über den Bergrücken nach Skreifjordeidet ausprobieren. Ich umrunde also den östlichen See und arbeite mich dann Stein für Stein den Hang nach Nordosten hoch. Der Wind bläst weiter kräftig von hinten und schiebt mich an.


                                Die andere Aufstiegsroute, die ich nun doch nicht gehe


                                Blick zurück auf Storskallen (rechts) und Jernesfjellet

                                Oben angekommen habe ich zwar einen prachtvollen Blick auf Jøfjorden und Jøfjordveggen, stelle aber fest, dass ich etwas zu weit östlich herausgekommen bin. Ich stehe über einem Steilhang, und der Wind ist auf dem Kamm so stark, dass ich instinktiv ein paar Schritte zurückgehe um nicht von einer Bö hinuntergeweht zu werden. Dann korrigiere ich ein Stück nach Westen und finde eine gute Abstiegsroute, hier gibt es sogar stellenweise einen Rentierpfad.


                                Jøfjorden



                                Allerdings gibt es auch hier die tückischen überwucherten Steine, und das Gelände ist doch sehr unübersichtlich. Mehrmals lande ich direkt an einem Abbruch und muss es an einer anderen Stelle probieren. Im Anstieg ist der Hang sicherlich leichter zu überblicken.




                                Blick zurück

                                Bald erreiche ich den kleinen See Martavatn und folge dessen Abfluss ins Tal. Unten ein kurzer Gegenanstieg, bevor es dann wieder steinig mit dichter Vegetation nach Skreifjordeidet hinuntergeht. Als ich den Küstenstreifen gegen 14:30 Uhr erreiche (warum hat das eigentlich so lange gedauert?), beginnt es wieder zu regnen und der Wind frischt noch einmal deutlich auf. Da habe ich ja die regenfreie Zeit gut ausgenutzt.

                                Wäre eigentlich sinnvoll, für den Zeltaufbau das Regenzeug anzuziehen, aber ich denke, so schlimm wird es schon nicht und beeile mich. Eine Minute später bin ich schon ganz durchnässt, jetzt ist es auch egal. Schnell noch Wasser holen aus dem Mini-Bach und ab ins Zelt. Wanderhose, Wanderpulli und Unterwäsche sind klitschnass, die müssen in der Apsis bleiben. Allerdings drückt der Wind mittlerweile mit heftigen Böen direkt über den Fjord auf das Zelt, da gehe ich lieber noch mal raus und spanne besser ab. Zum Glück halten die Heringe auf dieser Wiese hervorragend.

                                Trotzdem bin ich natürlich angespannt, solange der Wind an meinem geschundenen Soulo rüttelt und den Regen ohrenbetäubend prasseln lässt. Doch das Zelt hat schon schlimmeres überstanden. Nach zwei Stunden hört der Regen so plötzlich auf, wie er begonnen hat. Ich versuche, meine nassen Sachen im Wind zu trocknen, der stetiger geworden ist und sich etwas abgeschwächt hat. Weitergehen möchte ich heute nicht mehr, wer weiß ob es nicht noch mal losgeht, und da will ich nicht auf der steinigen Skreifjordstranda sein. Aber es bleibt trocken.


                                Tag 5
                                Skreifjordeidet - Kårhamn

                                In der Nacht habe ich sehr schlecht geschlafen. Aus unruhigen Träumen wache ich schon vor 04:00 Uhr auf. Ein stiller, bedeckter Morgen. Da ich nicht nochmal einschlafen kann, mache ich mich bald fertig, frühstücke und breche gegen 07:00 Uhr auf.



                                Die Strecke zurück nach Kårhamn kenne ich ja nun schon und weiß, was mich erwartet. Zum Glück hat der Wind die Steine schon getrocknet. Ich schone mein Knie, das möglichst noch zwei Wochen durchhalten soll und gehe langsam. Anstrengend bleibt es, aber ich komme besser voran als beim Hinweg. Wie immer Gewöhnungssache.















                                Das meiste Treibgut sammelt sich in einer einzigen Bucht, Jonsbukta. Die auf dem Hinweg unproblematische felsige Stelle zwischen dieser und dem Stordal macht mir ein bisschen Kopfzerbrechen. Liegt wahrscheinlich daran, dass jetzt fast schon Hochwasser und meine Route von Vorgestern überspült ist. Nach einigem Hoch- und Runterklettern schaffe ich sie aber doch, ohne wesentlich höher zu steigen. Glücklich baue ich dahinter, es ist schon kurz vor 10:00 Uhr, das Zelt zum Trocknen auf. Es wird sonnig.





                                Heute will ich nur noch nach Kårhamn zurückgehen um für morgen den Schnellboothalt zu bestellen (hier hat man noch kein Netz), deshalb mache ich an diesem schönen Platz bei herrlichem Wetter eine lange Pause. Bei dem gutem Wetter hätte ich den Aufstieg vielleicht doch probieren können. Die aufkeimenden Zweifel an meiner gestrigen Entscheidung schiebe ich besser beiseite. Wenn man sich nicht ganz sicher fühlt, muss man den Plan ändern, besonders wenn man allein unterwegs ist.

                                Die restliche Strecke hoch zum Pfad und weiter nach Kårhamn dauert kaum noch eine Dreiviertelstunde. Zuerst suche ich mir aber einen richtig guten Platz fürs Zelt und folge dafür dem kleinen Tal, das von Nordwesten zur Mellabukt abfällt. Schnell ist ein winziger Bach gefunden, kurz danach der perfekte Platz mit Blick nach Süden.


                                Pfad nach Kårhamn

                                Als das Zelt steht, mache ich mich zum Telefonieren auf den Weg nach Kårhamn. Am Kai hat das Mobiltelefon zwar Empfang, aber das Netz ist extrem schlecht. Bedarfshalt bei Schnellbooten heißt, man muss (möglichst am Tag vorher) auf dem entsprechenden Boot anrufen und den Halt anfordern. Nach zwei vergeblichen Versuchen eine Verbindung herzustellen, bitte ich meine Frau per SMS, das für mich zu machen. Beim dritten Versuch geht die Nachricht durch.

                                Als das zufriedenstellend geklärt ist, gehe ich zurück zum Zelt und wasche mich (und ein paar Sachen) im Bach. Ein Abend, an den ich noch lange zurückdenken werde. Am perfekten Platz mit Blick auf Flaskefjorden und an der Küste entlang bis zu den Øksfjordbergen, der Wind gerade stark genug, um die Mücken zu vertreiben und genau aus der richtigen Richtung, um gemütlich im Zelteingang die Aussicht zu genießen. Ich fühle mich sauwohl hier und entspanne total.

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                                  #17
                                  AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                                  Zitat von Borgman Beitrag anzeigen
                                  Bei dem gutem Wetter hätte ich den Aufstieg vielleicht doch probieren können. Die aufkeimenden Zweifel an meiner gestrigen Entscheidung schiebe ich besser beiseite. Wenn man sich nicht ganz sicher fühlt, muss man den Plan ändern, besonders wenn man allein unterwegs ist.
                                  Wie ich das kenne, ich hadere so oft damit, wenn ich was nicht umsetze, was ich mir vorgenommen habe. Dabei hast Du mit Deinem letzten Satz sowas von recht!
                                  Vielen Dank für diesen superschönen Bericht aus einem so wenig bekannten Gebiet, bin sehr gespannt, wie es weitergeht!

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                                  • Gast180628
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                                    #18
                                    AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                                    Zitat von Blahake Beitrag anzeigen
                                    Dabei hast Du mit Deinem letzten Satz sowas von recht!
                                    ja! richtige entscheidung, zu viele offene fragen (erster aufstieg?, zweiter aufstieg?, der flaschenhals riehppi/gahpu zwischen west- und osthälfte zu steil?), anstrengendes gelände ab ne 3/4 stunde hinter k. und das wetter...
                                    aber kein hader ist so klein wie auf seiland (und tendenziell auf inseln), weil man auch auf dem rückweg (und den rückwegen) wieder so neu sieht.
                                    sich gehen lassen braucht zeit und mut zur planlosigkeit (auf inseln leicht möglich).
                                    Zuletzt geändert von Gast180628; 14.09.2017, 11:29.

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                                    • Gast180628
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                                      #19
                                      AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                                      Zitat von Borgman Beitrag anzeigen
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                                        #20
                                        AW: [NO] Seiland 2017 - zwei halbe Sachen ergeben kein Ganzes

                                        Zitat von Blahake Beitrag anzeigen
                                        Wie ich das kenne, ich hadere so oft damit, wenn ich was nicht umsetze, was ich mir vorgenommen habe.
                                        Über das Thema kann man lange reden. Nach so vielen Streckentouren mit festem Ziel vor Augen beginne ich jetzt erst das umzusetzen, was wonderrenter mit sich-gehen-lassen und Planlosigkeit meint. Nämlich mehr auf das Gefühl im Augenblick zu achten und auf die Gegebenheiten wie Gelände und Wetter spontan zu reagiern. Oft sind unsere Pläne einfach sehr viel ambitionierter als wir in Wirklichkeit umsetzen wollen. Mal einen Tag ausspannen und ein Tal erkunden, das einfach nur schön aussieht, aber nicht auf unserer geplanten Strecke liegt. Oder eben den Plan ganz fallenlassen und schauen, was geht und wozu man Lust hat. Ich war jedenfalls noch nie so gut erholt wie nach diesem Urlaub.

                                        Vielen Dank für diesen superschönen Bericht aus einem so wenig bekannten Gebiet, bin sehr gespannt, wie es weitergeht!
                                        Danke gleichfalls, dann nimmst Du es mir wohl nicht übel, dass der Titel an Deinen letzten Bericht anklingt (das mit den halben Sachen), den ich übrigens sehr gerne gelesen habe.

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