Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
Land: Frankreich
Reisezeit: 28. Juni – 11. August 2016
Region: Pyrenäen, Südwesten Frankreichs
Startpunkt: Hendaye
Endpunkt: Banyuls-sur-mer
Wandertage: 45
Kilometer: ca 800
Womit das alles begann?
In einem Sommerurlaub im französischen Baskenland vor mehr als 15 Jahren - vor einer halben Ewigkeit und fast in einem anderen Leben - bemerkte ich zum ersten Mal ein weiß-rotes Zeichen winzigklein am Wegesrand. Nichtsahnend befragte ich meinen Reisebegleiter nach der Bedeutung.
«Ein Fernwanderweg». Dass es sich um den GR10 handelte, fand ich sofort neugierig heraus – ein Blick in den französischen Autoatlas auf meinen Knien genügte. Aha, ein Wanderweg vom Atlantik zum Mittelmeer? «Oder umgekehrt». Wahnsinn!
„GR10“
Viele Jahre, Stunden und Sekunden später bin ich nun auf diesem «GR10» unterwegs.
Begonnen habe ich das Wandern übers Pilgern. Wer kennt das nicht? Fragen an das Leben, den Beruf, die Zukunft haben, und die richtigen Antworten von irgendwoher erhoffen...
Das Pilgern hat mir definitiv Antworten gegeben, wenn auch auf Fragen, die ich mir nicht unbedingt stellte. Und es hat in mir vor allem die Lust und die Sehnsucht nach dem Zufuss-Unterwegs-Sein geweckt und gestärkt, mir Zuvertrauen gegeben fürs alleine wandern (ich habe immer alle Ziele erreicht, und – anfangs - sogar ohne Handy, Landkarte oder Kompass unterwegs in manchmal einsamen Gegenden mit mehr als dürftigen Wegmarkierungen) und meinen Blick auf diese wunderbare Erde, die wir «beleben» dürfen, gerichtet.
Der GR10 also. Der letzte meiner begangenen Fernwanderwege. Der definitiv zeitumfassendste und anstrengendste aller bisherigen Wanderwege. Der, auf den ich lange schon hinstrebte, den ich mehrfach verschieben musste. Da ist er!
Für diejenigen, die nicht jeden Etappentag detailliert mitlesen wollen: Eine Zusammenfassung steht am Ende des Berichts. Nur zu, bitte „scrollen“...
Für Geduldige, Neugierige oder solche, die den Weg selber ins Auge gefasst haben:
Am Montag schon bin ich von Brüssel nach Hendaye angereist. Ich mag Hendaye. Mehrfach bin ich schon dort gewesen, mehrfach war es Start oder Ziel einer Wanderreise.
Der Weg vom Bahnhof zum Hotel am Strand, das ich vorsorglich vorreserviert hatte, zieht sich dahin, jedoch nicht unangenehm. Es ist früher Abend, das Wetter ist freundlich. Vor mir laufen zwei junge Frauen. Sie sprechen Englisch miteinander und, ehrlich gesagt, ihre Rucksäcke sehen ganz schön schwer aus.
Dann das übliche. Einchecken. Einkehren. Das Meer betrachten. Große Vorfreude. Und Ungewissheit, wie es wird, ob es wird, ob der Körper mitspielt etcetera.
Der Rucksack ist übersichtlich. Ca 6,3 Kilogramm Grundausstattung, darin alles enthalten, was ich in den nächsten Wochen brauche.
Die körperliche Fitness lässt zu Wünschen übrig. Selten war ein Jahr so vollgepackt mit Arbeit, so dass alles andere hintenan stand.
Der Strand von Hendaye bei Sonnenaufgang
28.6. - 1. Tag: Von Hendaye nach Olhette (20,5 km)
Früh und guter Dinge werde ich wach. Und da ich ein Zimmer ohne Frühstück gebucht habe (warum isst man in Hotels oft erst so spät?), kann ich gleich losziehen. Den langen Weg am Strand entlang, quer durch die Vororte der Stadt Richtung Natur und Berge.
Kurz hinter der Stadt zieht der erste Wanderer mit Rucksack an mir vorbei, eine Frau mit zwei Hunden kommt uns entgegen. Sie ruft nach weiteren Vierbeinern, die ihr (und mir) freudestrahlend entgegenhecheln. Wir kommen ins Gespräch und irgendwann erlaubt sie sich, mir dann alle Ängste und Bedenken mitzuteilen, als Frau alleine unterwegs zu sein. Schließlich sei es ja schon riskant, eine frei grasende Kuhherde zu durchqueren, da habe es ja schon Unfälle gegeben...
Auch ganz schön, wieder alleine unterwegs zu sein...
Und bis auf einen bellenden Hund auch keine weiteren Gefahren in Verzug.
Biriatou ist das erste baskische Dorf auf meinem Weg und dort lege ich die Frühstückspause gleich auf einer Parkbank gegenüber der Kirche ein. Leider ist das Dorfcafé noch nicht geöffnet. Dafür aber die kleine, typisch baskische Kirche mit ihren Holzbalkonen auf drei Ebenen.
Biriatou
Nach Biriatou geht’s dann erst mal steil hinauf – naja, was ich zu dem Zeitpunkt meiner Wanderung noch als „steil hinauf“ bezeichne (der erste Kamm liegt auf läppischen 486 Metern). Und den ersten Kaffee des Tages genieße ich am Col d'Ibardin, der Grenze zu Spanien mit ihren zahlreichen „Ventas“, den Grenzläden und -gaststätten. Später macht der Weg sogar einen regulären Schlenker nach Spanien rein, bevor es definitiv wieder Richtung Frankreich und Olhette geht, wo ich meine erste Nacht verbringen werde. Obwohl ich nicht vorreserviert habe, bekomme ich ein eigenes Zimmer in dem französischen Wandergîte. Noch kommen dort an im weiteren Verlauf des Nachmittags: ein junger Schweizer aus der entgegengesetzten Richtung sowie zwei Französinnen ebenfalls dorther, eine etwas ältere Frau ohne genaue Pläne, ebenfalls aus der französischsprachigen Schweiz.
29.6. - 2. Tag: Von Olhette nach Aïnhoa (22,8 km)
Ein angenehmer Wandertag, nicht zu warm, nicht zu kalt. Die „Rhune“ im Blick und hin und wieder ihre Zahnradbahn, die den Berg hinauf- und wieder hinunterschnurrt. Heute steigt der Wanderweg bis auf 563 Meter am Col des Trois-Fontaines – immer noch nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird..
Blick auf die „Rhune“
Die Zahnradbahn
Unterwegs treffe ich zunächst auf zwei Damen, nicht mehr so ganz jung, die nachts spontan unterwegs gezeltet haben, da sie es nicht mehr bis zum Gîte schafften. Der GR10 gestaltet sich definitiv als weiblich! Frau traut sich! Sehr schön!
Und da sind natürlich die morgendlichen Bergjogger, die ich ewig bewundern werde. Joggend, Schwätzchen haltend bergauf und wieder bergab... Hier oben an der Rhune gestaltet sich die Natur etwas schroffer, bevor es wieder hinab ins adrette Dorf Sare (und zum zweiten Frühstück auf dem Dorfplatz) geht.
Der Dorfplatz von Sare
Nach der kurzen Pause und ein paar Einkäufen geht es weiter durch das liebliche Baskenland, das sich leicht hügelig dahinzieht. Später folgt der Weg der Grenzlinie zu Spanien, (dort sehe ich die beiden englischsprachigen jungen Frauen auch kurz wieder, sie rasten), bevor er definitiv wieder Richtung Frankreich geht. In Aïnhoa quartiere ich mich im Gîte (beim Camping) ein und bin sehr erstaunt, den 20-Personen-Schlafsaal für mich alleine zu behalten. Der Abend wird kulinarisch! Das einzige geöffnete Lokal ist etwas schicker, mit einer Gault-Millau-Auszeichnung versehen, ich komme mir in meiner (immerhin noch recht sauberen und nicht übelriechenden) Trekkingkleidung jedoch etwas fehl am Platze vor zwischen all den schick gekleideten Menschen; und dennoch ärgert es mich etwas, dass ich als Alleinreisende mal wieder einen „Abstelltisch“ mit Rücken zur illustren Runde serviert bekomme... Tsss...
Blick zurück auf Aïnhoa
30.6. - 3. Tag: Von Aïnhoa nach Bidarray (20,8 km)
Auch heute ist das Wetter recht gut, klare Sicht, frische Luft...
Direkt nach der Ortschaft geht es bergauf dem „Kreuzweg“ entlang. Auf der (ersten) Kuppel des Tages – die drei riesigen Kreuze oben blicken mir schon den ganzen Aufstieg lang entgegen - möchte ich gerne meine Frühstücksrast einlegen, da ich auch diesmal morgens ohne Frühstück losgezogen bin. Jedoch oben angekommen stelle ich fest, dass unter den Kreuzen ein Zelt steht. Die Wäsche baumelt fröhlich zwischen den alten Grabsteinen im Wind. Der (oder die) Bewohner(in) ist nicht zu sehen, ich möchte nicht stören (und nicht gestört werden). Also gehe ich weiter und frühstücke später auf einem Felsbrocken. Auch gut.
Kreuze mit Zelt
Die Aussichten sind jetzt schon toll, wenn auch noch auf bescheidener Höhe. Das Bergauf macht mir heute sehr zu schaffen. Es sind wieder viele Morgensportler unterwegs, alle mit leichtem Gepäck, das ich neidisch betrachte... Eine etwas ältere Dame überholt mich leichten Fußes und wünscht mir guten Morgen, während ich angestrengt den „Berg“ hochkeuche. Später (eine gefühlte Ewigkeit lang und mehrere Kilometer weiter) begegnet sie mir wieder aus der entgegengesetzten Richtung. „Bon courage“, Viel Mut, wünscht sie mir. Vermutlich denkt sie, „die schafft das nie“. Kein Wunder, das würde auch ich denken, wenn ich mir an dem Morgen begegnen würde...
Allmählich komme ich „in Fahrt“ (kein Wunder, es geht auf gleicher Höhe weiter) und genieße den Tag. Der Wanderweg stößt bei der „Ferme Esteben“ wieder an die französisch-spanische Grenze und folgt ihr ein paar Kilometer lang, bevor es dann landeinwärts sehr steil hinab nach Bidarray geht. Vorsicht ist geboten!
„Danger falaises!“
Auf dem Platz neben der Kirche ist ein kleines charmantes Hotel. Und da der einzige Laden schon geschlossen ist, fällt mir die Entscheidung für das Hotel (und gesicherte Nahrungsaufnahme) umso leichter...
Kleines, charmantes Hotel in Bidarray
1.7. - 4. Tag: Von Bidarray nach Saint-Etienne-de-Baïgorry (16,2 km)
Heute, so las ich, soll ich auf einer ersten wirklichen „GR10-Etappe“ unterwegs sein, auf den „Crêtes d'Iparla“ - das baskische „Vorgeplänkel“ sozusagen hinter mir lassen.
Das Wetter sieht leider an diesem Morgen eher ungünstig aus, tief hängen die Wolken über der Landschaft. Naja, weiter geht es dennoch, schließlich warten noch viele Kilometer und Wandertage auf mich. Zunächst geht es direkt durch eine Schaffarm, die Schafe stehen Spalier, bevor der Weg zu den Crêtes, dem langen Grat, ansteigt. Wieder Sportmotivierte, die „plaudernd“ hochjoggen... Es ist unfassbar! Dann Schafe, Schafe, Schafe, ein Hirt auf einem laut knatternden Moped, sein Hund hinterher. Und nebliges Trüb überall... Ich erhasche einen sehr flüchtigen Blick auf einen Geier – der Grat soll nur so von Geierkolonien wimmeln. Und die Aussicht soll wirklich phänomenal sein, so liest man es zumindest …
Zu den Crêtes d'Iparla
Einen Gedanken für den Mann, der vor ein paar Tagen auf diesem Teilstück des GR10s bei einem Bergtrail umgekommen ist, abgerutscht und abgestürzt. Das mahnt zur Vorsicht, besonders bei diesem Wetter.
Im Nebel wirkt die eine Seite steil und schroff (und ist sie wohl auch), die andere jedoch zieht sich eher lang und langsam nach unten. Überall grasen Schafherden mit unterschiedlichen Farbflecken auf Rücken und Po. Und auch ein paar wilde Poneyherden sind dabei. An der „Gipfelsäule“ vom „Pic d'Iparla“ mache ich eine sehr kurze Rast; um sie wirklich zu genießen ist die Luft zu diesig und kalt.
Crête im Nebel
Und so zieht sich der Tag hin, über Unmengen Schafsköttel und durch ganze Wälder aus Farn; gegen Ende des Weges reißt die Wolkendecke ab und zu mal kurz auf, bevor sie sich gleich wieder zuzieht. Appetithäppchen. Beim Abstieg nach Saint-Etienne-de-Baïgorry erhasche ich immerhin Blick auf ein paar Geier, die das Baskenland fröhlich-hungrig bevölkern.
Geier mit Wanderern
Im Ort gestaltet sich die Herbergssuche zum ersten Mal 'komplexer'. Letzten Endes schlage ich zum ersten Mal mein Zelt auf - auf dem Camping von Irouléguy, einem Vorort, auf. Meine Zeltnachbarn: ein junger Wanderer mit Hängemattenzelt und die beiden englischen Frauen.
Ein EM-Spiel läuft im Café gegenüber. Mein Land spielt und ich trinke einen Rosé an der Bar. Mein Land spielt schlecht, so trinke ich das 2. Glas aus und gehe schlafen.
2.7. - 5. Tag: Von Saint-Etienne-de-Baïgorry nach Saint-Jean-Pied-de-Port (18 km)
Erfahrungsgemäß dauert mein erstes „Zelte abbrechen“ eine gefühlte Ewigkeit. Café und Croissant auf dem Platz, dann ab in die Natur. Schnell liegt das Städtchen hinter mir. Unterwegs ein alter massiver Schafbock, der seinen Weg durch einen Stacheldrahtzaun forciert, um zur Herde zu gelangen.
Mittlerweile hat es zu regnen begonnen. Ein fieser Fuselregen, der den ganzen Tag nicht abebben wird. Und das elende Farn, das nun nicht nur hoch, sondern auch klatschnass ist. Schnell bin ich pitschnass trotz Regenkleidung. In meinen Schuhen sammelt sich Wasser an. Und heute morgen habe ich tatsächlich gezögert, ob ich die noch leicht feuchten Socken anziehen soll oder nicht. Lächerlich!
Blick aufs Tal
Ewig zieht sich der Tag hin, bevor es endlich ins Tal geht und auch der Regen endlich nachlässt.
In der Pilgerhochburg Saint-Jean hatte ich vorsorglich ein Bett vorreserviert. Zum Glück, denn Anfang Juli ist der Andrang doch beachtlich...
Saint-Jean-Pied-de-Port
3.7. - 6. Tag: Von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Kaskoleta (16,5 km)
Nach den ersten Kilometern lichtet sich der Morgennebel, das Dorf Çaro empfängt mich mit wärmenden Sonnenstrahlen und vierblättrigen Kleeblättern.
Unterwegs nach Kaskoleta
Der Weg, schlängelt sich (was sonst) berauf und bergab - ohne größere Schwierigkeiten. Das Bergpanorama läßt mein Herz höher schlagen. Unterwegs erhasche ich einen Blick auf ein „Kadaverfeld“ (Geierrestaurant). Rast im Café in Esterençuby, dort trifft nach mir ein deutsches Paar ein, ebenfalls auf Wanderschaft.
Ich komme sehr früh schon im kleinen Gîte von Kaskoleta an und, da noch niemand vor Ort ist, inspiziere ich die Räumlichkeiten und dusche schonmal. Angemeldet hatte ich mich vorher und zwar zu „Biwak mit Abendbrot“. Eine Gruppe junger Engländer trifft ein. Sie rasten eine Weile, bevor sie weiterziehen.
Kurz darauf kommt eine Französin meines Alters an – sie wandert auch alleine; ihr Mann gesellt sich abends hinzu, tagsüber bereist er aus gesundheitlichen Gründen die Gegend per Auto. Die Betreiberin zeigt mir, wo ich mein Ponchotarpzelt aufstellen darf. Anschließend gibt’s leckeres Abendbrot, das deutsche Paar von vorhin und der Ehemann der Französin sind inzwischen eingetroffen. Wir verbringen einen durchaus geselligen Abend miteinander. Der Deutsche ist absoluter „Faust“-Fan und trägt immer ein Exemplar mit sich, aus dem er morgens rezitiert. Der Schwiegersohn der Betreiberin gesellt sich zu uns, er ist Landwirt und berichtet über die großen Schwierigkeiten des Sektors, auch in den Pyrenäen, zumindest halbwegs akzeptabel seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Vorm Schlafengehen noch einmal den Panoramablick genießen. Die Nacht ist ruhig, dennoch werde ich oft wach – naja, die erste Nacht dann doch „im Freien“, wenn auch in der Nähe eines Gîtes.
Sonnenuntergang bei Kaskoleta
4.7. - 7. Tag: Von Kaskoleta zu den „Chalets d'Iraty“ (18,1 km)
Der Weg zeigt sich auch heute wieder von seiner besten Seite und gibt sich abwechslungsreich: Farnwege, Waldwege, Feldwege, kleine Steige; Kühe, Schafe und Geier; eine Zeckenoperation; großartige Aussichten; ein Café für die Rast; und später, perfekt am Ende des Wandertags, eine sich zuziehende Wolkendecke, die noch etwas später sehr kurz aufreißt und den Blick auf die Pyrenäen im Abendlicht freigibt.
Den Schlüssel zur Unterkunft muss man ca 1 Kilometer vor dem Gîte abholen. An der Türe hängt das Foto eines vor 10 Tagen auf dem GR10 verschwundenen Mannes, der auf der Etappe „Gabas-Gourette“ ein letztes Lebenszeichen von sich gegeben hat. Dies ist eine der höchsten Passagen auf der Strecke, und oft liegt noch weit in den Sommer hinein oben Schnee. Ich mache ein Foto von seinem Foto – für alle Fälle.
Irgendwie hatte ich mir von den „Chalets d'Iraty“ viel mehr versprochen, jedoch erweist sich der Ort eher als Enttäuschung.
Das französische Paar von gestern übernachtet auch hier und es ergibt sich ein kurzes Gespräch. Es ist immer nett, miteinander über den Tag auszutauschen...
Und im Restaurant bekomme ich noch ein paar Tipps von einem Franzosen, der mit seinem Sohn auf der HRP, der Haute Route Pyrénéenne unterwegs ist. Dann krieche ich in meinem Zimmer in die Federn; ein Einzelzimmer kaum größer als das Einzelbett, das darin steht.
Abendstimmung an den Chalets d'Iraty
5.7. - 8. Tag: Von den „Chalets d'Iraty“ zur „Auberge de Logibar“ (16,9 km)
Beim Start morgens scheint das Wetter ganz gut. Ein Irrtum! Den ganzen Tag lang bin ich in Nebel und Wolken unterwegs. Bergflanke um Bergflanke umrunden – es ist unendlich! Ab irgendwann (sehr schnell) sind meine Füsse klatschnass und tonnenschwer. Durch nasses Farn waten plus eine ewig scheinende Schlamm-Matsch-Passage geben mir den Rest. An eine wirkliche Rast ist nicht zu denken. Und der Abstieg nach Logibar zieht sich dahin.
Willkommensgruß...
Dort angekommen, bin ich irgendwie „zu früh“, denn auch der Rest des Tages zieht sich hin wie Kaugummi. Ich teile ein äußerst rustikales Zimmer mit einem älteren Asiaten. Leider können wir nicht wirklich kommunizieren – all die Sprachen, die ich spreche, spricht er nicht. Wie er sich mit seinem sehr gebrochenen Englisch und ganz ohne Französisch hier durchschlägt, ist mir ein Rätsel... Die Wirtin berichtet, dass er immer 2 Etappen an einem Tag zurücklegt. Hammer!
Den Abend und das Abendbrot verbringe ich mit dem französischen Paar, Myriam und Pascal. Man kommt sich näher – wir haben uns vorgestellt!
Blick auf die Herberge von Logibar
6.7. - 9. Tag: Von der „Auberge de Logibar“ nach Saint-Engrâce (21 km)
Am heutigen Morgen steige ich erst einmal schnellen Fusses auf bis zur „Passerelle d'Holzarté“, und lasse schwungvoll mehrere Tagestouristen hinter mir. Die „Passerelle“ ist eine kuriose Hängebrücke, die rund 1920 erbaut wurde, um den Holzfällern die Arbeit zu erleichtern.
Die Hängebrücke von Holzarté
Das Wetter bleibt wechselhaft. Heute treffe ich mehr Wanderer, darunter einige, die ich schon etliche Tagesetappen ferner wähnte, so 'Sam', der junge Lehrer, mit seiner Zelthängematte oder die beiden jungen englischen Frauen. Und Myriam.
Wolkenlandschaft
Mitten auf dem Weg, dem GR10, haben es sich ein paar Kühe gemütlich gemacht und denken nicht daran, Platz zu machen. Eine kritische Stelle: Im kopfhohen Farn schlängelt sich ein matschiger schmaler Pfad talwärts. Und genau dort attackieren sie, die Bremsen. Die wissen ganz genau, wenn man alle Hände voll zu tun hat! Ein paar flachgedrückte Stellen im Dickicht weisen auf einen Sturz hin. Später treffe ich erneut auf Sam, der von links herunterkommt und imNebel eine Markierung übersehen hatte.
Bremsenparadies Baskenland
Am Zugang zu den „Gorges de Kakoueta“ hat sich ein Eis-und-Getränkeverkäufer installiert. Er kommt wie gerufen. Bevor ich die letzten 4 Kilometer angehe, tut eine Pause sehr wohl. Gestärkt treffe ich anderthalb Stunden später in Saint-Engrâce ein, einem Ort, der vor allem aus seiner Kirche und seiner Herberge besteht. Und drumherum hier und da ein Haus...
Das Gîte ist sehr bescheiden gereinigt – das Abendbrot im Café nebendran ist gut, die versammelte Gesellschaft gesellig: Myriam und Pascal, ein junger Wanderer (im Zelt), ein Jugendlicher, der 4 Tage alleine unterwegs ist, eine Dame, die morgen nach Hause reisen wird.
7.7. - 10. Tag: Von Saint-Engrâce nach La Pierre-Saint-Martin (Arette) (10,8 km)
In den sehr frühen Morgenstunden stürmt es draußen, man hört die Zeltplanen wild im Wind flattern und die Camper fluchen. Sie flüchten sich mitsamt ihrer Habe ins Innere. Eine Fenstertüre knallt geräuschvoll zu. Die Nacht ist zu Ende.
Jedoch treibt der Sturm die Wolkendecke fort. Tolles Wetter, endlich ! Der Weg führt erst durch eine Felsschlucht, „le ravin d'Arpidia“; dann geht es lange Zeit hoch, durch Laubwald, über „freies Feld“. Die Wegmarkierungen sind hier oben extrem spärlich, bei Nebel muss das die Hölle sein (in den frz. Wanderbüchern, die ich nutze, wird daher eine „Schlecht-Wetter-Variante“ beschrieben, was für diese Etappe eindeutig Sinn macht!).
Laubwald im Morgenlicht
Frühstück
Oben, am Col Saint-Pierre angekommen, ändert die Landschaft ganz plötzlich: die lieblichen grünen Hügel machen grauem schroffen Karstgestein Platz. Ich kaufe in einer kleinen „Bergerie“ Ziegenkäse, lege eine Rast ein, bewundere Berg und Tal und Schaf.
Der letzte kleine Teil der Etappe ist schnell geschafft, schon um 13 Uhr komme ich im Refuge Jeandel an, das über die verlassene Skistation La Pierre-Saint-Martin blickt. Sie gleicht einer Phantomstadt; alles, ALLES, ist geschlossen abgesehen vom Refuge. So treffen allmählich auch recht viele Wanderer ein, mehr als ich je zuvor abends getroffen habe (die Zentralpyrenäen und die rauheren Berglandschaften lassen grüßen!).
Was machen, wenn man so früh eintrifft? Essen, dösen, rumlungern, essen, plaudern, frühen Aperitif genießen, Landschaft bewundern und den Blick auf den Pic Anie …
Heimatliche Gefühle – mit Weitblick
Plötzlich, kurz vorm Ende des schönen Sonnentages, füllt sich die Geisterstadt: Schafe, Kühe, Ziegen, Pferde, Hirtenhunde und sogar ein paar Schweine bevölkern den Ort. Welch ein Spektakel! Animal Farm lässt grüßen...
Animal Farm lässt grüßen...
Nach dem gemeinsamen Abendbrot leert sich der Gemeinschaftsraum schnell, die müden Wanderer ziehen sich in ihre Zimmer und Zelte zurück...
Abendlicht
8.7. - 11. Tag: Von La Pierre-Saint-Martin (Arette) nach Lescun (14,9 km)
Auch heute Morgen ist bestes Wanderwetter. Zügiger Start und Vorankommen durch die steinige Skipistenlandschaft, über das karstige Gestein, das immer mal wieder am Wegesrand Einblicke in die berüchtigten Felsspalten freigibt, die diese Etappe bei Schnee oder Nebel so trügerisch machen.
Am „Pas de l'Osque“, einer ca 3 m hohen Felswand, die es zu überwinden gilt, treffen sich wunderbarerweise alle „GR10ler“ des Refuges wieder. Ich steige als letzte hoch, einer der jungen Franzosen empfiehlt uns, nicht an dem Drahtseil entlang zu klettern, das etwas abseits angebracht ist, sondern mittig an der Felswand hochzusteigen, sie bietet genügend Halt. Nach einem kurzen Hadern in der Mitte (wo greifen und Halt finden) überwinde ich schließlich auch dieses Hindernis.
Pas d' l'Osque
Oben!
Ich lasse die anderen Wanderer weiterziehen, genieße die wunderbare Bergwelt um mich herum und gehe dann beglückt alleine weiter. Immer noch strahlt die Sonne, wenn auch im Laufe des Nachmittags sich der Himmel im Westen gewittrig gibt. In Lescun gibt es erst einmal einen Aperitif (was gibt es Schöneres, als nach einem Wandertag genüsslich mit anderen Wanderern ein Gläschen zu trinken und auszutauschen?). Dann ziehe ich in die „Maison de la Montagne“ ein und lande diesmal sogar im Zimmer mit Myriam und Pascal. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, der wieder sehr nett ist, jedoch auch früh endet: Um 9 Uhr abends bin ich platt und gehe ins Bett.
Das Abendbrot war übrigens memorabel: viel viel Rohkost und Gemüse, eine absolute Seltenheit hier auf dem GR10.
Blumenmeer
Wunderbare Bergwelt
9.7. - 12. Tag: Von Lescun zur Cabane de la Baigt-de-Saint-Cours (23,5 km)
Wie bisher so oft habe ich eine unruhige und wenig entspannende Nacht hinter mir. Kurzer Gruß meiner neugewonnen französischen Freundin – die Abende mit ihr und Pascal werde ich vermissen...
Und ein schnelles Frühstück mit Spaniern, die einen der nahen Gipfel erklimmen wollen.
Das Wetter ist wunderbar.
Strahlendblauer Himmel
Der Weg schlängelt sich zunächst durchs Dorf hinab an den Bach, dann am Campingplatz wieder hinauf, an Bergflanken entlang Richung Lhers und durch eines der vielen vielen Farnfelder hinauf durch ein kühlendes Waldstück zum Col de Barrancq. Ein Hinweisschild macht auf die Schafherde mitsamt Patou, dem Hirtenhund, aufmerksam. Und prompt -noch im Wald höre ich vor mir aufgeregtes Hundegebell und kurz darauf Männerschreie.
Als ich aus dem Waldstück heraustrete, sehe ich die Szenerie vor mir: Weit unten eine Männergruppe mit Hund (es sind die jungen Franzosen von gestern) und zwischen ihnen und mir ein aufgebrachter Patou. Der zweite bellt irgendwo rechts von mir im Wald. Der Patou wendet sich nun ganz mir zu, kommt drohend auf mich zu. Es bedarf einiges an Zeit und gutem Zureden, den Hund davon zu überzeugen, dass ich lediglich vorbei möchte und keine Lust habe, in seine Schafe zu beißen. Schließlich läßt er mich weitergehen. Ganz geheuer ist mir dabei nicht, ich bin vor ein paar Jahren auf einer Wanderung von einem Hund gebissen worden.
Übrigens sieht man von genau dieser Stelle aus zum ersten Mal den Gipfel des „Pic du Midi d'Ossau“. Aber den bemerke ich verständlicherweise erst später...
Der weitere Abstieg Richtung Borce ist wie erwartet steil. Und happig! Unterwegs treffe ich – in Gegenrichtung unterwegs – eine junge Frau, die seit genau 30 Tagen alleine auf dem GR10 wandert. Der Austausch mit ihr ist sehr ermutigend. Motiviert gehe ich weiter, durch die Farnfelder bis Borce, das ich am frühen Nachmittag erreicht. Statt wie ursprünglich geplant dort zu bleiben, ziehe ich nach einer guten Rast, mit viel Wasser und mit neuem Proviant weiter. Es ist noch früh...
Übrigens. Es ist schon verrückt – ab dem 10. Wandertag ist die Nahrungssuche eines der wichtigsten Themen überhaupt geworden. Habe ich genug dabei, auch für den Notfall? Der Notfall, der übrigens nie wirklich eintreffen wird. Und wie immer schleppe ich tage- und wochenlang die in Belgien gekauften Müsliriegel mit mir herum. Aber gut, der Körper reklamiert vehement Energiezufuhr, und der Kopf kümmert sich um das Organisieren dieser Reserven.
Der Weg von Etsaut zum „Chemin de la Mâture“ zieht sich endlos auf der kleinen Landstraße dahin, die Sonne brennt inzwischen knallheiß auf die Wanderer nieder. Am Beginn dieses in den Felsen gehauenen Weges sieht man das „Fort du Portalet“ und den Zickzackweg, der sich in endlosen Schlaufen dorthin windet. Kletterer seilen sich an der Felswand über mir auf und ab. Der Weg ist eine Touristenattraktion und der blanke Felsweg wirkt, als sei er vom vielen Begehen aalglatt geworden. Und er ist erbarmungslos der Nachmittagssonne ausgeliefert. Ich schleppe mich recht kraftlos hinauf und suche immer wieder in dem wenigen Schatten etwas Erfrischung... Rechts klafft steiler Abgrund.
Der in den Felsen gehauene „Chemin de la Mâture“
Höher oben, die meisten Tagestouristen haben schon kehrtgemacht, erblicke ich von Weitem ein Hindernis auf dem Weg, ohne es klar erkennen zu können. Beim Näherkommen erweist es sich als eine tote, aufgedunsene Kuh, die auf dem Rücken liegt und den Weg komplett versperrt. Ich binde mir meinen Buff über Nase und Mund und folge entschlossen und so schnell es geht meinen Vorgängern, die sich links durch das Gebüsch schon einen Weg gebannt haben. Hunderttausende Fliegen fliegen von dem Kadaver auf, der bestialische Gestank dringt mir in die Nase. Ekelhaft!
Viel später in einem Waldstück treffe ich auf Sam, den jungen Engländer, der seine Zelthängematte schon installiert hat und sich vergnügt ein frühes Abendbrot bereitet. Dahinter beginnt das Pyrenäen-Naturschutzgebiet (bzw einer der vielen Nationalparks) und dort ist auch schon die Hütte, die „Cabane de la Baigt-de-Saint-Cours“, zu sehen. Die Hütte ist schon „besetzt“ und auch die einzig flache Fläche weit und breit. Etwas höher setze ich mich auf einen flachen Felsen und berate mit mir selber, was zu tun sei.
Bis zum Refuge vom Lac d'Ayous sind es bestimmt noch zwei Wanderstunden, zehneinhalb liegen nun schon hinter mir. Die beiden jungen Franzosen, die ich in den letzten Tagen öfters getroffen habe, überzeugen mich, mein Zelt hier aufzuschlagen. Und sehr gentlemanlike helfen sie mir, den geeigneten Zeltplatz zu finden. Der Tag neigt sich seinem Ende zu, wir sind mittlerweile zu einer kleinen Zeltkolonie geworden. Heute sind also erstes wirkliches Biwakieren, Katzenwäsche und frühes in die Federn kriechen angesagt – die Geschichten von der Bärenattacke im Tal von Saint-Engrâce und den Vipern, die einer der Wanderer hier schon gesehen hat, sind die beste Voraussetzung für eine ruhige Nacht...
10.7. - 13. Tag: Von der Cabane de la Baigt-de-Saint-Cours nach Gabas (14,1 km)
Schon um 7 Uhr morgens bin ich startklar; das Zelt wider Erwarten völlig trocken, was das Packen vereinfacht. Der Aufstieg zum nächsten Kamm ist lang und anstrengend, wie weise, die Nacht an der Hütte verbracht zu haben! Die frische Morgenluft und die ersten Sonnenstrahlen jedoch versüßen das ganze. Und, am Col d'Ayous angekommen, welche Aussicht!
Der Pic du Midi d'Ossau
Nach der gebührenden Bewunderung geht’s wieder hinab. Mein Plan: zum Refuge gehen, dort Frühstück, Dusche, Wäsche machen. Allerdings war das die Rechnung ohne den Wirt machen, bzw ohne die Refuge-Betreiberin. Es gibt keine Duschen und ein reguläres Frühstück gibt es auch nicht mehr. Jedoch improvisiert mir die freundliche Dame eines; als Dankeschön nehme ich später ein paar Pakete Müll mit ins Tal hinunter. Am Lac Gentau werden die letzten Zelte abgebaut, die ersten Kühe ziehen ein, bald gefolgt von den Schafherden. Kreischende junge Frauen hüpfen in den eiskalten Bergsee. Brrr!
Beim weiteren Abstieg sage ich gefühlte tausende Male „Bonjour“, denn die Massen strömen mir entgegen Richtung Refuge: Familien mit Kindern jeden Alters, Senioren, Pfadfinder, Paare, Jugendgruppen... Ab dem Parkplatz an dem See von Bious-Artigues wird es wieder ruhig, denn „GR10ler“ sind hier in der Minderheit. Alleine und vor allem der langen langweiligen Landstraße entlang geht es weiter nach Gabas, wo ich sehr bald meinen Liebsten treffen werde. Die nächsten sieben Tage werden wir zu zweit unterwegs sein.
11.7. - 14. Tag: Von Gabas nach Gourette (20,1 km)
Der heutige Tag wird lang und führt zu einer der höchsten Stellen dieses Parcours, der „Hourquette d'Arre“ auf 2465m. Dort oben soll noch Schnee liegen, bis vor kurzem wurde den Wanderern von dieser Etappe (zumindest ohne Schneeausrüstung) abgeraten. So im Prinzip auch uns. Jedoch waren am Vortag schon Wanderer nach Gourette aufgebrochen, und so hatten wir uns im Refuge (CAF de Gourette) erkundigt. Es läge noch etwas Schnee, aber die Strecke sei mittlerweile gefahrlos passierbar.
Spät, eigentlich zu spät für eine solche Etappe brechen wir nun zu zweit auf, aber wir hatten uns für das Frühstück im Hotel entschieden. Das Wetter ist nicht besonders, grau, diesig, feucht. Bei der ersten Schlecht-Wetter-Variante zögern wir nicht, denn die „Corniche des Alhas“ ist ein schmaler Balkonpfad an einer Felswand entlang. Vor ihm wird schon bei gutem Wetter gewarnt, bei diesen Bedingungen erscheint uns das Risiko es nicht wert. Bis zur einer kurzen Pause im späten Vormittag wandern wir in den Wolken, im Wald hinan und stehen plötzlich vor einer beeindruckenden Felswand, die wir entlanglaufen bis hin zu einem ersten Plateau. Rast. Die Wolkendecke reißt auf und lässt kurz den Blick frei auf das Tal des Artouste. Ich glaube sogar, das Pfeifen des kleinen Zuges im Tal zu vernehmen. Wir treffen zunächst auf Tony, den Briten, dann auf ein bretonisches Paar, das diese lange Etappe aufteilt und irgendwo biwakieren wird, und auf einen jungen Franzosen. Der Weg steigt unaufhörlich hinan, ein etwas breiterer Gebirgsbach wird überquert – auf Steinen balancierend. Meine Stäbe sind eine wertvolle Hilfe bei dem Balanceakt! Anstrengend wird es nun, der Weg nicht ganz einfach, schmal und mit kleinem Geröll; tapfer kämpfen wir uns hoch. Schließlich liegt das Schneefeld an der Hourquette vor uns, weiß und beeindruckend. Der Brite steht am Rande, geht vor, wir folgen. Er wählt einen Weg, der uns etwas seitlich abdriften lässt – er möchte dem Schnee entgehen, dafür landen wir mitten im steilen Geröll, das wir nun Richtung Hourquette begehen müssen. Eine rutschige Angelegenheit! Mir ist nicht wohl bei der Sache. Die letzten Meter legen wir wieder im Schnee zurück, mein Füße sind eiskalt und klamm. Um den Diskussionspausen zu entgehen, starte ich durch und an den Männern vorbei. Ich will nur eines: aus dem Schnee heraus!
Die Hourquette d'Arre
Schneefeld an der Hourquette d'Arre
Auf der Hourquette angekommen die Desillusion: Vor uns liegt ein weiteres Schneefeld!
Mein Liebster möchte nun die wohlverdiente Mittagsrast antreten – es ist mittlerweile schon 17 Uhr. Wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns wieder ins Tal, die Wolken wirken bedrohlich und für das Ende des Tages war Gewitterneigung angesagt. Kurz und gut, mir ist mulmig und kalt!
Er findet dennoch hier oben ein windgeschütztes Plätzchen und so rasten wir eine zeitlang. Und, ja, genießen - sogar beide -die Bergwelt von oben.
Irgendwann beginne ich zu drängeln und wir ziehen los, zum Glück müssen wir links an dem Schneefeld vorbei und nicht durch. Dennoch gibt es immer wieder kleinere Schneepassagen und auch Gebirgsbäche zu durchqueren. Eine gefühlte Ewigkeit später sind wir am Lac d'Anglas, der immer noch auf 2000 Metern liegt. Die Wolkendecke ist wieder dichter geworden. Wir gehen durch alte Minenanlagen, wilde Pferde laufen umher.
Lac d'Anglas
Kurze Zeit später ertönt ein erstes Donnergrollen, das mich mit Panik erfüllt. Das gefürchtete Szenario ist eingetroffen: Gewitter draußen in den Bergen. Entgegen allen Wissens um das Verhalten in den Bergen hetze ich hinab, dicht gefolgt von meinem Liebsten, der mich natürlich nicht alleine lassen will. Schnell und immer schneller, Ausschau haltend nach der Baumgrenze, die einfach nicht kommen will... Gefühlte Ewigkeiten, durch Regen und Hagel jagend, klatschnass und mit blitzblanken Nerven erreichen wir endlich diese – verdammte – schützende Baumgrenze. Nach einem kurzen Innehalten gehen wir ruhigeren Schrittes weiter, bis wir das im Nebel versunkene Gourette erreichen. Um 19:40 Uhr erreichen wir das Refuge des französischen Bergverbandes, das von einer strengen etwas skurrilen Madame Martine eisern verwaltet wird. Die „Hütte“ ist etwas heruntergekommen, dennoch sind wir froh, dort zu sein, ein warmes Abendbrot und ein kühles (belgisches!) Bier zu bekommen.
Was für ein Tag! Dass ich eines Tages mit voller Ausrüstung einen Berg hinunterjoggen würde, hätte ich mir vor kurzem noch nicht vorstellen können...
12.7. - 15. Tag: Von Gourette nach Arrens-Marsous (11,9 km)
und weiter per „Navette“ zum Gîte „Les Vieillettes“
Es regnet in Strömen. Als wir das Gîte in kompletter Regenmontur – in den noch nassen Schuhen vom Vortag - verlassen, kommt just ein Lieferant an. Lapidar äußert er „Mieses Wetter. Das macht einem definiv keine Lust, in die Berge zu wandern...“ Oh wie wahr, aber shut up!
Bis der erste Kamm erreicht ist... es erscheint mir, uns, endlos. Geschweige denn der zweite... Bei der hastigen Pause im Regen in dem kleinen Waldstück mehr als dürftig geschützt kommt auch keine rechte Freude auf. Und auch nicht bei dem kurzen Schwatz mit dem Hirten...
Unterwegs nach Arrens entscheiden wir beide – unabhängig voneinander – dass wir zu zweit andere „Regeln“ geltend machen wollen, damit wir das gemeinsame Wandern und die Zeit genießen können.
Die erste Entscheidung: Ich reserviere sofort per Telefon eine Unterkunft, und als das Tourismusamt uns ein Gîte mit Shuttleservice ab Arrens vorschlägt, zögern wir keine Sekunde.
Es ist so ziemlich das erste Mal, dass ich nicht alle Kilometer zu Fuss machen werde, aber nur Idioten halten an ihren Prinzipien fest...
Und so schaffen wir dann auch noch die letzte Stunde bis Arrens. Dort ziehen wir uns erst einmal im öffentlichen WC um, setzen uns in ein Café, genehmigen uns Kaffee und Bier und warten im Trockenen darauf, dass die Gîtebetreiberin uns abholen kommt.
Sie: ein Wirbelwind, der einen Anhalter aus dem Auto steigen, uns einsteigen lässt, mit Kind und Kegel und zwei Hunden und einem toten Ferkel im Wagen zum Bauern fährt; Ferkel abliefern, Milch abholen, Sightseing Tour – schliesslich verpassen wir ja ca 2 Stunden Fussmarsch, Privathaus nebst schwarze-Schweine-Zucht besuchen, Feld mit Poney, Kuh, Ziegen und Schafen besichtigen; und weiter zum Gîte, in dem wir zunächst alleine sind und Feuer im offenen Kamin anzünden dürfen...
Genau das richtige, einem frustigen Regentag doch etwas Gutes abzugewinnen...
Das Abendbrot nehmen wir mit drei anderen Wanderern zu uns, die ebenso wie wir vor dem Regen Schutz gesucht haben.
Reisezeit: 28. Juni – 11. August 2016
Region: Pyrenäen, Südwesten Frankreichs
Startpunkt: Hendaye
Endpunkt: Banyuls-sur-mer
Wandertage: 45
Kilometer: ca 800
Womit das alles begann?
In einem Sommerurlaub im französischen Baskenland vor mehr als 15 Jahren - vor einer halben Ewigkeit und fast in einem anderen Leben - bemerkte ich zum ersten Mal ein weiß-rotes Zeichen winzigklein am Wegesrand. Nichtsahnend befragte ich meinen Reisebegleiter nach der Bedeutung.
«Ein Fernwanderweg». Dass es sich um den GR10 handelte, fand ich sofort neugierig heraus – ein Blick in den französischen Autoatlas auf meinen Knien genügte. Aha, ein Wanderweg vom Atlantik zum Mittelmeer? «Oder umgekehrt». Wahnsinn!
„GR10“
Viele Jahre, Stunden und Sekunden später bin ich nun auf diesem «GR10» unterwegs.
Begonnen habe ich das Wandern übers Pilgern. Wer kennt das nicht? Fragen an das Leben, den Beruf, die Zukunft haben, und die richtigen Antworten von irgendwoher erhoffen...
Das Pilgern hat mir definitiv Antworten gegeben, wenn auch auf Fragen, die ich mir nicht unbedingt stellte. Und es hat in mir vor allem die Lust und die Sehnsucht nach dem Zufuss-Unterwegs-Sein geweckt und gestärkt, mir Zuvertrauen gegeben fürs alleine wandern (ich habe immer alle Ziele erreicht, und – anfangs - sogar ohne Handy, Landkarte oder Kompass unterwegs in manchmal einsamen Gegenden mit mehr als dürftigen Wegmarkierungen) und meinen Blick auf diese wunderbare Erde, die wir «beleben» dürfen, gerichtet.
Der GR10 also. Der letzte meiner begangenen Fernwanderwege. Der definitiv zeitumfassendste und anstrengendste aller bisherigen Wanderwege. Der, auf den ich lange schon hinstrebte, den ich mehrfach verschieben musste. Da ist er!
Für diejenigen, die nicht jeden Etappentag detailliert mitlesen wollen: Eine Zusammenfassung steht am Ende des Berichts. Nur zu, bitte „scrollen“...
Für Geduldige, Neugierige oder solche, die den Weg selber ins Auge gefasst haben:
Am Montag schon bin ich von Brüssel nach Hendaye angereist. Ich mag Hendaye. Mehrfach bin ich schon dort gewesen, mehrfach war es Start oder Ziel einer Wanderreise.
Der Weg vom Bahnhof zum Hotel am Strand, das ich vorsorglich vorreserviert hatte, zieht sich dahin, jedoch nicht unangenehm. Es ist früher Abend, das Wetter ist freundlich. Vor mir laufen zwei junge Frauen. Sie sprechen Englisch miteinander und, ehrlich gesagt, ihre Rucksäcke sehen ganz schön schwer aus.
Dann das übliche. Einchecken. Einkehren. Das Meer betrachten. Große Vorfreude. Und Ungewissheit, wie es wird, ob es wird, ob der Körper mitspielt etcetera.
Der Rucksack ist übersichtlich. Ca 6,3 Kilogramm Grundausstattung, darin alles enthalten, was ich in den nächsten Wochen brauche.
Die körperliche Fitness lässt zu Wünschen übrig. Selten war ein Jahr so vollgepackt mit Arbeit, so dass alles andere hintenan stand.
Der Strand von Hendaye bei Sonnenaufgang
28.6. - 1. Tag: Von Hendaye nach Olhette (20,5 km)
Früh und guter Dinge werde ich wach. Und da ich ein Zimmer ohne Frühstück gebucht habe (warum isst man in Hotels oft erst so spät?), kann ich gleich losziehen. Den langen Weg am Strand entlang, quer durch die Vororte der Stadt Richtung Natur und Berge.
Kurz hinter der Stadt zieht der erste Wanderer mit Rucksack an mir vorbei, eine Frau mit zwei Hunden kommt uns entgegen. Sie ruft nach weiteren Vierbeinern, die ihr (und mir) freudestrahlend entgegenhecheln. Wir kommen ins Gespräch und irgendwann erlaubt sie sich, mir dann alle Ängste und Bedenken mitzuteilen, als Frau alleine unterwegs zu sein. Schließlich sei es ja schon riskant, eine frei grasende Kuhherde zu durchqueren, da habe es ja schon Unfälle gegeben...
Auch ganz schön, wieder alleine unterwegs zu sein...
Und bis auf einen bellenden Hund auch keine weiteren Gefahren in Verzug.
Biriatou ist das erste baskische Dorf auf meinem Weg und dort lege ich die Frühstückspause gleich auf einer Parkbank gegenüber der Kirche ein. Leider ist das Dorfcafé noch nicht geöffnet. Dafür aber die kleine, typisch baskische Kirche mit ihren Holzbalkonen auf drei Ebenen.
Biriatou
Nach Biriatou geht’s dann erst mal steil hinauf – naja, was ich zu dem Zeitpunkt meiner Wanderung noch als „steil hinauf“ bezeichne (der erste Kamm liegt auf läppischen 486 Metern). Und den ersten Kaffee des Tages genieße ich am Col d'Ibardin, der Grenze zu Spanien mit ihren zahlreichen „Ventas“, den Grenzläden und -gaststätten. Später macht der Weg sogar einen regulären Schlenker nach Spanien rein, bevor es definitiv wieder Richtung Frankreich und Olhette geht, wo ich meine erste Nacht verbringen werde. Obwohl ich nicht vorreserviert habe, bekomme ich ein eigenes Zimmer in dem französischen Wandergîte. Noch kommen dort an im weiteren Verlauf des Nachmittags: ein junger Schweizer aus der entgegengesetzten Richtung sowie zwei Französinnen ebenfalls dorther, eine etwas ältere Frau ohne genaue Pläne, ebenfalls aus der französischsprachigen Schweiz.
29.6. - 2. Tag: Von Olhette nach Aïnhoa (22,8 km)
Ein angenehmer Wandertag, nicht zu warm, nicht zu kalt. Die „Rhune“ im Blick und hin und wieder ihre Zahnradbahn, die den Berg hinauf- und wieder hinunterschnurrt. Heute steigt der Wanderweg bis auf 563 Meter am Col des Trois-Fontaines – immer noch nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird..
Blick auf die „Rhune“
Die Zahnradbahn
Unterwegs treffe ich zunächst auf zwei Damen, nicht mehr so ganz jung, die nachts spontan unterwegs gezeltet haben, da sie es nicht mehr bis zum Gîte schafften. Der GR10 gestaltet sich definitiv als weiblich! Frau traut sich! Sehr schön!
Und da sind natürlich die morgendlichen Bergjogger, die ich ewig bewundern werde. Joggend, Schwätzchen haltend bergauf und wieder bergab... Hier oben an der Rhune gestaltet sich die Natur etwas schroffer, bevor es wieder hinab ins adrette Dorf Sare (und zum zweiten Frühstück auf dem Dorfplatz) geht.
Der Dorfplatz von Sare
Nach der kurzen Pause und ein paar Einkäufen geht es weiter durch das liebliche Baskenland, das sich leicht hügelig dahinzieht. Später folgt der Weg der Grenzlinie zu Spanien, (dort sehe ich die beiden englischsprachigen jungen Frauen auch kurz wieder, sie rasten), bevor er definitiv wieder Richtung Frankreich geht. In Aïnhoa quartiere ich mich im Gîte (beim Camping) ein und bin sehr erstaunt, den 20-Personen-Schlafsaal für mich alleine zu behalten. Der Abend wird kulinarisch! Das einzige geöffnete Lokal ist etwas schicker, mit einer Gault-Millau-Auszeichnung versehen, ich komme mir in meiner (immerhin noch recht sauberen und nicht übelriechenden) Trekkingkleidung jedoch etwas fehl am Platze vor zwischen all den schick gekleideten Menschen; und dennoch ärgert es mich etwas, dass ich als Alleinreisende mal wieder einen „Abstelltisch“ mit Rücken zur illustren Runde serviert bekomme... Tsss...
Blick zurück auf Aïnhoa
30.6. - 3. Tag: Von Aïnhoa nach Bidarray (20,8 km)
Auch heute ist das Wetter recht gut, klare Sicht, frische Luft...
Direkt nach der Ortschaft geht es bergauf dem „Kreuzweg“ entlang. Auf der (ersten) Kuppel des Tages – die drei riesigen Kreuze oben blicken mir schon den ganzen Aufstieg lang entgegen - möchte ich gerne meine Frühstücksrast einlegen, da ich auch diesmal morgens ohne Frühstück losgezogen bin. Jedoch oben angekommen stelle ich fest, dass unter den Kreuzen ein Zelt steht. Die Wäsche baumelt fröhlich zwischen den alten Grabsteinen im Wind. Der (oder die) Bewohner(in) ist nicht zu sehen, ich möchte nicht stören (und nicht gestört werden). Also gehe ich weiter und frühstücke später auf einem Felsbrocken. Auch gut.
Kreuze mit Zelt
Die Aussichten sind jetzt schon toll, wenn auch noch auf bescheidener Höhe. Das Bergauf macht mir heute sehr zu schaffen. Es sind wieder viele Morgensportler unterwegs, alle mit leichtem Gepäck, das ich neidisch betrachte... Eine etwas ältere Dame überholt mich leichten Fußes und wünscht mir guten Morgen, während ich angestrengt den „Berg“ hochkeuche. Später (eine gefühlte Ewigkeit lang und mehrere Kilometer weiter) begegnet sie mir wieder aus der entgegengesetzten Richtung. „Bon courage“, Viel Mut, wünscht sie mir. Vermutlich denkt sie, „die schafft das nie“. Kein Wunder, das würde auch ich denken, wenn ich mir an dem Morgen begegnen würde...
Allmählich komme ich „in Fahrt“ (kein Wunder, es geht auf gleicher Höhe weiter) und genieße den Tag. Der Wanderweg stößt bei der „Ferme Esteben“ wieder an die französisch-spanische Grenze und folgt ihr ein paar Kilometer lang, bevor es dann landeinwärts sehr steil hinab nach Bidarray geht. Vorsicht ist geboten!
„Danger falaises!“
Auf dem Platz neben der Kirche ist ein kleines charmantes Hotel. Und da der einzige Laden schon geschlossen ist, fällt mir die Entscheidung für das Hotel (und gesicherte Nahrungsaufnahme) umso leichter...
Kleines, charmantes Hotel in Bidarray
1.7. - 4. Tag: Von Bidarray nach Saint-Etienne-de-Baïgorry (16,2 km)
Heute, so las ich, soll ich auf einer ersten wirklichen „GR10-Etappe“ unterwegs sein, auf den „Crêtes d'Iparla“ - das baskische „Vorgeplänkel“ sozusagen hinter mir lassen.
Das Wetter sieht leider an diesem Morgen eher ungünstig aus, tief hängen die Wolken über der Landschaft. Naja, weiter geht es dennoch, schließlich warten noch viele Kilometer und Wandertage auf mich. Zunächst geht es direkt durch eine Schaffarm, die Schafe stehen Spalier, bevor der Weg zu den Crêtes, dem langen Grat, ansteigt. Wieder Sportmotivierte, die „plaudernd“ hochjoggen... Es ist unfassbar! Dann Schafe, Schafe, Schafe, ein Hirt auf einem laut knatternden Moped, sein Hund hinterher. Und nebliges Trüb überall... Ich erhasche einen sehr flüchtigen Blick auf einen Geier – der Grat soll nur so von Geierkolonien wimmeln. Und die Aussicht soll wirklich phänomenal sein, so liest man es zumindest …
Zu den Crêtes d'Iparla
Einen Gedanken für den Mann, der vor ein paar Tagen auf diesem Teilstück des GR10s bei einem Bergtrail umgekommen ist, abgerutscht und abgestürzt. Das mahnt zur Vorsicht, besonders bei diesem Wetter.
Im Nebel wirkt die eine Seite steil und schroff (und ist sie wohl auch), die andere jedoch zieht sich eher lang und langsam nach unten. Überall grasen Schafherden mit unterschiedlichen Farbflecken auf Rücken und Po. Und auch ein paar wilde Poneyherden sind dabei. An der „Gipfelsäule“ vom „Pic d'Iparla“ mache ich eine sehr kurze Rast; um sie wirklich zu genießen ist die Luft zu diesig und kalt.
Crête im Nebel
Und so zieht sich der Tag hin, über Unmengen Schafsköttel und durch ganze Wälder aus Farn; gegen Ende des Weges reißt die Wolkendecke ab und zu mal kurz auf, bevor sie sich gleich wieder zuzieht. Appetithäppchen. Beim Abstieg nach Saint-Etienne-de-Baïgorry erhasche ich immerhin Blick auf ein paar Geier, die das Baskenland fröhlich-hungrig bevölkern.
Geier mit Wanderern
Im Ort gestaltet sich die Herbergssuche zum ersten Mal 'komplexer'. Letzten Endes schlage ich zum ersten Mal mein Zelt auf - auf dem Camping von Irouléguy, einem Vorort, auf. Meine Zeltnachbarn: ein junger Wanderer mit Hängemattenzelt und die beiden englischen Frauen.
Ein EM-Spiel läuft im Café gegenüber. Mein Land spielt und ich trinke einen Rosé an der Bar. Mein Land spielt schlecht, so trinke ich das 2. Glas aus und gehe schlafen.
2.7. - 5. Tag: Von Saint-Etienne-de-Baïgorry nach Saint-Jean-Pied-de-Port (18 km)
Erfahrungsgemäß dauert mein erstes „Zelte abbrechen“ eine gefühlte Ewigkeit. Café und Croissant auf dem Platz, dann ab in die Natur. Schnell liegt das Städtchen hinter mir. Unterwegs ein alter massiver Schafbock, der seinen Weg durch einen Stacheldrahtzaun forciert, um zur Herde zu gelangen.
Mittlerweile hat es zu regnen begonnen. Ein fieser Fuselregen, der den ganzen Tag nicht abebben wird. Und das elende Farn, das nun nicht nur hoch, sondern auch klatschnass ist. Schnell bin ich pitschnass trotz Regenkleidung. In meinen Schuhen sammelt sich Wasser an. Und heute morgen habe ich tatsächlich gezögert, ob ich die noch leicht feuchten Socken anziehen soll oder nicht. Lächerlich!
Blick aufs Tal
Ewig zieht sich der Tag hin, bevor es endlich ins Tal geht und auch der Regen endlich nachlässt.
In der Pilgerhochburg Saint-Jean hatte ich vorsorglich ein Bett vorreserviert. Zum Glück, denn Anfang Juli ist der Andrang doch beachtlich...
Saint-Jean-Pied-de-Port
3.7. - 6. Tag: Von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Kaskoleta (16,5 km)
Nach den ersten Kilometern lichtet sich der Morgennebel, das Dorf Çaro empfängt mich mit wärmenden Sonnenstrahlen und vierblättrigen Kleeblättern.
Unterwegs nach Kaskoleta
Der Weg, schlängelt sich (was sonst) berauf und bergab - ohne größere Schwierigkeiten. Das Bergpanorama läßt mein Herz höher schlagen. Unterwegs erhasche ich einen Blick auf ein „Kadaverfeld“ (Geierrestaurant). Rast im Café in Esterençuby, dort trifft nach mir ein deutsches Paar ein, ebenfalls auf Wanderschaft.
Ich komme sehr früh schon im kleinen Gîte von Kaskoleta an und, da noch niemand vor Ort ist, inspiziere ich die Räumlichkeiten und dusche schonmal. Angemeldet hatte ich mich vorher und zwar zu „Biwak mit Abendbrot“. Eine Gruppe junger Engländer trifft ein. Sie rasten eine Weile, bevor sie weiterziehen.
Kurz darauf kommt eine Französin meines Alters an – sie wandert auch alleine; ihr Mann gesellt sich abends hinzu, tagsüber bereist er aus gesundheitlichen Gründen die Gegend per Auto. Die Betreiberin zeigt mir, wo ich mein Ponchotarpzelt aufstellen darf. Anschließend gibt’s leckeres Abendbrot, das deutsche Paar von vorhin und der Ehemann der Französin sind inzwischen eingetroffen. Wir verbringen einen durchaus geselligen Abend miteinander. Der Deutsche ist absoluter „Faust“-Fan und trägt immer ein Exemplar mit sich, aus dem er morgens rezitiert. Der Schwiegersohn der Betreiberin gesellt sich zu uns, er ist Landwirt und berichtet über die großen Schwierigkeiten des Sektors, auch in den Pyrenäen, zumindest halbwegs akzeptabel seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Vorm Schlafengehen noch einmal den Panoramablick genießen. Die Nacht ist ruhig, dennoch werde ich oft wach – naja, die erste Nacht dann doch „im Freien“, wenn auch in der Nähe eines Gîtes.
Sonnenuntergang bei Kaskoleta
4.7. - 7. Tag: Von Kaskoleta zu den „Chalets d'Iraty“ (18,1 km)
Der Weg zeigt sich auch heute wieder von seiner besten Seite und gibt sich abwechslungsreich: Farnwege, Waldwege, Feldwege, kleine Steige; Kühe, Schafe und Geier; eine Zeckenoperation; großartige Aussichten; ein Café für die Rast; und später, perfekt am Ende des Wandertags, eine sich zuziehende Wolkendecke, die noch etwas später sehr kurz aufreißt und den Blick auf die Pyrenäen im Abendlicht freigibt.
Den Schlüssel zur Unterkunft muss man ca 1 Kilometer vor dem Gîte abholen. An der Türe hängt das Foto eines vor 10 Tagen auf dem GR10 verschwundenen Mannes, der auf der Etappe „Gabas-Gourette“ ein letztes Lebenszeichen von sich gegeben hat. Dies ist eine der höchsten Passagen auf der Strecke, und oft liegt noch weit in den Sommer hinein oben Schnee. Ich mache ein Foto von seinem Foto – für alle Fälle.
Irgendwie hatte ich mir von den „Chalets d'Iraty“ viel mehr versprochen, jedoch erweist sich der Ort eher als Enttäuschung.
Das französische Paar von gestern übernachtet auch hier und es ergibt sich ein kurzes Gespräch. Es ist immer nett, miteinander über den Tag auszutauschen...
Und im Restaurant bekomme ich noch ein paar Tipps von einem Franzosen, der mit seinem Sohn auf der HRP, der Haute Route Pyrénéenne unterwegs ist. Dann krieche ich in meinem Zimmer in die Federn; ein Einzelzimmer kaum größer als das Einzelbett, das darin steht.
Abendstimmung an den Chalets d'Iraty
5.7. - 8. Tag: Von den „Chalets d'Iraty“ zur „Auberge de Logibar“ (16,9 km)
Beim Start morgens scheint das Wetter ganz gut. Ein Irrtum! Den ganzen Tag lang bin ich in Nebel und Wolken unterwegs. Bergflanke um Bergflanke umrunden – es ist unendlich! Ab irgendwann (sehr schnell) sind meine Füsse klatschnass und tonnenschwer. Durch nasses Farn waten plus eine ewig scheinende Schlamm-Matsch-Passage geben mir den Rest. An eine wirkliche Rast ist nicht zu denken. Und der Abstieg nach Logibar zieht sich dahin.
Willkommensgruß...
Dort angekommen, bin ich irgendwie „zu früh“, denn auch der Rest des Tages zieht sich hin wie Kaugummi. Ich teile ein äußerst rustikales Zimmer mit einem älteren Asiaten. Leider können wir nicht wirklich kommunizieren – all die Sprachen, die ich spreche, spricht er nicht. Wie er sich mit seinem sehr gebrochenen Englisch und ganz ohne Französisch hier durchschlägt, ist mir ein Rätsel... Die Wirtin berichtet, dass er immer 2 Etappen an einem Tag zurücklegt. Hammer!
Den Abend und das Abendbrot verbringe ich mit dem französischen Paar, Myriam und Pascal. Man kommt sich näher – wir haben uns vorgestellt!
Blick auf die Herberge von Logibar
6.7. - 9. Tag: Von der „Auberge de Logibar“ nach Saint-Engrâce (21 km)
Am heutigen Morgen steige ich erst einmal schnellen Fusses auf bis zur „Passerelle d'Holzarté“, und lasse schwungvoll mehrere Tagestouristen hinter mir. Die „Passerelle“ ist eine kuriose Hängebrücke, die rund 1920 erbaut wurde, um den Holzfällern die Arbeit zu erleichtern.
Die Hängebrücke von Holzarté
Das Wetter bleibt wechselhaft. Heute treffe ich mehr Wanderer, darunter einige, die ich schon etliche Tagesetappen ferner wähnte, so 'Sam', der junge Lehrer, mit seiner Zelthängematte oder die beiden jungen englischen Frauen. Und Myriam.
Wolkenlandschaft
Mitten auf dem Weg, dem GR10, haben es sich ein paar Kühe gemütlich gemacht und denken nicht daran, Platz zu machen. Eine kritische Stelle: Im kopfhohen Farn schlängelt sich ein matschiger schmaler Pfad talwärts. Und genau dort attackieren sie, die Bremsen. Die wissen ganz genau, wenn man alle Hände voll zu tun hat! Ein paar flachgedrückte Stellen im Dickicht weisen auf einen Sturz hin. Später treffe ich erneut auf Sam, der von links herunterkommt und imNebel eine Markierung übersehen hatte.
Bremsenparadies Baskenland
Am Zugang zu den „Gorges de Kakoueta“ hat sich ein Eis-und-Getränkeverkäufer installiert. Er kommt wie gerufen. Bevor ich die letzten 4 Kilometer angehe, tut eine Pause sehr wohl. Gestärkt treffe ich anderthalb Stunden später in Saint-Engrâce ein, einem Ort, der vor allem aus seiner Kirche und seiner Herberge besteht. Und drumherum hier und da ein Haus...
Das Gîte ist sehr bescheiden gereinigt – das Abendbrot im Café nebendran ist gut, die versammelte Gesellschaft gesellig: Myriam und Pascal, ein junger Wanderer (im Zelt), ein Jugendlicher, der 4 Tage alleine unterwegs ist, eine Dame, die morgen nach Hause reisen wird.
7.7. - 10. Tag: Von Saint-Engrâce nach La Pierre-Saint-Martin (Arette) (10,8 km)
In den sehr frühen Morgenstunden stürmt es draußen, man hört die Zeltplanen wild im Wind flattern und die Camper fluchen. Sie flüchten sich mitsamt ihrer Habe ins Innere. Eine Fenstertüre knallt geräuschvoll zu. Die Nacht ist zu Ende.
Jedoch treibt der Sturm die Wolkendecke fort. Tolles Wetter, endlich ! Der Weg führt erst durch eine Felsschlucht, „le ravin d'Arpidia“; dann geht es lange Zeit hoch, durch Laubwald, über „freies Feld“. Die Wegmarkierungen sind hier oben extrem spärlich, bei Nebel muss das die Hölle sein (in den frz. Wanderbüchern, die ich nutze, wird daher eine „Schlecht-Wetter-Variante“ beschrieben, was für diese Etappe eindeutig Sinn macht!).
Laubwald im Morgenlicht
Frühstück
Oben, am Col Saint-Pierre angekommen, ändert die Landschaft ganz plötzlich: die lieblichen grünen Hügel machen grauem schroffen Karstgestein Platz. Ich kaufe in einer kleinen „Bergerie“ Ziegenkäse, lege eine Rast ein, bewundere Berg und Tal und Schaf.
Der letzte kleine Teil der Etappe ist schnell geschafft, schon um 13 Uhr komme ich im Refuge Jeandel an, das über die verlassene Skistation La Pierre-Saint-Martin blickt. Sie gleicht einer Phantomstadt; alles, ALLES, ist geschlossen abgesehen vom Refuge. So treffen allmählich auch recht viele Wanderer ein, mehr als ich je zuvor abends getroffen habe (die Zentralpyrenäen und die rauheren Berglandschaften lassen grüßen!).
Was machen, wenn man so früh eintrifft? Essen, dösen, rumlungern, essen, plaudern, frühen Aperitif genießen, Landschaft bewundern und den Blick auf den Pic Anie …
Heimatliche Gefühle – mit Weitblick
Plötzlich, kurz vorm Ende des schönen Sonnentages, füllt sich die Geisterstadt: Schafe, Kühe, Ziegen, Pferde, Hirtenhunde und sogar ein paar Schweine bevölkern den Ort. Welch ein Spektakel! Animal Farm lässt grüßen...
Animal Farm lässt grüßen...
Nach dem gemeinsamen Abendbrot leert sich der Gemeinschaftsraum schnell, die müden Wanderer ziehen sich in ihre Zimmer und Zelte zurück...
Abendlicht
8.7. - 11. Tag: Von La Pierre-Saint-Martin (Arette) nach Lescun (14,9 km)
Auch heute Morgen ist bestes Wanderwetter. Zügiger Start und Vorankommen durch die steinige Skipistenlandschaft, über das karstige Gestein, das immer mal wieder am Wegesrand Einblicke in die berüchtigten Felsspalten freigibt, die diese Etappe bei Schnee oder Nebel so trügerisch machen.
Am „Pas de l'Osque“, einer ca 3 m hohen Felswand, die es zu überwinden gilt, treffen sich wunderbarerweise alle „GR10ler“ des Refuges wieder. Ich steige als letzte hoch, einer der jungen Franzosen empfiehlt uns, nicht an dem Drahtseil entlang zu klettern, das etwas abseits angebracht ist, sondern mittig an der Felswand hochzusteigen, sie bietet genügend Halt. Nach einem kurzen Hadern in der Mitte (wo greifen und Halt finden) überwinde ich schließlich auch dieses Hindernis.
Pas d' l'Osque
Oben!
Ich lasse die anderen Wanderer weiterziehen, genieße die wunderbare Bergwelt um mich herum und gehe dann beglückt alleine weiter. Immer noch strahlt die Sonne, wenn auch im Laufe des Nachmittags sich der Himmel im Westen gewittrig gibt. In Lescun gibt es erst einmal einen Aperitif (was gibt es Schöneres, als nach einem Wandertag genüsslich mit anderen Wanderern ein Gläschen zu trinken und auszutauschen?). Dann ziehe ich in die „Maison de la Montagne“ ein und lande diesmal sogar im Zimmer mit Myriam und Pascal. Es ist unser letzter gemeinsamer Abend, der wieder sehr nett ist, jedoch auch früh endet: Um 9 Uhr abends bin ich platt und gehe ins Bett.
Das Abendbrot war übrigens memorabel: viel viel Rohkost und Gemüse, eine absolute Seltenheit hier auf dem GR10.
Blumenmeer
Wunderbare Bergwelt
9.7. - 12. Tag: Von Lescun zur Cabane de la Baigt-de-Saint-Cours (23,5 km)
Wie bisher so oft habe ich eine unruhige und wenig entspannende Nacht hinter mir. Kurzer Gruß meiner neugewonnen französischen Freundin – die Abende mit ihr und Pascal werde ich vermissen...
Und ein schnelles Frühstück mit Spaniern, die einen der nahen Gipfel erklimmen wollen.
Das Wetter ist wunderbar.
Strahlendblauer Himmel
Der Weg schlängelt sich zunächst durchs Dorf hinab an den Bach, dann am Campingplatz wieder hinauf, an Bergflanken entlang Richung Lhers und durch eines der vielen vielen Farnfelder hinauf durch ein kühlendes Waldstück zum Col de Barrancq. Ein Hinweisschild macht auf die Schafherde mitsamt Patou, dem Hirtenhund, aufmerksam. Und prompt -noch im Wald höre ich vor mir aufgeregtes Hundegebell und kurz darauf Männerschreie.
Als ich aus dem Waldstück heraustrete, sehe ich die Szenerie vor mir: Weit unten eine Männergruppe mit Hund (es sind die jungen Franzosen von gestern) und zwischen ihnen und mir ein aufgebrachter Patou. Der zweite bellt irgendwo rechts von mir im Wald. Der Patou wendet sich nun ganz mir zu, kommt drohend auf mich zu. Es bedarf einiges an Zeit und gutem Zureden, den Hund davon zu überzeugen, dass ich lediglich vorbei möchte und keine Lust habe, in seine Schafe zu beißen. Schließlich läßt er mich weitergehen. Ganz geheuer ist mir dabei nicht, ich bin vor ein paar Jahren auf einer Wanderung von einem Hund gebissen worden.
Übrigens sieht man von genau dieser Stelle aus zum ersten Mal den Gipfel des „Pic du Midi d'Ossau“. Aber den bemerke ich verständlicherweise erst später...
Der weitere Abstieg Richtung Borce ist wie erwartet steil. Und happig! Unterwegs treffe ich – in Gegenrichtung unterwegs – eine junge Frau, die seit genau 30 Tagen alleine auf dem GR10 wandert. Der Austausch mit ihr ist sehr ermutigend. Motiviert gehe ich weiter, durch die Farnfelder bis Borce, das ich am frühen Nachmittag erreicht. Statt wie ursprünglich geplant dort zu bleiben, ziehe ich nach einer guten Rast, mit viel Wasser und mit neuem Proviant weiter. Es ist noch früh...
Übrigens. Es ist schon verrückt – ab dem 10. Wandertag ist die Nahrungssuche eines der wichtigsten Themen überhaupt geworden. Habe ich genug dabei, auch für den Notfall? Der Notfall, der übrigens nie wirklich eintreffen wird. Und wie immer schleppe ich tage- und wochenlang die in Belgien gekauften Müsliriegel mit mir herum. Aber gut, der Körper reklamiert vehement Energiezufuhr, und der Kopf kümmert sich um das Organisieren dieser Reserven.
Der Weg von Etsaut zum „Chemin de la Mâture“ zieht sich endlos auf der kleinen Landstraße dahin, die Sonne brennt inzwischen knallheiß auf die Wanderer nieder. Am Beginn dieses in den Felsen gehauenen Weges sieht man das „Fort du Portalet“ und den Zickzackweg, der sich in endlosen Schlaufen dorthin windet. Kletterer seilen sich an der Felswand über mir auf und ab. Der Weg ist eine Touristenattraktion und der blanke Felsweg wirkt, als sei er vom vielen Begehen aalglatt geworden. Und er ist erbarmungslos der Nachmittagssonne ausgeliefert. Ich schleppe mich recht kraftlos hinauf und suche immer wieder in dem wenigen Schatten etwas Erfrischung... Rechts klafft steiler Abgrund.
Der in den Felsen gehauene „Chemin de la Mâture“
Höher oben, die meisten Tagestouristen haben schon kehrtgemacht, erblicke ich von Weitem ein Hindernis auf dem Weg, ohne es klar erkennen zu können. Beim Näherkommen erweist es sich als eine tote, aufgedunsene Kuh, die auf dem Rücken liegt und den Weg komplett versperrt. Ich binde mir meinen Buff über Nase und Mund und folge entschlossen und so schnell es geht meinen Vorgängern, die sich links durch das Gebüsch schon einen Weg gebannt haben. Hunderttausende Fliegen fliegen von dem Kadaver auf, der bestialische Gestank dringt mir in die Nase. Ekelhaft!
Viel später in einem Waldstück treffe ich auf Sam, den jungen Engländer, der seine Zelthängematte schon installiert hat und sich vergnügt ein frühes Abendbrot bereitet. Dahinter beginnt das Pyrenäen-Naturschutzgebiet (bzw einer der vielen Nationalparks) und dort ist auch schon die Hütte, die „Cabane de la Baigt-de-Saint-Cours“, zu sehen. Die Hütte ist schon „besetzt“ und auch die einzig flache Fläche weit und breit. Etwas höher setze ich mich auf einen flachen Felsen und berate mit mir selber, was zu tun sei.
Bis zum Refuge vom Lac d'Ayous sind es bestimmt noch zwei Wanderstunden, zehneinhalb liegen nun schon hinter mir. Die beiden jungen Franzosen, die ich in den letzten Tagen öfters getroffen habe, überzeugen mich, mein Zelt hier aufzuschlagen. Und sehr gentlemanlike helfen sie mir, den geeigneten Zeltplatz zu finden. Der Tag neigt sich seinem Ende zu, wir sind mittlerweile zu einer kleinen Zeltkolonie geworden. Heute sind also erstes wirkliches Biwakieren, Katzenwäsche und frühes in die Federn kriechen angesagt – die Geschichten von der Bärenattacke im Tal von Saint-Engrâce und den Vipern, die einer der Wanderer hier schon gesehen hat, sind die beste Voraussetzung für eine ruhige Nacht...
10.7. - 13. Tag: Von der Cabane de la Baigt-de-Saint-Cours nach Gabas (14,1 km)
Schon um 7 Uhr morgens bin ich startklar; das Zelt wider Erwarten völlig trocken, was das Packen vereinfacht. Der Aufstieg zum nächsten Kamm ist lang und anstrengend, wie weise, die Nacht an der Hütte verbracht zu haben! Die frische Morgenluft und die ersten Sonnenstrahlen jedoch versüßen das ganze. Und, am Col d'Ayous angekommen, welche Aussicht!
Der Pic du Midi d'Ossau
Nach der gebührenden Bewunderung geht’s wieder hinab. Mein Plan: zum Refuge gehen, dort Frühstück, Dusche, Wäsche machen. Allerdings war das die Rechnung ohne den Wirt machen, bzw ohne die Refuge-Betreiberin. Es gibt keine Duschen und ein reguläres Frühstück gibt es auch nicht mehr. Jedoch improvisiert mir die freundliche Dame eines; als Dankeschön nehme ich später ein paar Pakete Müll mit ins Tal hinunter. Am Lac Gentau werden die letzten Zelte abgebaut, die ersten Kühe ziehen ein, bald gefolgt von den Schafherden. Kreischende junge Frauen hüpfen in den eiskalten Bergsee. Brrr!
Beim weiteren Abstieg sage ich gefühlte tausende Male „Bonjour“, denn die Massen strömen mir entgegen Richtung Refuge: Familien mit Kindern jeden Alters, Senioren, Pfadfinder, Paare, Jugendgruppen... Ab dem Parkplatz an dem See von Bious-Artigues wird es wieder ruhig, denn „GR10ler“ sind hier in der Minderheit. Alleine und vor allem der langen langweiligen Landstraße entlang geht es weiter nach Gabas, wo ich sehr bald meinen Liebsten treffen werde. Die nächsten sieben Tage werden wir zu zweit unterwegs sein.
11.7. - 14. Tag: Von Gabas nach Gourette (20,1 km)
Der heutige Tag wird lang und führt zu einer der höchsten Stellen dieses Parcours, der „Hourquette d'Arre“ auf 2465m. Dort oben soll noch Schnee liegen, bis vor kurzem wurde den Wanderern von dieser Etappe (zumindest ohne Schneeausrüstung) abgeraten. So im Prinzip auch uns. Jedoch waren am Vortag schon Wanderer nach Gourette aufgebrochen, und so hatten wir uns im Refuge (CAF de Gourette) erkundigt. Es läge noch etwas Schnee, aber die Strecke sei mittlerweile gefahrlos passierbar.
Spät, eigentlich zu spät für eine solche Etappe brechen wir nun zu zweit auf, aber wir hatten uns für das Frühstück im Hotel entschieden. Das Wetter ist nicht besonders, grau, diesig, feucht. Bei der ersten Schlecht-Wetter-Variante zögern wir nicht, denn die „Corniche des Alhas“ ist ein schmaler Balkonpfad an einer Felswand entlang. Vor ihm wird schon bei gutem Wetter gewarnt, bei diesen Bedingungen erscheint uns das Risiko es nicht wert. Bis zur einer kurzen Pause im späten Vormittag wandern wir in den Wolken, im Wald hinan und stehen plötzlich vor einer beeindruckenden Felswand, die wir entlanglaufen bis hin zu einem ersten Plateau. Rast. Die Wolkendecke reißt auf und lässt kurz den Blick frei auf das Tal des Artouste. Ich glaube sogar, das Pfeifen des kleinen Zuges im Tal zu vernehmen. Wir treffen zunächst auf Tony, den Briten, dann auf ein bretonisches Paar, das diese lange Etappe aufteilt und irgendwo biwakieren wird, und auf einen jungen Franzosen. Der Weg steigt unaufhörlich hinan, ein etwas breiterer Gebirgsbach wird überquert – auf Steinen balancierend. Meine Stäbe sind eine wertvolle Hilfe bei dem Balanceakt! Anstrengend wird es nun, der Weg nicht ganz einfach, schmal und mit kleinem Geröll; tapfer kämpfen wir uns hoch. Schließlich liegt das Schneefeld an der Hourquette vor uns, weiß und beeindruckend. Der Brite steht am Rande, geht vor, wir folgen. Er wählt einen Weg, der uns etwas seitlich abdriften lässt – er möchte dem Schnee entgehen, dafür landen wir mitten im steilen Geröll, das wir nun Richtung Hourquette begehen müssen. Eine rutschige Angelegenheit! Mir ist nicht wohl bei der Sache. Die letzten Meter legen wir wieder im Schnee zurück, mein Füße sind eiskalt und klamm. Um den Diskussionspausen zu entgehen, starte ich durch und an den Männern vorbei. Ich will nur eines: aus dem Schnee heraus!
Die Hourquette d'Arre
Schneefeld an der Hourquette d'Arre
Auf der Hourquette angekommen die Desillusion: Vor uns liegt ein weiteres Schneefeld!
Mein Liebster möchte nun die wohlverdiente Mittagsrast antreten – es ist mittlerweile schon 17 Uhr. Wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns wieder ins Tal, die Wolken wirken bedrohlich und für das Ende des Tages war Gewitterneigung angesagt. Kurz und gut, mir ist mulmig und kalt!
Er findet dennoch hier oben ein windgeschütztes Plätzchen und so rasten wir eine zeitlang. Und, ja, genießen - sogar beide -die Bergwelt von oben.
Irgendwann beginne ich zu drängeln und wir ziehen los, zum Glück müssen wir links an dem Schneefeld vorbei und nicht durch. Dennoch gibt es immer wieder kleinere Schneepassagen und auch Gebirgsbäche zu durchqueren. Eine gefühlte Ewigkeit später sind wir am Lac d'Anglas, der immer noch auf 2000 Metern liegt. Die Wolkendecke ist wieder dichter geworden. Wir gehen durch alte Minenanlagen, wilde Pferde laufen umher.
Lac d'Anglas
Kurze Zeit später ertönt ein erstes Donnergrollen, das mich mit Panik erfüllt. Das gefürchtete Szenario ist eingetroffen: Gewitter draußen in den Bergen. Entgegen allen Wissens um das Verhalten in den Bergen hetze ich hinab, dicht gefolgt von meinem Liebsten, der mich natürlich nicht alleine lassen will. Schnell und immer schneller, Ausschau haltend nach der Baumgrenze, die einfach nicht kommen will... Gefühlte Ewigkeiten, durch Regen und Hagel jagend, klatschnass und mit blitzblanken Nerven erreichen wir endlich diese – verdammte – schützende Baumgrenze. Nach einem kurzen Innehalten gehen wir ruhigeren Schrittes weiter, bis wir das im Nebel versunkene Gourette erreichen. Um 19:40 Uhr erreichen wir das Refuge des französischen Bergverbandes, das von einer strengen etwas skurrilen Madame Martine eisern verwaltet wird. Die „Hütte“ ist etwas heruntergekommen, dennoch sind wir froh, dort zu sein, ein warmes Abendbrot und ein kühles (belgisches!) Bier zu bekommen.
Was für ein Tag! Dass ich eines Tages mit voller Ausrüstung einen Berg hinunterjoggen würde, hätte ich mir vor kurzem noch nicht vorstellen können...
12.7. - 15. Tag: Von Gourette nach Arrens-Marsous (11,9 km)
und weiter per „Navette“ zum Gîte „Les Vieillettes“
Es regnet in Strömen. Als wir das Gîte in kompletter Regenmontur – in den noch nassen Schuhen vom Vortag - verlassen, kommt just ein Lieferant an. Lapidar äußert er „Mieses Wetter. Das macht einem definiv keine Lust, in die Berge zu wandern...“ Oh wie wahr, aber shut up!
Bis der erste Kamm erreicht ist... es erscheint mir, uns, endlos. Geschweige denn der zweite... Bei der hastigen Pause im Regen in dem kleinen Waldstück mehr als dürftig geschützt kommt auch keine rechte Freude auf. Und auch nicht bei dem kurzen Schwatz mit dem Hirten...
Unterwegs nach Arrens entscheiden wir beide – unabhängig voneinander – dass wir zu zweit andere „Regeln“ geltend machen wollen, damit wir das gemeinsame Wandern und die Zeit genießen können.
Die erste Entscheidung: Ich reserviere sofort per Telefon eine Unterkunft, und als das Tourismusamt uns ein Gîte mit Shuttleservice ab Arrens vorschlägt, zögern wir keine Sekunde.
Es ist so ziemlich das erste Mal, dass ich nicht alle Kilometer zu Fuss machen werde, aber nur Idioten halten an ihren Prinzipien fest...
Und so schaffen wir dann auch noch die letzte Stunde bis Arrens. Dort ziehen wir uns erst einmal im öffentlichen WC um, setzen uns in ein Café, genehmigen uns Kaffee und Bier und warten im Trockenen darauf, dass die Gîtebetreiberin uns abholen kommt.
Sie: ein Wirbelwind, der einen Anhalter aus dem Auto steigen, uns einsteigen lässt, mit Kind und Kegel und zwei Hunden und einem toten Ferkel im Wagen zum Bauern fährt; Ferkel abliefern, Milch abholen, Sightseing Tour – schliesslich verpassen wir ja ca 2 Stunden Fussmarsch, Privathaus nebst schwarze-Schweine-Zucht besuchen, Feld mit Poney, Kuh, Ziegen und Schafen besichtigen; und weiter zum Gîte, in dem wir zunächst alleine sind und Feuer im offenen Kamin anzünden dürfen...
Genau das richtige, einem frustigen Regentag doch etwas Gutes abzugewinnen...
Das Abendbrot nehmen wir mit drei anderen Wanderern zu uns, die ebenso wie wir vor dem Regen Schutz gesucht haben.
Kommentar