[IS] Island 10 km/h

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    • 04.02.2016
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    • Meine Reisen

    #21
    AW: [IS] Island 10 km/h

    Zitat von Sternenstaub Beitrag anzeigen
    Danke für diesen wirklich guten und mit schönen Worten/Beschreibungen geschriebenen Bericht, ich freue mich, wenn es weiter geht!
    Danke für die Blumen, dann will ich die Geduld nicht überstrapazieren

    --- Fortsetzung ---

    Ganz anders die Erlebnisse eine gute Woche später. Die Westfjorde liegen gerade hinter mir und eine im Vorfeld der Tour getroffene Planung ist über den Haufen geworfen. Ich werde nicht die Kaldidalur, die Hochlandpiste für Einsteiger, nehmen, um über diese zum Þingvellir National Park zu gelangen und dann die Kjölur erneut Richtung Norden fahren, sondern den direkteren Weg einschlagen. Wie ich zum Ende der zweiten Hälfte an den Flughafen gelange? Ich weiß es noch nicht. Was ich hingegen immer wieder erfahre: Mitte Juni 2016 seien die Wege durch das Inland noch nicht freigegeben. Ebenso steht für mich fest: ich werde auch die Ringstraße meiden. Die wenigen Kilometer, die sich nicht umgehen lassen, zeigen mir, derartiges muss ich mir nicht antun. Zuviel Verkehr, zu viele, die es zu eilig haben, zu viele, die auch vor mehr als gewagten Überholmanövern nicht zurückschrecken. Entsprechend halte ich mich an der Küste und umrunde die Halbinseln im Nordwesten.


    links herum statt geradeaus/rechts


    Brotzeit


    immer entlang der Küstenlinie

    Treffe ich auf dem Campingplatz von Hvammstangi auf Angelika und Burkhard, einem Pärchen aus Minden, das mich zu sich im Wohnmobil zum Essen einlädt, so widerfährt mir keine 24 Stunden später noch einmal etwas ganz anderes. Die Landzunge Vatnsnes ist nahezu umrundet, da blicke ich auf den Vesturhópsvatn und weiß: an dem See soll es stehen heute Abend, mein Zelt. Gute 60 Kilometer Schotterpiste liegen hinter mir, bis zum nächsten Campingplatz wären es noch einmal über 30 Kilometer, doch halb sechs ist ein guter Zeitpunkt, sich Gedanken über das Nachtlager zu machen und das sich länglich dahin ziehende Gewässer sieht perfekt aus. Entlang seines westlichen Ufers finde ich am südlichen Zipfel einen Weg, der von der 711 abgeht. Ich bin gerade kurz davor abzubiegen, da kommt mir von der kleineren Straße ein Wagen entgegen. Mein Handzeichen, das den Fahrer dazu bewegen soll anzuhalten, wird übersehen oder ignoriert. Ebenso ist Versuchen kein Erfolg beschert, an einer der nächsten Haustüren in Erfahrung zu bringen, ob es genehm sei, mein Zelt am Wasser aufzuschlagen. Die beiden Häuser, bei denen ich schelle und klopfe, scheinen verlassen. Zielführender hingegen meine Bemühungen, Reifenspuren in einen noch schmaleren Stichweg zu folgen. Sie führen mich an einen kleinen Strand. Am Ufer liegen einige Fischerboote. Vor einem steht ein älterer Herr, der seinen Fang sortiert. Kleinere Fische in den einen Eimer, größere in einen anderen. Ich spreche den Mann an, will wissen, ob es jemanden stören würde, wenn ich für eine Nacht bleibe. Die Antwort: ein fragendes Gesicht. Der Mann spricht weder deutsch noch englisch, ich kein isländisch. Also Zeichensprache. Ein Zelt ist mit den Händen einfach symbolisiert, der Fingerzeig, wo es stehen soll, auch kaum falsch zu verstehen. Ebenso unmissverständlich die Antwort. Schulterzucken und Kopfnicken. Wenn du willst, dann sei so frei. Die nächste Rückmeldung kommt nicht gar so schnell und ist weniger überzeugend. Meinem erneuten Fingerzeig, diesmal auf den See, folgt eine kippende Handbewegung Richtung Mund. Ein virtueller Schluck aus einem imaginären Becher – ob das Wasser des Sees trinkbar sei. Abermals scheint die Geste verständlich. Wankt der Kopf meines Gegenübers zunächst leicht von der einen Schulter zur anderen, zucken letztere kurz darauf abermals und ein leicht geneigter Kopf hebt und senkt sich. Ich interpretiere die Rückmeldung als ein „ja, im Notfall kannst du dir auch das Wasser in die Kehle kippen“. Um Missverständnisse auszuschließen bücke ich mich und probiere ein paar Tropfen. Schmeckt nicht salzig. Erneutes Schulterzucken und Kopfnicken meines Gegenübers, begleitet von Worten, die ich nicht verstehe. Diesmal bin ich es, der mit leicht verständnislosem Blick die Schultern hebt, doch ich blicke auf empor gezogene Mundwinkel. Mit erhobener Hand zum Gruß und einer dankenden Kopfbewegung wende ich mich ab, schreite zu meinem Rad, suche mir ein ebenes Plätzchen und mache mich breit.
    Minuten später blechernes Türenschlagen. Der Fischer packt seine Eimer in den Wagen und fährt davon. Ich winke ihm hinterher, der Mann zurück, dann habe ich den Strand für mich allein. Es ist herrlich. Die Sonne hat sich durchgesetzt, der Wind die Wolken vertrieben. Immer wieder höre ich kurze Flügelschläge, ein ganz eigenartiges Geräusch von einigen Vögeln, wie ich es vor Island nicht kannte, ansonsten ist es nur irgendwo in der Ferne ein Trecker der mich wissen lässt, dass die Gegend nicht gänzlich menschenleer ist.
    Eine Viertelstunde später, ich stehe kurz davor, ein Bad im See zu nehmen, knirschen erneut die Steine des Weges unter Reifen, schlägt abermals eine Autotür. Der alte Mann ist zurück und kommt auf mich zu. Als er vor mir steht, hält er mir etwas entgegen – eine Flasche, wie sie mir aus dem Supermarkt nicht unbekannt ist. Zwei Liter Wasser. Ich muss ein ziemlich belämmertes Gesicht machen. Mit den Worten „Fresh water“, der Trinkbewegung und einem Lachen im Gesicht reicht er mir das randvoll gefüllte Gefäß und verabschiedet sich auch gleich wieder. Einmal mehr bin fast sprachlos, bringe gerade noch ein „Takk fyrir“ über die Lippen, bedanke mich mit einer leichten Verbeugung, der Rechten auf dem Herzen und kann kaum glauben, wie mir geschieht.
    Nach kurzem mentalen Luftholen und wieder allein springe ich in den See, wobei „springen“ die Sache nicht ganz trifft. Die Annäherung ist eher zaghaft, das Erlebnis deutlich unmittelbarer. Das Wasser ist empfindlich frisch. Je nach Stimmung könnte man es auch „arschkalt“ oder „vitalisierend“ nennen. Ungeachtet dessen erfüllt es aber seinen Zweck – es reinigt. Ich tauche ein paarmal unter, dann habe ich den Eindruck, es sollte reichen und ich könnte Bäume ausreißen. Glücklicherweise stehen keine in der Nähe. Entsprechend bleibt nicht nur die Natur vor Schaden bewahrt, sondern auch ich. Nichts, was meine Wirbel leiden ließe, nichts, was mich unvermittelt zurück auf den Boden der Tatsachen holt. Kann ich mich noch ein wenig länger fühlen wie ein Wikinger, deren Nachfahren ich erst tags zuvor bewunderte, als sie unerschrocken nach dem Verlassen des Hot-Pots in ein Eisbecken stiegen. Ebenso genieße ich zum Abend auch mal Wasser – ich bilde mir sogar ein, Gastfreundschaft heraus zu schmecken.

    Graue Wolken ziehen vorüber, als ich am nächsten Morgen aus dem Zelt schaue. Sie passen gar nicht so richtig zu meiner Laune. Nach der müssten mich bei strahlend blauem Himmel Sonnenstrahlen wach gekitzelt haben. Ich fühle mich blendend. Die Ruhe, das Alleinsein, sich nicht mit Alltagssorgen plagen zu müssen, die Freiheit, selbst entscheiden zu können, wann, wie und wohin es weiter geht – es ist einfach nur großartig. Verträumt schaue ich den Vögeln zu, wie sie zwitschern, rollen, tschilpen, am Ufer stehen, im See baden, trinken, auf und davon fliegen. Beim Frühstück stellt sich die Erkenntnis ein, dass es genau diese Stille sein muss, die mich verzückt. So schön ich meinen Übernachtungsplatz und das Sinnieren finde, es kommt der Moment, da zieht es mich weiter. Als ich zusammenpacke, trudeln die ersten Fischer ein. Der erste ist schnell mit seinem Boot auf dem See, der zweite ist der, den ich bereits kennen lernen durfte. Wir winken uns zu. Ein wenig amüsiert bin ich als er fragt „Iceland, nice?“. Ich recke ihm den nach oben gestreckten Daumen entgegen. Wahrscheinlich aber spricht bereits ein breites Grinsen in meinem Gesicht Bände.


    Mittsommernacht in Hvammstangi


    Hvitserkur


    Vesturhópsvatn Camping

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