[IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

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  • Sternenstaub
    Alter Hase
    • 14.03.2012
    • 3369
    • Privat

    • Meine Reisen

    #21
    Zitat von eheinz Beitrag anzeigen
    Hallo Sternenstaub,

    hmm, ja, ich weiß nicht... Ist auch ein bisschen Kritik erlaubt? Ich hoffe, ich trete jetzt nicht ernsthaft ins Fettnäpfchen.
    Hallo Erik, natürlich ist auch Kritik erlaubt, wobei es mir etwas Schwierigkeiten bereitet, darauf zu antworten. Weil es sich vielleicht ein wenig "komisch" anhört.
    Vielleicht sollte ich die Vorgeschichte dieses Berichtes erzählen? ok, ich habe vor einigen Jahren erstmals Texte eines inzwischen verstorbenen amerikanischen Sängers gehört und überlegte, wieso mir diese Stimme so vertraut war. Und irgendwann fiel mir ein, woran und an wen mich diese Stimme erinnerte. Und ich schrieb über diese Verbindung zu meinem letzten Abend damals in Irland, erst für mich und auch für 2-3 Freunde.
    das brachte mich dazu, mich mit dieser ersten richtigen Reise zu beschäftigen und ich war sehr überrascht, wie viel mir einfiel und als ich die Fotos betrachtete und meine alten Eintragungen, flossen die Erinnerungen und ich schrieb sie nieder, jeden Tag ein bisschen und es wurde quasi ein Netz daraus. das war Ende 2011 und einen Teil habe ich damals hier im Forum eingestellt. Ich verließ das Forum für eine längere Zeit (warum, das tut hier nichts zur Sache), ich schrieb aber weiter an dem Bericht.

    So schön und liebevoll Du Deine Geschichte erzählst, uns so interessant der historische Rückblick auch ist - es geht Dir ja vor allem um die persönliche Perspektive. Und da vermisse ich ein wenig die Selbstreflexion. Ich denke, mit 40 Jahren Abstand sollte diese doch möglich sein, meinst Du nicht?
    ähm, wenn ich von einer Reise erzähle, ist es bei mir immer die persönliche Perspektive und ich versuche, weil ja ich es bin, die unterwegs ist, meine möglichst damalige Sicht einzubringen. Wenn ich einen Reiseführer lesen möchte, dann lese ich ihn. wobei ich absolut nichts gegen sachlich gehaltene Reiseberichte habe, im Gegenteil, bis auf lieblos herunter geschlurte Berichte, lese ich fast alles gern.
    Selbstreflexion was die damaligen Situationen betrifft, sowas ist für mich dann eher in einem Fazit sinnvoll, wenn ich von heute auf dam,als zurückblicke, aber ich versetze mich ja in mein ICH von damals.

    Die als Subtext Deines Reiseberichtes erzählte Geschichte von H ist doch ein typischer Fall von „es gehören immer zwei dazu”. Er konnte seine aus Deiner Sicht negativen Eigenschaften nur dadurch entfallten, dass Du nicht wusstest, was Du eigentlich willst, und Dich auf Ihn eingelassen hast. Er hat Dich zu nichts gezwungen.
    Habe ich das irgendwo behauptet? Ich war damals 22, was ich heute vielleicht anders machen würde, was hat das mit dieser Geschichte zu tun? Ich sehe ihn ja durchaus nicht als überwiegend negativ an, ich sah ihn auch damals nicht nur so, wenn er so rüber kommt in meiner Beschreibung, lag das vielleicht teils an seinem Verhalten, das ich teils schildere?

    Ich frage mich, warum erzählst Du diese alte Geschichte gerade jetzt? Und warum erzählst Du nicht nur die interessanten Erlebnisse, sondern thematisierst vor allem Deinen viele Jahre zurückliegenden Ärger über H? Hat er diese öffentliche Aufmerksamkeit verdient? Gibt es einen aktuellen Grund dafür? Das geht mich natürlich alles nichts an, aber irgendwie beeinträchtigt dieser Aspekt für mich deutlich den Genuß an dieser eigentlich sehr interessanten Zeitreise.
    Diese alte Geschichte habe ich, wie oben geschrieben, bereits vor einigen Jahren begonnen, zu erzählen, aber hier nie zum Abschluss gebracht, deswegen dachte ich, dass es vielleicht die Leser von damals interessiert, wie es weiter gegangen ist. Also absolut nichts aktuelles und mit Sicherheit keine alten Frustrationen, er gehörte halt nur irgendwie zu dieser Reise hinzu, soll ich ihn jetzt ausklammern?
    Wenn ich vom Fluss, dessen Wasser man trinken konnte erzähle, soll ich nicht erzählen, dass da nicht nur die Dubliner Mädchen waren, sondern auch ein Tramper aus H??
    Machen die Menschen, die man trifft, was sie sagen, wie sie reagieren und agieren nicht einen großen Teil der Erinnerungen und der Erzählungen aus? Für mich bisher schon. Wobei ich mir doch jetzt unsicher bin, ob ich das nun wirklich weiter teilen möchte. Keine Ahnung.
    Vor allem den zuerst geschriebenen Abschnitt, der ja das Ende ist, ich weiß nicht, das ist schon ungewöhnlich für einen Reisebericht. vielleicht hätte ich das an den Anfang setzen sollen, dann hätte vielleicht eh niemand mehr weiter gelesen.


    Wie auch immer. Viele Grüße,
    von Erik
    Grüße zurück
    Two roads diverged in a wood, and I—
    I took the one less traveled by,
    And that has made all the difference (Robert Frost)

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    • eheinz
      Anfänger im Forum
      • 08.10.2016
      • 26
      • Privat

      • Meine Reisen

      #22
      AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

      Hallo Sternenstaub,

      danke für die ausführliche Antwort. Ich verstehe, was Du meinst, und wahrscheinlich hast Du recht. Die Geschichte gewinnt durch die scheinbar unwichtigen Details und durch das Hineinversetzen in die Person von damals an Authentizität.

      Auf jeden Fall ist sie ein schönes Zeitdokument. Also lass Dich von meiner Nörgelei nicht entmutigen.

      Viele Grüße,
      Erik

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      • Tie_Fish
        Alter Hase
        • 03.01.2008
        • 3550
        • Privat

        • Meine Reisen

        #23
        AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

        Schöner Bericht, Sternchen! Danke!
        Grüße, Tie »

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        • Gernstel
          Dauerbesucher
          • 25.07.2009
          • 629
          • Privat

          • Meine Reisen

          #24
          AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

          Vielen Dank für diese fantastische Zeitreise!

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          • MrsLausS
            Erfahren
            • 12.05.2013
            • 199
            • Privat

            • Meine Reisen

            #25
            AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

            Liebe Sternenstaub,

            ich mag deinen Bericht sehr! Bitte lass' uns noch ein wenig an deiner Zeitreise teilhaben.
            Ich vermisse im Bericht keine Reflexion, dann müsstest du ja ständig hin- und her wechseln und das könnte die Stimmung zerstören - wie die Werbepause im TV, wenn man gerade so richtig "drinnen" ist...

            Herzliche Grüße

            MrsLausS

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            • PaxRomanum
              Anfänger im Forum
              • 25.09.2011
              • 43
              • Unternehmen

              • Meine Reisen

              #26
              AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

              Hmmmm, ob der Erik der H ist? Ich warte ja noch auf die Auflösung, dass Sternenstaub und H heute verheiratet sind, genau in diesem Haus mit den großen Fenstern wohnen und Rosamunde Pilcher sich schon die Rechte gesichert hat.

              Ich finde den Beitrag toll weil Sie sich nach so langer Zeit noch an vieles Erinnern kann, ich Bilder noch vor meinem Baujahr anschauen kann und ich mal meine Mutter motivieren muss, Ihre Interrail Erfahrungen niederzuschreiben.

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              • Sternenstaub
                Alter Hase
                • 14.03.2012
                • 3369
                • Privat

                • Meine Reisen

                #27
                AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                ich musste gerade so lachen, danke dafür Pax, aber nein, H wäre wohl der letzte gewesen, bei dem ich auf einen solchen Gedanken gekommen wäre. OT: Passte auch einfach nicht in mein Beuteschema.
                Und Erik H? Neeeee, glaube ich nicht bzw kann das eher eher nicht sein. Aber ich begründe das jetzt nicht, sonst heißt es, ich würde böse über H schreiben.

                Und übrigens, ich fände es klasse, wenn deine Mutter darüber berichten würde!

                Danke Erik, no worries, ich fand deine "Nörgelei gar nicht schlimm.

                freut mich, Tie und gernstel, dass ihr hier gern mit lest.

                MrsL, danke für dein statement, ne, ich werde sicherlich die anderen Teile noch einstellen, vielleicht teilweise leicht überarbeitet.
                OT: jetzt muss ich aber erst einmal Essen für einen hungrigen Studenten machen
                Two roads diverged in a wood, and I—
                I took the one less traveled by,
                And that has made all the difference (Robert Frost)

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                • Sternenstaub
                  Alter Hase
                  • 14.03.2012
                  • 3369
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                  going to Valencia

                  Die Nacht hat nicht nur erholsamen Schlaf sondern auch Gewissheit gebracht. Ich trampe nach Valencia Island! Die Route geht über den Ring of Kerry und sicherlich kann man viele schöne und interessante Dinge unterwegs sehen.
                  Frohgemut stehe ich recht früh auf, mache mich reisefertig, frühstücke kurz in der Küche, fege schnell meinen Schlafraum aus und frage den warden, ob er noch anderes für mich zu tun hat. Er schaut in den Schlafraum, auch in der Küche und in den Duschen sieht alles gut aus und lächelnd fragt er nach meinen Plänen. Als ich ihm von meinem Plan nach Valencia zu gehen erzähle, bittet er mich einen Gruß an Knightstown auszurichten, seine Familie kommt von dort, danach entlässt er mich und wünscht mir eine wundervolle Zeit.
                  Und die werde ich haben. Ich gehe länger an der Straße entlang bis ich zum Ortsausgangsschild komme. Mal schauen, ob mich jemand mitnimmt oder ob ich ein Stück wandere. Es ist kurz nach 7.00 und ich habe Glück, ein kleiner Lieferwagen hält an und nimmt mich mit. Jucheee, es geht weiter.
                  Drei, vier Autos nehmen mich hintereinander mit, keiner der Fahrer hinterließ eine wirkliche Erinnenrung und so bin ich schon um die Mittagszeit in Cahersiveen, von wo eine Fähre nach Valencia gehen soll. Der Ort selber ist in meinen Augen recht unattraktiv, ich hole ein paar Chips auf die Hand und gehe zum Fährhafen, finde auch gleich die Ferry. Am frühen Nachmittag landen wir in Knightstown, das Wetter ist diesig und wenig verheißungsvoll - auch während der Überfahrt. Es sieht bleiern und wenig erfreulich aus, deswegen bleibe auch ich in der kleinen Kabine. In Knightstown lasten die Wolken und das trübsinnige Wetter tief auf dem Ort, dem Meer und auch auf mir. Ich suche und finde die Jugendherberge, melde mich an und verziehe mich fast sofort aufs Zimmer. Später raffe ich mich doch noch auf und gehe erst zum Hafen und dann in der Nähe der Juhe ans Meer. Obwohl hier alles nah am Meer ist.



                  Und das ist auch das, was mich immer wieder so fasziniert. Wasser ist DAS belebende Element auf meiner Reise.
                  Ich gehe in den Aufenthaltsraum und sehe zum ersten Mal ein offenes Torffeuer, ich setze mich nahe heran und wärme mich etwas auf. Dabei komme ich mit 3-4 Leuten ins Gespräch, die schon 2 Nächte hier sind und einiges über die Insel erzählen. Wobei mich wundert, dass sie auch hier versucht haben zu trampen und nicht auf die Idee kamen zu wandern. Meine desbezüglichen Fragen erstaunen vor allem einen Typen, der meint, wozu denn laufen, hier ist doch alles flach. Achso.
                  Früh schon verziehe ich mich in den Schlafraum, die Jugendherberge ist nicht sehr groß, es sind nicht viele Leute da, was mir ganz angenehm ist. Zum Essen habe ich überhaupt keinen Lust, naja, ich kann ja morgen etwas mehr frühstücken.

                  Am nächsten Morgen wache ich mit krummer Stimmung auf, trinke nur einen Tee und nehme lieber mein restliches Brot, Apfel, Käse und Wasser mit auf eine kleine Wanderung. Ich gehe recht ziellos los, halte mich aber möglichst immer in Nähe des Meeres und suche einen kleinen Platz, an welchem ich Rast machen kann. Der Weg scheint zu einer Art Kiesgrube (oder was immer das ist) zu führen, es wird aber nicht gearbeitet. Es geht etwas steil hoch (ach ich dachte, hier wäre alles flach?) , ich komme an einem kleinen Marienschrein vorbei und bald darauf auf ein erhöhtes Fleckchen mit Blick aufs Meer. Dort setze ich mich hin, frühstücke in Ruhe und denke so vor mich hin.







                  Ich schaue über die wunderschöne Bucht und kann nicht sagen, warum ich mich unwohl fühle.
                  Danach gehe ich langsam zur Herberge zurück und sehe auf den Plan der neben der Reception hängt, wohin ich vielleicht eine Wanderung machen könnte. Ich beschließe im Ort etwas Proviant zu kaufen, ich habe gestern einen kleinen Shop neben dem Hotel gesehen, danach werde ich einfach wandern gehen, mal gucken, wie weit ich komme, die Insel ist durchaus größer als Cape Clear.

                  Gerade als ich los will, kommt eine junge Frau von der Fähre, total durchnässt, die bereits gestern hier war. Sie hatte die Morgenfähre genommen und im strömenden Regen in Cahersiveen gestanden und keinen Lift bekommen. So ist sie frustriert zurück gefahren, will jetzt erstmal trocken und warm werden. Hier auf Valencia ist kein Tropfen Regen gefallen, es war nur teils diesig und es wird immer wärmer.
                  Ich kaufe mir etwas Obst, die obligatorischen Äpfel, was anderes gibt es eher nicht und ein Päckchen Kekse, dann wandere ich los. Immer einer Straße folgend, die leicht aufwärts führt - durch ansonsten eher flaches Gelände. Am anderen Ende der Insel soll es eine Brücke zum Festland geben, mal schauen, ob ich so weit komme. Die größere Straße (nunja, heute würde man sie nicht als größer bezeichnen ;) ) wird mir langweilig und ich folge einem boreen nach rechts tiefer ins Farmland hinein. Von einem Grundstück kommt ein lustiger Hund gerannt, der mir schwanzwedelnd folgt und sich sogar streicheln lässt. Mal läuft er vor mir her, dann kommt er wieder angesprungen.



                  Als ich entscheide, dass es Zeit für eine Rast wird, legt er sich neben mich ins Gras.
                  Plötzlich kommt ein Trecker angefahren, der Fahrer hält an und springt herunter. Ob ich einen Hund gesehen habe. öh? ja - und weise auf den Hund, der plötzlich wie wild aufspringt und sich vor Liebesbeweisen kaum zu fassen weiß, er bellt und freut sich und wirft sich selber vor Freude fast um. Der Farmer entschuldigt sich, der Hund gehöre seiner Frau und seitdem sie jetzt im Krankenhaus sei, laufe er hinter jeder Frau her und er habe Angst, dass er nicht mehr zurück wüsste, wenn er zu weit von der Farm entfernt wäre. Er bleibe sonst immer am Haus bei der Frau. Es gäbe nämlich ab und an Probleme mit verwilderten Hunden, die von den Farmen fortgelaufen wären. Und da wäre mancher recht schnell dabei, die mit der Flinte zu erlegen, weil sie auch Schafe reißen würden. Und das wolle er der Frau doch nicht antun, dass sie heim käme und der Dicke wäre nicht da. Das verstehe ich natürlich alles sehr gut. Der Hund springt auf einen freien Platz neben dem Fahrersitz und scheint mich hechelnd anzulachen.
                  Zuletzt sagt der Farmer noch einmal eindrücklich:
                  let never a dog follow you!

                  Ich bin beeindruckt, aber auch skeptisch, ob das wohl alles so wirklich ist? Ein Hund verläuft sich und wildert dann unter den Schafen? Aber andererseits, ich bin diejenige, die hier nicht wohnt und keine Ahnung hat, von Hunden schon einmal gar nicht. Und seitdem lasse ich nicht mehr zu, dass ein Hund mir folgt.

                  Ich wandere weiter und komme nun durch eine Gegend, in der verlassene und teils schon verfallene Cottages stehen. Wer mag hier gewohnt haben und warum sind sie gegangen? Oder mussten sie gar gegen ihre Willen gehen? Ich habe natürlich von der famine gehört und von der Vertreibung der Pachtbauern aus ihren Häusern, als sie während der Hungersnöte den Pachtzins nicht an den Landlord zahlen konnten.



                  Dieser Ort hier ist irgendwie vage für mich, ich kriege kein feeling dafür, ganz im Gegensatz zu den Orten, wo ich bisher war. Wenn ich näher über diese Ungerechtigkeiten nachdenke, erfüllt mich erst Zorn und dann Mitleid mit denen, die teils recht brutal und mit Polizei- und auch Militärgewalt vertrieben wurden.



                  Es kommen zwar immer wieder fast schon kitschig idyllische Eckchen, aber auch dieses so typisch irische Fotomotiv zeigt ein verlassenes Haus. Blinde Scheiben und wenn man hinein guckt, sieht man die Verwahrlosung. Bereits der nächste Sturm mag dieses Strohdach vom Haus reißen, es dem Wind und dem Regen und somit dem Verfall anheimgeben.



                  Mit düsteren und traurigen Gedanken drehe ich irgendwann einfach um und gehe genau die Strecke zurück, die ich gekommen bin. Als ich an der Farm von vorhin vorbei gehe, bellt laut ein Hund, mein Begleiter von vorhin, er ist angeleint ist und der Farmer winkt mir freundlich zu.
                  Ich komme zur Jugendherberge, es ist inzwischen später Nachmittag und ich stöhne innerlich, als ich ein bekanntes Gesicht sehe. H springt erfreut auf, man habe ihm erzählt, dass ich ein wenig wandern gegangen sei. ah so.

                  Die Frau von vorhin steht am Kamin und bemüht sich das Torffeuer in Gang zu bringen, was schlecht gelingt, weil der Torf nass ist. Und flucht laut deswegen, was H zu verstören scheint. Also so etwas findet er nun wirklich nicht gut, er schaut sehr missbilligend. Mich bringt es zum Lachen und ich helfe ihr, indem ich mit so einem seltsamen Teil Sauerstoff in Richtung Feuer blase. Zuletzt flackert das Feuer und gibt erfreuliche Wärme ab. Seltsam, dass nach diesem so warmen Tag mir nun so kalt ist. Dabei friere ich eigentlich nie.

                  Auch heute habe ich keinen wirklichen Hunger, mümmele an meinen letzten Keksen herum. Als H mich fragt, was ich für den nächsten Tag plane, ob ich wieder wandern gehe, es gäbe hier bestimmt auch Räder zu mieten... antworte ich kurz, dass ich Valencia verlassen würde. Ich habe diesen Entschluss zwar gerade erst gefasst, aber hier will ich einfach nicht bleiben. Als er murrt, er würde sich die Insel gern näher anschauen, ermuntere ich ihn herzlich dazu. Das hätte ja auch nicht wirklich was mit ihm zu tun, ob ich nun morgen abreisen würde oder nicht. Die Frau, ich erinnere mich blass, sie hieß Evi oder Inga?, lacht scheinbar unmotiviert und fragt ihn, ob er das als Abfuhr verstehen würde. Er wird unwirsch und verkündet, er gehe zu Bett, was er morgen mache, dass wüsste er auch nicht. Und geht. Evi oder Inga ruft ihm nach: who cares?
                  da tut er mir schon fast wieder leid.

                  Am nächsten Morgen bin ich nach der Erledigung einiger weniger Pflichten schon recht früh am Fähranleger, setze mich auf eine Bank und warte. Aber nicht die Fähre kommt (ok, später schon), es erscheint der Obligatorische. Und strahlt mich an. So interessant könne Valencia Island doch gar nicht sein, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm morgen Abend zu den Dubliners zu gehen. Ob ich die kennen würde. Natürlich habe ich schon einmal von ihnen und auch mal Musik im Pub von ihnen gehört. Wo sie denn spielen würden. Unklugerweise setze ich hinzu, dass ich mir das ganz interessant vorstellen könnte. Während der ganzen Überfahrt erklärt er mir, was deren sound so besonders mache und welche Platten er von ihnen bei einem Freund schon einmal gehört habe. Der würde ganz blass vor Neid werden, wenn er erzählen würde, dass er auf einem Livekonzert gewesen wäre. Dies ist wohl auch der Freund, von dem er diesen Riesenrucksack hat und der ihm gesagt hat, was er alles so unbedingt braucht bei einer Tour in wild Ireland. Wir fahren im Hafen von Cahersiveen ein, nehmen unsere Rucksäcke und überlegen, wohin wir uns am besten stellen, um einen guten Lift zu bekommen. Da er erst frühstücken will, ok, ich nicht, ich habe aber versprochen derweil draußen zu warten, kann ich nicht sofort los, wie ich eigentlich möchte. Er will vom Marktplatz los, was ich für Schwachsinn erkläre und beherzt zum Ortsausgang marschiere. Wenn er mit mir trampen will, muss er wohl folgen.
                  Er grummelt, als aber nach etwa 20 Minuten ein Milchwagen hält und uns einsteigen lässt, strahlt er. Er habe ja gehört, Cahersiveen wäre SOOO schwierig, man fände da schlecht einen Lift. Und redet freundlichst auf den Fahrer ein. Der dairy man bittet uns, uns etwas zu ducken, weil eigentlich dürfe er niemanden mitnehmen, aber er wolle sich mal wieder mit einem hübschen Mädchen unterhalten. Darauf verstummt der hübsche junge Mann und überlässt mir das Gespräch. Nur um später nach dem Aussteigen in irgendeinem Kaff unterwegs missmutig von immer flirtenden Iren zu reden. Und ich ginge ja noch darauf ein. Aber hallo? Warum nicht, der dairy man war schon ein ansehnlicher und was wichtiger ist, netter Typ. Als ich das sage, schweigt er verkniffen.



                  Der nächste Fahrer fährt fröhlich und flott mit uns in seiner Limousine Richtung Killarney. Als er ein Polizeiauto erblickt, wird er blass, fährt rechts ran und bittet uns, uns komplett zu ducken. Es dürfe uns niemand sehen und ihn auch nicht. er habe die tax fürs Auto nicht bezahlt. Man bekommt da wohl ein carnet, welches man oben an der Windschutzscheibe aufhängen muss und sowas hat unser Held nicht. Grinsend mache ich mich so klein wie möglich und ziehe noch H herunter, weil der überhaupt nicht reagiert - vermutlich ist ihm wieder was peinlich - und die gardia fährt vorbei. Was unserem Fahrer ein tief empfundenes Seufzen entlockt. In Killarney setzt er uns dann genau vor der Jugendherberge ab, winkt noch fröhlich, hupt und ist wieder weiter, vermutlich die nächste Tramperin auflesen.

                  arrrggh - und dann passiert das Schreckliche, es ist kein einziger Platz frei, irgendein größeres Treffen von wem auch immer hat alle freien Plätze belegt.
                  Two roads diverged in a wood, and I—
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                  Kommentar


                  • grenzenlos
                    Dauerbesucher
                    • 25.06.2013
                    • 566
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                    Deine Vergangenheits- Aufhellung- Aufbereitung in Buchstaben- und Bilderform bereitet mir viel Freude
                    Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                    Gruß, Wi grenzenlos

                    Kommentar


                    • Gast202105024
                      Gelöscht
                      Fuchs
                      • 03.07.2012
                      • 1920
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #30
                      AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                      Wie schön, das Du den Bericht erst jetzt schreibst, sonst hätte ich das nie zu lesen bekommen.

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                      • ronaldo
                        Freak
                        Moderator
                        Liebt das Forum
                        • 24.01.2011
                        • 11933
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #31
                        AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                        Heftige Nostalgie... danke fürs Mitnehmen, Sternenstaub!

                        Das Jahr 1976 war schon ein ganz besonderes.

                        Kommentar


                        • Sternenstaub
                          Alter Hase
                          • 14.03.2012
                          • 3369
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #32
                          AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                          @ Wi - das ist auch Sinn und Zweck der Angelegenheit

                          @ pedder - manchmal liebe ich es, in Erinnerungen zu reisen

                          @ Ronaldo - ja, das war ein besonderes Jahr, ich wurde sozusagen erwachsen, nicht immer angenehm, aber andererseits frage ich mich oft, ob ich wirklich erwachsen wurde. - Bzw ob das überhaupt erstrebenswert ist.

                          aber weiter:

                          Was nun? Ein verschmitzt lächelnder H schlägt vor, wir könnten doch in ein B&B gehen, da wäre doch nichts dabei. Was sollte auch dabei sein? Na gut, etwas missmutig stapfe ich in den Ort und bei der zweiten Pension bekommen wir auch ein Zimmer, zum Glück mit zwei getrennten Betten. Das hätte mir auch noch gefehlt, mit H in einem Ehebett zu pennen. Abends lasse ich mich breit schlagen, doch ausnahmsweise mal mit in einen Pub zu gehen. Das ist so eine Art Singing Pub, der mich aber alles andere als überzeugt, viele amerikanische Touristen sitzen dort, singen schunkelnd irgendwelche Lieder mit, das hört sich mehr nach einem HillbillyAbend an und ich kann wirklich nicht sagen, dass mir das irgendwie gefällt. Ich bekomme Heimweh nach Clear Isle. Dieses Touristenkaff ist nichts, was mir gefallen kann. H hat sich während ich missmutig an meinem cider nuckele ganz dick mit irgendwelchen amerikanischen Touris angefreundet, sie spendieren ihm ein Guinness nach dem anderen und zum Abschluss noch irish whiskey, ich verzichte aber dankend. Nachdem ich das mir angebotene und trotz Ablehnung bestellte Getränk einfach nicht getrunken habe, lassen sie es sein, mir etwas aufdrängen zu wollen. Endlich gehen sie weiter in einen anderen Pub und wir gehen zurück zur Pension. Ziemlich angedüdelt fällt H sogleich in einen tiefen Schlaf, wofür ich recht dankbar bin. Der nächste Morgen kommt und mein Zimmergenosse tut mir ganz fürchterlich leid, während er eine Kopfschmerztablette einwirft und der Gedanke an Frühstück ihn bleich werden lässt, gehe ich frohgemut runter zum breakfast. Ich heuchel auch fast gar nicht, als ich ihn fürchterlich bedauere und dann leiderleider allein etwas durch Ort und angrenzenden Nationalpark gehe, während er seinen Kater kuriert. Wenn wir nicht geplant hätten, abends zum Konzert der Dubliners im Glen Eagle zu gehen, hätte ich mich sicherlich komplett abgeseilt.

                          Nach einem erfreulichen Tag allein, kehre ich zur Pension, die übrigens Shangri La heißt, zurück. Ich habe im Park auf der Wiese gelegen, in meinem Jack Kerouac gelesen, nachgedacht, bin ziellos mal dem einen und mal dem anderen Weg gefolgt. So wie ich es mag.
                          H fühlt sich inzwischen besser, er will vor dem Konzert zum Abendessen in ein Restaurant gehen. Ich ermutige ihn genau das zu tun, mache aber gleich klar, dass ich etwas Brot und Schokolade esse, weil ich dazu keine Lust habe. Nach einer Stunde kehrt er wieder und wir machen uns langsam auf den Weg. Zum Glen Eagle ist es mehr als eine halbe Stunde Fußweg, man muss am Ross Castle vorbei und dann noch ein Stückchen weiter. Das Glen Eagle ist ein recht großes Hotel und die Lounge ist bereits brechend voll, als wir ankommen. Es gibt eine Bühne, einige Sitzplätze, einzeln und an Tischen und wir ergattern noch freie Stühle. Der Manager hält eine kurze Rede von der ich kaum ein Wort verstehe, nur den Namen Danny Doyle heraus höre. Das ist der Sänger einer kleinen Band, die sozusagen die Aufwärmer machen. Teils etwas kitschig, aber auch etliche Sachen, die mir gut gefallen. und dann schreit der Manager: Ladies and Gentlemen - I present you - THEeee DUBbbbLINnnnERS.

                          Das Schlimme ist, dass ich mich nicht mehr so wirklich erinnere. Und das schmerzt mich mehr als vieles und anderes. Das erste Mal, dass ich die Dubliners live höre - sie gefallen mir sicherlich - sogar ausgesprochen gut - aber ob Luke Kelly (me other man) dabei ist, weiß ich nicht mehr zu sagen. Blöde Erinnerung, die mir nicht bringt, was ich suche.
                          Luke ist heute mein Favourite bei den Dubliners, obwohl er schon viele Jahre verstorben ist.
                          Er hatte so eine ganz besondere Ausstrahlung, die ich mit den Dubliners in Verbindung bringe, die mich ganz seltsam anrührt. Fast so wie Phil, aber meine story about Phil kommt ja erst später.
                          Manchmal vermischen sich Emotionen und Realität oder was immer zum Teufel das ist. Erinnerungen.

                          Ich wünschte, meine Gedanken würden so weit reichen, dass ich mich an all das erinnere, was da so ganz offensichtlich noch in mir da ist. Und H, der sich tierisch freut und abfeiert, dass er DIE Dubliners hier im Glen Eagle live sieht und sein Freund ihn tierisch beneiden wird, er versteht diese Musik gar nicht, so scheint es mir. Ist es nicht unerheblich, ob ihn irgendjemand beneidet? Was mich zerreißt, da ist er kühl. naja, ganz nett, was hat das mit mir und meinem Leben zu tun, fragt er mich später?

                          Es ist MEIN Leben!. so vieles versteht man erst später. Bin ich sentimental? Scheiß was drauf, dann bin ich das eben. Das gehört zu mir, zu meiner Persönlichkeit und wem das peinlich ist, der schaue weg und halte den Mund.

                          Irland hat mich nicht zu einem anderen Menschen gemacht. Ich habe mich gefunden, Teile von mir, die ich so nicht kannte. Ich bin simpel, das habe ich als halbes Kind mal geschrieben. Und ich will nichts anderes sein, nichts anderes scheinen.

                          Einschub von damals, heute irrelevant: hm - ob ich jemals mit diesem Reisebericht weiter komme, das wage ich fast zu bezweifeln.
                          ok, another try on another day

                          Voller Gedanken gehe ich neben H zurück zum Shangri La. Als wir vor der Türe stehen, fragt er mich plötzlich: " na, das sagt dir doch bestimmt nichts, dieser Name, so wie du auf Irland fixiert bist" Irritiert blicke ich ihn an. "klar, James Hilton und sein Buch Lost Horizon, wer kennt das nicht?" "Und wie fandest du das?" - "Ich bin nicht auf der Suche nach einem verlorenen Paradies, deswegen fand ich es interessant, mehr nicht." Meine Antwort gefällt ihm nicht, ich stünde doch scheinbar auf mystische Orte, wieso ich nicht dorthin wollte. Irgendwie habe ich den Eindruck, als ob er Streit suchen würde. Über Shangri La? "Weil es um eine sehr englische und in der Verfilmung amerikanische Erfindung des verlorenen Paradieses geht und ich mich sicherlich dort nicht wohl fühlen würde, wenn es es gäbe." Zum Glück öffnet gerade die Landlady die Tür und fragt, ob das Konzert gut war. Wir plauschen noch ein wenig mit ihr und gehen dann auf unser Zimmer.

                          Und nun wird es schwierig. Weil er offensichtlich erwartet, dass ich mit ihm schlafe, immerhin habe ich zugestimmt, mit ihm ein Zimmer zu teilen. Und ich hätte ihn geküsst, das wäre ja wohl die pure Anmache gewesen. Und so Sachen, wie Angebote machen etc und dann wieder einen Rückzieher, da stände er überhaupt nicht drauf. Er schmollt.
                          Verdammt, wie komme ich da jetzt nur heraus? Ich kann doch nicht sagen, dass ich ihn absolut unattraktiv finde. Nicht, weil er hässlich oder sonstwas wäre, nein, seine Art erstickt mich. Ich bin bestimmt nicht prüde, aber mit jemandem schlafen, weil er es erwartet? Irgendwie schaffe ich es ihn zu beschwichtigen, indem ich verspreche morgen mit ihm nach Cork zu fahren, um mein Fährticket umzutauschen, damit ich mit ihm nach Dublin fahren kann. Er will wenigstens noch eine Chance haben, mich umzustimmen, das müsse ich ihm doch als allermindestens zugestehen.

                          Diese Nacht schlafe ich verdammt schlecht. Nicht weil ich etwa Angst vor ihm hätte, aber war ich wirklich zu sehr herausfordernd, habe ich ihn angemacht? Weil erst etwas versprechen und dann nicht einhalten nicht so wirklich mein Ding ist.

                          Endlich aber schlafe ich ein.
                          Am nächsten Morgen frühstücken wir und gehen zum Bahnhof, der Zug nach Cork fährt etwas gegen 10.00 Uhr. Ich bin wortkarg, aber es reicht ja aus, wenn H auf mich einplappert. anders kann ich nicht sehen, obwohl ich mich schon als ungerecht empfinde.

                          Ich hoffe so, dass eine so kurzfristige Umbuchung der Fährreise nicht möglich ist, aber leider gibt es überhaupt kein Problem damit. H strahlt. Um erst gar keine komischen Ideen bei ihm aufkommen zu lassen, sage ich klipp und klar, dass ich mir Bedenkzeit erbitten würde bis zum letzten Tag in Dublin, ob ich wirklich etwas mit ihm anfangen wolle. Wenn er dem nicht zustimmen würde, würde ich stracks zurück gehen und ab Cork fahren.
                          Zum Glück bekommen wir in der Jugendherberge eine Unterkunft, ich hätte nun wirklich nicht die Lust, in einem trauten Pensionszimmer mit ihm zu übernachten, Distanz ist das, was ich jetzt wirklich brauche. Nicht zum letzten Mal verfluche ich mich, dass ich meine Grenzen nicht stärker verteidige/abgrenze. Warum mache ich mir Gedanken, ob er verletzt ist?
                          Am nächsten Morgen stehe ich seltsamerweise mit guter Laune auf, vielleicht gefällt es mir ja in Dublin total gut und ich kann auch noch nach Glendalough trampen, das ist ein sehr bekannter Klosterort recht nahe bei Dublin in den Wicklow Mountains.
                          Recht schnell bekommen wir mehrere Lifts, bis wir dann ein paar Kilometer von Cashel entfernt von einem schnuckeligen jungen Mann aufgelesen werden. In Cashel hält er an und fragt, ob er uns auf einen Tee einladen dürfe. that woud be nice, sage ich, bevor H mal wieder was unpassendes äußert. Wir sitzen dann im tea-room und unterhalten uns angeregt, also der Fahrer und ich. Er erzählt vom gaelic football und wie er bei der letzten Meisterschaft so total ähem blau war, weil sie gewonnen hatten, und als er heim ging, um zu schlafen .... : I snored so loud that me mother woke up from it, hell was she angry. Because I am a police man and such people should know it better, like she says. -
                          Er lacht so ansteckend, dass ich natürlich mitlache und als H zur Toilette geht, fragt er mich: your boy friend???? Ich muss wohl so entsetzt geguckt haben, dass er grinst und sagt: better is not.
                          okok, wir fahren dann wieder los und ich bedauere wirklich H nicht den Abschied geben zu können und mit Mr Policeman weiter irgendwohin zu fahren. nuja. thats life. Aber ich habe ja mein Wort gegeben und das breche ich im Regelfall nicht.
                          Aber mich hat die Geschichte schon erheitert und deswegen hält meine gute Laune an. irgendwann kommen wir recht spät in Dublin an, suchen die nächste Pension, ergattern ein Zimmer mit getrennten Betten und ich träume von Mr, Policeman und bin froh H vergessen zu können, der drüben in seinem Bett schnarcht.

                          a day out

                          In der Nacht habe ich nachgedacht, ich möchte zum Abschluss meiner Irlandreise noch unbedingt einen Tag außerhalb der Stadt verbringen. Beim Frühstück am nächsten Morgen vor die Alternative gestellt, entweder mit nach Glendalough in den Wicklow Mountains zu trampen und dort eine Nacht zu verbringen oder allein in Dublin zu bleiben, entscheidet H sich dafür mitzukommen. Relativ problemlos bekommen wir vom Rand der Stadt einen Lift Richtung Süden, der uns fast bis zum Ziel bringt. Mein Vorschlag doch ein wenig auf der kaum befahrenen Straße zu wandern findet keine Gegenliebe, also warten wir auf einen lift. Gegen 14.00 setzt uns ein wortkarger älterer Mann vor der Jugendherberge ab. Sie liegt am Ortseingang und leider bekommen wir keinen Platz, weil eine Jugendgruppe dort untergebracht ist. H freut sich, die vor der Juhe "herumlungernden" Typen haben ihm nicht gefallen, sie wären viel zu laut gewesen. Es gibt noch ein teures Hotel, was ihn wohl anlockt, aber für mich definitiv nicht infrage kommt. Ich versuche also mein Glück in einem kleinen B&B, welches direkt gegenüber dem Besucherzentrum liegt. Mürrisch folgt H mir, er hätte doch sogar das Zimmer bezahlt für mich. höh?? mit Sicherheit nicht, lieber H.
                          Die Landlady hat noch ein Zimmer für uns frei, die zwei anderen sind leider belegt. aber ok.
                          Ich freue mich schon darauf, mir das alte Klostergelände anzuschauen. Mein Griebenreiseführer schwärmt in höchsten Tönen von der Einmaligkeit des Klosters und auch der roundtower soll sehr sehenswert sein.
                          H möchte sich auruhen, aber ich gehe bschwingt zurück, beim Besucherzentrum ist der Eingang zum weitläufigen Gelände.

                          Ich freue mich, hier allein herum zu stromern, leider habe ich nur noch wenige Fotos auf meinem Film.
                          So etwas wie dieses ehemalige Klosterdorf oder besser gar Stadt habe ich noch nie gesehen, der Grieben berichtet über die Geschichte dieser Anlage.





                          Ich gehe hinüber zum See, der an das Siedlungsgelände anschließt, setze mich auf einen Stein und freue mich an dem Blick über das kühle Gewässer.







                          Ich wandere etwas um den See herum, diesen Weg hier würde ich zu gerne bewandern, wenn nicht dieses Mal dann mit Sicherheit ein anderes Mal.



                          Zurück bei den Klostergebäuden und Ruinen erwartet mich H, er hat wohl wieder wie ein Weltmeister fotografiert. Wo ich denn so lange gewesen wäre, bei dieser kleinen Anlage brauche man doch nicht sehr lange, um sich alles angeschaut zu haben. Meine begeisterte Schilderung über See und den an ihm entlang führenden Wanderweg nickt er ungeduldig ab, Seen gäbe es doch überall und ich wolle doch nicht noch etwa wandern gehen. Außerdem müssten wir am nächsten Tag eh zurück, weil ja einen Tag darauf meine Fähre nach England geht.
                          Wir gehen zurück zur Pension und treffen dort auf ein deutsches Pärchen, welches mit dem Rad von Dublin gekommen ist und morgen weiter nach Süden will. Da ich die beiden ganz sympathisch finde, stimme ich zu, dass wir abends zum etwa 2 Meilen entfernten Pub gehen und dort eine Kleinigkeit essen und einen pint trinken.
                          Der Abend wird dann recht lustig, während mir ein irish coffee reicht, trinken die anderen mehrere und ich befürchte langsam, dass ich sie nicht heil in die Pension bekomme. Endlich gegen 10 Uhr machen wir uns auf den Rückweg, zum Glück ist die Straße um diese Zeit kaum befahren und sie kommen zwar sehr schwankend, aber immerhin heil an. Ok, einmal purzeln sie alle übereinander, weil H plötzlich stehen bleibt, um etwas Weltbewegendes zu verkünden und die beiden über ihn stolpern.
                          Während ich mich gleich aufs Zimmer begebe, setzen sie sich noch eine weile in den Aufenthaltsraum. Als H nach oben kommt nimmt er zwar fast alle Ecken mit und schimpft, aber ich stelle mich schlafend.

                          Am nächsten Morgen bin ich überhaupt nicht schadenfroh und stimme lächelnd zu, dass es natürlich an dem blöden irischen Whiskey liegt, wenn sie alle drei jetzt starke Kopfschmerzen haben, aber kein Mitleid! Mir schmeckt das Frühstück prima, die Landlady grinst und fragt, ob es nicht doch etwas zu viel des Guten gewesen wäre bei ihnen.

                          Die Rückreise nach Dublin wird echt arg, nur ganz selten ein Lift und wir kommen fast nicht von der Stelle. Es ist sehr heiß und ich bin froh, als wir endlich Dublin erreichen. Wir laufen recht ziellos durch die Gegend und suchen eine Unterkunft.
                          Aber dazu im nächsten und letzten Teil mehr.
                          Two roads diverged in a wood, and I—
                          I took the one less traveled by,
                          And that has made all the difference (Robert Frost)

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                          • Blahake

                            Fuchs
                            • 18.06.2014
                            • 1439
                            • Privat

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                            #33
                            AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                            Zitat von Sternenstaub Beitrag anzeigen
                            Weil er offensichtlich erwartet, dass ich mit ihm schlafe, immerhin habe ich zugestimmt, mit ihm ein Zimmer zu teilen. Und ich hätte ihn geküsst, das wäre ja wohl die pure Anmache gewesen...aber war ich wirklich zu sehr herausfordernd, habe ich ihn angemacht? Weil erst etwas versprechen und dann nicht einhalten nicht so wirklich mein Ding ist.

                            Aaarrrgghhh!!! Das Zimmer zu teilen verpflichtet zum Sex und wer küsst muss sich auch fxxxxx lassen!?!?!?
                            "Dem hätte ich aber die Meinung gegeigt!" würde ich jetzt gerne hier schreiben. Geht aber nicht, weil ich sicher bin, ich hätte genauso reagiert wie Du! Sind wir Frauen denn immer noch solche Schäfchen, dass wir uns mit so kruden Argumenten auch noch ein schlechtes Gewissen machen lassen!?!?!?

                            Hoffentlich sind die heute jungen Frauen (und Männer) da inzwischen weiter!

                            Nochmal lieben Dank für Deine fantastische Reise in die Vergangenheit. Das versetzt einen selbst wieder in die eigene Jugend zurück - mit allen Höhen und Tiefen

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                            • DerNeueHeiko
                              Alter Hase
                              • 07.03.2014
                              • 3136
                              • Privat

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                              #34
                              AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                              Ein schöner Bericht, aus einer Zeit vor meiner Geburt, die mir trotzdem immer wieder so bekannt vorkommt. In der Rückschau scheint die Welt damals viel... freier, unschuldiger, unkomplizierter und gleichzeitig größer gewesen zu sein als heute. Aber wahrscheinlich sieht das nur mit 40 Jahren Abstand und ohne persönliche Erinnerungen so aus.

                              Ich versuche für mich, Teile davon heute noch zu erspüren. Zug fahren statt fliegen (20h von Stockholm nach Narvik im selben Zug ;)), Tramper mitnehmen (auch wenn das auf der Autobahn oft nicht so einfach ist), Mitfahrgelegenheiten anbieten, Leute ansprechen etc.

                              Viele Grüße,
                              Heiko

                              P.S: Und volle Zustimmung zu Blahakes letztem Beitrag.

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                              • joeyyy
                                Erfahren
                                • 10.01.2010
                                • 198
                                • Privat

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                                #35
                                AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                                Ach, das ist ja ein schöner Bericht! Und die Bilder versetzen mich wunderbar zurück in die Zeit meiner Kindheit. Ich hatte gerade mit meinen Söhnen geflaxt und ganz ehrlich gemeint, dass ich zehn Jahre zu spät geboren wurde. Anfang der Fünfziger geboren, ab Anfang der Siebziger reisen und jetzt in Rente. Das wäre optimal für mich aus jetziger Sicht.

                                Damals waren solche Reisen noch echte Reisen mit Annäherung an die Regionen, an die Landschaften, an das Essen, die Kleidung, die Menschen, Häuser, und so weiter. Alles war auf Reisen so neu und so erstaunlich und so anders. Ich empfinde das heutzutage nur selten. Hatte da auch schon mal in einem Reisebericht drüber sinniert.

                                Na ja, egal. Dein Reisebericht lässt mich erahnen, wie es in den Siebzigern gewesen sein muss, allein in die Fremde zu verreisen. Nur die Reise-Abenteuer mit dem anderen Geschlecht haben sich nicht geändert

                                Danke dafür.
                                www.gondermann.net
                                Reisen - Denken - Leben

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                                • Borderli
                                  Fuchs
                                  • 08.02.2009
                                  • 1734
                                  • Privat

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                                  #36
                                  AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                                  Vielen Dank für diese schöne Zeitreise!

                                  Nur neun Jahre nach deiner Irlandreise unternahm ich, genauso jung wie du damals, meine erste Schottlandreise. Rucksack, Jugendherbergsausweis, Reiseführer, Euroschecks... Ich habe mich in einigen deiner Erlebnisse wiedergefunden. Sogar einen H gab es, nur dass er S hieß und nicht ganz so penetrant war...

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                                  • eheinz
                                    Anfänger im Forum
                                    • 08.10.2016
                                    • 26
                                    • Privat

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                                    #37
                                    AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                                    Vor 40 Jahren war es vermutlich (ich war zwar damals durchaus schon auf dieser Welt, aber noch knapp jenseits solcher Erfahrungshorizonte, und außerdem jenseits des eisernen Vorhangs) genauso wie heute: es hilft ungemein, wenn man weiß, was man will, und noch mehr, wenn man das auch eindeutig kommunziert. Die S. von damals musste offenbar beides noch lernen. Und ja, ich kann das nachvollziehen.

                                    Auf unangenehme Menschen trifft man immer wieder im Leben. Irgendwann lernt man, damit umzugehen. Warum S. mehr oder weniger einen ganzen Urlaub ohne Not mit einem ihr offenbar unsympathischen Typen zubringt, verstehe ich trotzdem nicht.

                                    Muss ich auch nicht. Es war halt, wie es war. Ich denke aber, beurteilen sollten wir als Leser von heute die Geschehnisse von damals nicht.

                                    Im übrigen gibt es auch heute noch auf Reisen jede Menge Neues und Unbekanntes zu entdecken. Man muss sich nur die Fähigkeit zum Staunen bewahren. Und vielleicht auch mal abseits der üblichen Touristenpfade wandeln.

                                    Viele Grüße,
                                    Erik
                                    Zuletzt geändert von eheinz; 03.12.2016, 08:48.

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                                    • Sternenstaub
                                      Alter Hase
                                      • 14.03.2012
                                      • 3369
                                      • Privat

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                                      #38
                                      ich musste gerade lachen, weil mir erst beim zweiten Lesen klar wurde, wer "die S" war. Borderli schrieb ja von einem S, also "der S").
                                      Also ich mag es schon lieber, wenn man, egal, ob man über mich schreibt oder mich anspricht beim Schreiben, entweder mit Sternenstaub, Sternchen wie manche oder meinem richtigen Vornamen anspricht, nämlich Kathi. Nur mal so grundsätzlich.

                                      @ Blahake - ich galt damals schon als Emanze und bei einigen als recht komisch, alleine zu verreisen, ohne männlichen Beschützer , aber andererseits war ich sehr auf dem fairnis-trip - auch Kerlen gegenüber und manchmal bedauerte ich H ein wenig. Ich war und bin auch nicht der Typ, der anderen ständig (auch wenn es berechtigt ist) gegen das Knie tritt. Ich denke, es ist auch heute auch noch ein Lernprozess für junge Frauen UND auch junge Männer, auf sich zu schauen und die eigenen Grenzen klar zu machen und notfalls zu verteidigen.

                                      @ neuerHeiko - nachdem ich einige Reisen per Flieger gemacht habe inzwischen, kehre ich nun seit längerem zurück zu - für mich - ursprünglicheren Arten des Reisens zurück. Wie du das beschreibst - Reisen, also auch die Anreise nicht nur als Bewältigung von Distanzen zu betrachten, sondern als Weg, der für sich allein schon lohnend, erstrebenswert ist. Finde ich gut, dass du dir Gedanken darüber machst!

                                      @ joeyyy - ach, 10 Jahre jünger zu sein, wäre auch nicht das schlechteste. Wobei ich überaus froh bin, dass ich 2017 ein Jahr eher den Bettel hinwerfen kann, ich habe noch ein paar Wanderpläne/träume zu verwirklichen.

                                      @ Borderli - freue mich, dass du einiges wieder erkennst, so wie dich Schottland immer wieder anzieht, ist es u.a. Irland für mich. Bald wieder!

                                      @ eHeinz - nö, "Beurteilung" steht auch niemandem zu, sowas würde ich mir eh nie zu eigen machen bzw ernst nehmen. Als junger Mensch macht man eine Entwicklung mit, jedenfalls idealerweise, lernt seine Grenzen näher kennen, besser durchsetzen, was könnte da irgendwie zu einer "Beurteilung" führen, also jemandem das Recht geben ein plus oder minus zu setzen? Wer kommt schon als vollständig fertiger Mensch zur Welt, ich zum Glück nicht. Und ich bin sogar heute noch lernfähig. Die Verknüpfung mit "Eiserner Vorhang" habe ich jetzt nicht verstanden.

                                      Da ich erst heute wieder aus dem Elbi zurück bin, gibt es hier heut nix mehr ;)
                                      Two roads diverged in a wood, and I—
                                      I took the one less traveled by,
                                      And that has made all the difference (Robert Frost)

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                                      • ViviKimi
                                        Gerne im Forum
                                        • 22.03.2013
                                        • 69
                                        • Privat

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                                        #39
                                        AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                                        Danke dafür, dass Du uns so in Deine Vergangenheit mitnimmst. Das ist etwas ganz besonderes!

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                                        • Sternenstaub
                                          Alter Hase
                                          • 14.03.2012
                                          • 3369
                                          • Privat

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                                          #40
                                          AW: [IR] Irland - eine ganz persönliche Reise

                                          Ich danke dir, Vivikimi.



                                          Ich habe jetzt länger überlegt, ob ich den Abschluss dieser Irlandreise, den ich etwa 2009 (?) geschrieben habe und der mich letztlich dazu bewogen hat, dieser Reise in Gedanken noch einmal nachzugehen und ganz von vorn damit zu beginnen, wirklich hier poste. Und habe mich trotz Bedenken dafür entschieden, weil er einfach zu dieser Reise gehört.

                                          Gedanken über Phil Ochs, Dubliner Möchtegernphilosophen

                                          Als Phil_Ochs starb, wusste ich nicht einmal, dass es ihn gab.

                                          Aber heute, wo ich um ihn weiß, seine Lieder immer wieder und immer wieder anhöre, erschreckt es mich, dass er so fühlte wie ich. Wenn ein Mann so fühlen kann wie eine Frau und wenn ein Amerikaner so sein kann wie eine geschichtslose Deutsche. Geschichtslos bin ich, so geboren. Weil wenn ich eine Geschichte hätte, mich die Schuld ersticken würde. Jeden einzelnen Moment in dem ich lebe.
                                          13 Jahre war er vor mir geboren und seine Stimme und seine Worte bringen mich heute zum Weinen, wenn ich sentimental, nachdenklich bin. Machen mich wütend, zornig, wenn ich beginne nachzudenken. Lassen mich verzweifeln oder besser sie drücken meine Verzweiflung aus.
                                          Seine Ironie, sein sanfter Sarkasmus lässt mich lachen. Die Worte sind wahr. Sie sind ich. Und ich weiß, wie lächerlich das klingt. Und er starb, bevor ich wusste, dass es ihn gibt. Gegeben hat.
                                          Als ich das erste Lied von Phil Ochs hörte, erinnerte seine Stimme mich an eine andere, die fast gleich geklungen hatte.

                                          Ich komme nach Dublin, zusammen mit diesem Jungen, den ich eigentlich verachte, weil er nicht wahrhaftig ist. Mehr Hülle als Person. Ich bin genervt und weiß, dass dies ungerecht ist. Wir gehen durch eine Straße in Dublin, fragen nach einer Herberge. Und ich komme mir fast vor wie Maria, obwohl ich weder jungfräulich noch schwanger bin. Ein Mann, ein noch fast junger sitzt auf einem Küchenstuhl vor einem Haus und weist uns den Weg zu einer Pension. Er bittet uns, zurückzukommen, wenn wir dort Unterkunft gefunden haben, wir könnten uns doch ein wenig unterhalten. Ich misstraue ihm, obwohl ich es nicht begründen kann, ich will das nicht.
                                          Aber Höflichkeit "er hat uns doch eingeladen.." zwingt mich dazu. Dabei gibt es überhaupt kein uns. Ich will nur fort auf meine Fähre und verfluche, dass ich zugesagt habe, mit nach Dublin zu kommen.

                                          Der Mann, dem ich misstraue, bittet uns in Haus und führt uns in ein verqualmtes Arbeitszimmer. Er forscht uns aus. Wir seien doch Deutsche, das merke man am Dialekt. Er lese gerade über den Holocaust. Wie wir dazu stünden. Über all die vergasten Kinder und deren Mütter und Väter dächten. Und wie wir damit leben könnten. Und der blasse Junge aus Hamburg antwortet höflich. Gibt Beteuerungen ab, erstickt in Worten. Ich gebe das Zuhören auf und verachte sie. sie beide. Was ich dazu sagen würde? H zupft mich am Ärmel, ich sei gefragt worden.

                                          Ich sehe ihn an - diesen Mann - der sein Buch in dem das alles steht - mir entgegen streckt. Anklagend. what you think about this.

                                          Und ich bin ehrlich. Dass es ihn einen bloody fuck angeht, wie ich dazu stehe, ob mich das belastet. Welches Recht er habe, mir solche Fragen zu stellen?
                                          Und er - als offenkundiger Abstammling der british bastards, die dieses Land geknechtet hätten, wie er wage andere Menschen nach deren Schuld zu befragen. Wie er glauben könne, dass ein noch nicht einmal geborenes Kind Schuld an irgendwas haben könne. Die Erbsünde - die Sünden der Väter, diese moralische Messlatte wirklich angelegt auf Menschen, die zufällig des Weges daher kommen??

                                          Er streitet nicht ab, kein wirklicher Dubliner zu sein. woher ich das wisse?
                                          "Instinkt", antworte ich.

                                          Der Junge windet sich, wie ich all das sagen könne und nur knapp vermeide ich die passende Antwort: Mit meinem Mund! Ich bin jetzt in der Stimmung zu sagen, was ich denke, laut. Und antworte - dass es mich jeden wachen Moment, wo ich drüber nachdenke mit Grauen und Entsetzen füllt. Dass ich in Paris in einer Erinnerungsstätte gewesen sei und mich eine nicht zu benennende Angst gepackt hat, die mich seither begleitet. Ob es das sei, was er hören wolle?
                                          Und ob er auch wissen wolle, wie es meiner Familie ergangen sei, was sie erlebt, vielleicht erlitten hätte. Ob er denn so pauschal wisse, ob ihm Abkömmling von Tätern oder Opfern gegenüber stehe.
                                          Nein, das wisse er nicht, antwortet er. Es interessiere ihn, wie junge Deutsche damit umgehen würden. Der Junge gibt Worte ab, der Demut, der Nachdenklichkeit, der "wir wissen, was war".
                                          Was ich dazu sagen würde? Auch wenn ich ihn hassen würde, dies interessiere ihn. Was mich dazu bringt zu lächeln.

                                          Hass? Mit Sicherheit nicht. Gelten die Rechte des Menschen - jedweden Menschen - nicht auch für mich? Kann ich nicht frei reden, mit wem ICH frei reden will? Und schweigen, wenn ich schweigen möchte? Nun provoziere ich ihn bewusst: Und ob er es ertragen könne, wenn ich mit ihm reden würde, darüber, was ich wirklich denke, das würde ich bezweifeln.
                                          Und bei all fair means - dass ich Möchtegernphilosphen ziemlich verächtlich fände. Wer weiß, was er redet und was er fragt, der tue dies. Ansonsten schweige er.

                                          Diesmal lächelt er, ob es nicht bekannte Eigenart des Dubliners sei, egal, ob des gebürtigen oder hinzugekommenen, zu philosophieren? Als der Junge etwas sagen will, bringt er ihn mit einer Handbewegung zum Verstummen. Seine Augen fordern mich auf, etwas zu sagen.
                                          Fast hätte er mich zum Lächeln gebracht. Oder hat er? Wenn ich Ulysses glauben würde, wäre der Dubliner an sich ein sehr wechselhaftes Wesen, gebe ich zur Antwort.
                                          Dieses Mal berührt das Lächeln seine Augen.

                                          Mein Nichtfreund drängt nun zum Aufbruch, es sei schon spät.
                                          "ich habe euch nicht einmal etwas zu trinken angeboten, ich bin ein schlechter Gastgeber". Da ich kein Gast in diesem Hause sei, sei das nicht schlimm, erwidere ich, was ihn zum Lachen bringt und den anderen weißer werden lässt.
                                          An der Tür umarmt er mich fest und bietet ihm die Hand, bedankt sich für das Gespräch.

                                          "Warum hat der dich umarmt? Du warst so fürchterlich unhöflich"
                                          "ich war ich" sage ich nur und in der Nacht, als er sich in seinem Unterzeug auf mich legt und mehr will, überkommt mich große Übelkeit, ich stoße ihn von mir fort und gehe ins Etagenbad, bis er eingeschlafen ist.

                                          Am frühen Morgen läuft die Fähre aus dem Hafen, ich bin so froh, lege meinen Kopf auf die überkreuzten Arme und träume meinen eigenen Traum.
                                          Two roads diverged in a wood, and I—
                                          I took the one less traveled by,
                                          And that has made all the difference (Robert Frost)

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