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Damit wir uns nicht falsch verstehen...
Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich behaupte nicht, daß ich den Mount Kinabalu vierzig Mal bestiegen hätte. Das wäre geschwindelt, und Schwindeln gehört sich nicht in unserem schönen Forum. Meine Besteigung des Kinabalu war vielmehr ein Geschenk von mir selbst an mich selbst zum vierzigsten Geburtstag (und der liegt schon mehr als ein Vierteljahrhundert zurück, weswegen alle Bilder in diesem Bericht eingescannte alte Dias sind, für deren technische Mängel ich um Verständnis bitte).
Der Mount Kinabalu ist einer der prominentesten Berge der Welt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich meine: er ist der Berg mit der zwanzig-höchsten Prominenz auf der Welt (laut Wikipedia, nachzulesen hier). Was „Prominenz“ ist, das wissen wohl die meisten Leser dieses Forums, aber wir rekapitulieren sicherheitshalber noch einmal: Prominenz, auch Schartentiefe oder relative Einsattelung genannt, ist ein Maß für die „Selbständigkeit“ eines Gipfels bzw. Bergs; sie ergibt sich als Differenz aus seiner Höhe und dem höchstgelegenen Sattel, bis zu dem man mindestens absteigen muss, um einen höheren Gipfel zu erreichen (wer es genauer nachlesen will, kann das hier tun). Und da nun der Kinabalu der höchste Gipfel der Insel Borneo ist, müßte man, um einen höheren Gipfel zu erreichen, bis zum Meeresspiegel absteigen. Somit ist seine Prominenz gleich seiner Höhe über dem Meer, also 4095m, und das ist mehr als bei so berühmten Bergen wie Mount Kenia, Kanchenjunga, Dhaulagiri und sogar K2, wohlgemerkt!
Der Kinabalu ist der höchste Berg Malaysias. Die Malaysier behaupten gerne, er sei der höchste Berg Südostasiens, aber das kann man so nicht stehen lassen. Auf Neu-Guinea gibt es weit höhere Berge, und selbst wenn man die zu Ozeanien anstatt Südostasien rechnet, haben wir immer noch die Berge im Grenzgebiet zwischen Burma (Myanmar) und Tibet; auch die sind weit höher als der Kinabalu, und man kann wohl nicht bestreiten, daß Burma zu Südostasien gehört. Übrigens ist der Kinabalu kein Vulkan wie die meisten hohen Berge Indonesiens, sondern ein Granitklotz, der durch tektonische Bewegung immer weiter nach oben gedrückt wird. Dabei kommt es auch hin und wieder zu ruckartigen Bewegungen, wie z. B. beim Erdbeben im Juni 2015 (siehe hier).
Damit ist nun aber die Erdkundestunde beendet, und der Reisebericht beginnt.
Vierzehn Jahre Anlauf, und warum ich “Fujiyama” sage
Schon als ich 1976 zum ersten Mal nach Malaysia kam, hatte ich den Kinabalu im Visier. Bis dahin war ich nur in den Alpen unterwegs gewesen und hatte noch keinen Viertausender „gesammelt“. Damals war eine Besteigung des Kinabalu wohl noch ein kleines Abenteuer, denn es gab nur eine unbewirtschaftete Hütte dort oben, und man war weitgehend auf sich allein gestellt. 1978 stand ich schon am Fuß dieses tollen Berges, aber schlechtes Wetter machte uns dann doch einen dicken Strich durch die Rechnung. 1990, kurz vor meinem vierzigsten Geburtstag, kam ich allerdings noch einmal nach Ost-Malaysia und sagte mir: „Jetzt oder nie“.
Ausgangspunkt war – und ist auch heute noch – die Stadt Kota Kinabalu an der Küste. Dort mußte man seine Tour buchen, einschließlich Unterkunft im Nationalpark und auf der Hütte in 3300m Höhe sowie den verpflichtend vorgeschriebenen Führer; denn schon damals waren Besteigungen recht populär und entsprechend reguliert. Der Kinabalu dominiert nicht nur seine geografische Umgebung durch seine reine Höhe, er dominiert auch im Bewußtsein der Wanderfreunde ungeheuer. Deshalb sagte ich „Fujiyama“. Den kennt jeder, aber wenn ihr einmal herumfragt, was denn der ZWEIThöchste Berg Japans sei, dann kommt wahrscheinlich nur „Äh...äh...“. Auf den Fujiyama wollen alle hinauf. Auch auf den Kinabalu wollen seit vielen Jahren schon alle hinauf, und das muß man irgendwie regulieren. Schließlich ist dieser Bereich ja auch ein Nationalpark, und man kann nicht zulassen, daß darin jeder kampiert (und womöglich seinen Müll liegen läßt), wie es ihm gerade paßt. In den Achtzigerjahren wurde die unbewirtschaftete primitive Hütte ersetzt durch eine moderne Anlage mit einem richtigen Restaurant und – oho! – elektrisch beheizten Zimmern. Wenn diese Hütte ausgebucht ist, werden in Kota Kinabalu keine weiteren Permits mehr ausgestellt, und sie lassen am „Eingangstor“ zum Aufstieg keine weiteren Wanderer mehr herein. Den Führer hätte ich wirklich nicht gebraucht, um den Weg nach oben zu finden, aber er war de facto auch ein Aufpasser, der auf die Einhaltung der Nationalparkregeln achtete (keinen Müll wegwerfen, keine Pflanzen abreißen usw.). Irgendwie bedauerlich vielleicht, aber leider notwendig.
Trotz aller Regulierungen ist eine Besteigung des Kinabalu aber eine tolle Sache, vor allem dann, wenn man es so macht wie ich 1990. Die meisten Gäste machen die Tour in zwei Tagen, mit Aufstieg zur Hütte am ersten Tag, Gipfelsturm am Morgen des zweiten Tages und nachfolgend sofortigem Abstieg. Ich allerdings buchte für drei Tage (also mit zwei Übernachtungen auf der Hütte), und das war eine sehr gute Entscheidung, wovon noch die Rede sein wird.
Der Weg ist der Weg, aber nicht das Ziel
Von Kota Kinabalu begab ich mich erst einmal in den Kinabalu-Nationalpark, wo sich einige Verwaltungsgebäude, einige Gästehäuser und ein Restaurant befanden (das ist wahrscheinlich auch heute noch so). Dort waren wir schon auf etwa 1800m Meereshöhe. Die Verszeile „Wohlauf, die Luft geht frisch und rein“ könnte nirgendwo besser passen als hier. Einfach herrlich. Der schwülen Hitze des tropischen Tieflands entkommen, bummelte ich – mehr oder minder ziellos – ein wenig umher und genoß voll unbändiger Vorfreude den Blick auf das Bergmassiv:
Wie ihr seht, gab es dort oben schon 1990 einige Funktürme im Wald: links der Bildmitte seht ihr welche, und wenn ihr genau hinschaut auch weiter rechts oberhalb davon.
Am nächsten Morgen ging es dann richtig los. Ich durchschritt das Eingangstor zum Aufstiegsweg, von meinem Führer begleitet (oder sollte ich sagen: bewacht?). Zunächst war es ein gut ausgebauter Pfad durch den Wald:
Lange Zeit ging es so dahin, und es ist mir nichts Bemerkenswertes von jenem ersten Wegstück in Erinnerung geblieben. Nur hin und wieder eröffnete sich einmal ein Ausblick nach oben, der den Appetit zum Weiterwandern wieder anregte:
Es mögen wohl etwa zwei Stunden seit dem Abmarsch gewesen sein, als wir eine andere Zone erreichten. Erstens war der Weg nun weniger erdig sondern mehr steinig:
Zweitens sah ich mehr interessante Pflanzen, z. B. diese schöne Baumorchidee:
Noch interessanter als die Baumorchideen waren aber diese fleischfressenden Pflanzen der Gattung Nepenthes (Kannenpflanzen), im Englischen Pitcher Plant genannt:
Hier noch einmal solch eine Nepenthes in Großaufnahme; sie hat mehrere Zentimeter Durchmesser und einen Deckel, der sich schließt, sobald eine Beute gefangen wurde:
Wie ihr z. B. hier oder hier nachlesen könnt, locken diese Pflanzen durch ihren Duft Insekten in die Höhlung; dort bleiben die Insekten am Saft der Pflanze kleben, der Deckel schließt sich zur Sicherheit auch noch, dann sondert die Pflanze einen Saft ab, der das Insekt auflöst, also quasi „verdaut“. Ganz schön ausgekocht, kann man sagen. Außer Insekten können auch andere Kleintiere dieses Schicksal erleiden (siehe z. B. hier).
Mit dem Aufsuchen, Fotografieren und „Studieren“ dieser Pflanzen verbrachte ich eine ganze Weile in diesem Abschnitt des Aufstiegs, und die meisten der vielen Wanderer taten das auch.
Ein wenig weiter oberhalb kamen wir in die Region des Nebelwalds:
Ab dieser Höhe sah ich auch immer mehr schöne Rhododendren:
Wir näherten uns langsam dem Tagesziel, der Hütte auf 3300m Höhe. Der Wald war nun mehr oder weniger nur noch Gebüsch, und wir gingen ein wenig mehr im Sonnenschein dahin:
Wir hatten auch einen guten Blick auf die Gipfelregion, die ja nun nicht mehr weit war:
Ihr seht die beiden markanten Nebengipfel, die „Eselsohren“ genannt werden bzw. wurden – einer davon ist nämlich bei dem Erdbeben von 2015 abgebrochen –, und ihr seht die Hütte (den kleinen hellen Fleck oberhalb der Funktürme im Wald).
Leider hatten wir die Hütte noch nicht ganz erreicht, als es zu regnen begann. Nachmittagsregen ist in den Tropen ja etwas sehr Normales, das geschieht an vielen Tagen.
Interessant war es aber zu sehen, wie innerhalb von Minuten nach Einsetzen des Regens das Wasser von der Kuppel des Gipfelaufbaus herunter schoss:
Der Gipfelaufbau des Kinabalu besteht eben ganz und gar aus Granit, hat kaum tiefe Klüfte und so gut wir keine Bedeckung durch Mutterboden; er besitzt damit eben auch praktisch keine Wasser-Rückhalte-Kapazität, und alles Regenwasser schießt sofort oberflächlich ab.
Wenig später kamen wir dann aber doch in der Hütte an und hatten damit unser Tagesziel erreicht. Die zahlreichen Gäste suchten sich von der umfangreichen Speisekarte ihr Abendessen aus, dann ging es zeitig zur Nachtruhe. Die Zimmer waren sehr komfortabel und, wie ich schon sagte, elektrisch beheizt. Wenn es einem in der Nacht etwas zu kalt oder zu warm war, mußte man nur ein Stück am Thermostaten drehen. Das kam mir schon damals ein wenig dekadent vor.
Eine ganze Berglandschaft nur für mich
In den frühen Morgenstunden des zweiten Tages setzten wir dann zum Gipfelsturm an. Etwa 800 Höhenmeter waren noch zu überwinden, wofür die Führer meines Erinnerns etwa zwei bis drei Stunden veranschlagten. Wir mögen also ungefähr um drei Uhr aufgebrochen sein. Es war natürlich noch dunkel, und ich habe keine Fotos von dem Aufstieg. Ich erinnere mich nur, daß einige Teile des Weges als Stahltreppen angelegt waren. Im großen und ganzen fand ich den Weg recht angenehm; denn er besteht ja aus festem Gestein mit einer rauhen Oberfläche, auf der man gut Halt findet und nicht rutscht. Der Weg führte auch nicht über größere Steinblöcke; die sind ja immer etwas unangenehm. Es ging halt immer so dahin. Die Route war im übrigen hervorragend markiert: nicht nur durch einen kleinen Farbklecks hier und da, sondern durch ein dickes Seil, das auf dem Fels befestigt war. Daran ging man eben immer entlang. Da hätte man auch unmöglich den Weg verlieren können, solange man nur seine Füße noch sehen konnte. Also, wie ihr seht, war der Kinabalu schon 1990 sehr „entwickelt“.
Letztlich erreichten wir den Gipfel und harrten hier auf den Sonnenaufgang:
Bald begann es auch zu dämmern...
... und wenig später war die Sonne da:
Weit schweifte der Blick nach Osten über das Innere von Borneo:
Mehr im Vordergrund aber zeigte sich die Gipfelregion in ihren ganzen kahlen Felsigkeit:
Ich fühlte mich tatsächlich an das Tote Gebirge erinnert.
Die meisten Wanderer stiegen nun wieder ab:
Vom Gipfel aus verfolgte ich sie mit den Augen, wie sie – immer an dem schon erwähnten Orientierungs-Seil entlang – die kahle Hochfläche querten, um zum „Einstiegspunkt“ für den Rückweg zur Hütte und weiter ins Tal zu gelangen:
Ihr erseht aus diesen Bildern erstens, wie eintönig das Plateau unterhalb des Gipfels ist. „Featureless“ ist das englische Wort, zu dem mir nicht gleich ein genau passendes Pendant auf Deutsch einfällt; es gibt keine markanten Felsen oder dergl. an denen man sich orientieren könnte. Wenn Nebel einfällt – und das kommt durchaus häufig vor – dann wäre man ohne dieses Seil schon in erheblicher Gefahr, sich zu verirren; denn bei richtig dickem Nebel hilft dir ein Farbklecks alle 50m auch nicht viel.
Zweitens erseht ihr, daß ich mich den Rückkehrern eben nicht anschloß. Vielmehr hatte ich die Besteigung als Drei-Tages-Tour gebucht. So verbrachte ich noch den ganzen Vormittag mit meinem Führer in der Gipfelregion, die keineswegs nur ein langweiliges Plateau ist, sondern so aussieht:
Die markante Felsnase in der Bildmitte (hat hier jemand „Pinocchio“ gesagt?) war auch schon fünf Bilder weiter oben in diesem Bericht zu sehen. Die Oberflächenformen zeigen auch dem geologische Laien, daß diese Gipfelregion in der Eiszeit vergletschert gewesen sein muß.
Tja, und hier waren wir auf einmal allein. Alle anderen waren zurück gegangen. Ich konnte (und kann auch bis heute) darüber nur den Kopf schütteln; ich kann das nicht verstehen. Nun ist man schon einmal Tausende von Kilometern gereist, um hierher zu kommen, und dann will man nicht das Beste daraus machen, sondern nur rasch wieder weg, als ob das Ganze nur eine lästige Pflichtübung wäre, die man schnellstmöglich hinter sich bringen will?? Oder will man vielleicht das Geld für den Extra-Tag sparen?? Natürlich kostet ein Extra-Tag Nationalpark-Gebühr, Führerlohn und eine Extra-Nacht auf der Hütte, aber kommt es jetzt auf diese paar Dollar noch an??
Wir genossen die herrliche Stille. Insekten summten, und es war so leise, daß man eine Biene aus 20m Entfernung summen hören konnte. Auch ein paar Vögel flogen hin und her und zwitscherten ab und an. In Felsritzen oder hin und wieder auch auf kleineren Flächen wuchsen Pflanzen, z. B. Zwergformen von Rhododendren mit wunderbaren roten Blüten:
Und dann diese tolle Felslandschaft:
Ich sagte ja schon im Titel dieses kleinen Berichts: Fujiyama trifft Totes Gebirge. „Tot“ kann man auf die weitgehende Abwesenheit von Vegetation beziehen, aber auch auf die weitgehende Abwesenheit lärmender Menschen.
Ihr seht: der Kinabalu ist nicht nur einfach ein Gipfel mit Abhängen rundherum; er ist vielmehr eine Gebirgslandschaft für sich selbst, mit einer großen Zahl von Nebengipfeln und Felshörnern verschiedener Charakteristik. Manche davon sind wohl etwas schwer zu erklimmen...:
... aber für andere braucht man nicht mehr als Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, die Hände und ein bißchen Mut.
So kraxelten wir denn den ganzen Vormittag dort oben herum; nicht, um einen ganz bestimmten Nebengipfel zu bezwingen oder sonstigen Punkt zu erreichen; nein: „einfach so“: mal hier hinauf, mal dort hinauf, ziellos, immer der Nase nach, einfach nur aus Spaß an der Freud’, wie man so schön sagt. Immer wieder setzten wir uns auch einfach nur in die Sonne, genossen die Aussicht, genossen das Summen der Insekten und das Zwitschern der Vögel, machten wohl auch das eine oder andere Mini-Nickerchen. Es war einer der herrlichsten und unvergeßlichsten Berg-Tage meines Lebens. All die Wanderer („Dummköpfe“ bin ich fast versucht, zu sagen), die sofort wieder abgestiegen sind, die wissen gar nicht, was sie versäumt haben.
Um die Mittagszeit herum kehrten aber auch wir wieder zur Hütte zurück. Ihr erinnert euch an die Sache mit den Nachmittagsregen. Wir müssen die Hütte wohl etwa um zwei Uhr nachmittags wieder erreicht haben; wenn man ab drei Uhr morgens unterwegs gewesen war, dann macht das elf Stunden, und damit kann man es ja auch genug sein lassen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Oder?
Abstieg und Blick zurück
Vom Abstieg zurück zur Straße am folgenden (also für mich dritten) Tag gibt es nicht viel zu erzählen. Ihr könnt euch die obigen Fotos „im Rückwärtsgang“ angucken. Von unten schaute ich noch einmal hinauf auf diesen herrlichen Berg:
Es war eine unglaublich tolle Tour gewesen, die mir auch 26 Jahre später noch in bleibender Erinnerung ist, wie ihr seht.
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