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Land: Österreich, Zillertaler Alpen
Reisezeit: 21.-28. August 2016
Region/Kontinent: Mitteleuropa
Wie wohl ist dem, der dann und wann
Sich etwas Wandern leisten kann!
(Wilhelm Busch zugeschrieben)
Es gibt auch weniger zeitaufwändige Hobbys. Muss ich denn unbedingt in die Berge? Meine Freundin jedenfalls fand die Idee, meine angehäuften Überstunden abseits der Schulferien – also ohne sie – en bloc im Zillertal abzufeiern, zuerst gar nicht so überzeugend. Aber ich schaffte es, sie zu beruhigen und mir auf der Arbeit zwei Wochen frei zu schaufeln. Mit meinem Vorhaben stieß ich dabei besonders bei meinem Chef auf offene Ohren: „Das Zillertal? Da war ich auch, damals, als Student – das war in den Siebzigern. Das war ein tolles Erlebnis! Mensch, ich beneide Sie! Gibt’s da nicht diese ... diese Berliner Hütte oder so?“
Es gab. Und er sein OK.
Also konnte nichts mehr schief gehen. Meine Freundin lieh sich für die zwei Wochen einen Hund als Ersatz für mich aus (was immer mir das auch sagen sollte) und seufzte: „Viel Spaß. Ruf wenigstens mal an!“
Ich nickte schuldbewusst und fuhr los.
Anfahrten von Oldenburg in die Alpen sind erfahrungsgemäß eher zeitaufwändig. Da ich ohnehin erst mittags startete, blieb mir am Ende des Tages nur noch, mein Auto in der Nähe von Nürnberg zu parken und es mir hinten auf dem klappbaren Bett gemütlich zu machen. Immerhin konnte ich mich noch etwas mit dem mitgebrachten Bier unterhalten, so dass mir das Einschlafen leicht fiel. Trotz kleinerer Konstruktionsmängelchen der selbstgebastelten Ausstattung bewährte sich der neue Caddy als Wohnmobil light: Ich wachte erst um acht Uhr auf.
München zu umfahren glich an diesem Morgen gefühlt dem Zeitaufwand der Gesamtanfahrt. Mayrhofen erreichte ich daher erst am Nachmittag gegen halb vier. Mir gefiel zwar das Zillertal, doch Mayrhofen selber ließ mich nicht gerade frohlocken; aber so ist es halt mit den auf Skitourismus gepolten Touristenmagneten. Nachteilig wirkte sich auch aus, dass ich an einem Sonntag Nachmittag eintraf, denn daraus ergab sich ein handfestes Problem: Niemand konnte mir sagen, wo ich mein Auto für eine Woche abstellen durfte. Im Netz hatte einen Monat zuvor noch auf der Tourismusverbundseite gestanden: Stellen Sie sich auf den Parkplatz Mitte, die Berechtigung gibt’s dann an der Tankstelle um die Ecke.
Denkste.
Parkplatz: Eine Schottergrube, halb von Baufahrzeugen verstellt, eine Stunde Parken kostet ein Höllengeld. Tanke: Mittlerweile eine Betonruine, wird bald abgerissen. Touristinfo: Geschlossen. Bahnhofsvorsteher: In meiner Not nachgefragt, fand ich ihn bierselig am Kiosk, aber sehr freundlich – und ahnungslos. Schließlich: Ahornbahn. Da wusste tatsächlich das Mädel hinterm Schalter, wo ich hinmusste: Die Straße weiter hoch, dann das Auto auf den letzten Parkplatz stellen (dorthin, wo ich den Geotag meines Berichts gesetzt habe). Die Berechtigung gibt’s dann bei der Frittenschmiede (!) am oberen Ende. Muss man wissen. Ich tat wie mir geheißen und atmete auf: Für 10 Tage gab es den Berechtigungsschein für schlappe 7,50 €. Puh!
Das Abendbierchen war danach übrigens mindestens ebenso unterhaltsam wie das am Vorabend.
Mein Aufstieg begann gegen halb neun. Ein tiefer Blick ins Glas ... nein, in die Karte hatte mir suggeriert, dass die An- und Abstiege der Berliner Runde gegen den Uhrzeigersinn einfacher bzw. weniger anspruchsvoll sein könnten. Daher schulterte ich nun den Ranzen und zog los, um erst einmal den Fußweg nach Finkenberg zu suchen. Ein paar Versuche später stapfte ich langsam den schmalen Pfad zwischen Häusern hinauf, die sich den Hang hinab bis zum Tuxbach zogen und mich schließlich keuchend bis zur Teufelsbrücke brachten. Was mich deprimierte, war ein Holländer meines Alters, der locker-leicht mehrfach an mir vorüber gelaufen war und der offenbar gar nicht ins Schwitzen kam. Mir dagegen rann der Schweiß in hellen Strömen herab und ich merkte einmal mehr, dass ich Berge einfach nicht gewohnt bin.
Ein bißchen Mayrhofen
Den Einstieg in den Hermann-Hecht-Weg fand ich schnell und folgte nach einem kleinen Frühstück einer jungen Familie durch den feuchten, kühlen Wald hinauf. Es war diesig, überall lief Wasser den Pfad hinab und ich musste mich erst einmal wieder daran gewöhnen, steinige und steile Wanderwege hinaufzusteigen. Aber das ging ganz gut, nur war ich konditionell eher schwach auf der Brust und bekam alsbald einen höllischen Durst. Hinzu kam die Höhe – da ich das Jahr über auf knapp 30 m NN lebe, machen sich Höhen über 1000 m schnell bemerkbar. Leichte Kopfschmerzen stellen sich ein und ich schlafe die erste Nacht unruhig. Da frage ich mich schon mal: Warum gehen wir überhaupt hinaus und wandern?
Ich mühte mich also diesen vergleichsweise läppischen Hang hinauf und hing den Gedanken nach. Was machen unsere Touren mit uns? Wen treffen wir draußen? Und wie erleben diese anderen, was wir tun? Der innere Antrieb, sich zu bewegen, hinaus zu gehen und tatsächlich wider jede Logik auf gigantische Steinhaufen zu klettern, nur weil sie da sind ... ich bin mir manchmal selber ein Rätsel. Gut nur, dass ich dabei auf den Hütten in zahlreicher Gesellschaft bin, auch wenn die männlichen Anteile nachts gerne lautstark beschnarchen, dass sie schlafend anwesend sind.
In der Gamshütte
Der erste Eindruck war sehr schön. Eine kleine, hübsche Hütte, hoch über dem Tal gelegen, mit herrlichem Panoramablick und einer gemütlichen Gaststube. Ich trat ein, grüßte freundlich und fragte, ob ich ein Matratzenlager haben könnte. Die junge Bedienung schien darüber nicht gerade erfreut und führte mich zur Küche, wo die resolute Wirtin mich in ihre Liste eintrug und eine Matratze im Winterlager zusagte. „Aber das dauert noch, gell? Da kannst du jetzt noch nicht rein. Und wenn du bleibst, zieh dir die Stiefel aus. Kannst sie ja in den Flur stellen.“
Klare Ansage, alles gut. Ich setzte mich also in Schlappen in die Gaststube und orderte erschöpft ein Bier. Als die junge Bedienung hörte, dass ich noch nichts zu Essen wollte, zog sie sauertöpfisch ab und stellte mir kurz darauf kurz angebunden ein Bier hin. „Da, bitte.“
Ich schlug die Zeit tot; las, schrieb, trank noch ein Bier. Dann wurde ich müde – und es ging nun auf drei Uhr zu. Mir brummte auch der Kopf leicht, was ich auf die für mich ungewohnte Höhe und das Bier zurückführte. Also stand ich auf und fragte, ob es möglich sei, mich schon einmal kurz hinzulegen, ich sei doch recht erschöpft ...?
Die Wirtin seufzte und schloss mir das Winterlager auf. Es mag etwas empfindlich klingen, aber ich hatte das Gefühl, den Leuten irgendwie zur Last zu fallen, obwohl ich das ja gar nicht wollte. So sank ich benommen in den Schlafsack und nahm etwas Ruhe wahr, die mich tatsächlich wieder gut nach vorne brachte. Dazu trug auch hinterher die eiskalte Panorama-Dusche bei, die draußen hinter der Hütte im Freien stand und mich schlagartig wieder wach machte. Ein freundlicher Mitwanderer mit Hannover-Marathon-Shirt schlenderte herbei und grinste: „Bei den Wassertemperaturen? Hut ab!“ Aber mir war gerade zu kalt, um etwas sagen zu können ... huah.
Nach und nach trafen nun die Gäste ein – darunter auch eine Gruppe von vier Jungs, schätzungsweise Studenten, ein sympathischer junger Typ um die Dreißig namens Robert, eine Raucherin Mitte fünfzig mit tiefbraunem Teint und einem deutlich jüngeren, schwarz gelockten „Schatz“, der wenig sagte, aber immer grinste, wenn sie etwas erzählte, dazu ein Pärchen um die vierzig (er bleich und mit Brasilien-Kopftuch, sie stets makellos geschminkt und mit ellenlangen, dick belegten Wimpern) sowie ein agiler, fitter Kerl um die fünfzig, der zu viel und zu gerne redete. Ich setzte mich zum Abendessen neben ihn und bereute das sofort. Der Kerl redete wie ein Wasserfall:
„Na, und wie bist du unterwegs? Ach, ich weiß nicht, ich laufe morgen vielleicht gleich durch zur Olperer Hütte, die soll ja sehr schön sein. Nein, mir geht es nicht darum, auf den Hütten zu hocken – und Gipfel interessieren mich nicht. Ich bin hier, um zu wandern, ich mag es einfach, zu laufen. Ich reserviere ja auch nie, dann kann ich flexibel sein. Als AV-Mitglied dürfen die dich sowieso nicht abweisen, das steht in der Satzung. Ich krieg also immer was, zur Not tut’s auch die Bank im Schankraum ...“ Und so weiter.
Als ich zwischendurch entnervt zu Robert hinübersah, fing ich einen mitleidigen Blick von diesem auf. Und obwohl ich brav etwas zum Abendessen orderte, lächelte die junge Bedienung nicht ein einziges Mal. Selbst Robert, der ein entwaffnendes Lächeln und einen ganz natürlichen Charme hatte (wie sich später bei diversen jungen Hüttenbedienungsfachangestelltinnen zeigte), lockte sie nicht aus der Reserve ...
Als wir uns am nächsten Abend im Friesenberghaus darüber unterhielten, sagte auch der Marathon-Shirt-Mann: „Die war ja ganz schräg. Also, wohlgefühlt haben wir uns da nicht so recht ...“
Robert und ich stimmten ihm zu. „Schon erstaunlich!“ sagte Robert. „Die hat nicht einmal gelächelt. Als ob ich nicht genug bestellt hätte ...“
Da musste ich lachen. „Gut, dass nicht nur mir das so ging!“
Gamshütte von oben: Abmarsch!
Der erste Morgen sah mich früh losmarschieren. Die Wolken vom Vortag hatten sich verzogen, der Himmel strahlte blau und die Aussicht war jetzt schon bemerkenswert. Dagegen zog sich der Weg im Lauf des Tages ganz schön in die Länge; dass es den halben Sommer über geregnet hatte, merkte man auch daran, dass die Berge vor Wasser nur so überquollen, was das Stapfen durch Matsch und klebrigen Lehm zum schwierigsten Teil des Tages machte.
Trotzdem genoss ich den Tag. Zwar überholten mich zwei athletische, schmale und hochgewachsenen junge Ösis mit einem Affenzahn, aber die sahen auch so aus, als ob sie sich zum Aufwärmen mal eben so den Olperer genehmigten. Ich genehmigte mit Wasser aus den zahlreichen Rinnsalen, setzte mich ins Gras, ließ andere vorüberziehen und suchte meinen Rhythmus. Ich konnte auch mein Glück kaum fassen – in den letzten Wochen war das Wetter immer nur durchwachsen gewesen, und nun sollten mindestens vier perfekte, warme Tage folgen ... und es wurden sechs perfekte Tage!
Das geht man dann en bloc, sozusagen ...
Am Beginn des Aufstiegs durch die Rifflerrinnen traf ich mal wieder auf die vier Jungs. Einen von ihnen hatte das klassische Schicksal ereilt: Sohle ab. „Die Stiefel sind noch gar nicht so alt, höchstens sieben Jahre!“ sagte er, während zwei seiner Kumpels das Ding mit Leukoplast zu fixieren suchten. BW-Stiefel, stellte ich fest. Offenbar kaum getragen in den letzten Jahren, sonst wär’s wohl nicht so schnell passiert.
Hilfe bräuchten sie keine, vielen Dank, sagten die vier, also stieg ich alleine durch das endlose Blockwerk hinauf zum Wesendlkarsee, der kühl und still unterhalb des Hohen Rifflers lag. Ein Pärchen packte gerade seine Biwak-Sachen und brach auf, meine Füße freuten sich am klaren Wasser, die Sonne wärmte mir den Pelz ... herrlich. Die restlichen zwanzig Minuten zum Friesenberghaus waren anschließend nur noch Zugabe.
Wat'n Panorama!
Endlich in Sicht: Das Friesenberghaus
Im Friesenberghaus
Als ich so entspannt bei meinem Bier in der Sonne saß und kurz in mein Tagebuch eintrug, was so passiert war („Gewandert. Schöne Berge.“), fragten zwei drahtige, durchtrainierte Österreicher, ob sie und ihre ca. 10jährigen Töchter sich zu mir setzten dürften. Klar, gerne! Wir unterhielten uns kurz woher und wohin, dann tranken die vier etwas und planten den nächsten Tag mit einem Aufstieg über die Friesenbergscharte.
Die jüngere der beiden Mädels beobachtete kritisch, wie ich noch kurz die Ausgaben des Tages notierte und fragte dann: „Schreibst du alles auf?“
„Natürlich, sonst vergesse ich doch alles wieder.“
„Das macht Papi auch.“
Papi lachte und schlug vor, dass er und der andere Papi noch „einmal kurz“ hoch aufs Petersköpfle laufen würden. „Ihr kommt’s klar?“ fragte er dann die beiden Mädchen.
Schnippische Antwort: „Klar, warum?“
Als die Väter dann fort waren, hockten sich die beiden kleinen Blondinen vor mir zusammen auf die Bank und unterhielten sich in gebührendem Ernst darüber, wie gut der Jüngeren die Jacke ihrer Mutter passte und dass sie ihr auch farblich ausgezeichnet stünde. Schließlich schwiegen beide kurz und die etwas ältere sagte dann seufzend: „Jetzt sind die beiden weg. Wer weiß, was die jetzt machen. Du, weißt du was? Wir sollten besser auf unsere Männer achten.“
Die andere nickte und erwiderte todernst: „Stimmt. Ab jetzt gibt’s keine Alleingänge mehr.“
Mir fiel fast der Kuli aus der Hand.
Geh' ich ihn oder geh' ich nicht?
Spät abends, als das Abendessen bereits durch war, traf noch ein älteres Ehepaar ein, das auch am Morgen von der Gamshütte aufgebrochen war. Beide waren völlig erledigt, bewahrten jedoch bewundernswert Haltung. Aber auch ich war definitiv nicht fit. Meine Oberschenkel schmerzten und mir machte noch etwas die ungewohnte Höhe zu schaffen, daher beschloss ich, die nächste Etappe etwas abzukürzen und direkt hinunter zum Schlegeis-Speicher zu gehen. Bevor ich also am nächsten Morgen abstieg, trat ich noch einmal kurz auf die Terrasse und genoss die ersten Sonnenstrahlen. Das ältere Ehepaar vom Vorabend saß nun entspannt auf einer Bank und unterhielt sich mit der Raucherin und ihrem Partner. Als mich der ältere Herr sah, grüßte er freundlich und rief: „Na, geht’s los?“
„Ja, ich steig heut ab zum See und lass die Olperer Hütte aus. Und ihr?“
„Naa, mir gehen scho weiter. Aber heut nur noch zur Olperer, des langt uns für heut’.“
Die Raucherin sah mich an und fragte: „Gehst du den Berliner Höhenweg?“
Ich nickte. „Ja, ihr auch?“
„Ja. Aber wenn du die Olperer auslässt, ist es nicht mehr der richtige Berliner Höhenweg. Der geht da nämlich lang.“
„Mag sein, aber meine Beine sagen mir, dass das so besser ist.“
„Aber wenn du dann wieder zu Hause bist, kannst du nicht mehr sagen, dass du den Berliner Höhenweg gegangen bist“, grinste sie triumphierend. „Kannste zwar behaupten, aber du weißt dann immer, dass das eigentlich gar nicht stimmt.“
Ich schwieg kurz verwirrt. Was wollte die von mir? „Ist mir egal, ich geh’ die letzte Etappe wahrscheinlich eh nicht – je nach Wetter und Kondition.“
„Wir auch nicht.“
„Dann geht ihr den Höhenweg ja auch nicht richtig, oder?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Erzählen werden wir’s aber trotzdem.“ Ihr lockiger Partner grinste mich hämisch an, während die ältere Dame irritiert dreinblickte.
„Tja, dann tut das mal“, sagte ich lahm und wünschte den beiden Älteren alles Gute und einen schönen Weg. Aber als ich dann den Weg ins Tal einschlug, verfolgte mich das Grinsen der Raucherin – was mich ziemlich wütend machte. Vermutlich hatte ich aber nur ihren Witz nicht verstanden.
Ich bereute den Abstieg nicht. Der Weg hinab zum Schlegeis-Speicher war angenehm zu gehen und kaum steil, so dass mir auch zahlreiche ältere und oft auch mir Sandalen bewehrte Tagesausflügler entgegen kamen. Auch hier waren die Wege oftmals matschig und überflutet, was hier und da etwas glitschig wurde. Da half dann irgendwann auch die beste Sohle nicht mehr – was ständig wieder vollgestollt mit Dreck ist, greift schlicht nicht mehr.
Aber das Wetter war herrlich und sonnig. Ich genoss es, so entspannt hinabzusteigen, den Speicher vor Augen, die Kühe um mich und alle Zeit der Welt noch vor mir. Meine Beine dankten es mir und so erreichte ich recht früh die Dominikus-Hütte und den betonierten und touristisch voll erschlossenen Rand des Stausees, in dessen Mauer sogar ein Klettersteig integriert wurde. Zwischen Hundehaltern, Touristenautos und älteren Herrschaften stiefelte ich also schnell bis zum Zamsgatterl weiter und dann scheinbar endlos am westlichen Rand des Wassers entlang bis zur hintersten Spitze des Sees. Die Sonne brannte bereits herab, als es Mittag wurde, so dass ich mich für etwa zwanzig Minuten in den Schatten der letzten Latschen im Talgrund legte und kurz döste. Ein älterer Herr kam in Begleitung eines blassen, ausgemergelten jungen Kerls daher, der mit gesenkter Stimme in ein Funkgerät sprach: „Wir sind jetzt fast am Ende angekommen und suchen gleich noch ein paar Steine. Dann gehen wir wieder zurück.“
Schließlich überquerte ich hinter dem See-Ende das von Betonröhren überwölbte Flussbett und ging langsam den flach ansteigenden Weg hinauf in das schmaler werdende und hinten jäh ansteigende Tal hinein, auf die glattgeschliffenen, ehemalig vom Gletscher überwölbten Felsen zu, die hoch oben von Wasserläufen überzogen in der Sonne glänzten. Am Wegweiser zum Furtschaglhaus rastete und aß ich noch etwas, sah den Kühen beim Weiden zu, dann begann ich den steilen, heißen Weg in der prallen Mittagssonne.
Das Furtschaglhaus
Nach einem schweißtreibenden, aber schönen Anstieg traf ich endlich am Furtschaglhaus ein. Es war halb zwei, also noch recht früh am Tag, daher dachte ich, es sei sicherlich kein Problem, dass ich ohne Reservierung aufkreuzte. Vor mir konnten noch nicht so viele Gäste sein, die unerwartet nach einem Lager fragten, aber ich musste mich noch etwas gedulden, denn der Chef sei erst um zwei wieder da, sagte mir die nette Wirtin.
Kurz darauf kamen Robert und zwei der Jungs heraufgestiefelt und begrüßten mich kurz. Mir war die Sonne zu heftig, die voll auf die Terrasse knallte, daher setzte ich mich in die Gaststube. Der „Chef“ setzte sich dann auch gegen zwei in sein „Büro“, was aus dem vordersten Tisch der Stube gebildet wurde. Er checkte Robert und die zwei Jungs ein, dann war ich dran.
Meinen Namen schrieb er auf einen separaten Zettel, gab mir die Karte zurück und sagte dann ruhig, aber direkt: „Ich hab nichts mehr frei. Alles voll. Komm um neun wieder, dann weiß ich, ob ich noch was für dich habe. Der Nächste!“
Ich ging wie vor den Kopf gestoßen hinaus, setzte mich kurz in die Sonne, wovon direkt meine Augen tränten. Die junge Frau, die das Essen rausbrachte, trat kurz auf die Terrasse, kniff die Augen zusammen und sagte: „Naaa, da geh’ i nimmer raus!“ und drehte sofort wieder um.
Bis neun Uhr warten! Ich beschloss, trotzdem sofort zu duschen und meine Klamotten zu waschen, warum auch nicht? Im Flur stieß ich mit einem der beiden Jungs zusammen, der verstört den Kopf schüttelte und sich an die Stirn tippte: „Hä? Sag mal, der Alte redet auch nur, wenn er einen Euro pro Wort bekommt, oder? Ich frag ihn was und er sagt bloß: Ja.“ Das brachte mich wieder zum Lachen und wir stellten uns einander offiziell vor. Er hieß Johannes und die vier waren eine lockere Gruppe, die zum ersten Mal gemeinsam etwas größeres unternahm. Drei (Johannes, Markus und Leo) kannten sich vom Bund, der vierte, Christian, dem die Sohle abhanden gekommen war, war ein ehemaliger Kommilitone von Leo und erstmals in der Runde dabei.
Nach dem Säubern setzte ich mich zu Johannes und Leo und verbrachte einen netten Nachmittag mit ihnen. Bereits eine halbe Stunde später kamen die restlichen zwei bereits an – Christian mit schönen roten Lowa-Stiefeln, die „fast noch besser als die alten“ waren und auch farblich zu den Stöcken und dem Rucksack passten, wie er schmunzelnd gestand. Sie waren am Morgen schnell vom Friesenberghaus abgestiegen, hatten den ersten Bus nach Mayrhofen genommen, vier Geschäfte abgeklappert und die Stiefel dann sogar im Sonderangebot geschossen. Dann wieder mit dem Bus zum Schlegeisspeicher und haste-was-kannste hinauf zur Hütte. Schließlich gesellte sich Robert noch zu uns und damit waren wir eine sehr angenehme, lustige Runde.
Sonnenuntergang frei Haus
Was uns alle irritierte, war dann die Ansage: „Alle Gäste mit Halbpension bitte zum Abendessen in den Nebenraum.“ Robert und die zwei von den Jungs, die Halbpension genommen hatten, blieben jedoch sitzen, während viele aufstanden und hinübergingen. Ab Viertel vor sechs begannen die Wirtsleute dann, den Halbpensionären die Vorspeise zu kredenzen, danach nahm eines der beiden Mädchen schnell noch die á la carte Bestellung der Übrigen auf. Es folgte für die Halbpensionäre der Hauptgang und schließlich die Nachspeise – und als das vorbei war, etwas über eine Stunde nach unserer Bestellung, bekamen dann auch die ersten „einfachen“ Gäste ihr Bergsteigeressen.
Etwas Unmut machte sich da schon breit, da das Ganze wie eine Zwei-Klassen-Gesellschaft wirkte: Wer mehr bezahlt, bekommt zuerst. So war das vermutlich nicht gemeint, sondern sicherlich ganz handfesten Gegebenheiten in der Küche geschuldet, aber positiv für die Stimmung war das System spürbar auch an anderen Tischen nicht gerade. Ohnehin fand ich den Trend zur hotelartigen Halbpension etwas befremdlich, aber nun – die Hüttenwirte müssen ja auch sehen, wo sie bleiben.
Die anderen gingen früh ins Bett, was ich eigentlich auch vorhatte. Aber: Es hieß noch warten. Gegen neun jedenfalls sprach ich noch einmal im „Büro“ vor und bekam nun endlich den Winterraum zugewiesen, der allerdings noch abgeschlossen war. Also geduldiges Warten, dann konnten wir restlichen Nicht-Reservierten endlich um viertel nach neun in den Raum, der dadurch nicht einmal voll wurde. Ich gebe zu, dass ich in diesem Moment nicht nur todmüde, sondern auch ziemlich verärgert war, denn die Jungs lagen zu diesem Zeitpunkt bereits eine Stunde im Bett – und ich hätte das auch gekonnt, wenn der Raum vorher offen gewesen wäre.
Hätte, hätte, Fahrradkette.
Aufbruch am Morgen: Ab auf den Dreitausender!
Am Schönbichler Horn
Es ging steil hinauf, das muss ich schon sagen. Morgens benötige ich immer einige Zeit, um in Tritt zu kommen, was auch hier der Fall war. Meine Beine waren in Ordnung, der etwas kürzere Tag hatte ihnen gut getan. Aber ich spürte deutlich, dass die Luft dünner wurde und ich schneller außer Atem kam. Markus erzählte mir am Gipfel, dass er dazu neigte, schneller und flacher zu atmen, was mir auch direkt passierte. Als ich merkte, wie sehr ich nach Luft schnappte, zwang ich mich nun, bewusst Schritt für Schritt tief und fest einzuatmen, was dann bald sehr gut klappte. Der Anstieß bestand aus grobem Schutt, was für den einen oder anderen Fluch sorgte, aber insgesamt war der Weg einfach und gut hinaufzugehen. Das Knirschen der Steine unter den Stiefeln begleitete uns, während die Ansteigenden hintereinander den Hang hinauf keuchten. Es war beinahe kühl, da die Sonne den Grat noch nicht überstiegen hatte, trotzdem floss der Schweiß in Strömen.
Endlich erreichten wir den oberen Bereich, der mit Seilen versichert war und aus größerem Blockwerk bestand, so dass es leichter fiel, als auf dem bodenlosen Schotter zu stapfen. Was für ein Schutthaufen! sagte ich mir insgeheim. Dein erster Dreitausender – und nichts als ein gigantischer Schutthaufen. Herrlich!
Hier machen wahrscheinlich viele ein (hübsches?) Foto, um anschaulich zu zeigen, wie schweißtreibend und steil der Anstieg ist
Dann erreichte ich gegen neun Uhr bereits die Schönbichler Scharte, ließ gemeinsam mit zwei reiferen Damen meinen Rucksack dort und hüpfte schnell hoch zum Gipfel. Das war ja fix gegangen!
Ein tolles Panorama belohnt den Aufstieg. Die Sonne stand noch niedrig, so dass die Gletscher am Großen Möseler ihr ganzes Relief enthüllten und weißblau im jungen Tageslicht vor uns lagen. Nach Norden hin erstreckte sich in weitem Rund ein sagenhaftes Panorama, das wir alle in Ruhe genossen. Gipfelfotos hier, Fotos dort ...
Christian und Markus auf dem Höhepunkt
Schöner Blick ins Waxeggkees mit der Rossruggspitze links
Schließlich stieg ich ab. Beim Rucksack angekommen, schulterte ich ihn und stieg direkt in die Rinne, die dort hinabführte, weil gleich daneben ein roter Punkt auf den Fels gemalt war. Zu spät merkte ich, dass ich auf dem falschen Weg war und der Punkt wohl nicht der Rinne galt. Der Schutt gab in diesem Moment unter mir nach, ich griff nach dem Rand der Rinne – der Stein brach aus, ich rutschte plötzlich mit einiger Geschwindigkeit hinab. Oha. Fersen tiefer in den feinen, fließenden Schutt – half nichts. Griffe links und rechts – die Steine brachen so weg. Immerhin wurde ich dadurch etwas langsamer, bis ich auf einem kleinen, bewachsenen Vorsprung etwas Halt fand, mich festkrallte und dann stehen blieb.
Durchatmen.
Hoch kommst du da nicht mehr so einfach, dachte ich, als ich versuchte, mich etwas durch den beinahe flüssigen, feinen Schutt hinaufzuarbeiten. Das dauert ewig! Nach unten sah die Rinne zwar lang und harmlos aus, aber ich konnte nicht erkennen, ob sie doch noch überhängt. Also drehte ich dem Berg den Bauch zu und begann behutsam, die bröckelige Angelegenheit hinabzuklettern.
Das war schwieriger als in der Halle, wo ich den sechsten Grad noch ganz gut schaffe. Aber hier war nichts verschraubt, hier war nichts solide und ohne Seil fühlte ich mich eher nackt. Also suchte ich langsam und in Ruhe Tritt für Tritt, fand schnell heraus, dass die Griffe auf Zug ausbrachen, auf geschickten Druck von oben oft aber ganz gut hielten. So kam ich tiefer und tiefer, hielt mich rechts am Rand der Rinne und stand schließlich neben einer kurzen Wand aus massivem, herrlichem Fels mit tollen Tritten und Griffen, die ich erleichtert nach rechts querte und dann schnell über festes Blockwerk wieder auf den Weg kletterte.
Erstaunt sahen mich die beiden Damen an, als ich da aus dem Nichts erschien und sie durch die Klettereinlage sogar überholt hatte. „Wo kommst du denn her?“
„Hab ’ne schlechte Abkürzung genommen ... war keine so gute Idee!“ erwiderte ich und eilte zu den vier Jungs, die nur wenig entfernt rasteten und mir mit Keksen und einem Schluck Wasser die wackligen Knie wieder stabilisierten.
So kam ich auch während der Wanderung zu einem kleinen Kletter-Training und der heilsamen Erkenntnis, dass man sich immer auf den Weg konzentrieren sollte, egal wie idiotensicher der zu sein scheint.
Hier wäre es runter gegangen und dann weiter unten immer den Grat entlang
Blick hinauf von weiter unten: Links im Hintergrund das Schönbichler Horn, rechts oben kommt man dann den Grat entlang und klettert (nicht mehr im Bild) dann herab
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