[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

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    • 16.08.2008
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    #21
    AW: [FI]Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

    10.01.2016 11,5 km

    Es ist Sonntag, und ich verschlafe. Ich habe wild von Abhängen geträumt. Als ich wach werde, ist es schon halb acht.
    In der Rekordzeit von 1,5 Stunden packe ich, aber ich bin ziemlich müde. Morgen soll es schneien. Ein Ruhetag wäre gut, aber den kann ich mir nicht leisten. Ein paar Bisse Brot. Mühsam steige ich den Abhang hinunter. Hier sieht wirklich alles gleich aus. Wären nicht meine Spuren im Schnee, ich würde die Ideallinie nicht mehr finden.

    Am Weg angekommen, sehe ich einen älteren Mann mit Trekkingstöcken aus Richtung Landstraße auf mich zukommen. Ob er gesehen hat, wo ich herkomme? Er grüßt und beginnt ein Gespräch, aber mein Finnisch ist gerade entfleucht. Wir radebrechen ein wenig auf Englisch, aber ich bin unkonzentriert. Meine linke Hand ist leer. Wo ist mein Trekkingstock?

    Als er außer Sichtweite ist, wühle ich mich wieder den Hang hinauf. Gut sichtbar steckt der Stock, wo ich ihn gestern platziert habe. Wieso habe ich ihn heute morgen nicht gesehen? Also wieder den Abhang herunter. Der nächste Wanderer kommt. Auch er grüßt. Eine kommunikative Gegend hier. Der erste Wanderer kommt zurück. Wieder ein paar Worte. Dann der Zweite. Und schon ist es 10.00 Uhr.












    Ich versuche Gas zu geben, aber so richtig komme ich nicht in Schwung. Der Belag nervt mich. Ich fotografiere ein bisschen herum.











    Endlich endet der grobe Schotter. Der Energieschub bleibt aus.





    Wieder sehen die Bäume märchenhaft aus.





    Ich mache am Wegesrand eine kleine Pause. So richtig LNT ist das nicht, was ich mache, aber wo soll man hier graben? Der Boden ist tief gefroren. Ich trinke eine halbe Kanne von meinem kostbaren Nass. Das Wasser in der normalen Thermos ist mittlerweile kalt.


    Bald darauf befinde ich mich an einer weitläufigen Fläche. Sie gefällt mir.








    Langsam geht die Sonne auf und der rötliche Schein spiegelt sich an den Bäumen.





    Noch einmal ein Blick zurück.





    Und dann geht die Sonne auf.





    Ich brauche etwas, um zu merken, dass die Sonne, die ich aufgehen sehe, nur eine Reflexion ist. Die wahre Sonne ist viel tiefer.








    Regungslos bleibe ich stehen und schaue zu.





    Und dann hat sie es endlich geschafft. Es ist, als würde ich plötzlich von ihr durchflutet. Wärme. Energie. Leben.





    Frohgemut laufe ich los und merke, dass ich plötzlich extrem lichtempfindlich bin. Habe ich zuwenig gegessen und getrunken? Gut möglich. Ein paar Meter weiter kreuzen sich Wege, in der Ferne hört man Menschen rufen. Hier hätte ich gestern übernachten sollen. Hier ist es schön.
    Mein Blick fällt auf einen Holzstapel. Er ist mir einer riesigen Plane überdeckt. Ein paar Holzstämme davor. Der ideale Rastplatz. Eine Moment überlege ich, ob die Plane vielleicht verseucht sein könnte, aber dann ist mir das völlig egal. Ein riesiges Reservoir sauberen Schnees. Ich muss ihn nur abstreifen. Innerhalb von Sekunden ist mein Behältnis voll.

    Ich drehe den Kocher auf und koche Schnellreis mit Salami, Nüssen, Suppe und Käse. Die Sonne ist hinter den Bäumen verschwunden. Ich hoffe, sie kommt bald wieder hervor. Ich koche Wasser und fülle die Thermoskannen auf. Das Wasser in der Thermos Light und Compact ist immer noch heiß, ich koche es dennoch auf. Von dem Wasser, das übrig ist, gönne ich mir einen heißen Kakao. Meine Batterien sind wieder voll. Hier habe ich bereits wieder zusammengepackt.





    Ich fröstele ein wenig, als ich den Rucksack aufziehe und hoffe auf die Sonne, muss aber feststellen, dass sie inzwischen von Wolken verdeckt wird.








    Es ist jetzt 12.20 Uhr. Ich bin spät dran.

    Eine Frau bleibt stehen, und wir tauschen belanglose Worte auf Englisch aus. Sie läuft los. Ihr Rucksack wippt auf ihren Schultern, und ich versuche zu folgen. Auf flacher Strecke geht das noch ganz gut, aber als es steiler wird, bekomme ich die Beine nicht mehr hoch. Zwei junge Männer kommen uns flink entgegen. Kein Gepäck.

    Ich gebe alles, aber ich habe keine Kraft mehr. Selbst meinen Armen fehlt der Saft. Was ist das? Ich habe doch genug gegessen. Getrunken habe ich auch. Ich mache einen kurzen inneren Check. Müdigkeit? Nein, ich bin absolut fit. Es fühlt sich an, als wäre ich steif? Ein Hexenschuss ist etwas anderes, aber ein wenig kommt es mir vor, als wäre ich verhext.

    Unter dem Vorwand, zu fotografieren, bleibe ich vor einem Hindernis stehen. Ein Blick zurück zur Sonne, die Männer schauen von unten herauf und der in der grünen Jacke gestikuliert wild und redet über mich. Ich kann das sehen. Der andere zuckt die Schultern. Ich bin mir sicher, sie werden wieder kommen. Und dann gibt es eine Predigt, wollen wir wetten? Manche Leute sind so unentspannt. Ein Blödmann, denke ich.





    Vor mir ist der Himmel noch blau. Aber rechts von mir färbt sich der Himmel bereits grau. Die Kamera filtert noch Farbelemente heraus. Für das Auge sind sie nicht zu sehen.








    Wieder ein paar Schritte. Und plötzlich fällt mir etwas ein. Der Bauer. In seinen Knochen spürt er, wenn das Wetter wechselt. Oder der alte Seemann, den sein Holzbein warnt. Das ist die Erklärung: Das Wetter schlägt um. Es ist wärmer geworden. Mein Thermometer zeigt nur noch knapp – 7 Grad. Die Feuchtigkeit nimmt zu. Ich fluche über das Alter. Mit zwanzig lacht man da nur.

    Ich kämpfe mich weiter den Abhang hoch und versuche einen agilen Eindruck zu machen. Porsche bewege ich seit gestern elegant, ich weiß genau, wo er durchpasst und was ihn umwirft. Er ist kein Problem. Das Problem bin ich. Daher verschätze ich mich jetzt doch zwei oder dreimal und Steine werfen ihn um. Mir fehlt die Kraft, ihn zu halten. Mein Tagesrucksack wird ein paar böse Löcher davontragen. Auf den Fotos sieht das hier flach und einfach aus, aber die ganze Umgebung besteht aus Felsen. Die Gräser an den Rändern täuschen, es gibt keinen Waldboden, sondern nur bewachsenen Stein. An einigen Stellen muss ich Porsche tragen, weil der Weg zu schmal ist. Baumstämme sind zu überwinden. Man braucht auch ohne Wagen Geschick, um durchzukommen. Festgehalten habe ich das nicht. Wenn es schwierig wird, fotografiere ich nicht.

    Eine Steingruppe gefällt mir, und ich bleibe stehen, obwohl ich eigentlich Gas geben wollte, um den Herren zu entgehen.





    Mein Instinkt hat mich nicht getrogen. Sie sind kurz hinter mir und überholen jetzt. Und ich hatte Recht. Der eifrige Typ sucht ein Gespräch. Erst redet er Finnisch. Als ich „English please“ sage, schaltet er auf Englisch um. Mit diesem Wagen käme ich nicht weiter. Er kennt sich hier aus. Das Gelände ist viel zu schwierig.
    Ich warte geduldig, was er zu sagen hat. Der andere Mann guckt mit einem leichten Grinsen in die Ferne. Ich solle umkehren, erfahre ich. Durch den Kangenmiekka NP käme ich mit dem Wagen nicht durch. Ich kenne das englische Wort für die Holzwege nicht und sage „Bohlen“. Er nickt, Planks. Gleich kommen auch welche. Er wirkt besorgt. Alleine könnte ich das natürlich schon, sagt er plötzlich, und bemüht sich etwas freundlicher zu sein. Nur mit dem Wagen nicht. Er weiß nicht, dass ich Schwierigkeiten vorausgesehen habe: Der Wagen ist klappbar und kann am Rucksack befestigt werden. Der Tagesrucksack käme dann vorne vor den Körper. Kalkuliert war, dass auf der Mitte der Strecke ein Teil des Essens gegessen ist und auch weniger Benzin im Rucksack ist. Gäbe es mehr Schnee, wäre auch der Wasservorrat leichter.

    „Ich bin in Raisio gestartet,“ sage ich unvermittelt. „Dies ist der dritte Tag, zwei Übernachtungen im Zelt.“ Einen Moment sagt er gar nichts, sein Blick geht in die Ferne. Anscheinend geht er im Geist die Wegführung durch. Der andere Typ grinst nun breiter und schaut ihn neugierig an. Er wohne hier nur 3 km entfernt und wäre auf diesen Wegen ständig unterwegs, versucht er die Deutungshoheit zurückzuerlangen. Er kenne hier jeden Fleck.
    Ich beschließe, die Strategie zu wechseln und seinen Standortvorteil zu nutzen. Ich zeige ihm auf der Karte das Symbol des Busses am Eingang des Kangenmiekka Nationalparks. An dieser Stelle hätte ich nämlich die Möglichkeit des Ausstiegs, danach für zwei Tage nicht mehr. Gibt es diesen Bus überhaupt? Ja, den gibt es. Eifrig beugt er sich über die Karte und zeigt mir eine Abkürzung durch einen Ort. Hier gibt es ebenfalls eine Bushaltestelle. Wieso diesen Umweg hier durch schwieriges Gelände gehen und dann noch die Landstraße entlang entlang laufen. Das sind insgesamt 5 km, da hat er natürlich Recht. Vor allem die 1,8 km lange Schleife an der Landstraße kann man sich eigentlich ersparen. Das ist verlorene Zeit. Immerhin ist es schon spät.

    Ich werde konkret: Mein Problem ist nicht die Strecke. Mein Problem ist das Wetter. Morgen solle es schneien. Ob er etwas darüber wisse. Er schaut verblüfft. Nein, davon weiß er nichts. Und fährt der Bus auch am sonntags? Er stutzt und sagt dann selbstüberzeugt: „Ja. Das tut er“. So etwas ist immer der heikelste Teil, die meisten Leute wissen das in Wirklichkeit nicht. Bis in die Abendstunden? „Aber sicher“. Das kann gar nicht anders sein. Ich lasse mir noch einmal die Abkürzung auf der Karte zeigen. Noch habe ich nichts entschieden. Aber es ist gut, Bescheid zu wissen. Versöhnlich verabschieden wir uns.





    Der Himmel ist grau geworden. Unsicherheit schleicht sich in meine Gefühle ein. Das Gespräch zeigt Wirkung. Falls die Strecke wirklich schwieriger wird, ist ein Wintereinbruch nicht zu unterschätzen. Auf mein Zeltchen verlassen kann ich mich nicht. Das macht Abwettern schwierig. Dabei habe ich schon 30 km von 70 km hinter mir. Da hört man nicht einfach auf. Aber irgendetwas gefällt mir hier nicht. Dass es nicht mehr so weit ist, ist kein Argument. Ich packe die Kamera weg. Leichter wird das Gelände nun nicht. Im Gegenteil. Immer wieder bleibe ich kurz stehen und stelle mir frische Schneefälle vor, welche die Steine und Wurzeln verdecken. Ideal wäre das nicht.

    Eine Lichtung mit einem Feuerplatz taucht auf. Noch heute morgen wäre ich hier fröhlich herumgehüpft. Jetzt ist meine Stimmung gedämpft. Die Bäume wirken fast schwarz-weiß. Nur am Horizont leuchtet noch ein unnatürlicher, rosiger Schein.





    Das Essen hat Durst gemacht, und ich leere die dünnwandigere Thermos. Das Wasser ist sehr heiß. Nachdenklich schaue ich die Umgebung an.





    Der Schnee hat sich durch die Wärme verändert. Ich versuche, die Eiskristalle zu fotografieren, aber so zackig, wie gestern, sind sie nicht mehr.








    Ich sehe mir noch einmal die Karte an und überdenke meine Optionen. Schneit es ausgiebig, kann es sein, dass ich den Weg nicht mehr finde. Es kann rutschig sein, wenn sich Neu- und Altschnee nicht verbinden. Und kaputte Brücken, kaputte Bohlen und Abgründe sind nicht mehr zu sehen. Schneit es wenig, fehlt weiterhin das Wasser. Und muss ich länger abwettern, reicht mein Essen nicht.

    Der Wald, der vorgestern so erhaben wirkte, zeigt sich freudlos und kahl.











    Eine Welt in Monochrome.





    Naja. Immer noch nicht ganz.





    Ich beschließe, die Entscheidung an der Abzweigung zu treffen und trete aus dem Wald.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    • Torres
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      #22
      AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

      Als ich die flauschigen Pflanzen sehe, muss ich lächeln. Schäfchenwolle.





      Erneut ein Zauberwald.








      Der angekündigte Bohlenweg. Kein Problem. Auf einem Rad balanciere ich Porsche vor mir her. An meinen Fähigkeiten brauche ich nicht zu zweifeln.








      Und dann stehe ich plötzlich in offenem Gelände. Ein Moor. Oder Sumpf. Rehtsuo heißt das Gebiet.





      Der Wind hat aufgefrischt. Schön ist es hier.





      Und gleichzeitig beschleicht mich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Nein, das gefällt mir nicht. Mit Küstenwetter kenne ich mich aus. Mit dem Wetter stimmt etwas nicht. Der nächste Ausstieg wäre erst in zwei Tagen. Nein, das gefällt mir nicht. Es scheint, als sängen die Moorgeister: „Lass das“. Zu Hause würde ich mich in Sicherheit bringen.





      Wieder geht es einen wurzeligen Hügel hinauf, und das erste Mal rutsche ich aus. Glatt sind die Wurzeln geworden. Ich passiere eine Holzkonstruktion. Ich schaue nicht genau hin, es ist wohl ein Laavu. Dunkel die Stelle und kalt. Wirklichen Schutz bietet das hier alles nicht.

      Die Abzweigung kommt, und ich schaue nach links. Hier geht es jetzt weiter.





      Noch ein kurzes Ringen, aber die Argumente liegen auf dem Tisch. Bei meinem heutigen Schnitt, komme ich nicht mehr weit. Wenn hier sonntags ein Bus fährt, dann jetzt. Ich biege in die Abkürzung ab.





      Bald ist der Wald zu Ende. Ein Hof. Lichterbögen in den Fenstern. Ein Nutzwald, bestehend aus hohen Fichten. Ein Auto kommt mir entgegen. Der Fahrer starrt mich an, einen Moment sieht es aus, als wolle er bremsen. Aufgeschichtete Baumstämme. Am Horizont ein schmaler, rötlicher Schein. Der Streifen läuft den gesamten Horizont herum. Es wirkt, als sagten die Geister erneut: Bye, bye und pass auf Dich auf.

      Die Dreieckskreuzung, von der der Mann sprach. Ich halte mich rechts. Wieder ein Haus. Ein Mann trägt den Weihnachtsbaum in den Garten. In den Fenstern brennt das Licht. Es sieht nach Familie, Wärme und Behaglichkeit aus. Ich sehne mich nach einer Sauna.

      Hinter dem Haus beginnen weitläufige Felder. Noch immer sieht man den Streifen in der Ferne, aber nun weht ein scharfer, eiskalter Wind. Ich schließe meine Jacke und schlinge mir den Schal um den Hals.

      Ich überlege, ob ich enttäuscht bin. Nein. Damit musste ich rechnen. Es ist ein großer Unterschied, ob man abbricht, weil man nicht weiter kann, oder ob man abbricht, weil man es will. Ich breche ab, weil ich es will. Urlaub soll Spaß machen und nicht in einen Überlebenskampf ausarten. Einen Moment überlege ich, ob ich den schmalen Streifen rosafarbenen Lichts fotografiere. Aber zur Tour gehört dieser Teil jetzt nicht mehr dazu.

      Kurz nach 15.00 Uhr stehe ich an der Bushaltestelle. Der Bus fährt immer auf 36. Ich setze mich hin. Ein schönes Gefühl, zu sitzen. Meine Knochen sind immer noch steif. Vor mir das Nichts einer flachen Landschaft. Ab und zu ein Auto. Wochenendverkehr.
      Nach zehn Minuten fällt mir auf, dass ich nicht geschaut habe, ob der Bus auch sonntags fährt. Ich kratze das Eis von der Scheibe. Es ist ein Vorteil, dass man im Tourmodus sein Schicksal regungslos hinnimmt, wo man sonst zu Wutausbrüchen geneigt hätte. Der letzte Bus fuhr Samstag um 14.02 Uhr. Sonntags fährt der Bus nicht. Die dritte Kategorie ist irgendetwas wie „Helpdag“, wenn ich mich richtig erinnere, was auch immer das ist.

      Ich packe den Rucksack emotionslos wieder auf die Schultern. Und laufe die 2,5 km zurück. Der Wind ist noch schärfer geworden, und ich friere richtig. Der Weg zieht sich. Vorhin erschien er mir flach. Nun steigt er ganz leicht an. Als ich an dem Haus mit dem Tannenbaum ankomme, überlege ich, warum ich nicht die Landstraße weitergegangen bin. Am Eingang zum Kangenmiekka Nationalpark fährt der Bus auch und zelten kann man da ebenso. Die Antwort wird ein Geheimnis bleiben. Ich hätte 1,5 km eingespart.





      In dem lichten Fichtenwaldstück sehe ich weit hinten umgekippte Bäume und überlege, ob ich mich dahinter verstecken kann. Mit Porsche kämpfe ich mich zu den Bäumen durch, dahinter ist aber keine Erde, sondern riesiges Kieselgestein. Ohne Porsche suche ich weiter, überall sind Baumwurzeln, übereiste Flächen und Gehölz. Dann setzt mein Verstand wieder ein, und ich weiß, hier komme ich im Notfall nie wieder raus. Also schnappe ich mir Porsche und zerre ihn zur Straße zurück.

      Am Waldrand finde ich ein verlassenen Grundstück, ein Gemäuer, das wie ein Tor wirkt, steht hier. Ich stelle mich in der Nähe der Mauer auf, unter einem tiefhängenden Busch. Sollten Menschen hier in der Nacht herumlaufen, so laufen sie wohl eher nebenan durch. Es ist jetzt bereits dunkel.

      Das Zelt ist schnell aufgebaut, die höheren Temperaturen machen sich bemerkbar. An einer Stelle gehen sogar Heringe in den Boden rein. Ich stehe wohl diesmal auf Waldboden und nicht auf Fels. Ein Foto vom Zelt, beleuchtet von der Stirnlampe. Draußen ist es bereits stockdunkel. Es ist jetzt 16.35 Uhr. Mein Thermometer zeigt - 5 Grad.





      Innenansicht. Porsche kommt später wie immer in die Apsis.





      Inarijoen Peter schickt mir eine Nachricht, am Mittwoch gäbe es Sturm. Das wundert mich nicht. Die Vorzeichen sind schon da. Ein paar Minuten später erschrecke ich mich. Schnee klatscht auf mein Zelt. Es schneit aber nicht, es sind die Schneereste, die der Wind von den Bäumen fegt. Der vereiste Rucksack neben mir taut, an der Zeltwand bildet sich Kondens.

      Der Wind nimmt zu und die Bäume beginnen unheilvoll zu rauschen. Das Geräusch mag ich nicht. Bei uns gibt es nicht so viele Bäume und wenn sie so laut sind, wird es ernst. Das Zelt steht regungslos, obwohl es nicht richtig befestigt ist, anscheinend habe ich einen windgeschützten Platz gefunden. Ich stopfe Ohrstöpsel in meine Ohren. Nach der Stille der letzten Tage, bin ich diesen Krach nicht mehr gewohnt.
      Oha.
      (Norddeutsche Panikattacke)

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      • Torres
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        #23
        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

        11.01.2016 2,5 km

        Ich habe tief geschlafen und wache erholt gegen 7 Uhr auf. Sofort kristallisiert sich ein neuer Plan. Ich könnte jetzt das fehlende Stückchen Weg von gestern noch laufen und steige dann an der Landstraße in den Bus. Vielleicht bestätigt sich meine Sorge ja nicht. Ein guter Plan. Eifrig ziehe ich mich an und packe.

        Kaum stehe ich vor dem Zelt, weiß ich, dass ich hier weg muss. Finster und kalt steht der Wald vor mir. Was gestern noch gnädig aussah, wirkt heute gefährlich und kalt. Der Schnee in den Bäumen ist verschwunden und immer noch rüttelt der Wind. Meine Alarmglocke schlägt an. Das Gestänge ist beschlagen, und als ich es ohne Handschuhe anfasse, kleben die Finger fest. Gestern und vorgestern ist mir das nicht passiert, aber gut, sich noch einmal daran zu erinnern. Ich ziehe Handschuhe an.


        Zeltspuren.





        Das geheimnisvolle Grundstück.





        Das Tor. Vermutlich nur eine Hauswand.









        Der erste Hof.





        Einer der so gefährlichen Tritte. Der Weg ist schmal und neben dem Bäumchen geht es tief herunter.





        Links und rechts fließt ein Fluss, an einigen Stellen taut er gerade auf.





        Der rosa Schimmer wurde durch einen dunkelgraue Schicht ersetzt. In den Wald rechts wollte ich ursprünglich gehen.








        Scharf weht der Wind über die Felder. Ich schätze ihn auf 15 km/h. Der Wetterbericht sagt später: 17 km/h. Ich ziehe erneut meine Jacken zu und stecke die Hände in die Tasche. Es ist unangenehm kalt.





        Den Bus um 10.36 Uhr sehe ich in in der Ferne fahren. Das macht mir nichts. Ich habe Zeit. Hauptsache, der Bus fährt überhaupt.

        Um 11.02 Uhr sitze ich an der Bushaltestelle. Den Rucksack stelle ich neben mich und sofort wird mein Rücken eiskalt. Die letzten Tage habe ich nicht so gefroren. Bald ist es vorbei. Regelungslos sitze ich an der Straße. Hier ist wirklich das absolute Nichts.








        Alle zehn Minuten fährt ein Auto vorbei. Und zweimal auch ein Bus.





        Der Wind nimmt Fahrt auf. In kleinen Streifen weht der Schnee die Straße entlang. Eine Schneeautobahn. Ich denke an meine WAI Fahrradtour auf Sylt. So war das damals auch.


        Der Bus kommt. Fahrtziel Kauppatori. Ich kenne Finnland mittlerweile so gut, dass ich ahne, dass damit der Marktplatz von Turku gemeint ist, frage aber dennoch nach. Ja. Der Bus fährt nach Turku. Der Fahrer spricht nur finnisch. Regionaltarif. 3 Euro.
        Der Bus ist fast leer und auch später steigen nur wenige Fahrgäste ein. Die Straßen sind relativ leer. Genau um zwölf Uhr fängt es zu schneien an, aber es ist kein schöner Schnee. Kleine spitze Schneekristalle fliegen waagerecht auf die Menschen zu und ballen sich in den Straßen zu Schneebändern, die vor und neben den Autos herfliegen.

        Ich steige Kauppatori aus, der Wind rüttelt die Wartenden durch, und eine Frau verliert fast ihren Hut. Ich finde meine Handschuhe nicht, habe ich endlich etwas verloren? Nein, habe ich nicht. Aber vorerst muss ich die Ersatzhandschuhe anziehen. Alte Frauen tasten sich vorsichtig über den Platz, eine ältere Dame schaut mich mit meinem Rucksack mitleidig an. Die Übergänge an den Straßen sind glatt und der Schnee fühlt sich an, wie Stecknadeln auf der Haut. Die Autos fahren langsam und bremsen verzögert. Die Frau von der Touristeninfo ruft beim Hostel an, und ich erfahre, dass ich vorzeitig einchecken darf. Das alte Zimmer bekomme ich leider nicht. Der Bus 1 hat Verspätung, das macht einen jungen Mann äußerst nervös.

        Im Hostel gibt es Lounas (Lunch) für 9.70 Euro, und ich stürze mich darauf. Kartoffeln, Nudeln, Püree, Fisch, Hühnchen, Salat. Ein Stück Kuchen. Milch. Mein Körper entspannt sich. Die Damen an der Kasse bekommen die Kassenrolle nicht gewechselt, und irgendwann kann ich nicht mehr zuschauen und erkläre ihnen, wie das geht. Vor der Tür stürmt es. Die dünnen Schneeflocken fliegen waagerecht an den Bullaugen vorbei.
        Ich dusche heiß und wasche eine Maschine durch. Viel schneller als gestern ist es dunkel. Der Schnee bleibt nicht liegen. Mein Wasser hätte nicht gereicht. Und ob das Zelt wohl ohne Befestigung stabil geblieben wäre?

        Die Wettervorhersage verheißt keine Änderung. Ich überlege, übermorgen zu Inarijoen Peter und R. zu fahren. Aber erst einmal gehe ich schlafen. Wärme. Ein Genuss.





        Es schneit und windet die ganze Nacht. Im Raum Helsinki tobt ein Schneesturm. Viele Züge fallen aus.
        Oha.
        (Norddeutsche Panikattacke)

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          #24
          AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

          12.01.2016. Ruhetag.

          In einem geheizten Raum zu schlafen, ist wunderbar, wenn draußen Sauwetter tobt. Am Abend hatte ich den Zwischenstopp bei Peter und R. schon festgemacht, von da aus ist es nicht so weit bis Lappland. Ods grätscht mir dazwischen. Ob ich gaaanz zufällig in den nächsten drei Tagen in Rovaniemi wäre? Nö, eigentlich nicht. Aber war die fixe Idee eines Treffens in Rovaniemi damals nicht der Ausgangspunkt für meine erste Tour nach Finnland? Entstanden am Lagerfeuer einer MV, mit dem Hintergedanken, Iglus zu bauen? Und überhaupt, Berlin ist ganz schön weit, da bietet sich doch Lappland für ein Treffen förmlich an, oder? Morgen Hämeenlinna, übermorgen Rovaniemi? Dann bliebe für beide Etappen ein halber Abend. Ziemlich knapp. Ich bin erleichtert, als sich Inarijoen Peter und R. verständnisvoll zeigen. Wir schieben meinen Besuch nach hinten.
          Ich buche das gleiche Hotel, wie die beiden. Es frisst meine Reserven, aber ich gönne mir das jetzt mal. Das Hostel liegt zu weit weg.

          Mittagessen. Auf Tour habe ich nichts herunterbekommen, jetzt stopfe ich Nahrung in mich hinein. Da muss ich beim nächsten Mal etwas ändern. Noch weiß ich allerdings nicht, wie. Aber es ist ein Schwachpunkt. Dankbar füllt mein Körper die verlorenen Kalorien wieder auf.

          Immer noch fliegt der Schnee waagerecht, Schmuddelwetter bei – 7 Grad. Ich wollte eigentlich spazieren gehen, aber bei dem Gedanken friere ich. Ich nehme den Bus zum Bahnhof, um einen Platz im Zug zu reservieren. Die Finnen bestehen sehr konsequent auf ihrer Platzreservierung, das kann man nur mit einer Platzreservierung kontern. Während der Wartezeit betrachte ich Plakate. Fünfzig Prozent der Worte verstehe ich. Es ist eigentlich nur die Kunst, die Grundform der Worte herauszufinden oder zu suchen, aus welchen Einzelworten die längeren Worte zusammengefügt sind. Dann kann man sich schon vieles erklären.
          Die Frau am Schalter behauptet, kaum Englisch zu sprechen, daher werfe ich keck ein paar finnische Brocken ein. Wir lachen, und ihr Englisch wird exzellent. Die meisten Züge werden morgen wieder fahren, der Anschlusszug in Oulu nicht. Sie bucht mir ab Tampere den IC. Ich bekommen einen Platz am Eingang wegen des Gepäcks.

          An der Bushaltestelle beobachte ich einen mutigen Radfahrer, der aufgrund der Böen Schlangenlinien fährt, und die von mir so gefürchteten Schneepflugrallyefahrer. Ein Auto fährt einen großen Holzleuchturm auf der Ladefläche spazieren, aber bis ich den Akku aus der Jacke gekramt habe, ist er schon weg. Der Schneeflugfahrer nicht.





          Am Marktplatz fällt mir der Kontrast zu letzter Woche besonders auf. Fröhlich und gelöst die Menschen damals. Heute will hier jeder nur weg.





          Später lässt der Wind etwas nach. Ein wenig Schnee bleibt liegen. Ich mache Fotos für die Challenge, schicke sie aber nicht ab.





          Das Hostel.





          Hübsch.








          Jeden Tag ein neues Wort.





          Blick auf den Fährhafen und die Burg.





          Auf dem Oberdeck ist im Sommer Gastronomie mit Blick auf den Fluss.





          Ich kuschele mich in meine schmale Koje. Ich hätte auch den Nachtzug um 21.30 Uhr nehmen können. Ich weiß. Aber ich möchte noch einmal eine Nacht richtig durchschlafen können. Ohne Ruckeln und Krach. Mein Körper braucht das.
          Oha.
          (Norddeutsche Panikattacke)

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            #25
            AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

            13.01. - 14. 01.2016 Ounasvaara (Rovaniemi). Urban Outdoor.

            11 Stunden Zugfahrt liegen vor mir. Immerhin hat die Bahn hier W-Lan. So surfe ich auf ods. Und suche zukünftige Wanderwege heraus. Ich! Und Wandern!
            Das Wetter im Süden stabilisiert sich. Am Wochenende sind Sonne und tiefere Temperaturen wieder zurück. Ich könnte meine Tour nun fortsetzen. Zu spät. Es gibt kein Zurück.
            In Tampere habe ich eine Stunde Aufenthalt. Auf dem Bahnsteig weht ein eisiger Wind. Ich esse in der Bahnhofspassage Lounas, die darin enthaltene Pizza lockt mich, von der derMac meinte, sie sei in Finnland gar nicht schlecht. Er hat Recht.

            Tampere, diese junge, fröhliche, beschwingte Stadt im Winter. Die meisten Fahrgäste verstecken sich neben der Rolltreppe. Was für Weicheier!








            Um 19.50 Uhr komme ich in Rovaniemi an. Die anderen haben sich in Ounasvaara einquartiert, da kommt man nur mit einem einstündigen Fußmarsch hin. Öffis gibt es nicht. Ich nehme ein Taxi.

            Die Unterkunft ist dem Preis entsprechend nobel und im Bad befindet sich eine Sauna. Im Zimmer ein vernünftiges Bett. Gegen die Hostelbetten ein Palast. Unsere Appartements liegen nebeneinander, ich hatte bei der Buchung erklärt, dass wir uns kennen. Das ist natürlich nett. Ein paar Asiaten rennen hektisch mit einer Pulka herum und ziehen sich gegenseitig. Fällt jemand herunter, folgt großes Gelächter. Die Temperatur habe ich vergessen. Waren es – 16 Grad? Oder – 18 Grad? Auf jeden Fall wieder eine angenehme Temperatur. Meinen Beinen geht es bestens. Und es liegt tiefer Schnee. Was braucht man mehr? Nordlichter vielleicht, aber der Index steht auf 1. Wenig Chance.

            Klopf, klopf. Und schon ist ods Treffen. Die Welt ist eben ein Dorf.





            Am Morgen ist der Schnee noch da.





            Wir treffen uns beim Frühstück. Dann geht es mit dem Taxi nach Rovaniemi hinein. Man will unbedingt einen Smartphonescreenshot von dem Bild der Livewebcam des Lordi Squares machen, um zu demonstrieren, dass man in Rovaniemi war. Ungläubiges Starren. Die webcam ist kaputt. Aber Ihr wart da. Das ist der Beweis!





            Ich buche in der Touristeninfo das Hostel in Kiilopää und lasse mir einen Busfahrplan geben. Das Wetter ist rauh und windig, und so suchen wir uns erst einmal ein Kahvila (Café). Dann gehen wir ins Museum, das Arcticum. Wenn es schon keine Nordlichter am Himmel gibt, dann eben in der Vorführshow.

            Am Abend ziehen wir uns in unsere jeweiligen Gemächer zurück, und saunieren ausgiebig. Traumhaft, nach der Sauna nur mit Handtuch bekleidet im Schnee herumzuspazieren. Vielleicht sollte man Schnee in Deutschland auch mal einführen?





            Der Abend klingt bei Gesprächen aus.
            Oha.
            (Norddeutsche Panikattacke)

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            • Torres
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              • 16.08.2008
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              #26
              AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

              15.01.2016. Kiilopää.

              Auf nach Lappland.

              Ich löse das Busticket und kann das Gepäck bis zur Abfahrt abstellen. Bei Intersport erstehe ich für 19.90 Euro lange Kunstfaserwäsche im Abverkauf. Da ich Gewicht sparen wollte, habe ich keine Reservehose dabei. Im einem Mehrbettraum ist so etwas aber nützlich. Die Verkäuferin fragt nach meiner Kundenkarte, ich antworte auf Englisch und erkläre ihr, ich hätte sie verstanden. Habe ich auch.

              In einer Bäckerei erstehe ich Voisilmäpullat, das Wort habe ich mir natürlich gemerkt. Das Thema der Challenge sind Wildtiere. Etwas Besseres finde ich gerade nicht. Die Vögel in den Bäumen sind zu weit weg.





              Der Bus ist fast leer. Der Busfahrer fährt zügig auf dem gefrorenen Boden, um seinen Fahrplan einzuhalten. Das Eis knirscht, Nebel zieht über die Straße, aber das schreckt ihn nicht. Er überholt alle, die vor ihm sind. Ich hoffe, der Fahrer macht das öfter. Zusehen erspare ich mir schnell.





              In Sodankylä habe ich wieder 15 Minuten Aufenthalt, da die Pakete eingeladen werden müssen. Durch die Dunkelheit geht es weiter.

              Um kurz vor sieben bin ich vor Ort. Die Luft ist klar. Es sind – 26 Grad. Meine Nasenhärchen kleben. Endlich wieder angenehmes Wetter. Endlich nicht mehr frieren. Ich checke in der Fjell Station ein. Das Hostel ist ein paar Meter weiter.





              Der Raum ist einfach, aber ich bin alleine. Vom Zimmer aus sieht man die beleuchteten Loipen. Ich gehe noch ein bisschen draußen spazieren. Dieses Wetter hätte ich mir für meine Tour gewünscht. Ein paar Holländer legen sich an einer Hütte in den Schnee und machen Fotos mit Selbstauslöser. Ich biete an, sie zu fotografieren, und sie freuen sich.
              Kurz danach sehe ich sie in der Hostelküche auf dem Gang wieder. Sie feiern Abschied. Sie wohnen im Hotel, und in ihren Zimmern ist Alkoholkonsum anscheinend nicht erwünscht. Ihre Kleidung legen sie in einen riesigen Kühlschrank. Es ist ein Trockenschrank, werde ich später erfahren. Sachen gibt es!

              Ich freue mich auf die nächsten Tage. Endlich Schnee. Und endlich kalt.
              Oha.
              (Norddeutsche Panikattacke)

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              • Torres
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                • 16.08.2008
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                • Meine Reisen

                #27
                AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                16.01.2016. Schneeschuhe. 4 km.

                Ich entscheide mich für Schneeschuhe. Im Keller ist der Verleih. 15.00 Euro. Wieso ich keine Ski leihen will? Weil ich nicht Skifahren kann. Das kann man ja ändern. Ich zweifele. Wieso wollen einen die Leute immer auf diese glitschigen Dinger zwingen? Ich verspreche, es mir zu überlegen.

                Meine Riesenschlappen nennen sich Wilderness. Das klingt vielversprechend. Noch besser als Expedition. Die liegen zu Hause.
                Man hat mir erklärt, wo man entlang gehen kann, und ich habe nichts verstanden. So latsche ich erst einmal mit entsprechendem Respekt durch das Tor des Urho-Kekkonen-Nationalparks. Das steht nämlich neben dem Eingang der Station. Der Nationalpark beginnt direkt nebendran. Schlau wie ich bin, habe ich meine Daunenhose, eine Thermoskanne mit heißem Wasser und meinen Gaskocher dabei. Letzteren würde ihn gerne mal testen.

                Schlapp, schlapp, schlapp. Der Bewegungsablauf ist schon bemerkenswert. Wären sie nicht so hilfreich, käme ich mir recht blöd vor. Nach rechts knickt eine gespurte Loipe ab, und ich entscheide mich, dem vereisten und verschneiten Richtungspfeil, der vermutlich einen Wanderweg markiert, geradeaus zu folgen. Mal schauen, was das bringt. So richtig Querfeldein möchte ich nicht gehen. Ich bin alleine. Den Nationalpark darf man nicht unterschätzen. Was ich nicht im Sommer kenne, möchte ich im Winter nicht begehen. Ich bin mehr der Sicherheitstyp. Und umso mehr ich Finnland kenne, umso vorsichtiger werde ich.

                Es ist bewölkt bei ca. - 26 Grad. Das exakte Thermometer entdecke ich erst am Abreisetag und verlasse mich auf die Voraussage Saariselkä. Schon nach ein paar Metern ist klar, dass
                a) Schneeschuhgehen anstrengender ist, als wandern und
                b) ich am liebsten jeden einzelnen Baum fotografieren würde, weil er so schön ist. Ich hoffe, ich kriege das in Griff. Natürlich nicht. Ich bitte um Nachsicht.





                Suomen Latu Fjällzentrum. Es wird von dem Verein Suomen Latu betrieben. Klick





                Das Motto der Fotochallenge heißt diesmal „Winterliche Wildtiere“. Ich sehe überall Tiere.





                Tierkonferenz.





                Apina. (Affe).





                Meine Spuren im Schnee.





                Auch hier tückische Fallen. Anscheinend stehe ich auf einer Brücke.





                Diese Stille.





                An einem Wegweiser ohne Namen biege ich links ab. Der Weg ist markiert. Er führt bergauf. Da ich spuren muss, bin ich über Fotopausen dankbar. Aber ich habe ja Zeit.





                Die Bäume werden weniger.





                Alles sieht gleich aus. Warum die Bilder mal blau und mal realistisch weiß werden, weiß ich nicht.


                Der erste Haltepunkt.





                Windig ist es hier. Und kalt. Ich schalte interessehalber die typographische osm Karte Finnland an. Sie funktionierte bisher nie, aber hier verfügt sie anscheined über offizielles Kartenmaterial. Ich bin erstaunt. Und der Weg ist verzeichnet: Ich besteige gerade den Kiilopää. Das motiviert mich. Weiter.





                Die Sicht ist schlecht, aber da man die Wegweiser gut sehen kann, sehe ich mich abgesichert. Das Navi habe ich auch noch. Beim ersten Mal hatte mich in einer derartigen Situation ein wenig Furcht übermannt. Jetzt kann ich schon besser damit umgehen. Die klaren Kontraste sieht übrigens nur die Kamera. Ich nicht. Die Markierung ist dagegen gut zu sehen.








                Der Boden ist steinhart. Unter den Schneeschuhen knirscht er. Ich verspüre Durst. Immer wieder setze ich ab. Bergauf ist nie meine Stärke. Und gleiten tun Schneeschuhe ja nun auch nicht. Dann kommt mein Ziel in Sicht.





                Das „Gipfelkreuz“. Der Kiilopää ist 546 Meter hoch. Darf ich jetzt im Alpinfaden posten? Der Weg ginge jetzt wohl noch ein paar Meter weiter, hört aber dann auf. Ich belasse es dabei.





                Der Ausblick ist großartig. Ich mache eine Rundumaufnahme.














                Der Wind weht sehr frisch hier oben, man kann das nicht sehen, weil es keine Referenzpunkte gibt. Später erfahre ich, dass es auf den Tunturis wärmer ist, als im Tal. Davon kann ich nichts merken. Immerhin überrascht mich meine Jacke. Ich hätte nicht gedacht, dass sie selbst bei dieser Temperatur so zuverlässig warm hält. Die Schuhe sind sowieso perfekt, obwohl ich nur Sommersocken, Plastiktüte und eine etwas dickere Socke anhabe. Keine fetten Woolpower oder so. Erfreulich.





                Mein Durst ist unerträglich geworden. Ich hole die Thermoskanne, die ich extra gut innen und außen abgetrocknet hatte. Sie geht nicht auf. Ich habe es geahnt. Ich stecke sie kurz unter die Jacke, aber davon wird mir nur kalt. Es hilft nichts. Kurz ziehe ich den linken Handschuh aus. Sie geht auf. Handschuhe wieder an. Allein dieser Moment und das nun folgenden Festhalten der Kanne, um zu trinken, reichen aus, um meine Finger auskühlen zu lassen. Gierig trinke ich das Wasser, gut einen halben Liter, dann packe ich die Kanne wieder weg. Meine Fingerspitzen brennen und meine Motivation, jetzt einen Kocher zu testen, sackt gegen Null. Es gibt auch keinen Platz, wo man ihn hinstellen könnte. Keinen Windschutz. Und mich ungeschützt in den Schnee zu setzen, finde ich bei diesem Wind auch nicht sehr schlau.

                Meine Finger brennen nun wie Feuer. Wie ein Kind nehme ich sie kurz zwischen die Beine, aber das bringt nichts. Das einzige, was hilft, ist Bewegung. Kurze Zeit später ist alles wieder gut.

                Der Abstieg geht natürlich leichter. Einen Moment überlege ich, ob Rentierpisse auch zum Thema winterliche Wildtiere gehört. Aber vielleicht war es ja auch ein anderes Tier.





                Traumschön hier. Wenn man weiß, wo man ist. Ich bin meinem Navi dankbar. Und dem, der die Wege markiert.





                Die Sicht bessert sich. Das Fjällzentrum kommt wieder in Sicht.





                Und die ersten Bäume.





                Kunstwerk.





                Und dann passiert das, was ich hier oben immer so faszinierend finde. Ein ganz schmaler Streifen, kaum zu sehen.





                Der Streifen wird größer.





                Auf der gegenüberliegenden Seite taucht ein verschneiter Berg auf.





                So schnell wie das Wetter schlecht werden kann, wird es manchmal auch wieder gut. Es ist jetzt 14.43 Uhr. Die Sonne ist längst untergegangen, sie zeigt sich derzeit nicht viel länger als eine halbe Stunde. Vor zehn Tagen sah man sie hier noch gar nicht. Aber ihre Strahlen sind dennoch noch da.





                Hätte ich das oben schon gewusst, ich wäre länger geblieben.





                Aber das weiß man nicht vorher.





                Schön, dass ich noch ein paar Tage bleibe.





                Das Ende des Ausflugs. Jetzt kratze ich auch mal das Schild frei.





                Es ist jetzt 15.21 Uhr. Gleich wird es dunkel. Ich habe 3,5 Stunden gebraucht. Offiziell rechnet man für den Weg 2 bis 2,5 Stunden. Aber ich habe natürlich auch ziemlich viel getrödelt.





                Im Vorraum des Hostels ist es so kalt, dass der Schnee, der von den Schuhen fällt, nicht taut. Wie kalt es ist, weiß ich nicht. Die Tür ist auf und isoliert wirkt der Raum auch nicht. So stelle ich schnell mal den Gaskocher an. Die Kartusche ist auf jeden Fall gut durchgekühlt, sie hatte ich ja im Rucksack.

                Der Kocher geht unverzüglich an.





                Aussagekräftig ist das nicht. Aber es macht Spaß. Einen Moment überlege ich, mir einen Platz vor der Tür zu suchen. Aber eine Sitzgruppe gibt es dort nicht. Und mitten auf der Straße? Das bringe ich dann doch nicht. Und weil es auf der Sitzbank auch ein wenig kühl ist, verziehe ich mich in die geheizte Küche.


                Fröhlich begebe ich mich zur Sauna. Zelten? Ja, hätte ich schon Lust zu. Aber dieses ganze Gerödel. Dieses Packen. Diese Umsicht. Keinen Fehler machen. Dieses Frieren. Ich mache es mir jetzt gerne auch einfach mal gemütlich.
                Ich denke an die Frauen aus dem Lapplandthread. Es geht nichts über eigene Erfahrung. Allein das Erlebnis auf dem Kiilopää würde bei mir dafür sorgen, als Newbie meine Pläne außerhalb der Saison gut zu überdenken. Und ich komme mit Kälte eigentlich ziemlich gut klar.
                Oha.
                (Norddeutsche Panikattacke)

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                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                  17.01.2016. Langlauf 3 km. Wandern 4 km.

                  Es ist Sonntag, und ich beschließe, dass dies ein guter Tag ist, aus dem Leben zu scheiden. Ich leihe Skier aus.





                  Madame ist begeistert. Madame ist gebürtige Französin, die in Karelien lebt und im Winter im Kiilopää arbeitet. Sie erklärt mir, wo die flache Anfängerstrecke liegt. Morgen gibt es einen Skikurs. Ein Vogel bearbeitet einen Meisenknödel, ich erfahre, dass es ein Kuukkeli ist. Ein Unluckybird, übersetzt Madame. Später lerne ich: Es ist ein Unglückshäher. Klick. Rot leuchten die Federn, als er davon fliegt.





                  Der ältere Finne, der sich um die Technik kümmert, spricht ein sehr gutes, fast akzentfreies Deutsch. Er spricht mir Mut zu. Die geliehenen Schuhe sitzen besser, als die beim letzten Mal, das macht Hoffnung. Todesmutig mache ich mich auf den Weg. Und die Kulisse könnte nicht großartiger sein.





                  Die Anfängerloipe ist an der Loipe, die ich von meinem Schlafraum aus sehe. Inarijoen Peter wird mich tatsächlich an diesem Tag auf der webcam entdecken. Skandal. Erfreulicherweise nur als Standbild und nur ganz klein. Die neue Technik ist wirklich fatal. Kann man nicht mehr ungestört sich die Beine brechen gehen? Wie bereits letzten Sonntag sind heute wieder Einheimische unterwegs, alle halbe Stunde gibt es eine Begegnung.

                  Die Jugendherberge von der Loipe aus.





                  Die Bindung muss manuell geöffnet und geschlossen werden, und so brauche ich erst einmal eine gute Viertelstunde, bis ich die Dinger überhaupt an den Füßen habe. Ich stütze mich an einem Wegweiser ab. Die Skier haben in der Mitte Felle. So rutschig sind sie also gar nicht.
                  Nicht mit dem Oberkörper nach hinten fallen, hatte Madame gemahnt. Ich beherzige den Rat. Im Rucksack wieder ein warmes Getränk. Eine Skitour wird heute durch Snowboardwandern zum Kiilopää ersetzt. Es sei zu kalt. Ich bin verwundert, im Wetterbericht stand – 28. Tatsächlich sind es vor Ort wohl (wenn ich die Abweichung der nächsten Tage vergleiche) – 32 oder - 33 Grad und in den Tälern geht es stramm in Richtung - 40 Grad. Das weiß ich aber nicht, und so verhalte ich mich mal wieder antizyklisch. Meine Nasenhärchen kleben, meine Wangen glühen, die Atemluft am Schal gefriert. Aber besonders frisch finde ich es nicht. Mir geht es gut.





                  Ich gewöhne mich an den Bewegungsablauf. Es ist eigentlich eher Gehen, was ich mache, Gleiten traue ich mich noch nicht. Aber nach einem halben Kilometer merke ich, dass ich langsam Gefühl bekomme. Eine Dame überholt mich, ein Mann kommt mir entgegen, und ich kopiere ihren Stil. Ah. So geht das.





                  Leider kann ich mal wieder die Finger nicht von der Kamera lassen und bleibe öfter stehen. Das liegt sicherlich einmal an der Kälte, die mich herunterbremst, aber auch an dem, was ich sehe. Nein, Signore Ronaldo., natürlich ist Gran Canaria schön. Aber diese unglaubliche Kulisse, diese Stille, dieses Zurückgeworfen werden auf einen selbst, diese völlige Abwesenheit sichtbarer Veränderung – selbst der Himmel verändert sich nur in Zeitlupe, als bliebe die Erde stehen - nein, das findet man einfach nur hier.

                  Der Kiilopää hinter mir.





                  Das bin ich.





                  Ach diese strubbeligen Nadeln.





                  Und bei diesem Anblick könnte ich mir einen Stuhl nehme und einfach zusehen.





                  So etwas ist dagegen weniger schön. (Edit: Erklärung: Der gespurte Weg scheint über eine Brücke zu gehen - da geht es an der Kante schön runter und die Loipe verschwindet kurz.)





                  Dieses rosa.





                  Ich bin eigentlich ganz gut dabei und schaffe es sogar ab und zu, die Skier gleiten zu lassen. Meine Hose entpuppt sich als etwas kühl, aber mit Bewegung geht es. Morgen werden ich aber meine Daunenhose anziehen. Ein Päärchen kommt mir entgegen, sie in der Loipe, er im Sprint nebenher. Neidisch. Eine Hütte, ich würde gerne mal gucken, aber mit den riesigen Dingern an den Füßen geht das wohl nicht.

                  Nun geht es bergab, ich könnte jetzt gleiten, aber mein Gehirn blockiert komplett. Die Stürze beim ersten Mal in Saariselkä sind noch in meinem Gedächtnis und damals war der Schnee nicht so hart. Ich überlege. Mit dem Hintern zu bremsen kommt mir auf diesem bretterharten Schnee komisch vor, das geht auch gar nicht mit meinen Knien. Abschnallen? Vermutlich geht das jetzt auch ein paar Kilometer so weiter. Durch Wald.
                  Ich drehe um. Keine Experimente, wenn ich alleine bin. Die Magedeburger, die ich gestern kennengelernt habe, werden mir später erzählen, dass sie die Skier auch schon mal abschnallen, wenn es zu tief heruntergeht. Das müsste ich dann wohl ständig tun, Finnland ist definitiv nicht flach.

                  Ich wende. Und werde für meine Verhältnisse jetzt sogar recht schnell. Wenn nicht immer diese Fotos wären.





                  Der Ahopää. Er gibt dem Hostel seinen Namen.





                  Auch hier können Gewässer offen sein.





                  Der Mond über dem Kiilopää. Es ist jetzt zwanzig nach zwölf.








                  Ich wäre jetzt gerne auf dem Kiilopää, von dort kann man die Sonne sehen. Ich befinde mich dafür zu tief im Tal. Die Magdeburger werden später von der Sonne schwärmen. Ganz knapp haben sie sie noch gesehen.





                  Ich gleite jetzt schon relativ gut. Haltungsnoten sollte man mir allerdings wohl nicht geben. Als ich an meinem Aussichtspunkt bin, wende ich wieder, fahre aber nur noch eine kleine Runde. Meine Wangen brennen und das rechte Augenlid fängt an zu jucken. Es fühlt sich an, als hätten sich Pusteln gebildet, ein wenig ist es geschwollen. Meine Beine fühlen sich jetzt auch leicht ausgekühlt aus, es ist wohl tatsächlich kälter als gestern. Ich beschließe, für heute Schluss zu machen, auch wenn ich nur knapp zwei Stunden unterwegs war.

                  Als ich wieder am Hostel bin, bin ich zufrieden. Wackelig bin ich auf Skiern zwar immer noch. Aber nicht einmal umgefallen. Und gegen Ende hatte ich die Skier sogar kurz vergessen und bin intuitiv geglitten. Mal sehen, vielleicht mache ich morgen wirklich noch den Skikurs.

                  Als ich mich im warmen Zimmer befinde, merke ich, dass ich doch ganz schön erschöpft bin. Die Kälte macht mich müde. Ich mache jetzt einfach mal Urlaub. Und für einen Moment lege ich mich hin. Aus dem Moment wird eine halbe Stunde, und als ich mehr beiläufig aus dem Fenster gucke, kommen doch Rentiere auf der Loipe angetrabt. Wo ist die Kamera? Meine Kamera beschlägt, als ich sie aus der kalten Tasche nehme. Ich reiße das Fenster auf.





                  Das Ergebnis enttäuscht mich. Viel zu klein. Mein Tele fehlt mir schmerzlich. Aber das war mir zu schwer.
                  Und schon wieder stürze ich aus dem Haus. Rentiere fotografieren. Es ist 13.09 Uhr.
                  Zuletzt geändert von Torres; 04.02.2016, 19:41.
                  Oha.
                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                  • Mika Hautamaeki
                    Alter Hase
                    • 30.05.2007
                    • 3979
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                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                    Ein echter Torres und dann auch noch mit Schnee...Ein Traum.
                    Ich stimme Dir zu, diesen Schnee sollte man auch mal in HH einführen. (Bei mir blühen die Rosen auf der Terrasse.)
                    So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                    A. v. Humboldt.

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                    • oesine63
                      Erfahren
                      • 27.11.2013
                      • 421
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                      #30
                      AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                      Hach, dieses traumhafte Licht des nordischen Winters! Wie ich das liebe!
                      Auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum man sich mit einem "Hand-Porsche" durch den finnischen Wald quält, mit den Langlauf-Teil kann ich mich voll und ganz identifizieren Weiter so und danke für die schönen Bilder!
                      Gruß, oesine

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                      • Torres
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                        • 16.08.2008
                        • 30686
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                        #31
                        AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                        Auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum man sich mit einem "Hand-Porsche" durch den finnischen Wald quält,
                        Du kennst den finnischen Wald anscheinend. . Klar, einfach war das nicht, gerade wenn es nur kleine, schmale Pfade zwischen den Felsen sind. Aber eine Qual war das auch nicht. Es gab halt sehr komplizierte Stellen und dann wieder sehr einfache Stellen, wo das alles kein Problem war. Immerhin besser, als 28 kg Gewicht auf den Schultern bzw. den Knien zu tragen. Das ging dann an schwierigen Stellen mal eine Zeitlang, aber die ganze Zeit hätte ich das nicht tragen wollen. Ich bekomme den Rucksack bei zu hohem Gewicht auch einfach nicht mehr auf die Schultern drauf. Und ich war auch ganz froh, den Benzinkocher nicht neben den Klamotten zu haben.

                        Ich würde jetzt allerdings beim nächsten Mal auch gut 4 kg weniger Kleidung und Kleinkram mitnehmen. Man kann hier halt so schlecht seine Sachen testen. Die Daunenhose war zwar in Lappland sehr angenehm, aber wirklich notwendig war sie nicht. Die dicke Mütze habe ich gar nicht gebraucht. Den Wagen würde ich im Winter dennoch - gerade, wenn so wenig Schnee liegt - wieder mitnehmen. Es ist schon eine große Erleichterung, wenn man mal den Schal oder irgendetwas anderes draufpacken kann. Am Ende kamen noch Bücher hinzu - das hätte ich mit dem Rucksack alleine nicht mitnehmen können.

                        mit den Langlauf-Teil kann ich mich voll und ganz identifizieren
                        Ich arbeite daran, dass das bei mir irgendwann auch so wird. . Dann allerdings nur Tagestouren, die Tage sind einfach zu kurz. Denn in der winterlichen Hauptsaison habe ich leider keinen Urlaub. Ich wollte aber gerne auf Tour gehen und da bleiben eben nur solche Improvisationen im Süden Finnlands übrig. Es sei denn, ich verzichte auf Sicherheit, was ich aber nicht wollte. Dazu sind im Januar die Wetterkapriolen zu groß.

                        Hach, dieses traumhafte Licht des nordischen Winters! Wie ich das liebe!
                        Ich auch.

                        @all
                        Danke für die netten Kommentare bisher. Rosen auf der Terrasse, ähm ja. In Finnland ist das Wetter allerdings auch gekippt, zwischenzeitlich waren sogar in Lappland kurzzeitig - 1 Grad und im Süden Finnlands bewegten sich die Temperaturen streckenweise zwischen + 3 und - 1 Grad. Erst jetzt scheinen die Temperaturen wieder anzuziehen.
                        Oha.
                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                        • hotdog
                          Freak

                          Liebt das Forum
                          • 15.10.2007
                          • 16106
                          • Privat

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                          #32
                          AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                          Ich fand das Licht bei meinem kurzen Aufenthalt da oben auch sehr besonders. Das hast du schön eingefangen

                          Gab's denn noch Nordlichter? Am 20.1. soll die Aktivität ja recht hoch gewesen sein.
                          Arrivederci, farewell, adieu, sayonara WAI! "Ja, wo läuft es denn? Wo läuft es denn hin?"

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                          • Torres
                            Freak

                            Liebt das Forum
                            • 16.08.2008
                            • 30686
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #33
                            AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                            Ich weiß es nicht. Ich bin an dem Tag (war das nicht der 20.1.?) mit der größten Aktivität abgereist. Als ich die Werte sah, war ich etwas geknickt, da wollte ich aber nicht mehr alles umorganisieren. Eine Garantie ist das ja nicht. Es war abends immer ziemlich diesig und in Rovaniemi war auch keine klare Luft.

                            Wer an diesem Abend einen Nachtflug hatte, dürfte Glück gehabt haben.
                            Oha.
                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                            • derMac
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                              Liebt das Forum
                              • 08.12.2004
                              • 11888
                              • Privat

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                              #34
                              AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                              Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                              Warum sind Leute eigentlich auf Wintercampen so wild? Etwas Bescheideneres als das hier gibt es wirklich nicht.
                              Zumindest ich bin auf das Zelten bei Kälte nicht sooo wild. Aber:

                              Aber diese unglaubliche Kulisse, diese Stille, dieses Zurückgeworfen werden auf einen selbst, diese völlige Abwesenheit sichtbarer Veränderung – selbst der Himmel verändert sich nur in Zeitlupe, als bliebe die Erde stehen - nein, das findet man einfach nur hier.
                              Dafür nehm ich das halt in Kauf und wenn es einfach nur kalt und sonst gutes Wetter ist, stört die Kälte auch nicht so. Und wen grad eine Hütte rumsteht kann man die auch nehmen. Das tollste Licht gibt es IMO aber nur zu den Zeiten wo die Sonne sehr flach steht.

                              Mac

                              PS: freut mich, dass die Pizza gut war

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                              • ronaldo
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                                Moderator
                                Liebt das Forum
                                • 24.01.2011
                                • 11942
                                • Privat

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                                #35
                                AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                Nur ein Wort: <bibber...!>

                                Toller Bericht, danke! Ich les ja auch gern über Dinge, die ich Langweiler im Leben nicht unternehmen wollen würde...

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                                • Torres
                                  Freak

                                  Liebt das Forum
                                  • 16.08.2008
                                  • 30686
                                  • Privat

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                                  #36
                                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                  Was ich nun tue, bitte ich, nicht nachzumachen. Das tut man nämlich nicht. Ich habe es auch nicht böswillig getan. Ich wusste das einfach nicht. Ich laufe nämlich zwischen den Skispuren in Richtung der Rentiere. Weil ich denke, wie praktisch: Das ist extra für Fußgänger. Nein, es ist die Steig- und Bremszone der Skifahrer. Asche über mein Haupt. Madame Sabrina wird uns am nächsten Tag darauf hinweisen. Finnen reagieren da sehr, sehr ungehalten drauf. Und ich schäme mich.


                                  Nun stürze ich also aus dem Hostel, um den Rentieren näher zu kommen. An sich hatte ich vor, mich anzuschleichen. Das ist ein sinnloses Unterfangen. Der Schnee ist so bretterhart, dass jeder Schritt eine kleine Explosion darstellt. Krutsch, krutsch, krutsch. Zunächst arbeite ich mich im Laufschritt vor. Ziemlich anstrengend, immer wieder sinkt man doch gute 8-10 cm ein. Ich komme mir vor, als würde ich durch Wasser laufen. Da muss man auch immer die Beine so weit hochziehen. Zwei Koreanerinnen sind ebenfalls in Richtung der Rentiere gegangen, kehren aber um. Sie haben nur leichte Schuhe am Fuß und sind gerade erst angekommen.

                                  Ich arbeite mich nun langsamer vor, um die Tiere nicht zu erschrecken. Vermutlich der gleiche Effekt wie im Kino, wenn jemand versucht, einen Bonbon leise zu öffnen. Immerhin habe ich auf den Anfängerstreifen, der sich wie eine Pausenspur ein Stück neben der Loipe befindet, eingefädelt und bin nun fast auf ihrer Höhe. Das kann jetzt nur das Fotos meines Lebens werden. Denke ich. Verdammt. Sie haben mich entdeckt. Und das Schlimmste: Das Kamerarädchen hat sich verstellt. Die Kamera steht nicht auf Automatik, sondern auf P, und da ich das nicht weiß, stimmt die Helligkeit natürlich nicht. „P wie Profi, klar", seufze ich, als es mir endlich auffällt. Ich habe die Fotos jetzt nachträglich notdürftig aufgehellt.


                                  Beobachter.





                                  Jetzt werde ich als Störenfried wahrgenommen.








                                  Ja, würde mir auch nicht gefallen, beim Essen gestört zu werden.





                                  Tschüß.





                                  Ich wende und laufe storchenartig wieder zurück. Dieses krachende Geräusch ist unbeschreiblich. Ganz schön laut in dieser Stille. Und dann halte ich wieder an. Bestimmt eine Minute.





                                  So richtig Lust, wieder ins Hostel zu gehen, habe ich nicht. An der Weggabelung sehe ich ein paar menschliche Spuren und spontan folge ich ihnen. Vielleicht ist das ein Weg für morgen. Schon stoße ich auf eine Grillhütte und einen Kinderspielplatz. Einen Moment erscheint vor meinem geistigen Auge das herbstliche Finnland. Wunderschön wird es hier dann sein, im Geiste höre ich das Lachen der Kinder.

                                  Ich weiß nicht mehr, warum ich an dieser Stelle den Schneeschuhweg nicht finde, der hier losgeht. Schaue ich nicht richtig? Denke ich, der Weg läuft in die falsche Richtung? Oder lag es an den Fußspuren?
                                  Es ist müßig, darüber nachzudenken. Ich entscheide mich also, zurückzugehen. Als ich wieder an der Loipe bin, finde ich, dass ein kurzer Spaziergang nicht schaden kann, und so laufe ich bergauf, in dem Glauben, das hätten die Spaziergänger von gestern auch getan. Und warte auf eine Abzweigung in einen Wanderweg. Im Sommer müsste hier eigentlich eine sein. Es kommt aber keine. Und so verfestigt sich in meinem Kopf der Gedanke, dass der Mittelteil der Loipe bestimmt für Spaziergänger ist.





                                  Lange laufen will ich nicht, denn es ist doch mittlerweile auch für mich merklich kalt. Daher nehme ich mir vor, nur bis zur nächsten Kurve zu gehen. Der Mond wurde fein säuberlich in der Mitte geteilt.





                                  Auf der anderen Seite leuchtet in allen möglichen Rottönen ein Streifen.





                                  Nun sieht man auch schon ein bisschen von den Hügeln drumherum, und so laufe ich einfach weiter. Nur ein kleiner Blick auf den Sonnenuntergang. Das würde mir schon reichen.





                                  Auch auf der Gegenseite ein leichtes rosa.





                                  Soll es Rentiere abschrecken? Es erinnert mich an Perlenvorhänge, ist aber aus dickem Kunststoff.








                                  Die Luft ist kalt, und ich gehe langsam. Mein Akku meckert die ganze Zeit. Aber mit jedem Schritt wird die Landschaft schöner, das Licht breiter. Und so laufe ich weiter. Sollten sich die folgenden Fotos nun wiederholen, so bitte ich um Nachsicht. Es fällt so schwer, sich zu entscheiden.


                                  Upps.





                                  Ich war gerade dabei, Rentierknödel zu fotografieren und hatte angehalten. Nur nicht bewegen. Eine Familie?





                                  Die Rentiere laufen langsam auf mich zu. Dann stoppen sie. Wir schauen uns an. Wo zur Hölle ist mein Tele? Zu Hause.





                                  Nein, ich bestehe den Test nicht. Sie kehren um.





                                  Kurze Zeit später schauen noch einmal ganz kurz das Jungtier und das Tier mit dem roten Band - die Mutter? - um die Ecke. Sie scheinen zu hoffen, dass ich jetzt weg bin. Um ganz schnell wegzulaufen, als sie sich ertappt wissen. Eine witzige Situation, auch wenn sie mir etwas leid tun. Sie wohnen schließlich hier. Wiedersehen werde ich sie nun leider nicht mehr.





                                  Der Himmel leuchtet in Pastellfarben.








                                  Und nun sehe ich auch den Kiilopää hervortreten.





                                  Auf der anderen Seite geht immer noch die Sonne unter. Es ist nun 14.30 Uhr.





                                  Die Baumgrenze ist erreicht.

                                  Und das ist der Moment, wo ich denke: Wie macht der Himmel das?





                                  Und es fühlt sich an, als würde ich die Welt zum ersten Mal erleben.





                                  Weite und Stille.





                                  Selbst vor mir spiegelt sich noch der Schein des Sonnenlichtes.





                                  Und wieder der Mond.





                                  Die letzten Schritte zum Scheitelpunkt sind mühsam. Es muss kälter geworden sein. Oder feuchter. Oder ich bin müde. Das Atmen fällt schwer.





                                  Und dann gibt die vermeintliche Senke den Blick auf die Wälder im nächsten Tal frei.





                                  Welch ein Anblick.


                                  Während sich auf der gegenüberliegenden Seite der Kiilopää dem Vesuv gleich aus dem Dunst erhebt. Den Wanderwegweiser sehe ich erst jetzt, vielleicht verläuft da der Schneeschuhweg.





                                  Der Akku blinkt gelb, und immer denke ich, es ist das letzte Foto. Ich sollte ihn zum Aufwärmen in die Tasche stecken. Aber ich kann nicht anders. Ich muss diese Momente festhalten. Der Ersatzakku ist auf dem Zimmer. Sonst hatte ich ihn immer dabei. Nur nicht heute. So ist das ja immer.





                                  Und dann ist der Scheitelpunkt des Weges erreicht, rechts neben mir der Gipfel des Ahopää. Und vor mir liegt irgendwo Saariselkä. Erst Lanila, dann Saariselkä.





                                  Vermutlich auch der Kaunispää. Der „schöne Kopf“, wie ich nun weiß. Aber solange kein Licht brennt, lässt sich die Position der Orte nicht erkennen.

                                  Ich wende. Es ist 14.50 Uhr. Ein leichter Wind weht. Es ist frostig. Den Temperaturcheck erinnere ich nicht. - 26 Grad bestimmt. Ich muss mich unbedingt bewegen, meine Beine sind zu kalt. Oder jetzt fliegen. Wie ein Vogel. Und frei.





                                  Ach, nur noch ein Foto.





                                  Nur noch ein letztes.





                                  Die Kamera geht aus. Akku wegpacken.

                                  2 Minuten später: Testtesttest. Unrasiert, dieser Hang. Klick.





                                  Klock. Die Kamera ist wieder aus. So laufe ich nun endlich los und das ist auch recht gut. Meine Hände sind kalt, meine Beine durcheist, mein Atem an den Wangen gefroren. Skispuren im Mittelbereich der Loipe, später werde ich erfahren, dass es die Magdeburger waren. Sie waren nach Saariselkä gefahren. Die scharfe Luft brennt auf der Haut. Ich habe nichts zu Trinken mit, ich wollte doch nur schnell das Foto der Rentiere machen.
                                  Zehn Minuten lang behalte ich die Nerven und greife nicht nach meinem Akku. Dann kann ich nicht mehr. Wieder lege ich ihn in die Kamera ein. Grünes Licht, sagt der Akku. Wie fein.

                                  Hatte ich das Motiv schon?





                                  Und das hier? Waaah.!





                                  Die Farben sind diesmal keine Übersteuerung der Kamera. Nein, sie sind so. Ich kann es selbst kaum fassen. Es ist, als würde der Sonnenuntergang jetzt erst richtig beginnen. Habe ich sonst das Problem, dass die Kamera Sonnenuntergänge „verkitscht“, muss ich sie jetzt dazu bringen, dieses Farbspektrum tatsächlich aufzunehmen.

                                  Das Rentiergitter. Das Licht ist jetzt schon schlechter. Den Bildern vom Mond fehlt der Kontrast. Er wird unscharf. Die Dunkelheit senkt sich.

                                  Dafür wird der Himmel auf der anderen Seite noch röter. Es ist jetzt 15.20 Uhr.





                                  Wirklich. Das ist keine Bearbeitung. Hier noch einmal ohne Zoom.





                                  Nun tauche ich wieder in den Wald ein. Als ich um 15.32 Uhr an der Fjällstation ankomme, ist es dunkel. Es sind neue Gäste gekommen. Die meisten sind Holländer. Ein paar Finnen.








                                  Ich bin durchgefroren und setze ich mich in die in dieser Jahreszeit viel zu große und damit ungemütlich wirkende Sauna im Hauptgebäude. Dann koche ich eine große Portion Reis mit Nüssen und Käse. Und friere innerlich immer noch. Vor einer Woche hatte ich den Zeltplatz an den Häusern gesucht. Es kommt mir vor, als wäre es ewig her. Früh gehe ich zu Bett. Die Kälte macht so müde. Ich hoffe, es sind heute keine Nordlichter zu sehen.

                                  In der Nacht schneit es. Der Schnee verbirgt gnädig meine Spuren und als morgens frisch gespurt wird, sind sie getilgt, als wäre nichts geschehen.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • Fjaellraev
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                                    • 21.12.2003
                                    • 13981
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                                    #37
                                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                    Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                    Soll es Rentiere abschrecken? Es erinnert mich an Perlenvorhänge, ist aber aus dickem Kunststoff.
                                    Richtig erkannt. Die Rentiere nehmen das nicht als Durchlass im Zaum wahr. Findet man ab und zu als Durchlass in Rentierzäunen, da muss man nicht damit rechnen, dass die Wanderer zu faul sind den Durchgang wieder zu schliessen... Bei einer Loipe ist es wohl der einzig praktikable Weg.

                                    Gruss
                                    Henning
                                    Es gibt kein schlechtes Wetter,
                                    nur unpassende Kleidung.

                                    Kommentar


                                    • Torres
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                                      • 16.08.2008
                                      • 30686
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                                      #38
                                      AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                      Vielen Dank für die Info.

                                      Ich bin im ersten Moment auch darauf reingefallen und dachte, es sei ein Tor. Aber da die Loipe nun mittendurch ging, war es unlogisch, dass der Weg hier zu Ende ist. Ich bin dann trotzdem sehr vorsichtig hindurch, weil ich mir vorstellte, es wäre vielleicht Metall. Dabei ist es relativ leichter Kunststoff. Schwer genug, um hängen zu bleiben, aber leicht genug, dass man sich nicht verletzen kann.


                                      Übrigens:

                                      Zitat von Torres:
                                      Sonntags fährt der Bus nicht. Die dritte Kategorie ist irgendetwas wie „Helpdag“, wenn ich mich richtig erinnere, was auch immer das ist.
                                      Heute war das gesuchte finnische Wort in meiner Vokabelapp: Pyhäpaivä. Feiertag. Ich habe es umgehend wiedererkannt. Der schwedische Begriff ist "Helgdag".
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • Torres
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                                        • 16.08.2008
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                                        #39
                                        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                        18.01.2016. Skikurs

                                        Ich werde die Skier zurückgeben. Als ich im Dunkeln verschlafen und unkonzentriert beim Gang zum Frühstück den tanzenden Schneeräummaschinen ausweiche, steht mein Entschluss fest. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren. Heute nicht.





                                        Der deutschsprechende Finne schaut mich betrübt an. Ich solle doch mitmachen, das wäre gut. „15,00 Euro“ sagt er. „Für den Kurs“, frage ich. „Nein, für die Ski“. Das ist günstiger als gestern. „Und der Kurs?“. „Der kostet doch nichts“. Ach.
                                        Beim ersten Mal hatte ich 50,00 Euro oder mehr ausgegeben. Ich begreife, dass auf dem Zettel, den ich beim Einchecken erhielt, keine teuren Touriangebote, sondern vom Fjällzentrum organisierte Freizeitangebote drauf sind. Chancen soll man wahrnehmen. Also leihe ich mir die Skier von gestern wieder aus.

                                        Die Gruppe besteht aus einer holländischen Familie – Ehepaar und Sohn mit Frau -, den zwei Koreanerinnen und mir. Madame schaut scharf auf meinen Rucksack, aber das Wasser muss mit. Den Durst kann ich nicht ertragen, den man bekommt, wenn es so kalt ist. Heute ist es allerdings wärmer. Bedeckt, bei – 24 Grad. Die Daunenhose kann dennoch nicht schaden, so falle ich weich.

                                        Vorsichtig laufen wir am Rand der Loipe zur Gabelung von gestern. Aufstellen. Schuhe einhaken. Man muss die Bindung von Hand schließen – das finde ich immer noch nicht einfach. Die verschiedenen Abschnitte der Loipe. Gleiten und skaten. Niemals in der Loipe spazierengehen. Da werden Finnen richtig böse. Zwei Holländerinnen wollen gerade die Loipe, die ich gestern gewandert bin, begehen. Nichts da. Das sind keine Wanderwege. Madame ist zur Stelle. Sie drehen um.





                                        Langsam rutschen wir zum Anfängerstreifen. Die Knie so, den Oberkörper so, die Schultern so. „Was machst Du mit den Stöcken??? Nach hinten!“ Ich habe mir irgendwann beim Wandern angewöhnt, die Stöcke dafür zu nutzen, die Schlammtiefe zu testen. „Nach hinten, Du sollst Dich abstützen!“. Und ich dachte, ich hätte Erfahrung. So kann man sich täuschen.





                                        Zu meiner großen Erleichterung bin ich – im Gegensatz zum ersten Mal – diesmal nicht unter den Umfallenden.





                                        Den Vater erwischt es besonders stark. „Mit zwanzig bin ich Abfahrt gefahren“, erklärt er später. „Da habe ich keine Sekunde nachgedacht, was ich mache. Einfach Gas geben und irgendwie herunterfahren. Kein Problem.“ Er stand schon länger nicht mehr auf Skiern. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir das Gefühl gibt, dass Skifahren schwierig ist. Endlich mal jemand anders, und nicht mehr ich. Meine Bewegungen sind nun flüssiger, und ich gleite. R. wird später beim Anblick eines Fotos sagen: Das sieht ja schon richtig gut aus. Naja.





                                        Knie etwas eindrehen. Einen Ski hochklappen. Funktioniert. Einen Ski aus der Loipe nehmen, zur Seite drehen. Funktioniert. Nicht so stark, eher den Schnee wegschieben. Mit beiden Beinen. Schneepflug. An die Beine denken. Schwierig. Aber funktioniert. Zumindest im Flachen. An Abhänge möchte ich nicht denken. Madame bewundert meine Daunenhose, günstig damals beim Yeti Sonderverkauf erworben. Ihre Hose dürfte nicht so warm sein. Es sind die Momente, wo man wieder einmal merkt, wie stark der ods Einfluss ist. Perfekt ausgerüstet, obwohl in Deutschland fast nie Winter ist.

                                        Nun geht es an den winzigen Hang an der Gabelung. Er ist lächerlich. Abfahren mit Schneepflug. Alle gucken zu. Ein Ski rutscht weg. Poff. Mal wieder. Unter Anleitung von Madame steige ich ab.

                                        Die Holländer haben noch etwas vor (Schneemobilfahren) und bestehen auf dem Ende. Madame bricht ab. Schade. Sie hätte sicherlich noch länger gemacht, und ich hätte am Abhang noch einmal üben können. Als ich ins Gespräch vertieft mit dem Holländer zurückfahre, vergesse ich völlig, dass ich auf Skiern stehe. Es guter Anfang, dessen bin ich mir bewusst.


                                        Kurz nach drei Uhr gehe ich dann noch einmal los. Gerade kommt eine Familie aus dem Nationalpark zurück. Die Kinder stehen wackelig auf den Skiern, das hält sie aber nicht davon ab, ganz selbstverständlich durch die Gegend zu fahren. Diese Unbekümmertheit hätte ich gerne wieder.





                                        Bis ich die Skier an den Füßen habe, dauert es ewig, die zweite Bindung geht nicht zu oder der Schuh rutscht immer raus. Schließlich ziehe ich die Schuhe im Liegen an.





                                        Ein wenig übe ich am Anfängerstreifen. Aber alleine macht das wenig Spaß. So kehre ich langsam zurück.






                                        Ob es wohl Nordlichter gibt? Der Himmel zieht sich zu.

                                        Mit dem Bus aus Rovaniemi ist Japan angekommen und geht zunächst auf das falsche Klo. Die Daunenkleidung ist urban und völlig unterdimensioniert. Eine Verständigung mit Englisch funktioniert rudimentär. Schnell räume ich meine Sachen auf einen Haufen, ich hatte mich ganz schön ausgebreitet. Japan bleibt 9 Tage. Nordlichter anschauen.

                                        Am Abend steht Finnisch für Anfänger auf dem Programm. 5 Holländerinnen, der Magdeburger und ich. Madame unterrichtet. Ein wenig Länderkunde. Hei. Moi. Hei hei. Moi moi. „Welches Wort kennt ihr bereits?“ – Erfragt sind Worte, die dem Deutschen/Englischen gleich oder ähnlich sind. „Poro (Rentier)“, sagt der Magdeburger. Ein kurzer Hinweise zur Aussprache, am Rande der Hinweis, wann ssa zu ssä wird. Die Holländerinnen kichern verlegen. Sie sind wohl nur da, weil es im Programm steht. Vorlesen. „Welches Wort habt ihr heute gelernt?“, fragt Madame zum Schluss. „Poro (Rentier)“, sagt der Magdeburger. Die beiden kennen sich schon. Ein running-gag.

                                        Madame kündigt Nordlichter an. Es ist bitterkalt geworden, aber über dem Mond und den Sternen liegt ein Schleier. Der Magdeburger läuft suchend durch die Kälte, aber ich setze mich ins Restaurant. Als ich ihn auf dem Rückweg erneut treffe, erkenne ich ihn erst nicht. Er ist völlig vermummt. Blick in den Himmel. Aber man sieht nichts. Auch Japan läuft kurz nach draußen, aber in den dünnen Stadtdaunen ist es viel zu kalt. Die Koreanerinnen versuchen ihr Glück, sie sehen aus, als gäbe es Smogalarm, den Mund vor der kalten Luft geschützt. Mache ich etwas falsch? Mein Mund ist frei.





                                        Mit Japan schaue ich vom Fenster aus noch einmal hoffnungsvoll in den Himmel. Stattdessen sehen wir ein Paar, das auf der Loipe herumläuft und seine Taschenlampe ausprobiert. Dabei ist der Schnee doch hell genug und der Lampenschein blendet nur. Es wirkt wie eine Lasershow. Hoch in die Bäume, in jede Ecke. Bloß nichts übersehen. Was für Deppen. Lichtverschmutzung.

                                        Gegen halb elf geben wir auf. Schlaf ist wichtig. Bisher sind Nordlichter immer zu mir gekommen. Wenn ich in diesem Jahr keine sehe, dann ist das eben so.
                                        Oha.
                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                                        • Torres
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                                          #40
                                          AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                          19.01.2016 5,1 km

                                          Meine Beine fühlen sich gut an. Der Skikurs war ein voller Erfolg. Trotzdem gebe ich die Skier zurück. Alleine eine längere Strecke zu fahren, ist mir zu gefährlich, und die Anfängerstrecke kenne ich ja nun. Ich beschließe, zu wandern. Spontan entscheide ich, keine Verlängerungstag mehr zu nehmen. Mir läuft die Zeit davon. Ich wollte doch soviel noch sehen und Besuche machen. Ich kündige mich bei Inarijoen Peter und R. an. Einen Moment später überlege ich, ob das ein Fehler war. Aber das weiß man ja nie. Es fühlt sich richtig an. Ein Flugzeug hat am Morgen Kreise gemalt.





                                          Der Skibus kommt. Die Holländer fragen, ob ich nicht nach Saariselkä fahre. Die Jungen fahren mit Skiern, die Eltern mit dem Bus. Ich verneine. Nein, da gibt man nur Geld aus. Mit Skiern über den Ahopää. Das traue ich mir nicht zu. Und Saariselkä kenne ich schon. Es wäre ein verlorener Tag. Ich bin lieber Outdoor.








                                          Im Grunde gibt es nur einen Wanderweg in dieser Region. Er führt zunächst an der Hauptstraße entlang. Das klingt dramatisch, aber mehr als zwei Autos treffe ich nicht. Menschen sowieso nicht.





                                          Es ist wieder sehr kalt. Ich hatte am Morgen, als ich nach dem Frühstück mit den Magdeburgern sprach, meine Jacke aufgelassen – mir war einfach nicht kalt. Madame schaute mich scharf an. Offene Jacke? Keinen Schal? „Wir haben – 31 Grad!“
                                          Oh, dachte ich, und sagte: „Okay. Ich gehe gleich rein“, und redete weiter. Es war der Moment, wo ich begriff, dass die vor Ort gemessene Temperatur und der Wetterbericht ( - 24 Grad) nichts miteinander zu tun haben. Nun muss ich schmunzeln. Sechs oder sieben Jahre war ich alt. Es war Winter. Und ganz schön kalt. Wir waren vier oder fünf Kinder: „Wenn ich groß bin, fahre ich im Winter nach Spanien.“ „Ich ziehe nach Afrika.“ „Ich will nach Italien.“ „ Ich ziehe dahin, wo es warm ist.“ Nun bin ich dran: „Ich ziehe dahin, wo es kalt ist. In die Antarktis. Ich kann Hitze nicht leiden.“ Und alle starrten mich an.

                                          Der Wanderweg ist auch ein Radweg. Man sieht es an den typischen Steigungen.








                                          Ein Hügel. Ich muss ackern, um den kurzen, knackigen Anstieg zu bewältigen. Ein guter Zeltplatz.








                                          Das Schild.





                                          Wieder diese Stille. Kleine Punkte auf dem Schnee.





                                          Links neben mir ahne ich die Sonne. Verdammt. Kann mal jemand die Bäume wegnehmen?





                                          Auch von hier ist sie nicht zu sehen.





                                          Okay, ein bisschen. Mit Abdunkeln geht es.





                                          Immer noch nichts.





                                          Ich habe nun die Chance, Richtung Kakslauttanen zu laufen, aber das erscheint mir zu weit. Den Weg müsste ich komplett wieder zurück. Nur hier ist ein Rundweg. Ich verzichte. Und verpasse – 38 Grad, wie mir die Magdeburger später berichten.





                                          Die Sonne ist nun hinter mir. Dichter Wald dazwischen. Oder etwa nicht?








                                          Ein paar Meter weiter drehe ich mich wieder um und diesmal ist die Lücke groß genug.





                                          Eine richtige Kontur bekommt sie auf dem Foto leider nicht.





                                          Ich fotografiere, bis der Akku gelb blinkt. Es ist jetzt 13.00 Uhr. Die ganze Zeit habe ich mich nicht bewegt. Ich muss ich mich aufwärmen. Und nehme Abschied.





                                          Auch ohne Sonne ist es hier schön.











                                          Viel zu schnell bin ich wieder an den Häusern angekommen. Die doppelte Wegstrecke wäre schön gewesen. Bei Schnee sehen die Bauten sogar romantisch aus.





                                          Als ich an der Straße ankomme, stehe ich unvermittelt vor einem Rentier. Fassungslos schauen wir uns beide an. Man erwartet keine Begegnungen hier. Lautlos dreht es sich um und läuft die Straße entlang. Ich krame verzweifelt nach meinem Akku.





                                          Ich fühle mich mit ihm verbunden. Einsam läuft es nach rechts. Und einsam laufe ich nach links.





                                          Der Mond ist wieder aufgegangen. Er ist größer geworden.





                                          Die Eisblumen im Eingangsbereich.





                                          Ich mache den Proviant für morgen fertig. Ein merkwürdiges Gefühl. Hätte ich besser doch noch ein paar Tage angehängt? Am Donnerstag nachmittag ist Pfannkuchenbraten. Und anschließend ein Kurs in Orientierung. Am Wochenende lehrt Madame Nordlichter fotografieren. Das hätte mich natürlich interessiert. Ich wette, Nordlichter sind morgen zu sehen. Genau zu meiner Abfahrt.

                                          Bleiben? Und dann? Es gibt nichts mehr zu tun, wenn man nicht Ski fahren kann. In einer Woche muss ich pünktlich in Helsinki sein. Und die Besuche sind mir wichtig. Ich vertreibe die Gedanken und melde mich für die Schneeschuhtour „Mond und Sterne“ am Abend an.





                                          Die Schneeschuhtour ist kostenlos. Fast alle Holländer sind dabei, zwei Finnen und die Koreanerinnen. Außerdem der Magdeburger. Er läuft vor mir.
                                          Madame stiefelt voran, und mir bricht unverzüglich der Schweiß aus. Wenn das so weiter geht, halten das meine Knie nicht aus. Dieses Tempo bin ich nicht gewohnt. Ich laufe normalerweise langsam und ausdauernd. Nicht sportlich und schnell. Ich interveniere. Madame meint, sie sei doch gar nicht schnell, und ich biete an, nach hinten zu gehen, um niemanden der anderen zu behindern. Aber niemand will nach vorne. Ich brauche etwas Zeit, bis ich merke, dass die anderen noch langsamer sind, als ich und ganz froh sind, dass ich etwas bremse. Schau mal einer an.

                                          Wir stiefeln den Weg in Richtung Kiilopää hoch. Ich komme jetzt besser in Schwung, und Madame ist auch ein wenig langsamer geworden. „Es geht nur bis zum ersten Pfeiler“, sagt der Madgeburger. Das beruhigt mich. Das ist nicht so weit.





                                          Am Pfeiler bleiben wir tatsächlich stehen. Madame winkt uns ein Stückchen weiter, dort ist eine Senke. „Kommt aus dem Wind raus“, ruft sie. Ich bleibe dagegen stehen. Ich will ungestört fotografieren. Welcher Wind, frage ich mich. Zu Hause ist das bisschen Luft doch ganz normal. Und stört nicht.

                                          Ich probiere ein wenig mit der Kamera herum. Ein Stativ kann ich nicht aufbauen, und habe auch nur ein Kleines für den Notfall mit. Aber immerhin bekomme ich diesmal überhaupt ein Bild auf das Foto. Das mag angesichts der schlechten Qualität merkwürdig erscheinen. Aber bisher waren diese Fotos immer rabenschwarz. Anscheinend habe ich langsam die Bedienung meiner Kamera kapiert.





                                          Ein bissschen merke ich den Wind dann doch. Meine Hand wackelt mehr, als ich will. Vor allem wird sie kalt.





                                          Madame erklärt uns die Sternbilder. Wir erfahren, wie man bestimmen kann, wo Norden ist und an welcher Stelle man Nordlichter sehen kann. Gestern gab es einen leichten Schimmer. Zwei Holländerinnen erzählen davon. Heute leider nichts. Das hier sind keine. Es ist Smog, angeleuchtet von den Lichtern Saariselkäs.





                                          Ein letztes Foto noch.





                                          Und wieder horche ich in mich hinein: War die Entscheidung richtig? Ja. Sie war richtig. Die Sterne zu sehen, ist wunderbar. Ein schöner Abschluss. Es muss nicht immer Lametta sein.
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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