AW: [FI]Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse
10.01.2016 11,5 km
Es ist Sonntag, und ich verschlafe. Ich habe wild von Abhängen geträumt. Als ich wach werde, ist es schon halb acht.
In der Rekordzeit von 1,5 Stunden packe ich, aber ich bin ziemlich müde. Morgen soll es schneien. Ein Ruhetag wäre gut, aber den kann ich mir nicht leisten. Ein paar Bisse Brot. Mühsam steige ich den Abhang hinunter. Hier sieht wirklich alles gleich aus. Wären nicht meine Spuren im Schnee, ich würde die Ideallinie nicht mehr finden.
Am Weg angekommen, sehe ich einen älteren Mann mit Trekkingstöcken aus Richtung Landstraße auf mich zukommen. Ob er gesehen hat, wo ich herkomme? Er grüßt und beginnt ein Gespräch, aber mein Finnisch ist gerade entfleucht. Wir radebrechen ein wenig auf Englisch, aber ich bin unkonzentriert. Meine linke Hand ist leer. Wo ist mein Trekkingstock?
Als er außer Sichtweite ist, wühle ich mich wieder den Hang hinauf. Gut sichtbar steckt der Stock, wo ich ihn gestern platziert habe. Wieso habe ich ihn heute morgen nicht gesehen? Also wieder den Abhang herunter. Der nächste Wanderer kommt. Auch er grüßt. Eine kommunikative Gegend hier. Der erste Wanderer kommt zurück. Wieder ein paar Worte. Dann der Zweite. Und schon ist es 10.00 Uhr.
Ich versuche Gas zu geben, aber so richtig komme ich nicht in Schwung. Der Belag nervt mich. Ich fotografiere ein bisschen herum.
Endlich endet der grobe Schotter. Der Energieschub bleibt aus.
Wieder sehen die Bäume märchenhaft aus.
Ich mache am Wegesrand eine kleine Pause. So richtig LNT ist das nicht, was ich mache, aber wo soll man hier graben? Der Boden ist tief gefroren. Ich trinke eine halbe Kanne von meinem kostbaren Nass. Das Wasser in der normalen Thermos ist mittlerweile kalt.
Bald darauf befinde ich mich an einer weitläufigen Fläche. Sie gefällt mir.
Langsam geht die Sonne auf und der rötliche Schein spiegelt sich an den Bäumen.
Noch einmal ein Blick zurück.
Und dann geht die Sonne auf.
Ich brauche etwas, um zu merken, dass die Sonne, die ich aufgehen sehe, nur eine Reflexion ist. Die wahre Sonne ist viel tiefer.
Regungslos bleibe ich stehen und schaue zu.
Und dann hat sie es endlich geschafft. Es ist, als würde ich plötzlich von ihr durchflutet. Wärme. Energie. Leben.
Frohgemut laufe ich los und merke, dass ich plötzlich extrem lichtempfindlich bin. Habe ich zuwenig gegessen und getrunken? Gut möglich. Ein paar Meter weiter kreuzen sich Wege, in der Ferne hört man Menschen rufen. Hier hätte ich gestern übernachten sollen. Hier ist es schön.
Mein Blick fällt auf einen Holzstapel. Er ist mir einer riesigen Plane überdeckt. Ein paar Holzstämme davor. Der ideale Rastplatz. Eine Moment überlege ich, ob die Plane vielleicht verseucht sein könnte, aber dann ist mir das völlig egal. Ein riesiges Reservoir sauberen Schnees. Ich muss ihn nur abstreifen. Innerhalb von Sekunden ist mein Behältnis voll.
Ich drehe den Kocher auf und koche Schnellreis mit Salami, Nüssen, Suppe und Käse. Die Sonne ist hinter den Bäumen verschwunden. Ich hoffe, sie kommt bald wieder hervor. Ich koche Wasser und fülle die Thermoskannen auf. Das Wasser in der Thermos Light und Compact ist immer noch heiß, ich koche es dennoch auf. Von dem Wasser, das übrig ist, gönne ich mir einen heißen Kakao. Meine Batterien sind wieder voll. Hier habe ich bereits wieder zusammengepackt.
Ich fröstele ein wenig, als ich den Rucksack aufziehe und hoffe auf die Sonne, muss aber feststellen, dass sie inzwischen von Wolken verdeckt wird.
Es ist jetzt 12.20 Uhr. Ich bin spät dran.
Eine Frau bleibt stehen, und wir tauschen belanglose Worte auf Englisch aus. Sie läuft los. Ihr Rucksack wippt auf ihren Schultern, und ich versuche zu folgen. Auf flacher Strecke geht das noch ganz gut, aber als es steiler wird, bekomme ich die Beine nicht mehr hoch. Zwei junge Männer kommen uns flink entgegen. Kein Gepäck.
Ich gebe alles, aber ich habe keine Kraft mehr. Selbst meinen Armen fehlt der Saft. Was ist das? Ich habe doch genug gegessen. Getrunken habe ich auch. Ich mache einen kurzen inneren Check. Müdigkeit? Nein, ich bin absolut fit. Es fühlt sich an, als wäre ich steif? Ein Hexenschuss ist etwas anderes, aber ein wenig kommt es mir vor, als wäre ich verhext.
Unter dem Vorwand, zu fotografieren, bleibe ich vor einem Hindernis stehen. Ein Blick zurück zur Sonne, die Männer schauen von unten herauf und der in der grünen Jacke gestikuliert wild und redet über mich. Ich kann das sehen. Der andere zuckt die Schultern. Ich bin mir sicher, sie werden wieder kommen. Und dann gibt es eine Predigt, wollen wir wetten? Manche Leute sind so unentspannt. Ein Blödmann, denke ich.
Vor mir ist der Himmel noch blau. Aber rechts von mir färbt sich der Himmel bereits grau. Die Kamera filtert noch Farbelemente heraus. Für das Auge sind sie nicht zu sehen.
Wieder ein paar Schritte. Und plötzlich fällt mir etwas ein. Der Bauer. In seinen Knochen spürt er, wenn das Wetter wechselt. Oder der alte Seemann, den sein Holzbein warnt. Das ist die Erklärung: Das Wetter schlägt um. Es ist wärmer geworden. Mein Thermometer zeigt nur noch knapp – 7 Grad. Die Feuchtigkeit nimmt zu. Ich fluche über das Alter. Mit zwanzig lacht man da nur.
Ich kämpfe mich weiter den Abhang hoch und versuche einen agilen Eindruck zu machen. Porsche bewege ich seit gestern elegant, ich weiß genau, wo er durchpasst und was ihn umwirft. Er ist kein Problem. Das Problem bin ich. Daher verschätze ich mich jetzt doch zwei oder dreimal und Steine werfen ihn um. Mir fehlt die Kraft, ihn zu halten. Mein Tagesrucksack wird ein paar böse Löcher davontragen. Auf den Fotos sieht das hier flach und einfach aus, aber die ganze Umgebung besteht aus Felsen. Die Gräser an den Rändern täuschen, es gibt keinen Waldboden, sondern nur bewachsenen Stein. An einigen Stellen muss ich Porsche tragen, weil der Weg zu schmal ist. Baumstämme sind zu überwinden. Man braucht auch ohne Wagen Geschick, um durchzukommen. Festgehalten habe ich das nicht. Wenn es schwierig wird, fotografiere ich nicht.
Eine Steingruppe gefällt mir, und ich bleibe stehen, obwohl ich eigentlich Gas geben wollte, um den Herren zu entgehen.
Mein Instinkt hat mich nicht getrogen. Sie sind kurz hinter mir und überholen jetzt. Und ich hatte Recht. Der eifrige Typ sucht ein Gespräch. Erst redet er Finnisch. Als ich „English please“ sage, schaltet er auf Englisch um. Mit diesem Wagen käme ich nicht weiter. Er kennt sich hier aus. Das Gelände ist viel zu schwierig.
Ich warte geduldig, was er zu sagen hat. Der andere Mann guckt mit einem leichten Grinsen in die Ferne. Ich solle umkehren, erfahre ich. Durch den Kangenmiekka NP käme ich mit dem Wagen nicht durch. Ich kenne das englische Wort für die Holzwege nicht und sage „Bohlen“. Er nickt, Planks. Gleich kommen auch welche. Er wirkt besorgt. Alleine könnte ich das natürlich schon, sagt er plötzlich, und bemüht sich etwas freundlicher zu sein. Nur mit dem Wagen nicht. Er weiß nicht, dass ich Schwierigkeiten vorausgesehen habe: Der Wagen ist klappbar und kann am Rucksack befestigt werden. Der Tagesrucksack käme dann vorne vor den Körper. Kalkuliert war, dass auf der Mitte der Strecke ein Teil des Essens gegessen ist und auch weniger Benzin im Rucksack ist. Gäbe es mehr Schnee, wäre auch der Wasservorrat leichter.
„Ich bin in Raisio gestartet,“ sage ich unvermittelt. „Dies ist der dritte Tag, zwei Übernachtungen im Zelt.“ Einen Moment sagt er gar nichts, sein Blick geht in die Ferne. Anscheinend geht er im Geist die Wegführung durch. Der andere Typ grinst nun breiter und schaut ihn neugierig an. Er wohne hier nur 3 km entfernt und wäre auf diesen Wegen ständig unterwegs, versucht er die Deutungshoheit zurückzuerlangen. Er kenne hier jeden Fleck.
Ich beschließe, die Strategie zu wechseln und seinen Standortvorteil zu nutzen. Ich zeige ihm auf der Karte das Symbol des Busses am Eingang des Kangenmiekka Nationalparks. An dieser Stelle hätte ich nämlich die Möglichkeit des Ausstiegs, danach für zwei Tage nicht mehr. Gibt es diesen Bus überhaupt? Ja, den gibt es. Eifrig beugt er sich über die Karte und zeigt mir eine Abkürzung durch einen Ort. Hier gibt es ebenfalls eine Bushaltestelle. Wieso diesen Umweg hier durch schwieriges Gelände gehen und dann noch die Landstraße entlang entlang laufen. Das sind insgesamt 5 km, da hat er natürlich Recht. Vor allem die 1,8 km lange Schleife an der Landstraße kann man sich eigentlich ersparen. Das ist verlorene Zeit. Immerhin ist es schon spät.
Ich werde konkret: Mein Problem ist nicht die Strecke. Mein Problem ist das Wetter. Morgen solle es schneien. Ob er etwas darüber wisse. Er schaut verblüfft. Nein, davon weiß er nichts. Und fährt der Bus auch am sonntags? Er stutzt und sagt dann selbstüberzeugt: „Ja. Das tut er“. So etwas ist immer der heikelste Teil, die meisten Leute wissen das in Wirklichkeit nicht. Bis in die Abendstunden? „Aber sicher“. Das kann gar nicht anders sein. Ich lasse mir noch einmal die Abkürzung auf der Karte zeigen. Noch habe ich nichts entschieden. Aber es ist gut, Bescheid zu wissen. Versöhnlich verabschieden wir uns.
Der Himmel ist grau geworden. Unsicherheit schleicht sich in meine Gefühle ein. Das Gespräch zeigt Wirkung. Falls die Strecke wirklich schwieriger wird, ist ein Wintereinbruch nicht zu unterschätzen. Auf mein Zeltchen verlassen kann ich mich nicht. Das macht Abwettern schwierig. Dabei habe ich schon 30 km von 70 km hinter mir. Da hört man nicht einfach auf. Aber irgendetwas gefällt mir hier nicht. Dass es nicht mehr so weit ist, ist kein Argument. Ich packe die Kamera weg. Leichter wird das Gelände nun nicht. Im Gegenteil. Immer wieder bleibe ich kurz stehen und stelle mir frische Schneefälle vor, welche die Steine und Wurzeln verdecken. Ideal wäre das nicht.
Eine Lichtung mit einem Feuerplatz taucht auf. Noch heute morgen wäre ich hier fröhlich herumgehüpft. Jetzt ist meine Stimmung gedämpft. Die Bäume wirken fast schwarz-weiß. Nur am Horizont leuchtet noch ein unnatürlicher, rosiger Schein.
Das Essen hat Durst gemacht, und ich leere die dünnwandigere Thermos. Das Wasser ist sehr heiß. Nachdenklich schaue ich die Umgebung an.
Der Schnee hat sich durch die Wärme verändert. Ich versuche, die Eiskristalle zu fotografieren, aber so zackig, wie gestern, sind sie nicht mehr.
Ich sehe mir noch einmal die Karte an und überdenke meine Optionen. Schneit es ausgiebig, kann es sein, dass ich den Weg nicht mehr finde. Es kann rutschig sein, wenn sich Neu- und Altschnee nicht verbinden. Und kaputte Brücken, kaputte Bohlen und Abgründe sind nicht mehr zu sehen. Schneit es wenig, fehlt weiterhin das Wasser. Und muss ich länger abwettern, reicht mein Essen nicht.
Der Wald, der vorgestern so erhaben wirkte, zeigt sich freudlos und kahl.
Eine Welt in Monochrome.
Naja. Immer noch nicht ganz.
Ich beschließe, die Entscheidung an der Abzweigung zu treffen und trete aus dem Wald.
10.01.2016 11,5 km
Es ist Sonntag, und ich verschlafe. Ich habe wild von Abhängen geträumt. Als ich wach werde, ist es schon halb acht.
In der Rekordzeit von 1,5 Stunden packe ich, aber ich bin ziemlich müde. Morgen soll es schneien. Ein Ruhetag wäre gut, aber den kann ich mir nicht leisten. Ein paar Bisse Brot. Mühsam steige ich den Abhang hinunter. Hier sieht wirklich alles gleich aus. Wären nicht meine Spuren im Schnee, ich würde die Ideallinie nicht mehr finden.
Am Weg angekommen, sehe ich einen älteren Mann mit Trekkingstöcken aus Richtung Landstraße auf mich zukommen. Ob er gesehen hat, wo ich herkomme? Er grüßt und beginnt ein Gespräch, aber mein Finnisch ist gerade entfleucht. Wir radebrechen ein wenig auf Englisch, aber ich bin unkonzentriert. Meine linke Hand ist leer. Wo ist mein Trekkingstock?
Als er außer Sichtweite ist, wühle ich mich wieder den Hang hinauf. Gut sichtbar steckt der Stock, wo ich ihn gestern platziert habe. Wieso habe ich ihn heute morgen nicht gesehen? Also wieder den Abhang herunter. Der nächste Wanderer kommt. Auch er grüßt. Eine kommunikative Gegend hier. Der erste Wanderer kommt zurück. Wieder ein paar Worte. Dann der Zweite. Und schon ist es 10.00 Uhr.
Ich versuche Gas zu geben, aber so richtig komme ich nicht in Schwung. Der Belag nervt mich. Ich fotografiere ein bisschen herum.
Endlich endet der grobe Schotter. Der Energieschub bleibt aus.
Wieder sehen die Bäume märchenhaft aus.
Ich mache am Wegesrand eine kleine Pause. So richtig LNT ist das nicht, was ich mache, aber wo soll man hier graben? Der Boden ist tief gefroren. Ich trinke eine halbe Kanne von meinem kostbaren Nass. Das Wasser in der normalen Thermos ist mittlerweile kalt.
Bald darauf befinde ich mich an einer weitläufigen Fläche. Sie gefällt mir.
Langsam geht die Sonne auf und der rötliche Schein spiegelt sich an den Bäumen.
Noch einmal ein Blick zurück.
Und dann geht die Sonne auf.
Ich brauche etwas, um zu merken, dass die Sonne, die ich aufgehen sehe, nur eine Reflexion ist. Die wahre Sonne ist viel tiefer.
Regungslos bleibe ich stehen und schaue zu.
Und dann hat sie es endlich geschafft. Es ist, als würde ich plötzlich von ihr durchflutet. Wärme. Energie. Leben.
Frohgemut laufe ich los und merke, dass ich plötzlich extrem lichtempfindlich bin. Habe ich zuwenig gegessen und getrunken? Gut möglich. Ein paar Meter weiter kreuzen sich Wege, in der Ferne hört man Menschen rufen. Hier hätte ich gestern übernachten sollen. Hier ist es schön.
Mein Blick fällt auf einen Holzstapel. Er ist mir einer riesigen Plane überdeckt. Ein paar Holzstämme davor. Der ideale Rastplatz. Eine Moment überlege ich, ob die Plane vielleicht verseucht sein könnte, aber dann ist mir das völlig egal. Ein riesiges Reservoir sauberen Schnees. Ich muss ihn nur abstreifen. Innerhalb von Sekunden ist mein Behältnis voll.
Ich drehe den Kocher auf und koche Schnellreis mit Salami, Nüssen, Suppe und Käse. Die Sonne ist hinter den Bäumen verschwunden. Ich hoffe, sie kommt bald wieder hervor. Ich koche Wasser und fülle die Thermoskannen auf. Das Wasser in der Thermos Light und Compact ist immer noch heiß, ich koche es dennoch auf. Von dem Wasser, das übrig ist, gönne ich mir einen heißen Kakao. Meine Batterien sind wieder voll. Hier habe ich bereits wieder zusammengepackt.
Ich fröstele ein wenig, als ich den Rucksack aufziehe und hoffe auf die Sonne, muss aber feststellen, dass sie inzwischen von Wolken verdeckt wird.
Es ist jetzt 12.20 Uhr. Ich bin spät dran.
Eine Frau bleibt stehen, und wir tauschen belanglose Worte auf Englisch aus. Sie läuft los. Ihr Rucksack wippt auf ihren Schultern, und ich versuche zu folgen. Auf flacher Strecke geht das noch ganz gut, aber als es steiler wird, bekomme ich die Beine nicht mehr hoch. Zwei junge Männer kommen uns flink entgegen. Kein Gepäck.
Ich gebe alles, aber ich habe keine Kraft mehr. Selbst meinen Armen fehlt der Saft. Was ist das? Ich habe doch genug gegessen. Getrunken habe ich auch. Ich mache einen kurzen inneren Check. Müdigkeit? Nein, ich bin absolut fit. Es fühlt sich an, als wäre ich steif? Ein Hexenschuss ist etwas anderes, aber ein wenig kommt es mir vor, als wäre ich verhext.
Unter dem Vorwand, zu fotografieren, bleibe ich vor einem Hindernis stehen. Ein Blick zurück zur Sonne, die Männer schauen von unten herauf und der in der grünen Jacke gestikuliert wild und redet über mich. Ich kann das sehen. Der andere zuckt die Schultern. Ich bin mir sicher, sie werden wieder kommen. Und dann gibt es eine Predigt, wollen wir wetten? Manche Leute sind so unentspannt. Ein Blödmann, denke ich.
Vor mir ist der Himmel noch blau. Aber rechts von mir färbt sich der Himmel bereits grau. Die Kamera filtert noch Farbelemente heraus. Für das Auge sind sie nicht zu sehen.
Wieder ein paar Schritte. Und plötzlich fällt mir etwas ein. Der Bauer. In seinen Knochen spürt er, wenn das Wetter wechselt. Oder der alte Seemann, den sein Holzbein warnt. Das ist die Erklärung: Das Wetter schlägt um. Es ist wärmer geworden. Mein Thermometer zeigt nur noch knapp – 7 Grad. Die Feuchtigkeit nimmt zu. Ich fluche über das Alter. Mit zwanzig lacht man da nur.
Ich kämpfe mich weiter den Abhang hoch und versuche einen agilen Eindruck zu machen. Porsche bewege ich seit gestern elegant, ich weiß genau, wo er durchpasst und was ihn umwirft. Er ist kein Problem. Das Problem bin ich. Daher verschätze ich mich jetzt doch zwei oder dreimal und Steine werfen ihn um. Mir fehlt die Kraft, ihn zu halten. Mein Tagesrucksack wird ein paar böse Löcher davontragen. Auf den Fotos sieht das hier flach und einfach aus, aber die ganze Umgebung besteht aus Felsen. Die Gräser an den Rändern täuschen, es gibt keinen Waldboden, sondern nur bewachsenen Stein. An einigen Stellen muss ich Porsche tragen, weil der Weg zu schmal ist. Baumstämme sind zu überwinden. Man braucht auch ohne Wagen Geschick, um durchzukommen. Festgehalten habe ich das nicht. Wenn es schwierig wird, fotografiere ich nicht.
Eine Steingruppe gefällt mir, und ich bleibe stehen, obwohl ich eigentlich Gas geben wollte, um den Herren zu entgehen.
Mein Instinkt hat mich nicht getrogen. Sie sind kurz hinter mir und überholen jetzt. Und ich hatte Recht. Der eifrige Typ sucht ein Gespräch. Erst redet er Finnisch. Als ich „English please“ sage, schaltet er auf Englisch um. Mit diesem Wagen käme ich nicht weiter. Er kennt sich hier aus. Das Gelände ist viel zu schwierig.
Ich warte geduldig, was er zu sagen hat. Der andere Mann guckt mit einem leichten Grinsen in die Ferne. Ich solle umkehren, erfahre ich. Durch den Kangenmiekka NP käme ich mit dem Wagen nicht durch. Ich kenne das englische Wort für die Holzwege nicht und sage „Bohlen“. Er nickt, Planks. Gleich kommen auch welche. Er wirkt besorgt. Alleine könnte ich das natürlich schon, sagt er plötzlich, und bemüht sich etwas freundlicher zu sein. Nur mit dem Wagen nicht. Er weiß nicht, dass ich Schwierigkeiten vorausgesehen habe: Der Wagen ist klappbar und kann am Rucksack befestigt werden. Der Tagesrucksack käme dann vorne vor den Körper. Kalkuliert war, dass auf der Mitte der Strecke ein Teil des Essens gegessen ist und auch weniger Benzin im Rucksack ist. Gäbe es mehr Schnee, wäre auch der Wasservorrat leichter.
„Ich bin in Raisio gestartet,“ sage ich unvermittelt. „Dies ist der dritte Tag, zwei Übernachtungen im Zelt.“ Einen Moment sagt er gar nichts, sein Blick geht in die Ferne. Anscheinend geht er im Geist die Wegführung durch. Der andere Typ grinst nun breiter und schaut ihn neugierig an. Er wohne hier nur 3 km entfernt und wäre auf diesen Wegen ständig unterwegs, versucht er die Deutungshoheit zurückzuerlangen. Er kenne hier jeden Fleck.
Ich beschließe, die Strategie zu wechseln und seinen Standortvorteil zu nutzen. Ich zeige ihm auf der Karte das Symbol des Busses am Eingang des Kangenmiekka Nationalparks. An dieser Stelle hätte ich nämlich die Möglichkeit des Ausstiegs, danach für zwei Tage nicht mehr. Gibt es diesen Bus überhaupt? Ja, den gibt es. Eifrig beugt er sich über die Karte und zeigt mir eine Abkürzung durch einen Ort. Hier gibt es ebenfalls eine Bushaltestelle. Wieso diesen Umweg hier durch schwieriges Gelände gehen und dann noch die Landstraße entlang entlang laufen. Das sind insgesamt 5 km, da hat er natürlich Recht. Vor allem die 1,8 km lange Schleife an der Landstraße kann man sich eigentlich ersparen. Das ist verlorene Zeit. Immerhin ist es schon spät.
Ich werde konkret: Mein Problem ist nicht die Strecke. Mein Problem ist das Wetter. Morgen solle es schneien. Ob er etwas darüber wisse. Er schaut verblüfft. Nein, davon weiß er nichts. Und fährt der Bus auch am sonntags? Er stutzt und sagt dann selbstüberzeugt: „Ja. Das tut er“. So etwas ist immer der heikelste Teil, die meisten Leute wissen das in Wirklichkeit nicht. Bis in die Abendstunden? „Aber sicher“. Das kann gar nicht anders sein. Ich lasse mir noch einmal die Abkürzung auf der Karte zeigen. Noch habe ich nichts entschieden. Aber es ist gut, Bescheid zu wissen. Versöhnlich verabschieden wir uns.
Der Himmel ist grau geworden. Unsicherheit schleicht sich in meine Gefühle ein. Das Gespräch zeigt Wirkung. Falls die Strecke wirklich schwieriger wird, ist ein Wintereinbruch nicht zu unterschätzen. Auf mein Zeltchen verlassen kann ich mich nicht. Das macht Abwettern schwierig. Dabei habe ich schon 30 km von 70 km hinter mir. Da hört man nicht einfach auf. Aber irgendetwas gefällt mir hier nicht. Dass es nicht mehr so weit ist, ist kein Argument. Ich packe die Kamera weg. Leichter wird das Gelände nun nicht. Im Gegenteil. Immer wieder bleibe ich kurz stehen und stelle mir frische Schneefälle vor, welche die Steine und Wurzeln verdecken. Ideal wäre das nicht.
Eine Lichtung mit einem Feuerplatz taucht auf. Noch heute morgen wäre ich hier fröhlich herumgehüpft. Jetzt ist meine Stimmung gedämpft. Die Bäume wirken fast schwarz-weiß. Nur am Horizont leuchtet noch ein unnatürlicher, rosiger Schein.
Das Essen hat Durst gemacht, und ich leere die dünnwandigere Thermos. Das Wasser ist sehr heiß. Nachdenklich schaue ich die Umgebung an.
Der Schnee hat sich durch die Wärme verändert. Ich versuche, die Eiskristalle zu fotografieren, aber so zackig, wie gestern, sind sie nicht mehr.
Ich sehe mir noch einmal die Karte an und überdenke meine Optionen. Schneit es ausgiebig, kann es sein, dass ich den Weg nicht mehr finde. Es kann rutschig sein, wenn sich Neu- und Altschnee nicht verbinden. Und kaputte Brücken, kaputte Bohlen und Abgründe sind nicht mehr zu sehen. Schneit es wenig, fehlt weiterhin das Wasser. Und muss ich länger abwettern, reicht mein Essen nicht.
Der Wald, der vorgestern so erhaben wirkte, zeigt sich freudlos und kahl.
Eine Welt in Monochrome.
Naja. Immer noch nicht ganz.
Ich beschließe, die Entscheidung an der Abzweigung zu treffen und trete aus dem Wald.
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