[DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Grebe)

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    • 25.09.2013
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    [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Grebe)

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    Im letzten Jahr stand als kleine Solo-Unternehmung die Schokoladenseite der Region (Fischland-Darß-Zingst) auf dem Programm (siehe Reisebeschreibung). Schaut der unternehmungslustige Wandersmann auf die Karte der Gegend, so fragt er sich natürlich, wie die Landschaft denn in Nähe der Binnengewässer, genauer gesagt des Saaler Boddens ausschaut. Anzunehmen ist eine deutlich weniger präsente Tourismuskultur, da die faulen Ostsee-Urlauber es ja noch nicht mal am Strand schaffen, sich mehr als 20m vom Dünenübergang niederzulassen. Aber Spekulieren hilft da wenig - es will überprüft werden. Also schnell die Sachen gepackt, Stiefel angezogen - und los geht's. Aber wohin denn nun genau? Ein offizielles Wanderwegenetz gibt es nicht, aber die Strichlinien in OSM lassen zumindest vermuten, dass eine Wanderung möglichst nah am Bodden über längere Strecken möglich sein sollte. Ich suche mir die östliche Seite des Gewässers aus: Touristenburgen wird man hier wohl vergebens suchen. Außerdem lockt ein ehemaliger Sowjet-Militärflugplatz in der Nähe der größten Stadt, Ribnitz-Damgarten. Wie es da nach 25 Jahren Abwesenheit der einstigen Kalten Krieger wohl ausschaut? Kommt man da überhaupt aufs Gelände? Muss ich rauskriegen ... Das Kalkül ist, durch das Erwandern dieser Uferseite eine Strecke auszukundschaften, die in Kombination mit o.g. Route das Umrunden des Saaler und Bodstedter Boddens ermöglicht – inkl. Abstechern in Richtung Ostsee (Eine der Strecken müsste dafür in umgekehrter Richtung erlaufen werden, da beide Male das anvisierte Ziel das Ostseebad Zingst war.).
    Früh morgens karrt mich der Bus bis nach Körkwitz, noch so einem Kaff mit extrem übersichtlicher Infrastruktur. (Das Thema wird mich im Laufe des Tages noch beschäftigen.) Die Morgenluft ist klar, das Wetter so lala – beste Bedingungen also!


    Ich schultere meinen Rucksack – der für eine Wanderung dieser Größenordnung mal wieder eindeutig zu schwer ist: 12,5kg zeigte die Waage an. Das liegt u.a. daran, dass ich aus finanzieller Unlust immer noch nicht in ein 1P-Zelt investiert habe, sondern meinen MSR-Hoop-Palast durch die Gegend schleppe. Naja, sei’s drum, dann kann ich abends wenigstens wie der Beduinenkönig noch Gäste empfangen. Bewirten werde ich sie allerdings nicht können, vielmehr verlasse ich mich auf die relative Nähe zur Zivilisation für die eine oder andere Zwischenmahlzeit. Ein paar Brote und etwas Trockenfutter habe ich natürlich dabei. Es wird darüber zu berichten sein, wie das im Einzelnen funktioniert hat.
    Bereits nach kurzer Wegstrecke auf einem Fahrradweg ist mir der erste Blick auf den Bodden vergönnt. Einigermaßen stimmungsvoll …


    Da der asphaltierte Weg die einzige Alternative zur Autostraße darstellt, folge ich ihm weiter. Es dauert nicht lange und ein aufdringlicher Geruch steigt mir in die Nase. Nach der Wegbiegung wird auch dessen Provenienz klar – auf das regionale Klärwerk ist man hier offenbar derart stolz, dass die Radtouristen direkt daran vorbei gelotst werden, um ein werbewirksames Foto zu machen. So wie ich eben …


    Bei genauerem Hinsehen sieht man im Hintergrund etwas sprudeln. Ja, genau. Sehr pittoresk nimmt sich allerdings auch der Zaun im Vordergrund aus, dessen Betonpfähle vielleicht noch aus DDR-Zeiten stammen. Nun ja, weiter geht’s auf der „Tour der Steine“, auf der mir tatsächlich ein paar Radler entgegenkommen, einige davon sogar mit schwerem Gepäck. Per pedes ist hier außer mir keiner unterwegs. Die Strecke verläuft tatsächlich – wie erhofft – in Gewässernähe, so dass der Bodden meist in Sichtweite bleibt. Ich erreiche schließlich Ribnitz. Der Fischhafen bietet manches an Restauration, ich entscheide mich für eine Imbissbude. Das für Fischbrötchen und Kaffee gezahlte Geld ist fast schon unanständig wenig – an der Ostseeküste (in 20km Entfernung) würde das vielleicht für einen Teebeutel (ohne Wasser) reichen. Mein derart erstandenes Frühstück nehme ich auf dem Holzsteg ein, quasi zwischen Stadtblick und Boddenblick.



    Der Kaffee erweist sich leider als das geschmackliche Äquivalent zu seinem Preis, das Brötchen ist annehmbar. Eine clevere Sturmmöwe findet das offenbar auch. Allerdings verharrt sie auf dem Pfahl (siehe Bild) und tut so, als ob sie mich gar nicht weiter beachtet. Nachdem ich meinen Platz geräumt habe, stürzt sie sich auf die übrig gelassenen Brötchenkrümel.
    Mein Weg führt mich weiter am Ufer entlang, durch parkähnliche bzw. schilfumstandene Bereiche. Die Stadt lasse ich rechts liegen. Der Belag wechselt von Asphalt zu Schotter, was mir ganz recht ist. Nach einiger Traberei überquere ich in Nähe einer stark frequentierten Straße die Mündung der Recknitz und damit die Grenze zwischen Vorpommern und Mecklenburg. Ich erinnere mich an einen Kanuwander-Bericht in diesem Forum, welcher das Befahren dieses sich durch die Landschaft windenden Flüsschens empfahl. Steht noch auf der bucket list. Nächstes Jahr vielleicht?
    So, nun wird es Zeit, sich zu orientieren: die osm-Karte zeigt einen Pfad entlang des Bodden-Ufers an. Aber wo geht der ab? Ich versuche es einfach mal mit einer Holzbrücke, die über ein Rinnsal (den sogenannten „Templerbach“, wie ich später erfahre) führt.


    Ja, das sieht gut aus: der Weg wird zunehmend schmaler und die Vegetation ursprünglicher. Außerdem treffe ich für ca. 1 Stunde gar niemanden. Wiederum halte ich Sichtkontakt zum Bodden und erfreue mich ansonsten an der Kombination aus Trampelpfad, Stoppelfeld und alten Pappeln bzw. Weiden, die den Weg säumen.


    Dann aber gibt die wild wuchernde Flora unvermittelt den Blick auf eine kleine Bucht frei, wo ein Angler es sich auf seinem Campingstuhl gemütlich gemacht hat. Der unnachahmliche Mecklenburger Wasmachtderdennhier-Blick trifft mich, dann richtet er sich wieder auf die Wasseroberfläche. Ich verkneife mir einen Gruß – sonst beißen sie nachher nicht, weil man zu laut war …
    Ein OSM-Enthusiast hat sich mal die Mühe gemacht, eine entlang des Weges befindliche Schutzhütte einzutragen. Tja, und so sieht sie aus:


    Schätze, sie reicht, um abzuwettern. Einige gelangweilte Jugendliche haben das Teil allerdings auch schon entdeckt, wie Grafittis und leere Bierdosen bezeugen.
    Ich schlage mich durch mannshohes Schilf und Gestrüpp – geht es hier tatsächlich weiter? – und stehe plötzlich vor einer Plattenstraße, die verdächtig nach Militär aussieht.


    Aha, jetzt wird’s interessant! Wie man unschwer erkennt, hat sich die Natur seit der Auflösung des Warschauer Pakts einen beträchtlichen Teil des Weges zurückerobert. Das gilt im Übrigen auch für die Gebäude, die den Wegesrand säumen: eingefallen, zum Teil nur noch Grundmauern vorhanden, überall stehen Warnhinweise des Ribnitzer Bürgermeisters höchstpersönlich, hier doch bitte nicht rumzuschnüffeln. Nee, mach ich ja auch nicht, ich stiefele schön weiter auf dem Beton entlang. Und so treffe ich schließlich auf die untrüglichen Überreste des großen sozialistischen Bruders in ihrer ganzen Pracht:


    Welche Fluggeräte wohl einst in diesem Hangar standen? Komisch, hier ist gar nix abgezäunt oder sonstwie eingehegt. Dann werfe ich doch mal einen Blick hinein:


    Schön geräumig – ideal für eine Goa-Party. Gegenüber steht diese kleine Butze:


    Man stelle sich den armen Sowjetsoldaten vor, der hier weiland vor diesem Häuschen stehend Wache schob: fern der Heimat, seit Monaten in dieser vermaledeiten deutschen Kaserne gefangen, gelangweilt. Jetzt wenigstens ne Fluppe anzünden – stoi! ruft der Vorgesetzte und deutet auf die großen kyrillischen Lettern über dem Kopf von Kamerad Schnürschuh …
    Erst nach dem Hangar treffe ich auf einen Bauzaun. Die Elemente sind ineinandergesteckt, so dass ich eins aushebeln und so auf das Gelände komme. Ein paar Ewig-Gestrige betreiben hier offenbar eine Art Nostalgie-Park – im Freien ausgestellt sind allerlei Fahrzeug-Preziosen aus der guten alten NVA / Sowjetzeit, wie z.B. Ural, Tatra, W50 usw. Erst später erfahre ich, dass man hier Eintritt bezahlen muss, was offenbar einige Interessierte auch tun, die den Hauptweg mit dem Auto gekommen sind. Dass sich Wandersleute über Schleichwege anpirschen, damit rechnet hier offenbar keiner. Oder es kommt nur alle 5 Jahre mal vor. Unbehelligt stapfe ich über das Gelände und denke immer wieder daran, dass ich wahrscheinlich entweder in den Alkoholismus oder den Suizid getrieben worden wäre, wenn die DDR Bestand und ich meine 3(!) Jahre bei der NVA hätte ableisten müssen. War schließlich Pflicht, wenn man danach studieren wollte – es sei denn, man kam aus einer waschechten Proletarierfamilie.
    Mit gemischten Gefühlen orientiere ich mich Richtung Ausgang. Wieder steht die Routenfrage im Vordergrund: ich will mich ja so nah wie möglich am Ufer entlang bewegen, welches in Nord-Süd-Richtung verläuft. Nähme ich den Hauptausgang, so ginge ich Richtung Osten, vom Ufer weg. Osm zeigt mir etwas nördlich des Flugplatzgeländes eine noch erhaltene Umzäunung – wahrscheinlich die einstige Außengrenze der Kaserne. Ob ich da wohl weiterkomme? Ich beschließe, es einfach zu wagen und schlage mich, sobald sich die Gelegenheit ergibt, in die Büsche. Wucherig genug sieht es ja aus:


    Recht schnell befinde ich mich im Wald, nur die eingefallenen Behausungen hier und da erinnern daran, dass dies alles mal zum Militärgelände gehörte. Besonders eigenartig nimmt sich dieser Ort aus:


    Was soll das sein – der Eingang zu einem Bunker? Links sieht man noch die Überreste eines Schornsteins liegen. Abenteuerlust hin oder her, da krauche ich nicht rein! Stattdessen folge ich dem Pfad durchs Unterholz, der sich jedoch schon bald teilt; hm, wohin jetzt? Laut GPS-Signal bewege ich mich immerhin auf besagte Außengrenze zu, durch die zudem ein weiterer Weg hindurchführt. Langsam geht es voran: orientieren, mit der Karte vergleichen, anpeilen, Zweigen und Ästen ausweichen … Diese Fortbewegungsmethode führt mich letztlich bis zu der Abgrenzung, die sich als solide Mauer herausstellt. Drüberklettern? Vielleicht möglich, wenn ich vorher den Rucksack herüberwerfe. Ich schaue nach rechts und entdecke inmitten von Holz und Gebüsch einen alten Wohnwagen! Je näher ich trete, desto mehr beschleichen mich Zweifel: ob da jemand wohnt? Direkt neben dem Wagen jedoch klafft ein großes Loch in der Mauer. Das scheint der eingezeichnete Durchlass zu sein. Halb erwarte ich, dass ein Mecklenburger Hobo mit der Baseballkeule aus dem Wagen auf mich zustürzt – aber alle Sorge ist unberechtigt, das Ding ist leer. Einigermaßen erleichtert klettere ich durch die Lücke und wende mich um:


    Auch hier steht natürlich ein Warnschild - wie gut, dass ich auf keinerlei Tellerminen getreten bin. Hinterher lässt es sich immer gut grinsen, was ich nun auch tue. Ein bisschen stapfe ich noch durch den Wald, dann wird es Zeit das Stullenpaket zu schlachten. Ich sitze auf einem Feldstein an einer Wegkreuzung, schaue auf das Gras um meine Stiefel und bemerke nach ca. 1 Minute, wie viele Viecher da so sitzen: Heuschrecken, Spinnen und Käfer, die ich noch nie gesehen habe. Was einem so auffällt, wenn man ordentlich entschleunigt ist … Die Show nimmt mich derart gefangen, dass ich dabei ein Pausenbrot nach dem anderen vertilge und auch den Wasservorrat ordentlich dezimiere. Dadurch wird der Rucksack zwar leichter, aber im nächsten Ort werde ich irgendwo einkehren müssen.
    Die Orientierung funktioniert, so dass ich nach Wiederaufnahme von Gepäck und Wanderschritt nach einiger Zeit wieder in Bodden-Nähe gelange. Der Weg führt durch einen schönen und lichten Mischwald …


    … und linkerhand geben die Äste ab und zu den Blick auf Schilf, Wasser und Segelboote frei.


    Mittlerweile ist mein Wasser alle und es wird Zeit, die Zivilisation aufzusuchen. Die lässt nicht lange auf sich warten – eine kleine Siedlung am Waldrand lässt mich hoffen. Nach kurzer Zeit finde ich ein gerade bewohntes Ferienhaus, deren zeitweiliger Bewohner mir freigiebig die Flasche füllt und anschließend meint, nun müsse ich aber auch erzählen, was mich in die Gegend verschlägt. Da ich seit ca. 6 Stunden kein Wort gesprochen habe, gebe ich umso bereitwilliger Auskunft.
    Weiter geht es durch eine eher heide-artige Landschaft, die ihren eigenen Reiz hat.


    Dabei begehe ich allerdings den Fehler, blindlings der asphaltierten Straße zu folgen – ein späterer Blick auf die Karte zeigt einen Pfad wenige Meter südlich, der wohl deutlich netter gewesen wäre. Sei’s drum, alsbald verweist mich das GPS wieder in Richtung Schleichweg, der von der Straße abgehen soll. Tja, aber wo ist der? Ich stehe auf einer Boddenwiese, in der Ferne stehen ein paar Kühe, rechter Hand ist eine kleine bewachsene Böschung. Ich wandere den Weidezaun entlang, muss jedoch recht schnell kapitulieren, da mir sumpfiges Gelände den Weg versperrt. Also umdrehen und zurück? Ich „erklimme“ die Böschung – und siehe da: sie entpuppt sich als Deich. Den hatte ich nur nicht ernst genommen, weil er
    a) von hohem Bewuchs umstanden war, was ihn tarnte und
    b) er eher ein Deichlein ist, jedenfalls verglichen mit den Befestigungen, die ich sonst so kenne. Folgende Ansicht gibt hoffentlich Aufschluss über die Optik:


    Was vielleicht nur zu erahnen sein wird, ist die Weite der Landschaft, die sich mir hier offenbart. Topfeben, klare Sicht bis sonstwohin, keine Sau zu sehen – nur ich. Das lange Gras wedelt im Wind, ab und zu fliegt ein Vogel vorbei. Ich weiß nicht, wie es euch so geht, aber mir gibt das einen Kick, der durchaus vergleichbar ist mit Erlebnissen im Hochgebirge.
    Der üppig bewachsene Pseudo-Deich will allerdings vorsichtig bewandert werden, ein richtiger Weg ist nicht vorhanden und so suchen sich die Schuhsohlen eher tastend ihren Tritt. Wieder komme ich nur langsam voran, bis ich schließlich auf eine Wiese abbiege und auf den Ort Saal zusteuere. Mittlerweile knurrt nämlich schon wieder der Magen. Aber vorher will ich mir die Backsteinkirche des Dorfes anschauen, soviel Zeit muss sein. Sie kann auf den ersten Blick als durchaus typische Vertreterin der Backsteingotik gelten, wie man sie in vielen Dörfern der Gegend findet – eher trutzig als filigran, als Hallenkirche gebaut und ohne Turm, weshalb ein Glockenstuhl auf dem Kirchhof errichtet wurde.


    Der Chor – so unterrichtet mich eine Infotafel – stammt allerdings bereits aus dem 13. Jahrhundert. Das ist doch mal ne Ansage.
    So, nun nehme ich aber das Thema Restauration in den Blick. Und zwar nicht die der Kirche, sondern die der kulinarischen Art. Die Hauptstraße des Ortes führt mich nach wenigen Metern zu einer offenen Gaststätte. Ich stolpere hinein und finde die Bedienung ins Gespräch mit zwei jungen Herren vertieft. Auch hier ist man offensichtlich überrumpelt von der Ankunft eines zahlenden Gastes; die junge Frau verkündet aber auf meine Frage nach Kaffee und Kuchen freundlich, man könne Erdbeerkuchen anbieten. Ich ordere gleich 2 Stück nebst Kaffeekännchen und setze mich nach draußen auf die Terrasse. Eine weitere Frage meinerseits betrifft das Beschaffen von Nahrung („Supermarkt? Bäckerei?“), was mit einem zynischen Lachen quittiert wird sowie der anschließenden Erklärung, einen Laden gäbe es hier schon mal gar nicht und die Bäckerei habe schon zu. Tja, da ist der Großstädter in die Falle getappt! Mir geht es eigentlich darum, mich für das Frühstück zu versorgen, da ich ja noch meinen Trockenfraß für das Abendessen dabei habe. Es entspinnt sich folgender Dialog:
    „Wo wolln Se denn heute überhaupt noch hin?“
    „Naja, so Richtung Neuendorf, vielleicht noch bis Michaelsdorf …“
    „Zu Fuß?!“
    „Tja, äh … ja.“
    „Ham Se da n Quartier?“
    „Das hab ich dabei. Mein Zelt.“
    „Aha.“ Pause. „Also, in Neuendorf, da gibt’s ja den Zeltplatz am Hafen. Da is auch ne Gaststätte, das Neuendorfer Riff, da arbeitet meine Freundin. Da könn Se n Hamburger essen.“
    Mir wird warm ums Herz. „OK, dann werd ich da mal draufzuhalten.“
    Gesagt, getan. Ich marschiere aus dem Ort und auf dem neben der Straße verlaufenden Radweg.


    Der harte Asphalt behagt meinen Füßen überhaupt nicht – mit jedem Kilometer schmerzen sie etwas mehr. Viel Strecke schaffe ich heute nicht mehr. Ich erreiche schließlich Neuendorf – das Abendlicht breitet sich schon aus – und finde auch den übersichtlichen Campingplatz am Hafen. Besagtes „Neuendorfer Riff“ hat natürlich zu – großartig! Ein kurzes Interview anwesender Camper verschafft mir die Information, dass die Versorgungslage hier schwierig sei – morgen sei ja Sonntag, da habe weit und breit alles (was denn überhaupt?) zu. Ab und zu komme mal jemand mit einem Van vorbei und verkaufe Wurst und Brot aus seinem Wagen heraus, aber ob der morgen komme? Wer weiß das schon genau …
    Zumindest reift nun in mir der Entschluss, die Nacht hier vor Ort zu verbringen. Eigentlich war der Plan, sich ein ruhiges Plätzchen abseits der Ortschaften zu suchen. Allerdings sehe ich einen verlockenden Platz für mein Zelt relativ dicht am Wasser – da kann ich nicht widerstehen.



    Ich packe meine mobile Küche aus und bereite meine gefriergetrocknete Premium-Mahlzeit zu. Eine Sitzbank inkl. Tisch gibt es sogar auch, und einen kostenlosen Blick aufs Wasser und die darauf untergehende Sonne dazu.



    Naja, kurz schaut sie hinter den Wolken hervor und plumpst dann hinein. Einen Rest der Mahlzeit lasse ich in der Tüte – sollte es wirklich so sein, dass ich morgen früh nichts zu essen auftreiben kann, habe ich wenigstens noch einen Bissen kalter Nudeln. Nach dem Essen ist es Zeit für eine Inspektion der Füße. Auch an dieser Front sieht es nicht gut aus: der Ballen des rechten Fußes weist unter der Hornhaut eine Blase auf, was zumindest die Schmerzen erklärt. Das ist deshalb recht verwunderlich, weil ich mit derselben Socken-Schuh-Kombination ein paar Woche zuvor in Rumänien unterwegs war und keinerlei Probleme verspürte. Allerdings war ich dort im Gebirge unterwegs – ebener Asphalt bzw. Waldweg scheint doch noch eine andersartige Belastung für die Füße zu sein. Ich nehme mir vor, meine Notapotheke um etwas Alkohol und eine Spritzenkanüle zu erweitern, steige in meinen Schlafsack und penne sofort ein.
    Der nächste Morgen weckt mich früh. Die Luft ist noch kühl, die Wirtschaft hat, wie erwartet, zu. Während ich die kalten Nudeln löffle (mjam!), werfe ich einen Blick auf die Karte. Ich taxiere die Wanderstrecke bis zum nächsten größeren Ort – Fuhlendorf – auf ca. 2 Stunden. Da die Touristendichte meines Wissens nach deutlich größer ist, müsste sich auch eine Bäckerei finden lassen. Ich packe meine Sachen, fülle meine Wasserflasche, verfluche nochmals meine Großstädter-Naivität und begebe mich auf den Weg. Der sieht im Morgenlicht so aus …


    … und hebt meine Laune etwas. Da aus unerfindlichen Gründen sich allerdings auch mein Handy-Akku verabschiedet (hing nachts an der Powerbank – vergebens), geht mir eine weitere Ressource flöten. Ich schieße noch ein letztes Bild von der Gegend, bevor es in den Saaler Forst geht ...

    ... dann herrscht für mich Funkstille. Leider nicht für meine Füße, die funken SOS.
    Um es kurz zu machen: In Fuhlendorf gibt es natürlich auch keinen Bäcker, der am Sonntag aufmacht. Fündig wurde ich erst im darauf folgenden Ort. Immerhin. Die Strecke zieht sich auch deshalb, weil sie nur aus Asphalt besteht. Gern hätte ich die alternative Route durch den Barther Stadtforst genommen, was ich Nachahmern auch empfehlen würde. Ich selbst verlor kurz vor dem Ziel – in Pruchten – die Nerven, setzte mich ins Bushäuschen und fuhr die letzten 10km schließlich.

    Mein persönliches Fazit war mal wieder, dass man nicht bis nach Timbuktu pilgern muss, um sich allerlei Erfahrungen und Erlebnisse zu verschaffen: in Einsamkeit die Schönheit der Landschaft sehen, auch die kleinen Dinge wahrzunehmen und die Merkwürdigkeiten abseits der Straße aufzusuchen - all das lässt sich quasi vor der Haustür erledigen. Erst recht wurde mir mal wieder bewusst, dass es keiner Extremtour bedarf, um mal wieder die eigenen Grenzen aufgezeigt zu bekommen. Manchmal reicht schon das Mikro-Abenteuer …
    Zuletzt geändert von hungerast; 20.02.2016, 10:47.
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  • lina
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    #2
    AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

    Danke für’s Berichten, hat Spaß gemacht zu lesen :-)

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    • November
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      #3
      AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

      ... es geht nach Mecklenburg
      Na, das werden dir die Vorpommern sicher nicht so schnell verzeihen.
      Denn wie du richtig schreibst, verläuft zwischen Ribnitz und Damgarten die Grenze zwische Mecklenburg und Vorpommern.

      Zu Fuß ist es in Küstennähe immer schwierig, der Norden ist eben ein klassisches Radlerrevier. Und das Radwegenetz auf Fischland-Darss-Zingst ist hervorragend ausgebaut.
      Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

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      • Prachttaucher
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        #4
        AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

        Fein !

        Gute Idee um Gewicht zu sparen :
        https://www.outdoorseiten.net/fotos/.../DSC_06311.JPG

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        • Spartaner
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          • 24.01.2011
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          #5
          AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

          Die eingesparte Zinke macht er aber mit der dickwandigen Plastikflasche wieder mehr als wett.

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          • hungerast
            Erfahren
            • 25.09.2013
            • 365
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            #6
            AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

            Zitat von Spartaner Beitrag anzeigen
            Die eingesparte Zinke macht er aber mit der dickwandigen Plastikflasche wieder mehr als wett.
            Das geschrottete Plastik-Essgerät war der Grund, dem Forumsmitglied prachttaucher einen Ti-Spork abzukaufen

            Im Übrigen habt ihr mich da schon richtig eingeschätzt - zur Zahnbürstenabsäger-Fraktion gehöre ich nun wirklich nicht (vgl. eigene Bemerkungen zum Zelt zu Beginn des Reiseberichts).

            Danke an lina - dachte schon, der Bericht wird bei der Fülle an Beiträgen eher untergehen ... da freut den Autor ein wenig Lob schon ...
            Take a load of your feet Pete
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            • gargantula
              Erfahren
              • 09.12.2013
              • 222
              • Privat

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              #7
              AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

              Habe den Bericht nun auch gelesen und ich muss sagen: So gerne ich Berichte von tolle lange Wanderungen in toller Landschaft, die weit weg ist lese, so sehr freue ich mich auch immer über spannende Berichte wo man viel einfacher denken kann: "Da fahre ich vielleicht auch mal für ein paar Tage hin".

              In diesem Sinne - schön schauts dort aus!
              “Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.”

              (Antoine de Saint-Exupéry, französischer Schriftsteller, 1900 – 1944

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              • Lenz
                Anfänger im Forum
                • 14.01.2010
                • 35
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

                Sehr gelungener Bericht deines Kurzabenteuers, danke fürs daran teilhaben Lassen!

                Schöne Grüße aus Thüüüüüüü[...]ringen
                Flo

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                • redragon
                  Erfahren
                  • 29.05.2008
                  • 248
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

                  Schöner Bericht

                  Mit der Goa-Party auf dem Mitlitär-Gelände liegst gar nich mal so verkehrt.
                  Da findet seit drei Jahren das Pangea-Festivel statt. zwar kein Goa, aber trotzdem sehr bunt
                  Search the red T

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                  • Qualle
                    Gerne im Forum
                    • 31.03.2011
                    • 56
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

                    Schöner Bericht und schöne Bilder.

                    Mich würde interessieren was für ein Schlafsack du nutzt und wie sich dein Hoop so schlägt ?

                    LG
                    Zuletzt geändert von Qualle; 14.03.2016, 22:31.

                    Kommentar


                    • hungerast
                      Erfahren
                      • 25.09.2013
                      • 365
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [DE] Pack was zu essen ein, es geht nach Mecklenburg (frei nach Rainald Greb

                      Zitat von Qualle Beitrag anzeigen
                      Schöner Bericht und schöne Bilder.

                      Mich würde interessieren was für ein Schlafsack du nutzt und wie sich dein Hoop so schlägt ?

                      LG
                      Hallo Qualle,

                      mein Schlafsack ist der Deuter Exosphere -4°: Kufa und Stretch. Ich mag ihn, weil er echt bequem ist. Als unruhiger Seitenschläfer (mit angezogenen Beinen) komme ich mit klassischen Mumienschlafsäcken einfach nicht klar. Da nehme ich mehr Volumen und Gewicht in Kauf und habe dafür eine tatsächlich erholsame Nacht.

                      Das Hoop ist nach wie vor im Einsatz und stand auch schon mal im böigen Wind, wo es nicht in die Knie ging. Ist ein vertretbarer Kompromiss aus Platz, Gewicht, Robustheit, Preis ... Ob meine Kaufentscheidung wieder für das Zelt ausfallen würde, weiß ich nicht - habe den Markt lange nicht beobachtet.

                      Allein mit diesen beiden Teilen ist der UL-Anspruch bei der Ausrüstung bereits dahin - was aber bei Leuten über 1,90 und Vorlieben jenseits der Standardware eh illusorisch ist, wenn du mich fragst ...
                      Take a load of your feet Pete
                      You better watch out what you eat
                      Better take care of your life
                      'Cause nobody else will

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                      • Spartaner
                        Alter Hase
                        • 24.01.2011
                        • 4800
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                        #12
                        Zitat von hungerast Beitrag anzeigen
                        Und so treffe ich schließlich auf die untrüglichen Überreste des großen sozialistischen Bruders in ihrer ganzen Pracht:


                        Welche Fluggeräte wohl einst in diesem Hangar standen? Komisch, hier ist gar nix abgezäunt oder sonstwie eingehegt. Dann werfe ich doch mal einen Blick hinein:


                        Schön geräumig – ideal für eine Goa-Party. Gegenüber steht diese kleine Butze:


                        Man stelle sich den armen Sowjetsoldaten vor, der hier weiland vor diesem Häuschen stehend Wache schob
                        Der Hangar ist mit ziemlicher Sicherheit kein sowjetisch-sozialistischer Bau, dazu ist die Betonträgerkonstruktion viel zu durchdacht und gut ausgeführt. Ich denke, der stammt bereits aus den Dreißiger Jahren, Fliegerhorst Pütnitz.
                        Wikipedia meint, Flugzeugführerschule und Seefliegerstation, Details hier in DIE GESCHICHTE DES FLUGPLATZES PÜTNITZ.

                        Beim zweiten Gebäude, dem Unterstand für den Wachposten, glaube ich eher an sowjetisches Design.

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                        • Pflaume09
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                          #13
                          Interessanter Bericht.
                          Danke!

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