[RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen Meer

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  • Intihuitana
    Fuchs
    • 19.06.2014
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    • Meine Reisen

    #21
    AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

    Unglaublich. Beindruckend.
    Russian Roulette is not the same without a gun. - Lady Gaga

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    • paddel
      Fuchs
      • 25.04.2007
      • 1864
      • Privat

      • Meine Reisen

      #22
      AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

      Zitat von OutofSaigon Beitrag anzeigen
      ... Fünf Sterne, ohne Zögern.
      ... besonders die tollen Fotos (ich finde sie mindestens genauso gut wie manch andere, die ein Mehrfaches an Hits bekommen, aber so ein Forum hat wohl mitunter seine eigenen Gesetzmäßigkeiten...)
      Auf jeden Fall! Sie vermitteln den Eindruck, dass die Landschaft wirklich so aussah.
      Froh schlägt das Herz im Reisekittel,
      vorausgesetzt man hat die Mittel.

      W.Busch

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      • bikevagabond
        Erfahren
        • 22.11.2013
        • 257
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        • Meine Reisen

        #23
        AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

        Vielen Dank für euer positives feedback! Das motiviert mich doch, an der Geschichte dran zu bleiben
        „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
        Meine bisherigen Reisen

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        • BohnenBub
          Erfahren
          • 15.09.2012
          • 294
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          #24
          AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

          Ausgesprochen beeindruckend und inspirierend!

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          • bikevagabond
            Erfahren
            • 22.11.2013
            • 257
            • Privat

            • Meine Reisen

            #25
            AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

            Leider hat es diesmal etwas länger gedauert mit der Fortsetzung... eigentlich ein Unding, dass das Schreiben eines Berichts länger dauert, als die Reise selbst

            Im Wildwasser des Nitkan

            Gleich nachdem ich das Boot wässerte, zog mich das schäumende Wasser mit einer fast schon atemberaubenden Geschwindigkeit stromab. Anfangs blockierten noch ein paar größere Felsblöcke, doch bald schon rauschte ich über lange Strecken nahezu widerstandslos durch die karge Bergtundra. Was zuvor ganze Tagesetappen waren, ließ sich nun im Stundentakt bewältigen... Nach nur wenigen Kilometern ging das offene Flusstal in einen herrlichen Canyon mit bizarren Felsformationen über. Im Blick hatte ich allerdings eher das wilde Wasser, da ich mit der leicht mäandrierenden Strömung immer wieder auf die Felswände zusteuerte. Irgendwie schaffte ich aber immer die Kurve, ohne dabei gegen den Fels gedrückt zu werden. Dafür hat es mich insgesamt dreimal aus dem Boot geworfen, mit Trockenanzug aber kein Problem, ohne hätte ich wohl immer wieder pausieren und Sachen trocknen müssen.

            Gelegentlich musste ich auch anhalten, um das von den Wellenbrechern vollgeschwappte Boot auszukippen. Da mein Packraft ohne Spritzdecke und generell ohne Selbstlenzung auskommen muss, verwandelt es sich im Wildwasser schnell in ein Planschbecken, das sich nur noch träge manövrieren lässt. Zudem dringt mit der Zeit Feuchtigkeit in die angeblich wasserdichten Säcke ein, zumindest wenn der Rollverschluss längere Zeit im Wasser liegt... All das tat dem Raftinggenuss aber keinen Abbruch – im Gegenteil: diese Fahrt durch den Canyon war für mich der Höhepunkt der ganzen Tour. Ich war so im Adrenalinrausch, dass ich kaum Fotos machte, dafür aber ein paar Videosequenzen mit meiner wasserdichten Kopfkamera, welche die Dynamik des Ganzen viel besser einfing, als es je ein Foto geschafft hätte (einen Zusammenschnitt habe ich unten verlinkt).


            Bootsaufbau



















            Während die Sonne unterging, führte mich der Nitkan wieder aus dem Canyon hinaus. Das Flussbett weitete sich, das Wasser wurde flacher und die seichten Stellen, an denen ich mein Boot vorübergehend ziehen musste, häufiger. Dann kam ich an einer kleinen, im Wasser frei stehenden Felswand vorbei. Sie markiert die Stelle, an der sich zwei Zubringer mit sehenswerten Schluchten treffen. Leider hatte ich keine Zeit, um mir diese Seitencanyons näher anzuschauen. Robert, der neun Tage nach mir hier eintraf, erkundete einen Tag lang den Snezhnik-Canyon und brachte viele eindrucksvolle Fotos mit.

            Auf dem folgenden Abschnitt hatte der Nitkan nun mehr Wasser und das Rafting wurde reibungsloser. Clemens und Jakob, die im September 2013 diese Tour machten, mussten sich noch bis hierhin abschleppen, da der Oberlauf des Nitkan im Herbst nahezu trocken liegt. Insofern hatte der frühe Start unserer Tour auch einen Vorteil, denn ein Rafting durch den Canyon scheint nur in der Schmelzwasserphase des Frühsommers möglich zu sein...

            Zurück in die Taiga

            Obwohl es schon dämmerte, paddelte ich noch ein paar Kilometer weiter – zu verlockend war der Gedanke, in der nun wieder auftauchenden Lärchentaiga einen gemütlichen Platz mit Feuerholz zu finden. Vor allem der Schlafsack musste noch getrocknet werden, da er als Sitz im Boot etwas Feuchtigkeit aufgesogen hatte. Leider waren auch die Proviantreserven betroffen und so musste ich am nächsten Morgen noch Reis, Hafer und Buchweizen in der Sonne trocknen. Solch ein Wildwassertag braucht definitiv mehr Nachbereitung. Übrigens fand ich an diesem Camp das letzte Mal Preiselbeeren – Beeren, die im letzten Herbst reiften, den ganzen Winter konserviert überdauerten und erst jetzt Ende Juni langsam vergoren...











            Am zweiten Raftingtag ging es dann bei überwiegend sonnigem Wetter den restlichen Nitkan hinab. Die Strömung blieb die ganze Zeit über flott, Hindernisse gab es dagegen kaum noch und so schaffte ich trotz späten Aufbruchs mühelos 40 km. Zu Beginn war ich noch umgeben von einer imposanten Berglandschaft, an der ich mich überhaupt nicht satt sehen konnte. Diese Kombination aus wildem Fluss, lichter Lärchentaiga und schroffen Bergen mit schneebedeckten Gipfeln war einfach nur episch! Das Nitkan-Tal ist zweifellos eines der schönsten, das ich je gesehen habe. Viel zu schnell durchquerte ich es...

            Am Ende paddelte ich noch an ein paar Naledresten vorbei, dann öffnete sich das Tal, die Berge rückten in die Ferne, die Taiga wurde dichter und der Fluss begann sich unübersichtlich aufzuzweigen. Es folgte ein langer Abschnitt mit viel verklaustetem Treibholz, welchem jetzt die ganze Aufmerksamkeit gehörte, da es stets vorausschauend umgangen werden musste. An den flachen Ufern dominierten hochgewachsene Auwälder, die undurchdringlich und wenig einladend wirkten, doch strömten sie ganz unvermittelt einen markanten Frühlingsduft aus, der mich für eine Weile in den heimischen April zurückversetzte. Bleiben wollte ich hier aber nicht und so ließ ich mich weitertreiben, bis ein ordentliches Ufer für den Nachtplatz auftauchte. Erst hier stellte ich fest, dass ich schon längst auf der Judoma war – der entscheidende Zufluss von rechts hatte sich im Wirrwarr der Aufzweigungen ganz unauffällig hinzugesellt.


            ein Halo begrüßt den Tag












            solche Stellen gab es immer häufiger







            Hier noch das versprochene Video:

            „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
            Meine bisherigen Reisen

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            • bikevagabond
              Erfahren
              • 22.11.2013
              • 257
              • Privat

              • Meine Reisen

              #26
              AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

              Auf der Judoma

              Als ich am nächsten Morgen aus dem Zelt kroch, war plötzlich der Sommer da. Ich wollte es kaum glauben, aber das Thermometer zeigte gegen Mittag ganze 29 Grad im Schatten (direkt am Wasser waren es allerdings nur 20 Grad). Mit der Wärme kamen aber auch die Bremsen und nachts erstmals seit langem wieder die Mücken aus ihren Löchern gekrochen. Das aber noch in einem für sibirische Verhältnisse erträglichem Maße. Wegen des tollen Wetters ging ich den Tag mal ganz gelassen an, nahm ein gepflegtes Bad im Fluss, spülte ein paar Sachen durch und köchelte mir über dem Feuer einen großen Topf Milchreis.

              Am Nachmittag setzte ich schließlich das Boot in die Fluten und wurde sofort von einer fantastischen Strömung mitgenommen – als ob man auf einen fahrenden Zug aufspringt. Theoretisch hätte ich mich den restlichen Tag nur treiben lassen brauchen und locker 50 km geschafft. Doch der stark verzweigte Flusslauf und die permanenten Treibholzablagerungen erforderten ständige Aufmerksamkeit, so dass ich fast durchweg das Paddel rotieren musste, um auf richtigem Kurs zu bleiben. Oft saß ich auf dem Zeltsack direkt auf dem Heck des Bootes, um aus dieser erhöhten Position die Bewegung des Wassers besser beobachten zu können. Ich versuchte bei Aufzweigungen immer dem breitesten Wasserlauf zu folgen, im Zweifelsfall dem, der mittig verläuft bzw. weniger Treibholz zu liegen hat. Auch Flachwasserstellen oder hohe Wellen konnte ich auf diese Weise frühzeitig ausmachen.

              Da der Fluss stets breit genug war, um jeglichen Treibholzansammlungen ausweichen zu können, neige ich fast dazu, von keinen ernsthaften Hindernissen zu sprechen. Doch was, wenn man einmal nicht den richtigen Abzweig nimmt und plötzlich in eine Holzblockade hineingetrieben wird? Einmal bin ich in eine solche Sackgasse geraten, da gab es dann nur noch zwei Möglichkeiten: auf einem Nebenarm in den Auwald, was ich unbedingt vermeiden wollte, oder durch eine schmale Lücke einer Holzverklausung wieder zurück zum Hauptstrom. Zum Glück fand ich an der Aufzweigung eine relativ flache Stelle zum Anhalten, Umkehren war bei der kräftigen Strömung unmöglich. Ich schaffte es gerade so mit dem Boot ein paar Meter stromaufwärts zu gehen, um einen besseren Startpunkt für die Querung der schmalen Lücke im Holz zu haben. Es gelang... Die Alternative dazu wäre ein beschwerlicher Fußmarsch durch den dichten Auwald gewesen, alles einzeln durchtragend, bis wieder ein zugängliches Ufer ohne Treibholz auftauchen würde.










              hier wird das letzte Mehl verbacken



              Der Suntar-Chajata war inzwischen komplett aus meinem Blickfeld geraten, doch immer noch umgaben mich mächtige Bergzüge, selbst am Südhorizont tauchten ständig neue auf. Ich blieb die ganze Zeit in einer gigantischen Gebirgslandschaft, dazu über hunderte Kilometer keine Menschenseele – in etwa so hatte ich mir immer die Wildnis des Chabarovsker Gebiets vorgestellt. Es faszinierte mich, wie schnell man raftend hier durch kommt – was am Suntar flussaufwärts treidelnd drei Wochen dauerte, schaffte ich nun flussabwärts in zwei bis drei Tagen!

              Breites und trübes Wasser, prägte schon bald das Bild der Judoma, teilweise wirkte der Fluss wie ein bewegter See. Das anhaltend sommerliche Wetter hatte den Wasserstand etwas ansteigen lassen. Leider nahm auch der Wind zu, welcher seit dem Beginn der Tour stets aus Süden kam, also immerzu von vorn. Zum Glück hatte der Fluss aber noch ordentlich Strömung, so dass ich lediglich damit beschäftigt war, nicht aus dem Fahrwasser geschoben zu werden. Bei Stillwasser wäre ich sicherlich keinen Meter vorwärts gekommen. Als mich auf dem Wasser schwimmendes Treibholz überholte, wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit sogar zurückgetrieben wurde... Dennoch: auch unter diesen Bedingungen legte ich über 50 km zurück.







              Auffällig auf diesem Abschnitt war auch, dass ich in der Nähe von bestimmten Schotterbänken wiederholt von zeternden Möwen umkreist wurde, die mir mit Scheinattacken zu verstehen gaben, dass ich unerwünscht bin. Offenbar hatten sie dort ihre Gelege, denn sobald ich an der Schotterfläche vorbei war, gaben sie wieder Ruhe. Schon am Suntar zeigten sich regelmäßig Möwen – ein Küstenvogel in der hochkontinentalen Taiga? Möglich, dass sie hier bessere Brutbedingungen vorfinden oder einfach nur mit weniger Eierdieben konfrontiert sind.

              Hinter dem letzten Naled verengte sich der Flusslauf erstmals zu einem einfachen Strom. Damit hatte ich auch die erste Gelegenheit, Robert eine Nachricht zu hinterlassen, da er hier zwangsweise vorbei kommen musste. Wir hatten abgesprochen, dass ich auf größeren Sandbänken ab und zu mal das Datum kritzele, damit für Robert ersichtlich wird, dass ich die betreffende Stelle schon passiert hatte und um wie viele Tage ich ihm voraus war. Im Nachhinein hatte er aber keine meiner Nachrichten gefunden. Wahrscheinlich wurde das Ganze mit dem nächsten Gewitterregen wieder verwischt oder eine kleine Hochwasserwelle hatte in der Zwischenzeit die ganze Sandbank überspült – in zwei Wochen kann viel passieren.











              Vom Felsentor ins Stillwasser

              Am selben Abend erreichte ich noch das Tor der Judoma, eine eindrucksvolle Schlucht mit einer freistehenden Felswand in der Mitte. Diesen wohl markantesten Ort der Flussroute hatte ich eigentlich erst viel später erwartet und war überrascht, ihn plötzlich vor mir zu haben (in den russischen Karten ist er nicht hervorgehoben). Da ich das Tor auch bei Tageslicht sehen wollte, blieb ich natürlich und schlug mein Zelt oben auf der rechten Schluchtkante auf. Dort alles hochzutragen war zwar etwas mühselig, aber der Ausblick auf diese einmalig wilde Szenerie entschädigte allemal.

              Am Folgetag verwöhnte wieder strahlender Sonnenschein. Nach der Querung des Felsentores ging es weiter stromab. Allmählich wurden auch die letzten Berge kleiner, die Taiga dominanter, das Flussgefälle flacher... Mit der noch flotten Strömung ließ ich mich eine ganze Weile treiben, jetzt sogar mit so wenigen Kurskorrekturen, dass ich auch für die Brotpause nicht mehr anlegen musste. Zum Abend hin wurde das Wasser jedoch immer ruhiger und schließlich musste der erste Stillwasserabschnitt durchpaddelt werden. Da ich die nächtliche Windstille ausnutzen wollte, blieb ich diesmal bis Mitternacht auf dem Wasser und fuhr im stimmungsvollen Dämmerlicht noch einige Stunden dem Vollmond entgegen. Damit war dann auch die längste Tagesetappe geschafft: 66 km kamen zusammen, mehr sollten fortan nicht mehr möglich sein.















              An einem glasklaren Zubringer von rechts schlug ich spontan mein Nachtlager auf, denn hier hatte ich das erste Mal seit langem wieder Zugang zu klarem Wasser. Die Judoma war immer noch eine trübe Brühe, die ich zum Kochen oder gar Trinken nur im Notfall genommen hätte. Was mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht auffiel: am Ufer standen zwei Holzgestelle. Erst nachdem ich das Zelt aufgebaut hatte, bemerkte ich sie und machte einen kleinen Rundgang durch den Uferwald. Dabei fand ich zunächst ein altes Hüttenfundament, später in der schon heller werdenden Morgendämmerung dann die eigentliche Blockhütte. Sie stand offen und Zeug lag herum, als ob gleich wieder jemand zurückkommen würde. Daneben war ein schöner Labas mit Gibeldach und einigen Säcken an Fischereiausrüstung, sicher auch etwas Proviant, aber bedient habe ich mich nicht, ich hatte keine Not und rechnete damit, dass ich mit meinen Reserven noch durchkommen würde.








              nicht meine Angel, sondern ein Selbstbau, den ich in der Hütte fand

              Mit brütender Hitze von über 30 Grad begann der nächste Tag, offenbar der Höhepunkt der ersten Sommerphase, denn über den Bergen im Norden bildete sich ein Tief, das für grässlichen Gegenwind sorgte. Ausgerechnet jetzt auf den langen Stillwasserabschnitten konnte ich den überhaupt nicht gebrauchen, mit einem windanfälligen Packraft ist das wie ein k.o.-Schlag. Also wartete ich ab, bis der Wind wieder nachlassen würde. Derweil testete ich schon mal meine neu erworbene Teleskopangel, um sie demnächst auch mal einzusetzen. Wie man richtig angelt, wollte ich mir eigentlich von Robert zeigen lassen, nun musste ich selbst herausfinden, wie man damit am Besten Beute macht...

              Als der Wind am Nachmittag endlich etwas abflaute, begab ich mich nochmal aufs Wasser, gerade jetzt zählte jeder Kilometer. Zu Beginn unterstützte mich noch eine leichte Strömung, zum Abend hin stand dann wieder alles still. Um überhaupt noch vorwärts zu kommen, versuchte ich mich immer dicht an den windgeschützten Ufern zu halten, hin und wieder mit langatmigen Seitenwechseln. Da der Wind aber auch nach Sonnenuntergang nicht einschlief, kapitulierte ich irgendwann und schlug mein Lager auf einer bewaldeten Sandbank auf.




              für die Brotpause unterwegs musste schon streng rationiert werden



              Letzter Abschnitt zur Portage

              Bis zur Stelle, wo ich die Portage zur Ketanda starten wollte, war es nun nicht mehr weit, eine Tagesetappe sollte reichen, doch machbar wäre sie nur, wenn es keinen Wind mehr gibt. Tatsächlich war es dann am letzten Tag auf der Judoma ganz ruhig, es gab nur noch leichten Gegenwind. Dennoch war das richtige Arbeit – auf mehr als 40 km war aktives Paddeln angesagt. Als letzten Höhepunkt der Flussroute querte ich dabei noch die Dikij-Schwellen mit ihren zahlreichen Inseln und Felsbuchten. Hier hatten damals Clemens und Jakob ein paar prächtige Taimene (Sibirische Huchen) aus dem Wasser gezogen, also hab ich auch mal die Angel ausgeworfen – allerdings ohne Erfolg. In der immer noch trüben Brühe konnte natürlich kein Fisch den Blinker sehen...





              Als ich zur Weiterfahrt aufbrach, bäumten sich hinter mir im Norden ein paar mächtige Gewitterwolken auf. Ich hoffte, dass ich es noch trocken bis zum Ausstiegspunkt schaffe, und haute unentwegt das Paddel ins Wasser. In einem fast schon meditativen Rhythmus durchquerte ich die letzten Stillwasserbereiche und erreichte tatsächlich noch vor Mitternacht die Flussbiege, an der ich am nächsten Tag mit der Portage beginnen wollte.

              Durch die Bewölkung war die nächtliche Lichtsituation allerdings schon ziemlich grenzwertig. An einer letzten kleinen Schwelle, die sich nur durch ihr Rauschen bemerkbar machte, konnte ich kaum noch etwas erkennen. Natürlich setzte ich auf ein paar Felsen auf, aber wie der Zufall es wollte, bemerkte ich nur deshalb am Ufer eine Blockhütte, an der ich sonst direkt vorbeigefahren wäre. Obwohl mir immer noch die Gewitter im Nacken saßen und ich so schnell wie möglich den Ausstiegspunkt erreichen wollte, kam ich nicht umhin, mir die Hütte mal kurz anzuschauen.

              Sie war noch im Bau und daher komplett leer, eine Tür gab es auch noch nicht. Frische Fußspuren im Sand deuteten darauf hin, dass hier vor kurzem noch gearbeitet wurde. Eigentlich hätte ich hier gleich übernachten können, aber am nächsten Tag nochmal das Boot beladen, um nur einen Kilometer zu paddeln, kam für mich nicht in Frage. Also machte ich nur ein paar Fotos und begab mich noch zum angepeilten Ausstiegspunkt. Mit Kopflampe ging ich das Ufer ab und suchte mir einen geeigneten Platz zum Übernachten. Wie überall in Flussnähe, gab es auch hier wieder etliche Bärenspuren, diesmal auch kleinere, etwa von Wölfen? Ich schleppte meine Ausrüstung die Böschung hoch und baute schließlich das Zelt auf. Gerade als alles fertig war, setzte der schon längst erwartete Regen ein – es war der erste seit dem Passgang vor einer Woche.





              Das Ganze nochmal in bewegten Bildern:

              „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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              • berlinbyebye
                Fuchs
                • 30.05.2009
                • 1197
                • Privat

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                #27
                AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                Zitat von qwertzui Beitrag anzeigen
                Der absolute Hammer.
                Der absolute Oberhammer, würde ich glatt behaupten.

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                • schlump
                  Erfahren
                  • 24.01.2008
                  • 204
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

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                  • Intihuitana
                    Fuchs
                    • 19.06.2014
                    • 2043
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                    Ich hab jetzt mal Zeit gefunden den ganzen bisherigen Bericht zu lesen. Und wann gehts weiter? Ich kanns kaum noch abwarten.

                    Eine Frage. Wie viel hast du in etwa auf dieser Megatour abgenommen?
                    Russian Roulette is not the same without a gun. - Lady Gaga

                    Kommentar


                    • sibirier
                      Dauerbesucher
                      • 17.10.2010
                      • 811
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #30
                      AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                      Einen ganzen "sprechenden" Film aus den Videos zu machen würde sich lohnen,mMn
                      https://www.facebook.com/groups/1670015459892254/

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                      • Pielinen
                        Fuchs
                        • 29.08.2009
                        • 1348
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #31
                        AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                        Respekt, eine tolle Reise.
                        Wer nichts weiß muss alles glauben...

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                        • bikevagabond
                          Erfahren
                          • 22.11.2013
                          • 257
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #32
                          AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                          Zitat von Intihuitana Beitrag anzeigen
                          Ich hab jetzt mal Zeit gefunden den ganzen bisherigen Bericht zu lesen. Und wann gehts weiter? Ich kanns kaum noch abwarten.
                          Eine Frage. Wie viel hast du in etwa auf dieser Megatour abgenommen?
                          Ich hoffe, dass ich irgendwann im Januar zum Schluss komme, mit der Zeit zum Schreiben ist das immer so eine Sache...
                          Abgenommen habe ich rund 4 kg. Klingt nicht viel, aber bei gibts da schon einen spürbaren Effekt. Bisher hatte ich auf meinen Touren höchstens 2 kg abgenommen (auch im Winter bei drei Wochen Daueraufenthalt in knackiger Kälte)

                          Zitat von sibirier Beitrag anzeigen
                          Einen ganzen "sprechenden" Film aus den Videos zu machen würde sich lohnen,mMn
                          Die Idee kam mir auch schon. Wenn der Bericht fertig ist, denke ich noch einmal drüber nach...
                          „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
                          Meine bisherigen Reisen

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                          • sibirier
                            Dauerbesucher
                            • 17.10.2010
                            • 811
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #33
                            AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                            bikevagabond,
                            Deine weitere Pläne für Russland?
                            Die würden mich interessieren... Bin jetzt zeittecnisch etwas flexibler geworden und...tja...Deine Pläne?
                            https://www.facebook.com/groups/1670015459892254/

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                            • Zelos
                              Erfahren
                              • 13.05.2013
                              • 128
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #34
                              AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                              Ich bin schwer beeindruckt von dem Bericht! Die Landschaft sieht schon ziemlich spektakulär aus. ;)

                              Hut ab vor der Leistung.

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                              • bikevagabond
                                Erfahren
                                • 22.11.2013
                                • 257
                                • Privat

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                                #35
                                AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                                Zitat von sibirier Beitrag anzeigen
                                Deine weitere Pläne für Russland?
                                Die würden mich interessieren... Bin jetzt zeittecnisch etwas flexibler geworden und...tja...Deine Pläne?
                                Richtige Pläne gibts noch keine.. aber Ideen, davon gibts jede Menge. Was sich davon am Ende realisieren lässt, ergibt sich oft erst so zwei Monate vorher. Also lasse ich mich selbst überraschen
                                „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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                                • bikevagabond
                                  Erfahren
                                  • 22.11.2013
                                  • 257
                                  • Privat

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                                  #36
                                  AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                                  Durch die Taiga zum See Podgornoe

                                  Am nächsten Morgen verstaute ich meine Ausrüstung wieder in zwei Rucksäcke. Durch den fast aufgebrauchten Proviant gab es schon etwas mehr Platz, doch alles auf einmal zu schleppen, kam mir immer noch zu heftig vor. Am Lager der Rentierzüchter hatte ich es mal probiert, das ganze Gepäck in einem Durchgang bis zur Hütte zu tragen (etwa 1 km). Ich musste mehrere Pausen einlegen und hatte hinterher noch tagelang Rückenschmerzen... Das wollte ich mir diesmal ersparen und entschied mich für das bewährte Vortragen des einen und Nachholen des anderen Rucksacks. Angesichts des schwierigen Geländes sollte das auch die beste Entscheidung sein. Vorerst jedenfalls...

                                  Am Ufer der Judoma hinterließ ich Robert wieder eine Nachricht im Sand: „Ausstieg/Nachtlager 2./3.7.“. Ich rechnete damit, dass er etwa eine Woche nach mir hier eintreffen würde. Doch am Ende waren es 13 Tage und wie ich später von ihm erfuhr, ist er das ganze Ufer abgelaufen, um eine Nachricht von mir zu finden, denn bis hier hatte er noch kein Zeichen von mir erhalten. Doch auch diesmal fand er nichts, auch keine Stiefelabdrücke, dafür lauter neue Bären- und Wolfsspuren... Das Beste wäre gewesen, in der kurz zuvor besuchten Hütte einen Zettel zu hinterlassen. Doch ob der dort knapp zwei Wochen geblieben wäre, ist auch fraglich, da in der Zwischenzeit an der Hütte weitergebaut wurde.

                                  Das Wetter war gut – kein Regen, kein Wind und nicht zu warm. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass es auch während der Schlepperei durch unwegsames Gelände brütende Hitze geben könnte. Bei den inzwischen auch tagsüber sehr aktiven Mückenschwärmen, konnte ich es mir nämlich nicht erlauben, kurzärmelig zu gehen... Leider gab es auch trüben Himmel, also keine Sonne, die beim Durchqueren der Taiga einen guten Richtungsweiser abgegeben hätte. Da der Wald aber sehr licht war, konnte ich zur Rechten stets einen kleinen Berg sehen, also nahm ich diesen als Orientierungshilfe.



                                  Vor mir lag nun die Portage zur Ketanda, eine mit nur 20 km recht kurze und flache Landpassage, um in das Einzugsgebiet des Ochotskischen Meeres zu gelangen. Zum ersten Mal begangen wurde sie einst von einer sowjetischen Expedition, da man hier auf kürzestem Wege die kontinentale Wasserscheide queren kann. Seitdem folgen so gut wie alle Nachahmer dieser Route, obwohl sie durch schwieriges und teilweise versumpftes Gelände führt.

                                  Bis zum ersten See Podgornoe waren es laut Karte etwa 4 km Luftline. Ich nahm mir vor, sie am Stück durchzulaufen, da es in der überall gleich aussehenden Lärchentaiga nahezu unmöglich wäre, die zwischenzeitlich abgestellten Rucksäcke wiederzufinden. Am Anfang kam ich noch gut voran. Es gab ebenen Flechtengrund und ausreichend Platz zwischen dem dünnen Stangenholz. Bald kam jedoch mehr und mehr Gestrüpp hinzu, dann dichtere Waldabschnitte mit etlichen querliegenden Baumstämmen und später noch ein zwar trocken liegender, aber sehr buckeliger Sumpf, in dem man wiederholt durch halbmetertiefe Senken steigen musste. Es war ein scheußliches Gelände, mühselig zu gehen, auch ohne Gepäck kein Spaß...




                                  hinter den Bäumen der kleine Berg, an dem ich mich orientierte


                                  Blick zurück vom Bergrücken



                                  Im dichten Wald verirrt

                                  Nach etwa 3 km und anderthalb Stunden erreichte ich schließlich einen Bergrücken, der den Übergang zum See markiert. Hier fand ich eine markant bewachsene Anhöhe, die einen gewissen Wiedererkennungscharakter hatte, und stellte meinen ersten Rucksack nun doch schon vorm See ab, um den zweiten möglichst rasch nachzuholen. Es war schon ein leicht mulmiges Gefühl, plötzlich ganz ohne Ausrüstung einige Kilometer durch diese abgelegene Wildnis zu stiefeln. Der eine Rucksack mit Klamotten, Fotoausrüstung und Schlafsack hinter mir, abgelegt in einem Gebüsch, der andere mit Boot, Zelt und dem Proviant noch vor mir am Fluss und ich dazwischen mit nur einer sowjetischen Generalstabskarte 1:200.000 bewaffnet.

                                  Bald wurde mir aber noch mulmiger, als der kleine Berg, an dem ich mich bisher orientierte, aufgrund der plötzlich dichteren Taiga nicht mehr zu sehen war. Es reichten schon ein paar ausweichende Umgehungen umgestürzter oder querhängender Bäume und schon war ich mir nicht mehr sicher, wohin ich eigentlich lief. Leichtsinnigerweise hatte ich meinen Kompass im nachzuholenden Rucksack gelassen, da ich zu sehr darauf vertraute, mich allein mit der Karte durchschlagen zu können – ein dummer Fehler!

                                  Zunächst lief ich weiter und weiter, da ich glaubte, noch grob in die richtige Richtung zu gehen. Mal hatte ich das Gefühl, etwas zu weit nach links abgekommen zu sein und korrigierte nach rechts. Dann glaubte ich, zu weit nach rechts gelaufen zu sein und änderte meinen Kurs wieder mehr nach links. Es war ein sinnloses Spielchen, denn ich hatte wirklich nichts, wonach ich mich richten konnte: keine Sonne, keinen Wind, keine erkennbare Wolkenbewegung, keine bemoosten Baumseiten...

                                  Meine Schritte wurden immer schneller, schließlich sprang ich im Dauerlauf durchs Unterholz. Ich hoffte, rasch wieder in lichte Taiga zu gelangen, um mit Blick auf den kleinen Berg meine Orientierung zurückzugewinnen. Nach einer Weile tauchte dann tatsächlich eine Lichtung auf. Doch was dort vor mir lag, war nicht der Berg, an dem ich mich orientiert hatte, sondern genau jener Bergrücken, von dem ich gerade herkam. Ich brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass ich ohne es zu merken im Kreis gelaufen war...

                                  Also machte ich eine 180°-Wendung und lief wieder in den Wald hinein. Ich versuchte erneut meine Richtung beizubehalten, was natürlich zwecklos war. Ich brauchte definitiv etwas, woran ich mich jederzeit neu orientieren konnte. Als ich eine große abgestorbene Lärche entdeckte, kletterte ich kurzerhand hinauf und peilte mit Blick auf den kleinen Berg erneut meine Marschrichtung an. Dann stellte ich mich unter den Baum und beobachtete im Bereich der Spitze geduldig die Bewegung der wenigen Wolkenstrukturen. Nach ein paar Minuten war ich mir ziemlich sicher, dass es eine leichte Nordwestdrift gab, ich also rund 45° südlich zur Wolkenzugrichtung weitergehen musste. Die Wolkenpeilung habe ich dann alle paar hundert Meter wiederholt und meine Marschrichtung entsprechend angepasst.

                                  Ich war sichtlich erleichtert, als ich endlich das Wasser der Judoma erblickte. Ich hatte sogar richtig Glück, denn ich war nur hundert Meter neben dem letzten Lagerplatz rausgekommen. Bei den vielen Kurswechseln unterwegs hätte es durchaus auch passieren können, dass ich die Flussbiege verfehle. Dann wäre ich erst einige Kilometer und Stunden später an den Fluss gelangt...

                                  Diese Erfahrung war mir jedenfalls eine Lehre. Bei Märschen quer durchs Gelände sollte immer ein Kompass dabei sein! Ich schulterte den nachzuholenden Rucksack, peilte nun mit dem Kompass meine Marschrichtung an und ging erneut die drei Kilometer zum Bergrücken, auf dem der erste Rucksack schon seit anderthalb Stunden auf mich wartete. Diesen hätte ich dann beinahe nicht wiedergefunden, da es doch einige weitere ähnlich bewachsene Anhöhen gab, die ich alle nacheinander absuchte. Schließlich fand ich die richtige Stelle und entschied mich, auf dem letzten Kilometer zum See Podgornoe alles mit einem Mal zu tragen, um mir eine weitere Rucksacksucherei zu ersparen.


                                  Ankunft am See Podgornoe

                                  Über die Seen zum Bach

                                  Unten am Seeufer angelangt, rollte ich wieder mein Schlauchboot aus, denn ich wollte so viel Strecke wie nur möglich paddelnd oder treidelnd zurücklegen. Eine herrliche Stille lag über dem See, als ich diesen am Abend noch querte. Dabei hatte ich auch provisorisch meine Angel ausgeworfen – und es hat erstmals was angebissen: ein kapitaler Hecht von fast 70 cm Länge! Auf der anderen Seeseite fand ich einen fantastischen Platz zum Übernachten und machte mich noch vorm Zeltaufbau an die Zubereitung des Fischfangs. Da es ein ziemlich großer Brocken war, zerlegte ich ihn nach dem Entschuppen und Ausnehmen in fünf große Teile, die ich sogleich mit Salz und Kräutern einrieb und in einem abgedeckelten Topf über Nacht liegen ließ. Nur den Kopf haute ich gleich mit in die Nudelsuppe. Nach dem anstrengenden Tag war ich so hungrig, dass ich den Schädel komplett auseinander nahm und alles aß, was weich war, auch die Augen... nichts, was in irgendeiner Form Energie liefern könnte, sollte sinnlos weggeworfen werden.















                                  Am nächsten Morgen kochte ich mir noch eine Nudelsuppe mit dem Schwanz des Hechts, die übrigen drei Teile grillte ich mir überm Feuer – für unterwegs. Wurst und Knäckebrot hatte ich nur noch für eine Pausenmahlzeit, daher wurde es Zeit, dass ich endlich Angelerfolg hatte, um meine karge Proviantsituation etwas aufzupeppen. Gerade jetzt während dieser kraftraubenden Tage, brauchte ich viele Kalorien. Auf den Rippen hatte ich nämlich schon lange keine Reserven mehr...

                                  Zum nächsten namenlosen See musste erneut eine kleine Anhöhe überwunden werden. Auf etwa 1 km ging es bequem durch offene Lärchentaiga, auch mit ganzer Last auf dem Rücken war die Strecke leicht zu laufen. Das neue Seeufer war allerdings etwas sumpfiger und ein Einstieg nur mit Festhalten an einem querhängenden Baum möglich. Dafür dauerte die Überquerung nur eine halbe Stunde. Am anderen Ende gab es laut Karte einen kleinen Ausfluss. Falls er genug Wasser führen sollte, würde ich versuchen, mit dem Boot gleich weiter zu treideln.






                                  versumpftes Ufer am zweiten namenlosen See

                                  Bachabwärts zur Ketanda

                                  Tatsächlich fand ich dann am Ende des Sees einen direkten Übergang in einen freien Bachlauf vor, sogar Strömung gab es – Treideln war also möglich. Allerdings nicht lange... Nach einer Weile wurde das Gelände sumpfiger, die Durchgänge schmaler und die Wasserlöcher tiefer, so dass ich wiederholt auf den Grasbüscheln balancieren musste, um das Boot da durchzuzerren. Dann gab es wieder Abschnitte, auf denen ich halbwegs treideln konnte, teilweise sogar paddeln. Doch schon bald verlor sich der Wasserlauf wieder in einer versumpften Fläche mit schmalen Rinnsalen, in denen ich kaum noch vorwärts kam und entschied mich schließlich zu Fuß neben der Bachaue weiterzugehen.

                                  Als ich nach wenigen hundert Metern erneut rauschendes Wasser vernahm, zog es mich allerdings sofort wieder in den Bach. Wenn es Chancen gab zu treideln, dann wollte ich keinen Meter weiter schleppen. Jetzt machte mir aber vor allem dichte Buschvegetation mit lauter querhängenden Spinnennetzen zu schaffen. Als sich der Bachlauf dann erneut in einem Sumpf aufzweigte, stieg ich wieder ans feste Ufer und ging zu Fuß quer durch den Wald. Das Boot zog ich dabei leer hinter mir her.






                                  hier verlor sich der Bach im Sumpf


                                  mit dem leeren Boot durch den Wald

                                  Nachdem ich eine Anhöhe überquerte, tauchte dann plötzlich eine Senke mit einem kleinen See auf, der nicht in der Karte verzeichnet war. Ich stieg hinunter in die buckelige Sumpfebene und sah, dass das Wasser die Strömungsrichtung meines Baches hatte. Also bin ich wieder rein und über den See zum Ausfluss gepaddelt. Dahinter folgte ein schmales Tal, umgeben von dunkler Taiga und der Bach wurde allmählich zu einem kleinen Fluss mit steinigem Bett. Hier konnte ich wieder ganz gut zu treideln, zwar mit viel Flachwasser und ständigem Steinkontakt, aber nur wenig Hindernissen. Ich war guter Dinge, den Rest der Strecke am dritten Tag der Portage endlich hinter mich zu bringen.

                                  Der Unterlauf des Baches hatte es dann aber in sich: viele enge Mäanderschleifen, alle hundert Meter Baumblockaden, die umtragen werden mussten und anhaltendes Flachwasser, in dem ich das Boot wiederholt über steinigen Grund zerren musste. Es dauerte nicht lange und meine Kraftreserven waren am Ende. Ich fühlte mich erstmals so schwach, dass ich beim Umgehen oder Überklettern der querliegenden Baumstämme mich kaum noch aufraffen konnte. Dabei wäre man zu Fuss neben der Aue deutlich schneller und einfacher vorwärts gekommen, aber ich hatte immerzu die Hoffnung, dass es mit dem Treideln besser werden würde, zumal Clemens in seinem Bericht erwähnte, dass der Bach am Ende noch paddelbar werden würde.

                                  Doch nichts dergleichen passierte, bis zur Mündung in die Ketanda gab es unverändert flaches Wasser, so dass nicht mal mehr vernünftiges Treideln möglich war (wahrscheinlich wegen der schon länger anhaltenden Trockenheit). Auf etwa einem Kilometer ließ ich mich noch einmal hinreißen, neben dem Bach durch die Taiga zu laufen. Ich fand einen Bärenpfad, dem ich leicht folgen konnte, doch dann öffnete sich der Wald und ein breiter Sumpf tauchte auf. Also bin ich wieder zurück in den Bach und lief noch bis in die Nacht hinein, um keinen Tag länger in diesem Gelände verbringen zu müssen.




                                  Sackgasse in versumpfter Taiga


                                  am dritten Tag gab’s anfangs noch gute Treidelbedingungen


                                  eine der ersten Baumblockaden


                                  so ging es stundenlang weiter...


                                  gut begehbarer Bärenpfad am Rande der Aue


                                  aufgebrochener Permafrost unter der Sumpfvegetation

                                  Gegen Mitternacht ereichte ich sie dann endlich: die Ketanda. Es war die reinste Erlösung, diesen Fluss nun vor sich zu haben. Auf dem ruhig dahin fließenden Wasser spiegelte sich mystisch der Mond – ein herrlicher Anblick. Am Rande einer Sandbank baute ich schließlich mein Zelt auf, kochte mir über Gas eine ordentliche Portion Rührei und Nudeln und fiel erschöpft in den Schlaf. Ganze zwölf Stunden hatte ich heute geackert, damit die Portage nicht mehr als drei Tage dauert. Ich konnte es kaum glauben, wie Clemens und Jakob diese Landpassage in nur zwei Tagen geschafft haben...



                                  Auch hiervon gibt’s noch einen kleinen Videozusammenschnitt:

                                  Zuletzt geändert von bikevagabond; 27.01.2016, 19:48.
                                  „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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                                  • berlinbyebye
                                    Fuchs
                                    • 30.05.2009
                                    • 1197
                                    • Privat

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                                    #37
                                    AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                                    Äußerst beeindruckend. Toll!

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                                    • bikevagabond
                                      Erfahren
                                      • 22.11.2013
                                      • 257
                                      • Privat

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                                      #38
                                      AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                                      Nun ist es schon ziemlich genau ein Jahr her, als wir zu dieser Tour aufgebrochen sind... Zeit wird’s also, den Bericht mal zu beenden. Ich hatte die letzten Zeilen schon Anfang März auf einer kleinen Winter-Radtour durchs schwedische Jämtland zu Papier gebracht – im Zelt, da ich wegen Dauerschneefall einen Pausentag einlegen musste. Zum Abtippen bin ich aber erst jetzt gekommen...

                                      Neuer Fluss mit Überraschungen

                                      Die Ketanda war ein schöner Fluss: ruhig, verwinkelt und umgeben von hügeliger Taiga. Das erste Mal hatte ich glasklares Wasser unter mir – so klar, dass ich selbst an mehrere Meter tiefen Stellen bis zum Grund blicken konnte.

                                      Gleich zu Beginn schlängelte sich der Flusslauf durch ein paar tief eingeschnittene Täler mit schroffen Felswänden. An den schattigen Ufern hingen noch Eisreste vom letzten Winter – beeindruckend, dass sie sich auch hier unten so lange halten können. Wenig später, als sich das Flussbett weitete, zeigten sich sogar noch großflächige Überbleibsel eines Naleds. Ein Durchkommen war hier aber, wie schon in den Eisflächen des Nitkans, problemlos möglich.











                                      Da ich nun wieder schneller voran kam, rechnete ich damit, dass ich Ochotsk noch gerade so zum letzten angepeilten Rückflugtermin erreichen könnte, und legte mich entsprechend ins Zeug. Doch Eile hat in der menschenleeren Wildnis nichts zu suchen, denn Eile bedeutet Unachtsamkeit, die im Ernstfall lebensbedrohliche Konsequenzen haben kann. Ein paar kritische Situationen machten mir das irgendwann bewusst.

                                      Die erste ereilte mich an einer unerwartet hohen Schwelle, die ich zwar durch ihr Rauschen rechtzeitig wahrnahm, aber nicht vorab vom Ufer aus inspizierte. Ich vertraute darauf, dass ich problemlos durchkommen würde, rutschte dann aber ausgerechnet von der steilsten, etwa 1 m hohen Kante in eine schöne Wasserwalze, die mich fast zum Kentern brachte. Mit einem Paddelstoß gegen die Felsen konnte ich mich aber noch rechtzeitig aus den rotierenden Wassermassen herausschieben...

                                      Ein anderes Mal rauschte ich in einer engen Kurve auf ein paar umgestürzte Bäume zu. Ich entschied aus dem Boot heraus: das wird schon klappen. Doch beim Unterqueren des ersten Baumstammes konnte ich mich gar nicht so schnell abducken und blieb hängen, während das ganze Gerödel unter mir fast abgehauen wäre. Meine Beine klemmten noch zwischen Rucksack und Bootswand, so dass ich es mit ein paar umständlichen Verrenkungen schaffte, mich wieder hinein zu buchsieren und einen zweiten Baumstamm ohne weiteres Hängenbleiben zu unterqueren... In beiden Fällen hatte ich keinen Trockenanzug an und hätte, wenn es blöd gelaufen wäre, vollkommen durchnässt meinem abgetriebenen Boot hinterherlaufen müssen.


                                      hier bin ich noch bequem durchgekommen


                                      die Schwelle mit der Walze



                                      Äschen über Äschen

                                      Als ich am ersten Abend ein herrlich bewaldetes Felsufer passierte, entschied ich mich kurzerhand anzulegen, um mein Nachtlager aufzuschlagen, denn so ein idyllischer Platz würde sicher kein zweites Mal auftauchen. Außerdem schnappten hier auffällig viele Fische an die Wasseroberfläche – eine perfekte Gelegenheit, trotz später Stunde, endlich wieder die Angel auszuwerfen. Es verging keine Minute und schon hatte etwas angebissen – eine wunderschöne Äsche mit farbig schimmernden Schuppen und gemusterten Flossen. Futter für die nächsten 24 Stunden! Ich sammelte Holz, entfachte ein Feuer und kochte mir wieder als erstes eine Nudelsuppe mit dem Kopf des Fisches. Den Rest grillte ich am nächsten Morgen für unterwegs. Es war ein schmackhafter Fisch, ein richtiger Leckerbissen, der mich sehr an Forelle erinnerte.











                                      Während der folgenden Tage hielt ich immer wieder Ausschau nach Äschen. Aufmerksam verfolgte ich jede Bewegung im klaren Wasser. Sobald ich unter mir etwas umherflitzen sah, suchte ich nach einer günstigen Stelle zum Angeln und legte für eine Weile an. Anglerglück hatte ich aber nur noch einmal – als ich im Bereich eines Treibholzhaufens direkt über einem tiefen Pool andocken konnte. Ich hatte die Angel gerade erst ausgeworfen, da zerrte es schon an der Sehne. Beißfreudig waren die Äschen aber nur beim ersten Versuch, denn beim zweiten Auswerfen der Angel passierte nichts mehr. Offenbar wurden die Fische schnell argwöhnisch, nachdem einer ihrer Artgenossen widerwillig an die Oberfläche gezogen wurde...

                                      Gerne hätte ich mir mehr Zeit zum Angeln genommen, aber ich stand immerzu vor dem Zwiespalt: schnell sein, um mich noch mit dem verbliebenen Restproviant durchschlagen zu können – oder mehr Zeit lassen und dafür mehr Fisch zu fangen, um die Proviantsorgen endlich los zu werden...







                                      Irgendwann kam ich an einer kleinen Jagdhütte vorbei. Sie war hell und sauber, offenbar erst vor kurzem erbaut. Die Tür war ausgehangen, man konnte geradewegs hineinstiefeln. An der Wand hingen lauter Habseligkeiten: Seile, Drähte, eine Pfanne, eine Blattsäge; in den Fugen steckten Löffel, eine Kelle, eine Feile... irgendwie hatte alles seinen Platz. Wahrscheinlich war es das Basislager eines Pelztierjägers, denn unter der Schlafbank lagen etliche Tellereisen.

                                      Draußen vor der Hütte befand sich ein riesiger Haufen Feuerholz, wenige Meter entfernt hingen zwei Metalltonnen an Drahtseilen zwischen den Bäumen – ein Tonnen-Labas! Ob sich darin auch Lebensmittel befanden? Plündern wäre hier ziemlich aufwändig gewesen. Meine Proviantnot war noch nicht so arg, dass ich es versucht hätte. Schließlich haben auch die Jäger einiges auf sich genommen, um hier in dieser schwer zugänglichen Wildnis ein derartiges Lager einzurichten – ziemlich mies wäre es, sich ohne triftigen Grund an ihren Vorräten zu bedienen.













                                      Mit letzten Kräften

                                      Bald aber wurde es zunehmend haarig auf der Ketanda. Immer wieder tauchten an den Kurven Treibholzansammlungen auf, die den Fluss auf ganzer Breite blockierten. Diese zu umgehen, war an sich kein Ding, doch wegen des allgemeinen Schwächegefühls, welches sich seit der kräftezehrenden Portage eingestellt hatte, kamen mir diese Holzblockaden vor, wie unüberwindbare Hindernisse. Im Boot sitzen und paddeln war nicht schwer, doch aufstehen und laufen erforderte selbst ohne Gepäck eine Menge Überwindung – jede unnütze Bewegung wollte vermieden werden.

                                      Leider folgte auch in den Folgetagen eine Holzbarrikade nach der anderen. Zudem begann sich der Flusslauf auf eine wirre, nur schwer nachvollziehbare Weise aufzuzweigen. So war manches Mal nicht mehr klar, welches der Hauptlauf ist und wo dieser enden würde. Ein angeschwemmter Holzhaufen hatte diesen zum Beispiel mal direkt in einen Auwald umgeleitet, wo er nach einem halben Kilometer endete und in undurchdringlicher Taiga versickerte. Glücklicherweise war hier die Strömung nicht so stark, so dass es mir möglich war, zur Aufzweigung zurück zu paddeln. Der alte Hauptlauf, erkennbar am breiteren Bett mit frei liegenden Schotterbänken, führte dagegen so wenig Wasser, dass ich einige Zeit flussabwärts treideln musste – bis sich die Wasserläufe allmählich wieder vereinten.

                                      Ein gewisses Unbehagen machte sich breit in mir, bestand doch permanent die Möglichkeit, in eine Sackgasse zu geraten, aus der ich nur mit größter Anstrengung wieder herauskommen würde. Mir wurde klar: hier geht es nicht mehr um das Einhalten eines abgesprochenen Rückkehrtermins, sondern vielmehr darum, überhaupt einen Weg aus dieser Wildnis zu finden – und unversehrt ans Ziel zu gelangen...




                                      wo geht’s weiter? Auf dem Hauptlauf...


                                      ...oder dem Nebenlauf?


                                      Treideln im Flachwasser



                                      Bärenattacke

                                      Eines Abends – es dämmerte schon – trieb ich auf einem schmalen Nebenarm der Ketanda durch düsteren Auwald, als ich rechts neben mir plötzlich ein Knacken im Dickicht vernahm. Noch bevor ich realisierte, was los war, preschte schon ein Bär direkt auf mich zu, entschlossen, mich aus dem Wasser zu holen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er das nur drei Meter von mir entfernte Ufer erreichte. Dort hielt er kurz inne, sprang wild umher und richtete sich immer wieder auf – Sabber triefte aus seinem aufgerissenen Maul... der war definitiv hungrig! Da ich im Boot saß und den Fluss hinuntertrieb, konnte ich nicht aufstehen. Aus dem Boot ins knietiefe Wasser steigen, hätte mich auch nicht größer gemacht, also riss ich intuitiv mein Paddel hoch und brüllte den Bär an, so laut es ging. Das hat ihn dann tatsächlich verunsichert und er ist nicht ins Wasser gekommen. Ein paar Mal hatte er noch angesetzt, da ich mich langsam flussabwärts treibend von ihm entfernte, aber weiteres Gebrüll mit drohenden Paddelbewegungen haben ihn dann doch zur Umkehr gebracht.

                                      Das Ganze dauerte vielleicht nur Sekunden, gefühlt waren es aber Minuten und bis heute erinnere ich mich nur noch an mein eigenes Gebrüll und an den einen Gedanken, den ich hatte: dass ich aus dem Boot steigen und ihm entgegen gehen würde, sobald er einen Fuß ins Wasser setzt... Das war wirklich knapp, eine sehr grenzwertige Situation!

                                      Der Bär hatte sich schon an den Waldrand zurückgezogen, als er sich noch ein letztes Mal umdrehte und ich ihn ein letztes Mal anbrüllte, dann verdrückte er sich endlich. Damit war die Sache aber noch nicht vorbei... Vor mir lag ein umgestürzter Baum im Wasser, den ich schon längst hätte umpaddeln müssen, doch das hätte auf den Bären möglicherweise wie Flucht gewirkt. Also trieb ich nun direkt hinein, zum Glück erst, als der Bär schon weg war. Da sich die Strömung des Flusses in Grenzen hielt, konnte ich mich noch gerade so aus dem Geäst befreien. Ich trieb weiter stromab – mit angespitzten Ohren und wachsamen Blick. Da hörte ich es neben mir im Auwald erneut knacken, ja regelrecht krachen. Offenbar preschte der Bär jetzt parallel zu mir durchs Unterholz – und zwar schneller, als ich auf dem Wasser vorankam, denn auf einmal sprang er vor mir in den Fluss...

                                      Will er mich jetzt etwa im Wasser abfangen? Ich blieb still und hoffte, dass es nicht dazu kommen würde. Tatsächlich, der Bär hielt nicht an, er rannte wie angestochen weiter quer durch den Fluss ans andere Ufer, ohne mich dabei zu bemerken. Das letzte Stück schwamm er, dann erklomm er hastig den steilen Prallhang und verschwand, wie er aufgetaucht war. Anscheinend hatte ich ihn derart verunsichert, dass er sich letztendlich zur Flucht entschied.

                                      Obwohl es schon ziemlich schummrig war, paddelte ich weiter und weiter. Ich wollte unbedingt raus aus dem Auwald, an irgendein festes Ufer. Doch dann tauchte an einem engen Mäander eine riesige Holzbarrikade auf, die sich über die ganze Flussbiege verteilte. Eine Umgehung im Flussbett hätte ewig gedauert, also ging ich mit dem Boot ein Stück zurück, steuerte den verklausteten Prallhang an und verkeilte mein Boot zwischen den Baumstämmen, um alles auf kürzestem Wege durch den Auwald zu bringen. Ein bisschen klettern musste ich, auch im Wald, der voll von Gebüschen und Totholz war. Dabei knackte es nun unter meinen Füßen – ein beklemmendes Gefühl, kam es mir doch so vor, als könne mich die ganze Taiga hören...







                                      Der Gedanke, dass mir jederzeit wieder ein hungriger Bär über den Weg laufen könnte, ließ mich auch in den kommenden Tagen nicht mehr los. Sobald ich irgendwo ein Knacken im Wald vernahm, zuckte ich unweigerlich zusammen. Bären habe ich dann tatsächlich noch einige gesehen. Ihr Auftreten war aber ganz anders, als bei den ersten vier, sehr offensiven Begegnungen. Entweder trotteten sie unbeeindruckt ihres Weges oder sie erschraken und nahmen sofort reißaus. Sogar eine Bärenmutter und ihr Junges rannten sofort weg, als ich sie im Vorbeifahren am Ufer überraschte.

                                      Nur einmal noch gab es eine kritische Situation, als ich am Unterlauf der Ketanda fast in einen Bären hineingetrieben bin. Der tauchte ganz plötzlich hinter einem Treibholzhaufen auf und watete nur 10 m vor mir durch genau den Flussarm, welchen ich an einer Aufzweigung gerade einschlug. Ich paddelte eine ganze Weile so ruhig es ging rückwärts, bis der Bär am anderen Ufer war. Erst dann bemerkte er mich, ergriff in diesem Moment aber auch nur die Flucht...



                                      Endlich Urak

                                      Nach vier Tagen auf der Ketanda erreichte ich endlich die Mündung in den Urak. Dieser Moment war wie ein Befreiungsschlag, denn bis zum Schluss gab es wiederholt den ganzen Fluss blockierende Treibholzhaufen. Ein vorangegangenes Hochwasser hatte zudem etliche noch grünende Bäume umgelegt, die teilweise von einem zum anderen Ufer reichten. Jetzt öffnete sich die Landschaft, der Fluss wurde breiter und die Hindernisse verschwanden. Möwen kreisten wieder am Himmel und ein Geruch von Meer lag in der Luft (offenbar kam er von den angetrockneten Algen auf dem frei liegenden Schotterbett) – das Finale schien in greifbare Nähe zu rücken.


                                      eine der letzten Baumsperren auf der Ketanda


                                      Sonnenuntergang mit farbiger Korona, erzeugt durch den Pollenflug der späten Baumblüte


                                      nachts fraßen einen die Mücken, tags die Bremsen – und im Zelt herrschte Demse...


                                      der Hochsommer brachte es auf über 30 Grad im Schatten – an diesem Tag noch bis 34 Grad!


                                      die Ketanda kurz vor der Mündung in den Urak


                                      endlich frei...





                                      Im Bereich einer kleinen Bergkette gab es aber noch einen Durchbruch mit Stromschnellen der Wildwasser-Klasse III bis IV zu überwinden. Das erste Mal seit dem Nitkan zog ich wieder meinen Trockenanzug über und inspizierte aufmerksam den Lauf des schäumenden Wassers. Ich versuchte mir in Gedanken vorzustellen, wo mich die Strömung hinziehen würde und an welchen Stellen ich den hohen Wellen ausweichen müsste, um ein Kentern zu vermeiden. Dann stieg ich ins Wasser und folgte der erdachten Linie.

                                      Aus der Bootsperspektive sah natürlich alles anders aus, als eben noch vom Ufer betrachtet – hüpfende und schäumende Wellen ohne jeglichen Hinweis, was dahinter folgt. Doch ich erinnerte mich noch genau, welchen Weg ich zu nehmen hatte. Zunächst umging ich rechts eine Walze, dann korrigierte ich meinen Kurs rasch nach links, um nicht von einer seitlichen Welle umgeschmissen zu werden und der Rest war nur noch ein Durchbrechen kleinerer Wellen. Es gelang! Ich kam souverän durch ohne zu kentern. Nur die Kopfkamera hatte versagt – auf den schwachen GoPro-Akku ist leider kein Verlass...








                                      der Bootsboden hatte schon ein paar Löcher, daher war auch im stillen Wasser immer wieder Schöpfen angesagt...

                                      Jägerbasis Utunur

                                      An einem großen Felsblock mitten im Fluss legte ich eine längere Pause ein, ruhte mich aus, versuchte zu angeln – leider erfolglos... Der bisher stets aus Süden wehende Wind hatte in der vergangenen Nacht auf Ost gedreht und stark aufgefrischt, so dass auf den ruhigen Bereichen des Flusses kaum noch ein Vorankommen möglich war. Gegen den Wind anzupaddeln wäre eine sinnlose Kraftverschwendung. Mein Proviant war inzwischen aufgebraucht, ich hatte mir lediglich einen kleinen Rest Hafer und eine Hand voll Nudeln aufgespart, um den nächsten und hoffentlich letzten Tag auf dem Urak nicht mit komplett leeren Magen starten zu müssen.

                                      Bis zur Küste des Ochotskischen Meeres waren es noch etwa 60 km. Auf meiner Karte waren bereits ein paar versprengte Sommer- oder Jagdhütten verzeichnet, aber wie groß wäre wohl die Chance, dort jemanden anzutreffen? Als ich mich der ersten verzeichneten Hütte mit dem Namen Utunur näherte, erspähte ich auf einer fernen Schotterbank zwei schwarze Punkte. Wie so oft, konnte ich im ersten Moment nicht richtig einschätzen, ob es sich um lebende oder tote Objekte handelte... Sind es Bären? Elche? Oder doch wieder nur Felsblöcke oder angeschwemmte Baumstümpfe? Nein, es waren lebende Objekte – sie bewegten sich! Sind es vielleicht sogar Menschen? Je weiter ich mich näherte, desto klarer wurde das Bild – ja, es waren Menschen! Die ersten seit der Rentierzüchterbasis am Suntar.

                                      Ich sah, wie sie in ein Schlauchboot stiegen und den Fluss ans linke Ufer querten. Sie schienen sich zu beeilen. Ich setzte mit ein paar Paddelschlägen nach und legte kurz hinter ihnen am Ufer an. Es waren drei Männer, die sich ohne Umschweife zu ihrer Hütte im Wald begaben. Hatten sie mich nicht gesehen oder wollten sie mir aus dem Weg gehen? „Zdrastvui“ rufe ich – „wie weit ist es noch zum Meer?“ Ich verstand nicht, was sie antworteten, die Handbewegung war aber eindeutig – sie wollten in Ruhe gelassen werden... Ich ging trotzdem weiter auf sie zu. Eine derartige Unhöflichkeit, dazu noch hier draußen, war mir einfach zu fremd, als dass ich sie ernst nehmen konnte. „Mnje inostranny – ich bin Ausländer. Mein Russisch ist schlecht, ich verstehe nur wenig.“ erwiderte ich und schien auf einmal das Interesse der drei Gestalten geweckt zu haben – „Komm mit, dort hinten ist unsere Hütte.“

                                      Plötzlich war ich ihr Gast und saß mit ihnen an einem hölzernen Tisch unter freiem Himmel. Es gab zwei einfache Blockhütten, einen Unterstand, einen böllernden Ofen und jede Menge Gerätschaften, die verstreut herumlagen. Ein typisches Waldlager, in dem sich das Leben draußen abspielt. Eine junge Frau empfing uns und tischte sogleich etwas Essen auf. Es gab deftigen Borschtsch mit frischem, noch knusprigem Brot, das eine süßliche pfannkuchenartige Note hatte. Dazu einen Pott Kaffee mit Zucker... Es war ein Fest für die Sinne!!

                                      Ich glaube, den Leuten war gar nicht bewusst, was für ein Geschenk sie mir da machten. Sie hatten mich nicht nur davor bewahrt, den letzten Tag hungernd zu verbringen, sie zeigten mir auch, was Gastfreundschaft hier draußen für eine Bedeutung haben kann. Ich bedankte mich mehrmals und lobte das gute Essen. Einen Nachschlag lehnte ich zunächst ab, ließ mich dann aber kein drittes Mal fragen, denn ich spürte, wie langsam die Kräfte zurückkehrten. Die Zeit des Schwächelns hatte nun endlich ein Ende.

                                      Wir sprachen über das Leben, über den Tourismus in dieser Gegend und über meine Route. Sergej, der kräftigste von den drei Männern, war Jäger. Das ganze Jahr über lebt er hier mit seiner Frau Lena und dem dreijährigen Sohn Danja. Die beiden anderen, Vova und Evgeni, halfen ihm beim Bau einer neuen, größeren Hütte. Von den Dörfern an der Küste führt ein Fahrweg hierher, so dass sie ihre Baumaterialien mit einem Lastwagen heranholen konnten. Lena fragte mich nach einem Kompass, offenbar besaß selbst ihr Mann, der immer wieder als Jäger durch die Taiga streift, keinen. Ich schenkte ihnen meinen und erklärte kurz die Anwendung. Auf dem letzten Abschnitt zum Meer würde ich ihn sowieso nicht mehr brauchen. Dann holte ich meine Ausrüstung und das Boot hoch und baute im Dunkeln mein Zelt am Rande der Jagdbasis auf. Regenwolken zogen heran, es wurde eine nasse Nacht.







                                      Finale am Ochotskischen Meer

                                      Am nächsten Tag wollte es nicht mehr aufhören zu regnen. Ich lag im Zelt bis sich drüben etwas bewegte. Irgendwann wurde Holz gehackt und der Ofen angeschmissen. Dann dauerte es nicht lange und man rief mich ins Haus der Jägerfamilie. Lena rührte Teig für neues Brot an, wie bei den Ewenen wurde es in einer Pfanne mit Öl gebacken. In diesem Fall auch mit etwas Milchpulver und Zucker, daher die Pfannkuchennote... Dann wurde roter Fisch paniert – Kita. Er schmeckte vorzüglich. Von beidem bekam ich etwas mit auf den Weg – ich war überglücklich... Als der Regen gegen Mittag nachließ, brach ich endlich auf.



                                      Bei grauem Nieselwetter trieb ich die letzten 45 km des Urak hinab. Die Strömung war durchweg flott, so dass ich noch am selben Abend das Ziel der Tour erreichte. Zweimal sah ich noch Bären am Ufer, die sich lehrbuchmäßig verdrückten. Dann traf ich in der Nähe der ersten Siedlung auf zwei Fischerjungen in einem Ruder-Schlauchboot – reservierte, wortkarge Gesellen, die nicht mal meine Begrüßung erwiderten. Ein Ural wartete im Flussbett, nahm die beiden auf und vorbei war die zweite Menschenbegegnung.

                                      Etwa einen Kilometer vor der Mündung ins Ochotskische Meer vernahm ich schließlich das erste Wellengedonner. Ein dumpfes rhythmisches Geräusch, das mich eine brachiale Brandung vorstellen ließ. Etliche Reusen waren hier ausgelegt, an manchen lagen riesige verendete Fische am Flussgrund: silberne, anderthalb Meter lange Prachtexemplare! Gerne hätte ich hier noch einmal mein Angelglück probiert, doch die Zeit war zu knapp, ich wollte noch vor Einbruch der Nacht den Strandwall erreichen.

                                      Die Taiga, inzwischen von Laubgehölzen und Farnen dominiert, zog sich immer weiter zurück. Irgendwann umgaben mich nur noch graubraune Kiesflächen, auf denen verrostete Schiffswracks lagen. Dann erreichte ich den Strandsee, welcher aber längst nicht die Ausmaße hatte, wie auf der Karte verzeichnet. Der Urak zeigte sich hier immer noch als Fluss mit spürbarer Strömung, die mich allmählich der Mündung entgegen zog. Aus der Ferne sah ich bereits die Lücke im Strandwall – dort musste bereits das offene Meer sein!



                                      Ich war so sehr damit beschäftigt, diesen Übergang irgendwie auf Film und Foto zu bannen, dass ich gar nicht bemerkte, wie schnell mich das Wasser auf einmal hinaustrieb. Ich sah schon die Wellen des offenen Meeres auf mich zurollen, als ich realisierte, dass es gerade Ebbe gab, die dabei war, mich auf die See hinauszuziehen... Leicht panisch schmiss ich die Kamera ins Boot, griff nach dem Paddel und rotierte hastig in Richtung Strand. Die heranrollenden Wellenbrecher warfen mich fast um, da machte ich einen Satz ins Wasser und zog das Boot rasch an Land, ehe es vom zurückströmenden Wasser wieder hinausgezogen wird. Glück gehabt! Wäre ich gekentert, hätte ich die Kamera mit allen Bildern seit der Befahrung der Ketanda verloren...

                                      Nun hatte ich aber wieder festen Boden unter den Füßen und alles war in Sicherheit. Ich genoss den Blick über die unendliche Wasserfläche und ließ mich betören vom Rauschen der Wellen. Das Ochotskische Meer war ein überwältigendes Finale, ein kontrastvolles Ende einer langen und beschwerlichen Wildnistour – vom hochkontinentalen Sibirien bis ans offene Meer. Etwa 37, maximal 39 Tage waren für die Wildnisstrecke geplant, 42 sind es am Ende geworden. Eine Hochzeit, bei der ich als Trauzeuge geplant war, musste ich absagen; auch meinen Arbeitgeber musste ich vertrösten, da ich es nicht mehr rechtzeitig zu meinem Dienstbeginn schaffen würde. Immerhin gab es hier erstmals seit Jutschjugej wieder Mobilfunknetz, so konnte ich das gleich alles klären...


                                      Urak-Mündung mit Strandwall


                                      Finale am Meer


                                      ein paar Robben blickten neugierig ans Ufer

                                      Hier noch ein letztes Video:

                                      Zuletzt geändert von bikevagabond; 29.05.2016, 17:55. Grund: letzte Bilder in den nächsten Beitrag verschoben
                                      „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
                                      Meine bisherigen Reisen

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                                      • EbsEls
                                        Erfahren
                                        • 23.07.2011
                                        • 434
                                        • Privat

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                                        #39
                                        AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                                        Danke für das Finale dieser grandiosen Tour.
                                        Ich freue mich schon auf den Vortrag - werde Deine Webseite aufmerksam verfolgen.
                                        Viele Grüße aus Thüringen (oder von Sonstwo)
                                        Eberhard Elsner

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                                          Erfahren
                                          • 22.11.2013
                                          • 257
                                          • Privat

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                                          #40
                                          AW: [RU] Suntar-Chajata: 6 Wochen Treideln, Trekking, Rafting zum Ochotskischen

                                          Es gibt noch einen Nachschlag – die Rücktour muss ja auch erwähnt werden

                                          Nach Ochotsk

                                          Als der Abend bereits zu dämmern begann, wechselte ich über auf die östliche Seite der Mündung und schlug mein Zelt direkt auf dem Strandwall auf. Im Kies gab es Reifenspuren – ab und zu musste hier jemand mit dem Auto vorbeikommen. Vielleicht habe ich Glück und kann mich von jemandem ins nächste, etwa 3 km entfernte Dorf Vostrecevo oder gleich zum Ochotsker Flughafen mitnehmen lassen.

                                          Nachts konnte ich kaum schlafen, so sehr durchdrang das Wellengedonner den Strandwall. Irgendwie hatte das Meer etwas unheimliches, war es doch windstill und trotzdem rollten die Wellen mit einer Gewalt an die Küste, dass man es nicht wagte, dem Wasser zu nahe zu kommen. Gegen Mitternacht setzte die Flut ein und der Strandsee füllte sich zu einem Ausmaß, das nun dem auf der Karte entsprach. Bis zu meinem Zeltplatz war aber noch genug Spielraum, es war der höchste Punkt des Strandwalls, auf dem auch einiges an Unrat herumlag – ein Zeichen dafür, dass dieser wohl nur bei Sturmfluten überspült wird.


                                          Strandsee bei Ebbe


                                          im Hintergrund leuchten schon die Lichter vom Dorf Vostrecevo

                                          Gegen 5 Uhr in der Frühe hörte ich Schritte, irgendjemand stiefelte um mein Zelt. Ich wollte schon weiterschlafen, als mir bewusst wurde, dass ein Spaziergänger in dieser Gegend sicher mit dem Auto anreist. Ich schaute aus dem Zelt und sah einen Mann mit indigenen Gesichtszügen. Er grüßte mich freundlich, stellte sich als Vova vor und bot mir tatsächlich an, mich mit in sein Dorf Vostrecevo zu fahren. Perfekt, dachte ich mir, nur musste ich noch alles irgendwie einpacken und das im anhaltenden Dauerregen...

                                          Alles kein Problem: Vova fährt mal kurz in sein Haus und versucht schon ein Taxi für meine Weiterfahrt nach Ochotsk zu organisieren. Danach kommt er wieder und holt mich ab... Die russische Gastfreundschaft ist einfach klasse! Wenig später fuhr ich mit ihm ins Dorf. Seine Frau, eine Russin, die sich als „Baronin von Korf“ bezeichnete, hatte schon auf uns gewartet und „Pelmeni“ (gefüllte Teigtaschen) sowie einen Stapel „Blini“ (Pfannkuchen) vorbereitet. Nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen hatten, ging es weiter zum Fluss Ochota. Hier gibt es keine Brücke und auch keine Fähre, daher fragten wir einen zufällig anlegenden Fischer, ob er mich mit seinem Motorboot auf die andere Seite bringt. Dort würde demnächst ein Taxi auftauchen, welches mich zum Flughafen bringen soll.

                                          Gesagt, getan – ich verabschiedete mich dankend von Vova und ließ mich vom Fischer über den Fluss bringen. Dann wartete ich in einem offenen Metallcontainer, einer Art Schutzhütte, auf das Taxi. Nach einer Stunde kam es wie versprochen vorgefahren. Der Preis war allerdings um das Doppelte höher als angekündigt. Ich verhandelte nicht, war ich doch einfach nur froh, dass alles so reibungslos läuft und ich schon bald in den nächstbesten Flieger nach Chabarovsk steigen könnte. Nach Jakutsk wäre auch gegangen, aber diese Verbindung bestand nur dreimal pro Woche, die nach Chabarovsk dagegen täglich.




                                          Novoje Ustje


                                          am Fluss Ochota




                                          Wartehäuschen...


                                          Ankunft am Flughafen Ochotsk

                                          Das Flughafengebäude von Ochotsk ähnelte dem eines typisch russischen Kleinstadt-Bahnhofs. Jeder kannte sich hier, man beglückwünschte sich zum „Djen Rybaka“ – dem Tag des Fischers – und es dauerte nicht lange, bis auch ich mich mit dem Flughafenpersonal bekannt machte. Nachdem einer von ihnen – Jura – spitz gekriegt hatte, dass ich quasi im Alleingang aus Jakutien hierher gekommen war, saß ich auf einmal zu Gast im Büro hinter den Fahrkartenschaltern. Jura erzählte mir von seinen Schneemobil- und Bootstouren ins Landesinnere, vom verlassenen Dorf Ketanda, in dem angeblich noch eine „Babuschka“ lebt, und von einem verrückten Russen, der im vergangenen Sommer ebenfalls über den Suntar-Chajata und dann den Ochota hinab nach Ochotsk gekommen war... Es handelte sich natürlich um Sergej Ermakov alias Strannic, dessen Videos ich mir im Voraus dieser Tour angeschaut hatte. Auch er war damals Gast in diesem Büro...

                                          Rückflug

                                          Noch am selben Nachmittag des 12. Juli saß ich im Flieger nach Chabarovsk. Es war eine kleine Maschine, in der offenbar immer dieselben Leute flogen. Die Sicherheitseinweisung machte man nur für mich – auf Englisch – während die anderen Fluggäste schon teilweise einschliefen. Auch war ich der einzige, der an Bord mit einem kleinen Snack versorgt wurde... Ich kam mir vor wie ein Staatsgast. Das Ticket kostete übrigens 12.000 Rubel (225 Euro), bei einem Freigepäck von 20 kg. Für die verbleibenden 15 kg Übergepäck zahlte ich noch zusätzliche 1800 Rubel (34 Euro).


                                          da hinten wartete schon meine Maschine


                                          Küste vor Ochotsk

                                          In Chabarovsk, einer Großstadt an der chinesischen Grenze, war ich dann aber wieder zurück in der kapitalistischen Realität. Ein Weiterflug nach Moskau und Berlin war nur noch in der Business Class verfügbar – für mindestens 85.000 Rubel (rund 1400 Euro)! Zum Vergleich: der gebuchte Hinflug nach Jakutsk kostete uns jeweils nur 14.800 Rubel (260 Euro). Den nächsten freien Platz in der Economy Class gab es erst am 20. Juli – in 8 Tagen... So lange konnte ich unmöglich warten, war ich doch jetzt schon viel zu spät dran.

                                          Ich quartierte mich für eine Nacht in einer nahen „Gostinica“ (Herberge) ein und versuchte mein Glück noch einmal am nächsten Morgen – in der Hoffnung, einen zufällig frei gewordenen Platz der günstigen Klasse „last minute“ abgreifen zu können. Die Frau am Ticketschalter fand aber keinen und suchte verzweifelt nach einer Alternative. Schließlich fand sie etwas, das zwar immer noch überteuert war, aber weit unterhalb der Preiskategorie der Businessflüge lag: ein Rückflug über zwei Tage mit zwei Umstiegen via Novosibirsk und Moskau. So verbrachte ich noch einen Tag und eine Nacht auf dem Chabarovsker Flughafen, einen weiteren Tag auf dem Novosibirsker und eine Nacht auf dem Moskauer... Es war eine Odyssee wie früher, als ich noch mit der Bahn durch Russland reiste.


                                          die Nacht in der Gostinica nutzte ich zum Trocknen der nassen Ausrüstung


                                          Chabarovsker Flughafen

                                          Berlin erreichte ich schließlich am 15. Juli – nach sieben, statt der ursprünglich geplanten sechs Wochen. 4 kg Körpergewicht hatte ich in dieser Zeit verloren. Das klingt an sich nicht viel, aber wenn man bedenkt, dass ich generell nur wenige Reserven mit mir herumtrage und der übliche Spielraum bei früheren Reisen nie mehr als 2 kg betrug, hätte etwas mehr schon ein Hungergerippe aus mir gemacht...

                                          In den folgenden Wochen befand ich mich in einer regelrechten Fresslaune, schlug alles in mich hinein, was ging, um den Gewichtsverlust wieder auszugleichen. Es dauerte etwa so lange, wie ich unterwegs war, ehe ich wieder einen normalen Appetit verspürte. Dabei wurde mir mal wieder bewusst, wie unfassbar gut wir es hier haben – denn es ist wirklich ALLES zu JEDER ZEIT und ÜBERALL verfügbar!!


                                          Souvenirs im Wandel der Zeit...
                                          „Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
                                          Meine bisherigen Reisen

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