[FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

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  • Torres
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    • 16.08.2008
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    #21
    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

    30.09.2015 Auf dem Schiff

    Ruhetag. Ich habe viel gearbeitet in letzter Zeit und bin völlig ausgelaugt. Lange hatte ich überlegt, wo ich hinfahren soll. Balkan? Estland und Lettland? Der Funke zündet nicht. Ein Land, wo man gut schlafen kann. Vielleicht bleibe ich zu Hause. Campen an der Nordsee? Auch irgendwie blöd. Einfache Anreise. Bloß keinen Stress. Und keine Gewalttour wie letztes Jahr in England.
    Und eines Morgens wache ich auf und denke: Warum nicht Finnland? Hüpf, macht mein Herz. Zwei Wochen ist das her. Der Zustand bleibt stabil. Ich buche die Fähre.

    Es ist eine Stunde später als in Deutschland. Finnish Time auf dem Schiff. Das Cello und ich stellen die Uhren um. Dann machen uns auf zum Morgenbrunch. Das Cello wird dort sitzen bleiben, um sich bis Mittag satt zu essen. Studenten müssen sparen. Ich lege mich wieder hin und schlafe.
    Das Cello kommt und sucht in den Koffern ein Kleidungsstück. Ich filme das mit des Cellos Smartphone. Das Video wird einsame Klasse, wie ich finde, auch wenn das Cello überlegt, ob man dieses Chaos den Eltern zeigen kann. Das Video endet mit den Worten „Schxxe. - Schxxe.“ Ich bin stolz auf die gelungene Dramaturgie. Immerhin geht der größere Koffer entgegen meiner Wetten wieder zu.
    Das Cello hat eine Erasmusstudentin im gleichen Alter aus Deutschland kennengelernt, die finnisch studiert, wenn auch nicht in Helsinki. Beide tauschen sich aus, essen am Abend zusammen, und ich habe das Zimmer für mich. Ich bastele an meiner Route.





    Eine Woche zuvor hatte ich das Outdoor-Wunderland besucht, denn ich brauchte eine neue GT1 Karte. Meine hatte ich bekanntlich in der Nähe von Turku verloren, als ich meinte, mit dem Klapprodel durch Finnlands Wälder ziehen zu müssen. Eine neue Karte hatte ich mir nicht besorgt, wozu, das reicht ja auch später. Dachte ich. Böser Fehler. Unverzeihlich. Blöd. Idiotisch. Die Karte gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt es nun eine GT Karte. 1:25.000 statt 1:20.000 und Informationen über die Shelter fehlen. Eine Karte für Augenkranke, denn man kann darauf kaum die Details sehen. Schon gar nicht auf dem Fahrrad. Der Maßstab ist zu klein. Die Kartenherstellung von fünf Karten für Finnland lohnt sich vermutlich nicht mehr.
    Immerhin: Bei der hektischen Suche nach der GT1 Karte in den Kartenboxen war mir ein vergilbtes Exemplar der Broschüre „Via Finlandia“ in die Hand gefallen. So eine Art bikeline. Ich hatte sie erworben. Vielleicht ist das ja was. Daran halten muss ich mich ja nicht. Im Internet sehe ich, dass German Tourist die Strecke mal gefahren ist. Es klang nicht besonders begeistert. Sonst sind Informationen rar. Einen Track davon gibt es nicht.

    Den Versuch, die Karten des Heftes in die GT Karte zu übertragen, hatte ich vor ein paar Tagen genervt aufgegeben. Im dichtbesiedelten Finnland benötigt es Details. Also reiße ich aus dem Heft ein paar Seiten raus und entdecke, dass die Via Finlandia Campingplätze mit einbezieht. Das klingt doch nett. Ich muss mich schonen, eine Infrastruktur kann nicht schaden. Ich habe zwar Essen für ca. 5 Tage mit (auf Tour esse ich immer sehr wenig), aber ich könnte mich also auch in die Büsche schlagen, wenn ich will. Ob ich das will, weiß ich noch nicht. Ist ja anscheinend kein Winter. Laut Wetterapp.

    Der nächste Platz ist in Järvenpää, da habe ich doch mal ein erstes Ziel. Sibelius hat dort gelebt, vielleicht gibt es was zu schauen. Die Helsinkikarte (Ulkoilukartta), die ich damals bei meiner Winterradtour am Camping Rastila geschenkt bekommen hatte, und mich zu dem Satz:

    Zitat von Torres
    Wie schaffe ich es eigentlich immer, kurz vor der Abreise die Karten zu finden, die ich vor der Anreise gebraucht hätte? Das Leben könnte so einfach sein.
    inspiriert hatte, um von Fjaellraev daraufhin die Antwort zu bekommen:

    Zitat von Fjaellraev Beitrag anzeigen
    Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis :
    Das ist ein dezenter Wink mit dem Zaunpfahl dass man nochmal in die Region sollte.
    Also auf zur Planung der nächsten Radtour in Finnland

    Gruss
    Henning
    zeigt mir eine Abkürzung. Ich müsste nicht durch die Stadt fahren, wenn ich nicht will. Mal schauen, wie ich morgen gelaunt bin. Die Topo, die mir Inarijoen Peter geschenkt hatte, hatte ich übrigens trotz intensivsten Suchens nicht mehr gefunden. Es muss auch ohne gehen. Die erfolgreiche Planung des morgigen Tages beglückt mich. Das Cello kommt kurz vorbei, schwärmt vom Sonnenuntergang, und ich gehe ein wenig nach draußen.





    Dann zappe ich durch das Fernsehprogramm und schaue kurz ein Lied bei Starsearch, aber befriedigend ist das nicht. Im Lesezimmer, wo man ausgelesene Bücher lassen kann, finde ich einen Krimi, den leihe ich mir aus. An der Bar erwerbe ich ein Sandwich aus finnischen Roggenbrötchen zum Abendbrot. Das reicht mir, das Teil macht satt.
    Gegen 22.00 Uhr schaut das Cello hektisch rein und sucht irgendwelche Sachen. Dann entschwindet es wieder und murmelt etwas von russischen Bekanntschaften der Bekanntschaft. Ich fliege über die Krimiseiten und tatsächlich lese ich den Krimi bis 1.00 Uhr zu Ende. Das zweite Buch nehme ich mit. Gewichtsausgleich für die Tasche mit dem Schlafsack. Ich habe Ohrstöpsel und eine bei der dm-Drogerie erworbene Schlafmaske dabei – inklusive Entspannungsgel, das hatte ich allerdings gleich entsorgt. Die Schlafmaske ist nicht nur UL, sondern entpuppt sich als eine der Top 10 wichtigsten Errungenschaften für Outdoorers, wie sich noch zeigen wird. Ich schlafe sofort ein. Es wird trotzdem eine kurze Nacht.


    Zuletzt geändert von Torres; 21.09.2015, 13:43.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    • schneehuhn
      Gerne im Forum
      • 08.07.2005
      • 57

      • Meine Reisen

      #22
      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

      oh wow - bin schon verzaubert. Mit einem Cello die Kabine zu teilen, finde ich großartig (ist mein Lieblingsinstrument).

      Bitte bald weitermachen.....

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      • Torres
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        • 16.08.2008
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        #23
        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

        31.08.2015 Järvenpää. 62,2 km

        Ich bin aufgeregt. Nervös sitze ich am Oberdeck und verspeise erneut ein finnisches belegtes Brötchen. Der Hafen kommt in Sicht. Kein Schnee. Nirgends. Was ist das denn? Das habe ich nicht gebucht! Aber insgeheim freue ich mich.





        Die Durchsage sagt, man solle in der Kabine warten, bis das jeweilige Deck abgefertigt wird. Typisch deutsch stürme ich dennoch Punkt 9.00 Uhr zu meinem Fahrrad. Es könnte ja jemand zersägen oder im Motorraum verstauen. Bis ich es dann endlich startklar habe, dauert es 30 Minuten, ich muss ja die Evazote wieder verstauen und die Kameratasche befestigen. Und das Wasser. Ich winke dem Cello zum Abschied zu und greife zu meinem Opinel. Mit einem kühnen Schwung kappe ich die Nase, die am Getränkehalter die Flasche unten fixiert. Die nervt mich schon lange. Er sorgt dafür, dass die Flaschen zu locker sitzen. Neulich war mir eine während der Fahrt heruntergefallen und mit lautem Getöse auf der Straße zerplatzt. Natürlich vor jeder Menge Zeugen. Ich fahre mit 1,5 Literflaschen vom Discounter. Diese kleinen Nuckeldinger der Rennfahrer reichen mir nicht.

        Ich unterhalte mich ein bisschen mit den Sachsen. Denn es heißt warten, warten, warten. Die Fähre ist voll und erst werden die anderen Decks geräumt. Kurz vor 11.00 Uhr sind auch die Räder dran. Man sollte auf das Personal auch mal hören.

        Ich schiebe wieder die dicken Rillen herunter, dann fahre ich die vereiste Rampe hinunter. Ach was, das ist ja Wasser. Kein Schnee. Kein Glatteis. Ich kann tatsächlich Gas geben. Das ändert sich ein paar Meter später. Das Rad blockiert, ich trete ins Leere. Fahrrad kaputt. Mein Herz setzt aus. Dann kann ich ja gleich wieder mit der Fähre zurückfahren. Was für ein Spaß. Finnland wird noch mein Unglück.
        Ich mahne zur Ruhe und schaue nach unten. Wasser plätschert über´s Pedal. Die Wasserflasche. Aufgescheuert am Zahnrad. Ich Idiot. Klar, auf den anderen Rädern habe ich die Rohloff drauf. Da lehnt die Flasche am Rahmen. Mit Kettenschaltung ist das anders. Das kostbare Nass versickert auf den Platten. Aber das Fahrrad ist ganz. Würdevoll verstaue ich den Restmüll auf meinem Vorbau.

        Ich eiere den andere hinterher, mein Kampfgewicht habe ich noch lange nicht und die Kondition könnte besser sein. Gute Idee: Foto.





        Man sieht, hier fehlt eindeutig der Schnee. Alles sieht so sonnig und freundlich aus. Ich rufe den Sachsen die Wegführung zu. Rechts, dann links abbiegen, an der Hauptstraße wieder links und am Kreisel rechts. Sie starren in ihr Navi. Na gut. Ich gebe Gas.

        Die Sonne schmeichelt meiner Haut, das Wetter ist ein Traum. An der Tankstelle kaufe ich neues Wasser. Die Kreuzung, an der ich überlegen musste, wo denn Helsinki ist. Ich fand ja nur Helsingfors. Hilfreich ist die Beschilderung für den Neuankömmling wirklich nicht. Für Radfahrer geht es nach links.





        Dann sause ich den Anstieg hinunter. Kein klarer Wintertag mehr, an dem die Sonne aufgeht, sondern die Erwartung eines warmen Tages. Kein Foto. Wie damals. Das ist mir wichtig.
        Hinter dem Kreisel stöpsele ich das E-Werk neu ein. Mein Navi hat nicht mitgeloggt, sondern ging zwischendrin aus. Leichtes Unbehagen. Bedienungsfehler, wie ich später feststellen werde. Ich muss den Powerakku anstellen, sonst stellt er sich irgendwann aus. Für diese Erkenntnis brauche ich ein paar Tage.

        Ich fliege die Radwege dahin. Hier kenne ich mich aus. Die Baustelle in Vuossari ist beinahe verschwunden. Die Häuser sind fertig, und es sieht nicht mehr so asozial aus. Die Unterführung mit der Taubenkacke ist im Sommer sauber, ein paar Anstiege, mit diesem Fahrrad geht das. Ein Kind fährt vor mir her.
        Rastila. Der Radweg ist gesperrt, auch hier ist Baustelle. Ein Umweg ermöglicht einen kurzen Blick zum Campinglatz. Er sieht so sommerlich aus. Ich suche die Weiterführung des Radweges und muss die Seite wechseln. Darf man in Finnland gegen die Fahrtrichtung fahren? Man darf. Eine ältere Frau, die ich anspreche, sagt: Folgen sie mir. Ich muss in Ihre Richtung. Der See, der damals grau und trostlos war, erstrahlt in sommerlichem Glanz. Das Wetter soll sich ändern. Heute ist der letzte schöne Tag.





        Hinter der Brücke geht es links ab. Die Dame fährt ein kurzes Stück mit, dann hält sie am Altersheim an. „Viel Glück. Bis Vaasa ist es weit.“ Ich weiß. Eine Skulptur säumt den Weg.





        Ich suche den Einstieg in den Radweg zum Ufer. Ein kurzer Irrtum, dann Radwegbeschilderung. Es geht durch einen Park. Und dann geht mein Herz auf.








        Wäre dieser Ausblick nicht da, müsste man ihn erfinden.





        Einen kurzen Moment setze ich mich auf eine Bank und genieße den Sommer. Ich könnte doch einfach hierbleiben. Die Radtour fällt aus. Drei Wochen schlafen. Wie herrlich. Der Weg endet an einem Schwimmbad, und trotz Navi irre ich etwas herum. Dann sehe ich sportliche Radfahrer. An der Hauptstraße komme ich raus. Ich finde die richtige Unterführung und mit einem eher halbherzigen Blick nach rechts überquere ich todesmutig am Fußgänger- und Radweg die Straße. Ein Auto kommt flott von rechts, es ist auch noch die Polizei. Vorsichtiger sein. Auch hier nimmt man die Vorfahrt.

        Wieder suche ich ein wenig herum, dann sehe ich ein vergilbtes Radschild. Ich will Helsinki auf genau diesem Radweg 6 umfahren, es geht durch Naturschutzgebiet.





        Ein Waldweg. Und kurz darauf stockt mir der Atem. Mann, ist das hier schön.





        Die tückischen, glatten Felsen. Der Schlitten machte da immer so ein fieses Geräusch. Zwei Minuten später bin ich erleichtert: Auch Finnen schieben bergauf. Das macht mir Mut. Kein Reiseradler, übrigens. Einkäufe.





        Der Weg führt waldreich auf und ab. Ein paar Jogger. Sehr sportliche Radfahrer in hohem Tempo. Ausschließlich Männer mit Helm und Radbekleidung. Man muss aufpassen, dass man sich rechtzeitig zur Seite drückt. Kleine Rambos mit viel Kondition. Ein paar Mal schiebe ich. Ach, ist das schön hier. Felder lösen den Wald ab. Es duftet betörend nach Rosen. Er kommt aus verborgenen Gärten. Eine alte Frau sitzt auf einer Bank. Auf der Tüte prangt groß der Schriftzug von Lidl. Langsam schleppt sich sich bald darauf in der glühenden Sonne den Weg entlang.
        Ein Aussichtsturm. Radfahrer mit Kamera und Fernglas haben sich mit Blick auf Häuser positioniert. Eine Anflugschneise für Gänse. In ihrem Rücken schimmert Helsinki.

        Wieder erschließt sich der Weg nicht ganz, und ich fahre auf Verdacht. Anscheinend ist das richtig, denn bald sind Radwege beschildert. In die kleinen Wege darf ich nicht rein. Die wären auch viel zu eng.





        Der Wald ist kühl und die Wege sind schmal. Dennoch lässt es sich hier gut fahren. Schilder erklären die Vegetation. Im Winter ist das Skigebiet.





        Dann ist der Wald zu Ende und einen Moment bin ich erstaunt. Das sieht so völlig anders aus.





        Ich radele einen gut ausgebauten Weg entlang. Einen Moment habe ich den Überblick verloren. Das ist nämlich falsch. Ich hätte im Wald links abbiegen müssen. So komme ich zur Straße. Immerhin gibt es einen gut ausgebauten Radweg.





        Die Straße ist laut und unangenehm, aber kurz darauf geht es wieder in das Waldstück zurück. Ich lasse einen Transporter vor. Der Mann dankt.
        Ich verfahre mich erneut, weil ich den Anschluss an die Via Finlandia suche und mich nun mit der GT Karte orientieren muss. Meine Helsinkikarte ist zu Ende. Immerhin bringt mir das spektakuläre Ausblicke ein.





        An einem Museum ein Wasserfall.





        Dann finde ich doch noch den richtigen Weg. Es geht nun einen Fluss entlang. Ein Schwimmbad lockt zu meiner Linken. Auf dem Felsen sonnt sich ein Mann.





        An einer Brücke wechsele ich die Seite. Spektakulär ist der Weg zwar nicht. Aber er ist gut fahrbar. Ein fester Sandradweg.





        Nach einiger Zeit nehme ich erschöpft auf einer Bank Platz. Ich habe fürchterlichen Durst und nicht genug Wasser dabei. Das war ja auch anders geplant. 1,8 Liter habe ich bereits getrunken, 0,2 Liter bleiben noch. Ich bastele mir eine Konstruktion aus einer alten Flasche an mein Fahrrad, damit ich den Flaschenhalter weiter benutzen kann. Klebeband habe ich vergessen, so nehme ich eine grüne Schnur und hoffe, dass die Flaschen von nun an halten. Das werden sie, in der Tat, obwohl die Konstruktion ziemlich wackelig ist. Eine Schülergruppe kommt zurück vom Kanufahren. Weiter. Meine Beine sind schwer, obwohl ich bisher kaum Kilometer gefahren bin. So komme ich nie nach Vaasa.

        Wieder eine Brücke. Und ein Naturschwimmbad. Erleichtert zapfe ich an der Dusche Wasser ab. Ein Dixie Klo gibt es auch.





        Ich irre jetzt irgendwelche Straßen eines ruhigen Wohngebietes entlang, die in die gewünschte Richtung führen. Den Radweg finde ich nicht, aber vielleicht ist er es auch. Eine dunkle Wolke gefällt mir nicht, aber sie wird sich nicht entfalten. Wieder falsch. Korrigieren. Gas geben. Ich suche Vantaa.
        Wieder ein Flussradweg. Ich war also doch falsch mit meiner Straße. Auf groben Sand rutsche ich entlang. Der perfekte Weg für meine Reifen. Das meine ich natürlich ironisch. Ein paar Mal muss ich schieben.





        Spaziergänger machen verwundert Platz. Bei jeder Schiebestrecke überholen sie mich wieder. Eine Unterführung, eine Stadt. Der Verkehr ist laut. Es geht wohl immer noch am Fluss weiter, so interpretiere ich die Karte. Ich bin gerade mal 30 kam gefahren. Die Hälfte der Strecke liegt noch vor mir und es ist schon Nachmittag. Das klappt wohl nicht mit mir und Finnland. Weiter, weiter, am Fluss entlang. Junge Leute gehen spazieren, aber ich traue mich nicht, zu fragen. Auf der anderen Seite ein Junge mit dem Rad. Wenn das so weitergeht, will ich nach Hause.

        Ich biege auf Verdacht links ab. Die Schilder verstehe ich nicht.





        Aha. Ich bin laut Navi in Vantaa. So geht das nicht.

        Ich gehe im Navi auf FIND und geben den nächsten Ort ein, Kerava. Langsam kommt Licht ins Dunkel. Jetzt, wo ich die Richtung weiß, sehe ich auch die markierten Routen der Karte. Von der Ideallinie ist das gar nicht weit entfernt. Es geht nun mitten durch den Ort, immer die Hauptstraße entlang. Eine Frau auf dem Beifahrersitz eines Autos fragt an einer Ampel etwas auf Finnisch. Ich antworte „no finnish“. Sie sagt was mit Outdoor, und ich verstehe sie nicht. Erst später fällt mir ein, dass sie wohl einen Outdoorshop sucht. Sorry, keine Ahnung. Ich war hier noch nicht.

        Die Straße ist laut. Das kaschieren auch nicht Töpfe mit lila Blumen auf dem Mittelstreifen der Abzweigung. Friedhofsblumen, würde meine Tante sagen. Aber dafür ist das Fahren auf den Radwegen schneller als auf den Sandwegen. Das wissen auch die sportlichen Radler. Sie ballern durch Fußgängergruppen hindurch, als kämen sie aus Hamburg. Ich begreife: Kein lokales Problem, sondern ein Problem der Städte. Ich vermute mal, das hier ist Berufsverkehr. Allerdings stört es mich nicht so, wie zu Hause. Im Gegensatz zu meinem Stadtteil ist es hier fast menschenleer und die Straßen sind breiter.
        Ein Tandem kommt mir in einer Kurve mit ungefähr 25 Sachen entgegen, der Vater schaut auf den Weg wie ein Rennfahrer. Der Sohn ist geschätzt 8 Jahre alt und sitzt hinten, er blättert in seinem Smartphone. Urvertrauen nennt man das wohl.
        Links ist nun die bessere Strecke, ich hätte einem schnellen Radler in schwarz folgen sollen. An jedem Bordstein bremse ich etwas herunter. Im Winter waren die schon ätzend stufig und im Sommer sind sie es auch.

        Die Zahl der Radler wird jetzt immer weniger. Ich entferne mich aus dem Einzugsbereich Helsinki. Ein Wohngebiet, ich verliere den Radweg. Eine Ausschilderung der Via Finlandia suche ich vergebens. Ich hätte eigentlich nur parallel fahren müssen, aber so sah es nicht aus. Noch weiß ich nicht, dass Finnland Radwegland ist. Ich lästere: Schilder braucht man hier wohl nicht. Es gibt ja nur 5,4 Mio Finnen. Da spricht sich das halt rum. Nun, heute wüsste ich das auch. Ich fahre aus Protest ein Stück Straße. Auch mal nett, nicht immer an den Fußgängerüberwegen der Seitenstraßen warten und schauen zu müssen, sondern Vorfahrt zu haben.

        In Kerava befindet sich an der Strecke ein McDonalds. Ich habe seit heute morgen nichts gegessen. Ich fahre zum McDrive, aber der Lautsprecher geht nicht. Also fahre ich zum Ausgabeschalter. „Der Lautsprecher geht nicht“. „Ja, das ist hier nur für Autos.“ Mein Hirn schaltet auf Kampfbereitschaft. „Und ich bin mit dem Rad da. Mit Gepäck. Wo soll ich das lassen? Wegwerfen?“. Sie bedient mich sofort. Hamburger und Cheeseburger sind wundervoll warm und schmecken so klebrig mies, wie erwartet. Habe ich das früher mal gemocht? Aber meinem Körper gefällt die Nahrungszufuhr. Die Laune wird wieder besser.
        Flott fahre ich Landstraße entlang. Und spüre Muskeln, die ich nicht kenne. Ich komme mir vor, wie ein toter Frosch. Die Muskeln zittern ohne mein Zutun. Selbst Schieben tut nun weh. Es lebe das Flachland.

        Wieder gibt es eine nichtausgeschilderte Nebenroute, die ich nicht gleich finde. Erst als ich parallel ein paar Radfahrer sehe, biege ich auf sie ein. Am Anfang der Route steht in Ainola das ehemalige Haus von Jean Sibelius, heute ein Museum. Aber das weiß ich da noch nicht, ich habe den Text nicht gelesen. Schade. Dafür wird es nun idyllisch.





        Ein großer Park, ich bin in Järvenpää. Hoffentlich ist der Campingplatz auf der anderen Seite des Sees geöffnet, nachgeschaut habe ich nicht. Wildcampstellen sind hier rar, das sehe ich gleich. Was diese abgeschnittenen Bäume wohl bedeuten?





        Ein Supermarkt. Ich fahre vorbei und bin dann so klug, zu bremsen. Banane, Yoghurt und Wasser. Das sollte bis morgen früh reichen. Eine Frau hilft: Kivennäisvesi (Mineralwasser). Das Wort hatte ich wieder vergessen. Eine Abzweigung zum Campingplatz. Ja. Zur Not könnte man hier wohl im Gebüsch wildcampen. Aber will man das? Ein großes Feld, fast britisch. Ein paar Wohnmobile. Der Platz ist anscheinend geöffnet.

        Eine Rezeption suche ich vergebens und fahre zurück zum Restaurant. Aha, die scheint wohl hier irgendwo zu sein. Ich frage einen jungen Mann, aber er zuckt die Schultern. Englisch kann er anscheinend auch nicht. Eine ältere Frau winkt mich herbei. Sie ist neugierig. Helsinki – Vaasa. Das ist sehr, sehr weit. Was die nur haben. Finnen fahren wohl kein Fahrrad. Die Anmeldung ist oben im Café.

        Ich finde einen jungen Mann vor, und er ist ein wenig aufgeregt. Ist es das Campen? Meine eindrucksvolle Erscheinung mit Sicherheitsweste und Helm? Oder das Englisch?

        Und nun spielt sich der denkwürdige Dialog ab, den ich am Anfang zitiert habe. „Ich habe die Bücher von Aarto Paasilinna gelesen“, nicke ich auf seine Antwort „In Finnland ist alles möglich“, aber die kennt er anscheinend nicht.
        Ich schnappe mir wieder das Rad und der junge Mann von eben spricht mich fröhlich und ein wenig stolz auf Deutsch an. Er ist anscheinend frisch verliebt und mit seiner finnischen Freundin das erste Mal in Finnland. Seine Augen strahlen. Auch sie spricht deutsch, sie leben in Bremen.

        Ich befreie mich von Rucksack und gelber Weste und werde sofort ein Opfer der Fliegen. Ich platziere die Weste ein wenig abseits, gegen die Stechmücken hilft das leider nicht, die gleich meine Beine zerfressen wollen. Sie haben auf mich gewartet. Ein paar hauchen bald ihr Leben aus, als sie es wagen, mein Zelt zu betreten, es wird Herbst, sie sind nicht mehr in Form.





        Das Zelt ist schnell aufgebaut und kaum steht es, ist es schon klitschnass von Kondens. Das nasse Gras. Der See.
        Schülergruppen stehen auf den weiten Wiesen. Man könnte meinen, sie spielen Kricket.

        Ich dusche heiß und lang und meinen neuen Muskeln geht es besser. Ich rufe meine Arbeitskollegin zurück, ein Fehler. Schon rege ich mich wieder auf. Am nächsten Tag löst sich das Problem zum Glück. Zum Abendessen gibt es Joghurt und Banane. Ein Wasserflugzeug startet und entschwindet über den See. Der Nachbar kommt zurück, mein Fahrrad parkt an seinem Stromkasten, ob ihn das wundert, weiß ich nicht. Er redet mit anderen Finnen, aber das stört mich nicht. Schlagartig wird es dunkel. Bald fallen mir die Augen zu.

        In der Nacht friere ich in meinem Kufa fürchterlich und packe den Daunenschlafsack aus. Er riecht nach Brühwürfelnahrung. Egal. Frieren ist schlimmer.
        Zuletzt geändert von Torres; 21.09.2015, 14:55.
        Oha.
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        • Torres
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          #24
          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

          01.09.2015 Lempivaara (Riihimäki). 50,7 km

          Jean Sibelius wird am 8. Dezember 1865 als Johan Julius Christian Sibelius in Hämeenlinna geboren. Sein Vater ist schwedischsprachig, sein familiäres Umfeld besteht aus Beamten und Offizieren. Später nennt er sich Jean, als er die französischen Visitenkarten seines verstorbenen Onkels nutzt. Er studiert in Helsinki und in Deutschland und unterrichtet in wirtschaftlich abgesicherter Stellung am Musikinstitut in Helsinki.
          In den 1890er Jahren erwacht sein Interesse für das Finnische im Zuge des aufkeimenden Nationalismus im russisch besetzten Finnland. Als Antwort auf die Russifizierungspolitik des Zaren Alexander des III. in Finnland schreibt er 1899 eine sinfonische Dichtung, deren letzter Satz unter dem Namen „Finlandia“ berühmt wird. Er stirbt 1957 in Järvenpää. Im Jahre 2015 hätte er seinen 150. Geburtstag gefeiert, ein Anlass, der in Finnland das ganze Jahr über mit Veranstaltungen gefeiert wird. Er ist der berühmteste und bedeutendste Komponist Finnlands.

          https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Sibelius



          Um 6.30 Uhr bn ich wach. Es herrscht Nebel und alles ist klitschnass.








          Bis ich startbereit bin, ist es kurz vor neun. Das Innenzelt packe ich getrennt ein. In der Ferne sehe ich das Wasserflugzeug.





          Eine Gruppe finnischer Teenies sitzt vor den Sanis und lacht gekünstelt zwischen Unsicherheit und Smartphoneaktivität. Da wächst eine international gleichgeschaltete Generation auf. Nur die Sprache trennt noch.

          Das Restaurant. Hübsch ist es hier, wenn man ausgeschlafen ist.








          Im Wäldchen daneben stehen weiße und braune Schafe. Es ist wenig Verkehr, es ist ja noch früh. Am Supermarkt kaufe ich finnische Roggenbrötchen, Avocado und Käse als Wegzehrung. Der gutgelaunte junge Mann verstummt, als ich nicht reagiere. Hört er nicht den Akzent? Mit drei Litern Wasser bin ich jetzt auch gut gerüstet.
          Ich überlege, ob ich nach Ainola zum Sibelius-Museum zurückfahre, aber viel wird es um diese Zeit nicht zu sehen geben. So rolle ich über den Marktplatz und erkenne langsam die Logik der Radwege: Man sucht sie auf der Karte. Schilder gibt es nicht. Nun finde ich auch die Abzweigungen, indem ich sie mit dem Navi abgleiche. Man muss erst ein Gefühl für die Kartengröße entwickeln, um die Wege zu finden. Es geht an der Schule rechts.
          Ein Schüler mit einem Motorrad, das wie ein Düsentriebwerk klingt, fährt schwungvoll zu den Schulparkplätzen. Meine Ohren heulen vor Schmerz. Dann folgen ruhige Seitenstraßen. Ein unbefestigter Weg. Ein Mann kickt unentwegt Steinchen in die Blumen. Ich hänge meinen Gedanken nach. In Finnland ist alles möglich. Die ganze Zeit denke ich über den Satz nach. Kein Wunder, dass sich keiner gewundert hat, als da so ein Idiot im Januar mit einem gelben Fahrrad auftauchte. In Finnland ist alles möglich. Das ist es. Skiwegweiser.





          Ich biege ab. Schön ist es hier und ruhig. Eine wenig befahrene Landstraße. In der Nähe gibt es wohl einen McDonalds. Man sieht es am Straßenrand. Die Sonne scheint. Felder breiten sich aus. Der offizielle Weg führt über eine Stadt, aber ich wende und biege in eine Abkürzung ein, sie erscheint mir ruhiger. An der Gabelung steht ein langhaariger 60+ mit seinem Fahrrad, anscheinend repariert er es. Als ich das zweite Mal vorbeikomme, fragt er, wo ich hin will. „Vaasa“, sage ich und es klingt wie Vase. „Vaasa“, sagt er und es klingt wie Woassa. Aha, so spricht man das also aus. Kurz darauf wieder ein Stückchen Wald.





          Auch Fußgänger finden sich an den Straßen.





          Ein Mann kommt mir nickend zu Fuß entgegen. Er wirkt unheimlich. Vermutlich krank. Oder Drogen.





          Nun folgen wieder Radwege an einer lauten Straße. Ab und zu sieht man die Züge von und nach Rovaniemi.





          Der nächste Ort. Es ist schwül, dennoch ist mir auch kalt. Die Sonne ist hinter Wolken verschwunden. Ein elektrischer Rasenmäher in Radwegbreite kommt mir auf dem Radweg entgegen. Der gleiche Killerblick wie bei den Schneepflugfahrern. Schnell weiche ich aus. Die Damen und Herren kenne ich schon. Die Brücke über die Eisenbahn. Ein Pferd starrt mich an. In der Ferne sieht man Rauch.





          In einer Seitenstraße mache ich Frühstückspause. Es gibt Avocado auf Brot. Das Fahrrad lehnt an einer Laterne. Ich setze mich auf einen Stein und mir ist lausig kalt. Die Hitze von gestern hat einen verwöhnt. Erstaunlicherweise ist hier ständig etwas los. Leute gehen vorbei, Autos kommen, ein Mofa röhrt. Ich fühle mich dennoch alleine, bis fast direkt hinter mir der Bewohner die Blumen gießt. Ein merkwürdiges Land. Weiter. Mir ist jetzt doppelt so kalt.





          Die Radwege führen jetzt an der Landstraße entlang und es geht immer auf und ab. Wenn nur die Autos und LKW nicht wären, wäre es hier richtig schön. Finnland, wie man es von der Bahn aus sieht. Die Bahn fährt immer noch parallel.





          Ich bin kurz vor Hyvinkää. Unter einer Brücke geht es rechts. Doch irgendwie finde ich die Abzweigung nicht, und so schiebe ich die Brücke hoch. Ich quere die Hauptstraße und sehe an den Laternenpfählen Schilder hängen. Es geht um Sibelius und seine Frau. Eine Ausstellung, schätze ich. Das interessiert mich jetzt aber weniger. Ich will Ruhe, ich suche den Park.


          Den finde ich zu meinem Erstaunen tatsächlich und hier ist sogar der Radweg ausgeschildert.





          Die Natur entspannt mich innerhalb von Minuten. Schön ist es hier. Mit tiefen Zügen atme ich den Waldgeruch ein. Ein bisschen bestätigt das meine Theorie: Die schönste Natur gibt es in der Nähe der Städte. Hier setzt man sich ein dafür.











          Pyöraillen Suomessa, finnischer Radweg, klebt an den Schildern. Durch die Bäume schimmert ein Luxushotel. Kastenförmig. Hässlich. Ich denke sofort an Korpilampi bei Serena und träume von einem Bett und dem Besuch einer Sauna. Soll ich fragen? Ich habe ein Tief. Tapfer schiebe ich weiter.





          Hier darf man zelten. Dann lieber das. Ich radele weiter. Die Wegweiser sind wieder weg, und ich verfahre mich. Es geht gerade so schön bergab und so merke ich das nicht. Und gerade als es kritisch wird, geht mein Navi aus. Ist der Powerakku kaputt? Tot, töter, am tötesten? So ein Mist. Ich krame die Batterien heraus. Mit Hilfe der Batterien orte ich mich und weiß jetzt, wo ich bin. Was tun? Weiter? Zelten? Ich kann mich nicht entscheiden. Ich weiß nur, ich bin plötzlich so müde.
          Ich fahre erst einmal weiter, dann wieder zurück und dann finde ich tatsächlich einen guten Platz für das Zelt. Aufbauen will ich es noch nicht, es ist gerade mal Mittag. So lege ich mich auf meinen Poncho.

          Kaum mache ich die Augen zu, wimmelt es überall von Spaziergängern. Sie sehen mich nicht und interessieren sich auch nicht für mich, aber ich sehe sie und wundere mich, wie lautlos sie sind. Großstädter im Wald hört man auf Meilen, wie ich finde. Als es ein wenig ruhiger wird, fängt es über mir an zu meckern. Ein Sonstwashörnchen hüpft herum und will mich ärgern. Es hat irgendwelche Pflanzenteile im Maul und wirft sie auf mich herunter. Ich weiß genau, es lacht mich aus. Ich dagegen kann es kaum sehen. Mecker, zeter, mecker. Wie ein kleines Äffchen. Der Kopf tut mir weh. So kann ich nicht schlafen. Der Wald ist außerdem feucht und schnell wird mir wieder kalt. Meine Nieren sind zu spüren. Das ist nicht gesund. Die Sache deprimiert mich. Hier hole ich mir den Tod. Und besonderns abwechslungsreich ist es hier auch nicht. Bäume und Laub. Ich bin wohl nicht so der Typ fürs Wildcampen. Ich merke, ich will fahren. Es ist jetzt um halb zwei.

          Ich hole den Reserveakku heraus und stelle die Daten ein. Das Navi zeigt nun wieder meine Position an. Ich fahre noch ein paar nette Pfade und komme an Parkplätzen und Sportanlagen heraus. So beschließe ich, direkt nach Riihimäki zu fahren. Vielleicht finde ich dort ein preiswertes Hotel. Ich möchte gerne einfach nur schlafen, schlafen, schlafen.

          Riihimäki ist gar nicht so weit, wie ich dachte und am Ortseingang steht ein großes Schild. Campingplatz Lempivaara 4 km. Ober der wohl offen hat? Ein Zeltplatz. Das wäre es doch.

          Ich fahre die Brücke über die Eisenbahn, es riecht betörend nach Holz. Holz? Da war doch was. Harry, geht’s Dir gut?





          Die Straße läuft hügelig auf und ab, und ich staune, wie breit hier die Straßen sind. Anscheinend ist hier jede Menge Platz. Ein Waldstück leuchtet im Abendlicht. In der Gegend ist ein Nationalpark. Das weiß ich da aber nicht.

          Der Platz sieht gemütlich aus, die Rezeption ist offen. „Wir sind einer der wenigen Plätze, die nach dem 31. August noch offen haben. Alle anderen schließen Ende August“. Gut zu wissen. 17 Euro ohne Scandinavian Key Card, 13 Euro mit. Ich habe keine, am Ende hätte es sich wohl gelohnt.





          Ein schöner Platz. Das sehe ich gleich. Ein nettes Restaurant mit fairen Preisen. Schade, dass ich soviel Essen dabei habe. So etwas muss man eigentlich unterstützen.

          Ich möchte wegen der Kondensgefahr nicht so nah am Wasser stehen. Der andere Zeltplatz ist an der Straße. Eine korpulente Finnin sitzt auf dem Platz und bewacht die Grillhütte. Diese Hütte, die gehört uns. Ich verstehe ihre Signale. Die Autos sind mir sowieso zu laut. Ich stelle mich an die Fischteiche neben das Trampolin. Doch zuerst muss ich mein Zelt trocknen.





          Am Fischteich ist in einer offenen Holzhütte eine Küche, und ich packe den Kocher aus. Ich muss Gewicht umverteilen: Aus der Packtasche auf die Hüfte. Es gibt heute Nudeln mit Avocado. Und als Higlight: Parmesankäse aus dem Aldi. Die 250 gramm Dose aus der Italienwoche. Luxus muss schon sein.





          Es ist kühl, aber still, und ich atme tief durch. Wie gut, dass ich am Hotel nicht gefragt habe. Es geht nichts über mein Dragonfly. In diesem Jahr wird es neun Jahre alt. Im Hintergrund raucht der Ofen der Sauna. Dicke alte Männer werden kurz darauf Gäste sein.





          Mein Rad schließe ich nun in der Küche an. Ein Mann kommt und fragt auf englisch, ob es mich stört, wenn sie auch kochen. Wo kommt ihr her? Es sind Deutsche aus Bayern. Sie werfen den Grill an, und ich bekomme von ihnen zwei leckere dünne Stückchen Hühnerfleisch. Im Gegenzug erhält er meine Tüte mit finnischer Lakritze. Ich konnte auf der Fähre nicht wiederstehen und musste eine 500 gramm Packung kaufen. Zu meiner Freude isst er die Sorten auf, die ich nicht mochte. Und die ich mochte, kann er nicht leiden. Perfekt. Die beiden sind per Autostopp unterwegs, begonnen haben sie in Oulo. Geschlafen haben sie bei Freunden oder bei den Finnen, die sie mitgenommen haben. Hier haben sie eine Hütte. Sie sind von Finnland begeistert. Nur die Preise für Essen bringen sie ins Grübeln. Mineralwasser 2.65 Euro. Gestern haben sie in dem Teich vor uns eine mehr als ein Kilogramm schwere Forelle gefangen. Das Kilo kostet hier 9 Euro. Ich sehe die Bilder auf dem Smartphone. Für sie war es der erste Fang, so ganz traut sie dem toten Fisch nicht, das sieht man. Er bietet mir an, mir auch eine zu fangen, aber Fisch auf Tour ist gar nicht gut. Es reicht, wenn der Schlafsack nach Brühwürfel riecht. Fischgeruch möchte ich vermeiden.





          Als es Abend wird, laufe ich noch ein wenig herum. Auf einer kleinen Insel, die über eine schwankende Holzbrücke zu erreichen ist, steht eine Tafel.





          Ein deutsches Auto kommt und mit ihm ein Tatonka und ein Unna.





          Die Brücke zur Insel hängt sehr tief und schwankt. Nur mit Mühe komme ich trocken zurück.

          Ich ziehe mich in mein Zelt zurück. Monteure – Männer in Lieferwagen, ich nenne sie in Zukunft Monteure, auch wenn es vielleicht Ingenieure oder Waldarbeiter sind – rasen mit ihren Transportern auf den Platz. Drei oder vier Wagen sind es. Drei Minuten später brennt an der jeweiligen Hütte am Grill das Feuer. Feierabend auf Finnisch. Kurz darauf gehen sie schlafen.





          Morgen soll das Wetter schlecht sein. Vielleicht den ganzen Tag regnen. Dann würde ich wohl bleiben. Die Deutschen haben morgen Besuch. Sie fragen mich, ob ich bleibe. Ich weiß es noch nicht, aber ich glaube es nicht. Wenn es nicht regnet, dann nicht. Der Abend war schön heute. Das soll man nicht verderben.
          Zuletzt geändert von Torres; 15.12.2015, 21:55.
          Oha.
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            #25
            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

            Ich sehe, du bist mit dem "Unser SL Road Pro ist ein sportliches Speedbike für gehobene Ansprüche." (O-Ton Cube) unterwegs gewesen. Wäre dein Reiserad für solche Touren nicht das bessere Rad?
            .

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            • Torres
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              #26
              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

              Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
              Ich sehe, du bist mit dem "Unser SL Road Pro ist ein sportliches Speedbike für gehobene Ansprüche." (O-Ton Cube) unterwegs gewesen. Wäre dein Reiserad für solche Touren nicht das bessere Rad?
              Ich habe die Entscheidung bewusst getroffen, und sie war richtig. Ich komme mit diesem Rad besser die Steigungen hoch und der Rollwiderstand der Reifen ist bedeutend geringer, was auf dem groben Asphalt kein Nachteil war. Die Scheibenbremsen waren auch nicht zu verachten. Testweise hatte ich mein Reiserad die Woche vorher noch einmal gefahren und dachte, ich hätte keine Bremsen und käme nicht voran. Ich habe eigentlich nur den Hauptständer vermisst.

              Bedenken hatte ich zuerst wegen des Gewichts, da die Zuladung aufgrund der Tatsache, dass ich kein schmaler Hänfling bin, bei einem derartigen Rad nicht so hoch sein sollte. Aber mit der Gepäckverteilung vorne und hinten hat das gut geklappt. Die Packtaschen wirken durch die gelben Regenabdeckungen kompakter als sie sind. Jede Packtasche wog insgesamt um die 2,5 kg. Das Zelt vorne mit Kameratasche 3 kg. Die Tasche am Sattel ca. 3 kg (mit jeder Mahlzeit wurde das dann auch leichter). Schwer waren nur die Kameras, die Elektronik, das Flickzeug, das Wasser und ich .
              Oha.
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                #27
                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                Ach wie schön, da war ich als kleiner Bub öfters baden...

                Zuletzt geändert von Pielinen; 22.09.2015, 12:41.
                Wer nichts weiß muss alles glauben...

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                • Torres
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                  #28
                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                  Du meinst auf der Insel Mustikkamaa? Da hätte ich vielleicht doch auf der Rückreise nicht umkehren sollen. Aber ich will nicht vorgreifen.
                  Oha.
                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                    #29
                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                    02.09.2015 Aulanko Nationalpark (Hämeenlinna). 58,7 km

                    Um sechs werde ich wach. Der Himmel ist bewölkt, und ich packe umgehend. Es wirkt, als käme die Sonne raus, als ich fertig bin. Mein rechtes Ohr macht leise plopp und schaltet sich kurz aus. Der nächste Hörsturz? Ich zwinge mich, meine Bewegungen zu verlangsamen. Der Tag ist lang. Ich habe viel Zeit. Ich bin in Urlaub. Die Transporter von gestern rasen wieder fast gleichzeitig vom Platz.

                    Ich zwinge mich dazu, zu frühstücken. Gegen acht bringe ich die Zeltmarke zurück. Die Straße ist leer.





                    Die Bäume von gestern sind nicht mehr so imposant. Aber der Platz strahlt in der Sonne. In den Straßen sieht man den Herbst kommen. Sie sind sehr breit. Es gibt viel Platz hier.

                    Riihimäki beschreibt mein Begleitheft als Eisenbahnstadt. Schon seit 1870 war es ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt mit Verbindungen nach St. Petersburg und zwischen Helsinki und Tampere. Auf jeden Fall wirkt es anders als die anderen Städte und gefällt mir. Weitläufig. Freundlich. Blätter tanzen in den Straßen. Wo es nass ist, sind sie rutschig. Selbst die Nebenstraßen sind ungewohnt breit und es gibt kaum parkende Autos. Für den gequälten Großstädter eine Idylle. Hier kann man vierspurig fahren.





                    Die Kinder radeln zur Schule. Eine Frau gräbt an einem Grasstück herum. Vielleicht sucht sie Hasenfutter. Am Weg liegen ein Glas- und ein Jagdmuseum. Eine Traktorenausstellung mit Festzelt ist zu sehen. Ein VW Käfer blubbert an mir vorbei. Das waren noch schöne Töne, nicht so technisch wie die heutigen Motoren. Er gehört einer Mutter mit zwei Kindern.





                    Ich verirre mich wieder kurz, dann bin ich richtig. Im Navi sieht es aus, als wäre ich auf der Autobahn. Das stimmt, aber sie ist nicht zu sehen ist. An die perfekte Untertunnelung des Auto- und Radverkehrs in einigen Gegenden und die separate Radwegführung muss ich mich noch gewöhnen. In Deutschland gibt es das nicht. Das erinnert fast an Holland. In einem Waldstück riecht es betörend nach frischen Holz. Eine Frau führt nervös ihren Hund spazieren. Vermutlich muss sie gleich arbeiten gehen.


                    Es beginnt jetzt eine schöne Strecke auf der Straße.





                    Für lina.





                    Verstreut stehen kleine Häuser, Höfe oder Scheunen. An den Häusern Holzfällarbeiten. Man bereitet sich auf den Winter vor. Die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt. Hell leuchtet das Getreide in einem unbeschreibbaren, gelbockerorange Ton, der sich je nach Sonneneinstrahlung ändert. Ich kann mich nicht satt sehen.











                    An einem Häuschen gibt man sein Rad ab. Vielleicht die Zufahrt zu einer Schule. Ich weiß es nicht. Manchmal scheint es, als käme die Sonne heraus. Aber wenn, ist das nur ganz kurz.
                    Stärkere Steigungen gibt es nun auch. Noch nehme ich sie ganz gut. Das wird sich noch ändern.





                    Ein Teil der Straßen ist rissig und abschüssig, und ich denke noch einmal an meine Wintertour. Was zur Hölle wollte ich im Winter in Finnland? Auf diesen Straßen? Hier passen ja keine zwei Autos vorbei, vor allem nicht, wenn hier noch Schnee liegt. Ein Transporter kommt mir entgegen, die Straße ist so schief, dass er mittig fahren muss, und ich weiche an den Randstreifen aus. Derartige Begegnungen im Winter, wenn sich der geräumte Schnee an den Seiten türmt? Andererseits war es schon eine coole Aktion, das muss ich schon sagen.

                    Leider tragen Wind und Hügel den Schall der Autobahn weit in das Land. An manchen Stelle ist es vermutlich lauter, als direkt nebenan. Das stört mich. Es hindert einen, sich völlig in die Landschaft zu versenken. So schön die Verkehrsanbindung für die Einwohner auch ist. Es kommt mir vor, als säßen die Finnen den ganzen Tag im Auto. So viele Leute leben hier doch nicht.

                    Einer der vielen Ameisenhaufen am Wegesrand. Ein Waldkindergarten ist nicht weit. Alle tragen Sicherheitswesten, damit sie sich nicht verlieren.





                    Ich bin jetzt in Tervakoski. Mal wieder verirre ich mich in einem Geflecht von Rad- und Wanderwegen und eine Schlossanhöhe finde ich auch nicht. Dafür eine Reihe geduckt wirkender, baugleicher Häuser. Sie kommen mir untypisch vor. In der Nähe ist ein Sportplatz mit trainierenden Speerwerferinnen.





                    Auf einen Platz ein Denkmal. Die Blumen werden gerade gepflegt.





                    Eine Kirche.





                    Es sind kaum Menschen zu sehen. Und es ist feucht und kalt. Von trostlos möchte ich nicht sprechen, aber bei Sonne sähe es hier anders aus. Ich überlege, noch etwas zu essen zu kaufen, fahre dann aber weiter. Das hat auch schon bessere Zeiten gesehen.





                    Eine Kuh glotzt mich an. Im Hintergrund das Rauschen der Autobahn. In einer kleinen Siedlung finde ich eine Bank und setze mich hin. Eine Tanksäule leuchtet im Gebüsch. In Finnland ist alles möglich.





                    Hinter der Bank lehnen zwei weitere Fahrräder. Vermutlich ist das hier der Dorfplatz und der Schulbus lädt die Kinder ein. Die Briefkästen stehen hier auch.





                    Ich esse eine Kleinigkeit und radele bald weiter. Besser: Ich radwandere. Ich muss mal wieder schieben.
                    Die Straße ist wenig befahren, und ich bewundere die kleinen Häuschen in den Einfahrten. Die meisten verbergen die Mülltonnen. Einige die Briefkästen. Aber eines dieser winzigen Gebäude steht auf einem Podest. Es führt eine Treppe zur Tür hinauf. Ein Rätsel. Wenn dort Mülltonnen stehen, ist das doch unpraktisch. Vielleicht ein Häuschen für die Pakete von Zalando?

                    Ein Schmuckstück im Garten. Oldtimer, vor allem deutsche und amerikanische, werde ich in Finnland viele sehen.





                    Die Wege sind gesäumt von Heidekraut und Preiselbeeren. Ich vermute zumindest, dass es welche sind.





                    Und während ich so fahre, denke ich, dass Finnland eigentlich ziemlich wenig abwechlungsreich ist. Wald, Felder, vereinzelt Häuser, immer hoch und runter. Kilometerweit. Eine Fläche so groß wie Deutschland. Die meisten Menschen leben im Süden. Eigentlich kein Wunder, dass Mikko Mäkipää gerne Scenic Tours auf den Rennen des Transcontinental Race fährt. Wenn er tagtäglich hier radelt, muss Mittel- und Südeuropa ein Feuerwerk visueller Eindrücke sein. An einem Haus wieder Holzfällarbeiten.





                    Ich überquere die Autobahn. Tampere-Helsinki. Wie breit sie ist. Vor allem der Mittelstreifen. Vielleicht ist das ja für den Schnee? Ich werde sie an dem Tag noch mehrfach kreuzen.





                    Immer häufiger muss ich schieben.





                    Ich keuche entnervt einen Hügel hinan. Radwandern. Wie ich das hasse. Als ich keine Lust mehr habe und überlege, ob ich das Fahrrad ins Gebüsch werfe und trampe, finde ich eine kleine Quelle. Die Laurin Quelle. Die Beschreibung ist leider auf finnisch.



                    Ich lasse mich nieder. Diese Schieberei raubt mir den letzten Nerv. Ich bin für so einen Quatsch zu alt. Das nächste Mal fahre ich mit dem Auto herum. Wie sagte Werner Hohn sinngemäß so schön: Erst wird das Fahrrad leichter (in der Phase bin ich jetzt), dann das Gepäck (in der Phase bin ich noch nicht) und dann hört man irgendwann auf. Ich sollte das einfach mal abkürzen. Das wird jetzt der letzte Reisebericht. Man muss sich beim Altern nicht zusehen lassen. Sollen anderen doch die Helden spielen. Leute, die 120 km am Tag die Berge hoch- und runterfahren. Und für eine Tour extra trainieren. Für sowas habe ich keine Zeit.

                    Ich denke mich richtig in Rage. Und was ist das eigentlich für ein Werkzeug? Kann man aus der Quelle trinken? Ich traue mich das nicht.





                    Ein gammliger Pilz gammelt herum und einen Wanderweg gibt es auch. Ich esse erst einmal ein Brötchen. Dann schiebe ich weiter. Das Laurinmäen museoalue. Das Haus sieht geöffnet aus, aber mir ist kalt. Zwei Jugendliche schieben einen altertümlichen Wagen. Ein dem ehemaligen, hellblauen Berlinshuttlemobil baugleiches Gefährt steht im Wald auf einem Parkplatz.


                    Ein Kriegsdenkmal und ein Friedhof. Dann folgt die Kapelle. Sie liegt oben auf der Anhöhe. Pyhän Laurin Kikko.





                    Geöffnet ist sie leider nicht. Ich frage einen Mann. Möglicherweise eine Beerdigung. Ich höre leise Musik.

                    Es geht nun wieder bergab. Das Licht zeigt wieder seine Streifen. Das ist es, was ich in Finnland so liebe. Das besondere Licht.





                    Und auch für Individualität ist Raum.





                    Gerne pflanzt man hier gelbe Blumen. Sieht auch wirklich wundervoll aus.





                    Unter einem Apfelbaum steht ein Korb. Die Äpfel fallen natürlich daneben. Wieso mache ich heute so viele Fotos? Ganz einfach: Ich muss immer mal wieder schieben. Zwar nur das letzte Stück vor der Kuppe. Aber immerhin.





                    Finnisch für Anfänger? Man weiß ja nie.





                    Endlich geht es wieder den Hügel hinunter. Ein Briefkasten im Löwendesign. Eine geschmacklose Villa mit riesigen Figuren am Tor. Adler und Göttinnen. Ich bin zu schnell. Dafür halte ich nicht an.

                    Ein paar lustige Bäume.





                    Und wieder dieses unglaubliche gelb auf einem Stoppelfeld.





                    Auf dem Radweg hat jemand seinen Expander verloren. Hämeenlinna ist nicht mehr weit. Man sieht es an den Radwegen und den Unterführungen. Es gibt sogar Radwegschilder. Dafür muss man jetzt auf Jugendliche achten, die wohl gerade aus der Schule kommen. Sie fahren, ohne auf andere Radler zu achten, einfach ihren Weg.
                    Die Radwegführung geht jetzt um den See herum und man blickt auf Hämeenlinna. Das Panorama am See ist jedoch scheußlich. Hässliche Häuser. Beton. Keine Sonne spendet Milde und Schein. So versuche ich es mit dieser Perspektive.





                    Der Promenadenradweg ist ebenfalls betoniert. Hier soll ein Schwimmbad sein, aber alles ist grau in grau. Der Verkehr ist laut und der Ort wirkt heute abweisend. Ich fahre auf eine der Brücken zu. Passend genau in der Unterführung gibt der zweite Akku auch noch den Geist auf. Ich bin konsterniert. Das darf doch nicht wahr sein. Zwei auf einmal. Das gibt es nicht. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon, einen Elektroladen zu suchen, um einen neuen Akku zu kaufen. Ich bin begeistert. Jetzt oder später? In der Nähe gibt es einen Campingplatz. Ich entscheide mich für später und stecke die Eneloops ins Navi ein.

                    Die Burg liegt vor mir. Nass und kalt. Ich holpere über das Kopfsteinpflaster. Als ich dann diesen Lichtblick sehe, wird mir wieder warm. In Finnland ist alles möglich.





                    Ich folge der Karte Richtung Aulanko Nationalpark durch ein Waldstückchen am See entlang. Wegweiser gibt es auch.





                    Dennoch traue ich der Sache nicht ganz, denn das Navi kennt keine Brücke über den See. Ich frage einen Finnin und sie erklärt den Weg. Ich begreife sofort, obwohl sie kaum Englisch spricht. Es geht eine Eisenbahnbrücke entlang. Der Weg ist nur für Radfahrer und Fußgänger.





                    An der Brücke ist eine Baustelle, aber das ist kein Problem. Auf der anderen Seite liegen Boote.





                    Ein Radfahrer will auf die Brücke fahren, hält aber an und fragt mich, was ich vorhabe. Unter der Brücke kommt ein Eichhörnchen hervor, und ich frage ihn, wie das Tier heißt. Lumikko, sagt er. Im Winter werden die weiß. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich wirklich auskennt und R. wird später sagen, dass Lumikko ein Wiesel und kein Eichhörnchen ist. So etwas habe ich mir schon gedacht. Egal. Lumikko ist ein guter Begriff für diese Frechdachse. Ich präge ihn mir ins Gedächtnis ein. Jeden Tag ein neues Wort. Eichhörnchen heißt übrigens Orava. Das Wort gefällt mir nicht so gut. Der Mann sagt, der Campinglatz sei auf, er sei eben vorbeigefahren. Das beruhigt mich sehr.

                    Ich fahre den Radweg weiter und komme an einen Kongresszentrum raus. Kahl ragt die kalte Architektur aus der Natur heraus. Am Kiosk riecht es nach Essen, und ich merke, dass ich hungrig bin.

                    Ich fahre auf dem Radweg der Landstraße entlang, wieder ist lauter Verkehr. Bald sehe ich ein Schild vom Campinglatz, aber mein Navi sagt, ich müsse noch weiterfahren. Müde wie ich bin, fahre ich einfach weiter, aber das Schild stimmte. Hätte man sich eigentlich denken können. Auf der Fahrbahn rase ich zurück und pfeife auf die Radwegpflicht. Kurz darauf bin ich nach einer kleinen Schiebestrecke an der Rezeption. Geöffnet von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Es ist 15.00 Uhr. Und keiner da.

                    Ich nehme den Rucksack ab und werfe ihn auf einen der Tische. Und setze mich. Ein Mann lädt seinen Lieferwagen aus, es ist wohl der Gastronom des Restaurants dahinter. Die Dame käme in einer halben Stunde. Okay. Eine Gruppe von Finninen strebt dem Restaurant zu. Sieht nach Kaffeeklatsch aus.
                    Nach zwanzig Minuten ist mir so eiskalt, dass ich mir vermutlich gleich eine dicke Erkältung hole. Ich rufe die Nummer an, die an der Tür steht. Anscheinend führt sie zur Zentrale. Die Frau am Telefon betreut drei Campingplätze, und ich sage ihr, wo ich bin. Sie meint, ich solle an einer anderen Tür schauen. Geschlossen. Sie ruft die Dame an, sagt sie.

                    Zwei Minuten später steht eine freundliche Frau vor der Tür. Sie war beim Lunch. Sehr originelle Erklärung. Ich glaube ihr kein Wort. Um diese Zeit machen Finnen keinen Lunch mehr. Sie checkt mich freundlich und effektiv ein. 20,00 Euro soll der Spaß kosten. Das ist der höchste Preis bisher. Ich zahle für eine Nacht. Eigentlich hatte ich für morgen einen Ruhetag geplant, aber das gucke ich mir mal in Ruhe an. Ich kann mich hier vorne entweder an den Hang stellen oder da hinter direkt an das Wasser. Da vorne sind die Sanis.

                    Ich schiebe das Rad den steilen Weg hinunter und stelle es zu den Sanis, fest entschlossen, dort das Zelt aufzubauen. Kurze Wege sind immer gut. Aber die Atmosphäre gefällt mir gar nicht. Die Gebäude zeugen von Lieblosigkeit. Die erste Dusche ist dreckig und die Tür halb abgerissen, die zweite ist auseinandergebaut. Sie funktioniert nicht. Die Toilette sind zwar halbwegs sauber, aber alles wirkt leicht vernachlässigt und kalt. Ein reiner Sommerplatz. So trostlos habe ich einen Platz selten erlebt. Nur die Küche ist gut eingerichtet, aber auch die anderen Räume zeugen nicht gerade von Stil. Verblichener Glanz vergangener Tage. Ich fühle mich einsam. Gestern der Platz war so voller Liebe. Und das hier ist ein Sommer, der gestorben ist.





                    Steckmücken umkreisen mich. Eine Finnin, die ich fragen will, ob es mehr Stechmücken hier oben oder am Wasser gibt, versteht weder englisch noch meine Zeichensprache. Auch das noch. „Ssssss“ ist eigentlich nicht schwer. Aber vielleicht heißt das Geräusch in Finnland anders. Im Wald stehen Blockhäuser. Dunkel und finster. Der Platz mag im Sommer wunderschön sein. Ein wenig gruselt er mich. Unter dem Campingplatz eines Nationalparks hätte ich mir etwas anderes vorgestellt. Irgendwie mehr Romantik.

                    Ich baue mein Zelt auf der Wiese vor den Sanis auf und überlege es mir dann noch mal anders. Ich glaube, hier oben werde ich nicht froh. Schließlich gehe ich nicht gleich schlafen, es ist doch viel zu früh.

                    Ich beschließe, erst einmal die missliche Lage der Duschen zu erörtern. Die Rezeption ist wieder geschlossen, und ich sehe, dass ich meinen Rucksack habe liegen lassen. Das wäre jetzt nicht so gut, wenn er weggekommen wäre. Die große Kamera ist da drin. Glück gehabt.
                    Dann laufe ich los, ich weiß ja, wo ich die Frau finde. Tatsächlich balanciert sie die leeren Teller auf dem Tablett durch den Raum. Der Mann von vorhin ist wohl der Chef. Einen Moment ist sie beschämt, aber ich tue so, als würde ich nichts merken. Das kann ich gut. Ja, es gibt noch zweite Sanis. Die sind da und da. Aber die Duschen müssen gehen. Eigentlich ist sie ganz nett. An ihr liegt das ja nicht, höchstens am Chef. Man könnte hier sicherlich gut essen. Ich frage nach. Abendessen gibt es nicht, das Restaurant ist nur mittags geöffnet. In Finnland in dieser Jahreszeit übrigens keine Seltenheit. Ich verlasse das Restaurant über die Terrasse, von hier aus ist der Ausblick grandios.

                    Ich suche mir jetzt einen Platz am See aus. Es weht ein frischer Wind. Das Fahrrad in der einen, das zusammengebaute Zelt in der anderen Hand, mache ich mich auf den Weg. Für solche Aktionen hat man Geodäten. Das Wetter ist immer noch trüb. Aber der Anblick von Wasser erfreut mich.





                    Das Fahrrad kette ich an einen der Bäume, und als ich mich umdrehe, steht da eine Frau und hat mein Zelt in der Hand. Verdammt, ich habe keine Heringe gesetzt und aufgrund des Windes ist es abgehauen. Noch einmal Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn es ins Wasser gefallen wäre. Ich sage danke.

                    In Windeseile packe ich meinen Kocher aus. Ich habe jetzt richtig Hunger. Es wird der Fertigreis mit Cashewnüssen. Basmatireis, wohlgemerkt. Die Nüsse habe ich als Energieration dabei. Ach ja, den Parmesankäse hätte ich fast vergessen. Der gehört natürlich auch dazu.





                    Meine Lust, noch nach Hämeenlinna hineinzufahren, um einen Akku zu kaufen, schwindet. Daher telefoniere ich mit der ods hotline (bei ods angemeldete Person, die auch dann helfen kann, wenn sie nicht helfen kann) und klage verzweifelt mein Leid. Sie nutzt das E-Werk anders, sie lädt damit Batterien, die sie ins Navi steckt, sagt aber einen entscheidenden Satz: „Vielleicht sind sie nicht kaputt, sondern haben sich nur entladen“. Da hätte ich natürlich auch drauf kommen können.





                    Das Häuschen am Ende der Halbinsel ist die Sauna. Vermutlich ist sie im Preis inbegriffen. Dann wäre der Zeltplatz günstig. Ich überlege, ob ich fragen soll, aber erst einmal will ich duschen. Kurz mache ich die Augen zu. Der Verkehr der benachbarten Straßen rauscht. Hört das heute gar nicht auf?

                    Ich gehe zur Dusche und säubere das Bad. Die zweite Dusche funktioniert. Zudem ist das Wasser heiß, das ist doch was. Den dicken Powerakku hänge ich im Bad ans Ladegerät, und wie es sich gehört, fängt er an zu blinken. Er ist also nicht defekt. Das Aufladen könnte die Lösung sein. Durch die Schieberei bin ich einfach nicht schnell genug und das Navi verbraucht mehr Energie, als ich nachladen kann.

                    Beim Rückweg stelle ich fest, dass es direkt am See am Hang unter den Sanitärräumen viel ruhiger ist, und ich plane den dritten Umzug. Das Fahrad schließe ich an einen Holzpflock an und merke zu spät, dass er eine Lampe umhüllt. Dafür ist die Aussicht nun grandios.











                    Nach einiger Zeit färbt sich der Himmel leicht rosa. Die ersten Nieseltropfen fallen. Ganz rechts im Bild ahnt man die Sauna.








                    Ein paar Männer kommen lachend aus der Sauna heraus und springen an der Rückseite ins Wasser. Ihr Gelächter hallt über den See. Ich ziehe derweil meine Zelttür zu. Die Stechmücken habe starke Gelüste. Das muss jetzt heute nicht mehr sein.
                    Die Laterne geht an und ist so hell, dass ich wie ein Ertrinkender nach meiner Schlafmaske greife. Zwischendrin hatte es ja schon genieselt und jetzt fängt es zu regnen an. Autos hört man dagegen nicht, wie schön. Bei Regen kann ich gut schlafen. Ich schließe die Augen.
                    Unvermittelt setzen Maschinengewehrfeuer und Granatenbeschuss ein. Ratatatata. Pomm. Ratatata. Pomm. Parola. Armeestützpunkt. Gibt es hier eigentlich Flüchtlinge? Wie würden die sich bei diesen Geräuschen fühlen? Ich stopfe also auch noch die Ohrstöpsel ins Ohr und beschließe jetzt endlich zu schlafen.

                    Es regnet durch die ganze Nacht.
                    Zuletzt geändert von Torres; 23.09.2015, 11:25.
                    Oha.
                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                      #30
                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                      Wunderbare sehr finnische Bilder...
                      Wer nichts weiß muss alles glauben...

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                      • lina
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                        #31
                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                        Danke!

                        und ja, die Preiselbeeren sind Preiselbeeren :-)

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                        • maahinen
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                          #32
                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                          Hi Torres, und Danke fürs mitnehmen - auch wenn es nicht Nordkarelien ist
                          Du kannst so toll beschreiben!

                          Den Campingplatz Aulanko in Hämeenlinna habe ich auch wirklich grauenvoll in Erinnerung... Wir waren mit unseren Kindern vor 12-13 Jahren da und wollten in unserem Campingbus übernachten. Wir hatten uns schon angemeldet, sind den Hang runtergefahren und fanden den Platz so lieblos, hässlich, eklig und richtig verdreckt, dass wir gleich wieder umkehrten und rausfuhren - ohne zu bezahlen, versteht sich. Für mich ist er bis heute der ekligste Campingplatz Skandinaviens. Besser scheint der Platz also nicht geworden sein... Tut mir richtig leid für dich. In Nordkarelien wäre so etwas natürlich nicht möglich...

                          So, schreib bitte schnell weiter!

                          Liebe Grüße
                          Maahinen
                          Zuletzt geändert von maahinen; 23.09.2015, 20:18.

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                          • Torres
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                            • 16.08.2008
                            • 30718
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                            #33
                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                            Ach, maahinen, da bin ich ja erleichtert. Ich dachte schon, ich hätte irgendwelche Wahrnehmungsstörungen. Ja, ja, mach mich nur neugierig auf Nordkarelien (dabei bin ich das schon längst.... )
                            Oha.
                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                            • Mika Hautamaeki
                              Alter Hase
                              • 30.05.2007
                              • 3979
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                              #34
                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                              Ach Finnland....
                              So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                              A. v. Humboldt.

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                              • Torres
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                                Liebt das Forum
                                • 16.08.2008
                                • 30718
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                                #35
                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                03.09.2015 Valkeakoski. 63,8 km

                                Am Morgen wache ich vom Tackern eines Lummiko auf, das eigentlich ein Orava ist. Ich lüpfe meine Ohrstöpsel und stelle fest, dass die Straße jetzt auch hier laut ist. Vermutlich hat der Wind gewechselt. Meine Augen sind völlig verklebt, und ich sehe nichts. Dann sehe ich doch etwas und werde mir bewusst, dass ich die Kontaktlinsen im Auge vergessen habe. Also muss ich mit Brille fahren. Als ich eine Sekunde überlege, angesichts des Seepanoramas doch einen Tag zu verlängern und vielleicht im Nationalpark zu wandern, geht erneut Maschinengewehrfeuer los. Ich packe.





                                Mein Sanyo Akku ist entgegen meiner Befürchtung nicht entwendet worden, sondern voll aufgeladen, und ich bin beglückt.
                                Meine Nase ist zu, und ich habe das Gefühl, eine Erkältung zu bekommen. Das geht später aber wieder weg.

                                Ich versuche, den Weg hinter der Sauna weiterzufahren, aber an einem Haus ist er zu Ende. Also schiebe ich das Fahrrad den Hügel hoch. Schnell bin ich erschöpft, denn ich habe nichts mehr zum Frühstücken da gehabt. So knabbere ich eine Handvoll Studentenfütter. Normalerweise kriege ich das Zeug nicht runter. Aber heute schmeckt es sehr gut.
                                Oben entdecke ich die zweite Dusche und aus Neugier, und weil ich noch Wasser zapfen könnte,'gehe ich hinein. Der Wasserhahn ist zu niedrig für die Flasche, und der Geruch ist unerträglich. Gasalarm. You shit, what you eat. Bloß weg hier. Ein wenig muss ich lachen. Hier ging wohl alles schief.

                                Mit schweren Beinen schiebe ich das Rad die Steigung hoch. Die Autos dröhnen. Der Asphalt ist hier lauter, als zu Hause. Das werde ich später vom Autos aus verifizieren.
                                Dann geht es wieder Landstraße entlang, und die Landschaft sieht aus wie gewohnt. Eine Kirche fällt auf. In Schleswig-Holstein sieht man so ein Panorama öfter. Hier nicht.





                                Und noch eine. Gehört das alles zu Hattula? So ganz durchschaue ich die Ortschaften und Gemeinden immer noch nicht.





                                Wieder hört man die Autobahn, das ist eben die zentrale Route hier. Der Weg führt aber über Nebenstraße und ist angenehm zu fahren. Ein kleiner Hafen, aber ein Foto mache ich nicht. Ich komme an einer Hauptstraße heraus und biege ab, in der Hoffnung, einen Supermarkt zu finden. Kurz darauf wende ich wieder. Das hier sieht nach Wohngebiet aus. Ich werde schon etwas an der Strecke finden. Also biege ich auf die Straße nach Parola ein. Kurz darauf habe ich die volle Auswahl und kaufe Käse, Brötchen und Tomaten ein. Die Brötchen sehen besser aus, als sie sind, es sind Möhrenstückchen drin. Die finnischen Roggenbrötchen gab es hier nur als Großpackung.





                                Der Bahnhof Parola kommt in Sicht. Ich denke an heißen Kakao und an die Begegnung mit Inarijoen Peter. Vor meiner Abfahrt nach Tampere hatten wir dort noch ein Heißgetränk zu uns genommen. Was er wohl gedacht hat, als er mich damals mit Schlitten und dem riesigen Rucksack plus Essenstasche auf dem Bahnsteig sah? Den Hackenporsche hatte ich da ja noch nicht. Leider sind die beiden zur Zeit verreist, und ich gehe davon aus, sie dieses Mal nicht zu treffen.

                                Ich sehe ein finnisches Wort, was ich auf Anhieb zu verstehen glaube und kurz darauf wird meine Theorie bestätigt. Daneben die Autobahn.





                                Und das hier ist das Wort:





                                Ich fahre jetzt einen Radweg in Richtung See (Lehijärvi) und von hinten kommt ein besonders lautes Auto. Ich bin genervt. Was ist das denn für eine Schüssel! Ich drehe mich zur Seite und muss unwillkürlich lachen. In Finnland ist alles möglich.





                                Ich vermute den Weg um den See etwas tiefer und biege nicht in die Straße ein, sondern einen Weg später. Das ist falsch. Ich stehe vor Militärischem Sperrgebiet. Also muss ich wieder zurück. Schüsse ertönen aus dem Wald. Weg hier.

                                Der Seeradweg ist schön. Nette Häuser und unvermittelt sogar ein Radwegweiser. Der wäre an der Straße sinnvoller gewesen.





                                Ein bisschen bedauere ich, dass Inarijoen Peter und R. das Haus nicht mehr haben. Der Weg dorthin wäre von hier aus nicht allzu weit. Ich hätte zu gerne die Vögel im Garten gesehen.

                                Es folgt nun hügelige Landschaft und instinktiv fällt mir das Wort keltisch ein. Es liegt an den Steinen, die in Hügeln formiert sind. So etwas habe ich bisher hier nicht gesehen.





                                Vor einem Hof stehen auf beiden Seiten Kühe und Kälber und musizieren in melodischen Tönen. Unwillkürlich denke ich an den „Sommer der lachenden Kühe“, auch wenn das Buch ganz andere Dinge thematisiert. Hat das jemand gelesen? Die Kälber singen vielstimmig, eines spielt die Tuba und ein gallowayähnliches Kalb singt Falsett. Im Bild sind sie leider nicht, sie stehen auf der anderen Seite.





                                Meine Navi zeigt einen Weg an, den es nicht gibt, der vor dem Hof ist richtig. Es ist eine ruhige Straße. Die Steigungen könnte man natürlich weglassen. Die Freude währt aber nur kurz. Es ist ein Schotterweg.





                                Kleine und große Steine flutschen umter den Rädern weg. Mein MTB wäre in seinem Element. Anfangs finde ich eine fahrbare Spur, meist in der Mitte. Wenn dann ein Auto kommt, eiere ich einfach zur Seite.








                                Ein indianisch aussehender Mann unterhält sich mitten auf der Straße mit einem Autofahrer, und ich schlittere vorbei. Interessiert schaut er mir zu. Meine Reifen sehen gut aus.





                                Gerne würde ich an den See fahren, denn ich bin ungefähr auf der Höhe, wo Inarjoen Peter und R. früher am anderen Ufer gewohnt haben. Aber der Belag in den Seitenwegen ist noch schlimmer. Ich fahre lieber weiter.





                                Ich schiebe nun, denn ich habe die Bilder vom Transcon vor Augen und Angst um meine Reifen. Dann kommt wieder Asphalt. Welch ein Segen. Wie man sich freuen kann! Insgeheim bin ich aber überrascht. Das ging besser mit den schmalen Reifen, als ich dachte.





                                Es wird wieder heller und schon wirken die Farben ganz anders. Ich bin jetzt in Ittala. An der Schnellstraße sehe ich ein Gebäude und das Wort kommt mir bekannt vor. Ich tippe auf Restaurant und den Autos davor zu urteilen, gibt es sogar Lunch. Richtig. Lunch 8.50. Ravintola und Lounas muss ich mir merken. Jeden Tag ein neues Wort.





                                Ich merke, dass ich völlig ausgehungert bin. Das hier kam im richtigen Moment. Selig häufe ich Bratkartoffeln,'Reis, Hackfleisch, Salat, Frischkäse und Stück Pfannkuchen auf den Teller. Die Bedienung erkennt das wohl und weist darauf hin, dass auch Milch, Wasser und Tee inklusive sind. Die warme Nahrung weckt Lebensgeister. Ich nehme noch einen Nachschlag. Im Behinderten- und Damenklo lächelt ein junger Brad Pitt mit freiem Oberkörper von der Wand.

                                Als ich wieder am Fahrrad bin, fängt es an zu nieseln. Das ist doof. Nicht, dass mich der Regen stört. Aber ich habe die Brille an. Ein paar Mal muss ich auch putzen, aber richtig regnen tut es Gott sei Dank nicht. Viel abwechslungsreicher ist die Landschaft nun nicht, und so radele ich so vor mir hin.





                                Wenn ich mich richtig erinnere, komme ich an einer Heimvolkshochschule vorbei. Garniert mit ein paar netten Steigungen. Wandertag.





                                Ich komme nun an Rattunselka und Vanajavesi. Die Straße führt zwischen beiden Seen hindurch. Bei Sonne wird es hier traumhaft sein, aber durch den Regen ist alles furchtbar grau. Dazu weht ein eiskalter, brutaler Wind.








                                Der Regen hat zwar aufgehört, aber ich bin froh, den Poncho angelassen zu haben. Das ist einfach wärmer. Dennoch halte ich es am Aussichtspunkt nur zwei Minuten aus.








                                Die Inseln im See erinnern mich an Joenssu. Nein, die Iceclaws habe ich diesmal nicht dabei.





                                Bei Saarismäki soll die schönste Landschaft Finnlands sein. Sagt die Broschüre. Mir fällt zwar auf, dass sie lieblicher wird, aber hügelig ist es dennoch. Aber immerhin ist die Strecke für mich nun wieder fahrbar. Das erste Elchschild.





                                Ein bisschen britisch hier, wie ich finde.















                                Wieder so ein Treppenstufenhaus. Aber viel niedriger.





                                Zwei Mädchen fahren vor mir Rennen.





                                Schieben muss ich aber in Valkeakowski. Ich bin einfach k.o. Als ich auf den quer über die Straße gespannten Hinweisschildern das Zeltplatzschild sehe, bin ich froh. Die letzten Meter vergehen wie im Flug.
                                Meine Stimmung wird gedämpft, als ich sehe, dass die Rezeption geschlossen ist. Auf einem Hinweisschild steht immerhin, dass Caravans sich anmelden und 25 Euro entrichten sollen. Ich rufe an. Teltta: 20 Euro. Hhm. Billiger wird es wohl nicht. Aber brav fülle ich den Schein aus und werfe das Geld in den Kasten. Schlimmer als gestern wird es hier nicht sein. Teltta. Dieses Wort hätte ich ja schon früher lernen können. Wie zur Hölle bin ich damals auf Tenten gekommen? Das ist holländisch. Vielleicht hat der Mann damals im Schnee die Tür zugeknallt, weil er gar nicht wusste, was ich will? Und meinte, ich will ihn veralbern? Das war gar keine Zustimmung? Ich fühle mich schlecht.

                                Ich scheuche die Gedanken weg und baue erst einmal das nasse Zelt auf. Aber der Wind ist zu schwach, es zu trocknen. Dafür ist er stark genug, dass ich richtig friere. So hänge ich das trockene IZ ins nasse AZ und hoffe, dass das gut geht. Ich bin heilfroh, dass ich nicht die UL Hütte dabei habe, die ich erst mitnehmen wollte. Mein Zelt isoliert und robuster ist es natürlich auch. Ich lege mich einen Moment hinein und mir wird wärmer. Der Schlafsack riecht nach Basmatireis. Dann fotografiere ich einen Vogel.











                                Die Sanis sind ansprechend und modern, und ich dusche erst einmal heiß. Dann sehe ich die Küche. Holzmöbel, gemütlich und GEHEIZT. Ich bin so dankbar! Endlich kann ich mein feuchtes Zeug trocken. Schnell wasche ich noch ein paar Klamotten durch.

                                Steckdosen gibt es auch und im Regal sind Nudeln. Ich koche eine halbe Stunde Wasser auf dem einen Herd, bekomme aber nur handwarmes Wasser geliefert. Dann wechsele ich den Herd und es klappt. Nudeln mit Frischkäse und Parmesan. Dazu ein heißer Kakao. So lässt sich leben.

                                Im Teletext lese ich, dass derzeit 12 Grad sind. Das Wetter bleibt so. Bedeckt. Am Wochenende Regen. Und wenn es keine Campingplätze mehr gibt, werde ich mir was einfallen lassen müssen. Tourabbruch? Alle guten Dinge sind drei, oder? In Tampere werde ich mich entscheiden. Im Baltikum sieht das Wetter anscheinend auch nicht besser aus.

                                Als ich zum Zelt zurückgehe, hat es aufgeklart. Ich mache ein Kitschfoto, ich will auch mal eins mit beleuchtetem Zelt haben. Der Trick, wie ich festelle: Einfach mal die Batterien der Stirnlampe wechseln.





                                Der Rauch der Fabrik schwebt gegen den Himmel. Erinnerungen an Winter kommen auf. Bald wird es schneien. Ob es wohl heute nach Nordlichter gibt? Die Wolken bilden einen Schleier. Später werde ich erfahren, dass Valkeakoski prädestiniert für Nordlichter ist. Ein Monteur steht schweigend auf dem Balkon und raucht.








                                Dann falle ich in den Schlafsack.
                                Zuletzt geändert von Torres; 15.12.2015, 22:00.
                                Oha.
                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  #36
                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                  Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                  Gehört das alles zu Hattula? So ganz durchschaue ich die Ortschaften und Gemeinden immer noch nicht.

                                  Wieder so ein Treppenstufenhaus. Aber viel niedriger.

                                  Ja das gehört alles zu Hattula. Es gibt auch eine Autobahnausfahrt Hattula, doch vor allem Touristen haben da öfters Mühe, Hattula zu finden. Die Gemeinde Hattula wird von 31 Orten gebildet und die Ortschaft Parola ist das Gemeindezentrum.


                                  Das abgebildete "Treppenstufenhaus" nennt sich fin. Maitolaituri. In diesen Häuschen an den Straßen deponierten früher die Bauern die vollen Milchkannen, damit sie von den Molkereien abgeholt werden konnten. Wegen dem Schnee im Winter wurden sie etwas erhöht gebaut.

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                                    #37
                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                    Vielen Dank für die Info. Ein Milchkannenhäuschen. Da wäre ich nicht drauf gekommen.

                                    Das Ortsschild "Hattula" stand meiner Erinnerung nach bereits kurz hinter dem Campingplatz. Die erste Kirche hatte ich daher Hattula zugeordnet. Als es dann eine zweite Kirche von Hattula gab, war ich irritiert. Als der Hafen und das dahinterliegende Wohngebiet von meinem Navi auch Hattula zugeordnet wurde, dachte ich, es ist eben eine große Gemeinde. Die Kreuzung mit den Supermärkten und der Tankstelle hätte ich dagegen schon Parola zugeschrieben. Aber das war dann auch wieder Hattula. Von da an fand ich die Sache etwas kompliziert.
                                    Oha.
                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                    • Torres
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                                      #38
                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                      04.09.2015. Tampere. 49,7 km

                                      Am Morgen ist es zunächst bedeckt, dann kommt Nebel auf. Ich vermisse meine Daunenjacke. Ich hatte sie während des Packens noch gesucht, aber als ich sie an der gewohnten Stelle nicht fand, einfach vergessen. Die Handschuhe, von denen ich dachte, ich hätte sie eingesteckt, sind auch nicht da.





                                      Ich fahre eine Nebenstrecke. Es ist kaum Menschen zu sehen. Es ist gegen acht.





                                      Einer der typischen Marktplätze. Funktional. Hier ist der Sommer die Ausnahme und der Schnee die Regel, philosophiere ich. Im Süden Italiens ist es andersherum. Entsprechend unterschiedlich kommen mir die Länder vor.




                                      .
                                      Es ist feuchtkalt, aber der Nebel gefällt mir. Er regt die Gedanken an und lässt Geheimnisse ahnen, die es nicht gibt.





                                      Auf ruhiger Nebenstraße geht es weiter.








                                      Und ab und zu tatsächlich ein Radwegschild. Nicht zu glauben.





                                      An die Straßenschilder gewöhne ich mich auch langsam. Daher verfahre ich mich nicht mehr so oft.





                                      Immer wieder imposante Steine an der Seite.








                                      Dann zeigt sich ein kleiner Streifen Hoffnung am Horizont.





                                      Die Strecke ist schön und das Radeln macht Spaß.











                                      Bald erreiche ich Lempäälä. Blick auf den Ahtialanjärvi.





                                      An einer Schule steht ein junges Pärchen. Gothic nennt man das wohl. Eine Truppe älterer Nordic Walker machen sich fit. Wieder ein Rasenmäherfahrer auf dem Radweg. Ich weiche aus. Eine Anzeige zeigt als Temperatur 12°. Es ist gerade mal 10.00 Uhr.

                                      Und dann kommt unvermittelt die Sonne raus. Schlagartig wird es freundlich und warm. Unglaublich, wie der Körper darauf regiert. Es ist, würde er von dem Licht durchflutet. Glücksgefühle machen sich breit.
                                      Im Ort ebenfalls ein Ausblick auf einen See, aber ich fotografiere ihn nicht. Lachende Menschen, ein ungewohnter Anblick. Anfangs hatte ich unterwegs die Menschen noch gegrüßt, aber das schnell aufgegeben. Niemand antwortete mir. Zwei Frauen biegen nebeneinander in meinen Radweg ein, sie wählen die große Kurve und die eine fährt gedankenlos in den Graben. Passieren tut ihr nichts, sie fällt auch nicht hin, aber es ist natürlich komisch. Die andere Frau lacht mich an. Ich lache auch.
                                      Ich ziehe den Poncho aus, um ihn zu trocknen. Wie schön es hier plötzlich ist.








                                      Endlich mal ein Glockenblumenfoto. Die wachsen hier fast überall. Eines der wenigen wilden bunten Blumen an den Straßenrändern.





                                      Kurz darauf wird mir wieder kalt, die Sonne zieht sich zurück. An einer Bushaltestelle mache ich Halt und esse eine Kleinigkeit. Es ist die einzige Möglichkeit, irgendwo zu sitzen. Den Luxus von Bänken gibt es nur in den Parkanlagen der Städte.





                                      Die Straße wird nun stärker befahren, es ist nicht mehr weit nach Tampere. Gleichzeitig wird es eklig hügelig, und ich brauche viel Kraft. Ich merke, ich brauche ein Break. Morgen ist Wochenende. Ich werde einfach nur schlafen.





                                      Finnische Reihenhaussiedlung. Auf jeder Terasse steht ein Grill.





                                      An einer zugigen Stelle steht eine Frau an einer Bushaltestelle. Ich denke noch an sie, als ich hinter einer Brücke routinemäßig nach rechts in die Nebenstraße schaue. Ich ahne das Auto mehr als ich es sehe, das über die Kuppe auf mich zuschießt, schmale Schnauze, rasend schnell. Schrecksekunde: Der Zug. Da biegt er auch schon ab. Glücklicherweise hat er ja Schienen. Lange noch denke ich über den Moment nach. Eine optische Täuschung, die durch und durch geht.

                                      Mal wieder ein Radwegschild. Wie nett.





                                      Die letzten Kilometer nach Tampere sind eine Qual, da hilft auch ein kleines Flüsschen im Tal oder andere Ausblicke nichts. Ich mag nicht mehr. Es ist hügelig und die vielen Autos sind zu laut.





                                      Saaksjärvi. Eine Sportbahn. Einen Moment schaue ich Jungen beim Weitsprung zu. Der eine reckt die Faust zum Sieg. Der andere schaut deprimiert nach unten. Leichtathletik war mein Lieblingsfach in Sport. Warum hört man nach der Schule schlagartig damit auf?





                                      Dann kommt ein Schild Tampere. Tampere mit unbehauchtem „T“ und der Betonung auf dem „a“. Es beginnt ein urbanes Radwegnetz, das wie üblich gut zu fahren ist. Außerdem kommt die Sonne raus.





                                      Auf guten Radwegen an den Hauptstraßen rolle ich voller Freude auf die Stadt zu. Wie das wohl sein wird? Tampere ohne Schnee? Die Stadt, die ich so mochte? Ob es wohl Karten für die Philharmonie gibt?

                                      Im Augenwinkel sehe ich ein Holzschild.





                                      Erst fahre ich vorbei, dann sehe ich, dass dort der Radweg entlang geht. Es ist ein Park.





                                      Der Park führt zum Pyhajärvi. Dort weht ein frischer Wind.











                                      Dass ich von hier aus praktisch auf einen Campingplatz schaue, weiß ich da noch nicht. Auf der Karte hatte ich ihn nicht entdeckt und im Reiseführer gar nicht richtig geschaut. Für mich ist klar, dass ich zum Hostel fahre. Ein warmes Bett. Ich freue mich.





                                      Am Ende der Parkanlage komme ich an der geschwungenen Brücke heraus. Ich schiebe sie hoch, und als ich hinunterrolle traue ich meinen Augen kaum. Auf dem Platz am Wasser stehen Tische und Bänke und Buden. Menschen machen Mittagspause und blinzeln in die Sonne. Alles sieht so friedlich und sommerlich aus. Unglaublich. Im Winter war es dort abweisend und zugig. Ich sehe ja immer noch Schnee. Vor lauter Erstaunen mache ich gar kein Foto und radele zielstrebig auf das Einkaufszentrum zu. Hier kenne ich mich aus. Der Blick zurück.








                                      Es sind ungewöhnlich viele Menschen auf den Bürgersteigen, so viele waren es im Winter nicht. So ziehe ich vor, zu schieben. Das Hostel finde ich blind. Ich stelle das Rad in den Vorraum. Es ist noch früh, die Zimmer sind noch nicht fertig, es ist erst gegen 13.00 Uhr. Mit Rabatt kostet ein Bett im 4-Bett-Zimmer an die 30,00 Euro. Das ist es mir wert. Dann die Ernüchterung. Morgen ist das Hostel ausgebucht. Eine Veranstaltung. Drachen und Mangas. Oder so. Die kommen jedes Jahr und buchen das ganze Hostel. Hilft nichts. Jedenfalls heute Nacht schlafe ich warm. Die letzte Nacht war schlafsacktechnisch an der Grenze. Warum nur habe ich meine Daunenjacke vergessen!

                                      Mein Fahrrad darf im Flur stehen bleiben. Mit großen Augen schaut das Mädel es an. Ein ähnliches ist dem Kollegen im Hof geklaut worden. Nein, das bindet man draußen nicht an. Innerlich muss ich lachen. Dieses Rad ist im Vergleich zu meinem Reiserad ein Schnäppchen und dennoch wird es als erheblich wertvoller eingeschätzt als mein Reiserad. Schein ist eben mehr als Sein.





                                      Ich gehe schnell zur Philharmonie. Heute ist ein Videogameskonzert. 30,00 Euro. Die Frau lacht mich an, keine Ahnung, was das ist, sie weiß darüber nichts. Ich murmele, ich bin mehr so der Typ für Klassik, aber dafür bin ich einen Tag zu spät. Sie hat vollstes Verständnis für mich, wir lachen beide, tja, so ist das wenn man alt wird und gibt mir einen Ausdruck mit. Ich kann ja mal schauen, ob ich was darüber finde. Ich sehe schon, ich muss wohl wiederkommen.

                                      Nun laufe ich in die Stadt, um die Touristeninfo aufzusuchen. Vielleicht gibt es ja ein preiswertes Hotel. Ich laufe durch den Bahnhof und mache ein sentimentales Foto. Hier habe ich meinen Klapprodel herumgeschleppt. Das Ding war ganz schön schwer.





                                      Die Touristeninfo ist umgezogen. Also muss ich in die Innenstadt, Nähe Theater. Hilfe, sind hier viele Menschen. Nach der Einsamkeit der letzten Tage ist das fast ein Kulturschock. Andererseits wirkt es, als würde Tampere pulsieren. Eine interessante Stadt. Straßenmusiker machen Musik.





                                      Der Besuch bei der Touristeninfo ist ein Fehlschlag. Sie arbeiten mit booking.com. Das kann ich auch. Die günstigen Hotels sind aufgrund der Veranstaltung alle vergeben, aber der Campingplatz hat auf. Härmala (4 km) oder Nokia (6 km – vermutlich Autobahnkilometer. Fahrradkilometer ca. 30 km). Was tue ich nun? Für Härmala muss ich zurückfahren. So etwas tue ich ja normalerweise nicht. Nokia ist zu weit, da kann ich gleich weiterfahren. Ich wollte doch morgen hier ein wenig bummeln gehen. Und überhaupt: Wie das war mit dem Tourabbruch? Urlaub in Tampere wäre doch nicht schlecht. Ich weiß es nicht. Ich verschiebe die Entscheidung auf morgen und gehe erst einmal zu Partioaitta. Über Fjällräven gehören sie ja mittlerweile ebenfalls zu Globi. Auch sie haben die GT1 Karte nicht mehr und ansonsten nur Zeug, was ich nicht brauche. Nichts wie weg. Wie warm es hier in der Sonne ist.








                                      Ein Obst- und Gemüsestand.





                                      Ich gehe noch Essen einkaufen und stelle mich dann in die Küche, wo ich zwei Wildschweine, ein Rind, vier Schafe und ein paar Kilo Nudeln vertilge. Nun, so schlimm ist es nicht, aber ich habe richtigen Hunger. Meine Nudelvorräte habe ich mit dem Einkauf aufgefüllt. Dazu gibt es Eier und – wie überraschend – Parmesankäse aus der Dose. Und wie üblich in Finnland, darf Milch nicht fehlen. Ich weiß nicht wieso, aber in Finnland brauche ich Milch.
                                      An meinen Tisch kommt ein interessant aussehender, älterer Mann afrikanischer Herkunft. Seine Haare haben einen hellen bräunlichen Ton. Ich frage ihn, wo er herkommt. Er ist aus Amerika. Stimmt. Diese Option gibt es ja auch noch. Schnell kommen wir ins Gespräch. Er schreibt Bücher und ist zwei Monate in Europa unterwegs. Er hat aus Büchern sogar Deutsch gelernt. Wir führen ein langes philosophisches Gespräch über die allgemeine Weltlage im Besonderen und Speziellen. Auch ein Franzose gesellt sich dazu.

                                      Dann ziehe ich mich in meine Koje zurück. Meine Packtaschen sind in einem Schrankfach unter dem Bett eingeschlossen. Beim ersten Schrankfach war ein Scharnier herausgebrochen und natürlich hatte ich kurz darauf die Tür in der Hand. Die zweite Tür hält, und ich kann sie mit dem Schloss verriegeln, was ich auf Tour immer dabei habe, falls ich in Jugendherbergen übernachten sollte. Das Mädel über mir, das sich vorhin im Raum mit Haarspray (ich hasse Haarspray) aufgehübscht hatte, ist schon schlafbereit, während ein junger Franzose noch Filme guckt. Als er anfängt, laut zu telefonieren, schocke ich ihn mit Französisch. Augenblicklich flüstert er. Ich nutze das erste WLAN seit meiner Ankunft, surfe ein wenig auf ods und schreibe Pns. Eigentlich ist Internet gar nicht so schlecht. Ein bisschen wie zu Hause.
                                      Von Inarijoen Peter erfahre ich, dass seine Frau und er am Sonntag mit dem Autozug in Tampere ankommen. Hhm. Vielleicht bin ich da dann schon weg. Ich muss sehen, wo ich morgen lande, und wie ich mich fühle. Ich habe keinen richtigen Plan. Meiner Broschüre, die ich jetzt das erste Mal richtig lese, entnehme ich, dass es auch auf der weiteren Strecke Campingplätze gibt. Mir war vorher gar nicht aufgefallen, dass da nicht nur Sehenswürdigkeiten, sondern auch Übernachtungsmöglichkeiten drin stehen. Der Platz in Härmala ist ebenfalls aufgeführt. Ein Platz auf einer Insel hört sich gut an. Improvisationen möchte ich schließlich vermeiden, ich muss mich erholen. Vermutlich fahre ich weiter.

                                      Vor der Tür ist laute Party und der vierte Typ im Raum leider nicht in der Lage, die Tür vernünftig zu schließen. Voll tiefenentspannt, der Kerl. Hinter den Ohren noch grün. Und Rücksicht nehmen auf Schlafende kann er auch nicht. Mir ist das egal. Ohrstöpsel und Schlafmaske. Gute Nacht.
                                      Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2015, 09:28.
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                        • 26.06.2011
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                                        #39
                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                        Haha, respekt dass du dir die Strecke vorgenommen hast, da gehört schon ordentlich Leidensfähigkeit dazu.

                                        Ich bin dieses Jahr die gleiche Strecke von Vaasa kommend geradelt, kann schon ganz schön zäh werden wenn die Landschaft über hunderte Kilometer kaum anders wird.

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                                        • Torres
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                                          #40
                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                          Zitat von StevePeacewalker Beitrag anzeigen
                                          Haha, respekt dass du dir die Strecke vorgenommen hast, da gehört schon ordentlich Leidensfähigkeit dazu.

                                          Ich bin dieses Jahr die gleiche Strecke von Vaasa kommend geradelt, kann schon ganz schön zäh werden wenn die Landschaft über hunderte Kilometer kaum anders wird.
                                          Du bist in die falsche Richtung geradelt.... .
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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