Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

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  • Nita
    Fuchs
    • 11.07.2008
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    Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

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    Lat
    Lon
    Mitreisende

    Eine neue Stadt, neue Arbeitsstelle, neue Wohnung und geänderte Weltanschauung. Vier Monate ist es her, dass der Flieger uns wieder in Düsseldorf ablieferte. Und auch wenn es einem komisch vorkommt: Erst jetzt bekomme ich langsam das Gefühl, tatsächlich anzukommen. Vorerst



    Prolog

    „Was machst du ab Januar 2015?“ stand in der Betreffszeile einer E-Mail Ende September 2014, die mir von Harrybo2000 geschickt wurde. „Ich habe gerade mit meinem Arbeitgeber gesprochen und würde eine Auszeit machen…“
    Bereits mehrere Male „verplante“ ich die ersten Monate 2015. Oder dachte zumindest ernsthaft darüber nach. Inzwischen brauchte es nur diesen einen Windhauch, um die Waage zu kippen: „Chef, ich würde ab Januar weg fahren“...

    Am selben Abend telefonierten wir kurz. Ich: Südamerika oder Asien? H: Habe mir gerade ein Buch von Chile geholt…. Ich: Also Südamerika. Ich wär` dabei!!!

    Wir hatten nicht viel Zeit für die Vorbereitung – H. flog schon Mitte Dezember, ich folgte Anfang Januar. Auch blieb nicht viel Freizeit neben der Arbeit um alles durchzuplanen. Deswegen blieb es bei einem groben Plan A für die erste Hälfte der Reise, die zweite Hälfte ließen wir erstmal ganz offen.

    Ich ließ meinen Arbeitsvertrag auslaufen, kündigte die Wohnung, die Krankenversicherung etc. und stellte die Sachen bei meinen Eltern unter. Und dann hob der Flieger ab. Mit nur einem Rucksack und einem Rückflugticket für in vier Monaten.

    Etwa 10h Flug nach Atlanta, 8h Wartezeit, 11h Flug nach Santiago de Chile, 3h Wartezeit, 3h Flug nach Coyhaique mit Zwischenlandung in Puerto Montt. Oh mein Gott, ich bin wortwörtlich in Patagonien gelandet.

    20 Jahre ist es seit der Zeit her, als ich als Grundschülerin rest- und rastlos in den Büchern von Jules Vernes versank und gemeinsam mit den Charakteren kämpfte, träumte und litt. Inzwischen überlagerten viele wesentlich realitätsnähere Berichte und Träume die Bücher wie „Die Kinder des Kapitän Grant“. Trotzdem war es ein ganz besonderes Gefühl, aus dem Flughafengelände hinaus zu gehen, sich gegen den heftigen Wind zu stemmen und mitten in Patagonien zu sein.

    Ich bin kein Freund der Berichte, die klein zerstückelt über ein Jahr verteilt (vielleicht) reingestellt werden. Aufgrund der Länge der Reise und der Übersichtlichkeit wegen komme ich aber nicht drum herum, etwas aufzuteilen. Los geht’s!
    ______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

    Coyhaique und der Cerro Castillo Trek

    Valle Nef

    Cochrane und Cerro San Lorenzo (Versuch)

    Ruta de los pioneros

    Villa O`Higgins, der Grenzübergang zu Fuß und rund um El Chalten

    Vuelta al Hielo/ Fitz Roy Umrundung

    Torres del Paine

    Ushuaia, NP Tierra del Fuego und Dientes de Navarino Trek

    Talca und Volcan San Pedro

    Volcan San Jose (5856m) (Versuch)

    Cerro Marmolejo (6092m) (Versuch)

    Blick über den Tellerrand: Die Katastrophe von Copiapó

    Cerro Plomo (5420m)

    nach Hause - ein Fazit


    PS "Mitreisende" verschwinden immer wieder! Harrybo2000 und ich reisten teil zusammen, teils einzeln.
    Zuletzt geändert von Nita; 07.09.2015, 16:45.
    Reiseberichte

  • codenascher

    Alter Hase
    • 30.06.2009
    • 4977
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    • Meine Reisen

    #2
    AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

    Der Anfang hört sich ja schon einmal verheißungsvoll an. Werde mit Sicherheit ein treuer Leser und freue mich auf jeden einzelne Fortsetzung.

    Bin im Wald, kann sein das ich mich verspäte

    meine Weltkarte

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    • Nita
      Fuchs
      • 11.07.2008
      • 1722
      • Privat

      • Meine Reisen

      #3
      AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

      Coyhaique und Cerro Castillo Trek


      Cerro Castillo

      Coyhaique ist als ein 43 000 Einwohner Ort für patagonische Verhältnisse eine Großstadt. Im Süden ist die nächstgrößere chilenische Stadt Punta Arenas - gut 1300 Autokilometer sind es bis dahin. Im Norden ist es Puerto Montt mit „nur“ 660km Autofahrt. Die Stadt bietet alles, was man braucht: Supermärkte, Unterkunft, Apotheke, zwei-drei Ausrüstungsläden, eine Postfiliale, eine Bank und eine Wechselstube. Gas bekommt man am günstigsten im Baumarkt. Die pragmatisch geprägten Straßen wirken auf den ersten Blick recht trostlos, man darf die Rolle so einen Zentrums mitten in der Wildnis aber nicht unterschätzen. Und als Reisender sollte man spätestens ab hier aufhören, alles oben genannte als selbstverständlich zu betrachten.

      Hier trafen wir uns also mit Harrybo2000. Er blickte bereits auf eine schöne dreiwöchige Bus-, Schiff- und Autoreise zurück und freute sich ebenso wie ich, endlich die Wanderstiefel zu schnüren. Als Einlauftour wurde uns der Cerro Castillo Trek ans Herz gelegt – eine 3-5 Tage Route durch den gleichnamigen Nationalpark.


      Der Namensgeber

      Bald nachdem wir in El Blanco aus dem Bus gestiegen und über die Asphaltstraße losgelaufen sind, hielt ein junger Chilene an und bot uns an, einzusteigen. Seit diesem Augenblick wurde das Trampen zur unseren wichtigsten Fortbewegungsart (neben Wandern) – später noch mehr dazu. Jetzt kamen wir gemütlich am Parkeingang an und schliefen auf dem schönen und quasi leeren offiziellen Zeltplatz. Es ging los!







      In 3 Tagen durchquerten wir also den kleinen Nationalpark. Es gibt mehrere einfache, aber geschützt gelegene Zeltplätze, die uns von einem Parkranger samt allen Routen und Besonderheiten erklärt wurden. Wie in vielen chilenischen Parks zahlt man hier ein paar Euro Eintrittsgebühr und bekommt im Gegenzug eine brauchbare Karte und die Infos. Obwohl man uns warnte, dass auf der Route viel los sein könnte, waren wir parallel zu nur 4-5 anderen unterwegs, die sich auch ganz schnell verstreuten.


      Traumhaftes Wetter und Zeltplatz


      unterwegs



      Es kamen Wälder, Flüsse und Berge. Teils ganz zahm, teils ein wenig anspruchsvoller. Auf einem Pass kamen wir wie angeraten schon früh morgens an – danach steigt der Wind – mussten aber warten, bis die Sonne aufgeht und die Schneefelder enteist, über die wir absteigen wollten. Und dann erwartete uns ein Traum: Riesige absolut weiße Gletscher über smaragdgrünen Wäldern. Immer wieder hatten wir das Gefühl, solche Farben zum ersten Mal im Leben zu sehen, sowohl das Grün der Wälder als auch das Weiß des Schnees oder das Blau des Himmels. Ich habe ein paar Mal davon gelesen, war aber schlichtweg überwältigt von dieser bisher unbekannten Farbintensität.


      auf dem Pass





      Ansonsten verlief die Wanderung friedlich und wir genossen den „Urlaub“. Am dritten Tag wurde es windiger und in den höheren Bergen hingen schwarze Wolken – Grund genug für uns, auf den Abstecher in diese Richtung zu verzichten. Der Abstieg über einen grobgerölligen Hang wurde trotzdem zum ersten Abenteuer: Die Böen mit Graupel warfen uns umher wie Papierschiffchen. Gleichgewicht zu halten war unmöglich und selbst mit meinem Rucksack inkl. eines 3kg-Zeltes etc. hatte ich Angst, vom Hang weggepustet zu werden. Also versuchten wir in den kurzen Pausen zwischen den Böen runter zu rennen, um sich danach an größeren Blöcken festhaltend nicht runter rollen lassen.


      Das Wetter ändert sich


      Es wird windig

      Vom Parkausgang zum Ort Cerro Castillo fehlten noch ein Dutzend langweilige Kilometer auf einer Schotterpiste entlang der Zäune. Hier lernten eine weitere chilenische Besonderheit kennen, die uns die ganze Reise begleiten wird: Die wenigsten Wanderrouten sind ohne vorheriges Schotterwandern erreichbar. Und mit entsprechendem Gepäck und bei z.B. Hitze werden sogar 10 km richtig lang.


      Cafe und Abendtreffpunkt im Dorf Cerro Castillo

      Aus der Ortschaft zurück nach Coyhaique zu kommen ist nicht einfach. Der Bus fährt nur ein paar Mal pro Woche und ist immer voll. Nach mehreren Stunden wurden wir von einem Reisebus mitgenommen und für wenige Euro nach Coyhaique gebracht.


      Kuchen kennt jeder!

      Fazit: Eine gut erreichbare, landschaftlich wunderschöne und sehr abwechslungsreiche Wanderung, die einen ersten Eindruck von Patagonien vermittelt. Man sollte trittsicher in verschiedenen Geländearten sein (Altschnee, Geröll, einfache Flussquerungen) und das Wetter im Auge behalten.
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      • peter-hoehle
        Lebt im Forum
        • 18.01.2008
        • 5175
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        #4
        AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

        Oh fein, es gibt einen Bericht aus Patagonien.
        Da freue ich mich schon drauf.

        Gruß Peter
        Wir reis(t)en um die Welt, und verleb(t)en unser Geld.
        Wer sich auf Patagonien einlässt, muss mit Allem rechnen, auch mit dem Schönsten.

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        • berniehh
          Fuchs
          • 31.01.2011
          • 2408
          • Privat

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          #5
          AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

          Herrlich
          ......und die Cordillera Castillo
          Text gut geschrieben, Fotos super,........das macht Vorfreude auf meine bevorstehende Patagonienreise.

          Du bist anscheinend auch mit Delta geflogen. Ich fliege im Dezember auch mit denen von Amsterdam über Atlanta nach Buenos Aires.
          www.trekking.magix.net

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          • Meer Berge
            Fuchs
            • 10.07.2008
            • 2381
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

            Super bisher!
            Ich freu mich sehr auf alles, was ihr noch so erlebt habt!

            Viele Grüße,
            Sylvia

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            • Nita
              Fuchs
              • 11.07.2008
              • 1722
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

              Danke Euch Es geht weiter!

              Valle Nef


              das Tal des Flusses Nef

              Auf der Suche nach Tourenideen stieß ich auf den Aysen Glaciar Trail. Eine Route, auf die ein Anbieter exclusive Rechte hat, einem absolute Wildnis verspricht und über die man außer 2-3 Berichten dieses Anbieters keine Informationen findet. Wäre doch genau für uns, dachte ich. Der „Hacken“ liegt in der schlechten Zugängigkeit – die Ein- und Ausstieg erfolgen mit dem Boot über Gletscherseen. Nach mehreren erfolglosen Anfragen in Foren gab ich auf und wir hofften auf die Infos vor Ort.


              Rio Baker ca. 15km vom Puerto Bertrand. Dieser einmalige Fluss erweckt den Eindruck, flüssige türkis-Farbe anstatt des Wassers zu führen - auf den Fotos leider viel zu blass

              In Puerto Bertrand, einem 250 Seelen Dorf, stiegen wir nach einer 10stündigen Busfahrt hoffnungsvoll aus. Fragten nach einem Zeltplatz – und man zeigte uns ein Haus, im dessen Garten man zelten konnte. Sofort ging es auf die Informationsjagd, die sich aber ziemlich schwierig gestaltete: Außer der Hemmung, die Dorfbewohner einfach so anzusprechen über meinen eingerosteten Spanisch und das für die Einheimischen unverständliche Thema wurde die Kontaktaufnahme durch ein starkes Dialekt der Bewohner noch frustrierender gemacht. Nach etlichen Versuchen, Missverständnissen und unterschiedlichen Gesprächspartnern hatten wir aber einen Plan: Einstieg über das zumindest im unteren Teil zu Fuß begehbare Valle Nef, dann auf dem Trail zu einem der Seen und in acht Tagen Abholung durch ein Boot. Ausatmen…


              Endlich im Valle Nef!

              Den Pfad im Valle Nef entdeckte ich auf den Google Earth-Aufnahmen. Ihn gab es tatsächlich und er war sogar gar nicht so schlecht, nur lernten wir hier bald die „wahre Plage Patagoniens“ kennen – die Bremsen. Wie eine Wolke umgaben uns Dutzende davon von früh bis spät und trieben wenn schon nicht mit ihren Stichen – wir zogen trotz Hitze Jacken an – so zumindest mit dem Brummen in den Wahnsinn. Wehe wir mussten waten, zogen die Schuhe aus und krempelten die Hosen hoch… Und sobald es abends kühler wurde und das nervende Geräusch endlich verschwand, kamen die Mücken und stachen leise, aber äußert effizient zu. Wir drehten beinahe durch: Heiß, kein Windhauch, der Pfad verschwindet immer häufiger, das Gelände wird schwerer, wir haben u.a. die komplette Eisausrüstung in den Rucksäcken – und dieses ständige Gebrumme und Stechen, die man nicht einmal für fünf Minuten abschalten kann. Macht kein Spaß…


              "wahre Plage Patagoniens" (laut einem Wanderführer) - auf der ganzen Reise wurde es nicht wieder so schlimm wie in dieser Woche





              erstes Lager. So langsam bekommt die Beschreibung "mitten im Nirgendwo" einen ganz neuen Klang




              Der Pfad schlängelt sich u. a. durchs Gestrüpp am Hang entlang, schöne Ausblicke gibt es aber immer genug.



              Am dritten Tag, wenige Kilometer Luftlinie vom Eis entfernt, löste sich der Pfad endgültig auf. Inzwischen war uns klar, dass es sich nur um Kuhspuren handelt, dass keine Menschen hierdurch aufs Eis steigen. Immer wieder suchten wir die Gegend nach halbwegs passierbaren Lichtungen ab, mit und ohne Rucksäcke, zusammen und einzeln. Einmal schon beinahe aufgegeben, wanderte Harrybo2000 etwa 200m durch den See durch – und fand dann wieder eine Spur am dicht bewachsenen Ufer. Doch irgendwann, vier Kilometer vor dem Eis, ging es leider nicht mehr weiter. Eine sumpfige Ebene erstreckte sich soweit das Auge reichte und ging am letzten Hang vor dem Eis wieder in diesen dichten Wald über. Wir beschlossen umzudrehen.




              Durchs Wasser mussten wir ständig, es reichte aber nur selten bis zu den Knien


              Was gibt es Besseres, als in so einem Wald ständig die (Kuh-)Spur zu verlieren? Die Bremsen und die Mücken als Zugabe


              Irgendwo dahinter versteckt sich das große Eis...


              Um den See kommen wir noch rum, aber nicht viel weiter.


              Ein gutes Stück durchs Wasser, dann geht es wieder ans Ufer - auf die Idee mussten wir (Harrybo2000) erst kommen...

              Der Weg zurück ging etwas einfacher und schneller, unter anderem, weil der Wind einen Teil der Bremsen wegpustete. Endlich konnte man die umgebende Landschaft überhaupt wahrnehmen – genial. Später lernten wir noch die Witwe Señora Real kennen, deren Haus mtten im Tal steht: Hier geboren, aufgewachsen und drei Kinder zur Weltgebracht, lebt diese noch nicht 50jährige Frau nun ganz alleine in der Wildnis am großen Fluss. Sie bat uns sofort ins Haus, teilte wie selbstverständlich ihr selbstgebackenes Brot und Mate mit uns und erzählte uns, die nur staunten, ein wenig aus ihrem Leben. Am nächsten Morgen ritt sie, wie auch einige andere Bewohner der Gegend, mehrere Stunden lang zu einer Veranstaltung: Eine Brücke wurde eingeweiht. Für uns wurde diese, für die Region erstaunliche Menschenversammlung (50 Personen!!!) zum Glückstreffer: Es dauerte kaum 10 Minuten, bis uns jemand mitnahm und uns so den langen Hatscher zurück zur Carretera Austral sowie das Trampen nach Bertrand ersparte.




              "Aufgewacht, Prinzessin"


              Links am Ufer das Zuhause der Señora Elena Real. Ein Leben wie wir es uns nicht vorstellen können.




              Als wir vor 5 Tagen das Tal hinauf gewandert sind, war dieser Flussarm noch absolut trocken - die Auswirkungen der Hitze


              Brücken-Einweihungs-"Party" auf patagonisch. Manche kamen mit dem Auto, manche per Pferd. Das Treffen wurde u.a. dazu benutzt, gemeinsam das frisch geschlachtete Vieh zu "grillen"

              Es ist uns nicht gelungen, über das Valle Nef (orographisch rechts; links gibt es eine Möglichkeit) aufs Nördliche Inlandeisfeld zu kommen. Vielleicht war es blauäugig von mir, es zu hoffen. Die Tour war aber für uns, absolute Wildnis-Anfänger, eine wichtige Erfahrung was Orientierung, Wegverläufe und -beschaffenheit, mögliche Schwierigkeiten, unsere Einschränkungen durch die Rucksäcke (wir blieben ständig an Ästen hängen) etc. angeht und daher nicht zu unterschätzen.



              Fazit: Schön und wild, hier gibt es noch viel zu entdecken, aber einfach wird es nicht.
              Zuletzt geändert von Nita; 06.09.2015, 10:27.
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              • Shades
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                • 21.08.2015
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                • Meine Reisen

                #8
                AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                Vielen Dank für den Bericht. Auf die weiteren Etappen der Reise bin ich schon sehr gespannt.

                Auch das Video ist toll (trotz oder gerade wegen Nita-typischer Tiefstapelei ;)

                Eine Frage hätte ich: Wie empfindest Du die Belastung bei so einer Trekkingtour (ggf. mit Bushwhacking oder sonstigen Schwierigkeiten) im Vergleich zu einem WiBoLT? Ersteres kann ich mir vorstellen, letzteres nicht.

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                • Nita
                  Fuchs
                  • 11.07.2008
                  • 1722
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                  Zitat von Shades Beitrag anzeigen
                  Eine Frage hätte ich: Wie empfindest Du die Belastung bei so einer Trekkingtour (ggf. mit Bushwhacking oder sonstigen Schwierigkeiten) im Vergleich zu einem WiBoLT? Ersteres kann ich mir vorstellen, letzteres nicht.
                  Oops, es scheint so, als ob wüsstest Du mehr, als ich annehme

                  Erstmal: Danke!

                  Eine ehrliche Antwort: Ich war ziemlich oft fix und fertig. Sobald das Rucksackgewicht auf über 23-24kg stieg (wir hatten u.a. keine gemeinsame Ausrüstung - alles doppelt) und der Weg hindernisreicher wurde, verzweifelte ich nicht selten.

                  Besser wurde es, als mein wesentlich fitterer Partner und ich uns getrennt haben (nicht deswegen!) - dann habe ich recht schnell wieder mein Tempo und vom Laufen bekanntes Flow gefunden. Ab 5000m war es dann aber wiederum ziemlich anstrengend...

                  Ein Ultramarathon, besonders über mehrere Tage, ist für mich immer ein Ausnahmezustand - dann geht viel mehr als für mich selbst vorstellbar! Beim Wandern bin ich aber nicht bereit, so weit zu gehen. Nur einmal, auf dem Inlandeis, waren wir ähnlich aufgeregt wie bei einem Lauf: Wenn wir uns nicht beeilt hätten, wären wir in einen Sturm geraten. Dazu später aber mehr

                  @Berniehh: "neidisch bin" Von Delta hört man Verschiedenes, bei uns war alles ok. Pass nur auf - sie verschieben die Flüge gern und ändern auch die Zwischenlandungen etc.
                  Zuletzt geändert von Nita; 11.09.2015, 19:02.
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                  • berniehh
                    Fuchs
                    • 31.01.2011
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                    #10
                    AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                    Zitat von Nita Beitrag anzeigen
                    @Berniehh: "neidisch bin" Von Delta hört man Verschiedenes, bei uns war alles ok. Pass nur auf - sie verschieben die Flüge gern und ändern auch die Zwischenlandungen etc.
                    ...solange sie das Endziel nicht ändern ist mir das auch egal
                    www.trekking.magix.net

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                    • Nita
                      Fuchs
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                      #11
                      AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                      Cochrane & San Lorenzo


                      Cerro San Lorenzo

                      Es war ein warmer verregneter Morgen im NP Patagonia, als ich mit Zahnschmerzen aufwachte. Da wir danach lange keine Möglichkeit haben werden, einen Arzt aufzusuchen, packte ich direkt zusammen und wanderte auf einem Schotterweg in Richtung der Carretera austral, während Harrybo2000 im Nationalpark blieb.


                      Zum Arzt? Laufen!



                      „Ich glaube nicht, dass es in Cochrane einen Zahnarzt gibt“ – Chilenen Heidi und Christian, die mich nach einer guten Stunde mitnahmen, boten mir an, mit ihnen nach Coyhaique zu fahren. Ich war bereits deprimiert genug durch die Geschichte und hatte keine Lust auf erneute 10h Fahrt über die Schotterpiste (und zurück). Deswegen lehnte ich das nette Angebot ab und versuchte mein Glück doch im 3000 Einwohner großen Cochrane.


                      Cochrane

                      Wie lange werde ich außer Gefecht sein? Und vor allem wie zahle ich – das Geldautomat in Cochrane nahm meine Kreditkarte nicht an. Netterweise lieh mir Harrybo2000 vor meiner Abfahrt einiges an Pesos, unsicher war ich aber natürlich trotzdem. Die ersten Eindrücke von der Krankenstation ließen sich auch nur mit geschlossenen Augen ertragen… ich reihte mich am frühen Morgen in die lange Schlange ein, die dann nach Spezialisten sortiert wurde und war eine Stunde später um einen Weisheitszahn und umgerechnet (nur) 42 Euro leichter.


                      Mein Zuhause in Cochrane

                      Da Harrybo2000 noch im NP Patagonia war, erkundete ich am nächsten Tag 10h lang die Gegend, langeweilte mich im Ort und aß Unmengen an Obst, das bei der hiesigen Hitze einfach super war. Als er ankam, zogen wir in Richtung des Cerro San Lorenzo weiter – eines Berges, der im Rother Wanderführer für Patagonien als eine der schönsten Hochtouren Patagoniens gepriesen wird.


                      Lago Cochrane aus der Reserva nacional Tamango


                      Huemul - der Südandenhirsch - ist als stark gefährdet eingestuft und es soll großes Glück sein, eins zu sehen. Ich beobachtete das Tier aus wenigen Metern entfernung bis es mir langweilig wurde - es störte es nicht.




                      Das Wasser sieht nur so verlockend aus (besonders bei der Hitze) - es ist richtig kalt

                      Über eine Buckelpiste ging es im Schritttempo voran. An einem Fluss angekommen, stellte Señor Soto Junior seinen Geländewagen ab und hupte ein paar Mal. Bald erschien sein Vater mit zwei Pferden und führte uns einen nach dem anderen übers Wasser.


                      Am Fundo San Lorenzo werden hilft uns Señor Luis Soto per Pferd über den Fluss

                      Fundo San Lorenzo ist der Stützpunkt für die Bergaspiranten. Hier bekommt man Infos und notfalls etwas an Ausrüstung ausgeliehen (nicht zu viel erwarten!). Wir wurden erstmal zum Tisch eingeladen: Ein gut gewürzter Eingeweideneintopf mit ein wenig Brot - eine für die Region typische Mahlzeit. Neben uns saßen zwei Jungens aus den USA, die auch gerade ankamen und auf dem Hof 10 Tage arbeiten sollten. Ihre Mienen beim Anblick des ungewohnten Essens hätte man sehen müssen...

                      Am Abend stiegen wir zum Refugio Toni Rohrer auf. Die gut gelegene, gepflegte und geräumige Biwakhütte ist dem am Eispilz des Cerro San Lorenzo verunglückten Schweizer Profialpinist gewidmet. Hier, noch im Schutze des Waldes, belagerte auch Padre Agostini jahrelang den Berg, bis ihm, damals über 60jährigen, die Erstbesteigung gelang. Wir tauchten in die besondere Atmosphäre der Hütte und der Umgebung ein und wagten höchstens davon zu träumen, bis zum ersten Camp zu kommen. Außer uns war eine junge Brasilianerin in der Hütte: Während ihr Mann, Profialpinist und der erste brasilianische Everestbesteiger mit seinem peruanischen Partner am Berg waren, hielt sie hier die Stellung.


                      In der Hütte hängen etliche Mitbringsel verschiedenster Expeditionen

                      Bei bestem Wetter ging es hinauf. Das Panorama war großartig, wir hatten teilweise die Spur der Profis und kamen ohne Zwischenfälle bis zum ersten Lagerplatz.


                      Cerro San Lorenzo


                      etwas windig, ansonsten aber eine herrliche Gletschertour. Kurz vor dem Sattel im Hintergrund wird normalerweise zum ersten Mal gezeltet.

                      Doch wie geht es weiter? "Die Randkluft kann u. U. unangenehm werden" schrieb Ralf Gantzhorn in der Beschreibung. Dass er dabei nie untertreibt, werden wir noch mehrfach feststellen. Die Randkluft auf unserer Kammseite war tatsächlich unangenehm, also waren wir stolz und zufrieden, darüber zu kommen und auf die Felsen zu kraxeln. Was uns auf der anderen Seite erwartete, verschlug uns aber den Atem: DAS war die gemeinte Randkluft! Zwischen uns dem nächsten Gletscher lag eine 30m tiefe und 15 Meter breite Schlucht…


                      Die Randkluft ist etwas unangenehm...dachten wir


                      ...doch es war wohl das gemeint Foto: Harrybo2000

                      An dem Abend versuchten wir noch mehrere Varianten, um auf den Gletscher auf der anderen Kammseite zu kommen. Im Endeffekt stieg ich ohne Gepäck über den flachsten Teil auf: Crashkurs Eisklettern mit schlecht sitzenden Steigeisen (falsche Bindung für die Schuhe) und nur einem und uraltem Eispickel. Aber so kämen wir hoch!


                      Ohne Gepäck suchen wir nach einem gangbaren Weg, geben es an der Stelle aber auf


                      irgendwie klappt es dann aber doch. Foto: Harrybo2000

                      „Oh, Menschen am Berg!!!“ Gerade beseitigte ich das Seilsalat nach dem Hochraxeln, als die Profis uns entgegen kamen. Trotz des starken Windes nahmen sie sich Zeit uns die weitere Route zu erklären und verabschiedeten sich in die Randkluft – scheinbar ganz locker auf Frontalzacken und mit zwei Eisgeräten.

                      Wir stiegen mehrere hundert Höhenmeter ab und woanders wieder auf, querten in der vorhandenen Spur eine gewaltige Spaltenzone und bauten das Zelt im „Lager zwei“ auf, wenn man bei einem Dutzend Besteigungen pro Jahr überhaupt von einem Lager sprechen kann. Drumherum hingen graue Wolken und türkis schimmernde Eisfälle – eine unglaubliche Szenerie. Es hat sich schon gelohnt, hierher aufzusteigen!!!!










                      das Panorama, aus mehreren Fotos zusammengebastelt

                      Das Wetter wurde schlechter. Gemeinsam beschlossen wir, am Morgen abzusteigen. Die Profis meinten, der Eisbruch auf der Gipfeletappe sei wesentlich schwerer als die Randkluft davor und ich stimmte zu, dass wir weder technisch noch von der Ausrüstung her dafür vorbereitet waren. Als um 6 Uhr Morgens jedoch der Wecker klingelte, ich hinaus schaute und anstatt des abendlichen Schneefalls beste Sicht, keinen Wind und idealen Trittschnee fand, war der Ärger unbeschreiblich. Umdrehen, ohne das Hindernis zumindest gesehen und angefasst zu haben!!! Später werden wir übrigens erfahren, dass auch die Profis aus gleichen Gründen erst um 7 Uhr morgens loslegten…




                      Dadurch ginge es zum Gipfel

                      Für meinen Partner war die Gehrichtung jedoch klar und da ich gestern zugestimmt hatte, fügte ich mich.
                      Der Abstieg ging schnell und war landschaftlich super schön. Aber der Gipfel glitzerte verlockend in der Sonne und wird es in den Erinnerungen tun. Auf Wiedersehen, San Lorenzo!


                      Abstieg




                      und hier müssen wir wieder runter


                      Immer noch phantastische Aussichten

                      Im Refugio trafen wir wieder auf das brasilianische Paar und den jungen peruanischen Bergführer und verbrachten einen geselligen Abend.

                      Wieder vergingen nur fünf–sechs Tage, die uns jedoch viel länger vorkamen. Nach einer wohltuenden Dusche und erholsamer Nacht am Fundo San Lorenzo packten wir unsere Rucksäcke wieder, um auf der Ruta de los Pioneros gen Süden zu wandern. Das ist aber schon die nächste Geschichte.


                      Zurück am Fundo San Lorenzo


                      Auf zu neuen Ufern


                      auf der Ladefläche geht es ein Stück weit zurück in Richtung Cochrane

                      Fazit: Eine großartige Hochtour für alpin Erfahrene. Und ich werde mich erstmal ein paar Jahre lang ärgern.
                      Reiseberichte

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                      • codenascher

                        Alter Hase
                        • 30.06.2009
                        • 4977
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                        Auch hier wieder, ein toller Teilbericht! Schade des es mit der Besteigung des Cerro san Lorenzo nicht geklappt hat...
                        Freue mich schon auf die nächste Geschichte :-)

                        Bin im Wald, kann sein das ich mich verspäte

                        meine Weltkarte

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                        • Nita
                          Fuchs
                          • 11.07.2008
                          • 1722
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                          @Codenascher: Danke und gern

                          Ruta de los pioneros


                          Dorf Villa O`Higgins, wohin die Ruta führt, wurde erst 1997 an das Straßennetz angeschlossen (war aber seit 1902 kolonisiert und seit 1966 ein offizielles Dorf). Vorher erreichte man die Ortschaft per Wasser-, Luft- oder eben diesen Weg.

                          Geländewagen, der uns hierher brachte, nahm wieder Fahrt auf. Wir schauten noch einmal kritisch auf die vollen Rucksäcke, freuten uns aber auf die Ruta de los pioneros - einen Weg, von dem zwar einige gehört haben, von dem aber kaum Infos gibt. Und wieder begann eine Tour mit einem mehrstündigen Marsch über den Schotter.


                          Geradeaus - Cochrane. Für uns geht es nach links. Die Rucksäcke haben 75l und 130l Volumen

                          Am Nachmittag endete der Fahrweg und wir wechselten auf einen zugewachsenen, kaum merkbaren Pfad. An der ersten Watstelle war endlich Schluss: Völlig fertig kroch ich bei Nieselregen ins Zelt. Das wird nicht das letzte Mal bleiben, dass der Rucksack mehr wog als die Wanderlust, aber das war ja zu vermuten. Nur dass meine Schokolade vorher aus den gelagerten Vorräten verschwand - das war ärgerlich. Fettpolster hin oder her, aber mit nur etwa 380g Essen pro Tag zu bleiben war nicht geplant. (Edit: Fam Soto hat damit nichts zu tun!!!) Da bald klar wurde, dass wir weniger als die maximal angedachten 10 Tage brauchen, konnte ich aber zumindest etwas umverteilen.




                          durchs Wasser ging es immer wieder, meist aber harmlos


                          vom ersten Zeltplatz

                          Wald. Matschige Wiesen mit Kuhexkrementen. Verschwindender Pfad. Jede 100m Schuhe ausziehen um durch Flussarme zu waten. Der zweite Tag auf der Ruta machte nur bedingt Spaß und zur guten Letzt verbrachten wir mehrere Stunden damit, den richtigen Weg zu suchen. Zwar hatte Harrybo2000 einige GPS-Punkte eingespeichert, jedoch fanden wir an einer Stelle partout keinen Pfad. Später, schon die Umkehr in Erwägung gezogen, kämpften wir uns mehrere hundert Meter durch komplett überfluteten Wald und fanden danach tatsächlich Pferdeäpfel und abgebrochene Äste – das musste erstmal reichen als „Weg“.







                          Die Ruta führt über zwei Pässe und bietet zwei Flussquerungen, die u.U. schwierig sein können. Um zum ersten Fluss zu gelangen, muss man außerdem über einen steilen, etwas rutschigen Hang absteigen, der zu fest ist, um die Schuhe nur ansatzweise einzukanten („la picota“). Mein Partner wünschte abgeseilt zu werden; ich nutzte das bereits herausgeholte Seil, um später sicher durch den Fluss zu kommen. Dieser war jedoch viel harmloser als von oben aussah.


                          durch dieses Tal sind wir aufgestiegen


                          zum Fluss muss man erst kommen...


                          diese alte Schaufel und auseinander fallender Pickel können benutzt werden, um den Abstieg für die Pferde zu präparieren


                          von oben hätten wir den Fluss tiefer eingeschätzt - Glück gehabt

                          Über die Pässe zu wandern war für mich der schönste Teil der Ruta. Kann mich mit den Wäldern leider nicht anfreunden – und davon werden wir noch mehr genug haben… Am dritten Abend kamen wir zu einem Fluss, den wir laut Beschreibung nah am Wasserfall queren sollten. Am Abend war daran jedoch nicht zu denken - die heftige Strömung des eiskalten Wassers war uns selbst mit Seilsicherung zu heikel. Deswegen verbrachten wir einen der schönsten Abende der ganzen Reise hier, mitten im Nirgendwo am Wasserfall…




                          Beeindruckend. Sobald die Sonne verschwindet, wird die Gischt aber sofort weniger





                          Am Morgen war der Fluss maximal knietief (aber nicht wärmer). Wir wanderten weiter und querten an dem Tag noch mehrere Flusse, unter anderem einen hüfttiefen. Dank der etwas schwächeren Strömung war er aber unproblematisch.





                          Señor Heraldo Real, 72 Jahre alt, lebt seit über einem Jahrzehnt allein am Rio Allegre. Als wir sein Anwesen nach einem kurzen Warten bereits verlassen wollten, ritt er ein: Kleiner, schlanker Mann im von den Jahren schwarz gewordenen weißen Hemd und mit dem Gaucho-typischen Halstuch.



                          Der Weg wird ein paar Kilometer vor dem Haus Don Heraldos sehr gepflegt und einfach zu gehen - ein Genuss


                          Zivilisationszeichen! (ein wackliges)


                          Freiheit ohne Ende - aber auch unter -30° im Winter mit kaputten Fensterscheiben

                          In Handumdrehen hatten wir einen Mate-Becher in der Hand, während er mit sicheren Bewegungen Mehl und Wasser zu Teig verarbeitete und dabei jede Hilfe ablehnte – er sei es sowieso gewohnt. Obwohl er den ganzen Tag im Wald arbeitete, setzte er sich erst, als die typischen Brötchen im Topf frittiert wurden. Mehr Essen als etwas Mehl und Frittierfett haben wir im Haus von Don Heraldo übrigens nicht gesehen. Obst und Gemüse wachsen auf hiesigen sauren Böden nicht, Fleisch gibt es wenn er ein Tier schlachtet, Mehr holt er bei seinen langen Ritten ins nächste Dorf – drei Mal pro Jahr. Das letzte lag inzwischen ein halbes Jahr zurück und so hatte er keine Hefe mehr fürs Brot, was für seine nicht mehr ganz gesunden Zähne eine Zumutung war. Dennoch schloss er es aus, so wie andere von uns getroffenen Gauchos, sein Leben gegen eins im Dorf zu tauschen.



                          Über die einfachen Brötchen waren wir ausgesprochen froh und ließen alles an unserem Essen (bis auf eine kleine Portion für noch einen Tag) bei Don Heraldo. Ebenfalls froh war er über einfache Schmerzmittel – die Finger und der Rücken täten weh… Der Blick behielt jedoch den harten Glanz eines Freiheit liebenden Gauchos und insbesondere als Harrybo2000 seine Kamera zückte, war von weicheren Zügen eines alternden Mannes nichts mehr zu merken.


                          Im kleinen Topf Wasser für Mate, im großen werden Brötchen frittiert



                          Wir unterhielten uns den ganzen Abend. Er erzählte unter anderem von drei (vier?) Deutschen, die im Dezember vorbei kamen und laut ihm kein Wort Spanisch sprachen; das seien seine letzten Besucher gewesen. Außerdem holte er stolz einen Bericht der israelischen Mädchen heraus, die bei ihm im Rahmen eines Programms (Escuela Nols) aushalfen und anschließend die Ruta gingen. Der Bericht war auf Englisch, er zeigte aber ein kleines altes Wörterbuch aus dieser „Gringo-Sprache“… Bei seinem starken Dialekt und fehlenden Zähnen verstand ich selbst jedoch sehr schlecht und nickte meist nur höflich.


                          Don Heraldo im Magazin "Patagonia"

                          Wie ist der Weg von hier in die Zivilisation? Don Heraldo begann zu erklären und meinte, es gäbe einen Weg durch ein anderes Tal, das kürzer sei als der klassische Ausstieg. Eine lange Tagesetappe sei es, dort reite er auch lang, wenn er in den Ort wolle. Die Erklärungen waren schwer zu verstehen, es war aber sicher, dass es einen Pfad gibt, der zur Carretera austral führt. Mir war es recht – vom Matsch, Klettern über Baumstämme und Querfeldein durch den Wald hatte ich bereits genug. Also gingen wir noch am Abend los…


                          vom Hügel hinter dem Haus...


                          Ein Traum. Inzwischen habe ich mich so ans Rauschen der Flüsse neben dem Zelt gewöhnt, dass ich es später vermissen werde

                          Den Pfad haben wir nach etwas Suchen tatsächlich gefunden und zelteten gut gelaunt am großen, wilden Fluss. Bald nach dem Start am Morgen löste er sich jedoch auf und keine Suche mehr half. Am Ufer war alles dicht bewachsen und nicht einmal eine Tierspur ging durch die Büsche.


                          von oben sieht es schön aus, von unten weniger

                          Nach einer nicht enden wollenden Partie durchs Unterholz kamen wir auf der nächsten Hügelkette an und fanden tatsächlich eine Spur; ich war bereits, sie zu küssen. Doch die Freude hielt nicht lange an: Zwar war die Spur eindeutig vorhanden, aber durch übermenschhhohe Stachelsträuche komplett zugewachsen und unten mindestens knöcheltief schlammig. Jeder Meter darin war ein Sieg und der größte Traum bestand darin, einmal 5 Meter lang normal gehen zu können. Doch davon träumten wir noch lange.


                          Diesen wunderschönen Pfad fanden wir, als wir oben ankamen. Leider ging es aber nur kurz so einfach.


                          viel häufiger ging es so und noch häufiger zusätzlich komplett zugewachsen

                          Am Abend sahen wir einen Hof und ein paar Tiere. Damit hatten wir zumindest einen Zeltplatz und ich war sicher, dass ab dort der Pfad nicht mehr so zugewachsen sein kann. Jedoch suchten wir am Abend vergebens: Wieder riesige Feuchtflächen, wieder dichter Uferbewuchs, wieder keine Spuren….


                          kurzes Ausweichen ans Ufer - fast hätten wir uns gefreut auf leichtes Vorankommen - zu früh natürlich, hier ging es nicht weit

                          Am Morgen ging die Suche weiter. Harrybo2000 überlegte auch, umzudrehen. Sprich 12km Luftlinie von der befahrenen Straße entfernt kehrt zu machen, das unbeschreibliche Kriechen durch die Stachelsträuche wieder zu absolvieren und 2-3 Tage über den klassischen Weg aussteigen. Etwa fünf Tage, alles ohne Essen. Für mich kam es nicht in Frage. Selbst wenn wir wieder stecken bleiben und 1km/h machen, sind wir spätestens am nächsten Tag raus. Und es kann nicht sein, dass es zu diesem nicht wirklich verlassenen Hof nicht jemand ein paar Mal im Jahr reitet.

                          Irgendwann fanden wir den Pfad. Querten mehrere (harmlose) Flüsse, sanken teilweise wieder im Kuhexkrementen-Matsch ein, kletterten über liegende Baumstämme und fluchten über den selbst 200m von der Carretera austral nicht besser werdenden Pfad. Anschließend noch eine Querfeldeinpartie durch den Sumpf – und wir standen bzw. lagen auf dem Schotter…


                          und hier wieder bestens begehbar und ich habe Lust zu fotografieren...


                          angekommen!!!


                          ...aber ein wenig fertig sind wir schon.

                          Jetzt blieb uns nur noch, die gut 50km gen Süden nach Villa O`Higgins zu trampen. Wir wussten, dass weiter nördlich eine Fähre dreimal täglich die Autos rüberbringt; dazwischen kommt nichts. Also groß war die Enttäuschung, als nach der Mittag-, Abend- und Morgenfähre am nächsten Tag nur wenige volle Wagen vorbei gerauscht sind. Und blieb nichts anderes über, als die Rucksäcke zu packen und loszulaufen und uns auf 50km Schotter ohne etwas zu essen einzustellen.

                          Doch das Schicksalwar gnädig mit uns. Schon nach wenigen Kilometern trafen wir den Besitzer des Hofes, wo wir zuletzt übernachtet haben, der uns zu sich einlud, Mate einschenkte und da er Besuch erwartete, ein Riesenstück Fleisch in den Ofen schob. Und das Beste: Die Besucher sollten danach mit ihrem kleinen Lastwagen weiter fahren und könnten uns mitnehmen…



                          So endete für uns der Teil „Zentralpatagonien“. Nach der besten Mahlzeit meines Lebens saß ich auf der Ladefläche des Holztransportes, schaute in den aufgewirbelten Staub hinter uns und bekam nicht genug von der an uns vorbei ziehenden Landschaft. Dabei waren ich erst drei Wochen unterwegs (Harrybo2000 6 Wochen). Was erwartet uns noch?


                          Villa O`Higgins

                          Fazit: Wer den wilden Wald liebt (ich nicht) und die Einsamkeit sucht, kommt definitiv auf seine Kosten. Die Variante durchs Tal des Rio Bravo ist aber definitiv nicht nachahmenswert.
                          Zuletzt geändert von Nita; 13.09.2015, 21:57.
                          Reiseberichte

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                          • berniehh
                            Fuchs
                            • 31.01.2011
                            • 2408
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                            super Tour. Besonders die Fotos vom San Lorenzo finde ich spektakulär. Schade daß es mit der Besteigung nicht geklappt hat.
                            www.trekking.magix.net

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                            • Ellipirelli
                              Gerne im Forum
                              • 21.04.2014
                              • 64
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                              Beeindruckend. Danke für den Bericht.
                              Tadle nicht den Fluss, wenn Du ins Wasser fällst.

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                              • Mika Hautamaeki
                                Alter Hase
                                • 30.05.2007
                                • 3979
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #16
                                AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                                Wow!!!!!
                                So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                A. v. Humboldt.

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                                • Vegareve
                                  Freak

                                  Liebt das Forum
                                  • 19.08.2009
                                  • 14389
                                  • Privat

                                  • Meine Reisen

                                  #17
                                  AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                                  Super, mein Neid ist Euch garantiert!

                                  Verstehe aber nicht ganz, warum ihr immer die ganze Ausrüstung in Doppelt schleppen musstet, gab es keine Möglichkeit, ein Zelt zurück zu lassen wenn ihr nach, beispielsweise, einer Woche wieder zum Ausgangspunkt gelangt?
                                  "Niemand hört den Ruf des Meeres oder der Berge, nur derjenige, der dem Meer oder den Bergen wesensverwandt ist" (O. Chambers)

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                                  • Nita
                                    Fuchs
                                    • 11.07.2008
                                    • 1722
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                                    #18
                                    AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                                    Danke Euch! War tatsächlich eine super Zeit!!!

                                    Zitat von Vegareve Beitrag anzeigen
                                    Verstehe aber nicht ganz, warum ihr immer die ganze Ausrüstung in Doppelt schleppen musstet, gab es keine Möglichkeit, ein Zelt zurück zu lassen wenn ihr nach, beispielsweise, einer Woche wieder zum Ausgangspunkt gelangt?
                                    Es war nicht erwünscht... Wir haben es zwar für eine Nacht am San Lorenzo und für mehrere an einem anderen Berg gemacht, waren sonst aber komplett unabhängig voneinander unterwegs. Wobei ich auf zwei anderen Touren neue Bekannte als "Mitbewohner" hatte bzw. selbst bei anderen unterkam. Ist ein schwieriges Thema, was Du da ansprichst ;)
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                                    • Nita
                                      Fuchs
                                      • 11.07.2008
                                      • 1722
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                                      #19
                                      AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                                      Villa O`Higgins und der Grenzübergang zu Fuß


                                      Blick von der chilenisch-argentinischen Grenze auf die Berge bei El Chalten

                                      In Villa O'Higgins gefiel es uns. Die Ortschaft strahlt die Ruhe aus - der erste Straßenanschluss 1997 und Strom 2004 lassen grüßen - hat aber inzwischen eine lockere Atmosphäre eines Touristenortes: Hier endet die Carretera austral und viele sie zurück gelegten Radfahrer nutzen die Gelegenheit, nach der langen Tour ein paar Tage zu entspannen. Auch wir verbrachten hier zwei Tage, weil es für den nächsten Tag keine Fährtickets mehr gab.

                                      Um von hier weiter nach Süden zu kommen, hat man nämlich nur eine Möglichkeit: Mit der Fähre über einen See, dann 22km zu Fuß über die Grenze, dann noch eine Fährfahrt (wahlweise 15km zu Fuß) und anschließend eine überteuerte Busfahrt über 37km/ trampen/ zu Fuss.

                                      Aber zuerst entspannten wir noch, überfielen die Lebensmittellädchen, gaben die Sachen am Campingplatz zum Waschen auf und versuchten, etwas Internet zu finden. Allerdings war alles etwas anders, als wir es in Europa gewohnt sind:
                                      Die drei Tante-Emma-Läden führen 1-2 Sorten Nudeln und Reis, 3-4 Sorten Marmelade, 1 Sorte Brot, 2 -3 Sorten Trockensuppen und in einem Laden sogar Obst: Einige schon halbbraune Äpfel und Bananen, die einmal wöchentlich extra aus Coyhaique geliefert werden. Kekse gibt es in mehreren Ausführungen, Schokolade in 2-3 und richtig teuer (5€/Tafel o.ä.). Um eine Packung Müsli zu ergattern muss man übrigens richtig Glück haben und gut zahlen.

                                      „Tagsüber erhitzt sich die Antenne und es gibt keine Verbindung“ – alles Internet kommt hier, wie auch in anderen kleinen Ortschaften in Patagonien, per Satellit und wird in der Ortsmitte offen zur Verfügung gestellt. Ja, hier, am Ende der Welt, im 500 Seelen Dorf, gibt es kostenlosen WLan! Wenns denn die Verbindung gibt. Wenn nicht, hat im Ort eben niemand Internet. Am Abend schaffte ich es tatsächlich, eine Nachricht nach Hause zu schicken.

                                      Es war also höchst entspannt und wir freuten uns auf El Chalten, doch dann kam für mich die nächste „Katastrophe“: Nach einem Ministurz der Kamera inklusive der Tasche ging sie nicht mehr an. Zum Verständis: Der nächste, minimale Fotoladen wäre mindestens 500km und mehrere Tage Fahrt über Schotter entfernt. Und laut Reiseplan etwa 3 Wochen weit weg.

                                      Ich fragte mich im Ort durch, bis vor mir ein junger Mann stand, der mit echter Neugier die erste Spiegellose in seinem Leben betrachtete. „Kenne mich damit nicht aus, habe zu Hause aber drei Canon-DSLRs liegen, könnte dir eine verkaufen!“ Der etwa 30jährige Beamte wurde für zwei Jahre aus der Hauptstadt hierher geschickt und wirkte im Gegensatz zu den anderen absolut städtisch. Er nannte den Preis und ich stimmte zu – zum einen war dieser fair, zum anderen hatte ich keine andere Wahl. Jetzt war der nächste Schritt dran: Wie zahle ich?

                                      Meine Bank loggte mich aus Patagonien nicht ein. Meine andere Bank stürzte ständig ab, weil die Internetverbindung zu schlecht war. Paypal hatte auch seine Probleme damit. Doch nach mehreren Stunden war es soweit: Ich besaß eine neue Cam.


                                      auf der Fähre, mit der neuen Camera

                                      Am grauen nächsten Morgen ging es mit der Fähre in Richtung der argentinischen Grenze. Nach der Ankunft schulterten alle ihre Rucksäcke und liefen etwa einen Kilometer über einen Schottweg mitten im Nirgendwo zum Grenzposten, wo uns die Ausreise bestätigt wurde. 21 km weiter, die auf der chilenischen Seite bestens markiert und gepflegt, auf der argentinischen jedoch kaum markiert, teils matschig und „trailig“ waren, kam der nächste Grenzposten – der argentinische.
                                      Die Fähre über den Lago del Desierto – den See der Wildnis – fährt zwei Mal am Tag. Entweder man gibt beim Wandern richtig Gas und erwischt die am Nachmittag oder man zeltet am Grenzposten (und am See) und fährt am Morgen. Oder läuft weiter zu Fuß.


                                      auf der anderen Seeseite angekommen. Jetzt heißt es: Wandern!


                                      Chilenische Grenzstation...


                                      ...und der Ausblick von dort


                                      Markierungen auf der chilenischen Seite


                                      doch dann kommt man nach Argentinien (der Pfad geht links am Schild vorbei)


                                      ein normaler Grenzübergang eben...


                                      Willkommen in...Paradies?

                                      Die 45min Fahrt haben einen flexiblen Preis. Wenn ich mich nicht irre, waren es 25 USD, 40 Euro oder 350 argentinische Pesos zur Auswahl. Der Preis steigt täglich, wegen der hohen Inflation und weil es keine Alternativen gibt. Vorteilhaft ist es, US Dollar dabei zu haben.


                                      Zeltplatz am See. Eine Touristin fragte die Grenzpolizisten: "Gibt es hier Toiletten"? Die Antwort: "Naturaleza!"

                                      Auch nach der Ankunft am anderen Ufer (die Fahrt selbst ist übrigens sehr schön) merkt man, dass an einem verdient wird. Wer sich für einen den vielen Busse entscheidet, zahlt 350 Arg. Pesos (gut 30 Euro) für 45min Fahrt. Die meisten trampen und sind damit früher oder später erfolgreich.


                                      die Überfahrt


                                      die anderen Touristen auf der Fähre fotografierten ständig die Gletscher und Wasserfälle, die an uns vorbei zogen. Wir haben inzwischen so viele davon aus unmittelbarer Nähe gesehen, dass wir sie nur noch still sitzend genossen...

                                      Der erste Eindruck von El Chalten – jede Menge Leckereien. Gerade die Backwaren sind wesentlich vielfältiger und für uns ein Luxus. Auch die Menschenmengen sind wir nicht mehr gewohnt, geschweige denn die Atmosphäre einer Stadt (und seien es nur 3000 Einwohner hier). Ich quartiere mich auf dem Campingplatz ein, lerne direkt ein paar Menschen kennen und fühle mich hier direkt wohl.


                                      kurz vor El Chalten





                                      Fazit: Um von Villa O`Higgins nach El Chalten zu kommen muss man halbwegs fit sein – die oft versprochenen Pferde waren nicht vorhanden. Es ist aber ein landschaftlich reizvoller, etwas abenteuerlicher Grenzübergang.



                                      Rund um El Chalten


                                      Im Hintergrund Fitz Roy (= Cerro Chaltén)

                                      „Es gibt im Leben schwarze Streifen – aber irgendwann wird es vorbei sein“ - mein schottischer Nachbar auf dem Zeltplatz schaute mich beruhigend an - „Gott wird schon dafür sorgen“. Ich stand gerade mit dem gebrochenen Gestänge meines Zeltes in der Hand und konnte es nicht fassen. Das Zahnziehen vor zwei Wochen bezeichnete ich „Pech“ und dachte nicht weiter darüber nach. Den verbrannten Kocher vor 10 Tagen kehrte ich unter „Reisekleinigkeiten“. Die kaputte 1000 Euro teure Kamera vor 3 Tagen nahm ich noch mit (Galgen-)Humor. Aber so langsam wurde es zu viel. Der nette Zuspruch half aber gut und bald stand das Zelt weder – mit zusammengeflicktem Gestänge. Vom netten Schotten erfuhr ich später übrigens, dass ihm in einer windigen Nacht ein Baum auf das Zelt gefallen ist. Er wurde zum Glück nicht verletzt.


                                      30 Gehminuten vom Campingplatz entfernt


                                      Plastiktüten sucht man in El Chalten vergebens (auch nicht für Obst o.ä.). Die Einheimischen sagen aber, das sei nur die Augenwischerei für Touristen.

                                      El Chalten wird nicht umsonst „Hauptstadt des Trekkings“ genannt. Mit einem bestens angelegten und gepflegten Wanderwegnetz und traumhaften Landschaften bietet die Ortschaft für jeden Wanderanspruch ein passendes Highlight. Wir lernten die Gegend an einigen (Halb-)Tagesausflügen kennen und bereiteten uns auf die Fitz Roy Umrundung vor. Mit von der Partie war Danny, ein deutscher Student, der gerade ein Auslandsjahr in Chile machte. Wir lernten uns dem Campingplatz kennen und freuten uns gemeinsam aufs Inlandeis.












                                      typisch patagonische Verhältnisse am Cerro Torre


                                      Nationalpark Los Glaciares


                                      Wer zum Fitz Roy, Cerro Torre oder "nur" aufs Eis will, muss sich registrieren lassen. Auch unser Zettel hängt an der Wand...

                                      Fazit: El Chalten rockt! Egal was man draußen macht - wandern, klettern, bergsteigen oder "nur" spazieren gehen - man wird es hier finden!
                                      Zuletzt geändert von Nita; 27.09.2015, 12:47.
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                                        Fuchs
                                        • 11.07.2008
                                        • 1722
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                                        #20
                                        AW: Chile und Argentinien: Vier Monate unter dem Kreuz des Südens

                                        Fitz Roy Umrundung (=Ice cap trek, Vuelta al Hielo)



                                        Sommer auf dem südlichen patagonischen Eisfeld

                                        „El Paso Marconi está allí” – der Taxifahrer, der uns 17km Schotterwandern sparte, zeigte in die dunkelgraue Masse am Horizont. Der Marconi-Pass, die Eintrittspforte auf das südliche patagonische Eisfeld und eine der mächtigsten Schlechtwetterküchen der Welt. Trotz des schönsten, klarsten Wetters überall im Tal hing über dem Pass ein schaurig aussehender Vorhang. Als wir in dessen Richtung aufbrachen, hatte ich ein seltsames, ehrfurchtvolles Gefühl, die Schritte ins Unbekannte zu richten.


                                        am Start

                                        Der kurze Wandernachmittag endete bereits nach knapp zwei Stunden auf einem betreuten Zeltplatz. Auch am nächsten Tag gingen wir nicht weit – als wir gegen 13 Uhr „La playita“ („das Strändchen“) erreichten, nutzten wir die durch Steinmauern geschützten Zeltnischen und bauten angesichts des kommenden Schlechtwetters das Lager auf. Mir war es außerdem recht, weil ich beim Queren des Río Electrico bei einer kräftigen Böe ins Wasser gefallen/gesprungen bin und gern die Sachen trocknen wollte. Der Wind war übrigens jetzt schon heftig und das Gehen im Geröll schwierig.


                                        den grauen Wolken engegen


                                        La Playita mit vermeintlich windgeschützten Zeltplätzen (hinten an den Felsen eine ganze Reihe an Steinmauern für Zelte)

                                        Der Abend wurde lang und die Nacht noch länger. Zu zweit mit Danny versuchten wir auszurechnen, wie hoch die Windgeschwindigkeit sein muss, um bei 1,5m² zugewandter Zeltoberfläche einen Druck auszuüben, der mehrere über 30kg schwere Steine (an denen das Zelt gesichert war) zu verschieben… Gemeinsam hielten wir das Gestänge fest und spannten abwechselnd im starken Regen die Zeltleinen nach.


                                        es kommt was...

                                        Sobald der Morgen graute, packten wir zusammen und stiegen ab. Die Zelte haben die Nacht zwar knapp überstanden, aber an die Tour war nicht zu denken. Wir mussten wieder in den Schutz des Waldes.

                                        Bald nach dem zügigen Start (Regen, Wind, kalt…) fühlte ich mich unwohl. Zuerst die Beschwerden verdrängt, stiegen wir ein Stück weit auf und das Blut lief etwas schneller – es wurde endlich wärmer. Allerdings ging es meinem Kreislauf zunehmend schlechter und schließlich setzte mich ins nasse Gras, fiel auf die Seite, die Jungs machten die Gurtschnalle des Rucksacks auf und schoben mir die Wasserflasche in die Hand. Die ich jedoch nicht halten konnte. Einen unpassenderen Moment kann man sich schwer vorstellen! Wenige Minuten später, nach etwas Wasser und ein paar Keksen von Harrybo2000 ging es wieder ganz gut und wir setzten den Weg normal fort. Ergo (nicht zum ersten Mal!): Belastung direkt nach dem Aufstehen, kein Frühstück und schlechtes Wetter dazu – langsam beginnen!!!!


                                        je weiter wir uns von den Bergen entfernten, umso besser wurde das Wetter. Hier sogar mit der Sonne!

                                        Sehr beeindruckend war auch das Gehen mit dem heftigsten Wind meines Lebens im Rücken: Nach hinten lehnen, die Beine etwas nach vorne strecken, um auf den Steinen, auf die man durch den Wind geworfen wird, federnd anzukommen und weiter zu „fliegen“. Wahnsinn!!!

                                        „Hier Tee für euch“ – die Betreuer des Zeltplatzes sahen uns kommen und reichten uns direkt die Tassen mit wärmender Flüssigkeit. „Die Nacht habt ihr wahrscheinlich nicht geschlafen…“ Nein, haben wir nicht...

                                        Den Rest des Tages erholten wir uns vom Ausflug, trockneten die Sachen und die Zelte und plauderten am Abend mit bekannten Schweizern, die u.a. den Wetterbericht hierauf brachten. Laut ihnen kommt nun doch das versprochene Hochdruckgebiet, aber leider nur für zwei Tage. Danach gibt es eine Sturmwarnung selbst für El Chalten; wer dann noch auf dem Eis ist, hat schlechte Karten.

                                        Zwei Tage. 48h. Wenn wir Glück haben, vielleicht 52-54h. Dann müssen wir wieder unterhalb der Waldgrenze sein – mit allen Eventualitäten. Normalerweise braucht man dafür vier Tage. Schaffen wir es oder geben wir die Tour auf?


                                        wir wollten auf jeden Fall das große Eis sehen...hier im Aufstieg zum Paso Marconi

                                        Mit dem ersten Licht ging es los. An La playita vorbei, zum Gletscher hoch und dem Paso Marconi entgegen. Der Aufstieg war absolut spektakulär, das Wetter bedeckt, aber windarm und wir gut unterwegs. Aufgewelltes Blankeis, dazwischen ein paar Spalten, vorne ein mächtiger Eisfall und hinten die bekanntesten Gipfel der Welt – das Gehen und die Umgebung wetteiferten um unsere Aufmerksamkeit und waren so unglaublich schön, dass nur der Zeitfaktor im Hinterkopf uns davon abhielt, hier wesentlich mehr Zeit zu verbringen. Kurz vor dem Eisfall in die Felsen ausgewichen, erreichten wir ohne Schwierigkeiten der Rand des Eisfeldes und stiegen über immer flacher werdendes Gelände weiter auf. Irgendwann war es soweit: Eine riesige weiße Fläche, umrahmt von bizarr vergletscherten Bergen, lag vor uns. Das südliche patagonische Inlandeis!










                                        zwei Franzosen, die auch zum Pass wollten. Leider wussten sie nicht, dass man besser weiter oben über die Felsen steigt.


                                        wir dagegen kamen ohne Probleme hoch


                                        die Franzosen kurz vor dem Pass. Sie wollten in einer Biwakschachtel übernachten und angesichts der schlechten Wettervorhersge am nächsten Tag gleich absteigen.




                                        Inlandeis!

                                        Normalerweise wird hier gezeltet, für uns ging das leider nicht. Nach einer kurzen Pause gingen wir über die weiße Ebene gen Süden, zuerst noch ganz locker, zunehmend aber immer mehr über verschneite Spalten. Das Tagesziel – Circo de los Altares – schien dabei nicht näher kommen zu wollen. Zwar war der Weg wunderschön, aber die Zeit lief uns davon: Spätestens in der Abenddämmerung mussten wir Schluss machen und entscheiden, ob wir am nächsten Tag den Rest schaffen oder direkt umdrehen. Danach wurden die Zeltplätze präpariert und die Schneemauern errichtet – ohne viele Ablenkungen ganze zwei Stunden lang. Aber wir trauten der Ruhe in der Natur nicht. Um Mitternacht war alles soweit und wir fielen auf die Isomatten.














                                        Ein Abend mit Cerro Torre

                                        „Glücklich ist, wer hier einen Sonnenuntergang erleben darf“ schrieb Ralf Gantzhorn in seinem Wanderführer. Uns wurden sowohl der Sonnenunter- als auch ein phantastischer Sonnenaufgang geschenkt! Vorsichtig zusammen gepackt – wenige Meter von den Zelten entfernt gab es jede Menge Spalten – liefen wir bei bestem Wetter los und hofften, auf gefrorenem Schnee gut Kilometer zu machen. Doch schon bald wurde die Schneedecke noch dünner und schließlich gingen wir auf dem zerbersteten Blankeis. Fünf Stunden langes Springen über die Spalten mit vollem Gepäck… Eine „Ideallinie“ gab es nicht, einfach nur geradeaus. Die Landschaft war es aber auf jeden Fall wert!


                                        am Morgen. Noch müde, aber was für Wetter!


                                        Hauptsache beim Fotografieren nirgendwo reinfallen...








                                        zum Glück hatten wir keine Schlitten bei





                                        Irgendwann wurde der Gletscher nicht mehr begehbar, dort wechselt man auf die Moränen. Hier fiel uns auf, dass wir nicht genau wussten, wo es lang geht. Nach einer ziemlich langen Suche und Umkehr zum Eis sahen wir eine andere Seilschaft – drei Kanadierinnen. Die Mädels („Ich bin Feuerwehrfrau.“ „Ich auch.“ „Ich nicht!“ „Wir arbeiten im Sommer als Guides am Aconcagua“) fanden schnell den etwas versteckten und alles andere als ausgetretenen Durchschlupf und verabschiedeten sich in Richtung einer Biwakschachtel – da ihr Zelt durch den Wind zerlegt wurde, wollten sie nicht so aussteigen wie wir.


                                        nicht mehr so gut zu gehen...


                                        ...also ab auf die Möränen




                                        das hätten wir uns aber sparen können, wenn wir wüssten, wo es lang geht


                                        Blick von oben auf den Viedma-Gletscher


                                        die Hilfe naht - die Bergführerinnen aus Kanada



                                        Es folgte stundenlanges Wandern meist im Geröll. Die Füße und die Knie waren nach vielen Kilometern auf hartem Untergrund schon ziemlich lädiert, die Steine konnten wir einfach nicht mehr sehen. Irgendwann merkten wir aber einen schmalen Pfad in Richtung des Paso del Viento – den Pass des Windes – und wussten, dass wir gleich „durch“ sind. Die Anspannung, die uns aufgrund des Schlechtwetters im Rücken ständig begleitete, fiel plötzlich ab.


                                        der Preis für die tolle Eistour: Mehrere Stunden im Geröll

                                        Ich habe schon Videos gesehen, wo die Menschen den Paso del Viento auf allen Vieren hoch gekrochen sind. Wir hatten immer noch bestes Wetter und machten uns entspannt auf den Abstieg in die inzwischen in der Dämmerung liegende „diese“ Welt. Geplant war, bis zum Wald abzusteigen um in dessen Schutz unangreifbar für den Wind zu sein, jedoch als es dunkel wurde, beschlossen wir doch etwas früher Schluss zu machen. Zwischen dem Wald und uns lag noch die „Tirolesa“ – eine Seilbrücke mit „flying fox“ und diese wollten wir nicht bei Nacht queren.


                                        noch ein letzter, unproblematischer Gletscher...


                                        ...und wir sind fast im Tal.


                                        letzte Meter für heute schon in der Abenddämmerung

                                        In der Morgendämmerung ging es wieder los. Es regnete leicht, war aber noch nicht zu windig. An der „Tirolesa“ hatten wir viel Spaß, wesentlich weniger jedoch später, als uns klar wurde, dass der Weg nach El Chalten noch reichlich weit ist. Den langen Gegenanstieg haben wir bei der Planung überhaupt nicht bemerkt, jetzt, im müden Zustand und bei immer schlechterem Wetter wurde es richtig anstrengend. Doch nach 8h – im Vergleich zu den letzten Tagen eine Kurzstrecke – sahen wir den Ort.


                                        "la tirolesa" - die Seilbrücke






                                        bald wurde das Wetter wie erwartet schlechter - wir waren aber im Tal


                                        dieses lange Tal mussten wir noch entlang"spazieren" und über die linke Kette ins nächste Tal absteigen. Anstrengend, aber nicht mehr kritisch.


                                        El Chalten!!!

                                        Während Harrybo2000 sich bald auf den Weg machte, um bei El Calafate den berühmten Perito Moreno Gletscher anzuschauen, zog es Danny und mich wieder in diese unnahbaren Berge. Nach dem Studium des Klassikers „Patagonia vertikal“ wurde klar, dass für Normalsterbliche hier nur vier Gipfel in Frage kamen. Da für längere Unternehmungen kein ausreichendes Wetterfenster in Sicht kam, schraubten wir unsere Wünsche bis zum Cerro Solo runter. Doch auch hier kam uns das Wetter in die Quere: Als wir am frühen Morgen im starken Regen loslegten und auf die versprochene Besserung hofften, ließ sie auf sich warten. Im felsigen Bereich angekommen, warteten wir, klatschnass bei Schneeregen mit Wind, ein wenig ab und drehten dann endgültig um.


                                        Cerro Solo bei gutem Wetter


                                        im Regen über den Fluss. Die Karabiner rutschten auf nassen Seilen gar nicht, in der Mitte hing man (selbst mit den Füßen auf dem Seil) knapp über dem Wasser, die Handschuhe waren klatschnass und die Unterarme "zu" - ein guter Start.


                                        Die Wetterbesserung kam, jedoch nicht um 6 Uhr wie erwartet sondern mittags. Und hielt leider keinen halben Tag an.

                                        Ungern packte ich zusammen – El Chalten hat mir super gefallen und wird mich sicher wieder sehen - und fuhr ebenfalls nach El Calafate.

                                        Fazit: La vuelta al Hielo („die Runde aufs Eis“), Ice Cap Trek oder die Fitz Roy Umrundung ist eine der, wenn nicht die schönste Tour in meinem Leben gewesen. Landschaftlich absolut spektakulär, aus El Chalten bestens erreichbar, ist sie dank dem patagonischen Wetter wohl immer ein echtes kleines Abenteuer und für Bergliebhaber ein Genuss. Man sollte jedoch bereits Gletschererfahrung haben.
                                        Zuletzt geändert von Nita; 27.09.2015, 13:29.
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