[DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

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  • eisen
    Erfahren
    • 03.10.2005
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    [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Karstwanderweg (Etappe I)


    Innovationsdruck

    Verdammt, schon Mittwochabend! Freitagmorgen will ich losfahren und habe keinen Schimmer, wohin! Radtour, das steht fest, und möglichst wenig Asphalt. Und weiter? Soll ich tatsächlich den Märkischen Landweg weiterfahren? So richtig Lust habe ich nicht: kein einziger See liegt mehr auf der letzten Etappe. Hm. Eine Innovation muss her! Und zwar sogleich!

    Etwas ratlos klicke ich mich durchs Netz und lande auf einer der hochamtlichen Qualitätswanderzertifikatsvermarkter. Sogar mit AOK-Gütesiegel, hurra! Und Gepäcktransport, alles klar. Aber zugegeben, die Karte kommt mir jetzt gerade recht.

    Tja, also. Näheres Umfeld von Berlin scheidet aus, da kann ich auch durch die Uckermark rollen. Schnell erreicht und ohne lange Zugfahrt soll die Sache auch noch sein, das schränkt den Radius doch ziemlich ein. Nämlich gefühlt auf Elbi und Harz. ;) Elbi geht nicht per Rad und da war ich neulich erst. Hexenstieg vielleicht? Kenne ich nur zu Fuss, aber mit dem Trekkingrad auf den Brocken und um die Hohneklippen zirkeln? Muss nicht unbedingt – ausserdem gibt’s da sowieso viel zu viel Asphalt. Eigene Tour planen? Kommt nicht in Frage, keine Zeit! Verdammt, ich brauche eine Innovation! Aber halt, was lugt da etwas verschüchtert unterm Hexenstieg hervor? „Karstenwanderweg“? Noch nie gehört. Bescheuerter Name, aber „Länge: 233 km, 7 Etappen“ klingt durchaus vielversprechend. Wikipedia kennt Karsten nicht und schlägt freundlichst vor, ob ich nicht vielleicht den „Karstwanderweg“ meinen könnte? Ähem, ok.

    Daraufhin weiss Wiki: „Der Karstwanderweg ist ein 254 km langer, ausgeschilderter und markierter Wanderweg im Landkreis Osterode am Harz in Niedersachsen, im Landkreis Nordhausen und im Kyffhäuserkreis in Thüringen sowie im Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt.“

    Ah, ja nu.

    Und fährt fort: „Der Weg erschließt zahlreiche Naturschönheiten, darunter Höhlen wie die Heimkehle und die Barbarossahöhle, Dolinen, Erdfälle wie den Juessee oder den Beberteich und die Schwimmende Insel, zu- und abflusslose Gewässer wie der Ochsenpfuhl, der Aschenhütter Teich, der Wiedensee und der Kesselsumpf, Moorlandschaften wie die Teufelsbäder, Karstquellen wie die Rhumequelle und das Teufelsloch, Bachschwinden und Flussversinkungen wie der Bauerngraben und die Versickerung der Sieber, sowie zahlreiche Gipsfelsen.“

    Ooouuuhhh, ich bin Fan! Mein Weg, klare Sache!

    So schnell kanns gehn. ;) Tja, aber kommt man da mit dem Fahrrad lang? Eine kurze Suche im Netz ergibt, dass auf die Idee schon vor mir jemand kam: blitz-schlag-mann. Also flugs per PN nach dem Ergebnis seines Vorhabens gefragt und gleich noch alle anderen Leute im Thread auf Fahrbarkeit angehauen. Nebenher schonmal die GPS-Tracks von der offiziellen Wegseite karstwanderweg.de geladen und dem Betreiber schnell noch eine Mail geschrieben, ob sie vielleicht auch die POIs zum Download hätten. Ach, und nicht vergessen: Zugticket nach Sangerhausen ordern. Dann ab ins Bett weil ist ja spät und nun auch eigentlich alles Wesentliche geplant. ;)

    Spätestens am nächsten Morgen habe ich von allen Karstkennern per PN ein ungefähres „sollte klar gehn per Rad“. Schön! Fehlt nur noch die richtige Karte, nämlich dieses Ding: Der offizielle Leporello. Ein Anruf beim Kartendealer ums Eck verläuft in etwa so: „Wie, Karstenwanderweg? Ach so, Karstwanderweg. Im Südharz? Nein, habe ich nicht. Aber den Hexenstieg im Harz kann ich Ihnen anbieten...“. Schnickschnack Hexenstieg! Der Karstwanderweg solls sein!
    Auch beim Verlag kennt man keine weiteren Verkäufer in Berlin, aber der Mann hat eine andere brillante Idee...
    Deshalb starte ich kurz darauf am Telefon (während der Arbeit, Frechheit!) eine Charme-Offensive bei den Damen der Sangerhäuser Touristen-Information, denn die haben zwar ein Leporello, aber leider am Freitag wegen Feiertag geschlossen. Und so kommt es, dass die Info-Damen eine Karte in den 2km entfernten (und Feiertags geöffneten) Shop des Sangerhäuser Rosariums bringen, um sie dort für mich zu hinterlegen. Und das Ganze auch noch mit telefonischer Vollzugs-Benachrichtigung. Ich bin entzückt und sehr zu Dank verpflichtet!

    Damit steht der Abfahrt nun nichts mehr im Wege - bis auf, ach ja, Packen. Das wird direkt nach Abschluss der Bespassung des offiziellen Familienbesuchs erledigt, also Donnerstag ab 23:00 Uhr, uff. Wegen der vorgerückten Uhrzeit scheitere ich dann leider an der Installation der POI-Datei, die ich in der Zwischenzeit vom Karstwanderverein per Mail bekommen habe. Total nett, auch wenn es leider nicht geklappt hat.

    Wegfindung

    Nach einer Mütze voll Schlaf bin ich diesmal nicht zeitgleich mit dem Zug, sondern bequem vorher da und habe sogar Frühstück von unterwegs im Gepäck. Homerun sozusagen. Pünktlich um 7:20 rollt der IC in den Ostbahnhof und ich kurz darauf meine Karre ins Fahrradabteil. Die Fahrt verläuft trotz 2x Umsteigen sehr entspannt und es bleibt ausreichend Zeit, mein Frühstück zu verputzen. Und zuzuschauen, wie die Sonne den Morgennebel vertreibt. Das sieht dann so aus:



    Irgendwann gegen 11:00 lande ich in Sangerhausen. Der Bahnhof wirkt etwas trist, aber die Stadt bekennt sich ganz ausdrücklich zur Zweiradkultur:



    In Gedanken mache ich kurz das internationale Zeichen für „MIFA forever“ und hoffe sehr, dass sie die Insolvenz irgendwie überleben. Das Wetter ist mittlerweile im Wortsinn: blendend.



    Auf dem Vorplatz überlege ich kurz, wen ich nun nach dem Weg zum Rosarium frage, entscheide mich spontan gegen die Alki-Gruppe am Campingtisch und für die Verkäuferin im Kiosk-Rondell und erfahre: „Immer der Rose folgen.“ Was prompt beherzigt wird und auch zum Ziele führt. Und das sieht so aus:



    Meinen einstudierten Satz, um mich an der Kasse um den Eintrittspreis und gleich zum Shop zu mogeln, kann ich direkt steckenlassen. Die Kassenfrau ist informiert und drückt mir einen Leporello in die Hand. Mit Infobroschüre. Als sei es das Normalste von der Welt. Ich bin baff. Und bin noch geistesgegenwärtig genug, meinen Dank an die Touristen-Info-Damen auszurichten, bevor ich den Kassenplatz an eine weitere Gruppe Rosenrentner verliere, die drängeln nämlich schon. Was irgendwie auch kein Wunder ist, schliesslich gibt’s hier die grösste Rosensammlung der Welt.

    Da mich Rosen persönlich jetzt nicht so interessieren, suche ich möglichst bald das Weite in Form vom kürzesten Weg zum Beginn des Karsten.., ach ja, Karstwanderwegs. Mein alter Freund Garmin ist mir dabei behilflich. Was prompt mal wieder zu Gezanke führt, was genau denn nun die Definition von „kürzeste Strecke“ ist. Ich: „Annähernd Luftlinie!“ Garmin: „Einmal durch die Rabatte und dann in weiiiiiitem Bogen immer die voll super ausgebaute (nur ganz bisschen stark befahrene) B86 entlang!“ Ich gewinne. Was nebenbei dazu führt, dass ich mehrere Strassengräben durchqueren und eine Leitplanke übersteigen muss. Mit Rad versteht sich. Garmin ist beleidigt und schickt mich zur Strafe eine 45°-Böschung hoch, nicht ohne steif und fest zu behaupten, dass das eine ausgebaute Zufahrt sei:



    Was soll ich sagen, genau aus diesem Grund mag ich das Ding so sehr: der alte Kasten ist immer für ein Abenteuer gut. Das haben Locus und Osmand irgendwie noch nicht so drauf. Als ich dann etwas später am offiziellen Beginn des Karstwanderwegs stehe, bin ich eigentlich reif für eine Pause.



    Strecke machen

    Von dort fräst sich eine planierte Schotterpiste pfeilgerade in den Wald und ich frage mich, ob dieser sogenannte Premiumweg wohl eine weise Entscheidung war. Aber kaum einen Kilometer später geht’s ganz offiziell links ab, und das sieht dann so aus:



    Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf die Rastbank dort zu setzen und einfach nur zu schauen. Mit einem Schlag bin ich total entspannt. Keine Spur mehr von Alltags- Arbeits- oder Sonstwasstress. Bloss noch Sonne. Und Bäume. Und diese absolut unvergleichliche Frühherbstspätsommerstimmung, die einen einfach nur bekloppt macht vor Glück. Ich sage „Aaaaalter.“, grinse breit und bleibe einfach sitzen.

    Irgendwann fahre ich natürlich doch weiter und folge dem Feldweg über sanfte Hügel am Waldrand entlang und durch Wiesen. Gipskarstlandschaft. Sieht so aus:



    Nach einer Weile erinnert mich der Weg daran, dass man hier eigentlich zu Fuss unterwegs sein sollte. Ich überlege kurz, die Stufen zu umfahren, entscheide mich dann aber zum hochtragen. Kann der Weg ja nix für, dass ich hier unbedingt mit dem Rad lang muss.



    Oben werde ich mit einem Blick über eine Bergbauhalde und einem Hügel voller uralter Streuobstbäume belohnt. An denen Äpfel hängen. Viele Äpfel. Was eine längere Pause mit sich bringt. Die hier lasse ich allerdings stehen (die waren einfach zu schön zum pflücken):



    Es geht ein paar Berge runter, durch den Ort Pölsfeld, auf der anderen Seite wieder ein paar Berge hoch. Durch Wald und durch Wiesen. Sauanstrengend und oft so steil, dass mir die Puste ausgeht. Aber immer einfach wunderschön:







    Ich lasse die Wüstung, zwei Burgruinen rechts und ein Dutzend alte Bergbauschächte links liegen. Nur für die Infotafeln halte ich an. Für jede einzelne. Was zwar den Tagesschnitt versaut, aber dafür ganz enorm meinen Wissensstand erhöht. Über Gips. Und Karst. Und Gipskarst natürlich. Vom Bergbau mal ganz abgesehen. Gut, dass ich kein Geologe bin, sonst würde ich wahrscheinlich noch langsamer vorankommen.

    In Wettelrode begehe ich dann eine kleine Sünde: ich lasse sowohl das Bergbaumuseum, als auch den Röhrigschacht einfach stehen und liegen und rausche dran vorbei. Irgendwie ist mir nicht nach Kupferschiefer-Bergbautätigkeit. Um die Wasserkünste komme ich dann aber nicht drumrum, da muss ich nämlich drüber:



    Der Stausee geht mit ca 20 Spaziergängern glatt als Touri-Hotspot durch, was allerdings auch seine angenehmen Seiten hat:



    Wo ausser hier gibt’s denn bitte sehr noch Salatbeilage zur Currywurst?! ;) Aber spätestens hier muss ich mir eingestehn, dass das mit dem flott Vorankommen heute irgendwie nicht so recht geklappt hat. Die Schilder sind Schuld! Und die Sonne natürlich! Und vielleicht ganz bisschen die Berge. Vorsorglich bunkere ich Wasser und mache mich auf den Weg Richtung Mooskammer. Das sollte ja wohl noch drin sein! Dahin kann man ganz bequem die Strasse nehmen, aber glücklicherweise führt auch ein furchtbar holperiger Waldweg nebenher. Der gibt mir dann aber auch den Rest. Als ich endlich die Strasse quere, ist klar: weiter geht’s heut nicht. Wie schön, dass sich direkt vor meiner Nase ein durchaus hübscher Wald erstreckt. Und nach etwas drumrum, kreuzundquer und drunterunddrüber sieht meine Aussicht schliesslich so aus:



    Zwei Meter nebenan baue ich mein Zelt auf...



    ...bloss um Sekundenbruchteile später wieder am Feldrand zu sitzen. Diesmal in Begleitung eines Bechers Rotwein. Die Abendvorstellung ist zugegeben ziemlich kitschig. Ich finde sie einfach absoluter Hammer...

    Zuletzt geändert von eisen; 20.10.2014, 15:13.

  • Katun
    Fuchs
    • 16.07.2013
    • 1555
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    #2
    AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

    Was für’n stilvolles Taschen-Set-up! Bloß ziemlich umfangreich für so einen Currywurst-Ausflug, selbst mit Rotwein-Transport. Badesachen dabei?

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    • codenascher

      Alter Hase
      • 30.06.2009
      • 4977
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      • Meine Reisen

      #3
      AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

      Super geschrieben bisher, vielen Dank!

      Wie Katun schon anmerkte Wunder auch ich mach über jute 80l Packvolumen für ne WE Tour



      gesendet vom Schmatfon

      Bin im Wald, kann sein das ich mich verspäte

      meine Weltkarte

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      • eisen
        Erfahren
        • 03.10.2005
        • 331
        • Privat

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        #4
        AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

        Zitat von codenascher Beitrag anzeigen
        Wie Katun schon anmerkte Wunder auch ich mach über jute 80l Packvolumen für ne WE Tour
        Ahoi, na, da ist natürlich, wie bei jedem anderen, exakt nur das Allernötigste drin! Und zusätzlich noch: jede Menge Luft. Ich finde die Deckeltaschen-Taschen gegenüber den Rolltaschen mittlerweile eine ganze Ecke praktischer (wegen Aussentaschen z.B.), die haben aber einen echten Nachteil: sie lassen sich kaum komprimieren. In dem Punkt vermisse ich meine sneaky Backrollers schon ganz schön. Die Dinger sehen daher auch halb leer trotzdem randvoll aus. Ich könnte das ganze Zeug nun auch in die hinteren Taschen stopfen und mir die vorderen sparen, aber dann mag ich das Fahrverhalten nicht. Und mit so viel Platz kann ich mir dann so Luxus leisten, wie z.b. den Schlafsack nahezu unkomprimiert direkt in eine vordere Tasche zu packen. Auch in der anderen Vordertasche ist bis auf Regenzeug und Isomatte nix drin. Ist also alles halb so wild und die Scherbel lässt sich so noch durchaus entspannt tragen. Und komme mir jetzt bloss keiner mit Bike-Packing.

        Heute Abend gehts weiter.

        Grüsse,
        Eisen

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        • Alprausch84
          Fuchs
          • 12.02.2012
          • 1610
          • Privat

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          #5
          AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

          Ich könnte das ganze Zeug nun auch in die hinteren Taschen stopfen und mir die vorderen sparen, aber dann mag ich das Fahrverhalten nicht. Und mit so viel Platz kann ich mir dann so Luxus leisten, wie z.b. den Schlafsack nahezu unkomprimiert direkt in eine vordere Tasche zu packen. Auch in der anderen Vordertasche ist bis auf Regenzeug und Isomatte nix drin.
          Und die 2 Kg in den Frontrollern beeinflussen das Fahrverhalten sooo stark?

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          • eisen
            Erfahren
            • 03.10.2005
            • 331
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

            Zitat von Alprausch84 Beitrag anzeigen
            Und die 2 Kg in den Frontrollern beeinflussen das Fahrverhalten sooo stark?
            Ja, absolut. Die wären ja sonst auch noch hinten drauf. Ohne erinnert mich die Karre ungefähr an ein neurotisches Fohlen, mit Taschen hats eher was von Panzerfahren. Das finde ich z.b. bei schnellen Abfahrten auf schlechten Waldwegen sehr gut. Die Kiste fährt über Stock und Stein einfach stumpf geradeaus. Auch beim Abstellen: Ständer raus, fertig. Steht überall ohne zum Umkippen zu neigen. Oder versuche mal, nur mit hinteren Taschen freihändig zu fahren. Klappt bei mir null. Ich fahre wirklich viel lieber mit Vordertaschen statt ohne.

            Grüsse, Eisen

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            • Mika Hautamaeki
              Alter Hase
              • 30.05.2007
              • 3979
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

              Hui, das läßt sich ja schonmal sehr gut an. Bitte bald weiterschreiben.
              So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
              A. v. Humboldt.

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              • rippingera
                Gerne im Forum
                • 04.02.2011
                • 53
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                Danke für den tollen Bericht und bitte mehr davon! Das freut so spektakuläre Fotos und Berichte aus der unmittelbaren Umgebung!!

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                • eisen
                  Erfahren
                  • 03.10.2005
                  • 331
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                  Aber heute echt mal Strecke machen oder Das Licht! Das Licht!

                  Welches Licht? Na dieses:



                  Den gestrigen Abend habe ich mit Sonnenuntergang schauen, Abendrot schauen, Abenddämmerung schauen, Nachthimmel schauen und schliesslich Sterne gucken verbracht. Ich nehme mir fest vor, zum Sonnenaufgang wieder vor Ort zu sein und gehe schlafen. Im Morgengrauen weckt mich eine Rotte Wildschweine, die keine 2 Meter vom Zelt vorbeizieht. War doch ganz gut, dass ich mein kleines grünes Zuhause nicht direkt auf den Wildwechsel gestellt habe, obwohl der Platz da etwas besser war. Die Schweinchen interessieren sich für mich so viel wie ich für sie, nämlich gar nicht. Ich dreh mich um und schlafe weiter. Dummerweise verpasse ich so den Sonnenaufgang, macht aber nichts, der kommt ja wieder.
                  Gegen 8:00 mache ich dann doch die Augen auf und erstmal gemütlich Kaffee. Heute muss ich ganz klar etwas Gas geben, wenn ich voran kommen will, weil streckentechnisch war die Tour gestern ein Desaster. Also pelle ich mich für den zweiten Kaffee zumindest schonmal aus dem Schlafsack.
                  Der Wald macht mir einen Schnellstart doppelt schwer, indem die Sonne nun ganz neckisch durchscheint.
                  Wer könnte denn da so kaltherzig sein und einfach brühwarm packen?!
                  Ich stapfe durch den Wald, der hier von 500 Jahre alten Bergbauspuren durchzogen ist, klettere in Grubenkrater, erforsche alte Wassergräben und mache dabei „ooh“ und „uuhh“ und „aahh“ wegen dieses unfassbar schönen Lichts.





                  Als ich dann doch endlich startklar bin, ist es schon halb 11. Hm. Na gut, kann ich ja auf der Strecke wieder rausholen. Bloss, wer soll denn ahnen, dass das Licht heute die ganze Zeit so bleiben wird? Der Weg durch die Mooskammer gestaltet sich schwierig. Rechts und links gibt es Dolinen zu bestaunen und Erdfälle und Ponore und Wasweissichnochalles. Und natürlich jede Menge Infotafeln. Da stört es gar nicht so, dass man streckenweise nur schieben kann, weils manchmal tierisch schlammig ist. Und alles in diesem Herbstlicht, was Caspar David Friedrich schlicht zum Wahnsinn treiben würde:







                  Ganz nüchtern erklärt sieht eine Bachschwinde beispielsweise so aus...



                  ...und in echt dann so:



                  Wo der Buchenwald zu Ende ist (vorzugsweise steil bergab), schliesst sich hügelige Kulturlandschaft an, bloss, um in den nächsten Buchenwald zu münden (vorzugsweise steil bergauf). Infotafeln. Apfelbäume. Aussichten. Pausen. Noch mehr „aahs“ und „oohhs“ und immerzu das Licht.



                  Zugegeben, die Landschaft ist viel weniger spektakulär, als die Harzer Klippen, die Brockenfernsicht, die Schrammsteine oder Thorwalder Wände. Aber trotzdem ist hier so viel zu entdecken, dass man überall Stunden zubringen könnte. Nein, ich habe nicht gekifft, ist wirklich so. ;) Und ganz nebenbei: ausser mir ist hier absolut niemand unterwegs. Bloss ein paar Kletten leisten mir Gesellschaft:



                  Die Abfahrten mit schlammigen Rädern fordern dann doch Tribut. Macht nichts, ich habe Ersatz dabei, wurde sowieso mal Zeit:



                  Wo ist der Weg? Na mittendurch. Ja, das ist der offizielle Weg:





                  Als ich den Anstieg nach Questenberg hochschiebe, steht vor diesem Häuschen eine Frau und starrt mich ganz entgeistert an. Ich sei heute schon der zweite völlig Fremde, der hier vorbeikäme. Also ist hier grad irre was los. Weil ich das Haus so schön finde, werde ich stolz gebeten, die Inneneinrichtung zu bestaunen. Ein kleines Wochenendparadies mit Bett und Küche und allem Drum und Dran. Und nebenher klaubt mir die Dame eine Spinne aus dem Haar. Hab ich vor lauter „aahhs“ und „oohhs“ gar nicht bemerkt. Ich kann mich nur schwer einer Handvoll Äpfel erwehren und ziehe weiter, mal wieder durch den Schlamm:



                  Und dann mache ich einen entscheidenden Fehler. In Questenberg kratze ich meine Bremsen frei und beschliesse dann, mal nachzuschauen, was das Gasthaus „Zur Queste“ so zu bieten hat.



                  Beispielsweise einen Biergarten-Hof und der ist durchaus gut besucht. Ansonsten ists hier keltisch. Statt mich mit einem Bier zu begnügen, ordere ich noch eine Suppe. Die Bedienung (im Keltenkostüm) ist aber überfordert und so warte ich auf meine Keltensuppe über eine Stunde. Soviel zum Strecke machen, hust. Ich entschädige mich dafür mit einem zweiten Bier (auch keltisch irgendwie). Mit einem Schwipps und mittelmässig satt setze ich irgendwann meine Reise fort. Bloss um festzustellen, dass nun ein Aufstieg folgt. Hoch zur Queste. 200m (gefühlt). Über Treppen. Umpf.

                  Einen Augenblick zweifle ich ernsthaft an der fahrradtauglichkeit des Weges. Aber nur kurz. Was muss, dass muss und hier geht’s schliesslich lang. Allerdings frage ich mich, ob ich nicht besser aufs vorsorgliche Auffüllen meiner gesamten 4L Wasservorräte verzichtet hätte. Oder auf die Pulle Wein, die ich im Gashaus noch erstanden habe. Seis drum, hoch da!

                  Hurra, schon 20 Stufen geschafft:



                  Hurra, nur noch 100m:



                  Als ich mich mit meinem bepackten Bock endlich oben aus dem Wald quäle, werde ich schon wieder angestarrt: von einem Pärchen, das mich ganz offensichtlich für vollkommen bescheuert hält. Ich bin sicher: wenn ich statt des Fahrrads ein Blaulicht auf dem Kopf getragen hätte, wäre ihr Urteil auch nicht anders ausgefallen. Nun ja, es gibt Dinge, die lassen sich nicht vermeiden. ;) Und zumindest die Aussicht lohnt sich doch:



                  von dort hinten bin ich gekommen:



                  Der Blick vom Roten Kopf erinnert mich ein klitzekleines Bisschen an den Abschnitt Roner Hütte bis Kreuzwiesenalm vom Sommer. Bloss ohne Berge. Und Almen. Und Almkirchtag. Daher kann's nicht ganz mithalten:



                  An den Klippen der Wurmberge kommt doch tatsächlich etwas Elbsandstein-Stimmung auf, aber in Sachsen gibt es nirgends einen temporären See. Hier geht es entspannt 100m senkrecht runter und wir blicken direkt auf den Grund des Bauerngraben-Sees. Der ist bloss grad nicht da und deshalb sieht man Wiese.



                  Dann folgt eine hübsche steile Abfahrt und das Ende vom Tag. Was nicht heisst, dass ich nicht vorher nochmal Pause machen kann:



                  Von dort muss ich mich um den Hohen Kopf und auf den Kuhberg quälen. Der versteht dann allerdings durchaus mit hübsche Fernsicht aufzuwarten und wird mal flugs zur Endstation gemacht.



                  Nach dem etwas traurigen Questensüppchen gibt es heute zu Omas Linsenschlonze eine echte Neuentdeckung: Veggi-Buletten, die ganz ernsthaft (ich schwöre!) nach Rindfleisch-Burger schmecken. Machen locker ein paar Tage ohne Kühlung mit:



                  Danach lehne ich mich zurück und schau dem Himmel beim dunkler werden zu. In der Ferne rauscht die hektische Welt auf der A38 entlang und bevor es richtig dunkel wird, huscht ein Reh keine 10m vorm Zelt übers Feld.

                  Es folgt Sterne gucken und noch ein Becher Wein. Strecke? Welche Strecke?



                  Perfect Day, ohne Scheiss.

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                  • Pfad-Finder
                    Freak

                    Liebt das Forum
                    • 18.04.2008
                    • 11916
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                    Zitat von eisen Beitrag anzeigen
                    Ahoi, na, da ist natürlich, wie bei jedem anderen, exakt nur das Allernötigste drin!
                    Endlich jemand, der mich versteht!

                    Geiler Bericht übrigens. Der Karstwanderweg kommt definitiv auf die To-Do-Liste. Aber besser zu Fuß, sonst gibt es zuhause ernsthafte "Dissonanzen"
                    Schutzgemeinschaft Grüne Schrankwand - "Wir nehmen nur das Nötigste mit"

                    Kommentar


                    • Prachttaucher
                      Freak

                      Liebt das Forum
                      • 21.01.2008
                      • 11905
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                      Sind auch sehr schöne Bilder dabei und tatsächlich gab´s auch etwas Matsch. Meine Hose war letzten November so eingesaut, daß ich im Zug die Regenhose anziehen mußte.

                      Die Tafeln sind ja schon etwas speziell, vielleicht für einen Geologie-Studenten ganz nett.

                      Zitat von Pfad-Finder Beitrag anzeigen
                      ...Der Karstwanderweg kommt definitiv auf die To-Do-Liste. Aber besser zu Fuß...
                      Kann ich sehr empfehlen.

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                      • Christian J.
                        Lebt im Forum
                        • 01.06.2002
                        • 9244
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                        Sehr geiler Bericht! Da hattest Du ja echt eine tolle Tour- und die Fotos sind auch traumhaft.
                        Lass Dich nicht von den UL_Masochisten ärgern: Ich kann Dein Luxusbedüfnis unterwegs voll verstehen.

                        Ich bin auch schon mal Teile des Südharzer Karstwanderwegs mit dem Mountainbike gefahren: eine echt schöne Ecke. Allerdings habe ich den Fehler gemacht, im März nach einem schneereichen Winter zu starten. Und jetzt weiß ich, was "schwerer Lehm" ist. Habe wesentliche Teile des Weges geschoben (wirklich...habe eine Wochenendtour zu 70% geschoben- teilweise habe ich auch die blockierten Räder über den Schlamm geschleift)







                        "Er hat die Finsternis der Latrinen ertragen, weil in der Scheiße nach Mitternacht sich manchmal die Sterne spiegelten"
                        Durs Grünbein über den Menschen

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                        • Polte
                          Fuchs
                          • 23.04.2012
                          • 1538
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                          Danke für den sehr schön geschriebenen Bericht. Immer wieder amüsant wie man sich doch eine Tour vornimmt und wie sie dann verläuft. Schonmal jemand im Winter auf dem Weg unterwegs gewesen?

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                          • peter-hoehle
                            Lebt im Forum
                            • 18.01.2008
                            • 5175
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                            Danke für den schön kurzweiligen Bericht.

                            Zitat von Pfad-Finder Beitrag anzeigen
                            ...Der Karstwanderweg kommt definitiv auf die To-Do-Liste. Aber besser zu Fuß...
                            Die GPX-Dateien habe ich mir auch schon runtergeladen.
                            Also muss der Weg nur noch gegangen werden.
                            Die letzten zwei Drittel kann man ja als Rundweg machen.

                            Gruß Peter
                            Wir reis(t)en um die Welt, und verleb(t)en unser Geld.
                            Wer sich auf Patagonien einlässt, muss mit Allem rechnen, auch mit dem Schönsten.

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                            • eisen
                              Erfahren
                              • 03.10.2005
                              • 331
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                              Zitat von peter-hoehle Beitrag anzeigen
                              Die letzten zwei Drittel kann man ja als Rundweg machen.

                              Gruß Peter
                              Ahoi Leute,

                              danke fürs Lob! Peter, genau das hatte ich mir auch gedacht, nämlich nach der Schleife wieder in Nordhausen zu enden. Naja, das war ein gaaaaanz klitzekleines Bisschen zu ambitioniert.

                              Wobei es bei mir mit Schlamm bei weitem nicht so krass war, wie bei Christian. Ich würde eher sagen, max 30% schieben. Mit den dünnen Reifchen war das schon ok und oft waren auch einfach die Berge schuld. Oder etwa doch meine mangelnde Puste? Die Tafeln werden optisch übrigens besser, je weiter man nach Westen kommt. Ich glaube, das liegt im vorderen Teil einfach daran, dass es die ältesten sind.

                              Morgen schaff ich hoffentlich den letzten Teil.


                              Grüsse,
                              Eisen

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                              • Lookas
                                Erfahren
                                • 01.11.2011
                                • 129
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                                Zitat von eisen Beitrag anzeigen
                                Perfect Day, ohne Scheiss.
                                Absolut. Wahnsinn! Und das Licht! Ich bin grad voll geflasht.
                                Das muss das Boot abkönnen!

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                                • Prachttaucher
                                  Freak

                                  Liebt das Forum
                                  • 21.01.2008
                                  • 11905
                                  • Privat

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                                  #17
                                  AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                                  Zitat von Polte Beitrag anzeigen
                                  ...Schonmal jemand im Winter auf dem Weg unterwegs gewesen?
                                  3 Tage Ende November 2013 und 2 Tage Mitte Januar 2014. Bei ersterem Termin hatte ich teilweise dicke Schlammwege die morgens noch festgefroren waren und dann aber bald unter einem nachgaben. Bei zweitem Termin war damals kein Winter.

                                  Spricht ja absolut nichts dagegen. In der Lage ist ja nicht mit großen Schneehöhen zu rechnen.

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                                  • eisen
                                    Erfahren
                                    • 03.10.2005
                                    • 331
                                    • Privat

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                                    #18
                                    AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                                    Zitat von Lookas Beitrag anzeigen
                                    Absolut. Wahnsinn! Und das Licht! Ich bin grad voll geflasht.
                                    Meine Rede!

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                                    • eisen
                                      Erfahren
                                      • 03.10.2005
                                      • 331
                                      • Privat

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                                      #19
                                      AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                                      Menschen ohne Namen

                                      Das schöne am Südhang ist, das man von da den Sonnenaufgang in ganzer Pracht bestaunen kann. Nützt bloss wenig, wenn man dabei die Augen zu hat. Soll heissen: das hab ich schon wieder verpennt. Glücklicherweise scheint die Sonne trotzdem. Was auch nötig ist, das Zelt ist tropfnass vom Tau, ebenso die Wiese. Aber schön siehts aus (die Wiese):





                                      Während Nordhausen im Tal in dichtem Morgennebel liegt, hole ich mir beim Frühstück fast einen Sonnenbrand. Bis ich endlich aufbreche, ist es, man ahnt es: halb 11. Keine 500m von meinem Zeltplatz entdecke ich den perfekten Zelt-Spot und pflücke schnell noch ein paar Äpfel.



                                      Und sogar Blumen gibt es hier:



                                      Das mystische Licht von gestern ist verschwunden, aber dafür ist das Wetter fast sommerlich heiss. Mittlerweile habe ich etappentechnisch allen Skrupel verloren und jede zweite Bank wird zum Beine baumeln in der Sonne benutzt. Von den Dingern gibt es reichlich und alle sind brandneu. Das Biosphärenreservat hat sich wohl schonmal für die UNESCO-Anerkennung hübsch gemacht:



                                      Dabei brauchs das gar nicht, ich bin auch ganz ohne Biostempel landschaftlich weiterhin hochgradig angetan:







                                      Negativ fällt mir nur die Pulvermühle hinter Uftrungen auf, die ganz überflüssig Privatbesitz deklariert und noch dazu im Garten tonnenweise Plastikmüll verbrennt.



                                      Nach einer kleinen Schiebesession über ein paar glitschige Stege erreiche ich die Heimkehle. Eine gigantische Gipshöhle, das muss ich mir natürlich von Innen ansehen! Was allerdings laut Anschlag erst eine ¾ Stunde später möglich ist. Irgendwann lugt eine Dame aus dem Kassenhaus und erklärt, dass unter 5 Leuten hier mal leider gar nichts läuft. Hm, fehlen nur noch 4. Weder im benachbarten Restaurant, noch auf dem Parkplatz ist viel los, also drücke ich mich eine Weile rum und gönne mir ein Eis. Irgendwann hat die Kassendame ein Herz und bietet an, dass ich in der Zwischenzeit den Info-Vorraum besichtigen kann. Juhu, na, dann los!



                                      Und als ich 10min später plötzlich in finsterster Dunkelheit stehe, ist klar, dass ein 5er-Grüppchen zusammen ist. Denn das war das vereinbarte Lichtsignal. So betrete ich mit stylischem Grubenhelm, einer Familie und ein paar Bikern die Höhle. Die Kassendame hat sich wie durch Zauberhand in unsere Führerin verwandelt und erklärt, was es so zu sehen gibt. Einen See zum Beispiel:



                                      Allerdings: von der Führung bin ich sehr sehr zwiegespalten. Was nicht an der Dame liegt, sondern an der Heimkehle selbst. Ihre Geschichte ist dunkel:


                                      KZ-Außenlager Rottleberode



                                      Isenschnibber Feldscheune, Mörder Gerhard Thiele

                                      Nicht nur von diesen Dingen erzählt die Führerin. Aber ich muss zugeben: wenn ich an die Menschen denke, die hier zerschunden wurden, bleibt für mich wenig Raum für Vorher und Nachher. Die Licht- und Toninstallation erscheint mir ebenso unpassend, wie ein jährliches Lichterfest oder das pathetische Heldendenkmal im Sowjet-Stil, das ohne Namen auskommt:



                                      Das ist, was mir auffällt: Kein einziger Opfername steht hier irgendwo.



                                      Als ich aus der Höhle in die Sonne trete, ist mir hundekalt. Die sonntäglichen Spaziergänger am Restaurant erscheinen mir wie Komparsen in einem surrealen Film. Ich sehe zu, dass ich Leine ziehe.

                                      Direkt hinter der Heimkehle geht es über Stufen nach oben. Und danach wird es schlammig. Genug Gelegenheit, sich aufzuwärmen und auch, um ins Jetzt zurückzufinden. Ich mache einen nicht ganz vorgesehenen Abstecher zu einem Knaufschen Gipsbergbau. Weil Sonntag ist, werde ich nicht weggescheucht:



                                      Die Knauffsche Kalkhütte lasse ich dagegen unbeachtet, wirkt mir irgendwie zu fein. Bis ich nach Steigerthal gelange, gilt es noch einige schöne Buchenwälder und schnuckelige Schlammpassagen zu durchqueren (Beispielbilder siehe weiter oben). Das Dörfchen selbst hat zwar eine grosse Feuerwehr, aber leider keinen Gastbetrieb, der ist nämlich dicht. Da ich ja schon wieder langsam Wasser brauche, muss ich mit dem Friedhof improvisieren. Was ganz vorzüglich funktioniert:



                                      Und ab hier begebe ich mich auch langsam auf Schlafplatzsuche. Es dauert noch ein Weilchen, weil ich bin ja wählerisch und schliesslich lande ich dann hier:




                                      Am Ende wohne ich unter einem Haselbusch mit zugehöriger Haselmaus. Die bekommt für meine Ruhestörung eine halbe Scheibe Brot und scheint mit diesem Handel einverstanden. Für mich gibt’s Bolognesenudeln, gepimpt mit Zwiebel, Knoblauch und Oliven (schwarz). Wein dazu, ist eh klar.



                                      An diesem Abend mache ich mir zum ersten mal Gedanken über die weitere Strecke. Mein Zug geht Dienstagmorgen von Nordhausen, wohin ich eigentlich von Westen kommend zurückfahren wollte. Ahem, naja. das klappte ja irgendwie nicht recht. Also komme ich von Osten. Aber was, bitte, mache ich mit dem halben morgigen Tag? Ein Plan muss her, und zwar sogleich! Aber das hatten wir ja schon.

                                      Ich beschliesse, am Montag nur die letzten Kilometer nach Nordhausen zu fahren und Rest des Tages
                                      die Gedenkstätte Mittelbau-Dora zu besichtigen. Dort dann irgendwo zu Zelten und am Dienstag zum Bahnhof zu fahren. Ok, Plan für gut befunden und somit Planung abgeschlossen.





                                      Montags Ruhetag

                                      Was natürlich heisst, dass ich keinen Augenblick vor halb 11 zum Aufbruch komme.











                                      Als ich kurz nach der letzten Streuobstwiese (und noch mehr Pflaumen) an einer gigantischen Eiche vorbei hinab nach Nordhausen rolle, frage ich mich kurz, ob mein toller Plan nicht evtl ein kleines Leck hat. Und während ich dann im Lärm der B4 stehe, bringt ein beherzter Griff zum Smartfone Klarheit. Weil heute Montag ist, hat die Gedenkstätte, wie ziemlich jedes Museum, leider zu. Ahhrgh! Verdammt! Wie konnte ich das nur vergessen!

                                      Tja. Auto um Auto und Lkw um Lkw donnern an mir vorbei und mir wird langsam klar: ein Plan muss her!
                                      Zuletzt geändert von eisen; 21.10.2014, 01:08.

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                                      • Prachttaucher
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                                        Liebt das Forum
                                        • 21.01.2008
                                        • 11905
                                        • Privat

                                        • Meine Reisen

                                        #20
                                        AW: [DE] Hexenstieg? Schnickschnack! Der Karstwanderweg

                                        Jetzt auch richtig gelesen. Wirklich sehr schön geschrieben. In den Bildern kommt die Schönheit der Region gut rüber. Das mit der Queste vergaß ich zu erwähnen, da ging´s ja schon gut hoch. Und bei der Heimkehle auch irgendwie. Ich hatte es geschafft meine Karte dort hängen zu lassen (bei der Salmiaktorte) und mußte dann nochmal 2 km zurück. Für die Höhle hätte ich über eine Stunde warten müssen.

                                        Teilweise empfand ich die Konfrontation mit der dunklen deutschen Vergangenheit schon heftig - man läuft bei herrlichster Sonne durch die schöne Landschaft und liest dann plötzlich, was genau hier früher war...

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