[NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

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    [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

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    Ich stehe an der Brücke, die Deutschland und die Niederlande voneinander trennt. Genauer: In Bad Nieuweschans.





    Mein Ziel ist es, den Nordseeküstenradweg bis Hoek van Holland zu fahren und dann nach England überzusetzen. Insgesamt habe ich drei Wochen Urlaub, von denen ich schon zwei Tage auf dem deutschen Nordseeküstenradweg für die Anreise verbraucht habe. Da ich nicht einschätzen kann, wie schnell ich bin, ist es mein Minimalziel, Harwich zu erreichen und entweder dort in der Umgebung ein wenig zu radeln oder den Nordseeküstenradweg nach Norden zu fahren. Mein Traumziel wäre natürlich, Newcastle zu erreichen und über Amsterdam zurück nach Hause zu fahren. Ist die Ostküste Englands flach? Ich bezweifle es. Genau informiert habe ich mich wie üblich nicht. Sonst fahre ich womöglich nicht los. Mit Steigungen komme ich nämlich schon seit Kindheitstagen nur schwer klar. Schauen wir mal.

    Da ich aber – wie bereits erwähnt - nicht erst seit heute unterwegs bin, ist ein kurzer Rückblick angebracht.


    Was bisher geschah:

    Am 30.08.2014, also vor zwei Tagen hatte ich in Norddeich meine Tour gestartet, die mich bis nach England führen soll. Berichtet habe ich davon bereits an anderer Stelle, nämlich hier: https://www.outdoorseiten.net/forum/...=1#post1337594.

    Die Wahl auf den Nordseeküstenradweg fiel, da wir dieses Jahr im Norden einen hervorragenden Sommer hatten, was man von den südlichen Ländern nicht behaupten konnte. Und nachdem ich nun Deutschland in den letzten Jahren in Teiletappen bis auf das kleine Stück Niebüll-Dänemark komplett abgefahren bin, wurde ich neugierig, wie der Weg in den angrenzenden Ländern nun weitergeht.

    Unterwegs bin ich mit meinem gelben Fahrrad, das für den harten Einsatz gebaut ist. Leider hatte es gestern den einen harten Fall nicht ganz verkraftet, als es vom Hauptständer fiel und das linke Pedal auf Betonplatten knallte. Der Kurbelblock hatte sich daraufhin nach rechts verschoben.





    Mit diesem Defekt war ich noch ca. 20 km gefahren und hatte das Problem mit einem Gummihammer zu lösen versucht. Das gelang nicht ganz, denn heute morgen hatte sich der Block wieder etwas herausgedreht und das Spannen der Kette lief auch nicht ganz nach Wunsch.

    Meine Packsystem ist eine Mischung aus Bikepackingsetup und hinten angebrachten Frontroller. Dadurch sieht das Fahrrad sehr voll bepackt aus, aber das täuscht, denn es ist mehr Volumen als Gewicht. Ich kann das Fahrrad mit Gepäck immer noch gut anheben, was für mich das wichtigste Kriterium ist.
    Ausrüstungstechnisch bin ich auf alle Witterungsbedingungen von Sommer bis Dauerregen bis Vorwinter eingestellt. Ich habe ein ausreichend großes Zelt dabei, in dem man bei dem zu erwartenden englischen Regen gut abwettern kann und zwei Schlafsäcke: Einen dünnen Daunenschlafsack und als Overbäg einen dünnen Kufa-Schlafsack. Gemeinsam wiegen sie soviel wie ein ausreichend dimensionierter Daunenschlafsack und das Packmaß ist ebenfalls gleich. Bei der zu erwartenden Feuchtigkeit ist mir Daune alleine zu heikel. Die Entscheidung ist richtig.


    Bisherige Etappen dieser Urlaubsreise:

    Norddeich Mole – Wirdum 37,4 km

    Wirdum – Bingum 98 km

    Bingum – Bad Nieuweschans, ca. 22 km



    Grundlage meiner Navigation wird in den Niederlanden eine Straßenkarte sein, die ich 2002 für eine Motorradtour erworben hatte und im Kartenschrank gefunden hatte. Die wichtigsten Campingplätze sind eingezeichnet. Die Route habe ich andeutungsweise eingezeichnet, wie ich sie auf der Karte der Website der North Sea Cycle Route gefunden hatte. Ob meine Informationen verlässlich sind, weiß ich nicht. Die website hatte eine Überarbeitung für August 2014 angekündigt, doch war diese bisher nicht erfolgt. Für England habe ich zwei neue Karten besorgt und auch hier die ungefähre Routenführung der website eingezeichnet. Ungefähr deshalb, weil der Nordseeküstenradweg Straßen folgt, die auf der Karte nicht abgebildet sind.

    Zur Sicherheit habe ich mein GPS Gerät mit. In Deutschland hatte ich sowohl die Radkarte mit eingezeichnetem Weg, als auch die Ausweisung von Radwegen auf einer topographischen Karte zur Verfügung. Das entfällt nun, da ich nur die Straßenkarte Europa im Navi mitführe. Sein Zweck ist, mir meine ungefähre Position anzuzeigen, mich notfalls in die nächste Stadt zu routen und mir Übernachtungsmöglichkeiten anzuzeigen. Einen GPS Track von einer Open Street Maps habe ich bewusst nicht heruntergeladen. Ich will den Schildern folgen.
    Ein Smartphone habe ich zwar dabei, möchte aber darauf verzichten. Ich will bewusst ohne die Hilfe des Internets unterwegs sein. Ich bin gespannt, ob das noch funktioniert.

    Meine Erfahrungen mit Holland beschränken sich auf die Durchreise zur Fähre nach England, ein paar Besuche in Amsterdam, einen Besuch bei Karsten Tenten und ein lange zurückliegendes Wochenende in Scheveningen, um eine Beziehung zu retten, die nicht zu retten war. In England war ich bereits öfter, allerdings entweder an der Westküste, in Wales oder im Lake District. Die Ostküste kenne ich bis auf die Hafenstädte Newcastle upon Tyne und Harwich nicht.
    Zuletzt geändert von Torres; 22.09.2014, 18:51.
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    #2
    AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

    Fahrradsorgen.

    Mo, 01.09.2014
    Bad Nieuweschanz – Appingedam, 48,4 km (Gesamttagesleistung 70,4 km)


    Kaum habe ich die Brücke nach Holland überquert, fällt mir auch schon die unterschiedliche Beschilderung auf. Ich folge nun der Waddenzeeroute und da ich von Norden nach Süden fahre, ist für mich die Beschilderung LF 10b relevant.





    Käme ich aus der Gegenrichtung, wäre LF 10a für mich ausschlaggeben. Eine simple und effektive Form der Markierung, die jeden Zweifel über die richtige Richtung überflüssig macht. Auch die Übersichtstafel ist hilfreich und später werden an bestimmten Punkten Überblickskarten an der Straße hinzukommen, die zeigen, wo man sich befindet. Ganz Holland ist radwegtechnisch in derartige, miteinander verbundene Knotenpunkte untergliedert. Besser geht es nicht. Ein Kompliment an die Radwegplaner. Der Nordseeküstenradweg ist auf den Schautafeln allerdings nicht explizit eingezeichnet. Abkürzen ist daher nicht möglich.

    Ich biege in den Ort ein, gleich am Anfang ist ein Campingplatz. Dann geht es durch Wohnstraßen Richtung Ortsausgang.





    Es ist still hier. Merkwürdig, in einem Land zu sein, dessen Sprache ich lesen, aber nicht sprechen und schon gar nicht verstehen kann. Ein deutsches Paar mit Fahrrädern sucht auf der Karte den Weg nach Bunte, und ich erkläre ihnen den Weg.

    Dann bin ich auch schon auf dem Radweg einer Landstraße. Die Autos zischen vorbei und ich merke, dass meine Bemühungen, die Kette zu lockern, erfolglos waren. Sie steht immer noch unter unglaublicher Spannung. Also packe ich wieder mein Werkzeug aus und versuche, sie zu lockern. Ein Auto hupt. Sehr hilfreich. Der Wind weht unvermindert stark und pfeift mir um die Ohren.

    Ich radele weiter und stelle fest: Hier ist es wirklich ziemlich flach.











    Zwar hat man auch hier immer wieder mal das Gefühl, dass die Straße ein bisschen ansteigt. Aber alles drumherum ist flach. Kaum Bäume, nur Felder. Riesige Felder. Und einen Wind aus westlicher Richtung, der gnadenlos bremst.
    Die Wolken hängen tief und zwischendrin regnet es. Bei dritten Mal lerne ich, dass es sich nicht lohnt, den Regenponcho anzuziehen. Der Wind treibt die Wolken fort.

    Jeder Ort, jede Ansiedlung ist eine Abwechslung.





    Vor allem bieten die Höfe für eine kurze Zeit Windschutz, den ich dankbar annehme.





    Nicht, dass es viel Wind wäre. Ich messe 16 km/h, in Böen stärker, das ist eigentlich nicht viel. Aber hier ist wirklich nichts, aber auch gar nichts, was den Wind in irgendeiner Form abhalten könnte. Außer der Häuser und ihrer Bäume, natürlich. Ein riesiger Traktor überholt mich. Am Steuer sitzt eine junge Frau.

    Nach einiger Zeit verfestigt sich in mir der Gedanke, dass ich weder als Radrennfahrer noch als Fernreiseradler geeignet bin. Ich stelle mir vor, ich müsste 3000 km auf irgendeiner Straße am Ende der Welt immer geradeaus radeln. Ich würde kollabieren. Und wären die Berge und Ausblicke an der Straße noch so schön. Nein, ich könnte das nicht. Dafür muss man gemacht sein.
    Dann überlege ich, ob es Holländer waren, welche die schnurgeraden Straßen in amerikanischen Städten gebaut haben? Bestimmt. Unsere Deiche haben sie ja auch gebaut und das Land zurückgewonnen. Die Straßen hier wirken wie mit dem Lineal gezogen. Puh.

    Nicht nachdenken. Weiterradeln. Wind, Wind, Wind.





    Ein kleiner Fluss oder ist es ein Kanal? Abwechslung.





    Die Brücke fasziniert mich aufgrund der Verzierung mit einem Graureiher. Kaum zücke ich die Kamera, fliegt die Verzierung weg. Das scheint heute nicht mein Tag zu sein.





    Nicht das Meer wartet hinter den Toren, sondern der nächste Polder.





    Und so sehen die Knotenpunkte mit dazugehöriger Karte aus. Vorbildlich. Das holländische Wort für Fahrrad ist übrigens Fiets und Fietspaden ist der Fahrradweg.





    An einer Bank mache ich erschöpft Rast. Die Kette ist wieder zum Zerreißen gespannt, und ich justiere sie neu. Mit einem kaputten Fahrrad in Urlaub fahren. Bestens. Immerhin bin ich Holland und so beunruhigt mich das erstaunlicherweise nur wenig. Ich werde bestimmt eine Werkstatt finden. In England wäre ich mir da nicht so sicher.





    Ich umarme mein Fahrrad und ich mache kurz die Augen zu, um in der Sonne zu dösen. Ein Motorradfahrer fährt vorbei. Müde bin ich, kein Zweifel. Ein Schmetterling umschwärmt die Blumen, und ich versuche Fotos zu machen. So richtig habe ich die Einstellungen noch nicht raus, die meisten werden unscharf.








    Ein paar Rennradler rauschen vorbei und eine Heizdose. Superbike. Das Geräusch dröhnt in meinen Ohren. Geradeausfahren. Das kann man hier. Ich steige wieder auf mein Fahrrad.

    Ein Liegeradfahrer. Und Rückenwind hat er auch.





    Zur Abwechslung ein Ort, Termunten. Hier befindet sich auch ein Campingplatz, doch campen wäre mir zu früh. Dann stimmen die Abstände zu den nächsten Plätzen nicht mehr.





    Ein Mann mit Fahrrad (Hollandrad) fährt vor mir her und ich sehe zum ersten Mal die Kombination Hollandrad und holländische Packtaschen. Quadratisch. Praktisch. Spießig. Der Gesamteindruck könnte von Loriot sein. Aber ich fotografiere ihn nicht, er würde es bemerken. Einen kleinen Hafen gibt es im angrenzenden Ortsteil auch, aber ihn extra zu fotografieren, habe ich keine Lust.






    Die Urlaubssaison scheint vorbei. Es ist kalt und leer. Der Wind weht weiterhin. Die Imbissbuden sind geschlossen. Eine Frau führt ihren Hund spazieren und ich grüße. Sie grüßt zurück. Dennoch kein Grund, sich hier länger aufzuhalten.





    Ich folge den Schildern, doch anscheinend interpretiere ich sie falsch, denn ich fahre zum Parkplatz hinunter und finde am Ende nur kleine, nichtausgeschilderte Wege. Das ist untypisch. Vermutlich sind es Wanderwege.





    Ich drehe dennoch nicht um, sondern genieße die Abwechslung und die Tatsache, mich mal kurz verbergen zu können.


    Kurz darauf finde ich den Radweg, er verlief parallel am Deich.





    Delfzijl kommt in mein Blickfeld und ich ahne, dass schön etwas anderes ist. Steine stehen auf dem Deich, vielleicht ist das Kunst. Die hölzernen Radständer gehören nicht dazu.





    Zwei Jungen flitzen auf ihrem Fahrrad den Deich herunter und mir schwant: Was den Finnen die Skier sind den Holländern die Räder. Der Eindruck wird sich verfestigen.

    Der Weg nach Delfzijl führt über einen Industriehafen. Ich fahre auf dem Radweg, doch es ist laut und viele LKW sind unterwegs. Ich lasse einen vor, und er ist sehr dankbar darüber, wird aber gleich darauf durch einen Klappbrücke gestoppt.





    Überhaupt die Klappbrücken. Man muss sich daran gewöhnen, es sind viele. Erstaunlich, mit welcher Ruhe die Holländern dies hinnehmen. Und erstaunlich, wie wenig aggressiv die Radfahrer hier sind. Liegt es wirklich nur am Platz? Oder am Fahrrad? Oder an der Tatsache, dass hier die Provinz ist? Kampfradler mit alpintauglichen MTBs, die um jeden Vorteil bedacht sind, sehe ich im Stadtverkehr auf jeden Fall keine.








    Der Radweg führt mich am Kern von Delfzijl, der Fußgängerzone, vorbei, aber das, was ich an Innenstadt sehe, ist auch nicht sehenswert. Die Stadt wirkt hässlich und grau. Die wirtschaftliche Lage scheint nicht sehr gut zu sein. Der Campingplatz liegt 5 km entfernt am Radweg am Deich und so mühe mich mit Radampeln ab, die den Übergang in Teilschritten planen.
    Auf dem Deich steht ein Hotel mit Meerblick, das meinem Eindruck nach schon erheblich bessere Zeiten gesehen hat. Mich schaudert. Mehrere Gäste sind dennoch mit Koffern auf dem Weg hinein, sie sind im fortgeschrittenen Alter.

    Die Stimmung macht hier mich nachdenklich. Wenn ich erst einmal auf dem Campingplatz bin, werde ich bestimmt keine Lust mehr haben, zurück zufahren. Das Fahrrad hat aber oberste Priorität, sonst komme ich nie nach England. Ich wende und mache mich auf in die fahrradfreie Fußgängerzone. Eine Frau erklärt mir auf englisch, wo ich den Radhändler finde, und ich radele los. Schieben ist mir jetzt einfach zu viel, ich bin immer noch müde. Notfalls mache ich einen auf Ausländer.

    Der Radhändler hat geschlossen. Montags ist Ruhetag. Fein. Im Laden stehen ausschließlich Hollandräder und auch eher die einfachen Modelle. Keine Mountainbikes. Hoffentlich kennt der sich überhaupt aus. Ein arbeitslos wirkender Mann auf einer Bank winkt mich herbei und fragt, was ich für ein Problem hätte. Er erklärt mir, dass der Händler dennoch da sein könnte. Ich schaue noch mal nach. Nein, da ist niemand. Der wohnt dort, erfahre ich. Da ist die Klingel. Ich klingele. Nichts.

    Von hinten kommt ein Rennradler in Trikot und steuert auf die Tür zu. Ich frage, ob er der Radhändler ist, und er sagt nur: Tomorrow. Das ist mir klar, ich will nur wissen, ob er mit dem System etwas anfangen kann, aber das interessiert ihn alles nicht. Genervt sagt er: Tomorrow und verschwindet im Haus. Weg ist er.
    Nun habe ich ja volles Verständnis dafür, wenn jemand seinen Ruhetag genießen will und nicht von jedem angelabert werden will. Aber wenn da jemand mit vollem Reisegepäck steht, ist das eigentlich keine Standardsituation. Kurz und gut: Ich bin etwas sauer.

    Der Mann auf der Bank winkt mich wieder herbei. In Appingedam, im Nachbarort gibt es noch einen Radhändler. Da soll ich es mal probieren. Ich schaue auf meine Karte. Nein, das ist mir zu weit. Er grinst durch seine Zahnlücken und meint: Ich kenne noch jemanden! Er gibt mir eine andere Adresse. Ich solle es dort versuchen.
    Ich bedanke mich und schiebe das Rad ein paar Meter, um noch einmal meine Werkstatt anzurufen: Wie funktioniert das System, was könnte kaputt sein, muss man eventuell den ganzen Block austauschen. Keine Lust, mich von dem Blödmann von Radhändler auch noch über´s Ohr hauen zu lassen. Am Telefon ist diesmal nicht mein normaler Ansprechpartner, sondern einer aus der Werkstatt. Ich erkläre, worum es geht und er meint im Brustton der Empörung: „Ach ja, davon habe ich gehört. Das weiß ich nicht, das müsste ich mir anschauen. Du hast da mit dem Hammer drauf gehauen!!! Keine Ahnung, was da kaputt ist und wie das aussieht.“ Uiuiui. Da war aber jemand in seiner Mechanikerehre getroffen. Manche Leute sind echt sensibel.

    Ich route mich per GPS zu der anderen Adresse. Es ist ein Wohngebiet. Ein älterer Herr mit Enkelin, beide natürlich auf dem Fahrrad, sieht, dass ich etwas suche und spricht mich an. Wir finden die richtige Straße gemeinsam und suchen die Klingel zur Werkstatt. Eine andere Frau kommt zufällig vorbei und weiß, wie man den Herren findet. Nach kurzer Zeit sind wir zu fünft, denn die Frau des Herren gesellt sich hinzu. Ihr Mann ist leider nicht da, aber ein Spezialfahrrad ist nicht sein Metier. So unterhalten wir uns alle sehr nett, und ich erzähle, dass ich campen will. Der Campingplatz ist zu, schon seit Jahren, erklärt man mir und guckt mich mitleidig an. Mein Glückstag heute, ich wusste es.
    Aber es gibt ein neues B&B. Man schickt mich in die richtige Richtung. Die Gruppe löst sich auf.

    An der nächsten Ecke checke ich noch einmal mein Navi. Es gibt einen Campingplatz in Ekenstein, aber das sind 7 km. Oder waren es sogar 11? Zu weit, finde ich, ich mag nicht mehr, zumal ich morgen zum Radhändler muss. Da will ich in der Nähe wohnen.
    An der Ecke sehe ich eine Pension. Der Besitzer steht vor der Tür und ich frage, was ein Zimmer kostet. 26 Euro. „Okay“, sage ich, „nehme ich“. „Aber wir sind ausgebucht“, sagt er bedauernd. Mist. Ich frage nach Ekenstein. Ist das ein schöner Platz? „Liegt im Wald“, sagt der Mann und zuckt die Schultern. Das neue B&B soll teuer sein. Er beschreibt mir ein Hotel hinter dem Bahnhof, das günstiger ist.

    Kurz fahre ich in die Richtung und dann wende ich. Keine Lust auf irgendeine billige Absteige. Ekenstein klingt nett. Auf geht es.
    Ich route mich durch Delfzijl, es ist viel Verkehr, aber es gibt ja Radwege. Dann erreiche ich Appingedam. Und schon am Ortsschild weiß ich: Die Entscheidung war goldrichtig. Es riecht nach Sommer und Landluft.





    Appingedam ist traumschön.





    Venedig fällt mir ein. Im positiven Sinne. Das Wasser, kleine Brücken. Der fietspad führt direkt am Wasser entlang.








    Als der Ort zu Ende ist, geht es an einer Landstraße weiter. Ein Stand mit Gemüse taucht auf. Hoffentlich ist es nicht mehr so weit.
    Und dann bin ich da. Ein unauffälliger Platz. Eine kleine Rezeption. Bäume. Buchten für Wohnmobile, aber auch ein Familienzelt. Ich parke mein Fahrrad.





    Ein junger Mann ist zu sehen, und ich frage nach der Rezeption. Er ist die Rezeption. 7,20 Euro zahle ich und erkläre ihm, dass ich morgen nach Delfzijl muss, um das Fahrrad in die Reparatur zu bringen. Kann sein, dass ich noch einen Tag bleiben muss oder später abbaue. Kein Problem. Übrigens. Wir haben hier einen sehr guten Radhändler in Appingedam, Du musst nicht nach Delfzijl. Das ist der beste in der Gegend. Ja, MTBs hat er auch. Er erklärt mir auf dem Plan, wie ich dort hinkomme. Sollte ich Glück haben?

    Er zeigt mir die Zeltbereiche, und ich entscheide mich, mich einfach zentral mitten auf die Kuppe des Zelthügels zu stellen. Der Boden ist klitschnass, es hat viel geregnet, und ich will weder sonnenlos zwischen den feuchten Bäumen noch regengefährdet in der Senke stehen.





    70,4 km bin ich heute gefahren, das ist eigentlich nicht viel, aber mir reicht es vollkommen. Schnell baue ich mein Zelt auf. Sorgfältig das Innenzelt einhängen. Irgendetwas klemmt und das Bodenband hat zuviel Spiel. Aber irgendwie zubbelt es sich zurecht. Ich mache das ja alles nur, "weil es einfach ist."

    Dann geht es unter die Dusche. Herrlich. Ein kleiner Junge, 5 Jahre, steht mit seinem Vater am Spülbecken und der Vater ermahnt ihn, in den Sanis kein Fußball zu spielen. Er macht es dennoch, und ich schaue ihn ganz böse an. Er versteht den Spaß sofort und versteckt sich unter einem Waschbecken. Die Familie ist aus Deutschland.

    Ich esse den Rest meiner Brötchen vor dem Zelt, zum Kochen habe ich keine Lust. Ich bin gerade fertig, als er neugierig zu mir kommt, den Ball wieder unter dem Arm. „Ich spiele jetzt Fußball“, sagt er und lacht. Kurz darauf sind auch seine älteren Schwestern da. Sie entschuldigen sich, dass er mich stört. Aber er stört doch gar nicht, und das sage ich auch. Ich erfahre, dass am Ende des Platzes ein Pony steht und in einem Gehege Rehe sind.
    Ich frage die Älteste, 11 Jahre, wo sie herkommen und sofort leiert sie ihre gesamte Adresse herunter. Ich schaue sie groß an und erkläre ihr, dass sie niemals Fremden ihre ausführliche Adresse sagen sollte. Sie wüsste doch gar nicht, ob ich ein netter Mensch bin. Der Ort reicht völlig. Die Kleinere, 8 Jahre, nickt verständnisvoll: „Bei uns im Ort war auch ein böser Mensch. Das war ein Mann, der hat sich ein Mädchen genommen, es vergewaltigt und dann gebraucht ins Gebüsch geworfen. Das liegt jetzt im Koma“. Ich schlucke. Kindheit in einer Medienwelt.

    Die Große, A., nimmt nun dem Kleinen den Ball weg und dribbelt davon. Nicht ganz fair, wie ich finde, aber sie erklärt mir, dass das Teil des Spiel ist. Tatsächlich findet der Kleine das toll und rennt sofort seiner Schwester hinterher. Sie kickt den Ball zu mir, er rennt zu mir, und ich kicke zurück und er rennt zurück. Die Kleinere, R., macht auch mit, und wir kicken den Ball immer zwischen uns hin und her. Mit Begeisterung rennt er dem Ball hinterher, und manchmal bekommt er ihn sogar. Aber er kann gar nicht schießen, sondern nur dribbeln. Sobald er schießen will, fällt er hin und stolpert über den Ball. Ich zeige ihm, wie es richtig geht, aber das interessiert ihn nicht.
    Ab und zu lassen wir ihn schießen, und dann nimmt er einen Riesenanlauf und rennt auf den Ball zu, um dann kurz zuvor entweder abzustoppen oder gleich über den Ball zu fallen. Der Höhepunkt ist, als er in die Sanis geht und von dort aus Anlauf holt, denn die Tür geht immer langsam von selbst zu. Ich sehe ihn schon gegen die Glasscheibe prallen, aber er schafft es knapp, aus der Tür zu kommen.





    Wir spielen bis es dunkel wird, und der Vater die Kinder zum Zelt holt.

    Meine Hausschuhe sind durch das nasse Gras und den nassen Boden klatschnass geworden und werden von da an nicht mehr richtig trocken werden. Aber ich bin glücklich. Letztes Jahr um diese Zeit konnte ich die Knie nur noch unter Schmerzen bewegen, und ich hatte eine Entzündung der Sehnen im Fuß. Und jetzt fahre ich wieder Fahrrad und spiele Fußball auf einer Wiese. Wie bin ich dankbar dafür.

    Ich rolle mich in meine Schlafsäcke ein und schlafe wunderbar.
    Zuletzt geändert von Torres; 22.09.2014, 20:30.
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      #3
      AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

      Ich bin sehr gespannt. 2013 sind wir die Strecke in England von Newcastle nach Harwich gefahren. Da gab es schon den einen oder anderen eher abenteuerlichen Abschnitt... :-)

      Die Gerüchte über das englische Wetter stimmen übrigens nicht. Es hat in den zwei Wochen nur ein einziges mal geregnet.

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        #4
        AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

        2013 sind wir die Strecke in England von Newcastle nach Harwich gefahren. Da gab es schon den einen oder anderen eher abenteuerlichen Abschnitt... :-)
        Oh, schön! Vielleicht kannst Du an gegebener Stelle ergänzen. Aber ich will ja nicht vorgreifen.

        Die Gerüchte über das englische Wetter stimmen übrigens nicht. Es hat in den zwei Wochen nur ein einziges mal geregnet.
        Oh doch, die können stimmen, wie ich aus leidvoller Erfahrung weiß. Aber ich hatte ebenfalls Glück.
        Oha.
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          #5
          AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

          Glück.

          Di, 02.09.2014
          Ekenstein-Appingedam-Ekenstein, 25 km

          Am Morgen gönne ich mir eine Mütze Schlaf. Statt um sechs aufzustehen, schlummere ich noch ein wenig und pelle mich erst gegen halb acht aus den Schlafsäcken. Ich schnappe mir mein Fahrrad und radele zum Radhändler. Viele Schüler sind auf der Straße und alle fahren Fahrrad. Auch Autos haben es eilig, aber es sind nicht besonders viele, man fährt eben Fahrrad.

          Die Werkstatt hat bereits geöffnet, und ich schildere das Problem. Sie nehmen mein Fahrrad sofort an und werden anrufen, wenn sie wissen, ob etwas ausgetauscht wird. Ohne zu fragen, stellt man mir ein Ersatzrad hin. Wow. Es ist ein Gazelle Hollandrad und es klappert entsetztlich. Aber ich bin überrascht. Man fühlt sich so entspannt auf dem Rad. Irgendwie über den Dingen stehend. Und schnell ist es auch. Vielleicht sollte ich mir ein Hollandrad zulegen, dann rege ich mich über den Radwahnsinn in den Straßen meiner Heimatstadt möglicherweise weniger auf.

          Ich fahre zur Fußgängerzone, da ich Hunger habe. Wie praktisch. Ohne Gepäck kann ich jetzt tatsächlich etwas einkaufen und muss keine Angst vor dem Diebstahl meiner Ausrüstung haben. Alleine fahren kann auch lästig sein. Die Innenstadt ist bunt.





          Und ich muss schmunzeln, als ich das dazugehörige Schild sehe.





          Venedig des Nordens. Sag ich doch. Überall hängen italienische Flaggen an den Geschäften. Ich kaufe ein Schreibheft für mein Tagebuch, um mir Notizen zu machen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich später erinnern kann. Wie üblich werde ich es bei der Niederschrift nicht brauchen.

          Und hier ein Foto von dem Schmuckstück, das mir gerade zur Verfügung steht. Auf dem Gepäckträger klemmt mein Poncho.





          Ich frühstücke in der Cafeteria eines größeren Geschäftes. Es gibt ein belegtes Brötchen und einen leckeren Kakao. Kakao darf ich eigentlich nicht mehr trinken, weil zuviel Zucker drin ist, aber er riecht so verlockend und schmeckt wie ein Traum. Da kann ich einfach nicht widerstehen.

          Dann gehe ich in einem Supermarkt einkaufen. Gemüse, Nudeln, Pesto, Brötchen, Reibekäse. Im Hintergrund ertönt Musik von Whitney Houston. Was für eine Stimme. Auch eine derer, die ihr Talent und ihr Leben vergeudeten.

          Ich fahre an der Kirche vorbei (das Bild ist allerdings vom Nachmittag)





          und dann in Richtung Campingplatz. Ein Graureiher wartet auf Beute. Es gibt sehr viele hier, gut getarnt auf dem Feldboden, aber für mich ist er noch etwas ganz Besonderes. Blitzschnell erbeutet er einen Fisch, der sich in den Wassergraben gewagt hat. Ich vermisse mein Tele. Das Bild ist nachträglich vergrößert.





          Die Brücke, über die ich jetzt das dritte Mal fahre. Sie ist ein Engpass und hier haben es die Autos morgens eilig.





          Ein Haus wird restauriert. Rennradler ziehen vorbei. Der Gemüsestand am Wegesrand. Neben der Straße ein Flüsschen. Gleich bin ich da.








          Die Einfahrt. Neben dem Eingang gibt es eine Minigolfanlage, aber in der Nachsaison scheint sie außer Betrieb. An diesem Tage werde einige Dauergäste abreisen, der Platz wird im Winter geschlossen sein.





          Und ich beschließe, einen Rundgang zu machen. Idyllisch. Es gibt kleine abgetrennte Bereiche mit Hütten oder mit Wohnwagen, aber immer so, dass die Einheiten nicht zu groß werden. Kanus stehen zur Ausleihe bereit. Ein wunderschöner Platz, keine Frage.





          Bald erreiche ich einen Zaun und muss mein Fahrrad stehen lassen. Der Durchgang ist nur für Fußgänger.

          Das Pony ist klein und schwarz und steht am Rande des Wildgeheges. Eine Frau füttert das Wild. Etwas weiter befindet sich ein kleiner Zoo. Eine Jugendgruppe hat sich eingefunden. Anscheinend versucht man hier Kindern, die Natur nahe zu bringen. Ein Alpacka.





          Ich komme an einen See. Ganz still ist es hier. Ein friedvoller Platz. Nur der Mensch neben dem Sitzmöbel irritiet mich etwas. Ich brauche etwas Zeit, um zu verstehen, dass es der Mülleimer ist. Ein Graureiher fliegt über den See. Hier dürften im Sommer die Kanus unterwegs sein.





          Am Damwild vorbei geht es zurück zum Campingplatz.





          Die Sonne ist gerade herausgekommen.





          Ich lege mich in den Eingang meines Zeltes. Praktischerweise kann man es vorne ganz öffnen, wobei ich es mir bequem mache und die Apsis einfach von der Mitte aus herunterklappe.





          Es war ein harter Sommer mit sehr viel Arbeit. Ich merke, wie verspannt ich bin. Die Sonne wärmt. Langsam lockern sich meine Glieder, und ich merke, wie sie schwer werden, und ich in einen Zustand der Entspannung absacke. Wunderbar.
          Da klingelt das Telefon. Das Fahrrad ist fertig.

          Verzweifelt versuche ich, meiner Stimme einen glücklichen Tonfall zu verpassen, denn eigentlich denke ich nur: Schxxe. Das heißt aufstehen, Rad holen, weiterfahren. Aber dann entscheide ich, einfach einen Tag Ruhetag einzulegen und sage ihm, dass ich in ungefähr einer Stunde da bin. Dann döse ich weiter.

          Eine Stunde später mache ich mich auf den Weg. Anscheinend haben sie alles nachgesehen und gebrochen ist nichts. Die Kette ist jetzt lockerer und die Kurbeleinheit neu geschmiert. Ich schnacke noch ein bisschen mit einem der Männer über Fahrräder, keine Ahnung, ob er der Chef ist, er könnte es sein. Das Geschäft hat alles, vom Hollandrad über MTBs, Rennräder und E-Bikes. Außerdem alles sonstige, was ein Radler braucht. Sehr gut sortiert, keine Frage.
          Ich bekomme sogar einen Tee und suche nach einer dünnen Radhose, aber das vorhandene Modell ist größenmäßig für Kinder – mein übliches Problem mit italienischen Trikots.

          Mit meinem eigenen Rad radele ich nun wieder durch die Stadt. Besuchergruppen umlagern die Kirche. Ich beschließe, das Museum zu besuchen. So richtig lohnt es sich nicht, obwohl die Exponate interessant sind, aber das weiß man ja nicht vorher.





          Dann betrete ich die kleinen Brücken, die an Venedig erinnern.














          Interessehalber fahre ich diesmal etwas weiter die Landstraße entlang, um das Landgut Ekenstein anzuschauen, das Hotel und Gastronomie bietet. Es sieht nobel aus und hat eine schöne Terrasse. Das Landgut davor steht zum Verkauf.
          Eine Schülergruppe radelt die Straße entlang und einer fährt plötzlich nach rechts und schießt einen anderen ab. Krachend landen sie im Gebüsch. Ich fahre hin, ob etwas passiert ist, aber anscheinend sind beide okay. Das Opfer putzt sich den Schmutz von den Kleidern. Er lacht, aber eigentlich würde er am liebsten heulen. Eine Ente überlegt, ob sie mir trauen kann.





          Ich setze mich an einen der Tische und mache mich über meine Einkäufe her. Es gibt frischen Spinat, dazu Nudeln und Reibekäse.





          Die Kinder kommen von einem Ausflug zurück, und bald darauf laufen sie an der Wiese entlang und spielen Blockflöte. Sie fragen mich, ob wir nachher wieder Fußball spielen und ich sage: Na klar. Aber erst will ich fertig essen. Sie waren gestern abend noch auf einer Nachtwanderung, und es war ziemlich unheimlich. Dann sind sie wieder weg.

          Ich packe ein wenig vor und schreibe Tagebuch. Die Kinder kommen zurück. Respektvoll warten sie, bis ich fertig bin und A. kickt den Ball ein wenig alleine. Dann geht es los. Der Kleine will diesmal richtig mitspielen und nicht hinterherlaufen, und so bekommt er von mir immer den Ball. Ständig ruft er meinen Namen. Ich habe wieder die Hausschuhe an und als ich ihm den Ball zuspiele, verliere ich einen Schuh, und er donnert dem Kleinen voll an den Kopf. Es ist zu komisch, wir lachen alle, der Kleine lacht mit. Wehgetan hat ihm das nicht, der Schuh ist ja leicht. Ich ziehe die Wanderschuhe an.

          Die Mutter der Kinder kommt und setzt sich auf die Bank vor den Sanis. Für sie ist das eine merkwürdige Situation, sie will ja nicht, dass ihre Kinder anderen auf die Nerven gehen und ist etwas unsicher. So setze ich mich neben sie, und wir reden ein bisschen. Sie ist 28 Jahre alt, und ich erzähle ihr, was ich vorhabe, während die Kinder kommentieren und alles Mögliche erzählen. Dann erkläre ich, dass ich morgen sehr früh weiterfahren werden, und wir uns morgen bestimmt nicht mehr sehen werden. Ich werde einfach wegsein und mich nicht verabschieden, niemand soll das bitte als unhöflich empfinden. Schweigend hören die Kinder zu.

          Ein Mann mit Wohnwagen ist angereist und versucht, Fernsehempfang zu bekommen. Erst stellt er die Satellitenschüssel auf seinen Wohnwagen, dann auf einen Nachbarplatz, dann kommt er aus seiner Parzelle heraus und stellt sie mitten in die Einfahrt. Er hebt sie hoch, stellt sie wieder hin, dreht sie, aber das Bild bleibt schlecht. Wir lachen uns kaputt und machen Kommentare. Der Kleine läuft hin und gibt gute Ratschläge und auch der Vater versucht zu helfen. Es nutzt alles nichts. Irgendwann kommt der Campingmann (Die Bezeichnung stammt von A.) und macht dem Spuk ein Ende.
          Zwei steinalt aussehende Engländer kommen und bauen an einer Hütte ihr Zelt auf. Ich erfahre, dass die Mutter lange in einer Frauenmannschaft Fußball gespielt hat. Ich bin beeindruckt. Mit 15 hat sie aufgehört. Und mit 16 dürfte sie das erste Mal schwanger gewesen sein. Eine kurze Kindheit.

          Die Kinder wollen mit ihren Eltern unbedingt zum Abschied noch einmal zu dem Pony gehen, denn morgen reisen auch sie nach Hause. Sie drängeln und betteln, dass ich mitkommen soll. Prüfend schaue ich die Eltern an, denn es soll doch ein Familienurlaub sein und es ist ihr letzter Tag. Die Eltern reagieren auch etwas hilflos, weil die Situation ungewohnt ist. Aber dagegen haben sie nichts, und der Kleine fasst meine Hand und zieht mich mit. So laufen wir gemeinsam los.

          Bald sind wir wieder am Gehege. Die Sonne ist fast untergegangen. Die Kinder springen glücklich herum und erklären mir alles Mögliche. Und plötzlich wird die Stimmung so heiter und friedlich, als wäre alles so, wie es immer sein sollte. Als wäre wir alle plötzlich auf einem anderen Stern, und alle Sorgen des Alltags verschwunden. Und ich erinnere mich an die Zeit, als andere Kinder noch klein waren, und ich fühle mich viel, viel jünger.





          Ich mache mit dem Smartphone der Mutter ein Bild von der ganzen Familie und wie in Trance wandern wir weiter. Das Pony hat sich versteckt, aber etwas weiter sind ja noch die anderen Gehege. Die Schafe und die Schweine eilen herbei.





          Und wir lachen und scherzen, als würden wir uns ewig kennen und es ist, als wären wir eine Familie.





          Die Kinder entdecken Muscheln auf dem Boden und fröhlich plaudernd sammeln sie sie ein. Der Vater murmelt etwas von „Das Auto ist voll“, aber wehren möchte er sich auch nicht. Der Abend ist einfach zu schön. Rot verglüht ein Kondensstreifen am Himmel. A. findet eine besonders schöne Muschel und schenkt sie mir. Sie liegt jetzt in meinem Wohnzimmer.





          Wir wandern weiter zum See, und sowohl die Mutter als auch ich machen heimlich Erinnerungsfotos von uns. Die Große erzählt, wie verliebt sie ist und in wen, sie ist jetzt im Alter der Schwärmerei.

          Dann sind wir wieder an unserer Wiese, und plötzlich spielen wir alle Fußball. Papa, Mama, alle machen mit. Und wir spielen uns alle nacheinander den Ball zu, und der Kleine steht wie immer in der Mitte, und wir spielen ihm den Ball zu. Die Dunkelheit bricht an, und wir spielen immer noch weiter. Der Kleine bekommt meine Stirnlampe auf den Kopf, und glücklich tollt er herum. Und über dem Platz liegt eine Stimmung, die schöner nicht sein könnte. Als gäbe es hier einen Zauber, der die Menschen eint und sie glücklich macht.

          Es ist spät geworden und Zeit ins Bett zu gehen. Ich verabschiede mich von den Eltern, und die Mädchen kommen zu mir und umarmen mich ganz fest. Dann nehme ich den Kleinen auf den Arm und drücke ihn noch einmal ganz innig. Wir winken alle so lange, wie wir uns sehen können.


          Das war Ekenstein.


          Zuletzt geändert von Torres; 23.09.2014, 22:14.
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          • Torres
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            #6
            AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

            Rechts, links, geradeaus.

            Mi, 03.09.2014
            Appingedam-Lauwersoog, 88,8 km


            Am Morgen wache ich um halb sechs auf und packe. Wieder hänge ich das Innenzelt aus, denn die nasse Wiese hat das Außenzelt von innen in eine Tropfsteinhöhle verwandet, während das Innenzelt trocken ist. Mal wieder hakt der Ausbau beim dritten oder vierten Clip, und ich sage mantraartig meinen Spruch auf: „Ich tue das, weil es einfach ist“. Das nasse Groundsheet vom Big Agnes, das ich mittlerweile mit einer Schnurverlängerung besser befestigt habe, wird an der nassen Seite zusammengeklappt und das Innenzelt in die trockene Seite eingewickelt. Dann kommt alles in den STS Beutel und vorne in die RD Harness. Das perfekte System für mich, viel besser als das Verzurre des Zeltes auf dem Gepäckträger.

            Gegen halb acht rolle ich vom Platz, während alles noch schläft. Die Sonne zeigt sich und anscheinend wird es tatsächlich ein so schöner Tag, wie der Campingmann prognostiziert hatte.





            Die historische Altstadt, ich glaube, sie ist sogar geschützt.





            Ich fahre ohne Karte und Navi, denn ich kenne den Weg und es ist erstaunlich, wie schnell man ist, wenn man weiß, wohin es geht. In kurzer Zeit später bin ich an der Auffahrt zu dem Hotel, an dem ich vor gefühlt einer Ewigkeit, also vorgestern, umgedreht hatte.





            Ist das schon die Nordsee oder noch die Emsmündung? Auf jeden Fall wird mir innerlich ganz feuerlich zumute, als ich das Wasser sehe. Bei anderen mögen es die Berge sein, bei mir ist es das Meer, dem meine Leidenschaft gehört.





            Doch schon muss ich mich verabschieden, denn der Deichweg ist Fußgängern vorbehalten. Für Radfahrer geht es am Innendeich lang.








            Ein Blick zurück – nein, Delfzijl ist wirklich keine schöne Stadt und wird es auch auf den nächsten Metern nicht.





            Aber dann wird die Strecke plötzlich nach meinem Geschmack.








            Und ich fliege dahin und genieße die Fahrt. Fahrradfahren kann wunderbar sein.





            Ein alter Bunker, wie es scheint.






            Auf dem Feld ist schon viel Betrieb. Das ist die Landschaft, die ich liebe. Aber wir sind ja auch immer noch in der Provinz Groningen, die an Deutschland grenzt.





            Leider lässt sich auch hier die moderne Zeit nicht verleugnen.





            Und so geht es ein paar Meter weiter (Knotenpunkt 19) wieder ins Binnenland.





            Schade. Mit Bedauern radele ich weiter. Nett ist es hier zwar auch und ruhig. Aber am Meer radeln ist eben doch etwas anderes.





            In einem kleine Ort, Bierum, duftet es nach einer Bäckerei, aber ich bin gerade so in Schwung und radele weiter, denn ich habe noch Brötchen von gestern. Ein Jammer, wirklich. Gelinde gesagt: Idiotisch.








            Ich irre eine wenig herum, weil ich die Schilder nicht finde und auch in einem anderen Ort, Spijk, muss ich nach der richtigen Strecke fragen, die idyllisch auf eigenen Wegen am Wasser entlanggeht. Kurz darauf finde ich eine Sitzgelegenheit und lasse mich nieder. Ich esse die alten Brötchen und verfeinere sie mit dem Pesto, was ich gestern nicht gebraucht hatte. Lecker. Eine Frau kommt vorbei, und ich grüße sie wie alle, die mir begegnen. Sie würdigt mich keines Blickes.








            Routinemäßig hatte ich mir kurz zuvor mein Fahrrad noch einmal anbgeschaut und einen argen Dämpfer bekommen. Wieder ist der Kurbelblock nach außen gedriftet. Der Werkstattbesuch war umsonst. Auch etwas anderes macht mir Sorgen. Meine Hausschuhe trocknen nicht, die Kraft der Sonne reicht nicht aus.





            Kommt Zeit, kommt Rat. Mehr fällt mir dazu nicht ein. So fahre ich erst einmal weiter. Was soll ich auch anderes tun.





            Ein Mähfahrzeug versperrt den Weg, ich muss anhalten, und so sehe ich eine Kartoffel auf dem Weg. Schnell stecke ich sie als Wegzehrung ein. Das hat bei mir Tradition, denn irgendwann wird sie sicherlich zu Brei gefahren. ULer bin ich also auch nicht, sie wiegt schwer.








            Wie einmal ein fietspad nur für mich.





            Gegen Viertel nach 11 erreiche ich Eemsmond und bin beglückt, als ich an der Hauptstraße Fahrräder sehe. Ein Fahrradhändler.





            Ich betrete die Werkstatt durch den Laden und ein junger Mann schaut sich das Fahrrad an. Ich erzähle, was passiert ist, und er schaut sich den Kurbelblock ratlos an. Dann unterhält er sich mit einem anderen Mechaniker. Lambeck aus Appingedam scheint einen Namen zu haben.
            Er schaut und grübelt und grübelt und schaut. Dann murmelt er wieder etwas und berät sich mit seinem Kollegen und grübelt und schaut. Er nimmt einen Schraubenschlüssel, dreht ein bisschen herum und legt ihn wieder weg. Dann legt er sich unter das Fahrrad, murmelt etwas und berät sich wieder mit seinem Kollegen. Ich wage kaum zu atmen, um ihn in seiner Kunst nicht zu stören.

            Nach ungefähr einer halben Stunde, weiß er, was zu tun ist und holt eine Schraube, die in das Loch unter der Kurbel passt. Und dann, ich glaube es kaum, bzw. traue meinen Augen nicht .....


            HOLT ER EINEN GUMMIHAMMER!!!


            und kloppt den Kurbelblock wieder rein. Dann zieht er die Schraube fest und lockert die Kette noch einmal etwas und fertig. 10,00 Euro will er dafür und entschuldigend sagt er: „Ich hoffe, dass das jetzt hält“ und zuckt verlegen mit den Schultern. „Mehr kann ich nicht tun“. (Es wird halten, obwohl die Schraube da eigentlich gar nicht hingehört).

            Vor lauter Freude telefoniere ich erst einmal mit einer Kollegin, die heute Geburtstag hat und führe dann noch ein Anschlusstelefonat, das wichtig ist, weil mir jemand auf den Anrufbeantworter gesprochen hat. Eine Windmühle immer im Blick.





            Weiter geht es. Eine Göttin steht in der Einfahrt, aber sie gehört nicht dem jungen Mann vor der Tür, sondern seinem Vater.





            Nun führt der Radweg wieder durch Marschlandschaften auf ruhigen Nebenstraßen entlang. Gegen Mittag mache ich an einem Tischchen erneut Rast, denn ich bin etwas erschöpft von Sonne und Wind. Ein Mann sitzt bereits da und nach kurzer Zeit fährt er weiter.





            Ich fahre durch Warffum und mir fällt auf, dass Bauernhäuser nun eher Herrenhäuser sind. Anscheinend ist hier eine fruchtbare Gegend.





            Die zweite Windmühle für heute. Ein besonders schönes Exemplar.





            Kleine unbefestigte Outdoorpfade oder schmale Radwege schließen sich an, die teilweise auch Wanderwege sind. Immerhin ist es hier abwechslungsreich, wenn auch nicht wirklich zivilisationsfern. Dazu sind die Niederland dann doch zu dicht besiedelt. Bei diesem Bauerhof denke ich erst, es ist ein Zelt. Könnte ein Mark II long sein.





            Bauernhofidylle.





            So geht es weiter und weiter, bis vor Pietersburen das erste Mal die Plakette fehlt, und ich Spaziergänger fragen muss. Obwohl ich abkürzen könnte, fahre ich zurück, um die korrekte Wegführung einzuhalten.





            Pieterburen ist ein netter kleiner Ort und scheint ein Anziehungspunkt zu sein, denn das erste Mal sehe ich touristische Infrastruktur in Form von Postkartenläden und einem Café. Am Ortsausgang fehlt aber ebenfalls ein weiterführendes Schild, und so fahre ich noch einmal zurück, ob ich etwas übersehen habe. Anscheinend kämpft man hier um den Erhalt der Schule. Auf anderen Schildern sind Reinigungssymbole zu sehen: Unsere Schule soll nicht schrumpfen / eingehen.








            Da ich immer noch keine Schilder finde, frage ich auf einem Campingplatz, ob jemand weiß, wie der Weg weiterführt und da dort niemand irgendetwas weiß, im benachbarten Bauernhaus. Das Mädchen, das die Tür öffnet, schaut im Internet nach und ich muss einfach nur der Straße folgen, dann kommen auch wieder die Schilder. Danke.


            So biege ich der Straße folgend links ab. Ein Soldatenfriedhof befindet sich hier.





            Anschließend geht es wieder rechts ab. Schwäne mit schwarzem Hals zischeln als ich vorbeifahre.





            Hornhuizen.





            Und ich radele und radele und radele. Rechts, links, geradeaus. Links, rechts, geradeaus. Geradeaus, rechts, links. Geradeaus, links, rechts. Mal mit Wind und mal ohne Wind, aber der Wind ist nicht das Problem. Mein Kopf ist das Problem. Mir wird langweilig.
            Zwischendrin finde ich, dass es hier ein wenig sehr stark nach Essen riecht. Es ist ein Zwiebelfeld. Ummm.





            Und ich radele und radele und radele und langsam habe ich keine Lust mehr.





            65 km sind meine Wohlfühlgrenze und die ist entweder fast erreicht oder bereits überschritten.








            Es fühlt sich an, als würde ich immer im Zickzack gelenkt. Nur dass das Zickzack quadratisch ist. Langsam habe ich den Eindruck, ich komme nie am Ziel an. Dort noch mal nach rechts, dort noch mal nach links. Muss das wirklich alles sein? Gibt es nicht irgendwo einen zielführenden Weg?

            Ich bin wieder in der Nähe einer Hauptstraße und dann komme ich an diese Stelle. Ein schmaler Weg führt auf eine Treppe zu.





            An der Treppe kann man in einer Rinne die Fahrräder hochschieben.





            Oben ist anscheinend eine Pausengelegenheit und so fällt einem älteren Herren, der von der andren Seite kommt, nichts Blöderes ein, als sein Fahrrad ausgerechnet in der Rinne zu parken. Als ich oben ankomme, bitte ich ihn sehr deutlich, das Fahrrad aus der Rinne zu nehmen, und er beschwert sich über meine Unhöflichkeit. Vermutlich denkt er, ich wolle da selbst parken, solche Leute kommen auf solche Ideen. Er räumt sein Rad dann weg und das hätte ich ihm auch geraten, denn nach dieser blöden Rumgurkerei der letzten Kilometer bin ich so richtig in Form. Ich hätte es einfach aus dem Weg geräumt, das hat ihm dann wohl auch geschwant. Im Gegensatz zu ihm will ich nämlich keine Pause machen, sondern auf der anderen Seite wieder runter. Ich will zum ausgesuchten Campingplatz, etwas essen und meine Ruhe haben. Und so schiebe ich, ohne ihn noch zu beachten, einfach weiter.

            Was nun kommt, ist eigentlich wunderschön, aber so richtig habe ich den Kopf dafür nicht. Zu tief die Rinnen neben dem Radweg. Ist hier ein militärisches Sperrgebiet? Es sieht so aus.











            Teilweise geht es durch offenere Gebiete, teilweise durch schönen Wald. Kurvenreiche Abschnitte gibt es auch, ich kann es kaum fassen. Eine gelungene Wegführung.








            Immer wieder kreuzen breite Sandstraßen den Weg und manchmal muss man schieben.








            Auch tiefe Furten findet man, der Radweg führt allerdings daran vorbei.





            Eigentlich sollte ich hier innehalten und Blümchenfotos machen. Aber mein Kopf ist eher auf Erholung gepolt. Duschen, essen, schlafen. So fahre ich recht flott weiter.
            Endlich nähere ich mich touristischer Infrastruktur und hoffe, dass der Campingplatz auf meiner Karte wirklich existiert. Spaziergänger sind unterwegs, aber auch einige Autos. Es ist jetzt 16.00 Uhr. Ich passiere das Ortsschild Lauwersoog, links neben mir das Lauwersmeer. Es riecht nach Urlaub. Ein Paar sitzt einsam auf einer riesigen Liegewiese.





            Ich gebe noch einmal Gas und der Campingplatz taucht auf. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Die Dame an der Rezeption ist nett, und ich bekomme für irgendetwas einen Schlüssel - ich glaube, es war für die Dusche - der morgen in den Briefkasten muss.
            Der Campingplatz ist riesig, aber die Zeltplätze sind in nette Parzellen unterteilt und eine kleine Welt für sich. Ich baue das Zelt auf und hoffe, dass es noch in der Sonne trocknen wird, ja tut es. Dann eile ich unter die Dusche.

            Ich habe einen Mordshunger und hoffe auf den Supermarkt des Platzes. Aber irgendwie verirre ich mich, der Platz ist wirklich groß.





            Als ich dann ankomme, hat er zu meiner großen Enttäuschung bereits seit über einer halben Stunde geschlossen. Ich hätte vor dem Duschen einkaufen gehen müssen. Auch andere Gäste sind konsterniert. So lasse ich mich im Restaurant nieder und bitte die Bedienung, meinen Akku der Kamera aufzuladen. Dann studiere ich die Speisekarte. Mein treuer Gefährte (oder ist es eine Gefährtin?) wartet derweil.





            Die Speisen auf der Speisekarte klingen erlesen und sehr hochpreisig sind sie auch. Aber alles, was dort angeboten wird, ist eher etwas für ein Geschäftsessen und nichts, was satt macht. Heute brauche ich Substanz. So bitte ich die Dame um eine doppelte Portion Pommes und sie ist professionell genug, diesen Wunsch zu erfüllen. Danke.





            Mit 5,00 Euro plus Getränk bin ich dabei. Gut gesättigt und zufrieden kehre ich zum Zelt zurück.


            Ein paar Leute aus Deutschland stehen auf dem Weg zum Zeltplatz, zwei sind mit dem Auto da und ein Paar mit einem riesigen Zelt auf den Fahrrädern. Ich unterhalte mich mit ersteren, sie waren auf einem Festival in der Nähe von Harlingen. Ich erzähle, dass ich gestern in Ekenstein war und ein Leuchten erscheint auf ihrem Gesicht. Ekenstein. Ein wunderbarer Platz. Wir unterhalten uns ein bisschen über Zelte und ich erfahre, dass das Essen an der Mole erheblich günstiger ist als hier im Restaurant. Egal, ich war auch so zufrieden. Sie werden morgen noch hier bleiben.

            Und dann bin ich auch schon müde. Gegen 20.00 Uhr liege ich bereits im Zelt und schlafe. Morgen geht es vermutlich über den Damm. Ich erinnere ihn gut. Als ich mit Familie Ditschi zu Karsten gefahren bin, sind wir zweimal über den Damm gefahren. Er war unglaublich lang und öde. Hoffentlich habe ich keinen Gegenwind. Lass mich einmal Glück haben. Der Wind kam heute von der Seite. Bitte, lass das morgen auch noch so sein.


            Zuletzt geändert von Torres; 25.09.2014, 12:09.
            Oha.
            (Norddeutsche Panikattacke)

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            • Torres
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              • 30709
              • Privat

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              #7
              AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

              Fast ein ods Treffen.

              Do, 04.09.2014
              Lauwersoog-Harlingen, 91 km


              Am Morgen bin ich früh wach und greife routinemäßig nach meiner Brille, die immer in der Seitentasche liegt. Keine Brille da. Ich versuche Ruhe zu bewahren, doch ich bin alarmiert. Ich habe sie dorthin gelegt, das weiß ich genau. Alles hat hier seinen Standardplatz. Hinausgefallen ist sie auch nicht. Ich räume die Packtaschen zur Seite. Nichts. Ich taste mich weiter hinunter, fühle das Brillenband und weiß es. Bitte nicht. Heute nacht hatte ich die Isomatte nachpusten müssen und als ich das rechte Knie neben der Matte aufgestützt hatte, war da so ein kleines scharfes Geräusch. Ich hatte es registriert, aber da dort nie etwas liegt, konnte es ja nichts Wichtiges sein. Tapfer stelle ich mich den Tatsachen. Das Gestellt ist heil, aber ein Glas in in der Mitte komplett gebrochen. Nun gut, Glück im Unglück. Ich versuche, das Gefühl der Verzweiflung gar nicht an mich herankommen zu lassen und packe sie vorsichtig ein.
              Wieder ist das AZ nass und das IZ nicht. Auf die Sonne zu warten, reicht die Zeit nicht. So packe ich alles getrennt wieder ein.

              Gegen halb acht bin ich startbereit. Menschen sehe ich keine, alles schläft noch. Ich werfe den Schlüssel in den Briefkasten und mache mich auf den Weg Richtung Mole.





              Das Wetter scheint schön zu werden und wenn ich die Fahnen richtig interpretiere, habe ich Rückenwind. Das wäre natürlich wunderbar.





              Ich habe Hunger, doch das Café an der Mole hat noch geschlossen. Zwei Männer warten bereits unruhig. Wahrscheinlich öffnen die erst um acht. Das ist mir zu spät.





              Überall sind Hinweise für die Fährfahrt nach Schiermonnikoog. Das scheint eine bedeutende Angelegenheit zu sein. Nachträglich lese ich, dass das eine westfriesische Insel mit 941 Einwohnern ist und wohl eine der schönsten. Auf jeden Fall ist es die Kleinste.





              Ich fahre kurz auf den Deich und schaue. Da ganz in der Ferne dürfte die Insel sein. Leider herrscht ein reger Werksverkehr, und einige LKWs steuern die Innenkante an, so dass ich schnell wieder die Straße suche.








              Links von mir ist nun das Lauwersmeer, an dem ich gestern gezeltet habe, aber zuordnen kann ich die Küstenlinie nicht, da sie ganz ausgefranst ist und mein gestriger Standpunkt in einer Bucht liegt.








              Dann ist der Damm auch schon zu Ende, es ist nur ein kleiner Damm. Der lange Damm wartet heute abend auf mich – falls ich es so weit schaffe.





              Ich bin nun nicht mehr in der Provinz Groningen, sondern in der Provinz Friesland. Und fahre nun eine idyllische Straße entlang, die mir gut gefällt. Hier ist immer noch Nationalparkgebiet. Ein wenig kurvig ist sie auch. Die Häuser haben an der Spitze zwei Schwäne.





              Mehrere Vogelbäume stehen am Wegesrand und sie machen einen tierischen Lärm.





              Die Strecke hat etwas Heimatliches und das gefällt mir.











              Es geht nun längere Zeit am Deich entlang mit malerischen kleinen Dörfern. Ein Mann mit einem wunderschönen Huskie geht spazieren.


              Erklärungen.





              Ich steige auf den Deich. Der Ort heißt Moddergat sein.











              Gedenksteine.





              Eine Skulptur. Die Fischersfrau.





              Enten.





              Wierum. Schön ist es hier. An der Kirche ist ein Commonwealth War Grave Friedhof.





              Erneut soll der Radweg direkt am Deich entlang führen, aber der Radweg ist leider geschlossen. Ich befrage einen Mann, dessen Baufahrzeug an der Kreuzung steht. Ja, es sind Bauarbeiten. Ich komme hier leider nicht durch. So muss ich den Radweg an der Landstraße fahren und werde damit jäh aus meiner Idylle gerissen. Schade, so hätte es weitergehen können.





              Kurze Zeit später erreiche ich Holwerd.





              Der Ort wirkt nett und sicher, so dass ich mich in einen kleinen Stadt-Coop wage. Mein Fahrrad schließe ich an einen Fahrradständer an, die Ausrüstung bleibt drauf. Wieder ertönt Musik von Whitney Houston, und ich kaufe Brötchen, Milchprodukte und noch irgendetwas. So genau weiß ich das nicht mehr. Das wichtigste aber, was ich kaufen will, ist Tesa. Tesa ist aber anscheinend ausverkauft. Ich frage die Marktleiterin, aber sie versteht mich nicht. So zeige ich auf eine Tesafilmrolle am Blumenstand. Sie läuft nachschauen. Nein, keine Chance, Tesa ist aus. Ich zeige ihr meine Brille und deute auf die Tesafilmrolle. Ja klar, nehmen Sie sich etwas. Ich zupfe vier Streifen ab, klebe das Glas und das Problem ist erst einmal gelöst.

              Auf dem Parkplatz ist eine Bank und ich setze mich, um zu frühstücken. Es ist jetzt 10.00 Uhr. In einem Transporter sitzen Männer und rauchen. Die ganze Zeit läuft der Dieselmotor. Dabei sind frühlingshafte, fast sommerliche Temperaturen hier. Ich hasse das. Als er dann endlich wegfährt, bin ich sehr froh. Tiefflieger sind zu hören.


              Es dauert einige Zeit, bis ich meinen Weg aus Holwerd herausfinde. Ich bin sehr froh, dass die unterschiedlichen Richtungen durch a und b unterschieden werden. Dann geht es auf einer verträumten Route weiter.





              Ich fahre an schönen Bauerngärten vorbei, doch die Bilder werden leider nichts. Ländlich ist es hier, man sieht Windmühlen und Kleinlandwirtschaft.





              Gegen 11.00 Uhr erreiche ich Hegebeintum und der Name klingt schon interessant, aber die Kirche sieht noch interessanter aus. Sie steht auf einer Warft und zwar der höchsten der Niederlande mit 8,8 m über Null. An den umgebenden Straßen sitzen Skizzenmaler. Einem schaue ich über die Schulter, und er skizziert genauso schlecht wie ich. Das tröstet. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie empfinde ich die Szenerie als „britisch“.





              Es geht nun Richtung Ferwerderadiel und der Wind hat aufgefrischt, denn er trifft mich voll. An der nächsten Einmündung finde ich kein Schild, obwohl, ich könnte schwören, es geht in den Ort hinein. So fahre ich weiter und komme an einer Tankstelle heraus, die an einer größeren Landstraße liegt. Autos sausen vorbei. Das kann nicht richtig sein. Ich halte einen älteren Mann mit Fahrrad an und frage nach dem Nordseeküstenradweg. Kennt er nicht. „Ich mache mir meine Wege selbst“, antwortet er auf holländisch und lächelt vergnügt. Er hat ja so Recht. Wie gerne würde ich das auch tun, wenn ich ehrlich bin. Aber ich habe mir nunmal dieses Projekt in den Kopf gesetzt. Seufz. An der Tankstelle empfiehlt mir ein Mann, einfach in den Ort zu fahren. Die Schilder stehen in der Innenstadt. Zurückradeln habe ich keine Lust, und kurz darauf finde ich tatsächlich die Ausschilderung wieder.





              Ein paar umgedrehte Körbe stehen in einer Anpflanzung, es ist Kunst. Okay. Beeindruckender ist eine Kunstinstallation auf dem Deich und ich eile die Treppen hoch, um das Meer zu sehen.





              Tja. „Wie sie sehen, sehen sie nix.“ Ich hüpfe wieder zu meinem Fahrrad. Der nächste Radler kommt und er betrachtet lange den Boden. Anscheinend habe ich die Inschrift übersehen. Ein anderes Mal.





              Weiter geht es nun wieder an Feldern entlang und es gibt nichts besonderes zu berichten. Irgendwo sammele ich eine zweite Kartoffel ein, es reicht jetzt schon für eine Mahlzeit. In Oude Bildzijl wartet ein netter Hafen und ein Café. Eine Gruppe Radler würde sich hier gerne niederlassen, aber anscheinend ist nicht geöffnet.





              Ein Schild weist auf eine Touristeninformation hin und ich will mal schauen, ob es Karten gibt. Es handelt sich mehr um ein Atelier und der Künstler (so sieht er zumindest aus) ist mit einer Dame beschäftigt. So helfe ich mir selbst, aber leider sind sie unbefriedigend.





              Weiter geht es schnurgerade an einer Landstraße. Die Niederlande sind zwar flach, aber lang.








              Dann geht es links ab auf einen Radweg. Das Schild erklärt die Franeker Landen.








              Binnenland heißt aber auch, dass der Nordseeküstenradweg jetzt wieder nicht mehr den direkten Weg nimmt. Kurz darauf bin ich in Sint Jacobiparochie. Die Groate Kerk, entstanden 1505, ist wohl so sehenswert, dass der Umweg eingefügt wird. Ein paar Radler kommen mir entgegen, es sind Italiener. Sie grüßen überschwänglich. Seufz. Italia!








              Der Wind hat weiter aufgefrischt, und ich bin müde. Das Wetter ist wohl einfach zu schön.





              So mache ich an einem fietspad Halt, der auf einem Deich entlangführt. Passenderweise steht etwas weiter unten eine Bank.





              Ich lehne mein Fahrrad von hinten an die Bank und setze mich. So richtig ruhig ist es nicht, denn es sind einige Radler unterwegs, die den Pfad nutzen und immer wieder hört man das Dröhnen von Flugzeugmotoren oder Tieffliegern. Hier scheint irgendwo ein Stützpunkt zu sein.
              Ich esse ein wenig und beschließe, mich mal kurz lang zu legen und für zwei Minuten die Augen zu schließen. Als ich wieder aufwache, sind 20 Minuten vergangen. Puh. Schön, dass hier anscheinend niemand Reiseräder klaut.

              Flott setze ich mich wieder in Bewegung.





              In einem Wäldchen an einer Sitzgruppe steht ein wunderschönes weißes Tandem von Koga und die beiden Fahrer begrüßen mich mit großen Hallo, als hätten sie mich (endlich) erwartet. Mein Mittagsschlaf scheint sie amüsiert zu haben. Ich lache ebenfalls und rufe ihnen zu, dass sie ein tolles Bike haben. Dann gebe ich Gas.

              In der Ferne zeigen sich dunkle Rauchwolken, doch anscheinend wird das Feuer schnell gelöscht. Wieder der Geruch von Zwiebeln.





              Die Bauernhäuser haben jetzt keine Verzierung mit Schwänen mehr, vielleicht ist hier ein anderes Gebiet. Insgesamt sehen die Haupthäuser hier aber auch weniger wohlhabend aus und oft steht ein „zu verkaufen“-Schild am Grundstück. Vermutlich rentieren sich die kleinen Flächen nicht mehr. Verschiedene Reiseradler kommen wir entgegen, einer scheint aus der Schweiz zu sein. Ein ehemaliger Bahnhof, Tjummarum. Und wieder radeln mit Schlenker. Zumindest kommt es mir so vor, denn ich muss immer angestrengt schauen, dass ich kein Schild verpasse. Langsam wird es lästig.





              Endlich geht es zurück an den Deich, und ich schnacke kurz mit den Schäfern. Wenn es heiß ist, müssen sie arbeiten, es klingt, als hätten sie auch gerne Urlaub.








              Wieder ein Reiseradler.





              Eine Stadt erscheint: Ich bin kurz vor Harlingen. Es ist zwanzig vor vier. Den Damm schaffe ich heute nicht mehr, das sind noch einmal mindestens 40 km, das wird mir zuviel. So radele ich entspannt nach Harlingen hinein.
              Wieder eine Klappbrücke. Den Wipproller sieht man hier öfter.





              Zwei Reiseradler suchen wie ich das Schild. Sie werden hier heute im Hotel bleiben.








              Nachdem ich dann einfach rechts abbiege, finde ich es doch.








              Ein schöner Ort, aber so viele Menschen bin ich nicht mehr gewöhnt. Ein Außenthermometer zeigt 26 Grad, aber vermutlich sind es nur 24 Grad. Aber immerhin. Sommer.

              Ein Bild für Ditschi.





              Der Campingplatz liegt etwas weiter außerhalb, und ich biege auf den Deichweg ein. Jungs mit Skateboard nutzen die Piste. Dann folgt Strandidylle.








              Es ist so schön und friedlich hier, dass ich zu weit fahre und umdrehen muss.








              Ich kraxel samt Fahrrad über den Deich und quere die Straße zum Campingplatz. Der Mann an der Rezeption ist sehr nett, und ich zahle irgendetwasum die 10,00 Euro, wenn ich das recht entsinne. Er schlägt mir den Platz direkt vorne vor, alternativ gäbe es weiter hinten noch einen für Zelter.
              Ich fahre zum vorderen Platz, der von der Straße aus einsichtig ist. Zwei Reiseradler, Holländer, bauen gerade eine Vaude Chapel auf. Sofort kommen wir ins Gespräch, denn seit ich das Zelt gesehen habe, finde ich es großartig. Sie haben es noch nicht sehr lange, vielleicht ein Jahr, aber sind sehr zufrieden. Sie wollten etwas, worin man sich im Stehen umziehen kann. Eigentlich sollte ich hier bei ihnen bleiben. Aber ehrlich gesagt wäre mir etwas geschützt doch lieber.





              Ich fahre zu dem anderen Platz. Die guten Ecken sind besetzt und die Leute wirken merkwürdig. Kein Feeling. Camper. Ich radele zurück.

              Die beiden anderen sind gerade einkaufen, und ich baue mein Zelt auf. Dann hüpfe ich unter die Dusche. Die Steckdosen funktionieren nicht, das ist ärgerlich. Ich werde meinen Akku nicht laden können. Immerhin ist die Dusche heiß. Ich hoffe, dass zumindest Socken und Handtuch bis morgen trocknen werden und wasche sie. Die Wäscheleine in meinem Zelt gefällt mir immer besser. Ich habe so etwas immer für blöd gehalten, aber wenn man dann eine hat, die auch noch 2.00 lang ist, ist es schon schön, wenn die nassen Sachen nicht überall im Zelt herumliegen.
              Als das Ehepaar zurück ist, radele ich in den nächsten Supermarkt, es ist ausgerechnet ein Aldi. Ich kaufe wähle aus einem reichhaltigen Frischgemüsesortiment aus der Tüte, das es in Deutschland nicht gibt, eine Zusammenstellung für eine Suppe aus. Außerdem erwerbe ich Käse, Joghurt und greife zuletzt noch intuitiv zu einer Packung Cashewnüsse. Ich werde sie noch zu schätzen wissen!

              Wir setzen uns an einen Tisch und fangen an zu kochen. Ich koche mein eigenes Süppchen, auch wenn ich viel lieber teilen würde. Aber einiges, was sie auf den Tisch stellen, darf ich leider nicht essen. Meine beiden Kartoffeln schnippel ich in die Suppe. Die beiden sprechen deutsch und erzählen von ihren Reisen. Gemeinsam waren sie schon in vielen Ländern, unter anderem Vietnam und China. Einen Blog haben sie auch. http://joopenali.waarbenjij.nu/profiel. Gegen 18.00 Uhr kommt Pablo aus Frankreich und die Kommunikation umfasst nun 4 Sprachen: Niederländisch, Englisch, Deutsch und Französisch. Obwohl er nur eine Dackelgarage dabei hat, hat er am meisten Gepäck. Er kommt gerade aus Amsterdam und ist 125 km geradelt. Auf dem Damm hatte er nur Gegenwind. Er ist ziemlich geschafft. Er will jetzt weiter nach Norddeutschland.





              Pablo macht sich eine billige Fertigsuppe und wird von Joop und Ali mit frischgekochter Nahrung versorgt. Als es schon dunkel wird, kommt noch ein vollbepackter Holländer mit schwer beladenem Fahrradanhänger. Er war mit seiner Freundin auf einer der Inseln zelten und hat ein riesiges (Familien)Tunnelzelt dabei. Er flucht beim Aufbau. Er ist den ersten Tag wohl sehr viel gefahren, aber diesen Tag nur 45, weil er Probleme mit den Knien hatte. Für eine Person ist sein Zelt viel zu groß und schwer.





              Es ist schon fast dunkel, als es mich doch noch mal ans Meer zieht. Die Sonne ist längst untergegangen. Nur ein Schimmer liegt noch am Horizont.

              Ist es nicht wunderschön? Wenn ich genau hinschaue, kann ich es riechen und hören.











              Es ist feucht geworden und kühl. Zufrieden rolle ich mich in meine Schlafsäcke. Das war heute ein wirklich schöner Tag.
              Zuletzt geändert von Torres; 25.09.2014, 12:05.
              Oha.
              (Norddeutsche Panikattacke)

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              • berlinbyebye
                Fuchs
                • 30.05.2009
                • 1197
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                #8
                AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                Wie immer bemerkenswert schön geschrieben...

                Bilder sagen halt doch nicht immer mehr als Worte.

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                • ronaldo
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                  • 24.01.2011
                  • 11959
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                  Toller Bericht von einer Ecke, die ich so gar nicht auf dem Schirm habe...
                  Geht dir das ewig flache Land nicht irgendwann auf den Keks?

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                  • Torres
                    Freak

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                    • 16.08.2008
                    • 30709
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                    Zitat von berlinbyebye Beitrag anzeigen
                    Wie immer bemerkenswert schön geschrieben...

                    Bilder sagen halt doch nicht immer mehr als Worte.
                    Danke schön!


                    Toller Bericht von einer Ecke, die ich so gar nicht auf dem Schirm habe...
                    Geht dir das ewig flache Land nicht irgendwann auf den Keks?
                    Öööhm, ja . Aber so etwas muss reifen wie ein Käse . Also wollen mir mal nix vorwegnehmen......
                    Oha.
                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                    • Igelstroem
                      Fuchs
                      • 30.01.2013
                      • 1888
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                      #11
                      AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                      Ja, Kompliment. Der Text ist so genau: Man erinnert sich später an einzelne Szenen, als habe man sie im Dokumentarfilm gesehen.
                      Lebe Deine Albträume und irre umher

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                      • berlinbyebye
                        Fuchs
                        • 30.05.2009
                        • 1197
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                        Ich warte gespannt, ob du auch nach Zeeland kommst...

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                        • Torres
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                          Liebt das Forum
                          • 16.08.2008
                          • 30709
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                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                          Zitat von berlinbyebye Beitrag anzeigen
                          Ich warte gespannt, ob du auch nach Zeeland kommst...
                          Leider nein. Es gibt zwar eine Route der Nordseeküstenradwegs, die bis nach Belgien führt, aber die ist eine Sackgasse. An sich endet der Weg in Hoek van Holland und geht in Harwich weiter. Aber ich muss sowieso noch einmal in die Gegend, warum erklärt sich später.
                          Oha.
                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                          • Torres
                            Freak

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                            • 16.08.2008
                            • 30709
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                            In den Dünen.

                            Fr, 05.09.2014
                            Harlingen - Bergen aan Zee, 98 km

                            Am nächsten Morgen bin ich wieder sehr früh wach. Die Nacht war kalt. Nur knapp habe ich nicht gefroren. Gut, dass ich mich nicht nur auf meinen Sommerschlafsack verlassen habe. Dann wird mir bewusst, dass es heute über den Damm geht. 35 km geradeaus zwischen zwei Meeren. Hoffentlich kein Gegenwind. Danach werde ich alle Leiden ertragen.

                            Als ich mein Zelt verlassen, um zu den Sanis zu gehen, sehe ich hinter meinem Zelt ein weiteres Zelt. Wann sind die denn gekommen? Ich habe nichts gehört.
                            Als ich zurückkomme, schlüpft gerade ein junges Mädchen aus dem Zelt. Ich sage „Hallo“, bekomme aber nur eine schmallippige Antwort. Konzentriert rollt sie auf dem Tisch ihre Isomatte zusammen. Ein ähnliches Wesen entsteigt dem Zelt und rollt ebenfalls auf dem Tisch die Isomatte zusammen. Blitzschnell ist das Zelt abgebaut. Beide setzen sich gestrickte Obstmützen auf den Kopf – Erdbeere und Himbeere - und sind samt Trekkingrucksäcken entschwunden. Ich staune.

                            Noch mehr staune ich aber über die Erhebung auf dem Deich. Die war gestern auch noch nicht da. Hier ein Bild aus der Nähe. Andere Menschen, andere Sitten. Das könnte teuer werden.





                            Das holländische Ehepaar ist bereits auf, als ich die letzten Sachen zusammenpacke, während die Jungs noch schlafen. Ich verabschiede mich und schiebe mein Rad wieder den Deich hinauf. Die Sonne dringt unter Wolken hervor, aber so richtig gefällt mir das Wetter nicht.





                            Ich radele nun wieder an der Deichaußenkante entlang und es ist wunderschön. Ich atme tief durch. Die See ist glatt und überall an den Steinbuhnen sitzen Vögel, die auffliegen, wenn ich vorbeifahre. Sie setzen sich dann aber nicht hinter mir hin, sondern fliegen voraus, um dann wieder..... Ein schöner Anblick, der sich mindestens zehn Mal wiederholt.

                            Vor allem die Reiher haben es mir angetan. Es gibt graue, aber auch bräunliche mit hellen Federn. Es ist, als wäre ich in einer ganz eigenen Welt, denn Menschen gibt es hier um diese Zeit noch keine. Nur die Vögel und das Meer. Ein unglaubliches Gefühl von Weite und Naturverbundenheit, das man kaum beschreiben kann.








                            Leider reicht das Tele meiner Kamera nicht, um bessere Fotos zu machen. An diesem Tag vermisse ich meine Systemkamera schmerzlich.





                            An einem Gatter spiele ich ein Kinderspiel.





                            Ich sage: „Alle Vögel fliegen hooooch!“ Und alle Vögel fliegen hoch.





                            Kurz darauf begegnet mir eine Karawane.





                            Pilger in ein Gelobtes Land. Ich hoffe, die Fotos können den Eindruck ein wenig wiedergeben.





                            Noch haben sie mich nicht richtig gesehen. Aber gleich darauf fliegen auch sie davon.





                            Das Schild verstehe ich nicht und gucke kurz über den Deich. Sollte es hier wirklich lang gehen? Unten an der Straße ist ein Zaun. Gemeint ist die nächste Auffahrt.





                            Ein wehmütiger Blick zurück. Hier war es wirklich schön. Nun geht es Richtung Zurich.





                            Der Ort Zurich ist nett anzusehen und bietet Unterkünfte für diejenigen, die ermattet dem Damm getrotzt haben. Es gibt sogar eine Bank. Groß prangt am Haus der Schriftzug „Zuricher Bank“. Die Geschäftsräume beherbergen einen Souvenirladen.





                            Die Spannung steigt, denn ich höre nun bereits den Autoverkehr. Merkwürdiger Kontrast nach diesen Momenten der Stille. Und kein schöner Kontrast. Die Geräusche nerven. Aber es ist die einzige Möglichkeit, um das Ijsselmeer zu queren, denn es an Land zu umfahren wäre ein sehr weiter Weg. Es hätte aber noch eine zweite Möglichkeit gegeben, die auch vom Nordseeküstenradweg akzeptiert wird. Die Fahrt mit der Fähre von Harlingen nach Vlieland, die Fahrt mit der Fähre von Vlieland nach Texel, das Durchqueren von Texel und die Fahrt mit der Fähre nach Den Helder. Diese Wegführung soll sehr schön sein, kostet natürlich aber viel Zeit.





                            In der Ferne liegt Kornwerderzand. Auf ihr befinden sich Festungsanlagen aus dem Zweiten Weltkrieg, bestehend aus 17 Kasematten und 3 Bunkern. Teile sind zur Besichtigung freigegeben. Außerdem gibt es Schleusen, die das Ijsselmeer mit der Nordsee verbinden. Ein Mann studiert seine Karte, und ich frage ihn, ob ich ihm helfen kann. Er sucht Alternativen. Aber es gibt ja nur diesen einen Weg hier.





                            Hier der Blick zur anderen, zur Nordseeseite.





                            Plötzlich höre ich ein Auto, das langsam hinter mir herfährt. Da es sich um einen Rad- und Fußweg handelt, halte ich stur meine Geschwindigkeit. An sich wäre sogar genug Platz zum Überholen da. Als das Fahrzeug Richtung Hafen abbiegt sehe ich, dass es die Polizei ist.





                            Es hat etwas, als Fahrradfahrer an einer Schnellstraße freie Fahrt auf einer eigenen Spur zu haben. Sehr angenehm.





                            Die Schleuse. Und ich kann mir nicht helfen, ein wenig fühle ich mich nach Italien versetzt. Irgendwie hat das so etwas Klassisch-Römisches hier. Via Aurelia. Nur der Radweg ist untypisch.





                            Weiter geht es die Schnellstraße entlang. An der Böschung liegen Pflanzen und ich überlege konzentriert, wie die dort hinkommen. Hat sie jemand abgemäht und liegen gelassen? Wurden sie dahin geweht? Vielleicht sogar über das Ijsselmeer? Oder ist es Zauberei? Irgendetwas muss man ja denken, wenn man öde an einer Schnellstraße entlang fährt, und so denke ich mir ausführliche und absolut plausible Erklärungen aus.





                            Die Sonne kann sich auch nicht so ganz entscheiden, was sie will, aber letztendlich wird sie sich dafür entscheiden, zu verschwinden.





                            Ein paar Rennfahrer überholen mich. Ich beneide sie um ihre Geschwindigkeit.
                            Der Rastplatz kommt in Sicht, wo ich mit Familie Ditschi einmal Picknick gemacht habe. Die Gegend heißt Breezanddijk.





                            Plötzlich werde ich von Heerscharen von Mücken überfallen. Keine Ahnung, woher die gekommen sind. Stechen tun sie nicht. Sie sind nur überall in meinem Gesicht und an den Händen. Lästig, wirklich lästig. Ich sehe zu, dass ich wegkomme.
                            Auf dem Rastplatz stehen nur wenig Autos. Ein paar ältere Touristen Insassen turnen an einer Statue herum, um Erinnerungsfotos zu machen. Hach ist das lustig. Ich gebe Gas.

                            Genau hier scheint nun eine Wetterscheide zu sein, denn schlagartig wird das Wetter trübe. Auch der Wind macht sich bemerkbar, aber direkt von vorne kommt er nicht. Es scheint Südwind zu sein.





                            Immerhin. Um Viertel nach zehn ist die Strecke fast geschafft.





                            An der Straße sind Bauarbeiten und auch der Radverkehr wird umgeleitet. Ein Reiseradler kommt mir entgegen und ich warte, bis er passiert hat. Dann bin ich wieder in der Zivilisation. Vor Freude fotografiere ich ein paar Vögel.





                            Für Ditschi.





                            Der Radweg lenkt mich durch den Hafen von Den Oever, aber richtig wohl fühle ich mich da nicht. Die Kais wirken verlassen, und es ist zugig. Nun bin ich also in der Provinz Nord-Holland. Ohne Pause radele ich weiter.







                            Bei der nächsten Gelegenheit mache ich erst einmal eine Rast. 42 km stehen auf meinem Navi. Dafür, dass es kurz vor elf ist, ist das für meine Verhältnisse ganz schön viel. Meine Knie fühlen sich ein wenig steif an, vermutlich eher das feuchte Wetter. In der Ferne sehe ich ein paar Reiseradler, und eine Frau mit vollem Gepäck fährt vorbei und grüßt. Schade, dass niemand anhält. Die meisten wollen wohl auch schnell über den Damm.

                            Der Radweg wieder bald sehr naturnah. Viele Vögel gibt es hier. Schnarrend und quakend fliegen einige über mich hinweg. Vor allem sind es Gänse, aber auch Schwäne sind dabei.





                            Landidylle.








                            Manche Ecken sind schön. Nur etwas Sonne könnte nicht schaden.








                            Bald darauf bin ich am Yachthafen am Amstelmeer. Ein Auto lässt mich freundlich vor, ein paar Menschen stehen herum. Ansonsten ist hier absolut nichts los. Der Ort heißt De Haukes.





                            Der Radweg führt nun nicht über den Damm zwischen Amstelmeer und Waddenzee, sondern um das Amstelmeer herum. Es ist eine perfekt asphaltierte, ansteigende Straße und ich fahre sie mit Genuss. Laut Navi sind es 17 bis 20 km/h und das ist ziemlich viel für mich. Die Reiseradler, die sie bergab fahren, beneide ich nicht. Es war schön, mal bergauf fahren zu können. Ich bin enttäuscht, als sie zu Ende ist.





                            Nun sind wieder Wiesen, Felder, Flachland angesagt.





                            Allerdings wirken die Höfe hier viel weniger stolz als in Groningen. An den Einfahrten stehen Schilder „Blumen“ und manchmal sind mehr oder weniger verwelkte Exemplare zu sehen. Es bleibt weiterhin flach und ich merke eine gewissen Unruhe bei mir. Die Fahrt über den Damm ging so flott voran. Aber hier radelt es sich einfach nur zäh. Immer wieder schaue ich auf mein Navi, wo ich jetzt bin. Und immer wieder wirkt es, als wäre ich kein Stück weiter gekommen. Das erste Mal kommt mir der Gedanke, dass ich vielleicht gleich hätte nach England fahren sollen und Holland Holland sein hätte lassen sollen. Dann verbitte ich mir diese Gedanken. Die Region kann ja nichts dafür, dass sie ist wie sie ist.

                            An der Straße ist wieder ein Knotenpunktschild. Eine Frau bringt einen kleinen Jungen auf dem Fahrrad über die Straße und erklärt ihm die Verkehrsregeln. Wir lächeln uns an.

                            Der Ort Anna Paulowna. Benannt wurde er nach er niederländischen Königin Anna Paulowna, verheiratet mit König Wilhelm II. In der Gemeinde findet man das größte zusammenhängende Blumenzwiebelzuchtgebiet der Niederlande. Fotos vom Ort mache ich keine. Nur an den Namen erinnere ich mich noch. Dafür kommt dieser Kollege aufs Bild.





                            Ich erreiche Oudesluis




                            und werde ein paar Meter weiter fast von einer Rennradtruppe ins Jenseits befördert, die mit Tunnelblick in Schwarmintelligenz um die Ecke rast. Im letzten Moment sehen sie mich, und der Schwarm rückt zusammen, aber ein angenehmes Gefühl ist das nicht, denn es sind mindestens 4 oder 5, die direkt auf mich zukommen und dann im letzten Moment die Richtung ändern. Auf den Trikots steht Hollandes Kroon, das ist der Ort, in den Anna Paulowna und andere Dörfer eingemeindet wurden. Vielleicht die lokale Mannschaft. Der Herr in der Mitte ist ein Nachzügler.





                            Das folgende Zusatzschild gefällt mir von der Gestaltung her ausnehmend gut – in England werde ich es wiedersehen. Ich kannte es bisher nicht.





                            Die Strecke wird nun wieder etwas idyllischer und meine Motivation bekommt einen neuen Schub. Ich fahre an einem kleinen Campingplatz vorbei – Kamperen bij de Boer. Agrotouristik. Kurz darauf komme ich an eine Wasserfläche. Die Erklärung steht (auch in Deutsch) dabei: Es sind Blumenzwiebelfelder, die unter Wasser gesetzt werden, um die Böden von Krankheiten, Viren, Zwiebelresten und Unkraut zu befreien. Der Prozess wird Inundation genannt. Die Flächen sind ein ideales Rast- und Nahrungsgebiet für die Vögel.





                            Die nächste Pause steht an und wieder bin ich ziemlich müde. Aber hier ist leider zuviel Verkehr, um ein Schläfchen zu halten.





                            Ein Mann mit einem Transporter kommt und parkt auf einer Brachfläche gegenüber. Er wirft eine Angel in den Kanal und wartet etwas. Dann zieht er ein paar Wasserpflanzen heraus. Kurzerhand packt er sein Angelzeug wieder zusammen, wirft es ins Auto und braust davon. Viele Radfahrer radeln auf ihren Rädern vorbei. Es sind Schüler, Hausfrauen und Rentner. Einige sind sehr modisch gekleidet, andere klassisch-konservativ, wieder andere unauffällig. Ein Paar trägt Rucksack.





                            Irgendwann komme ich an einen Kreisverkehr und habe keinen Ahnung, wie ich die Straße überqueren soll. Einen Fahrradstreifen gibt es nicht. Dafür einen Verkehrsstau und die Autofahrer sind völlig gestresst um ihren Vorteil bedacht und niemand hält an. Das bin ich nicht mehr gewöhnt. Es dauert lange, bis ich endlich eine Lücke finde.

                            Etwas weiter zeigen die Schilder, dass ich nun nicht mehr auf der Waddenzeeroute, sondern auf der Nordseeroute bin. Das holländische Ehepaar von gestern hatte mich schon darauf vorbereitet, dass nun auch die Nummerierung sich ändert.





                            Das ist in der Tat so. Ich bin jetzt nicht mehr auf der 10b, sondern auf der 1a. Der Hinweis steht am Fahrradweg und ich wage es, auf dem Radweg stehen zu bleiben, um dieses Foto zu machen. Ein Mofa kommt von hinten und der Mofafahrer macht mich auf Englisch blöd an, was mir einfällt, hier auf dem Weg herumzustehen. Ich frage ihn, ob er Probleme hat. A.... gibt es anscheinend überall, man sollte sich nicht von Urlaubsgefühlen täuschen lassen.





                            Der Weg geht nun an der Küste entlang und das bedeutet in diesem Fall der Kontakt mit dem Massentouristmus der Nachsaison. Es sind viele deutsche Kennzeichen zu sehen, vor allem aus Nordrhein-Westfalen. Auf den Campingplätzen scheint noch viel Betrieb zu sein. Ich sehe einen Supermarkt, der zwar zu einem Campingplatz gehört, aber auch ohne Campen betreten werden kann. Auf dem Vorplatz parkt ein Pinneberger Wohnwagengespann.





                            Ich kaufe im Supermarkt Heidelbeerjoghurt und eine Banane. Ich habe Hunger und esse die Sachen sofort. Eine gute Gelegenheit, endlich mal die stylischen holländischen Packtaschen zu fotografieren.





                            Weiter geht es auf einem Radweg, der erst ein Stück durch die Dünen und dann an den Dünen entlang führt. Die Dünenlandschaft ist eingezäunt. Schön ist die Strecke nicht, aber man kommt voran. Die Heideblüte beginnt bereits.





                            Es sind erstaunlich viele Radler unterwegs und viele haben elektronische Unterstützung. Ein Liegeradler führt volles Gepäck mit sich, das sieht nach einer Langstrecke aus.


                            Petten.





                            Es riecht nach Sonnencreme und Urlaub. Eine Schülergruppe lärmt. Kurz darauf geht es am Deich entlang.





                            Und dann freuen sich meine Augen: Die holländischen Alpen kommen in Sicht. Meine Meinung. Ich befinde mich folglich im Alpenvorland. Finde ich.





                            Erwartet hatte ich sie bereits, denn das holländische Ehepaar hatte mir davon erzählt. Aber zunächst besteige ich den Deich, weil das gerade alle tun und an dieser Stelle auch eine Menge Leute herumstehen. Ich frage einen Motorradfahrer, der gerade herunterkommt, was man da sieht und erklärt es mir. Die begucken sich die Sandvorspülungsarbeiten, die zusätzlichen Flutschutz bieten sollen.





                            Ich sehe jetzt, dass ich auch auf dem Deich hätte fahren können. Anscheinend hatte ich die gelben Schilder für die Radfahrer falsch verstanden. Möglicherweise ging es darum, dass die Radfahrer keinen Vorrang haben, wenn sie oben fahren. Ich bleibe dennoch unten, denn es sind mir zuviele Spaziergänger unterwegs. Mit Gepäck ist das nicht so günstig.








                            Unten wieder angekommen, frage ich ein Ehepaar nach ihrem Fahrrad. Das flache Teil auf dem Gepäckträger ist der Akku. Sie haben sich die Fahrräder vom Schwiegervater der Tochter geliehen und sind ganz happy. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie kürzer treten und das ist eine unerwartete Chance für beide. Vor Freude strahlend fahren sie weiter.





                            Die Alpen kommen nun immer näher. Ein uralter britischer Sportwagen parkt an der Seite. Es ist ein Austin Seven in der Sportausführung.






                            Ich bin kurz vor Camperduin. Eine Truppe Radsegler kommt mir entgegen. Ein Nachzügler.








                            Ich frage zwei Briten nach einem Campingplatz. Ich weiß nicht wieso, aber Camperduin gefällt mir nicht. Keine Ahnung warum. Aus irgendeinem Grund weiß ich, dass hier der falsche Platz ist. Vielleicht sind mir zuviel Menschen hier. Bergen, sagen die Briten. Das ist ein schöner Ort und da gibt es auch Campingplätze. Ein Künstlerdorf. Ca. 11 km hinter den Dünen. 11 km. Das klingt, als könne ich das noch schaffen. Ich bedanke mich und fahre los.


                            Die Alpen sind natürlich die Schoorlse Duinen. Steigeisen braucht man also nicht.





                            Und ich muss sagen, mein Herz hebt sich vor Freude, als ich die ersten Meter fahre.





                            Obwohl ich hier keine Einsamkeit finde, gibt es wirklich bezaubernde Abschnitte.











                            An diesen Stellen halte ich länger inne, denn sie sind einfach schön.











                            Das Wetter ist auch besser geworden und die Sonne wärmt. Flach ist es hier allerdings nicht. Meistens genieße ich es und fahre entspannt die Wege hoch, aber an einer Stelle muss ich schieben. Das ist mir zu steil. Eine Frau auf einem Elektrofahrrad überholt mich und macht irgendeine Bemerkung auf holländisch. Vielleicht war der Satz aufmunternd gemeint, vielleicht empfiehlt sie mir ein E-Bike. Ich habe ihn nicht verstanden. Aber ich reagiere völlig humorlos und frage auf englisch: „Sind sie heute auch schon fast 100 km geradelt?“ Sie zuckt förmlich zusammen und surrt weiter. Kurze Zeit später überhole ich sie, und bleibe anschließend ihrer Freundin – ebenfalls mit E-Bike – auf den Fersen.














                            Irgendwann kommt aber das Bedürfnis nach Ruhe wieder durch und ich frage mich, ob das hier irgendwann noch einmal aufhört. Wieder einmal nimmt der Radweg nicht den direkten Weg, sondern macht eine große Schleife. Da lenkt auch nicht ab, dass das Gebiet von freilaufenden Tieren beweidet wird und das ziemlich interessant ist. Übrigens: Der tut nichts.








                            Endlich kündigt sich das Ende der Dünen an.





                            Ich bin nun in Bergen aan Zee. Das ist erfreulich, aber leider hat Bergen aan Zee überhaupt nichts mit Bergen zu tun. Mein Campingplatzcheck im Navi ergibt, dass Bergen und damit der nächste Campingplatz noch einmal 5 km weiter ist. Apathisch schiebe ich mein Rad ein paar Meter weiter und beschließe, keinen Zentimeter mehr zu fahren, sondern mich genau da, wo ich jetzt stehe, hinzulegen, um zu sterben.

                            Natürlich geht das nicht und kurz darauf werde ich von etwas Interessantem abgelenkt. Vielleicht sollte ich dort einfach mal fragen. Dann bemerke ich eine Frau, die an einem der Tische vor einem Haus sitzt. Sie hat einen Koffer dabei. Vielleicht kennt sie sich trotzdem aus.
                            Ich frage sie nach einem Campingplatz. „Die Campingplätze sind an der Straße“, sagt sie, „in diese Richtung. Das sind noch ungefähr 5 km“.
                            „Ja“, sage ich, „aber das schaffe ich nicht mehr. Ich bin völlig fertig. Ich komme heute aus Harlingen und bin über den Damm gefahren. Und die Dünen haben mir den Rest gegeben. Bei uns ist doch alles flach.“ Sie lächelt. „Fragen Sie doch einfach mal hier. Hier zelten hinter dem Haus oft Leute. Da ist bestimmt noch ein Platz frei“. Ich schaue ungläubig. „Hier?“ Ja, sagt sie, „gehen Sie mal rein und fragen sie“.


                            Ich gehe hinein und finde einen älteren Herren vor, der mich etwas an den Kantor einer Pfarrei erinnert. Meine Frage beantwortet er nicht, sondern bittet mich, mich erst einmal an den Tisch vor der Tür zu setzen. Er wird mir einen Tee bringen. Ich hasse so etwas. Ich will erst die Fakten haben und dann meinetwegen Tee, aber an seiner Unnachgiebigkeit bemerke ich, dass es schlau sein könnte, seine Anweisungen zu befolgen.
                            Ich setze mich also und kann der Frau noch kein Ergebnis mitteilen. Kurze Zeit später kommt er mit einer Tasse Tee für mich und einer für sich und fragt, ob ich das Haus kennen würde. Ich bin etwas irritiert und denke einen kurzen Moment, er wäre vielleicht Angehöriger einer Sekte. Er erklärt mir ein bisschen und übersetzt etwas auf Deutsch, und nun erinnere ich mich tatsächlich. In Norddeutschland gibt es das nicht, aber ich kenne es aus dem Saarland. Ich bin ganz überrascht, ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt. Noch überraschter bin ich, als er mir Hintergründe erläutert. Das wusste ich nicht. Ich kannte nur den Begriff. Natürlich könnte ich hier jetzt etwas genauer werden, aber ich weiß nicht, ob das in Ordnung ist. An sich richtet sich das Angebot ja meiner Kenntnis nach nur an Mitglieder. Wer es genauer wissen will, kann mich per PN fragen.

                            Nun erklärt er mir, dass es hier in der Gemeinde nicht gewünscht sei, dass es einen Campingplatz gäbe. Es hätte Versuche in diese Richtung gegeben, aber man will sich die Exklusivität des Ortes bewahren. Anscheinend ist das hier ein Badeort für Reiche. Sie dagegen dürfen durchaus Gäste auf ihrem Gelände zelten lassen. Er lächelt mich an und erklärt mir den Weg. Ich solle mir einfach einen Platz aussuchen. Anmelden kann ich mich, wenn ich mich eingerichtet und geduscht habe.

                            Ich kann mein Glück kaum fassen und schaue ihn mit großen Augen an. Das freut ihn, und er ermuntert mich, hier Gast zu sein. Ich ziehe los und suche mir einen Platz, der näher am Haus ist und etwas Bodenvegetation aufweist. Ich könnte mich zwar auch mitten in die Dünen stellen, aber Sand an feuchten SilNylonzelten ist unangenehm. Sandheringe haben ich auch keine dabei.





                            Kaum habe ich mich eingerichtet, zieht es mich zur Dusche. Ich bin völlig durchgeschwitzt und wird deutlich, dass ich dringend waschen muss. Das Fahrrad darf in einen Fahrradabstellraum, es ist wieder ein sanfter Befehl des Mannes, damit es nicht nass wird. Ich laufe zur Rezeption, wo eine alte Dame ein strenges buchhalterisches Regiment führt. Es muss alles in einer bestimmten Reihenfolge passieren und meine Daten muss ich aufschreiben, denn sie braucht länger, bis sie es eingetippt haben wird. Für den Schlüssel zu den Nachtsanis (ein Raum, der geschlechterübergreifend aus Dusche und Toilette besteht) muss ich eine Kaution hinterlegen. Zwei Mädels mit Zelt kommen und sind völlig begeistert von dem Areal. „Wir dürfen uns wirklich überall hinstellen?“ fragen sie mich. Sie wählen den großen Sandplatz und kurz darauf verlaufen Wäscheleinen zwischen Zelt und Zaun.

                            An der Sitzgruppe lasse ich mich nieder und koche eine Mahlzeit aus meinen Notreservenudeln mit meinem Notreserveketchup. Ich bin völllig ausgehungert und zittere bereits.





                            Als ich etwas später die Nachtsanis betrete, um auch nach meinem Akku zu schauen, steht in der Dusche ein voll angezogener Typ, der ziemlich merkwürdig da steht. Auf meine Frage, ob er fertig sei – denn falls er jetzt duscht, würde ich den Akku entfernen und später wiederkommen – reagiert er richtig agressiv. Er würde hier Übungen machen und wenn jemand duschen wolle, würde er die Dusche freimachen. Ich versuche, ihm zu erklären, was ich meine, aber mit ihm ist nicht zu reden. Er streckt wieder die Arme aus und macht irgendwelche merkwürdigen Verrenkungen. Ist das Meditation? Oder Zen? Ich kenne mich da nicht aus. Ich dachte immer, so etwas sei entspannend. Warum geht er denn nicht in die Natur, da ist doch genug Platz? Manche Menschen sind mir unverständlich.

                            Im Hof sitzen zwei Holländer und wir unterhalten uns. Sie fragen, ob ich nach Ijmuiden will und ich sage: Hoek van Holland. Das ist weit. Ob ich denn in Zandvoort übernachten will. Ach Gott, das liegt auch da? Scheveningen wäre gut, sage ich. Aber ich werde wohl zwei Tage brauchen, bis ich eine Fähre nehmen kann. Hoffentlich finde ich einen Platz. Sonst wird das knapp mit England. Die Frau nickt optimistisch. Es sind große Fähren und die Ferien sind vorbei. Das sollte schon klappen.

                            Erst dieses Gespräch hat mir bewusst gemacht, wie weit ich plötzlich bin, und dass ich mit dem Überwinden des Damms meine Fährfahrt planen muss. Im Zelt greife ich nach meiner Karte und messe die Strecke aus. Selbst wenn ich viel schneller als heute bin, so werde ich Hoek van Holland morgen nicht erreichen. Mit viel Glück wird es Sonntag werden, und wenn ich dann eine Fahrkarte bekomme, bin ich Montagmorgen in Harwich. Dann habe ich 9 oder 10 Tage Zeit, um nach Newcastle zu kommen. Unmöglich für mich, das zu schaffen. Ein paar Steigungen und ich bin raus.
                            Ein kleiner Dorn piekt sich in mein Herz. Natürlich, ich könnte bis Hull fahren und dann mit dem Zug nach Newcastle. Oder von Hull aus zurückfahren. Newcastle. Wie schön hatte ich es mir ausgemalt, nach Tagen des Radelns am Ziel zu stehen und dann abends an dem warmen Buffet meinen Erfolg zu feiern. Stattdessen dann wieder Abbruch, Bahnfahrt, Looser.

                            Ich verscheuche die trüben Gedanken. Ich habe mir diesen Weg nun einmal vorgenommen und von Anfang an war klar, dass England ein fernes Ziel ist. Ich kann froh sein, es überhaupt schon so weit geschafft zu haben. Jetzt schlafe ich erst einmal drüber und morgen geht es weiter. Aber ich sollte mir morgen ein Hotelzimmer nehmen und abends einmal richtig essen gehen. Ein „freier Tag“ würde mir gut tun.

                            Als es dunkel wird, liege ich längst im Schlafsack. Ein paar Kinder toben später noch herum, dann ist alles still. Ich habe meinem rechten Knie einen Beinling spendiert. Sicher ist sicher. Ich muss es warm halten, sonst komme ich nie nach England.
                            Zuletzt geändert von Torres; 26.09.2014, 21:39.
                            Oha.
                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                            • Ditschi
                              Freak

                              Liebt das Forum
                              • 20.07.2009
                              • 12362
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                              #15
                              AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                              Danke , daß Du beim Leuchtturm an mich gedacht und auch unsere Fahrt zu Karsten Tenten nach Zwaag nicht vergessen hast.
                              Den Damm fand ich übrigens nicht langweilig. Die Straße schon, aber rechts und links Wasser stimmt mich zumeist froh. Ich mag das nunmal. Ansonsten weiß ich nicht, was ich mehr bewundern soll: die Ausdauer beim Radeln oder beim Schreiben?
                              Beides eine gelungene und beachtliche Leistung.
                              Gruß Ditschi

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                              • Torres
                                Freak

                                Liebt das Forum
                                • 16.08.2008
                                • 30709
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                                Zu neuen Ufern.

                                Sa, 06.09.2014
                                Bergen aan Zee – Nordsee 39,2 km


                                Ich habe zwar gut geschlafen, aber so richtig komme ich nicht hoch. Meine inneren Batterien haben sich gestern wohl etwas entladen. Ich fühle mich schlapp. Mein linkes Bein ist etwas steif, von jetzt ab muss ich beide wärmen. Wie im Tran packe ich meine Sachen ein. Das Zelt ist so gut wie trocken, es gab kein Kondens, obwohl es diesig feucht ist. Ich esse die restlichen Brötchen mit einem Schmierkäse, den ich zu Hause bereits eingepackt hatte. Er schmeckt scheußlich. Aber er soll ja nicht schmecken, sondern satt machen. Ich schaue auf die karge Dünenlandschaft und würde mich am liebsten wieder hinlegen. Irgendwie bin ich heute nicht gut drauf.

                                Ich brauche den Schlüssel zum Fahrradunterstand und der Herr von gestern lächelt mich warmherzig an, als er mich sieht. Sofort fühle ich mich besser. Ich begreife, dass er gestern einfach nur vorsichtig war. Das kann ich gut verstehen. Wir wechseln ein paar Sätze und offen zeigt er sein Bedauern, dass ich schon weiterfahre. Einen kleinen Moment fühle ich einen Anflug von Schwäche, denn einen Ruhetag könnte ich wirklich gut gebrauchen. Und einen so tollen Zeltplatz muss man auch erst einmal wiederfinden. Aber wenn der Motor einmal läuft, dann läuft er. Entschuldigend sage ich, ich würde gerne bleiben, müsse aber meinen Zeitplan einhalten. Das ist ein wenig geschwindelt, denn ich könnte meine Pläne ja ändern. Aber in Sekundenbruchteilen hatte ich gescannt, was ich hier heute unternehmen könnte, aber mir fiel nichts spannendes ein. Nach Bergen fahren und den Ort anschauen? Essen gehen? Durch die Dünen laufen? An den Sandstrand setzen? Merkwürdig. Es reizt mich alles nicht. Irgendetwas in mir will weiter. Vielleicht habe ich im August einfach zuviel bemme geschaut . Vielleicht bin ich aber auch nicht so der Typ für Dünen.


                                Etwas später betrachte ich den Ort. Er wirkt ausgestorben, fast steril. Die Ferien sind vorbei. Nichts, aber auch gar nichts weckt irgendwelche Emotionen in mir. Zweckarchitektur ist mein üblicher Begriff dafür.
                                Dann höre ich das Meer rauschen und das weckt in mir normalerweise die Lebensgeister. Es gibt einen hölzernen Übergang zum Strand und dort parke ich mein Fahrrad. Und wieder werde ich mit der Landschaft nicht warm. Der Strand ist einfach zu perfekt. Er erinnert mich stark an den Strand von Westerland/Sylt. Nur die Hochhäuser fehlen. Irgendetwas stimmt mit mir nicht.





                                Ich stelle mein Fahrrad ab und laufe die Treppen hinunter. Ich könnte jetzt hier spazieren gehen, weiß aber nicht warum.





                                Vergeblich versuche ich mir klar zu machen, dass hier das Meer ist, das ich so liebe. Und dennoch fühle ich mich hier irgendwie nicht wohl. Anders kann ich es nicht beschreiben.








                                An einem Aussichtspunkt herrscht reges Treiben, und das ist die Gesellschaft, die ich mag. Als ich näher komme, fliegen sie davon.





                                Zwei Schwimmer entsteigen dem Meer, es dürfte noch warm sein. Ein Traumstrand, sicher. Aber nicht für mich. Emotionslos radele ich weiter.






                                An einem Platz stehen mehrere Menschen, und ich vermute eine Bäckerei. Sie warten auf den kleinen Strandladen, der zwar seine Waren bereits vor der Tür präsentiert, aber noch nicht geöffnet hat. Man hört die Stimmen der Verkäuferinnen. Vermutlich gibt es hier auch Brötchen. Die Wartenden sind unruhig und mustern mich ablehnend, obwohl ich sie grüße. Niemand grüßt zurück. Ein Lächeln suche ich vergebens. Sie haben wohl keine Lust, zu warten. Ich auch nicht und so radele ich weiter.

                                Die Straße erinnert mich ein wenig an Frankreich im Herbst, wieso kann ich nicht begründen. Mögen die Häuser auch teuer sein, auf mich wirken sie wie Festungen, und ich ahne, wie kalt und feucht es hier im Winter sein wird.





                                Kurz darauf beginnt eine neue Dünenlandschaft und meine Laune hebt sich spürbar. Der Kontrast zu gestern ist allerdings augenfällig. Was am Tag zuvor im Sonnenlicht glänzte, wirkt heute matt und leer.





                                Am Wegesrand stehen Fotografen und bald sehe ich, was sie fotografieren.





                                Eine Gruppe Hochlandrinder





                                und eine Gruppe wilder Pferde.









                                Vielleicht ist Urlaub machen in dieser Gegend doch nicht so schlecht. Womöglich muss man bleiben, um diese Landschaft zu verstehen und ein Gefühl für sie zu entwickeln. Wandern kann man hier sicher wunderbar, für Wanderer gibt es extra Wege. Aber nun ist es zu spät. Ich bin ja bereits unterwegs.








                                Die ersten Radler begegnen mir, die meisten sind Mountainbiker, aber es sind auch drei oder vier Frauen und Männer dabei, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie zur Arbeit fahren. Man grüßt sich freundlich. Andere Fahrer grüßen dagegen nicht. Die Städte rücken näher.
                                Ganz so hoch wie die Dünen von gestern sind die Dünen hier nicht und sie wechseln sich mit bewaldeten Tallandschaften an. In der Tat waren die Dünen von gestern die höchsten mit ca. 54 Metern.





                                Das Schild kenne ich auch noch nicht. Die Abfahrt ist tatsächlich nicht ganz ohne. Ich bin froh, dass ich nicht hochschieben muss.





                                Hier der Anfang der Abfahrt. Ich unterteile die Landschaft nun in „über der Baumgrenze“ und „unter der Baumgrenze“.








                                Der kleine See gefällt mir gut.





                                Kurz darauf endet das Dünengebiet und ich erreiche Egmond aan Zee. Wie in Schoorl und in Bergen aan Zee befinden sich auch hier hinter den Dünen ausgedehnte Traumstrände. Die Radroute führt aber nicht daran vorbei. Hinter dem Zaun steht Damwild. An der Straße befindet sich ein Campingplatz.





                                Im Ort sehe ich ein kleines Einkaufszentrum, das gut besucht ist. Ich entscheide, dass der Ort sicher ist und schließe mein Fahrrad neben der Schwingtür an. Praktischerweise ist direkt dahinter die Bäckerei. Innen finde ich ungewöhnliche Warenpräsentation vor, denn es ist eine Art Selbstbedienungstheke mit vielen unterschiedlichen Körben voller Brötchen oder Brot. An Brötchen gibt es alleine geschätzt 25 verschiede Sorten und ich kann mich kaum entscheiden. Es werden fünf große Vollkornbrötchen und ein Pizzabrot, aber am liebsten würde ich alle probieren. Die Holländer vor mir kaufen vor allem Brot, aber viele von ihnen mindestens 3 Brote oder mehr. Für das Dritte gibt es wohl einen Sonderpreis. Dennoch: Mir war gar nicht bewusst, dass in Holland so viel Brot gegessen wird.

                                An einem kleinen Tisch nehme ich Platz, um das Pizzabrot zu essen und bestelle noch einen Kakao. Ich denke da an den Traum in Appingedam, erhalte aber nur einen kalten Kakao aus der Plastikflasche, der nach Zucker und H-Milch schmeckt. Meine Laune schmilzt erneut dahin. Der Tag ist deprimierend.





                                Mit diesen Bild versuche ich, meine Laune wieder aufzurichten. Ich finde, das Feld sieht aus wie ein Strickpulli.





                                Kurz darauf bin ich an den nächsten Dünen.





                                Mütter gehen mit ihren Kindern spazieren. Sanddorn steht an den Wegesrändern und verleitet mich, etwas Vitamin C zu mir zu nehmen. Wie üblich schmeckt er erst süß und dann süßlich-bitter. Ein wenig verziehe ich das Gesicht.





                                Es ist diesig und ein Schleier liegt über den wenigen gelben Blumen, die der Landschaft einen Tupfer geben. Auch am Wegesrand sind bunte Stellen selten. Es dominieren grau und grün.





                                MTB rasen an mir vorbei und das erste Mal fällt mir auf, wie laut Fahrräder eigentlich sind. Das Surren des Antriebes – auch mein Fahrrad surrt so – ist genauso Ruhestörung, wie das Geräusch eines Motors. Wieso fällt mir das auf? Es weht hier kein Wind und es ist völlig still. Vögel hört man keine. Da fällt das Geräusch besonders auf. Ist Radfahren wirklich Outdoor?

                                Mein Fahrrad quittiert diese Gedanken damit, urplötzlich Klackgeräusche von sich zu geben. Sobald ich das linke Pedal heruntertrete, klackt es. Ich drehe rückwärts und trete nur mit dem rechten Fuß. Kein Geräusch. Sobald ich den linken Fuß aufsetze, klackt es.

                                Wie ich schon erwähnte, ist es hier absolut still. Ein Genuss für meine Ohren. Kurz: Das Geräusch macht mich wahnsinnig. Klack, klack, klack, klack. Und das erste Mal keimt in meinem Gehirn ein kleiner Gedanke, den ich bisher trotz aller Widrigkeiten nie zu denken gewagt habe. Auch dieses Mal verbitte ich mir das und reagiere umgehend mit Durchhalteparolen, wohl ahnend, dass die Entscheidung nun gefallen ist. Man kennt sich ja mit den Jahren.

                                Ein schönes Waldstück ist zu durchqueren und ich entscheide, den Moment zu leben. Ich setze mich an einen Tisch und esse die gekauften Brötchen. Danach werde ich schlagartig wieder müde. Ich legen meinen Kopf auf die Bank, aber schlafen kann ich nicht.





                                Ich mache ein paar Fotos und hänge dann meinen Gedanken nach. Es ist Samstag. Genau eine Woche bin ich jetzt unterwegs. Und kann man mich an fast nichts erinnern. Zuviele Eindrücke waren das auf einmal. Ich lebe im Hier und Jetzt. Aber das weist darauf hin, dass ich mir mal etwas Pause gönnen sollte. Ein Ruhetag wäre gut oder zumindest etwas Erholung. Ich schwöre mir, heute abend, statt zu zelten, ein Bett zu buchen und etwas Richtiges zu essen. Ein Bett. Eine kuschelige Decke. Die Vorstellung gefällt mir. Ich werde wohl nie ein richtiger Outdoorer.





                                Ein Trupp Rennradler taucht auf und stürmt auf meinen Platz zu. Vermutlich machen sie hier immer Pause. Dann realisieren sie, dass da schon jemand sitzt und Verwirrung bricht aus. Ich hätte nichts dagegen, Platz zu machen, aber sie kreisen kreuz und quer völlig ungeordnet umeinander herum und rasen dann weiter. Mal wieder sinniere ich über die Psyche von Rennradlern. Irgendwie eine besondere Spezies von Mensch.

                                Die Unterbrechung hat mich aus meinen Gedanken gerissen. Ich breche auf. Die ersten Genussradler sind nun auch unterwegs. Zwei Ehepaare stehen mitten auf dem Weg und schauen sich etwas an. Kurz darauf weiß ich, was:





                                Es folgt eine längere ebene Strecke, auf der ich Schwäne, Enten und große Pilze sehe. Dann steigt der Weg wieder an. Ein Rennradler hält an und macht Fotos. Was er fotografiert, sehe ich dann auch. Der Anblick der Tiere im See ist beeindruckend. Auch hier würde ich mir meine große Kamera und das Teleobjektiv wünschen, ich habe die Motive vor Augen.





                                Dann kommt auch schon Wijk aan Zee und Velsen in Sicht, und ich klackere mich in Richtung Zivilisation.





                                Der Weg führt auf einen sehr idyllischen Radweg, der direkt an einer industriellen Anlage entlang geht. Ich vermute, es ist das Stahlwerk.





                                Die Anlage ist sehr laut und ihre Geräusche in Kombination mit meinem Klackern bringen meinen Kopf an seine Belastungsgrenze. Nach einer Woche Stille in der Provinz, durchbrochen nur durch Wind und Vogelzwischern, kann ich mechanischen Lärm wohl nicht mehr besonders gut ertragen. Auch die Autos irritieren mich, als ich auf dem Radweg einer größeren Straße folge. Wie schnell man sich an autolose Straßen gewöhnen kann. Immerhin ist die Straße hügelig und hui das macht richtig Spaß. Wenn England solche Hügel aufweisen sollte, würden mir die Straßen gefallen.
                                In einer Nebenstraße überholt mich ein Junge mit Inlineskatern. Er fährt gegen Fahrräder Rennen. Ich gebe Gas und nehme die Herausforderung an. Wenn ich will, kann ich auch schnell sein.

                                An einer Kreuzung sehe ich zu meinem Erstaunen, dass Amsterdam gar nicht mehr weit ist. Anscheinend hängt mein Ortungssystem immer noch in Friesland. Was genau auf dem Schild steht, erinnere ich nicht mehr genau, ich glaube, es waren 15 km. Hier der Hinweis auf die Fährverbindungen.





                                Der Nordseeküstenradweg führt nun Richtung Nordzeekanal, wo eine Fähre Fußgänger, Radfahrer und Mopedfahrer auf die andere Seite übersetzt.






                                An der Haltestelle warten drei Jugendliche aus gutem Hause und zwei Jugendliche aus eher schwachen sozialen Verhältnissen. Sie sind fast im gleichen Alter, aber es ist erschreckend, wie groß der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist. Auf der einen Seite das unerschütterliche Selbstbewusstsein derjenigen, die sich ihrer Zukunft gewiss sein können und auf der anderen Seite Zeichen von Hoffnungslosigkeit und das gedrückte Selbstbewusstsein von Menschen, die viel zu viel Last auf ihren schmalen Schultern tragen.








                                Zwei Mädchen kommen aus dem Wartehäuschen an der Straße und versuchen ihre Unsicherheit mit einer offensichtlich zur Schau gestellten Koketterie zu überspielen. Hübsch sind sie nicht, im Gegenteil, aber sie versuchen sich so zu geben. Nicht aus Berechnung, dafür sind sie zu weich, sie wären eine leichte Beute. Ihre einzige Chance wird vermutlich sein, einen Mann zu finden, der Geld nach Hause bringt und sie nicht schlägt. Ihr Leben ist vorbei, bevor es begonnen hat und man merkt, dass sie es wissen. Fahl scheint die Sonne zwischen den Wolken hervor.





                                Die beiden Mädchen geben mir den Rest. Nein, ronaldo, dass Holland flach ist, stört mich nicht. Ich komme ja selbst aus dem Flachland. Es gibt nichts Schöneres, als durch die Weite zu radeln und seine Gedanken wie Flügel auszubreiten, vorausgesetzt es ist nicht soviel Wind. Entscheidend ist für mich, was ich neben mir sehe, und was ich in einer Landschaft fühlen kann. Die Menschen, die Tiere und die Landschaft selbst, sie alle tragen für mich zu einer Landschaft bei. Fühle ich mich dort nicht heimisch, dann wird für mich das Flachland zur Qual und die Weite zur Enge.
                                Seit ich in Nord-Holland angekommen war, sprang der Funke immer seltener über. Und hier, in der Nähe der Städte, habe ich mit einem Mal den Eindruck, dass dieses Land mir nichts mehr sagen kann. Als wäre der eine Teil der Menschen zu satt und der andere Teil der Menschen zu leer. Ich kann es nur schwer beschreiben. Erst heute weiß ich, dass ich gerade in ein Gebiet gefahren bin, was man Randstad nennt. Es benennt das Ballungsgebiet, das die größten Städte der Niederlande umfasst. Hier wohnt die Hälfte der 16 Millionen Niederländer und hier ist auch das wirtschaftliche Herz. Es umschließt eine Grüne Lunge, die als Pufferzone gepflegt wird und der Naherholung dient. Und daher sind die Menschen hier auch anders als bisher.

                                Da ich gestern die Karte studiert habe, weiß ich, dass sich auf den nächsten Kilometern Dünen, Sandstrände, Dörfer und Städte abwechseln werden. Nationalpark Zuid-Kennemerland. Dann Dünengebiete zwischen Zandvoort und Noordwijk. Den Haag. Scheveningen. Tolle Sandstrände. Bekannte Orte. Orte, die ich schon immer einmal sehen wollte. Aber ich spüre, dass ich darauf einfach nicht mehr neugierig bin. Es tut mir leid für Holland, und ich bin mir sicher, dass es Holland nicht gerecht wird. Aber ich will es im Grunde einfach nicht mehr wissen. Ich fahre nur deshalb weiter, weil ich den Schildern folge.





                                Die Fähre legt an und ich reiße mich wieder zusammen. Den Radwegschildern folgend, überquere ich an den Radampeln die belebte Kreuzung und gebe Gas, um routinemäßig den Schildern folgen. Nach ein paar Metern stutze ich. Der Gedanke in den Dünen. Weiter oder nicht? Hier wäre eine Chance.

                                Egal. Ich entschließe mich weiterzufahren, es ist ja nicht mehr weit bis Rotterdam. Morgen geht es dann nach England und dort macht mir Radeln bestimmt auch mehr Spaß. Ich suche mit meinem rechten Fuß den Pedalschuh und gebe mit dem linken Fuß Gas. Klack. Siedendheiß fällt mir ein, dass ich erst einmal einen Radhändler finden muss, bevor die Geschäfte schließen. Es ist gerade Mittag geworden, und möglicherweise schließen die Geschäfte in Holland bereits um 13.00 Uhr. Dieses furchtbare Geklacker ertrage ich nicht bis Montag. Denn am Sonntag wird mir niemand helfen.

                                Im Zentrum finde ich tatsächlich einen Radhändler. Er fährt das Fahrrad Probe und zieht es dann an Seilen hoch, um den Kurbelblock auf Augenhöhe zu begutachten. Ich schildere ihm den Sachverhalt und zeige die Fotos. Er stellt fest, dass die Pedalschraube nicht festgezogen ist und versucht noch einmal die Kette zu lockern. Er erklärt mir, dass die Schraube des zweiten Mechanikers da nicht hingehört, aber vermutlich den Block hält. Möglicherweise wird durch sie das Klackern verursacht. Er prognostiziert mir, dass das Fahrrad durchhalten wird, ich aber nach der Tour die Werkstatt aufsuchen sollte. Eine Dauerlösung ist das nicht. Noch einmal fährt er Probe.





                                Ich habe Glück, und er hat Recht. Mit dem Werkstattbesuch ist das Klackern verschwunden und wird auch nicht mehr auftreten. Das Fahrrad ist wieder in Ordnung und wird bis zum Ende der Tour keine Probleme mehr machen. Am Ende wird sogar die Kette locker sein.

                                Es ist Wochenmarkt. Ich schaue mir das Treiben auf den Straßen an, und auch hier spüre ich meine Distanz. Und so entscheide ich, mein Schicksal in die Hände anderer zu legen und fahre weiter durch den Ort. Schön ist der Ort nicht. Geprägt durch die Stahlindustrie auf der anderen Seite.








                                Den Schalter finde ich schnell. Die Dame ist nett und macht mir wenig Hoffnung. Sie ist sich sicher, dass ausgebucht ist, aber sie schaut noch einmal nach. Sie tippt und schaut und tippt wieder und schaut. „Doch“, sagt sie. „Doch“. Hoffnung keimt in meinem Herzen auf. Sollte das doch noch ein Glücktag werden? „Aber“, sagt sie: „Das wir sehr teuer. Ich kann Ihnen nur noch eine 4-Bett Innenkabine anbieten. Alles andere ist ausgebucht, auch die Einzelbetten. Wir haben heute viele Gruppen. Keine Ahnung wieso. Aber sie könnten von Hoek van Holland nach Hull fahren. Da sind noch viele Plätze frei und es ist auch nicht so teuer“. „Wieviel kostet die Kabine“, frage ich. „335 Euro“, sagt sie entschuldigend. Sie erklärt mir, dass derjeinge, der als letztes bucht, den teuersten Preis zahlt. Die Reederei arbeitet mit flexiblen Preisen.
                                335 Euro sind viel Geld. Für 335 Euro bekommt man ein gutes Zelt. Und morgen käme ich preiswert nach Harwich. Ich wandele mein Hirn à la Sherlock in einen Computer um und lege die Fakten auf eine Waagschale: Zwei Tagen radeln durch Dünen und Städte stehen jetzt 335,00 Euro für ein Bett nach Newcastle entgegen. Newcastle bedeutet Tourabbruch. Ziel war ja, den Radweg lückenlos zu fahren. Aber kann ich weiterradeln meinen Nerven zumuten?
                                Mein Gehirn sortiert die Parameter neu und ändert die Bezugsgröße: Die Fahrt von Lübeck nach Helsinki kostet ungefähr 340 Euro pro Bett und über 500 Euro für eine 2er Kabine. Hier gibt für den Preis eines Bettes immerhin 4 Betten dafür, das macht die Überfahrt fast zu einem Schnäppchen. Ich gebe mir einen Ruck, hole die Kreditkarte und halte sie lässig über den Tresen. Mit einer filmreifen Geste. „Machen wir. Ich habe Urlaub.“

                                Die Dame schaut mich erstaunt an und fragt noch einmal nach. Aber ich habe mich entschlossen und sie nickt. Passport, please. 2 Minuten später bin ich im Besitz einer Buchungsbestätigung. Abendessen und Frühstück buche ich dazu. Wenn schon, denn schon.

                                Als ich den Schalter verlasse, ist mir ganz flau, wie immer, wenn ich zuviel Geld ausgebe. Aber gleichzeitig fühle ich mich wie erlöst und sehe die Welt in neuen Farben.
                                Newcastle upon Tyne. Morgen bin ich da. England, ich komme! Von Ijmuiden nach Hoek van Holland kann ich auch im nächsten Sommer irgendwann einmal radeln. Das ist von Deutschland aus doch gar nicht so weit.
                                Als ich mein Fahrrad zum Check-In schiebe, durchströmt mich das pure Glück. Ich bin frei. Endlich frei.





                                Ich positioniere mich auf einer leeren Fahrspur, denn die Fahrräder kommen auf Fähren im Allgemeinen zu erst dran. Kurz darauf halten Motorradfahrer aus Deutschland hinter mir und wir unterhalten uns ein wenig. Dann erblicke ich zwei Reiseradler aus der Region Aachen, und wir stellen uns direkt vor dem Tor zusammen und tauschen uns aus. Sie wollen nach Schottland und haben nach meiner Wahrnehmung unglaublich viel Gepäck mit. Frontroller, Backroller und Rucksack, außerdem eine große Rolle hinten quer. Kommt sie damit wirklich Berge hoch? Ich bewundere ihre Kondition. Aber möglicherweise geht es den beiden wie mir: Es ist viel Volumen und wenig Gewicht.

                                Die Tore gehen auf und wir fahren durch die Passkontrolle. Dann gilt es, am nächsten Tor zu warten. Wir inspizieren unsere Packtaschen und stellen Vergleiche an. Sie fährt mit Ortlieb, er mit Vaude. Ich habe im Sonderangebot Frontroller von Racktime für 24,95 Euro das Paar erstanden, sie basieren auf dem Ortlieb System, während ich sonst mit Vaude fahre. Der Mann und ich sind sich einig, dass uns das Vaudesystem beim Anbringen besser gefällt. Wenn es klickt, sind die Taschen geschlossen. Bei Ortlieb muss man sich immer die Finger verdrehen, um sicher zu gehen, dass sie den Gepäckträger umschließen. Dafür kann man den Trageriemen bei Ortlieb besser befestigen. Sie werden auf Tour testen, welche Marke ihnen besser gefällt.
                                Beide fahren wie ich zusätzlich mit Rucksack und seine Begründung verblüfft mich sehr: Man hat alles wichtige dabei und friert nicht. Die gleichen Gründe habe ich auch, aber noch nie davon gehört, dass es anderen auch so geht. Auf ods reden die meisten davon, dass man mit Rucksack zuviel schwitzt.

                                Ein paar Oldtimer reihen sich in die Schlangen ein. Wunderbare Autos, ein schnittiger Jaguar, eine Peugeot Limousine, ein Citroen SM (der mit Maseratimotor) und viele andere mehr. Es ist der Gay Classic Car Club und die Mitglieder treffen sich in England zu einem mehrtägigen Treffen.











                                Ich frage einen Mann, wieso sein Auto eigentlich Mini heißt, groß steht es auf der Motorhaube. Das Auto ist fast doppelt so groß wie der Jaguar Sportwagen, nur ein wenig kürzer. Nebeneinander gestellt, wirkt der Mini wie ein SUV. „Weil es drauf steht“, erhalte ich als Antwort. Was soll er auch anderes sagen.


                                Um halb vier öffnen sich endlich die Tore, und wir radeln in das Schiff hinein. Mein Packsystem ist so aufgebaut, dass ich nur den Bauchgurt mit der Technik und die linke Packtasche abnehmen muss. Alles andere kann am Fahrrad bleiben. So gut war ich noch nie sortiert. Ich beglückwünsche mich zu meinem Konzept. Ein paar Engländer kommen mit sportlichen Rädern (Cyclocrosser?) auf die Fähre geradelt. Die meisten haben Rucksäcke dabei. Ein Engländer auf einem Retrofahrrad transportiert stilsicher eine Klappkiste aus Plastik. Die Jungs sind gut drauf, und wir albern ein wenig herum.

                                Die Kabine ist laut und ziemlich eng. Vier-Bett-Kabine heißt, dass zwei Betten mit Oberbetten in der Kabine sind und zu zweit könnte man sich hier kaum bewegen. Die Motorradfahrer versuchen zu viert in ihre Kabine zu kommen und das dauert ziemlich lange. Sie haben ihre Koffer dabei, darin ist wohl ein Haufen Elektronik, aber wo sie sie hinstellen sollen, wird sicherlich eine Denksportaufgabe. Ich feuere sie an, denn sie versperren zunächst den ganzen Flur.
                                Es ist ein altes Schiff, das merkt man sofort, die Standards haben sich geändert. Egal. Ich habe heute ein Bett, ich bekomme heute abend etwas zu essen, und ich bin morgen in Newcastle. Was will ich mehr!





                                Und dann legen wir ab. Langsam schiebt sich das Schiff aus dem Hafen hinaus.








                                Eine Bunkerinsel an der Einmündung.





                                Kohle und Stahl.





                                Die Küste, an der ich heute morgen entlanggeradelt bin. Plötzlich finde ich sie doch ganz schön. Postkartenidylle.











                                Etwas später sieht man nur noch die Offshore-Parks und ich erinnere mich, wenig Windräder gesehen zu haben. Hier sind dafür umso mehr.





                                Ich treffe einen der Engländer wieder, und er schwärmt von Holland. Dort gab es nicht die rüpelhaften englischen Autofahrer, die einen von der Straße drängen, sondern in Holland werden Fahrräder respektiert. Am liebsten würde er gar nicht nach Hause fahren. Ich bin überrascht. Sollte mein Englandbild überholt sein?
                                Ich teile ihm mit, was ich vorhabe und frage nach, ob meine Strecke hügelig ist. Genau weiß er das nicht, aber bei Newcastle müsste es hilly sein. Er ist beeindruckt, dass ich bis nach Harwich fahren will, das ist ein langer Weg. Ich bin innerlich genauso beeindruckt und schwäche ab, indem ich sage, notfalls nähme ich den Zug, denn ob ich das wirklich schaffe, weiß ich nicht. Er fragt nach meinen Tagesleistungen und ich sage: „Zwischen 70 und 100 km. Bei 70 km ist die Grenze, wo ich anfange zu merken, dass es auch noch etwas anderes geben könnte, als radfahren.“ Er nickt. Er ist aus Berwick-upon-Tweed, der nördlichsten Stadt Englands. Sie liegt auf der schottischen Seite des Grenzflusses Tweed, gehört aber dennoch zu England. Zwischen Berwick und Newcastle soll wohl der schönste Abschnitt des Nordseeküstenradwegs liegen, aber mit dem Zug hochfahren und dann nach Newcastle radeln, werde ich nicht schaffen. Ich kann ja von Glück reden, wenn ich Hull erreiche.

                                Um 18.30 Uhr gehe ich Schlemmen. Die meisten Dinge darf ich leider nicht mehr essen, und ich denke an frühere Zeiten, als ich mich auf die Fleischmahlzeiten gestürzt habe. Zur Feier des Tages gönne ich allerdings mir ein kleines Stück Rindfleisch und etwas Putenfleisch. Aber wenn ich ehrlich bin, reizt mich das Fleisch kaum noch. Man kann sich an alles gewöhnen. Zweimal hole ich mir Nachschlag und fülle mit Gemüse, Fisch und Salat meine Speicher wieder auf.





                                Dann gebe ich mein nicht mehr benötigtes Kleingeld für zwei Packungen Lakritzschnecken aus. Es ist das einzige, was mich reizt, denn Schokolade kann ich nicht mitnehmen, die schmilzt. Mein Gepäck ist nun schlagartig ein Kilo schwerer, aber die Entscheidung ist richtig. Die Lakritzschnecken werden mir in den nächsten Tagen mehr als einmal helfen, meinen Blutzuckerspiegel zu regulieren.


                                Früh gehe ich schlafen. Die Motoren dröhnen ungeheuer, und ich stopfe mir Ohropax ins Ohr. Ich könnte mich jetzt darüber ärgern, dafür soviel Geld ausgegeben zu haben, aber es ist mir völlig egal. Morgen bin ich in England. Ich bin schon ganz gespannt.
                                Zuletzt geändert von Torres; 28.09.2014, 18:09.
                                Oha.
                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                Kommentar


                                • ronaldo
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                                  Moderator
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                                  • 24.01.2011
                                  • 11959
                                  • Privat

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                                  #17
                                  AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                                  Ne, flach ist schon ok... manche meiner Witze sind auch ziemlich flach...

                                  Wieso um alles in der Welt verpixelst du die Gesichter auf deinen tollen Bildern?? Ich muss immer an Mr. Bean denken, wie er mit dem Taschentuch auf dem Gemälde rumreibt...

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                                  • Torres
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                                    Liebt das Forum
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                                    #18
                                    AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                                    Wieso um alles in der Welt verpixelst du die Gesichter auf deinen tollen Bildern??
                                    Persönlichkeitsrechte. Du glaubst ja wohl nicht, dass ich von der Fähre springe und den kleinen Jungen um sein Einverständnis bitte, das Foto veröffentlichen zu dürfen, oder?
                                    Oha.
                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                    • Torres
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                                      Liebt das Forum
                                      • 16.08.2008
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                                      #19
                                      AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                                      Thanks to Heather.

                                      So, 07.09.2014
                                      Newcastle – Seaham/Sunderland, 51,8 km


                                      Am Morgen scheint die Sonne über dem Meer. Als hätte England entschieden, mich freundlich zu begrüßen. Da ich wie gewohnt früh aufstehe, bin ich vor dem großen Pulk im Frühstücksraum und bekomme einen Platz, der von der Sonne beschienen wird. Wunderbar. Ich inspiziere das Buffet und da liegt alles das, was ich so liebe: Sausages, Ham, Eggs. Ah. Englisches Frühstück. Ein Traum.





                                      Und dann sitze ich an meinem Tisch und esse eine Portion Toast mit Mushrooms, Baked Beans und Grilled tomatoes. Buuuuaah. Davor Müsli und Cornflakes mit Milch, Banane und frischen Apfelstücken. Buuuuuaaah. Das Leben ist so ungerecht. Man kennt ja den Spruch: Das Alter ist nichts für Feiglinge. Aber dass es so schlimm werden würde? Das grenzt ja an Körperverletzung.

                                      Als die Aufzüge freigeschaltet werden, geht es zu den Rädern. Ich muss mich an sehr knapp geparkten LKW durchquetschen und bin froh, so wenig Gepäck dabei zu haben. Die englischen Radler sind auch schon da und ich kaspere ein wenig mit ihnen rum und mache für sie Erinnerungsfotos.





                                      Der Engländer mit dem Retrofahrrad packt ruhig seine Kiste, und ich frage ihn, ob England hilly ist. Er überlegt kurz und sagt: „Lincolnshire“. Das sagt mir nichts. Das wird sich ändern.
                                      Die ersten LKW fahren raus und geben den Blick auf den Laderaum frei. Auf der anderen Seite stehen viele Reiseradler, sie sind anscheinend später als wir gekommen. Auch die beiden Deutschen kommen und schleppen schwer an ihrer Ausrüstung, die sie komplett mit in die Kabine genommen haben. Schottland, denke ich. Aber es gibt viele Leute, die trotz eines beeindruckenden Gepäcks die Berge hochkommen. Ich komme auch ohne Gepäck keine Berge hoch.

                                      Ich folge den Engländern auf dem Weg nach draußen und bin schnell durch die Passkontrolle durch. Die Oldtimerfahrer sammeln sich hinter den Toren, um zusammen weiterzufahren. Ich bin erst etwas orientierungslos, frage den Retrofahrer nach dem Weg (er sagt: Tyne Tunnel) und kurz darauf sehe ich auch die ersten Schilder. Das fängt ja gut an. Das Querschild weist auf den Eingang zum North Sea Terminal hinweist. Ich muss also zum Tyne Tunnel. Also los.





                                      Ich überquere eine größere Straße, sehe den Tyne Tunnel und gebe auf der sanft ansteigenden Radstraße freudig Gas, aber nach kurzer Zeit merke ich, dass der Radweg in die Stadt führt. Da stimmt etwas nicht.





                                      Ich fahre wieder zurück zur Ampel und warte, bis ein Radfahrer kommt. Ich muss die Straße herunterfahren, dort ist der Tunnel. Er weiß aber nicht, ob der auf ist. Aha. Schilder sehe ich keine. Ich fahre langsam den Hügel hinunter und sehe einen Mann auf dem Bürgersteig. Ich frage auch ihn. „Oh“, sagt er, „der Fußgänger(und Radfahrer-)tunnel ist derzeit geschlossen. Sie fahren jetzt die Straße herunter zum Kreisverkehr und biegen rechts ab. Dann sehen sie eine einzelne Bushaltestelle. Dort fährt der Bus für die Fahrrädern, der sie auf die andere Seite bringt.“ Ich wiederhole noch einmal, und er nickt. Danke schön. Ich fahre los. Und in dem Moment durchzieht mich wieder ein Glückgefühl, das ich gar nicht beschreiben kann. Ich kann reden. Kommunizieren. Ich verstehe, was man mir sagt! Klar, mein Englisch ist nicht besonders gut, aber ich kann mich unterhalten. Kein Reden mit den Händen, kein Erahnen, was gemeint sein könnte. Ich höre etwas, und ich weiß, was gemeint ist. Ist das nicht wunderbar?

                                      Ich stürze mich den Abhang hinunter und tatsächlich. Irgendwo auf dieser großen autofreien Straße, ich würde fast sagen: Im Nichts, steht eine einsame Bushaltestelle. Zwei Radfahrer, ein Mann und eine Frau, stehen davor. Ich frage, ob ich richtig bin und sie bejahen. Sie scheinen entfernte Bekannte zu sein und unterhalten sich über alles Mögliche. Auch mich beziehen sie in ihre Gespräch mit ein, und ich erfahre, dass heute die halbe Stadt gesperrt ist. Halbmarathon. North Run. Die Frau zückt ihre Karte von Newcastle. Der Nordseeküstenradweg ist eingezeichnet, und sie zeigt mir, wo ich mit Sperrungen rechnen muss.

                                      Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt ein Bus. Der Busfahrer steigt aus und meint: „I hope, you´re not busy“, ich hoffe, ihr habt Zeit. Traffic Jam. Normalerweise braucht der Bus 5 Minuten, heute braucht er ungefähr eine halbe Stunde. Flink und routiniert packen die anderen ihre Räder auf den Hänger. Das versuche ich auch, bekomme es aber nicht hin. Der Mann hilft mir, aber es geht wirklich nicht, das Schutzblech bricht beinahe ab. Unterschiedliche Standards. Ich fingere nach meinem Multitool und löse das Schutzblech an der unteren Seite und dann versuchen wir es wieder. Immer noch nicht optimal. Die Reifengröße passt einfach nicht. Ob ich nicht Fähre fahren will, fragt der Busfahrer. Die wird genauso voll sein, hält der Radfahrer dagegen und irgendwie kriegen wir mein Rad da drauf. Nicht schön und wackelt entsetzlich während der Fahrt, aber hält.





                                      Und dann stehen wir im Stau.





                                      Der Busfahrer hat gewechselt und ist gut drauf. Er fragt mich, was ich so vorhabe, und ich erzähle es ihm. So ganz kann er, glaube ich, nicht nachvollziehen, warum man unbedingt nach Harwich radeln will, aber er nimmt es gelassen hin.





                                      Es wird eine launige Fahrt durch den Tunnel, dann geht es noch eine Straße entlang, und der Radfahrer erzählt mir, wo ich die Schilder zum Radweg finde. An der Bushaltestelle schraube ich erst einmal das Schutzblech wieder an – eine Mutter habe ich leider verloren, aber die wichtigsten Schrauben kann ich wieder befestigen - und gegen halb eins bin ich dann endlich startbereit. Auf der anderen Seite der Tunnel mit Verkehrsstau. Weit bin ich also noch nicht gekommen.





                                      Passenderweise stehe ich direkt vor dem richtigen Schild und fahre Richtung South Shields.








                                      Der Weg führt überwiegend durch ruhige Wohnsiedlungen oder auf Radwegen an der Straße entlang. Eine Zeitlang fahre ich an den sich stauenden Autos entlang, und die Autofahrer tun mir wirklich leid. Ich kenne das ja aus meiner Stadt, was eine Großveranstaltung für die Anwohner bedeutet.





                                      Gegen 13.00 Uhr sehe ich das erste Mal das Meer aus der Ferne und freue mich.





                                      Nun kommt aber der schwierigere Abschnitt, denn der North Run findet ausgerechnet auf dem Nordseeküstenradweg statt.


                                      Die Umkleidekabinen für die Läufer.





                                      Autos ohne Ende.





                                      Vorsichtig radele ich an den Fußgängern vorbei. Dass der Radweg gesperrt ist, ist mir klar, aber ich hoffe, dass ich vielleicht eine Lücke finde, um weiterfahren zu können. Am Kreisverkehr nimmt die Menschendichte zu und es sind viele Buden aufgebaut. Ich mache das erste Foto von Tynmouth Castle und fotografiere das stylische Säulengebäude, das eine Toilette beinhaltet.








                                      Die Sonne strahlt, aber die Luft ist lausig kalt, und als ich stehen bleibe, friere ich. Und stehen bleiben muss ich immer wieder, denn es sind einfach zu viele Menschen hier.








                                      Ein paar Meter weiter ist dann endgültig dicht. Die Läufer laufen hier ins Ziel und nutzen den Nordseeküstenradweg als Zieleinlauf. Ich schaue ein wenig dem Treiben zu und überlege, wen ich jetzt frage. Da packt mich jemand an die Schulter, es ist die Frau aus dem Bus. Sie erklärt mir, dass ich hier nicht durchkomme, ich solle es einfach mal unten am Strand versuchen, das könnte es einen Weg geben. Genau weiß sie es nicht, aber da gibt es etwas für Fußgänger. Viel Glück. Ich bedanke mich herzlich und erkläre, dass es schon überraschend ist, so unvermutet in Newcastle Bekannte zu haben. Sie lacht, sie hat mich zufällig gesehen und da sie wusste, wo ich hin will, war ja klar, dass sie mir hilft. Danke schön.

                                      Zu Sicherheit frage ich noch eine Ordnerin und sie bestätigt, dann man auf dem footpath an der Küste weiterkommt. Danke schön. Es ist jetzt kurz vor halb zwei.

                                      Am Strand befindet sich ein aspaltierter Weg mit Fahrradsymbol und als ich den Strand sehe, finde ich das Meer plötzlich wieder wunderschön. Irgendetwas ist hier anders, als in Holland. Oder ich bin wieder normal.








                                      Ich habe nun das Glück, direkt an der Küste entlang radeln zu können.





                                      Und das sogar ganz legal, denn hier findet man jetzt auch das Schild: Alternativ Route.





                                      Ich muss den Hügel hochschieben und MTBler lachen und wünschen mir alles Gute mit dem Gepäck. Ein Trainer feuert seine Truppe an, sie besteht aus lauter Mädels. Schwer tun sie sich an dem Hügel, selbst ohne Gepäck, und sie sind nur geringfügig schneller. Wir lachen, als sie mich überholen und machen dumme Sprüche. Es ist eine Bombenstimmung hier und jeder grüßt jeden. Das war es, was mir gefehlt hat. Lachen und gute Laune. Und am besten ist, dass ich die kleinen Jokes verstehe und sogar selbst welche machen kann. Es ist, als wäre ich zu Hause. Die gleiche Mentalität hier, der gleiche Humor. Den Marathon sehe ich nun vor allem aus der Ferne. Was für eine riesige Veranstaltung.





                                      Dafür schlägt mein Herz höher, als ich die Küste sehe. Ist das hier nicht ein Traum?











                                      Alle zwei Minuten muss ich anhalten und Fotos machen.








                                      An den Felsen kreischen die Möwen, und einen kurzen Moment habe ich eine kleine Träne in den Augen. Natürlich war die Fährfahrt völlig überteuert, aber das hier sehen zu können, war jeden einzelnen Penny wert. Wäre ich an einem anderen Tag gekommen, wäre ich niemals hier lang gefahren. Welch ein Glück.











                                      Die Gruppe mit Trainer macht Übungen auf dem Felsen. In der Ferne kann ich sie sehen.





                                      Der Weg führt nun in Richtung Marathon und man sieht die Läufer in der Zielgeraden. Ganz schön viele. Das hört ja gar nicht auf.





                                      Der Leuchtturm rückt näher und unten ist eine kleine Bucht. Der Marathon geht auch hier noch weiter.











                                      Der Weg führt nun näher an die Marathonstrecke heran. Menschen über Menschen, bunt gekleidet, quellen über die Kuppe. Ein nicht enden wollender Strom. Faszinierend. Das Foto kann den Eindruck nicht wiedergeben, es fehlt einfach die Dynamik.





                                      Ein Mann erzählt, es wären 35.000 Läufer hier, aber später erfahre ich, dass es viel mehr waren. Über einen kleinen Absatz kommt man wieder auf den Fußpfad zurück, und ich beoabachte die Vögel am Felsen. Es ist die Marsden Bay.





                                      In der Ferne sehe ich Blumen und Kreuze, und viele Menschen bleiben schweigend stehen. Die Küste hier ist beliebt bei Selbstmördern, erfahre ich. Das ist dann die andere Seite.








                                      Der Leuchtturm kommt näher und gleich darauf kann ich Straße fahren. Es ist jetzt 14.20 Uhr. Der Umweg hat viel Zeit gekostet. Schön war es dennoch.





                                      Ich beschließe nun, einen Zahn zuzulegen, denn ich bin ja fast noch in Newcastle. Verdammt, nicht einfach.





                                      Schnell ein Foto während der Fahrt.








                                      Irgendwie mediterran, finde ich. Dann geht es an einer Landstraße entlang, und ich lege einen Zahn zu. Der Radweg ist auf dem Bürgersteig. Rechts liegen Felder.





                                      Ab und zu sieht man noch das Meer.








                                      Eine Windmühle taucht auf der rechten Seite auf, aber im Gegenlicht wird das Foto leider nichts. Ich biege in eine Seitenstraße ab.





                                      Ein paar Radler grüßen und weisen mir den Weg.








                                      Kurz darauf bin ich in Sunderland, der Partnerstadt von Essen und schicke einen dicken Gruß an Stephan Kiste. Mensch, Alter, ich hoffe, es geht Dir gut.





                                      Es sind einige Menschen auf der Promenade, und die obligatorischen Sitzbänke stehen herum. England in der Nachsaison.








                                      Der Radweg führt nun von der Promenade hinunter zum Strand. Zunächst fahre ich zu weit, aber als ich keine Schilder mehr sehe, bemerke ich, dass sie weiter unten stehen. Eine steile Spitzkehre ist dabei, und ich bekomme einen Anflug von Höhenangst. Wie gut, dass ich Motorradfahren kann, so weiß ich, wie man derartige Kurven anfährt. Ein Engländer kommt mir von unten entgegen und äußert sich anerkennend. Dann bin ich unten und finde die Schilder nicht mehr. Ich schaue links und schaue rechts und nichts. Ein erster Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Tagen noch öfter passieren wird. Ich entscheide mich in meiner Hilflosigkeit, den Berg wieder hinauf zu schieben.

                                      Das ist nun Glück im Unglück. Zwar ist das falsch, aber an der Ecke ist eine große öffentlich Toilette, in die ich sogar mein Fahrrad mitnehmen kann. Ich gebe zu, dass ich mir so ein Gebäude seit Newcastle gewünscht habe. Alleine fahren hat Nachteile., niemand kann auf das Fahrrad aufpassen.





                                      Ich frage einen Radfahrer, und er schickt mich über die Brücke. Und kurz darauf finde ich auch den Radweg wieder. Ich hätte den Wanderwegschildern folgen müssen bzw. einfach weiter geradeaus fahren müssen.





                                      Auf einem ruhigen Weg geht es nun weiter in Richtung Innenstadt. Am Fluss Wear stehen Jugendliche und angeln. Die Gegend wirkt modernistisch gespenstisch, und ich bin froh, dass mir ab und zu Sportradler entgegen kommen.








                                      Der Radweg führt über die alte Brücke und dann wird es unübersichtlich. Die ganze Stadt ist eine Baustelle und der zentrale Kreisverkehr gestört. So muss ich einen ausgeschilderten Umweg über einen Hof nehmen, mühsam die Schilder rekonstruieren und das Fahrrad unerlaubterweise durch Sand und Steine schieben, um auf die richtige Spur zu kommen. Links fahren ist mir nicht schwergefallen, aber Straßen queren ist ein Problem. Ich weiß nie, aus welcher Richtung die Autos kommen. Anschließend werde ich durch die verwaiste Innenstadt geleitet. Ein paar Läden haben geöffnet. Auf großen Schildern steht „König der Löwen“- Werbung, anscheinend gibt es hier eine Spielstätte. Als ich endlich aus der Stadt hinaus bin, bin ich sehr froh.





                                      An den üblichen Wohnvierteln geht es nun auf parkähnlichen Wegen entlang.





                                      Das Gegend mutet bedrückend an, und es wirkt, als hätte hier ein Niedergang stattgefunden. Tatsächlich war diese Gegend einmal eine Schiffbau- und Kohlegegend, doch haben die traditionellen Industrien Ende der 80 und der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts aufgegeben. Heute dominieren neue Industrien, Chemie, Papier, Call Center. Wirtschaftlich geht es dem Ort anscheinend nicht schlecht und dennoch wirken einige Viertel sehr beengend und arm. Einen Moment überlege ich, welche Perspektiven diese Menschen hier wohl haben. Früher waren die Viertel durch das Selbstbewusstsein derjenigen geprägt, die mit harter Arbeit Geld verdienten. Heute dominiert die schöne neue Welt des Internets und der modernen Technik mit ihren Ansprüchen und Qualifikationen. Wo will man mit all diesen Menschen hin, die nie etwas anderes gelernt haben, als ihre Körperkraft einzusetzen?
                                      Auf der Karte sehe ic kurz darauf, dass der Ort Durham nicht weit ist. Ich denke an den Film „Billy Elliot“, der in einer Nebenhandlung den Bergarbeiterstreik 1984/85 in Durham schildert, der die Schließung der Kohleminen verhindern soll. Deshalb kamen mir die Häuser so bekannt vor.








                                      Das erste Mal sehe ich die Fahrradgitter, die ein Befahren mit Autos unmöglich machen sollen.





                                      Eine kleine Idylle schließt sich an, und ich überlege, ob man hier wildcampen könnte.





                                      Aber irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte das Gebiet hier Augen und tatsächlich begegnen mir immer wieder unerwartet Einheimische auf meinem Weg.

                                      An dem Weg in der Mittel des Spielfelds geht es weiter. Diese Weite, die in Ortschaften durch die Sportflächen erzeugt wird, fasziniert mich immer wieder. Menschen sehe ich keine. Fast schon gespenstisch.





                                      In einem Wohngebiet fahre ich zu weit, entdecke dann aber mit Logik, dass ich an der Brücke hätte abbiegen müssen und finde wieder den richtigen Weg. Hinter der Brücke sieht man die Schilder. Wenn man es weiß, ist es einfach.





                                      Wieder fahre ich auf einer Nebenstrecke, die für Autos nicht zugänglich ist.





                                      Links neben mir im Gebüsch röhren Motoren und ein paar Enduros und ein Quad fräsen einen anscheinend ziemlich steilen Abhang hoch auf den Fahrradweg. Ich denke an LNT beim Endurowandern. An der folgenden Steigung stürzt ein ca. 15 jähriges Mädchen mit dem Fahrrad. Sie heult und wird von der Mutter getröstet. Die Motorradfahrer geben Gas und ich mache sicherheitshalber Platz. Der Radfahrer, der mich gerade überholt hat, tut dasselbe.








                                      Durch einen Tunnel geht es Richtung Seaham und der Radweg führt nun an einem Feld entlang. Wieder ein Tunnel.








                                      Von dem, was nun kommt, gibt es keine Bilder mehr. Kurz darauf bin ich in Seaham. Es ist nun halb fünf und ich entscheide, mir hier eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Mein Navi zeigt Campingplätze in Sunderland an, aber da komme ich ja gerade her und möchte nicht zurück. Ich frage eine Frau an der Straße, aber sie weiß nichts. Ein Mann führt seine Hunde spazieren und auch ihn frage ich, aber er weiß ebenfalls nichts. So radele ich durch eine Grünanlage weiter, biege an der Kirche in eine Seitenstraße ein und kommt am Bahnhof heraus. Hier muss ich durch eine Unterführung und hinter der Unterführung sehe ich zwei Menschen im Gespräch und beschließe zu fragen. Es sind ein Mann in Straßenkleidung und eine Frau im Sportdress, und die Frau ist Heather.

                                      Die beiden überlegen und überlegen, aber ihnen fällt nichts ein. Das einzige Hotel von Seaham hat geschlossen, es wird renoviert. In Sunderland gibt es wohl Unterkünfte, aber da komme ich gerade her.
                                      Heather entscheidet, mich zu begleiten und im Supermarkt nach der Telefonnummer des Pastors zu fragen. Möglicherweise besteht dort eine Möglichkeit, zu zelten. Sie joggt neben mir her. Eigentlich wohnt sie in Birmingham, sie nur über das Wochenende hier, um ihre Mutter zu besuchen. In anderthalb Stunden fährt sie zurück. Sie erklärt mir, dass Seaham lange down war und dann zwar kurz wieder up war, jetzt aber wieder down ist. Daher gibt es hier auch keine Übernachtungsinfrastruktur. „Billy Elliot“, sage ich und sie nickt.
                                      Im Supermarkt bekommt sie die Nummer einer Frau, die wissen müsste, welche Möglichkeiten es hier gibt und sie ruft an. Sie telefoniert relativ lange und bekommt eine Telefonnummer eines Campingplatzes. Dort ruft sie auch an und bekommt eine genaue Wegbeschreibung. Der Campingplatz ist ca. 3 Meilen entfernt und nicht so leicht zu finden. Auf meinem Navi sucht sie nach der Beschreibung die Position, und ich markiere sie. Dann radele ich los. Die Nummer von Heather habe ich dabei, ich soll sie anrufen, wenn es geklappt hat oder falls ich verloren gehen sollte.

                                      Ich konzentriere mich auf die Strecke und habe keine Zeit mehr, Bilder zu machen. Ein kleines Stück geht es bergab, aber meistens geht es bergan und ich muss schieben. Erst auf dem Bürgersteig, denn die Landstraße entlang.

                                      Ich denke an „I´m walking“ und versuche, meine gute Laune zu bewahren. Es ist ziemlich kalt geworden, und ich ziehe meine Jacke an. Ab und zu kann ich auch fahren, aber dann muss ich wieder schieben. Meine Beine sind so viele Steigungen noch nicht gewöhnt. Ein Schild, ich bin jetzt wieder in Sunderland. Als ich nach gut einer Stunde auf einer Kuppe ankomme, fällt mir eine Seitenstraße auf, aber da steht etwas von Durchfahrt verboten (kein Zugang zum Motorsportpark). Eigentlich würde das Grundstück passen, aber ein Campingschild sehe ich nicht.

                                      Auf der linken Seite der Straße ist ein Hof, ich biege ein, um zu fragen, aber niemand ist da. Ich fahre ein Stückchen weiter, und dann denke ich, was tue ich, wenn ich im Tal bin und es war doch oben das Haus? Also rufe ich die Nummer des Platzes an und versuche der Frau am Telefon zu beschreiben, was ich sehe. Damit kann sie absolut nichts anfangen, und wir sind beide etwas ratlos. Ich schaue weiter in die Richtung des Hauses und sehe eine Frau in Richtung Straße laufen. Es sieht so aus, als würde sie telefonieren. Ich frage meine Gesprächspartnerin, was sie anhat und das irritiert sie noch mehr. Ich frage noch einmal, denn ich würde jemanden im blauen Pulli sehen, der telefoniert und dann ist klar, dass ich sie sehe. Ich wende und kurz darauf sieht sie mich auch und wir lachen beide. Nun sehe ich auch das kleine Schild: „Camping and Caravanning Club. Members only.“ Ganz unauffällig. Die Mitglieder kennen die Plätze.

                                      Der Platz ist wunderschön und die Frau unglaublich nett. Ich bin zwar kein Mitglied, aber nein, sie würde mich nicht ohne Unterkunft draußen stehen lassen. Ich glaube, ich zahle 10 Pfund, das sind 13 Euro. Es gibt eine Dusche, einen Raum, in dem man sich aufhalten und Bücher lesen kann und eine Küche, in der ich später meinen Fotoakku aufladen werde. Ich will Heather anrufen, aber sie redet ohne Unterlass auf mich ein, um mir alles zu erklären. Als wir die Küche verlassen, kommt plötzlich jemand auf uns zu – Heather. Ihre Mutter hat ihr einfach keine Ruhe gelassen, sie wollte unbedingt, dass sie nachschaut, ob es mir gut geht. Ist das nicht süß? Ich bedanke mich ganz ganz herzlich bei ihr. Das war wirklich unglaublich nett. Schön, dass es solche Menschen gibt.

                                      Die Frau vom Campingplatz fragt mich, wo ich morgen hinwill und verbietet mir resolut, nach Middlesbrough zu fahren. Sie wird mir jetzt ein paar Plätze heraussuchen, ich soll morgen mit dem Zug nach Redcar fahren und dann weiterradeln. „Don´t go to Middlesbrough“ schärft sie mir mehrfach ein. Ich muss es ihr versprechen. „Middlesbrough isn´t safe“!. Sie gibt mir eine Liste von Campingplätzen und drückt mir die Abfahrtszeiten des Zuges in die Hand. Sollte ich öfter in England Urlaub machen, bittet sie mich aber darum, Mitglied zu werden. So teuer ist das nicht, und die Mitglieder würden sich alle untereinander helfen.

                                      Als ich vom Duschen komme, sind die Bewohnerinnen des Familienzeltes am Eingang zurück. Sie sind den Marathon mitgelaufen. Ich gratuliere ihnen und wir reden uns fest. Die Bewohner des Wohnmobils, das gegenüber steht, kommen hinzu, und wir unterhalten uns ziemlich lange. Über den Marathon, zum Beispiel. Ich erfahre, dass es ein besonderer Marathon war: Der Einmillionste Läufer war dabei. 57.000 Tausend Menschen sind gelaufen und alle für einen guten Zweck. Ich erfahre außerdem, dass alle Hotels rund um Newcastle komplett ausgebucht sind. Keine Chance. Ich erfahre weiterhin, dass auf dem Platz zwei Zelter aus Deutschland sind, die den Hadriansweg laufen wollen. Auch sie haben keine Unterkunft bekommen. Im Herzen danke ich Heather noch einmal.
                                      Ich erkläre, welchen Weg ich ursprünglich fahren wollte und die Strecke durch North York Moors findet ihre Zustimmung. Dort soll es schön sein. Aber von Middlesbrough raten sie mir ebenfalls ab. Eine hässliche Stadt. Keine Übernachtungsmöglichkeiten. Ich soll besser nach Redcar fahren. Ah, Redcar. Sie geraten ins Schwärmen. Obwohl, Whitby. Whitby ist viel schöner. Ja. Whitby. Beautiful.

                                      Sie laden mich zu einem Glas Wein ein, aber das darf ich ja leider nicht annehmen. Wir reden noch recht lange und wieder einmal stelle ich fest, wie schön es ist, trotz einer fremden Sprache ein Schwätzchen halten zu können. Es ist kühl geworden, und ich fange an zu frieren. Das treibt mich dann auch ins Zelt. Der sonnenklare Tag weicht nun einer sternenklaren, aber kalten und feuchten Nacht. Das Zelt ist bereits wieder kondensfeucht.

                                      Einen kurzen Moment überlege ich, etwas zu essen, aber ich habe keinen Hunger. Ich rolle mich in meine Schlafsäcke ein, und schließe sie komplett, so dass nur noch die Nasenspitze herausguckt. Die halbe Nacht werde ich frieren und sehne mich nach der Daunenjacke, die ich im Packbeutel auf dem Fahrrad gelassen habe. Trockene Kälte stört mich nicht, da habe ich den Daunenschlafsack, den ich mithabe, schon bis Null Grad gebracht. Aber Feuchtigkeit ist für mich der Horror, da nutzen auch zwei Schlafsäcke nichts. Hätte ich jetzt einen – 14 Grad Schlafsack dabei, wäre es garantiert nicht besser. Aber es ist nicht so schlimm, dass ich tatsächlich die Kraft aufbringe, aufzustehen und sie zu holen. Es ist genau an der Grenze.
                                      Zuletzt geändert von Torres; 30.09.2014, 21:34.
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • rumpelstil
                                        Alter Hase
                                        • 12.05.2013
                                        • 2701
                                        • Privat

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                                        AW: [NL] [UK] Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route

                                        Danke für deinen Bericht. Ich bin eigentlich nicht so der Reiseberichtleser, aber hier habe ich mich festgelesen!

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