[DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

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  • Igelstroem
    Fuchs
    • 30.01.2013
    • 1888
    • Privat

    • Meine Reisen

    #21
    AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

    Zitat von Saniboy Beitrag anzeigen
    Wer mit Hose in 5f-Flecktarn (in den Stiefeln), Kampfstiefeln und Centurio raumläuft, braucht sich nicht zu wundern, wenn er als Soldat wahrgenommen wird.

    Bringt mich auch gleich zum nächsten Punkt: Bist Du Kombattant? Nein? Warum trägst Du dann eine (unsere) Militäruniform (oder eine Abwandlung) auf Marsch?
    Das Thema ist interessant, man sollte aber dabei die Kirche im Dorf lassen. Ich trage ja, wie man sieht, zivile Wanderschuhe (Meindl Badile) und kombiniere die Hose mit irgendwelcher funktionalen Oberbekleidung. Zu den funktionalen und ökonomischen Aspekten dieser Ausrüstung habe ich mich in den beiden vorigen Reiseberichten schon geäußert, und am Ende des Westweg-Berichts habe ich auch etwas zur Außenwirkung gesagt; die scheint freilich davon abzuhängen, ob man sich in einer ausgesprochenen Wanderregion befindet oder nicht.

    Abstrakt kann man eine rechtliche Problematik im Sinne von § 132a Abs. 1 S. 4 StGB konstruieren. Die Rechtsprechung hat in letzter Zeit die Strafbarkeit gelegentlich vom Gesamteindruck einer hoheitlichen Amtstätigkeit abhängig gemacht (bzw. genau genommen die Strafbarkeit beim Fehlen eines solchen Gesamteindrucks ausgeschlossen); vgl. OLG Zweibrücken, 16.10.2002 - 1 Ss 161/02.

    Dass trotz Fehlens jeglicher Abzeichen manche Betrachter vom Gesamteindruck des Outfits auf eine Zugehörigkeit zu den Streitkräften schließen, kann natürlich nicht ausgeschlossen werden. In Berlin bin ich auch schon mal trotz Antifa-T-Shirt von einer älteren Dame mit den Worten angesprochen worden: »So ein sauberer junger Mann. Sieht man ja selten heute. Sind Sie beim Bund?« Da eine Täuschungsabsicht allerdings nicht vorliegt, hat man dann Anlass, dem von Fall zu Fall entgegenzutreten. Die Berliner Polizei hat sich im Übrigen, soweit es mich betrifft, für diese Art des ›Missbrauchs‹ militärischer Uniformen in den letzten 25 Jahren buchstäblich nie interessiert.
    Lebe Deine Albträume und irre umher

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    • Nordmarka
      Erfahren
      • 26.08.2013
      • 229
      • Privat

      • Meine Reisen

      #22
      AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

      Ich lese auch interessiert mit, hab schon Deinen West-Wegbericht gerne gelesen und mag Deine Stil! Freue mich auf mehr Eindrücke von diesem super platten Land.

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      • tizzano1
        Erfahren
        • 13.06.2006
        • 383
        • Privat

        • Meine Reisen

        #23
        AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

        [QUOTE=Abstrakt kann man eine rechtliche Problematik im Sinne von § 132a Abs. 1 S. 4 StGB konstruieren. Die Rechtsprechung hat in letzter Zeit die Strafbarkeit gelegentlich vom Gesamteindruck einer hoheitlichen Amtstätigkeit abhängig gemacht (bzw. genau genommen die Strafbarkeit beim Fehlen eines solchen Gesamteindrucks ausgeschlossen); vgl. OLG Zweibrücken, 16.10.2002 - 1 Ss 161/02.

        Dass trotz Fehlens jeglicher Abzeichen manche Betrachter vom Gesamteindruck des Outfits auf eine Zugehörigkeit zu den Streitkräften schließen, kann natürlich nicht ausgeschlossen werden. .[/QUOTE]

        Und sonst ist alles noch o.k. beim Wandern? Punkt zwei hatten wir ja gerade in der Ukraine...

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        • Bluebalu
          Dauerbesucher
          • 19.05.2013
          • 959
          • Privat

          • Meine Reisen

          #24
          AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

          OT: Zwischen schwer bewaffneten (für normale Bürger nicht erhältliche Waffen dazu) in Militärklamotten ohne Hoheitzsabzeichen dafür mit undurchsichtigem Auftrag herumlaufende Gruppierungen und einem Wanderer, der mit billiger, frei verkäuflicher, staparierfähigen Militärklamotten ohne irgendwelche Waffen und ganz anderer Gesinnung, nun, eben wandert, ist so ein grosser Unterschied, dass es schon eine sehr zwangsbehaftete Vorstellung braucht um beides miteinander zu vergleichen!

          btt:
          Schon alleine der Titel ist genial

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          • Igelstroem
            Fuchs
            • 30.01.2013
            • 1888
            • Privat

            • Meine Reisen

            #25
            AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

            @Bluebalu:
            Ich danke Dir. – Der Fragesteller Saniboy könnte natürlich einwenden, dass die funktionalen und ökonomischen Gründe den konsequenten Stil nicht vollständig erklären können. Aber nach dem Wortlaut seiner Fragestellung ging es ja zunächst um eine mögliche rechtliche Problematik, deshalb gab es etwas richtigzustellen. Ansonsten muss Saniboy es einfach aushalten, dass ich seine Dienstkleidung teilweise cool finde. Man kann etwas cool finden und zugleich ein selbstironisches Verhältnis dazu haben. Deshalb habe ich z.B. im Westweg-Reisebericht (#38) von einer ›Fallschirmjäger-Profilneurose‹ gesprochen.
            Zuletzt geändert von Igelstroem; 24.05.2014, 11:22. Grund: Schreibweise der Usernamen korrigiert
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            • blauloke

              Lebt im Forum
              • 22.08.2008
              • 8355
              • Privat

              • Meine Reisen

              #26
              AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

              Danke für diesen Reisebericht. Ich mag solch unspektakuläre Berichte die zeigen, dass auch in Deutschland relativ einsam gewandert werden kann, solange man nicht den bekannten Wanderwegen folgt.
              Freue mich auf die Fortzetzung deines Berichtes und den Eindrücken aus einer nicht so oft begangenen Gegend.
              Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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              • Ultraheavy
                Alter Hase
                • 06.02.2013
                • 3186
                • Privat

                • Meine Reisen

                #27
                AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                Schöner Bericht.
                Einsam kann man auch in beliebten Touristengegenden sein, einfach abseits der üblichen Wege halten.
                OT: Was man unterwegs gerne an Kleidung trägt, ist doch nun wirklich jedem selbst überlassen.
                Ich glaub, ich schlaf am Stock

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                • Igelstroem
                  Fuchs
                  • 30.01.2013
                  • 1888
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                  Tag 3 (Freitag, 16. Mai)

                  Unterstriet – Sandhagen
                  29,0 km






                  Als ich mein Waldstück am Morgen verlasse, ist es sehr sonnig, fast mediterran. Schwacher Wind. Ich gehe ein kleines Stück die Straße entlang bis zum Ende des Waldes und lasse mich dort am Straßenrand nieder, um völlig ungestört meinen Kaffee zu kochen. Dazu Knäckebrot und Wurst und vielleicht auch noch etwas Schokolade. Passt schon.


                  Dann geht es Richtung Autobahn, die ich laut Bilddaten um halb zehn überquere.





                  Das erste Dorf ist Grischow (II), wo ich auf dem Friedhof mein Wasser abhole und mich kurz in den Schatten setze. Im Dorfteich quaken die Frösche, aber Menschen treffe ich eigentlich keine.





                  Von Grischow führt der Weg nun wieder hinab zum Landgraben, in dasselbe Tal, in dem ich gestern Abend umhergeirrt bin, nur eben jetzt auf der anderen Seite der Autobahn. Die Autobahn überquert das Tal auf einem langen Brückenbauwerk, damit unten die Tiere ungestört hindurchlaufen können.

                  Beim Abstieg ins Tal – ich formuliere das so für die norwegischen Leser, die Höhendifferenz beträgt vielleicht 15 Meter – findet man zur Linken noch eine nette Zeltwiese, aber das spielt jetzt gerade keine Rolle. Ein Radfahrer kommt von hinten. Er sieht so aus, als hätte er schon gestern keine Sonnenmilch dabeigehabt, und will von mir wissen, ob es hier nach Brunn geht; die Himmelsrichtung kommt ihm irgendwie falsch vor. Aber es geht hier tatsächlich nach Brunn. »Die Sonne steht im Südosten, das passt schon.«





                  Brunn klingt irgendwie österreichisch, deshalb behält man es im Kopf; dass es zwei Grischows gibt, ist mir hingegen bei der Planung nicht einmal aufgefallen.

                  Adorno redet irgendwo in der ›Negativen Dialektik‹ von dem »Glück, das Namen von Dörfern verheißen wie Otterbach, Watterbach, Reuenthal, Monbrunn. Man glaubt, wenn man hingeht, so wäre man in dem Erfüllten, als ob es wäre.« Wer in Kaakstedt in der Uckermark lebt, wird das vielleicht mit Befremden lesen. Heute stehen jedenfalls Beseritz und Salow und Friedland auf dem Programm.

                  An Brunn laufe ich vorbei, weil mein Weg im Landgrabental bleibt und ihm bis kurz vor Beseritz folgt. Dort, wo man nach Brunn weitergehen würde, stand eine der üblichen Rotunden. Sie ist aber umgefallen und bildet jetzt eine Art Shelter:




                  Ich mache mal wieder eine Pause auf meinem Rucksack und hänge bei dieser Gelegenheit meinen Schlafsack zum Lüften in den Wind. Außerdem untersuche ich meine Füße und beklebe die Fersen vorsichtshalber mit Tape, denn sie brennen etwas. Der viele Asphalt gestern war nicht gut für sie. Heute ist der Weg besser. Genauso wie zuvor schon im Schwarzwald lockere ich im Laufe der Tage die Schnürung der Wanderschuhe immer mehr, ohne dass das schlimme Auswirkungen auf die Fersen hätte.



                  Schlafsack im Wind (Innenseite ist außen)




                  Gegen halb zwölf laufe ich weiter. Und man läuft dann fünf, sechs Kilometer auf dem Feldweg durch die Sonne, ohne irgendwelchen Schatten und ohne irgendwelche Sitzgelegenheiten. Irgendwann kommt man an den Wald, oder der Wald tritt sozusagen von der Seite an den Weg heran, aber der Weg bleibt sonnig. Plötzlich springt ein Tier aus dem hohen Gras auf und flüchtet umständlich Richtung Wald. Es ist ein Dachs; den habe ich zuvor noch nie in freier Wildbahn gesehen und er sollte eigentlich auch tagsüber gar nicht unterwegs sein.




                  Etwas später erreicht man einen See mit ziemlich neu aussehendem Badesteg. Hier gibt es auch eine Feuerstelle und ein paar Findlinge zum Sitzen. Aber ich habe gerade erst Pause gemacht, in der Sonne auf dem Rucksack sitzend. Baden will ich auch nicht unbedingt. Gehe also noch die drei Kilometer bis Beseritz, wo vielleicht eine kleine Chance auf eine Einkehrmöglichkeit besteht. Andernfalls wäre danach jedenfalls ein Landschaftskaffee aus der Tüte fällig.


                  In Beseritz gehe ich zuerst auf den Friedhof, wahrscheinlich um Wasser zu holen, und von dort hat man einen Blick auf das gegenüberliegende neugotische Gutshaus.





                  Ich sehe, dass da irgendwelche Sonnenschirme vorm Haus stehen. Also vielleicht tatsächlich ein Café. Gleich mal gucken. Aber dann ist es doch nur eine Privatsitzgruppe. Kein Mensch zu sehen. Schließlich lege ich mich auf dem Vorplatz auf eine Bank, Kopf auf dem Rucksack. Sieht bestimmt etwas arg informell aus, aber es ist ja niemand in der Nähe. Eigentlich wäre es doch jetzt nett, denke ich, wenn der Gutsherr aus dem Hause käme und mir einen Kaffee anböte.





                  Man könnte mir vorwerfen, dass ich obigen Gedanken im Nachhinein erfunden habe, aber es war wirklich so. Ungefähr als ich wieder aufbrechen will, kommt ein Pickup angefahren, jemand steigt aus, kommt zu mir herüber und fragt mehr oder weniger schelmisch, jedenfalls freundlich:
                  »Hamse Dich hier ausgesetzt?«
                  Nee, nee, antworte ich, ich bin zum Wandern hier. Von Stavenhagen nach Jatznick. In fünf Tagen.
                  »Mit ’ner ganzen Truppe?«
                  Nee, bin allein unterwegs.

                  Er gibt mir die Hand und stellt sich mit Namen vor. Zu meinem Wanderplan sagt er nach ein paar Sekunden Bedenkzeit: »Das finde ich gut.« Und dann: »Möchts’n Kaffee?« Oh ja, sehr gern.

                  Leider, leider hat der Gutsherr selbst keine Zeit, er lässt mir aber den Kaffee nach draußen bringen, und ich halte noch ein kleines Schwätzchen mit der Dame, die ihn mir bringt. Mein Wanderplan und das Schlafen im Wald. Sie erwähnt die Nützlichkeit eines Nachtsichtgeräts bei der Tierbeobachtung.


                  Dann bleibe ich allein und trinke meinen ziemlich gehaltvollen Kaffee aus, der mich über die nächsten Kilometer tragen wird. Es ist ja ein bisschen so, denke ich auf dem Weg nach Salow, als hinge die Widerstandskraft der Füße vom Blutdruck ab; deshalb bekommt man Blasen, wenn man übermüdet ist, kann dem aber mit Koffein entgegenwirken. Das muss mal weiter beobachtet werden.



                  Weg nach Salow


                  Kirche in Salow

                  (Der Gerechtigkeit halber sollte man sagen, dass es in Salow, wenn ich mich recht erinnere, eine Gaststätte im Gutshaus gibt, aber ich habe das nicht konkret überprüft.)


                  Grüße aus Schweden (und ich habe nur die Hälfte fotografiert)


                  In Salow bin ich um halb vier, halte mich aber nicht lange auf, weil ich ja unbedingt heute in Friedland einkaufen und mir anschließend außerhalb noch einen Platz zum Schlafen suchen muss. Ich gehe deshalb auch nicht den auf meiner Karte verzeichneten Wanderweg, sondern nehme den Radweg der L 28 als Abkürzung. Drei Kilometer auf gemähtem Gras. Und nebenbei ist zu registrieren, dass ich bisher an nahezu allen stärker befahrenen Straßen, die ich zu sehen bekommen habe, auch einen Radweg mit etwas Distanz zur Fahrbahn vorgefunden habe. Selten hat sich beim Wandern in der Kulturlandschaft das Auto so wenig aufgedrängt wie hier.




                  Friedland erreiche ich kurz vor fünf Uhr. Am Ufer des Mühlenteichs, dem Stadtsee sozusagen, wo sich jetzt komischerweise trotz Wochenendes und schönsten Wetters niemand aufhält, wechsle ich das T-Shirt und verbrauche nebenbei ein Feuchttuch, um irgendwie restaurantfähig zu werden. Dann latsche ich in die Stadt hinein, die am Rand vielleicht noch eine gewisse Ähnlichkeit mit Altentreptow hat, deren Zentrum aber in den letzten Kriegstagen weitgehend zerstört worden ist. Entsprechend unpittoresk ist der zentrale Platz (der hier nicht abgebildet ist, weil ich das Fotografieren immer dann vergesse, wenn ich etwas anderes zu tun habe).

                  Ich gehe in den Supermarkt (um einen Wurstvorrat zu kaufen – Schokolade vergesse ich leider), dann noch nebenan in einen anderen Laden und frage dort nach einer Restaurant-Empfehlung.

                  Das gelingt auch so weit, das heißt ich esse anschließend ganz passabel im Restaurant Lorenz; nur dass eben dieses Restaurant schon ›draußen‹ vor dem Anklamer Tor neben dem Aldi liegt, wo man keinen Eindruck mehr von dem innerstädtischen Leben bekommt.

                  Angeblich gibt es auch gar keins. Denn als ich vorhin nach einer Buchhandlung gefragt habe, lautete die Auskunft: »Gibt’s nicht mehr. Hier gibt’s überhaupt nichts mehr. Alles total tote Hose.« Und weil das ein bisschen so klingt, als wollte sie sagen: »Ich sag Ihnen jetzt mal was, was Sie direkt in Ihren Reisebericht schreiben können, Sie interessieren sich doch immer so fürs Soziale«, muss ich etwas verlegen lachen und erwidere: »So genau wollt’ ich’s gar nicht wissen.« Jedenfalls, so das Ergebnis, wird es auch für den Rest der Strecke keine farbige Wanderkarte geben.



                  Das Anklamer Tor liegt passenderweise im Nordosten der Stadt, also kann ich nach dem Essen gleich weiter hinauslaufen, über den Bauersheimer Weg wieder einmal Richtung Landgrabental. Es ist inzwischen halb acht, und mein Weg sieht so aus:




                  Ich bewege mich auf Asphalt, aber nach dem Essen ist zunächst, was die Füße und die sonstige Kondition angeht, alles gut. Außerhalb der Siedlung treffe ich wieder einmal keine Menschenseele mehr. Dort, wo das Sträßchen nach rechts in das Landgrabental einbiegt, steht allerdings eine Kuhherde auf der Weide, und weil Dutzende dieser Tiere mich so unverwandt anstarren, als hätten sie den ganzen Tag auf einen Kombattanten gewartet, wird mir unwohl und ich traue mich nicht mehr, ein Foto zu machen.


                  Ich laufe noch zwei Kilometer weiter, dann nehme ich rechts einen Weg in den Wald und schaue mich nach einem Schlafplatz um. Wenn man etwas weitergeht, kommt man auf eine verkrautete Wiese, die auf drei Seiten von Wald umgeben ist; aber hier müsste ich mich dann schon fast direkt neben den Hochsitz legen. Während ich den Platz untersuche, steht nicht allzu weit von mir entfernt ein Rehbock herum und schreckt. Sehr eilig hat er es nicht.

                  Eine andere Möglichkeit ist auch diesmal wieder die, sich nah am Waldrand in den Laubwald zu legen. Draußen auf der anderen Seite des Feldes, 150 Meter entfernt, ist ein Hochsitz. Auf meiner Seite ist auch einer – allerdings ein umgestürzter, so dass ich gewissermaßen in Deckung liege. Die endgültige Entscheidung, hier zu bleiben, fällt in Form eines ersten Schusses auf der anderen Seite des Waldes. Also gleich mal in Deckung gehen. Es wird ohnehin bereits dunkel. Diesmal dient das Tarp der Einfachheit halber als Bodenplane.

                  In der nächsten Stunde höre ich noch zwei weitere Schüsse, aber sie sind nicht wirklich in der Nähe. Dann wird es still. Oder doch nicht, denn der Tierverkehr in dieser Nacht ist ziemlich rege. Man hört Rehe rascheln und wegspringen, und später grunzt es auch in der Nähe, nämlich aus der Richtung des Weges, wo sich jetzt Nebel im Wald ausgebreitet hat. Ohne das Schwarzwild zu sehen, beginne ich ein Gespräch mit ihm und klatsche mal in die Hände. Wenig später höre ich das Grunzen nur noch aus größerer Entfernung, und noch etwas später stehe ich kurz auf und uriniere sicherheitshalber in der Nähe meines Liegeplatzes.


                  Der Himmel ist klar, und zwischen den Blättern sieht man hier und da Sterne blinken. Solange es noch etwas dämmert, erscheint der Laubwald wie das Innere einer Kapelle mit unregelmäßiger Bauform; später, wenn die Konturen der belaubten Äste nicht mehr auszumachen sind, wird das Bild flächig und verwandelt sich in eine Art Scherenschnitt, weil der Himmel hinter dem schwarzen Laub relativ hell bleibt. Ein schwarzweißes Bild, in dem man versuchen kann, ornamentale Muster zu erkennen. Und genauso, wie man manchmal bei Google Earth die Landschaft fälschlich im Negativ sieht – also etwa die eingeschnittenen Täler als Grate –, kann man sich jetzt einbilden, die Lichtflecken der Himmelshelligkeit zwischen dem Laub seien Girlanden von schwachen LED-Leuchten auf einem schwarzen Hintergrund. Und wenn es so weit ist, dass man sich darüber nicht mehr verwundert, schläft man vielleicht ein.


                  Dezimalgrad-Koordinaten: 53.6913, 13.6136
                  Zuletzt geändert von Igelstroem; 25.05.2014, 00:12.
                  Lebe Deine Albträume und irre umher

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                  • Nordmarka
                    Erfahren
                    • 26.08.2013
                    • 229
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                    Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen



                    Beim Abstieg ins Tal – ich formuliere das so für die norwegischen Leser, die Höhendifferenz beträgt vielleicht 15 Meter – findet man zur Linken noch eine nette Zeltwiese, aber das spielt jetzt gerade keine Rolle.
                    Das passt schon, ich bin in der Oberrheinebene aufgewachsen, für uns war der Kanaldamm ein Berg ...

                    Ansonsten: wieder ein schöner Bericht, schade, dass Du nur fünf Tage unterwegs warst!

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                    • AlfBerlin
                      Lebt im Forum
                      • 16.09.2013
                      • 5073
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #30
                      AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                      Zitat von Nordmarka Beitrag anzeigen
                      ... schade, dass Du nur fünf Tage unterwegs warst!
                      Jetzt verderb uns mal nicht die Stimmung! Es kommen doch noch zwei Tage!

                      Siehste, Igelstroem, Dein Inhaltsverzeichnis am Anfang Deines Reiseberichts war ein Fehler! Du hättest doch erst mal offen lassen können, ob und wann Du wieder zurückkehrst. Dann wäre die Geschichte noch spannender und wir müssten uns die ganze Zeit fragen, ob Du vielleicht bei den Eingeborenen bleibst oder Gefallen am Wandern findest und einfach weiter wanderst oder oder oder ...

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                      • Mika Hautamaeki
                        Alter Hase
                        • 30.05.2007
                        • 3979
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #31
                        AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                        Die bilder sind einfach cool! Der Schreibstil sowieso!
                        So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                        A. v. Humboldt.

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                        • Abt
                          Lebt im Forum
                          • 26.04.2010
                          • 5726
                          • Unternehmen

                          • Meine Reisen

                          #32
                          AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                          Danke für deinen Bericht. Bin auch ein Fan vom gefleckter Kleidung wegen der praktischen Seite.
                          Die Landschaft wäre aber nicht so mein Ding...
                          Die erinnert mich an das Buch Von Berlin nach Moskau zu Fuß

                          Hattest du Bergstiefel der BW im Test? Wie sind die über die Strecke bei Hitze?

                          Kommentar


                          • Saniboy
                            Gerne im Forum
                            • 13.01.2014
                            • 83
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                            #33
                            AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                            Hattest du Bergstiefel der BW im Test? Wie sind die über die Strecke bei Hitze?
                            Um Welten besser als die Standard-Kampfstiefel, aber wesentlich unangenehmer als zivile Wanderschuhe.

                            Wenn ich Dir den Tipp geben darf: Wenn Du keine Bergstiefel brauchst, hol Dir keine Bergstiefel.

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                            • robart
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                              • 26.05.2014
                              • 6
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                              #34
                              AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                              Schöner Bericht bisher, die Schreibe gefällt mir sehr gut. Hab mich extra hier (endlich) angemeldet um das mitzuteilen...

                              Viele Grüße,
                              Rolf
                              www.mtw-faltboot.de - Geschichte & Praxis der Faltboote aus Wismar

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                              • Igelstroem
                                Fuchs
                                • 30.01.2013
                                • 1888
                                • Privat

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                                #35
                                AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                                Zitat von robart Beitrag anzeigen
                                Schöner Bericht bisher, die Schreibe gefällt mir sehr gut. Hab mich extra hier (endlich) angemeldet um das mitzuteilen...
                                Nun, dann sollst Du auch eine eigene Antwort bekommen, bevor ich mit dem Bericht fortfahre.

                                Bei der Auswahl der Bilder habe ich die Weite der Landschaft ein bisschen überbetont. Häufig bewegt man sich zwischen den Dörfern auf nichtasphaltierten Alleen (Eiche, Kastanie etc.) und hat dann auch Schatten. Aber meine Fotos sind nicht immer scharf ...

                                Wenn man im Münsterland aufgewachsen ist, hat die bei dieser Tour durchwanderte Landschaft einen besonderen Reiz, weil sie ›vergleichbar‹ ist, der Vergleich aber in vielen Punkten zugunsten Mecklenburgs ausfällt. Um das Münsterland zu mecklenburgisieren, müsste man Folgendes tun:

                                – drei Viertel der Besiedlung und der Verkehrswege beseitigen; insbesondere fast alle Eigenheimsiedlungen abräumen und nur die Dorfkerne übriglassen;
                                – die Kirchen abreißen und durch Feldsteinkirchen ersetzen;
                                – Schweinemastbetriebe durch Herrenhäuser ersetzen;
                                – alle Maisfelder durch Rapsfelder ersetzen;
                                – die Niederschlagsmenge um ein Viertel herabsetzen und die Windgeschwindigkeiten leicht erhöhen;
                                – einige zusätzliche Windräder aufstellen;
                                – das Relief behutsam aufkräuseln;
                                – die Gesichter und Schädelformen, ähm, nee weiß nicht.

                                Und das Meiste davon ist eben fürs Wandern eine Verbesserung.
                                Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                • robart
                                  Neu im Forum
                                  • 26.05.2014
                                  • 6
                                  • Privat

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                                  #36
                                  AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                                  Als geborener Münsterländer (mit 62 cm Bumskopp) muss ich natürlich einmal kurz "Skandal" rufen. Aber ansonsten gebe ich Dir schon recht, ich habe auch seit mittlerweile 20 Jahren eine Schwäche für Mecklenburg-Vorpommern. Komme in Sachen Mentalität auch eher mit den Leuten dort klar als mit der eigenen Verwandschaft südlich des Mains. Selbst meine Schwester in Freiburg mutiert inzwischen... Ich hoffe allerdings, es liest von denen keiner mit, zumindest meinen Beitrag nicht.

                                  Grüße, Rolf


                                  Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                                  Wenn man im Münsterland aufgewachsen ist, hat die bei dieser Tour durchwanderte Landschaft einen besonderen Reiz, weil sie ›vergleichbar‹ ist, der Vergleich aber in vielen Punkten zugunsten Mecklenburgs ausfällt. Um das Münsterland zu mecklenburgisieren, müsste man Folgendes tun:
                                  [...]
                                  – die Gesichter und Schädelformen, ähm, nee weiß nicht.
                                  www.mtw-faltboot.de - Geschichte & Praxis der Faltboote aus Wismar

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                                  • Wanderreiterin
                                    Erfahren
                                    • 10.01.2010
                                    • 343
                                    • Privat

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                                    #37
                                    AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                                    Sehr schön geschrieben... Wann gehts weiter?

                                    Zum Thema Kleidung: Ich dachte immer, man muss die Sachen mit der Tatze tragen um als Wanderer erkannt zu werden
                                    Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst vorgenommen haben. Abraham Lincoln

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                                    • AlfBerlin
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                                      • 16.09.2013
                                      • 5073
                                      • Privat

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                                      #38
                                      AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                                      Igelstroem, für Deine Vorschläge zur Verbesserung des Münsterlandes

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                                      • AlfBerlin
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                                        • 16.09.2013
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                                        #39
                                        AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                                        Zitat von Wanderreiterin Beitrag anzeigen
                                        Zum Thema Kleidung: Ich dachte immer, man muss die Sachen mit der Tatze tragen um als Wanderer erkannt zu werden
                                        Mit einer Tatzen-Hose wäre Igelstroem viel unauffälliger als mit der Flecktarn-Hose, also sozusagen sozial getarnt. Mit der Flecktarnhose muss man erst einmal nach einer Schublade suchen und dann kriegt man sie nicht zu

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                                        • cane

                                          Alter Hase
                                          • 21.10.2011
                                          • 4401
                                          • Privat

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                                          #40
                                          AW: [DE] »Hamse Dich hier ausgesetzt?« – Wandern von Mecklenburg nach Vorpommern

                                          OT:
                                          Zitat von Saniboy Beitrag anzeigen
                                          Wer mit Hose in 5f-Flecktarn (in den Stiefeln), Kampfstiefeln und Centurio raumläuft, braucht sich nicht zu wundern, wenn er als Soldat wahrgenommen wird.)
                                          Man steckt die Hose in die Stiefel wenn man keine Hosengummis verwenden möchte, sonst wird sie nass.

                                          Bringt mich auch gleich zum nächsten Punkt: Bist Du Kombattant? Nein? Warum trägst Du dann eine (unsere) Militäruniform (oder eine Abwandlung) auf Marsch?
                                          jemand der einen Zylynder trägt zaubert nicht automatisch und einen Trecker zu fahren heisst nicht das man Landwirt ist ;) Hier auf dem Land trägt meine Generation oft BW Klamotten, sind günstig und gut zum Arbeiten geeignet.

                                          mfg
                                          cane
                                          Zuletzt geändert von cane; 27.05.2014, 15:13.

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