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Eine der großartigsten Schluchten dieser Welt befindet sich am oberen Jangtsekiang, im Südwesten Chinas, in der Provinz Yunnan. Die Reiseführer (z. B. von Lonely Planet oder Rough Guides) beschreiben sie unter dem Namen Tiger Leaping Gorge als ein lohnendes Ziel für eine beeindruckende Ein-Tages-Wanderung. Zu Recht, wie dieser kleine Bericht demonstrieren soll.
Mein Sohn und ich wanderten Anfang November 2010 durch die Tiger Leaping Gorge. Wir teilten dabei, wie viele andere auch, diese Ein-Tages-Wanderung auf zwei halbe Tage auf, weil das logistisch günstiger war. Einen Kurz-Bericht davon habe ich im März 2014 hier eingestellt und dann beinahe selbst wieder vergessen. Erst Anfang 2019 hat ihn ein Kamerad wieder zu Tage gefördert (siehe Beiträge #5 bis #10 in diesem Faden), und das nahm ich zum Anlaß, den Bericht noch einmal zu überarbeiten. Was ihr im Folgenden seht, ist also nun die zweite Version. Ganz am Schluß mache ich noch ein paar kurze Bemerkungen über den Kontext unserer Wanderung.
Der Jangtsekiang, der in seinem Oberlauf als Jinsha River bezeichnet wird, verläßt das Hochland des östlichen Tibet in südlicher Richtung, etwa parallel zum Mekong. Im Unterschied zu letzterem biegt er aber auf einmal ganz plötzlich wieder nach Norden um. Ihr seht die Stelle auf einem Satellitenbild bei etwa 26°52'22"N und 99°58'1"E. Wenig später passiert er die Tiger Leaping Gorge und fließt in diesem Abschnitt also etwa von SW nach NO, zu beiden Seiten gesäumt von Bergketten mit Gipfelhöhen von weit über 5000m. Die Berge östlich des Flusses heißen Jade-Drachen-Schneeberge; einen ähnlich poetischen Namen für eine Bergkette könnt ihr anderswo lange suchen.
Die gelbe Linie zeigt den Verlauf der Wanderroute.
Wir erreichten den Startpunkt (das südwestliche Ende der Wanderstrecke) am späten Vormittag, als uns der Überlandbus wunschgemäß dort absetzte. Vor dem Abmarsch in die Schlucht stärkten wir uns erst einmal in einem Restaurant, wo wir folgende Speisekarte vorgelegt bekamen:
Ich weiß nicht mehr genau, was wir letztendlich gegessen haben, aber ich bin ziemlich sicher, daß es nicht der explodierende Palast war.
Dann starteten wir, zunächst auf einer Betonstraße:
Der Weg war nicht markiert, und unsere einzige Orientierungs-Grundlage war die textliche Beschreibung im Lonely-Planet-Reiseführer. Diese war aber irgendwie unklar oder veraltet (oder beides), und so gingen wir schon bald, noch innerhalb des Dorfes, in die Irre und mußten wieder zurück auf den richtigen Weg.
Bereits kurz nach Verlassen des Dorfes wurde deutlich, von welch schroffen Hängen die Schlucht gesäumt ist.
Dieser Eindruck verstärkte sich im Laufe der Wanderung immer mehr; hoch überragen die Gipfel der Jade-Drachen-Schneeberge die Schlucht im Osten; die höchsten Gipfel liegen fast 3800m über dem Flußlauf.
Es war eigentlich keine schwierige Wanderung; trotzdem erinnere ich mich selbst jetzt, mehr als acht Jahre später, daß mir die pralle Nachmitagssonne schwer zu schaffen machte, ich mich überhitzt und erschöpft fühlte wie selten auf einer Bergwanderung (eigentlich fast nie vorher oder nachher). Ganz schlimm war das an einem Steilstück etwa nach dem ersten Drittel der Gesamtstrecke. Endlich waren wir dann aber doch oben, und von dort an ging es wieder – sehr angenehm – stetig leicht abwärts.
Ungefähr in der Mitte der gesamten Wanderstrecke war ein kleines Dorf, und dort gab es ein paar (wenige) Unterkunfts-Optionen.
Nicht lange nach unserer Ankunft ließ der Sonnenuntergang die Jade-Drachen-Schneeberge eindrucksvoll leuchten:
Einer der Gipfel erinnerte mich an den Ama Dablam:
Wir verbrachten den Abend zusammen mit einer Gruppe aus Polen, und es ergaben sich einige Gespräche, die zum Teil nachdenklich waren (in Anbetracht der Tatsache, daß meine Großeltern im Dezember 1944 ihr Haus in Liegnitz verlassen und als Flüchtlinge für immer verloren hatten), zum Teil aber auch interessant: mein Urgroßvater war Förster gewesen in einer Gegend, die schon 1918 von Preußen an den neu gebildeten Staat Polen abgegeben worden war. Er sprach – wie mir berichtet wurde – recht gut Polnisch; denn die meisten seiner Waldarbeiter waren Polen. So habe ich schon als Kind die Worte „Dschin Dobre“ gelernt.
Im ersten Licht des nächsten Morgens warf die aufgehende Sonne die Schatten der Jade-Drachen-Schneeberge nach OBEN auf die Wolkendecke – so etwas hatte ich noch nie vorher gesehen. Derartig hoch und steil überragt diese Bergkette also das weiter östlich gelegene Terrain!
Wir setzten unsere Wanderung fort und genossen verschiedene spektakuläre Aussichten, zum Beispiel diese:
Natürlich nahmen wir Notiz von den tibetischen Gebetsfahnen an diesem Haus:
Der Weg querte dann einen Wasserfall ...
... und führte nicht ganz ungefährlich den Hang entlang.
Wie ich bereits erwähnte, war der Weg nicht wirklich markiert. Schon ganz am Anfang der Wanderung hatten wir uns verfranzt, und im Laufe des zweiten Halbtages standen wir wiederum vor einer Abzweigung, die uns verwirrte. Einer der beiden Pfade führte leicht abfallend den Hang hinunter, der andere leicht ansteigend aufwärts. Rätselraten. Schließlich entschieden wir uns für den ansteigenden Pfad. Ihr mögt nun allerlei amateur-psychologische Spekulationen darüber anstellen wollen, was uns dazu getrieben hat, eher aufwärts als abwärts zu gehen; ich weiß es im Nachhinein auch nicht mehr, warum wir diese Entscheidung fällten. Warum auch immer, die Entscheidung war falsch: der Pfad war eine Sackgasse und endete an einem Haus. Dort wohnte ein „alter Mann“ (anscheinend so um die Sechzig, wie ich selbst damals, hahaha), der uns mit Gesten über unseren Irrtum aufklärte. Er hatte, wenn ich mich recht erinnere, um sein Haus ein paar kleine mickerige Felder und betrieb ein wenig Imkerei. Letzteres war sicher eine gute Idee in Anbetracht der Tatsache, daß man alle landwirtschaftliche Produktion von dort ja nur zu Fuß oder per Packpferd abtransportieren konnte (und Honig ist pro Kilogramm ja mehr wert als Getreide oder Gemüse). Der „alte Mann“ hatte natürlich keinerlei Fremdsprachen-Kenntnisse (mit einiger Wahrscheinlichkeit sprach er nicht einmal Mandarin, sondern nur eine lokale Sprache, von denen es in Yunnan ja sehr viele gibt); irgendwie konnten wir aber doch mit ihm kommunizieren. Wir blieben vielleicht zwanzig Minuten bei ihm, und es war eine durchaus freundliche Begegnung, wie ihr hier seht:
So kann man nun darüber sinnieren, daß man das Leben nicht nur unter Gesichtspunkten der technischen Effizienz betrachten darf, daß in versteckten Winkeln doch mitunter überraschend schöne Blumen blühen, die man nur durch Zufall entdeckt, und daß manches, was auf den ersten Blick falsch erscheint, doch auch seine positiven Seiten hat. Ernst Heimeran schrieb bekanntlich ein Büchlein mit dem Titel „Es hat alles sein Gutes“, und Kolumbus hat ja auch nur aus Versehen Amerika entdeckt.
Wir korrigierten also unseren Irrtum, kehrten wieder auf den Hauptweg zurück und nahmen nun den absteigenden Pfad. Das war dann auch der sanfte Ausklang der Wanderung.
Schließlich erreichten wir das Ende der Schlucht, die Hänge wurden wieder flacher, und es gab so etwas wie ein größeres Dorf. Von dort hatten wir noch einmal einen tollen Blick zurück nach Südwesten, also flußaufwärts. Dies war die eindrucksvollste Perspektive der gesamten Schlucht (und deshalb habe ich sie auch als Titelbild für diesen Bericht ausgewählt).
In obigem Foto ist auch die Straße zu sehen, über die uns ein gemietetes Auto wenig später wieder zum Ausgangspunkt zurück brachte (was ungefähr eine Stunde dauerte), wo wir dann einen Überlandbus nach Lijiang bestiegen.
Wer diese Wanderung machen will, ist wohl besser bedient, die Rückfahrt tal-aufwärts mit dem Auto zu machen, und nicht die Hinfahrt tal-abwärts; denn tal-abwärts fährt das Auto (in China herrscht ja Rechtsverkehr wie bei uns) ständig an der extrem steilen und ungesicherten Talseite der Straße entlang, was sicherlich gefährlich ist, auf jeden Fall sehr gefährlich aussieht.
Unter dem englischen Namen „Tiger Leaping Gorge“ findet ihr im Internet einiges an Informationen über diese Schlucht, das will ich hier nicht alles wiederholen. Zitiert wird die Legende, daß dort ein Tiger über den Fluß gesprungen sein soll. Da der Fluß aber an der engsten Stelle immer noch rund 25 Meter breit ist, ist dies wohl eine falsche Erklärung. Wahrscheinlicher ist meiner Meinung nach, daß der Name einfach eine Fehl-Interpretation ist, als jemand eine Bezeichnung aus einer der vielen lokalen Sprachen in eine andere Sprache (z. B. Mandarin) übertragen hat. Solche Fehl-Interpretationen kennt man ja auch aus dem Deutschen.
Nun reist natürlich niemand alleine wegen so einer Ein-Tages-Wanderung nach Yunnan, und auch wir hatten das nicht getan. Vielmehr hatten wir während der vorauf gegangenen Woche eine gemütliche Backpacker-Tour durch Yunnan gemacht und dabei allerlei interessante Ziele besucht, auch solche, die weniger mit „Outdoor“ zu tun haben:
Auf der einen Seite die etwas kitschig hergerichtete Altstadt von Dali und die mindestens ebenso kitschig hergerichtete Altstadt von Lijiang ...
... auf der anderen Seite den viel authentischer wirkenden alten Karawanen-Stützpunkt Shaxi ...
.. und den von tibetischer Kultur geprägten Teil der Provinz Yunnan in der Umgebung einer Stadt, der man den Namen „Shangri-La“ gegeben hat (was aber wohl mehr mit Fremdenverkehrs-Förderung zu tun hat als mit belegter Geschichte).
Wie ich eingangs sagte, gehört diese Schlucht ganz sicher zu den großartigsten der Welt. Der Grand Canyon gehört selbstredend auch dazu (davon gibt es ja einige Berichte hier), ebenso das Kali Gandaki in Nepal (beschrieben u. a. in meinem Bericht vom Jomson Trek), dann das Obere Industal in Pakistan, der Colca Canyon in Peru und vor allem der unverhältnismäßig wenig bekannte Copper Canyon in Mexiko, durch den eine spektakuläre Eisenbahnstrecke führt (von Chihuahua nach Los Mochis) und der ein paar Berichte auf diesem Forum verdient hätte. Vielleicht schaffe ich es noch einmal dorthin...
P.S.: Auch diesen Bericht gibt es als druckerfreundliche PDF-Datei: hier klicken
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