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    • 16.08.2008
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    • Meine Reisen

    #61
    AW: [IT] Das Meer

    20.01.2014 Monte San Biagio

    13,3 km


    Am Morgen stürmt es nicht mehr so stark und am Himmel zeigen sich kleine helle Abschnitte.





    Im Fernsehen werden dramatische Bilder von Überschwemmungen in Italien gezeigt. Das Militär füllt Sandsäcke. Der verunglückte IC in Ligurien ist immer noch ein wichtiges Thema. Anscheinend ist es nicht möglich, ihn bei diesen Wetterbedingungen von den Gleisen zu entfernen. Die Hänge unter ihm sind ebenfalls instabil. Züge in Richtung französische Grenze müssen vermutlich über Turin geleitet werden und eine Region ist vom öffentlichen Nahverkehr ausgeschlossen.

    Als ich Richtung Hafen rollere, ist es trocknen. Aber über dem Meer liegt ein bläulicher Streifen, der nichts Gutes verheißt.





    Auch in der Nacht sind sintflutartige Regenfälle heruntergekommen, auf den Straßen stehen hohe Pfützen. Fischer sehe ich bei dem Wetter keine. Zum Abschied hätte das gut getan. Im Sommer wird es hier traumhaft sein. Heute wirkt alles trostlos. Vielleicht ganz gut. So fällt die Erkenntnis, dass der Urlaub bald zu Ende ist, nicht so schwer.





    Ein breiter Strand taucht auf und ich genieße noch einmal das Flair und die Weite der Küste. Ein alter Mann parkt sein Dreiradgefährt am Straßenrand und läuft mühsam auf die andere Straßenseite. Diese Gefährte waren mir immer wieder auf den Landstraßen begegnet. Sie werden bei Gartenarbeiten oder in der Landwirtschaft eingesetzt und halsbrecherisch gefahren. Ape 50. Nun weiß ich auch den Namen. Ein Gedenkstein mit italienischer Flagge kommt in Sicht und an der Fahne sieht man den Wind. So schön bekommt man eine Fahne nicht immer fotografiert. Den Text verstehe ich nicht. Recherchen ergeben, dass es sich um ein Ehrenmal für einen 1942 gefallenen Leutnant und Scharfschützen Augstine Quartulli handelt, der im heutigen Kroatien gefallen ist. Das Denkmal wurde 2012 errichtet und wenn ich die maschinelle Übersetzung richtig verstanden habe, ist es Teil eines historischen Projektes, dass die Identität Terracinas stärken soll, um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Schwierigkeiten zu überwinden.








    Ein alter Mann kommt durch den Sand gestapft. Als er meinen Roller sieht, fragt er, woher ich sei. „Germania“, sage ich. Er lächelt. Auf Deutsch erzählt er, dass er in Deutschland gelebt hat, als er ein junger Mann war. Das war eine schöne Zeit. Er wünscht mir eine gute Weiterreise.

    Ich komme nun an den strategisch wichtigen Engpunkt, den die Via Appia so bedeutend macht. Wissen tue ich davon nichts, aber es ist schon beeindruckend, wie wenig Platz hier ist. Zunächst sind auf der rechten Seite noch Häuser, dann geht die Straße über eine gemauerte Steinkonstruktion direkt am Meer entlang um die Felsen herum. Ob man hier wohl damals Felsen abgetragen hat, um die Straße zu bauen?





    Ein kleiner Gewerbebetrieb befindet sich direkt am Meer, und ich fahre in die Einfahrt und genieße einmal wieder das Spiel der Wellen.








    Ein Stück weiter ist ein kleiner Aussichtspunkt und hier ist das Wasser noch näher und wilder.














    Erwähnte ich schon einmal, dass ich an derartigen Stellen stundenlang stehen könnte und dem Wasser zuschauen könnte?





    Es fängt nun an zu nieseln und ich sehe das als Zeichen des Abschiedes. Eine enge, schmale Straße direkt am Meer liegt vor mir. Ein Schild warnt vor Steinschlag („caduta massi“).







    Die Straße ist gerade frei und geht leicht bergab. Das trifft sich gut. Sie ist sehr schmal und hat keinen Seitenstreifen, an dem ich Autos ausweichen könnte. So wage ich es nicht, ein Foto zu machen. Aus dem Auto heraus, und vielleicht sogar mit dem Fahrrad, würde man vermutlich gar nicht merken, wie der Abschnitt beschaffen ist. Eine normale Straße nahe am Wasser, wie schön, würde man vermutlich sagen.
    Mit dem Roller ist das ein ganz anderes Erlebnis. Wohl wissend, ein zu langsames und damit gefährliches Verkehrshindernis zu sein, rollt man mit vielleicht 3-4 km/h bei leichtem Gegenwind eine nasse, enge Straße entlang, die rechts nur durch einen alten Mauer-Stahlrohrzaun vom fast ebenerdig liegend wirkenden, unruhig schäumenden Wasser getrennt wird, das direkt neben einem am Fuß der leicht erhöht gebauten Straße tobt. Ich war noch nie besonders mutig und in dem Moment muss ich eine leichte aufkeimende Panik unterdrücken. Wäre das hier eine Fußgängerbrücke, wäre ich sicherlich Feuer und Flamme. Aber auf der vielbefahrenen Via Appia ist das schon Nervenkitzel.
    Als die Hälfte geschafft ist, muss ich wieder treten und komme aufgrund des Windes kaum voran. Schneller als ein Fußgänger bin ich kaum. Tatsächlich kommen nun ein paar Autos. Aber sie fahren zu meiner Erleichterung human. Möglicherweise sind hier im Sommer Fußgänger und Radfahrer unterwegs und sie sind Hindernisse gewohnt. Und ich bin mit dem Poncho wohl auch kaum zu übersehen.


    Der Regen wird nun erheblich stärker und fotografieren sinnlos. Der Küstenstreifen verbreitert sich wieder und es tauchen Sommeraufbauten auf. Ob es nun ein Campingplatz oder Strandinfrastruktur ist, erinnere ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich in einen Nebenweg abbiege, um der Straße aus dem Weg zu gehen und in einer Sackgasse lande.

    Die Landstraße teilt sich und ich passe gut auf, dass ich nicht auf der Autobahn lande. Das Navi ist hier eine große Hilfe, ich muss es auch mal loben. Dann kommt wieder ein neuralgischer Punkt, und ich interpretiere Straßenschilder und Navi falsch. Ich denke, ich muss mich rechts halten, dabei führt der Rechtsabbieger auf der linken Spur unter der Brücke entlang. So lande ich auf einem Feldweg parallel zur Straße und nutze den Moment, etwas zu essen und ein paar Fotos zu machen.

    Ich ordne mich wieder auf der Straße ein und groß warnt ein Schild langsame Verkehrsmittel, wie z.B. Fahrräder und Motorroller, geradeaus zu fahren und zwingt sie nach links. Geradeaus ist der Zubringer zur Autobahn. Ich rollere ganz nach links und biege ordnungsgemäß ab. Als ich die Autobahn quere, mache ich noch ein Bild von der Straße und den tiefhängenden Wolken an den Bergen. Die Sicht könnte besser sein.





    Und dann ist Schluss mit lustig. Dieser Teil der Via Appia ist stark befahren. Mit ohrenbetäubendem Geräusch fahren die LKW ganz nahe an mir vorbei. Nicht unhöflich, keinesfalls. Aber die Straße ist zu eng und zu stark befahren, um richtig ausweichen zu können. Ich wechsele auf die linke Seite und stelle die Stirnlampe auf die höchste Stufe.





    Wieder versuche ich mich im Seitenstreifen- und Einfahrthopping und das macht die Sache etwas erträglicher. Links und rechts der Straße sind nämlich Häuser und so bin ich jedenfalls etwas geschützt.





    Irgendwann taucht ein See auf. Den Turm fotografiere ich nicht, aber ein Erinnerungsfoto ist der See wert. Er ist groß. Tagebau hat einem Felsen den Stempel aufgeprägt. Faszinierend und zerstörerisch zugleich.





    Die Landschaft wird nun wieder bäuerlicher und im Sommer und ohne Verkehr wäre die Straße sicherlich sehr schön. Immerhin kommen die Autos nun wieder im Pulk und das macht die Fahrt angenehmer. In der Ferne zeigt sich ein heller Streifen und der Regen nimmt langsam ab.





    Eisenbahngleise tauchen auf und ein Schnellzug verschwindet im Tunnel. Der Bahnhof Monte San Biagio existiert. Lange halte ich diese Straße nicht mehr aus. Aber das schlimmste Stück beginnt erst jetzt. Die Straße ist kurvenreich und an den Kurven ist es lebensgefährlich, an der linken Seite zu rollern. Seitenstreifen fehlen und wenn die Straße links abknickt, fahren die italienischen Autofahrer ganz nahe am Rand, um Kurvenschneidern aus dem Weg zu gehen. Mit mir rechnen sie nicht und die Ausweichsmanöver, die sie vor lauter Schreck fahren, sind bei Gegenverkehr für alle, auch mich, gefährlich. So wechsele ich erst ständig zwischen links und rechts hin und her und bleibe bald auf der rechten Seite. Das ist für alle Beteiligten einfacher. Als ich später bei ODS die Diskussion über den Unfall einer Gruppenkolonne lese, die auf der rechten Seite marschierend von einem Auto angefahren wurde, weiß ich, warum die Kolonne wie vorgeschrieben rechts unterwegs war. Auf ein langsames Fahrzeug rechts muss ein Autofahrer vorbereitet sein. Eine Kolonne in Gegenrichtung fährt zu gefährlichen Ausweichmanövern. Ein Ape demonstriert sehr schön, dass sich Autofahrer auch auf langsame Fahrzeuge einstellen können. Bei seinem Anblick wird mir warm ums Herz. Schade, dass er nicht hinter mir fährt.





    Auf den letzten Metern bekomme ich Angst. Die Straße ist kurvig, schlecht einsehbar und die mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Autos gefährlich. Da es hügelig ist, muss ich schieben. Mehr als einmal dränge ich mich beim geringsten Geräusch mit dem Rücken an die Leitplanke. An einer Stelle klappe ich sogar den Lenker ein. Dass der Roller viel schmaler als ein Fahrrad ist, kommt mir hier zu gute. Die Angst bleibt. Nicht auf den letzten Metern noch ein Gedenkstein am Straßenrand werden.








    Dann bin ich am Ort. Die Polizei bremst vor mir hart auf der anderen Straßenseite, aber sie ist an einem LKW hinter ihr interessiert. Der Regen hat aufgehört. Ich erhalte die originellste Fahrkarte meines Lebens, einen Vordruck mit zwei aufgeklebten Marken sowie einem handschriftlichen Vermerk. Ungefähr sieben Euro zahle ich für die Fahrkarte nach Neapel. Der Zug hat vierzig Minuten Verspätung.








    Ich entledige mich am Bahnsteig meines Gepäcks auf einer Bank. Ein älterer Herr mit imposantem Bauch sucht das Gespräch, aber ich kann ja kein Italienisch. Er schenkt mir drei Bananen. Ein Mann von um die vierzig ist leicht genervt über die Verspätung. Wir kommen ins Gespräch. Er ist aus Nizza und spricht französisch, englisch und italienisch. Er hat seine geschiedene Frau und den Sohn in Terracina besucht und will jetzt in Neapel einkaufen. Neapel ist günstig. Vermutlich kauft er Anzüge. Heute morgen gab es in Italien ein kleines Erdbeben. Der Ätna ist auch wieder aktiv und im Umfeld des Vesuves gibt es schon seit längerer Zeit Veränderungen. Wir wünschen uns Glück. Später warnt er mich, mein Gepäck so offen da liegen zu lassen, wie ich es gerade tue. Ich nicke. Aber noch bin ich auf eine Großstadt nicht vorbereitet. Im Herzen stehe ich immer noch in Sabaudia am Meer.


    Zuletzt geändert von Torres; 05.02.2014, 23:15.
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    (Norddeutsche Panikattacke)

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    • Torres
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      • 16.08.2008
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      • Meine Reisen

      #62
      AW: [IT] Das Meer

      V. Teil: Insalatone - Salat





      20.-21.01.2014 Neapel und Vulcano Solfatara (Pozzuoli)


      Mein Traum, den Vesuv zu besteigen, wird sich nicht erfüllen. Er war der Grund, die Strecke Richtung Neapel zu wählen und die letzten Tage der Reise Neapel vorzubehalten. Geplant hatte ich das schon vor der Reise. Aber das Wetter, das Italien in diesem Jahr schwer getroffen hat und noch trifft, macht auch vor dem Vesuv nicht halt. Als der Zug nach Neapel einfährt, ahne ich schon, dass ich verloren habe. Er ist kaum zu sehen.

      Ortskenntnisse sind unbezahlbar und nach kurzer Zeit sitze ich in der Vorortbahn nach Mergellina. Am Vesuv hat ein Campingplatz geöffnet, aber mir fällt nicht ein, was ich bei dem Wetter dort machen soll. So checke ich im Hihostel Neapel ein – mit Blick auf den Vesuv und auf das Meer.





      Manchmal.





      Ich muss meine Vorräte auffüllen und quere die Hauptstraße. Zu meinem Erstaunen ist der Kulturschock geringer, als ich dachte. Ich bin erholt. In einer ruhigen Einkaufsstraße finde ich kleine Läden. Sogar norwegischen Fisch aller Art kann man hier seit über hundert Jahren kaufen. Und ich finde das Meer, hier, in Form der Bucht von Neapel. Sie ist gar nicht weit weg.





      Und als wolle mir der Wettergott etwas Gutes tun, sind auch hier die Wellen hoch.





      Am Ufer stehen Brandungsangler.








      Ein kleiner Junge interessiert sich für meine Kamera, aber ich traue ihm nicht und schaue ihn scharf an. Behände hüpft er durch den Großstadtverkehr und verschwindet auf der anderen Straßenseite in einer Seitenstraße.





      Langsam wird es dunkel und ich sehe eine kleine Bäckerei. Eine richtige Bäckerei. Er verkauft sogar Vollkornbrötchen mit Körnern. Am nächsten Tag wird er mich fragen, ob ich aus Deutschland bin. Die Deutschen essen diese Brötchen am liebsten.
      In anderen kleinen Läden erwerbe ich frisches Gemüse, Wasser, Obst und Seife für das Hostel. Ich muss mit Kleingeld bezahlen, die Händler können nicht wechseln. Die Banken sind wie ein Sicherheitstrakt ausgestattet. An einer Ecke gibt es Pizza zum Mitnehmen, aber der Ofen ist noch nicht heiß. So esse ich im Restaurantteil im ersten Stock in einem menschenleeren, kühlen Raum eine Gemüsesuppe. Sie ist nahrhaft und schmeckt sehr würzig. Sollte das Fleischbrühe sein? Mein Verdacht erhärtet sich, als ich ein Stück Schweinefleisch aus der Haxe finde. Es schmeckt farblos.





      Gegen 20.00 Uhr liege ich in den Schlafsack gekuschelt im Bett und schlafe sofort ein. 12 Stunden werde ich durchschlafen. Der Vesuv bleibt verschwunden.


      -------------------------


      Am nächsten Morgen ist das Meer wieder zu sehen und das Wetter sieht nicht ganz so erbärmlich aus wie gestern.





      Ein Fernradler packt vor der Tür. Ich frage ihn, was er macht, denn er hat einen Anhänger dabei. Englisch spricht er nicht. Aber ich erfahre, dass er Matteo Blundo heißt und auf dem Weg nach Madagaskar ist, um mit der Reise den Bau einer Schule zu unterstützen. http://www.youtube.com/watch?v=J3p5Bw-AcW0 Er drückt mir Prospekte in die Hand und verteilt auch welche im Hostel. Die Frau am Empfang schaut genervt. Es sind inzwischen zu viele geworden, die auf Unterstützung hoffen. Ich erkläre ihm, dass ich mit 16 kg Gepäck gerollert bin und er kontert mit 200 kg. 200 kg. Ich bin sprachlos. Na dann viel Spaß. Immerhin ist es nicht seine erste Tour, er ist bereits zum Nordkap und nach Israel geradelt und scheint auch eine 1500 Meilen Wanderung absolviert zu haben.





      Den Vesuv zu besuchen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Dann möchte ich jedenfalls die Phlegräischen Felder besichtigen. Man empfiehlt mir das Zentrum der Phlegräischen Felder, Pozzuoli. Bei wikipedia lese ich, dass sich hier im Laufe der Jahrhunderte - das letzte Mal in den 80iger Jahren des letzten Jahrhunderts - immer wieder der Boden gehoben und gesenkt hat. Laut einem Fernsehbericht hat man erst kürzlich entdeckt, dass es eine unterirdische Verbindung zum Vesuv gibt.
      Die Solfatara sind heiße Quellen in einem erloschenen Vulkan, die schon in der Antike für ihre Heilwirkung bekannt waren und sogar von J.W. v. Goethe gezeichnet wurden. Gerne würde ich mit dem Roller nach Pozzuli rollern, aber der Weg ist zu weit und zu stark befahren. So steigen der Roller und ich in die Metro vor dem Hostel. Viel zu rollern gibt es nicht, denn im Grund geht es immer die Hauptstraße den Berg hoch. Es ist so einfach, dass ich es nicht gleich finde. Der Blick auf die Bucht ist wunderschön.

      Der Vulkan kostet Eintritt und der Roller bleibt am Eingang. Einen geöffneten Campingplatz gibt es hier auch, und er sieht wirklich hübsch aus. Hätte ich das gewusst! Gäste gibt es keine.
      Ein Wanderweg führt in das Innere und zunächst ist der Anblick der Fläche enttäuschend. Hell mit einer großen Wasserpfütze. Der Wanderweg gefällt mir besser.





      Spannend wird die Sache erst, als ich näher trete. Aus der Ferne unsichtbar, steigen Dämpfe auf. Der Geruch ist gewöhnungsbedürftig. Faule Eier, mindestens. Der Dampf muss heiß sein, denn Holz verkohlt. Am Rande des Kraters stehen Häuser.








      Die fiesen Gerüche hinterlassen fiese Farben. So richtig sehen kann man die Geruchsquelle nicht. Aber dort, wo etwas auftritt, werden die Bilder unscharf.














      Ein paar Meter weiter dampft es. Immer wieder kommen schauerartige Regengüsse und verschlechtern die Sicht. An manchen Stellen kann man die Aktivitäten nur erahnen.








      Als ich über eine der Erhebungen in der Mitte des Vulkans weiterlaufe, habe ich plötzlich das Gefühl, dass meine Schuhsohlen warm werden. Unheimlich. Einbildung ist das nicht.






      Kurze Zeit später kommen die Dampferzeuger in meine Blickfeld. Der Geruch wird mich die nächsten zwei Tage begleiten. Aber gesund soll es sein.








      Auch hier wird gewarnt, zu nahe heran zu treten. Heiße Dämpfe und Bodentemperatur: Verbrennungsgefahr. Das Schild ist auch auf deutsch. In dieser Quelle herrschen 160 Grad.











      Klar, dass zwischendrin der Wind wechselt und die Dämpfe genau auf mich zukommen.








      Und wenn es hier schon keine Wellen gibt, muss ich eben Dämpfe fotografieren.








      Als plötzlich zwei Männer erscheinen, erschrecke ich mich. Sie scheinen hier zu wohnen oder zu arbeiten. Touristen sind es nicht. Kurz darauf bemerke ich auf einer Bank einen dunkeln Punkt. Ich könnte schwören, es sind Menschen. Später werde ich sehen, dass es ein knutschendes Liebespaar ist. Weitere Menschen sind hier keine.





      Eine gemauerte Grotte namens „Le Stufe“. Sie wurde bis Ende des 19. Jhs. Für Solebäder genutzt. Die Wände sind salzverkrustet. Auch hier steigen Dämpfe auf. Das Betreten ist verboten. Nachts wird die Anlage beleuchtet.





      Immer noch tauchen neue Stellen auf. Auch das perfekte, sich selbst regenerierende ODS Lagerfeuer ist dabei. Hier werden keine Spuren hinterlassen.





      Dann geht es durch Natur Richtung Campingplatz. Eine gepflegte Anlage.








      Schade. Aber ich werde morgen nach Norden fahren. Falls die Züge witterungsbedingt nicht mehr fahren sollten, brauche ich einen Puffer. Man weiß ja nie.





      Ich rollere zur Metro zurück und fahre bis zum Hauptbahnhof. Dann rollere ich durch die Innenstadt, die ich mir letztes Jahr nicht angeschaut habe. Es sind wenige Menschen auf der Straßen. Viel weniger als im September. Zu kalt, vermutlich. Erst mache ich vorsichtig Fotos, später wie immer. Die Anwohner in den Straßen schauen zwar nach mir, aber bald merke ich, dass sie eher neugierig sind oder sogar stolz darauf sind, dass jemand fotografiert. Nur als ein Tourist die Krippenlandschaften und Heiligenfiguren eines Geschäftes fotografiert, wird ein Mann böse. Soetwas tut man nicht. Es ist Handarbeit.








      Ich bin erstaunt, wieviel Perlen sich in der Innenstadt verbergen. Ein wenig Fassadenfarbe und die Stadt wäre ein Touristenmagnet.





      Hinter dem großen Castel wird die Stadt richtig mondän und nur in den Seitenstraßen, die auf den Hügel führen, sieht man enge Gassen. Meine Kamera macht unscharfe Bilder, irgendetwas ist beschlagen. Wie gut, dass sie abgedichtet ist. Immer wieder gibt es kräftige Regenschauer. Ich hoffe, dass die Regenschirmverkäufer gute Geschäfte machen.
      An einem Eckladen esse ich ein Stück Pizza. Es kostet 1.50 Euro und schmeckt köstlich. Ein unbeschreiblicher Mix aus Kräutern macht aus einem einfachen Stück Pizza ein Fest für die Sinne. Man sollte Pizza tatsächlich nur in Neapel essen.





      Ich durchrollere eine kleine Einbahnstraße in der richtigen Fahrtrichtung und bekomme eine riesige Pfütze ab, die von einem Motorrollerfahrer erzeugt wird, der in der falschen Fahrtrichtung. Bella Napoli. Kurz darauf bin ich wieder an der Bucht. Ein kombinierter Weg für Jogger und Radler führt zwischen Mergellina und Kreuzfahrthafen an der Bucht entlang. Das Wolkenspiel fasziniert. Der Vesuv ist nicht zu sehen.





      Wieder gibt es Wellen, die ich fotografieren kann.











      Für einen Moment kommt tatsächlich die Sonne heraus.





      Und mit ihr der Vesuv





      Und dann gehe ich zu früh. Als das Castell dell´Ovo in Flammen steht, bin ich schon auf der anderen Straßenseite.





      Ich schließe meinen Roller an einem Geländer an. Mittlerweile fühle ich mich hier sicher. Ein Junge fragt mich neugierig nach meinem Roller, aber ich muss passen, ich verstehe ihn nicht. Enttäuscht geht er zu den anderen und ein größerer Junge zieht in auf. „Das ist ein Scooter.“ Soviel verstehe ich. Gut, das hätte ich auch noch beantworten können. Als ich aus der Bäckerei komme, sind sie verschwunden. Im städtischen Markt gibt es Tinnef zu kaufen. Ich mache nur ein Foto von dem Schild und ein Mann mit Kinderwagen, der im Eingang steht, lächelt anerkennend.
      Beim Schlachter am Ende des Platzes wird Fleisch angeliefert. Ein Mann trägt Schweinehälften über den Platz. Wieviele Kilos hat so ein Schwein? Leider versperren mir Pflanzen und Fußgänger die Sicht. Ein Motorroller will den Lieferwagen kurz zuparken, man einigt sich vorher. Als ich nahe genug für ein Foto bin, trägt er gerade das letzte und im Vergleich recht kleine Stück.





      In einem kleinen Käsegeschäft erwerbe ich Käse mit Pistazien darin und einen festen Schnittkäse. Da der ältere Eigentümer kein Englisch spricht, ist er etwas hilflos und man merkt, dass es ihn irgendetwas stresst. Er empfiehlt mir frischen Büffelmozarella, und ich nehme dankend an. Ein junger Mann steht untätig im Laden herum und langweilt sich. Als er die Brotlieferung entgegennehmen kann, wird er kurz wach. Aber motiviert ist er nicht. Vermutlich wäre er lieber bei seinen Kumpels auf der Straße. Vielleicht ärgert sich der Mann auch mehr über ihn als über mich.

      Als ich die steile Straße hinter dem Bahnhof zum Hostel hochlaufe, sitzen Vögel auf der Stange und tratschen. Mir zu Ehren entscheiden sich Sonne und Wolken zu einem großen Finale. Am Fenster sehe ich einen Tanker in den Hafen einlaufen.





      Abschied.


      Zuletzt geändert von Torres; 06.02.2014, 18:34.
      Oha.
      (Norddeutsche Panikattacke)

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      • hosentreger
        Fuchs
        • 04.04.2003
        • 1406

        • Meine Reisen

        #63
        AW: [IT] Das Meer

        Hallo Torres,

        ich habe Deine Strecke Satz für Satz und Bild für Bild verfolgt: Ganz vieles habe ich wiedererkannt von meiner Sizilien-München-Tour vor fast zwei Jahren. Nur mit dem Wetter hatte ich sehr viel mehr Glück!
        Und ich kann Dich (und die anderen radinteressierten für die Westküste Italiens) beruhigen: Im Mai ist es für Radfahrer noch recht unproblematisch. Das könnte im Hochsommer aber auf den Straßen tatsächlich etwas gefährlicher sein.

        Für Dich, Torres, damit Du diese "Engstelle" auch mit blauem Himmel siehst:



        Und falls jemand das Meer an ihrem Lieblingsstrand etwas weniger stürmisch mag als Torres - biite schön:

        .

        Danke nochmal für Deinen Bericht
        hosentreger
        Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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        • Torres
          Freak

          Liebt das Forum
          • 16.08.2008
          • 30708
          • Privat

          • Meine Reisen

          #64
          AW: [IT] Das Meer

          VI. Teil: Dolce I – Dessert





          22.-23.01.2014 Florenz

          Die Nachspeise kann aus köstlichem Eis mit Früchten, aus Melone oder aus Zabaione bestehen. Allerdings auch aus einem trockenen Mürbeteigkuchen mit viel zu viel übersüßter Marmelade bestehen. Der erste Teil des Desserts besteht aus letzterem.

          Kaum bin ich aus dem Zug gestiegen, weiß ich, dass ich die Stadt nicht mag. Zu touristisch. Zuviel Folklore. Zuviel Tourismusbusiness. Eine „Leiche“. Man lebt von der Vergangenheit. Mit dem Italien, das ich in den letzten Tagen erlebt habe, hat das nichts zu tun.

          Ich miete mir ein Hotelzimmer, weil ich auf ein unruhiges Stadthostel keine Lust habe. Noch ein bisschen Einsamkeit bewahren, solange es geht. Da ich nun mal da bin, laufe ich zu den Uffizien. Es ist Januar und niemand steht in der Schlange an.
          Es sind unglaublich viele Bilder und das ist in zwei Stunden nicht zu schaffen. Immerhin sehe die Botticelli Engel, Da Vinci, Rembrandt, Dürer, Raffaelo, Lucas Cranach der Ältere, Rubens, Tizian, Michaelangelo. Caravaggio, Crespi, del Sarto und viele, viele mehr. Nur Canaletto habe ich wohl übersehen. Oder die Bilder werden restauriert, es gab Abteilungen, die geschlossen waren.

          Ich verstehe nichts von Kunst und so muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht bei allen Bildern gleich erkenne, dass es sich um die berühmten Meister handelt. Gut, bei einigen Bildern sehe ich schon Qualitätsunterschiede. Aber wenn jemand sagen würde: Suche aus dem Raum den xxx heraus: Ich wäre verloren. Obwohl man nur fotografieren darf, wenn man eine andere Person vor dem Bild fotografiert, bin ich dennoch wie viele andere so frei, mir die Erinnerung per Foto zu bewahren. Vor allem, um zu Hause noch einmal in Ruhe schauen zu können, was ich gesehen habe. Die Ausstellung ist nur schwach besucht. Es sind vor allem französische Gruppen mit Führung, welche die Sicht versperren. Einige Chinesen und Koreaner. Sowie Kunststudenten. Sie interessieren sich vor allem für Details und bannen Bildausschnitte auf ihr I-Pad. Einen geschwungenen Mantel, eine kleine Figur im Hintergrund. Nur ein Bild beeindruckt mich wirklich: Francisco (José de) Goya (y Lucientes): Die Gräfin von Chinchon (1797-1800). Es ist ein sehr großes Bild und meine Fantasie reicht nicht aus, um mir vorstellen zu können, wie man ein so luftiges Kleid auf eine Leinwand malen kann.


          Ponte Vecchio, die Brücke der Juweliere und Namensgeber italienischer Restaurants in Deutschland, hatte ich schon vorher fotografiert und der Blick aus dem Museum bietet zusätzlich eine reizvolle Perspektive.





          Aber so irgendwie ist diese Stadt nicht mein Stil. Da nutzt auch ein Sonnenuntergang nichts.





          Ich suche meinen Weg durch die Straßen. In einer Kirche gibt es ein Orgelkonzert, man bitte um eine Spende, um die Kirche unterhalten zu können. Aber gerne. Ein paar Male werde ich fast von Fahrradfahrern umgefahren, das bin ich nicht mehr gewöhnt. Es ist durchgängig Schrottfahrräder, die aussehen, als würden sie jeden Moment auseinanderfallen. Der Dom beieindruckt dann doch. Er ist riesig, bunt und noch nicht mal in Ansätzen für meine Kamera geeignet. Zu groß. Etwas weiter ist ein Ledermarkt und ich nutze die Gelegenheit, mir einen Gürtel zu kaufen. Meine Hose ist zu weit geworden.





          Ich widerstehe den italienischen Fastfoodrestaurants und lande in einer Trattoria. Der Touristenmagnet in Florenz ist das Steak Florentiner Art, ein ungefähr 1300 gr. schweres T-Bone Steak. Ich entscheide mich für ein Menu, bestehend aus Suppe und Fisch mit Gemüse. Wie der Fisch wurde das Gemüse gegrillt und schmeckt wie Gummi. Dafür zieht es allerdings auch nicht so viel Fett, als wenn es in der Pfanne gebraten wurde.
          Eine der Lampen blendet und der Inhaber versucht, sie zu richten. Anscheinend sind sie neu. Er steigt auf einen Stuhl und dreht an der Lampe. Das Ergebnis ist, dass sie gar nicht mehr funktioniert. Schulterzuckend lässt er es so. Am Nebentisch sitzt die erwachsene Tochter. Sie zeigt den Eltern Bilder auf einem Tablet-PC, und die Eltern schauen interessiert, aber auch ein wenig distanziert zu, als wäre das, was sie sehen, eine andere Welt. Einen Moment fühle ich mich wieder in das Italien der letzten Tage versetzt. Das tröstet.





          ---------


          Am nächsten Morgen ist das Wetter ansprechend. Ich nehme den Roller mit und rollere zum Dom. Er ist noch geschlossen. Ich suche und finden „den“ David von Michelangelo, es ist eine Kopie. Das Original steht seit 1873 im Museum. Kurz darauf bin ich am Arno. Am liebsten würde ich jetzt auf Tour gehen. Meinen Rucksack packen, den Roller nehmen und die Toscana erkunden. Einfach zu Hause sage: „Ich komme nicht mehr“. Aber das ist natürlich Illusion.





          Wie ferngesteuert finde ich mich nach dem Blick auf den Arno plötzlich auf der Brücke Ponte Vecchio wieder.





          Schöner Kitsch. Da muss man fast Maler werden. Canaletto kommt mir wie ein Vertreter eines modernen Realismus vor.

          Die Geschäfte haben noch nicht geöffnet. Eine Angestellte zieht den schweren Laden vor dem Geschäft hoch. Zwei Männer mit lustigem Kostüm stehen am Ende der Brücke. Es sind Polizisten. Sie sehen aus wie Feuerwehrleute, doch sie tragen einen weißen Helm und blauweiße Uniform. Als sich der Polizist umdreht, sieht es aus, als hätte er ein Ferrari-Logo auf dem Gürtel. Überprüfen kann ich das natürlich nicht.

          Immer noch ferngesteuert laufe oder rollere ich einfach weiter. Der Palazzo Pitti. Dahinter ist ein großer Garten, aber ich laufe weiter. Schon bald bin ich in einer kleinen Straße und fühle mich wieder in Italien. Wenige Menschen, schmale Bürgersteige, kaum Autos. Am Ende der Straße ist ein Tor und ein Kreisverkehr mit dem üblichen Verkehr. Zu meiner Linken ein Garten. Vermutlich ist es der Garten, der zum Palazzo Pitti gehört und ich überlege, ob ich hineinfahren soll. Aber irgendetwas hält mich ab. Vielleicht der Winter.





          Ich kaufe ein paar Mandarinen bei einem Straßenhändler und biege links in die nächste Straße ab. Die Autos höre ich gar nicht mehr, ich bin ja erholt. Hauptsache, frei sein. Mein Stadtplan ist hier zu Ende und ich habe keine Ahnung, wo es hier hingeht. Ich lasse mich überraschen. Bergauf ist immer gut.
          Nach einiger Zeit sehe ich in der Ferne historische Gemäuder und biege in eine idyllische Nebenstraße ein. Autos begegnen mir keine. Menschen auch nicht. In einem Haus hat wohl Peter Tschaikowsky einmal gewohnt. Den Text verstehe ich nicht.





          Ich komme an eine stärker befahrene Straße, aber vom Gefühl her bin ich mir unsicher, ob geradeaus die richtige Richtung ist. Mein Navi liegt im Hotel. Ich frage eine Frau nach dem Piazza Michelangelo, um mich nicht ganz zu verirren. Er ist gerade noch auf meinem Stadtplan drauf. Sie lenkt mich nach links, an der Hauptstraße entlang. Ich bin etwas enttäuscht. Die kleinen Gassen hatten mir gut gefallen. Aber ohne geeignetes Kartenmaterial ist mir das dann doch zu kritisch. Immerhin ist die Straße voller Bäume und weist keine Bebauung auf.

          Kurz darauf werde ich mit einer netten Aussicht belohnt. So bleibe ich auf dem Bürgersteig links, obwohl es rechts einen gut ausgebauten Wanderweg an der Straße gibt. Für meinen Geschmack weiterhin ein bisschen zu kitschig, aber immerhin.





          Eine Seitenstraße zweigt ab mit dem Hinweis zu einer Kirche. Ich folge der Straße, die recht steil nach oben führt.





          Vor der nächsten Kurve bin ich mir unsicher: Geht es nach rechts, weiter an der Straße entlang oder in den kleinen Weg hinein. Ein Schild zeigt, dass Florenz hier bereits zu Ende ist. Ich hätte mir die Stadt viel größer vorgestellt. Einen Moment überlege ich, der Straße dennoch zu folgen. Aber sie sieht nicht anders aus als die Straßen, die ich am Meer kennengelernt habe: Kein Randstreifen, kein Wanderweg. Es ändert nichts. Hier herrscht eine andere Kultur. Kein Land für Roller.
          Ich entscheide mich, in Florenz zu bleiben und damit für den kleinen Weg. Eine Joggerin überholt mich. Am Laternenpfahl klebt eine Markierung. Vielleicht ein Wanderweg? Oder wieder ein Reitweg? Ein Figur markiert eine Einfahrt. Ein Haus, das mit internationalen Flaggen beklebt ist, kommt in Sicht. Man hört fröhliche Stimmen. In der Ferne Toscana-Romantik. War das in gewissen Kreisen nicht mal modern, hier Häuser zu kaufen oder seine Wohnungen im Toscana – Stil einzurichten? Ich hatte es mehr mit den Schweden. Links von mir ist ein kleines Wäldchen, ein Kriegsmahnmal steht im Schatten. Hinter einer Mauer kann man eine Kirche erahnen.








          Vor mir liegt nun wieder die Straße. Aber über eine Auffahrt geht es zu einem Gebäude auf dem Hügel. Es ist San Miniato al Monte. Sie gilt als eine der schönsten Kirchen Italiens Sie wird von Benediktinern betrieben (genaugenommen von der Benediktinerkongregation von Monte Oliveto, auch Olivetaner genannt), die in einem kleinen Geschäft Tee, Honig und Souvenirs verkaufen. Vor und hinter dem Gebäude schließt sich ein großer, alter Friedhof an. Die Kirche, die ich hinter der Mauer gesehen habe, gehört zu dem Friedhof. Möglicherweise ist es nur eine Kapelle.





          Etwas später bin ich am Piazza Michelangelo. Die Zivilisation hat mich wieder. Überall stehen Touristengrüppchen. Der Platz ist mit öffentlichem Nahverkehr gut zu erreichen. Händler verkaufen die üblichen Souvernirs. Im Sommer ist hier bestimmt ein Menschenmeer. In der Nähe ist ein Campingplatz, aber ich sehe ihn nicht. Ein letztes Foto.





          Dann rollere ich gemütlich ins Tal. Es war schön, noch einmal das Unbekannte gesucht zu haben und ein wenig Pfadsucher gespielt zu haben. Und gutes Timing, denn es sieht nach Regen aus.

          Als ich im Zentrum ankomme, fängt es an zu regnen. Ich besuche den Dom, schaue mir die Ausstellung von Robert Capas Italienbildern an und gehe dann noch in die Kirche Basilica di Santa Maria Novella – ebenfalls eine schöne Kirche. Dann fällt mir nichts mehr ein. Ich kaufe noch ein wenig Wegproviant und esse diesmal in einem anderen Restaurant. Es ist eine auf Touristen abgestimmte, reibungslos laufende, geölte Maschinerie, die familiär wirken soll. Italienisch ist allerdings, dass der Fernseher läuft. Ich esse zum Abschied eine Pizza Napoli (die in Neapel übrigens Romana heißt).

          Gesättigt verziehe ich mich ins Hotel und lese.


          Zuletzt geändert von Torres; 06.02.2014, 19:02.
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            #65
            AW: [IT] Das Meer

            VI. Teil: Dolce II – Dessert





            24.01.2014 Mailand

            Ich hatte die Jugendherberge vorreserviert, sonst wäre ich wohl in der Innenstadt geblieben. Die Metro Richtung Rho Fiera steht still. Nationaler Streik. Ab Cadorna komme ich nicht mehr weiter. Aber wozu habe ich einen Roller. Eine Stunde brauche ich, und sie macht Spaß, auch wenn es nur an großen Straßen entlang geht. Die Sonne scheint. Immerhin finde ich wieder etwas Unerwartetes: Zunächst nur ein dekoratives Gebäude. Oben drauf steht: Casa di riposo per musicisti – Fondatione Giuseppe Verdi. Vermutlich eine Musikschule, denke ich mir. Was es wirklich ist, weiß ich erst jetzt: Ein von Verdi gestiftetes Altersheim für verarmte Musiker. Aufgenommen werde Italiener ab 65, die mindestens 25 Jahre Berufsmusiker waren und nachweisbar verarmt sind. Klick. Klack. Giuseppe Verdi (La Traviata, Aida) und seine Frau liegen in der Gruft des Gebäudes begraben. Was für ein soziales und vor allem vorausschauendes Denken. Ich bin beeindruckt. Dass er geschäftstüchtig war, wusste ich. Aber das hier wusste ich nicht.

            Das Gebäude steht an einem riesigen Kreisverkehr, in dessen Mitte eine große Statue steht. Nur ein Wort steht in großen Lettern darauf: Verdi. Dass er 1901 in Mailand gestorben ist, wusste ich auch nicht. Man lernt nie aus.





            Nachdem ich eingecheckt habe, begebe ich mich noch einmal in die Innenstadt. Das Wetter ist unerwartet schön und ein bisschen rollern schadet ja nicht. Insgesamt werden an diesem Tag 25 km Rollern zusammenkommen. Ich fahre nach Gefühl und verirre mich kurz, dann bin ich wieder auf Kurs.

            Im Sonnenlicht sehen die Gebäude ganz anders aus. Und die Stadt ist plötzlich so lebendig. Eine junge Stadt. Eine pulsierende Stadt. Es ist der Moment, wo mir klar wird, dass bei meinem ersten Besuch Feiertag war. Dies hier ist eine völlig andere Stadt als vor drei Wochen. Und kein Vergleich mit Florenz. Ich düse durch die Straßen, hier spielt der Roller seine Stärken aus: Wendig, klein und bürgersteigtauglich. Eine griechisch-orthodoxe Kirche. Der Dom im Sonnenlicht. 2015 wird Mailand Expo – Stadt. Eine gelungene Wahl. Das ist die richtige Stadt dafür. Das Thema lautet: "Den Planeten ernähren". Klick.





            Am Abend gehe ich in der Nähe des Hostels Mitbringsel einkaufen. Das Gewicht ist ja nun egal. Es gibt in der Straße sogar einen Bioladen, doch das Angebot, was ich benötige, hat er nicht. Ein Supermarkt ist um die Ecke. Pesto frisch. Parmesankäse. Gorgonzola. Gebäck. Proviant für die Fahrt. Es ist ein gut sortierter Supermarkt. Auch er hatte am Anfang der Reise geschlossen.
            Als ich meinen Roller vom Schloss befreien will, bekomme ich das Ende des Schloss nicht mehr aus dem kleinen Ring. Ich ziehe und ziehe. Versuche es mit Technik. Nichts. Ein älterer Mann stellt seine Einkäufe auf den Boden und will helfen. Das ist nicht einfach und er wirft erst einmal das Schloss ins Wasser, das sich in den Fahrradrillen der Betonkonstruktion gesammelt hat. Dann müht er sich ab und ich habe ein wenig Angst um ihn. Aber tatsächlich schafft er es und gibt mir freudestrahlend das Schloss in die Hand. Wo ich denn herkäme. „Germania“. Ahhh. Er freut sich. Heidelberg. Er spricht gut englisch. Er war mit einer Frau befreundet, die bei den Amerikanern gearbeitet hat. Das war eine tolle Zeit. Ich frage, ob er sie geheiratet hat. Nein. Er ist dann nach Japan gegangen. Dort hat er die beste Frau der Welt gefunden. Und geheiratet. Nach einem Jahr ist sie gestorben. Und er stand da mit dem bambino. „Es war kein einfaches Leben“, sagt er und hat Tränen in den Augen. Wortlos dreht er sich um und geht. Das wollte ich nicht.

            Ich rollere mit meinen Einkäufen zu der Pizzeria vom letzten Mal. Ich bestelle zum Abschied Pasta und sie ist sehr gut. Viele italienische Familien sind heute da und wieder bin ich überrascht, wie entspannt und fröhlich alle sind. Sie scheinen aus der Nachbarschaft zu sein. Der Fernseher läuft. Ich lasse mir eine Pizza für morgen einpacken und erhalte einen großen Karton. Eine Frau hilft mir mit der Tür. Ich befreie den Roller vom Schloss und sehe sie, wie sie vor mir an ein Fenstern klopft. Es wird nicht gleich geöffnet und sie ruft irgendetwas und klopft noch einmal ganz massiv. Sie will die Pizza durch das Fenster reichen. Ich sage: "Gut" und wir lachen gemeinsam sehr herzlich. Auch Mailand ist Italien.

            Der Karton ist auf dem Roller etwas umständlich zu transportieren, aber es geht. Schließlich wird der morgige Tag lang. Ich werde von 11.45 Uhr bis 0.08 Uhr im Zug sitzen.

            Tatsächlich wird es sogar länger sein, denn in Göttingen war ein paar Tage vorher ein mit Energiebrause beladener Güterwagen entgleist. Der ICE wird von Kassel aus direkt über Hannover umgeleitet und fährt teilweise auf den S-Bahngleisen. So haben wir anderthalb Stunden Verspätung. Es gibt ein Freigetränk. Meine Fahrgastrechte nehme ich nicht in Anspruch. Das Team und der Lokführer haben einen guten Job gemacht. In Italien lernt man Gelassenheit. Ich bin ja angekommen.


            Zuletzt geändert von Torres; 06.02.2014, 19:15.
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              #66
              AW: [IT] Das Meer

              Zitat von hosentreger Beitrag anzeigen
              Hallo Torres,

              ich habe Deine Strecke Satz für Satz und Bild für Bild verfolgt: Ganz vieles habe ich wiedererkannt von meiner Sizilien-München-Tour vor fast zwei Jahren. Nur mit dem Wetter hatte ich sehr viel mehr Glück!
              Und ich kann Dich (und die anderen radinteressierten für die Westküste Italiens) beruhigen: Im Mai ist es für Radfahrer noch recht unproblematisch. Das könnte im Hochsommer aber auf den Straßen tatsächlich etwas gefährlicher sein.

              Für Dich, Torres, damit Du diese "Engstelle" auch mit blauem Himmel siehst:
              ....

              Danke nochmal für Deinen Bericht
              hosentreger
              Danke für die Fotos, hosentreger. Sieht hübsch aus. So unzufrieden bin ich aber im Nachhinein nicht mit dem Wetter. Es hätte erheblich schlimmer kommen können, vor allem, wenn ich meine Streckenplanung nicht geändert hätte. Teile Pisas, wo in der Nähe die Via Francigena verläuft, waren letzte Woche überflutet und selbst Rom ist ja letzte Woche von Hochwasser betroffen gewesen. So waren das letztlich wirklich schöne Tage, und ich wäre gerne noch nach Formia - Geata gerollert. Schade, dass die Streckenabschnitte dort so gefährlich sind.

              Gestern war ich übrigens auf einer Reisemesse und habe am Italienstand nach Radwegen und Wanderwegen in Italien gefragt. Die Leute am Stand meinten unisono, dass es in Italien dafür keine Kultur gäbe. Wenn es so etwas gibt, dann sind es kleine Abschnitte in den Bergen (für MTBs). Selbst am Gardasee gibt es nur ein kleines Stück Radweg. Voie verte wie in Frankreich oder Fernwanderwege wie den GR 34 gibt es in Italien nicht. Die eine Frau bedauerte das sehr und meinte, sie würde ihre Freunde in Deutschland so beneiden, dass die mit dem Fahrrad sogar zur Arbeit fahren könnten. Man ist also - wie es ja auch hosentregers Sizilienbericht zeigt - auf ganz normale Straße angewiesen und folglich auch zivilisationsnah unterwegs.

              Zwei Dinge habe ich übrigens im Reisebericht vergessen zu erwähnen:

              a) Als ich in Terracina im Hotel ankam, fragt die Frau an der Rezeption, warum ich einen Roller mithabe. Ich erzählte, dass ich von Ostia bis Terracina mit dem Roller gefahren bin. "Ach, sie sind Sportler!", meinte sie.

              b) In dem familiären Restaurant am Hafen in San Felice Circeo lief neben dem Fernseher auch Musik. Und was wurde gespielt: Modern talking. Erst dachte ich, das kenne ich doch, und dann musste ich doch etwas schmunzeln, als ich hörte, was da gespielt wird.
              Mein Musikstil war das nie, aber heute sind die Lieder so selbstverständlich, dass man schon genau hinhören muss, um sie zu erkennen. Dieter Bohlen ist heute 60 Jahre alt geworden. Eins muss man ihm lassen: Er hat sich international durchgesetzt wie kaum jemand anderer.
              Oha.
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                #67
                AW: [IT] Das Meer

                Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                Gestern war ich übrigens auf einer Reisemesse und habe am Italienstand nach Radwegen und Wanderwegen in Italien gefragt. Die Leute am Stand meinten unisono, dass es in Italien dafür keine Kultur gäbe. Wenn es so etwas gibt, dann sind es kleine Abschnitte in den Bergen (für MTBs). Selbst am Gardasee gibt es nur ein kleines Stück Radweg. Voie verte wie in Frankreich oder Fernwanderwege wie den GR 34 gibt es in Italien nicht. Die eine Frau bedauerte das sehr und meinte, sie würde ihre Freunde in Deutschland so beneiden, dass die mit dem Fahrrad sogar zur Arbeit fahren könnten. Man ist also - wie es ja auch hosentregers Sizilienbericht zeigt - auf ganz normale Straße angewiesen und folglich auch zivilisationsnah unterwegs.


                Für den Süden gäbe es diese Streckenmöglichkeiten. Die Ausschilderung ist gut, ist halt aber sehr straßenbetont.
                http://www.viefrancigenedelsud.it/it/map/wrap/

                Und was kartenmaterial angeht, hier kann man in einige Karten auswählen und regelrecht reinzoomen bis ins kleinste Detail:
                http://www.edizioniillupo.it/index.p...kmlgoogle.html
                Zuletzt geändert von Ingwer; 07.02.2014, 12:53.

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                • Torres
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                  #68
                  AW: [IT] Das Meer

                  Danke. Die Strecke war bei mir anfangs auch in der engeren Wahl und die Website der Südroute hatte ich auch gesehen. Ich habe dann aber nur die nördlichen Tracks bis Rom eingespeichert. Die Via Francigena scheint mir generell am besten erschlossen zu sein.
                  Ich sehe nun auch gerade, dass ich auf dem letzten Teilstück die Via Appia hätte umgehen können. Da gab es eine Parallelstraße, die ich auch hinter den Schienen gesehen habe. Nur nicht, wie man da hinkommt. Das ärgert mich im Nachhinein. Auch nach Formia hätte ich auf der Via Francigena kommen können. Mein Navi hatte mir Richtung Fondi eine 40 km Strecke durch die Berge empfohlen, hier sind es nur 17 km. Das wäre okay gewesen.
                  Oha.
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                    #69
                    AW: [IT] Das Meer

                    Hallo Torres
                    Danke, dass du die Phlegräischen Felder bei Pozzuoli so ausführlich fotografiert hast.
                    Als ich vor Jahrzenten (ich glaube ich werde doch langsam alt) in Neapel war wollte ich mir dieses vulkanische Gebiet ansehen. In der Nacht vorher wurde jedoch mein Auto aufgebrochen und so kam ich nicht dazu.
                    Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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