[SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

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    [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

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    Auf Wunsch hier nun mal meine Frühlingstour im Slowakischen Paradies:

    Zart violett leuchtet die Blüte zwischen den moosbewachsenen Felsen in einem Sonnenstrahl. Pulsatilla slavica - Slawische Kuhschelle heißt die Blume, von den Einheimischen auch Slowakische Anemone genannt. Nur hier an den Südhängen des Ihrík-Massivs zwischen den Kalkfelsen über dem Hornád-Fluss wächst die Pflanze. Und jetzt, Mitte April, leuchten die violetten Blüten dieser endemischen Art alle paar Meter als Symbolpflanze des Nationalparks Slowakisches Paradies, unserem Wandergebiet voller Schluchten und Klammen für die kommende Woche.



    1. Karpatenchadar

    Schon lang wollte ich diesen Teil der Karpaten besuchen. Eine Woche vor Ostern war es endlich so weit. Auf Tagestouren wollten wir die Schluchten im Norden des Slowakischen Paradieses erkunden. Wir hatten eine Unterkunft im Internet ausfindig gemacht - die Pension Ranč in Podlesok. Von der Lage her müsste sie unseren Ansprüchen genügen und auch die Übernachtung kostete mit 15 Euro pro Person kein Vermögen.
    Frau Hodáková öffnete die Tür zu Zimmer 7. Sie bedeutete uns zu warten und verschwand im Zimmer. Einen Augenblick nur, dann kam sie zurück und ging zu Nummer 4, öffnete die Tür und bat uns einzutreten. Auf das Fenster weisend sagte sie nur - "Tatry!". Und tatsächlich: Am Horizont reckten sich die schneebedeckten Gipfel der drei Tatra-Massive - links die Westtatra, in der Mitte die Hohe Tatra und rechts die Beler Tatra. Ich brauchte nur meine Kamera aus dem Fenster halten, ein paar Mal auf den Auslöser drücken und hatte meine Panoramavorlagen, alles ohne aufwändige Stativausrüstung.
    Doch nicht wegen der Tatra waren wir hier, uns interessierte das Karstgebiet Slowakisches Paradies. Die erste große Schlucht, der wir uns am nächsten Morgen widmeten, nennt sich Prielom Hornádu - der Hornád-Durchbruch.
    Auf 16 km frisst sich der Hornád durch die Kalkfelsen des Slowakischen Paradieses, 9 km davon bilden eine enge Schlucht, durch die der Wanderweg führt. Schon am Hornád-Hals betraten wir den ersten Metallsteg. Ein Schild mahnt den Wanderer zu erhöhter Vorsicht beim Durchwandern der Schlucht. Wir brauchten auch nicht lang zu laufen und der Pfad wurde von einer Holzleiter abgelöst. Auf zwei nebeneinanderliegenden Baumstämmen waren etwa 50 cm lange Bretter in Schrittweite quer drübergenagelt. Diese Konstruktion in Form einer Hühnerleiter sollte uns auf unseren Wanderungen durch die Schluchten noch häufiger begegnen. Ich mochte diese Dinger nicht sonderlich, bei Nässe rutschten meine Schuhe auf den Holzbrettern wie auf Blankeis. Die erste Durchquerung des Hornád-Durchbruchs erfolgte übrigens im Winter. Abenteurer liefen im Februar 1906 über das Eis des zugefrorenen Hornád.
    Wir wanderten sozusagen im Tal des Chadars der Karpaten. (Den Chadar habe ich 2005 durchwandert. So wird der zugefrorene Zanskar-Fluss genannt, nach ihm ist eine Region im indischen Himalaja benannt.) Im Juli desselben Jahres befuhr einer der Erschließer des Gebirges, Béla Hajts (der auch dem Gebirge seinen heutigen Namen gab), den Fluss auf einem Floß.
    Es dauerte jedoch noch fast 70 Jahre, bis Wanderer den Hornád auf der ganzen Länge begehen konnten. Erst im Herbst 1974 wurde mit der Fertigstellung des so genannten "Bergretter-Pfades" (chodník Horskej služby) der gesamte Durchbruch zugänglich gemacht. Abschnitt für Abschnitt vom Hornád-Hals im Westen bis zur Mündung des Baches Biely potok im Osten wurden laut der Infotafel am Schluchtende in 15 Jahren Bauzeit 7 Brücken und Stege aus Metall, 140 Trittstufen, 333 m Sicherungsketten und 70 m Holzstege verbaut. Damit ist die Durchbruchsschlucht des Hornád bis jetzt die letzte Schlucht im Slowakischen Paradies, die für Touristen erschlossen wurde.
    Wir überquerten die Hühnerleiter, die direkt an einer Felswand endete, nun ging es auf Metalltritten weiter, die in die Felswand eingelassen waren. Unter uns rauschte der Hornád. Eine Kette in Hüfthöhe sollte für zusätzliche Sicherheit sorgen. Für mich hing das Ding eindeutig zu tief. Unbeholfen mogelte ich mich um eine Felsnase herum. Helga tanzte vorneweg. Ab jetzt zeigten sich häufiger Tritte, Leitern und Stege nicht nur am Fels, auch an Böschungen ging es auf ihnen entlang. Die Steighilfen dienen nicht nur der Sicherheit, sondern auch dem Schutz empfindlicher Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Trampelpfade durch Wanderer werden so vermieden. Nach einer Stunde mündete von rechts eine Schlucht in den Durchbruch. Ein Wegweiser verriet uns den Namen - Kláštorská roklina (Klosterschlucht). Unsere Pensionswirtin hatte uns einen Abstecher durch die Schlucht ans Herz gelegt. Von hier würden wir in etwa einer Stunde auf eine Hochebene gelangen, die sich Kláštorisko nennt. Linkerhand spannt sich eine Hängebrücke über den Hornád. Nach einer kurzen Trinkpause entschieden wir uns für eine Durchquerung der Klosterschlucht, immerhin sollte es laut Wanderkarte auf der Hochebene eine Hütte haben, und wenn die geöffnet hat, gibt es vielleicht auch ein Bierchen, dachte ich mir.











    2. Im Herzen des Paradieses

    Als an dieser Stelle 1960 die Hängebrücke über den Hornád gebaut wurde, wurde es auch möglich die Klosterschlucht zu begehen. Wir kehrten dem Hornád den Rücken und betraten die enge Klamm, Baumstämme lehnten an den Felswänden oder lagen uns zu Füßen. Immer enger rückten die Felsen zusammen. Bald versperrte uns eine Felswand den Weiterweg. Ein Wasserfall stürzte uns entgegen, daneben führte eine Metallleiter in die Höhe. Auf einem Blechschild am Fels stand der Name des Wasserfalls - vodopád Objaviteľov (Entdecker-Wasserfall). Die Schlucht ist kurz und steil. Auf nur 1,5 km überwanden wir 224 Höhenmeter. Weitere Wasserfälle folgten. Mein Wanderführer weist den Dúhový vodopád als größten Wasserfall aus. Laut Infotafel ist er es nicht. Was stimmt nun? Egal, beeindruckend sind sie alle. Nach etwa einer Stunde verlässt der Pfad die Schlucht nach links. Vor uns erschien eine Wiese - die Hochebene Kláštorisko (Klostergrund).
    Rechter Hand blinkten weiße Steine in der Frühlingssonne. Es sind die Reste eines Karthäuserklosters aus dem 14. Jahrhundert. Die Mönche erhielten das Land für ihren Klosterbau als Geschenk von den Zipsern. Zum Dank dafür, dass die Menschen während der Mongoleneinfälle im 13. Jahrhundert hier oben Zuflucht fanden und überlebten. Dementsprechend wurde das Gebiet "Lapis Refugii" genannt - "Zufluchtstein". Unsere Zuflucht bestand in der chata Kláštorisko. Die Hütte wurde tatsächlich bewirtschaftet. Auf der Terrasse hockten wenige Wanderer. Wir genehmigten uns ein Goldfasanenbier und genossen die Aussicht über die Zipser Ebene zu den Bergen der Hohen Tatra. Ab jetzt sollte uns unser Weg jeden Tag hier vorbeiführen.
    Es wurde Zeit für den Aufbruch. Auf einem mit gelbem Band markierten Wanderweg oberhalb der Klosterschlucht stiegen wir wieder hinab zur Hängebrücke Lanová lávka im Hornád-Durchbruch. Ein Schild an der Brücke warnte: Schaukeln verboten. Das wurde vermutlich extra für Wanderinnen wie Helga angebracht, die sich einen Spaß draus machen, die Brücke in Schwingung zu versetzen, wenn man gerade mitten draufsteht. Jetzt ging es weiter bis zur Letanovský mlyn - der Lettensdorfer Mühle. Gemahlen wurde hier nichts mehr - aber an einem Hüttchen leuchtete Bierwerbung Marke "Goldfasan". Wir widerstanden der Versuchung und querten den Hornád über die Karthäuserbrücke - einer rekonstruierten Steinbrücke. Im Oktober 1944 wurde die Brücke von deutschen Truppen gesprengt, um den Partisanen, die in den Bergen lebten, den Zugang in die Dörfer der Zips zu verwehren. Von hier führt der sogenannte Karthäuserweg hinauf nach Kláštorisko. Es ist der älteste Zugangsweg in dieses Gebiet. Wir folgten aber dem Lauf des Hornád nach Osten. Kurz hinter der Brücke ging es wieder über Metallstufen an den Felsen entlang. Eispanzer und Schneereste klebten an den Hängen - der Winter sandte uns seine Abschiedsgrüße. Wir hatten schon Bedenken, dass die Schluchten aufgrund von Restschnee nicht passierbar wären. Doch es gab in dieser Hinsicht keine Probleme.
    Der Fluss unter uns wechselte ständig seinen Charakter, mal floss er wild und schäumend zwischen Baumstämmen und Felsbrocken hindurch, mal lag er still und ruhig im Schatten der Bäume wie ein Bergsee. Kurz vor der Mündung des Biely potok in den Hornád führt ein grün markierter steiler Pfad hinauf auf den Bergkamm. Wir verließen die Schlucht, die eh bald endete, und traten den Rückweg an nach Podlesok.
    Der gelb markierte Weg führt über den Kamm des Ihrík, einer Kalksteinformation über dem Hornád. Zur Linken floss nun tief unter uns der Fluss, zur Rechten breitete sich der Hornád-Talkessel aus. Eine Ebene, die schon seit der Altsteinzeit (12 000 - 10 000 v.u.Z.) besiedelt wurde. Das Felsmassiv des Ihrík selbst ist der wärmste Teil im Slowakischen Paradies. An seinen sonnigen Südhängen leben seltene vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen, wie die eingangs erwähnte Slawische Kuhschelle (Pulsatilla slavica), die Symbolpflanze des Nationalparks. Vorbei an der Gackova diera, einem 24 m tiefem Loch im Kalkstein, erklommen wir die letzte Erhebung den Berg Zelená hora (Grüner Berg). Der Grüne Berg erhebt sich 654 m über dem Zusammenfluss des Hornád-Flusses und des Großen Weißwasser Bachs (Veľká Biela voda). Bereits in der Altsteinzeit wurde hier gesiedelt. Vom Wald überwucherte Mauerreste einer Burg aus dem 13. Jahrhundert machen den Hügel archäologisch interessant.
    1453 besetzte eine Gruppe Hussiten die Burg, verstärkten sie und nannten sie Tábor ("Das Camp"). Von hier begannen sie verheerende Ausritte in die Umgebung und in die Stadt Levoča. Nachdem die Hussiten 1462 die Burg verlassen hatten, zerstörten die Einwohner von Levoča die Burg.
    So steil, wie es hinauf ging, ging es auch wieder hinunter. Wir erreichten den Hornád-Hals, unseren Ausgangspunkt von heute Morgen - der Kreis hatte sich geschlossen.











    3. Suchá Belá

    Praktisch vor unserer Haustür lag das Wanderziel unserer Tour am nächsten Morgen - die Schlucht Suchá Belá. Die 4 km lange Schlucht ist laut der Infotafel an der Schluchtmündung die am häufigsten besuchte Schlucht im Slowakischen Paradies. Jetzt Mitte April waren wir die Einzigen, die mit ihren Bergstiefeln über die weißen Kalksteinkiesel am Schluchtboden klapperten. Suchá Belá bedeutet soviel wie trockene Weißwasserschlucht. Weiß wohl aufgrund bereits erwähnter Steine am Boden und trocken, da das Wasser stellenweise unterirdisch zu Tale fließt. Am Bachufer und an den Hängen stritten sich Frühling und Winter um die Vorherrschaft. Zum einen blühten unzählige blaue, gelbe und weiße Blumen - an den Felsen aber klebten noch graue Eiskrusten. Die ersten Kaskaden in der Schlucht nennen sich Misové vodopády, zu deutsch Schüsselwasserfälle. Im Laufe der Zeit hat das Wasser schüsselartige Vertiefungen in den Fels gewaschen. Etwa 30 m hoch geht es über Stahlleitern und Brücken an den Fällen vorbei. An den Schüsselwasserfällen endete auch der erste Versuch einer Durchquerung der Schlucht von Tourismuspionier Prof. Martin Roth und seinen Bergkameraden im Jahre 1900. Erst 10 Jahre später während einer Winterbegehung gelang es Alexander Mervay, die Schlucht auf ihrer gesamten Länge zu durchqueren.
    1957 brachten Mitglieder der Bergrettung Slowakisches Paradies Sicherungen an, um eine sichere Durchquerung der Schlucht zu gewährleisten.
    Wir erreichten nun den engsten Abschnitt der Schlucht - Roklina genannt. Weitere Felsabschnitte, an denen Wasserfälle hinunterstürzten, folgten. So der Okienkový vodopád (Fensterchen-Wasserfall), da hier die Leiter an einem Felsentor endet, durch das wir klettern mussten. Auf Hühnerleitern balancierten wir über das Bachbett. Es ist der letzte enge Abschnitt der Schlucht - Kaskády (Kaskaden) genannt. Dann wurde das Tal weiter, flacher und trockener. Der Bach verschwand wieder im Untergrund. Eine Forststraße kam in Sicht. Waldarbeiter hockten vor ihrem Auto und pausierten. Die Schlucht endet auf einer Höhe von 959 m. Am Boden blühten noch Krokusse, violett leuchteten die Blüten in der Sonne. Zeit für uns auch mal Vesperpause zu machen.
    Der zweite Teil unserer Wanderung hatte etwas Frevelhaftes. Frau Hodáková, unsere Pensionswirtin, erkundigte sich jeden Morgen nach unserem Vorhaben für den Tag. Als sie erfuhr, dass wir heute in die Schlucht Suchá Belá wollten, holte sie eine Wanderkarte und huschte mit dem Finger über das Gebiet - "Podlesok hier, Suchá Belá, Malý Kyseľ, Obrovský vodopád groß - ihre Arme beschrieben einen Kreis in der Luft - Kláštorisko und zurück" empfahl sie uns. Auf meinen Einwand, dass die Schlucht des Malý Kyseľ nur in einer Richtung begehbar wäre, meinte sie nur "Kein Problem". Keine Leute wären heute unterwegs, wir würden niemandem begegnen.
    Der obere Schluchtausgang befand sich gleich gegenüber unserem Picknickplatz. Wir warteten noch ein Pärchen Wanderer ab und begannen den Abstieg in den Kleinen Kißel.
    Die Schlucht ähnelt eher einem schmalen Tal. Erst kurz vor dem Ende der 3,5 km langen Strecke geht es an Leitern nach unten. Neben uns die Wasserfälle Machový vodopád (Mooswasserfall) und kurz darauf der Malý vodopád (Kleiner Wasserfall).
    Am Treffpunkt der Schluchten Malý Kyseľ und Veľký Kyseľ rauscht das Wasser durch die Kyseľ-Schlucht zu Tal. Leider ist die Schlucht nur noch bis an den oberen Rand des Obrovský vodopád (Riesenwasserfall) begehbar. Aus Sicherheitsgründen wurde der untere Teil bis zur Mündung nach einem Waldbrand, der u.a. die Steighilfen zerstörte, im Jahre 1976 für Wanderer gesperrt. Wir betraten also den Rundweg, um mal am Riesenwasserfall (65 m) in die Tiefe zu schauen. Leider war nicht viel zu sehen. Im Fels steckten noch vor sich hinrostende Reste von Steighilfen. Zurück ging es wieder über Kláštorisko - Bierchen und Krautsuppe warteten. Grüne, gelbe und rote Wegmarkierungen begleiteten uns hinab nach Podlesok.

















    4. Die westlichen Schluchten

    Wir mussten früh aus den Federn am nächsten Morgen. Nicht weil wir eine Wanderung durch die längste Schlucht des Slowakischen Paradieses geplant hatten, sondern weil dem Paradies der große Blackout bevorstand. Aufgrund von Reparaturarbeiten gab es keinen Strom. Unsere Frühstückszeit wurde um eine Stunde auf 7.00 Uhr vorverlegt. Es bot sich also an, in die Schlucht Veľký Sokol (Große Falkenschlucht) einzusteigen. Bis zum Eingang der Schlucht hätten wir etwa 2 Stunden gebraucht, einen Teil davon auf einer Asphaltstraße. Frau Hodáková diskutierte da nicht lang rum, sie fuhr uns mit ihrem Auto zur Schlucht. Die so gewonnene Zeit investierten wir in einen Abstecher in die Schlucht Malý Sokol (Kleine Falkenschlucht). Auf meiner Wanderkarte ist sie nicht mehr als begehbar aufgeführt, in meinem 28 Jahre alten Wanderführer schon. Ein verwilderter Forstweg führt in das Tal. Ab und zu zeigte sich an Baumstämmen noch eine verblasste Wegmarkierung - ein grünes Band. Die Schlucht weist keine größeren Wasserfälle auf, da diese durch Sprengungen für den Bau einer Forststraße in den dreißiger Jahren zugeschüttet wurden. Je weiter wir dem Bachtal folgten, desto unüberschaubarer wurde der Weg, bis er schließlich ganz verschwand. Baumstämme lagen kreuz und quer über dem Bachbett. Wir wühlten uns hindurch, Äste packten uns am Kragen, wollten nicht, dass wir weiter liefen. Wir beschlossen, umzukehren. Bereits auf dem Rückweg drang plötzlich Hundegebell an unsere Ohren und tatsächlich: Kurz darauf äugte ein Jagdhund neugierig zwischen den Bäumen zu uns herüber auch sein Herrchen ließ nicht lang auf sich warten, stiefelte jedoch mit forschem Schritt die Schlucht hinauf, ohne uns zur Kenntnis zu nehmen. Selbst in dieser abgeschiedenen Wildnis Menschen zu begegnen, wunderte mich schon.
    Eine reichliche Stunde hatte uns der Ausflug gekostet. Ab jetzt ging es weiter durch die Große Falkenschlucht. Groß fand ich sie tatsächlich - großartig. Das Tal - anfangs noch breit und übersichtlich - verengt sich mit dem Aufstieg zusehend. Felsen erheben sich bis zu 300 m hoch zu beiden Seiten der Schlucht. Kammená vráta (Steinernes Tor) nennt sich der Schluchtteil. Wir erreichten den ersten großen Wasserfall, der vom Namen her klein ist - Malý vodopád (Kleiner Wasserfall). Über Stahlleitern und Brücken überwanden wir den 8,5 m hohen Wasserfall. Kurz darauf folgt der Große Wasserfall - Veľký vodopád - der allerdings nur 7 m hoch ist. Den letzten Schluchtabschnitt bildet die Klamm Róthova roklina (Martin-Roth-Klamm). Sie wurde nach dem Erstbegeher Martin Roth benannt, der die Schlucht im August 1898 durchquerte.
    Am rot markierten Glacká cesta (Glatzweg) hatten wir es geschafft. Die Schlucht lag hinter uns, wir hatten die Hochebene Glatz (Glac) erreicht. Die Wiese Malá poľana mit ihren Krokussen lud zur Mittagspause ein. Wie gestern traten wir nicht sofort den Heimweg an, sondern widmeten unsere Aufmerksamkeit der zweiten Kyseľ-Schlucht - dem Veľký Kyseľ. Auch hier begegnete uns kein Mensch. Dumm nur war, dass ich für die beiden Kyseľ-Schluchten einen Wandertag eingeplant hatte, nun drohten mir am Ende die Touren auszugehen. Aber darüber konnte ich mir noch später den Kopf zerbrechen, die nächste Schlucht wartete.
    Das Nachbartal der Schlucht Veľký Sokol bildet die Kleine Öfenklamm - Roklina Piecky. Von Podlesok bis zum Bergdorf Píla im Tal des Baches Veľká Biela voda (Großer Weißwasserbach) brauchten wir eine gute Stunde. Auch wenn das Dorf insgesamt einen eher touristischen Eindruck hinterlässt, gibt es doch auch ein paar hübsche Holzhäuser zu sehen. Ein Schild am Waldrand verkündete, dass die Schlucht vom 1. April bis 20. April gesperrt sei. Den Grund dafür konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Heute war der 20. Wir ignorierten Schild und Datum und begannen den Durchstieg. Bald erreichten wir den Wasserfall Veľký vodopád (Großer Wasserfall, 13 m). Senkrecht führt eine Eisenleiter am Felsen hinauf. Die 4 km lange Schlucht wurde erst 1911 vom Tourismuspionier Alexander Mervay erstbegangen. Wilde unwegsame Seitenschluchten, die Zadné (Hintere) und Predné (Vordere) Piecky rückten ins Bild, sie dürfen aus Gründen des Naturschutzes nicht betreten werden. Insgesamt ähnelte die Schlucht denjenigen, die wir bereits durchwandert haben. Baumstämme moderten am Boden, vom Schnee säuberlich aufgeschichtetes Holz lehnte an Felswänden, von oben tropfte abtauendes Eis in der Vormittagsonne.
    Steil zog sich schließlich der Pfad am Schluchtende hinauf zum Glatz-Plateau. Durch die noch kahlen Laubwälder auf dem Plateau leuchtete ab und zu der schneebedeckte Kamm der Niederen Tatra. Bis Kláštorisko war es nicht mehr weit. Frisch gestärkt folgten wir dem Karthäuserweg hinunter in den Hornád-Durchbruch. Vom Hang der čertova sihoť bot sich eine Aussicht hinunter auf die Zipser Ebene bis zu den Bergen der Hohen Tatra. Über 9 Stunden steckten uns wieder in den Beinen, als wir in Podlesok ankamen.























    5. Hoch hinaus

    Eine Schlucht fehlte uns noch. "... der Gang durch die Schlucht ... ist nur tüchtigen Touristen zu empfehlen ...", warnte uns der Autor unseres Wanderführers. Es war also genau das Richtige, sozusagen ein Geschenk für mich, denn heute hatte ich Geburtstag. Die Schlucht Sokolia dolina (Falkental) ist die steilste Schlucht im Slowakischen Paradies. Auf nur 2,5 km müssen 430 Höhenmeter überwunden werden. Außerdem besitzt sie den höchsten Wasserfall des Slowakischen Paradieses. Im Závojový vodopád (Schleierwasserfall) stürzt das Wasser 75 m in die Tiefe. Neben Schokolade, Müsliriegeln und Nüssen packte ich zur Feier des Tages noch eine Flasche Spätburgunder in den <a target="blank" title="Rucksack im Outdoorwiki nachschlagen." class="wikilink" href="http://outdoorseiten.net/wiki/Rucksack">Rucksack</a>. Dann ging es bergauf bis Kláštorisko und von dort wieder steil bergab ins Tal des Biely potok (Tomsdorfer Weißwasserbach). Selbst dieser Abstieg wurde stellenweise mit Ketten gesichert. Unten angekommen folgten wir ein Stück dem Bach, bis wir rechts zum Eingang des Falkentals gelangten. Ein gelbes Band markiert den Wanderweg durch die Schlucht und ein gelbes Schild mahnte noch mal zu erhöhter Vorsicht.
    Die Erschließer des Slowakischen Paradieses A. Mervay und L. Rokfalussy durchstiegen mit ihren Kameraden 1910 die Schlucht erstmalig, der eine von oben der andere von unten. 1912 erfolgte die erste Winterbegehung. Allerdings umging ein Pfad den Schleierwasserfall. Erst zwischen 1979 und 1981 wurden die Leitern, Brücken und Trittstufen gebaut, die nun neben dem Wasserfall hinaufführen, insgesamt 80 m hoch. Dass in den 30 Jahren der Zahn der Zeit an den Sicherungen genagt hatte, konnten wir an den Ketten sehen. Zum Teil wurden sie mit abenteuerlichen Konstruktionen aus dünnen Drähten an den Verankerungen im Fels gehalten. Da empfahl es sich besser, nicht an die Ketten zu langen, sondern die natürlichen Griffe im Fels zu nutzen. Auch die Leiter war nur noch an einer Seite im Felsen verankert und wackelte unruhig herum, als wir hinaufkletterten. Dafür wurden wir oben mit spektakulären Aussichten auf die umliegenden Felsen belohnt. Das die Bäume noch keine Blätter trugen, erwies sich hier als Vorteil. Am 15,5 m hohen Vyšný vodopád ging es noch mal über "Hühnerleitern", dann hatten wir die Schlucht durchstiegen.
    Waren wir gestern noch die einzigen Gäste in Kláštorisko, strömten heute mit Rucksäcken bepackte Menschen aus allen Richtungen auf den Zufluchtstein. Schuld daran waren keine wilden Mongolenhorden, sondern die bevorstehenden Osterfeiertage. Morgen war Karfreitag, für uns der letzte Wandertag im Slowakischen Paradies. Da wir die beiden Kyseľ-Schluchten bereits kannten, wusste ich nicht so recht, wie wir den Tag gestalten sollten. Da kam Helgas Idee gerade recht. Wir wollten oberhalb des Hornád-Durchbruchs bis zum Aussichtsfelsen Tomášovský výhľad laufen, von dort weiter bis zur Ortschaft Čingov und über Kláštorisko zurück nach Podlesok.





















    6. Drachenfelsen

    Vieles hatte sich verändert auf unserem Weg, den wir vor 5 Tagen gelaufen sind. Im Kassenhäuschen am Eingang zur Schlucht des Hornád hockte jemand und kassierte Eintritt. Das Geld (1,50 EUR) wird zum Erhalt der Wege und Sicherungen im Nationalpark eingesetzt, so die Infotafel. Auch der Kamm des Ihrík-Felsens hatte sich gewandelt. An Büschen und Bäumen grünten zarte Blätter und das Nationalparksymbol, die Blüten der Slawischen Kuhschelle, war weitgehend verschwunden.
    Dass der Tomsdorfer Aussichtsfelsen einer der am häufigsten besuchten Plätze im Nationalpark war, glaubten wir sofort. Auf der Plattform wimmelte es von Besuchern. Familien mit Kindern tummelten sich gefährlich nahe an der Abbruchkante der bis zu 32 m hohen Kalksteinwand - der Filmkulisse des Hollywoodfilms Dragonheart. Senkrecht, stellenweise gar überhängend ist der Tomášovský výhľad der einzige Kletterfelsen im Nationalpark, unter der Abbruchkante blinkten metallene Umlenkhaken in der Sonne.
    Kurz hinter dem Tomášovský výhľad, auf dem Weg nach Čingov, tauchten noch zwei interessante Felsformationen auf - Ihla ("Die Nadel") und Kazateľnica ("Die Kanzel"). Von den Gipfeln bietet sich eine wunderschöne Sicht hinunter auf das Hornád-Tal und zu den gegenüberliegenden Hängen. In den 1960iger Jahren beherrschten beide Erscheinungen das Landschaftsbild, heute liegen sie versteckt hinter den Baumwipfeln des umliegenden Waldes. Bei Čingov stiegen wir hinab ins Hornád-Tal und folgten dem Fluss stromauf bis an den Fuß des Berges Čertova sihoť ("Des Teufels Weiler"). Steil bergauf ging es zur Kláštorisko-Hochebene zurück. Damit hatten wir auch den letzten markierten Wanderpfad im Nordteil des Slowakischen Paradieses kennengelernt. Die Hütte war brechend voll, auf der Terrasse hatte ein zweiter Bierstand aufgemacht.
    Ich war mir sicher, irgendwann würde ich hier nochmal vorbeischauen, vielleicht im Winter? Oder wenn Regen einem das Tatra-Wandern vergrault, das Slowakische Paradies liegt ja gleich um die Ecke. Uns blieb nur zu sagen - "Auf Wiedersehen" kleines Paradies in den Karpaten.




    p.s. Wer mal im Winter dort Eisklettern möchte, kann sich gern bei mir melden
    Zuletzt geändert von Baciu; 29.07.2016, 11:52.

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    #2
    AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

    Wir waren 2010 auf dem Zeltplatz Podlesok (mapy.hikings.sk).


    Das Slowakische Paradies ist auch ideal für Touren mit Kindern. Meine Jüngste war damals 5 Jahre alt und wir hatten insgesamt 4 mit.


    Leider sind die hohen Leitern nicht ganz ungefährlich.



    Und dann gibt es noch jede Menge Gumpen zum Baden.

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      #3
      AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

      Cool - Danke für die Bilder und den Bericht. Da kommen Erinnerungen hoch. Im Slowakischen Paradies habe ich vor ganz vielen Jahren zum ersten Mal in eine Schlucht, eine Klamm gesetzt und in Kombination mit der Mala Fatra war ich damals zum ersten Mal im Hochgebirge...zumindest war es für mich damals hoch
      Muss Deine Bilder mal weiterzeigen, vielleicht geht es im kommenden Sommer doch mal wieder in Richtung Osten.
      grüße
      PS: warst Du mal dort Eisklettern?
      "Man vergesse nicht, dass die großen Berge lediglich den Wert haben, den der Mensch ihnen zumisst. Ansonsten bleiben sie nur ein Haufen Steine." (Walter Bonatti)

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        #4
        AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

        Zitat von Kaminkatze Beitrag anzeigen
        Muss Deine Bilder mal weiterzeigen, vielleicht geht es im kommenden Sommer doch mal wieder in Richtung Osten.
        Freut mich wenn ich Interesse wecken konnte. Im Sommer kann es aber recht voll werden im Slowakischen Paradies (Staugefahr an den Leitern). Ich denke Frühling oder Herbst sind da besser.

        Leider war ich noch nicht zum Eisklettern dort, reizt mich aber.

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          #5
          AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

          Wir sind meist eh erst Ende August/ Anfang September unterwegs, leben manchmal auf Touren mit dem ersten Wintereinbruch. Da ist es dann auch bestimmt in der Slowakei wieder etwas relaxter.

          Ich kenne das Eisklettern nur aus dem Pitztal - da zieht es uns jedes Jahr hin und ich bin immer wieder überrascht, wie sich die Eisfälle dort Jahr für Jahr aufbauen - und das immer wieder anders.
          Ich kann mir gerade nicht so vorstellen, wie das Wasser die Wände runterkommt und wie sich dabei im Winter das Eis aufbaut (und mit welcher Qualität).
          grüße
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            #6
            AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

            Zitat von Kaminkatze Beitrag anzeigen
            Ich kann mir gerade nicht so vorstellen, wie das Wasser die Wände runterkommt und wie sich dabei im Winter das Eis aufbaut (und mit welcher Qualität).

            Ja das kann man vorher nicht sagen. Es kann schon sein, man fährt da ne Woche runter, um festzustellen die Wasserfälle lassen sich nicht klettern. Wäre mir aber egal, ich denke das Slowakische Paradies hat auch genug Potential für ne gescheite Schneeschuhwanderung und wenns mit dem Eisklettern passt, umso besser

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            • Kaminkatze
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              #7
              AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

              Stimmt, mal kieken, wie sich der Winter und die Planungen so entwickeln.
              grüße
              OT: PS: Habe mir gerade mal Dein Bild von der Ushba angesehen. Cool, bei uns wollte sie sich einfach nicht zeigen - wir haben sie nur am ersten Tag mal aus der Ferne gesehen.
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                #8
                AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

                Zitat von Baciu Beitrag anzeigen
                Freut mich wenn ich Interesse wecken konnte. Im Sommer kann es aber recht voll werden im Slowakischen Paradies (Staugefahr an den Leitern).
                Wir waren Mitte Juli dort. Sicher waren ein paar Leute unterwegs, aber nicht sehr viele. Wer will heute noch ins Paradies. Das Jahr 1988 habe ich wesentlich voller in Erinnerung.
                Zuletzt geändert von ; 25.10.2013, 21:30. Grund: Ergänzung

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                • Kaminkatze
                  Gerne im Forum
                  • 13.04.2012
                  • 84
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

                  1988? Da war ich auch da. Anfang August, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe zumindest den Zeltplatz als voll und sehr laut in Erinnerung. An den Bachläufen ging es eigentlich, weil wir immer relativ zeitig los liefen.
                  grüße
                  "Man vergesse nicht, dass die großen Berge lediglich den Wert haben, den der Mensch ihnen zumisst. Ansonsten bleiben sie nur ein Haufen Steine." (Walter Bonatti)

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                  • Gast-Avatar

                    #10
                    AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

                    Ich hoffe, es dauert nicht wieder 22 Jahre für einen weiteren Besuch.

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                    • Kaminkatze
                      Gerne im Forum
                      • 13.04.2012
                      • 84
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                      #11
                      AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

                      Ich versuche auch mein Bestes

                      Ansonsten - gibt es eigentlich noch einen Teil 2? Vielleicht auch erst nach dem Winter...
                      Zuletzt geändert von Kaminkatze; 26.10.2013, 12:49.
                      "Man vergesse nicht, dass die großen Berge lediglich den Wert haben, den der Mensch ihnen zumisst. Ansonsten bleiben sie nur ein Haufen Steine." (Walter Bonatti)

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                      • Baciu
                        Dauerbesucher
                        • 18.07.2013
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                        #12
                        AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 2

                        Zitat von Kaminkatze Beitrag anzeigen
                        Ansonsten - gibt es eigentlich noch einen Teil 2?

                        Ja gibt es.

                        Im Paradies der Karpaten – 2. Teil

                        Ende Oktober in den Karpaten zu wandern, kann ein Problem sein, muss es aber nicht. Ich hatte eine Herbsttour über den Kamm der Niederen Tatra geplant. Von Donovaly bis Telgárt in 5 Tagen sollte eigentlich machbar sein - sofern ich Glück mit dem Wetter habe. Hatte ich aber nicht: Aus der geplanten Herbsttour durch die Niedere Tatra wurde eine Wintertour im Slowakischen Paradies. Doch der Reihe nach:

                        1. Anreise

                        Eigentlich wollte ich meiner Anfahrt aus Deutschland keinen großen Raum geben, aber eine Zugfahrt in den Osten Europas ist doch immer noch ein Abenteuer.

                        Es begann schon beim Fahrscheinkauf. „Wohin? Ba..., das kann ja keiner aussprechen!“, bruddelte der Schalterangestellte, als ich einen Fahrschein von Freiburg nach Banská Bystrica kaufen wollte. Eine Zugverbindung für die Hinfahrt hätte ich ohne Probleme bekommen. Für die Rückfahrt sah es dann aber bös aus. Der Mann suchte, suchte und suchte in seinem Computerprogramm, konnte mir aber keinen Preis für eine Verbindung geben. Sichtlich überfordert und verzweifelt blieb ihm nur noch die Option mich zur Konkurrenz zu schicken, in ein Reisebüro, welches sich auf Bahnreisen spezialisiert hatte. Was ich dann auch tat.

                        Der ICE von Freiburg nach Frankfurt/Main hat Verspätung. Nicht viel, aber genug, um den Anschlusszug nach Dresden nicht mehr zu erreichen. Eine Lautsprecherdurchsage im Zug empfiehlt allen Reisenden nach Leipzig oder Dresden, im Zug zu bleiben und bis Fulda mitzufahren. Dort würde der ICE nach Dresden warten. Ich bleibe also hocken, erreiche gegen 14.30 Uhr Fulda, doch der Zug nach Dresden hat nicht gewartet. Der nächste Zug nach Leipzig soll kurz nach 15 Uhr gehen. Nur was soll ich in Leipzig? Ich will in die Slowakei!
                        Also schnappe ich mir meinen Rucksack und begebe mich zum Reisezentrum in die Bahnhofshalle. Der Mann hinter dem Schalter hämmert auf seiner Tastatur herum und erzählt mir, dass ich in Leipzig heute nicht mehr weiter kommen würde. Er hämmert wieder und bietet mir nach ein paar Minuten eine neue Verbindung an.
                        Gleich würde ein ICE nach München fahren. Den solle ich nehmen und bis Nürnberg mitfahren. Von dort fährt ein Bus bis Prag. Von Prag könne ich dann weiter mit einem Nachtzug über Vrútky und dann nach Banská Bystrica, meinem Ziel in der Slowakei. Er hebt die Zugbindung meines Sparpreistickets auf, gibt mir eine Reservierung für den Fernbus und drückt mir einen Erstattungsantrag in die Hand mit einer Adresse, an die ich mich wenden kann. Meine Schlafwagenreservierung ist jedenfalls futsch.
                        In Nürnberg habe ich etwas Zeit und hoffte, für den neuen Zug ab Prag noch eine Liegewagenreservierung zu bekommen. Ich habe Glück, es gibt noch freie Plätze.
                        Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz ist es ungemütlich, kalt und windig. Nasse, kalte Schneeflocken zwicken im Gesicht. Ich bin kein Freund von langen Busreisen. Der Bus kommt pünktlich und macht auf den ersten Blick einen recht noblen Eindruck.
                        Der Chefsteward weist mir meinen Sitzplatz zu. Jeder Sitz hat einen kleinen Monitor. Ich komme mir vor wie im Flugzeug. Selbst die Sicherheitsdurchsagen ähneln sich. Es gibt eine Toilette, die ab der Autobahn auch benutzt werden darf. Draußen herrscht Schneegestöber und je mehr wir uns der tschechischen Grenze nähern, desto weißer wird es. Prag liegt unter einer 5 cm dicken Schneedecke. Wir fahren direkt zum Hauptbahnhof. „Bleiben Sie zu Ihrer Sicherheit auf den Plätzen, bis der Bus hält“, tönt es aus dem Monitor, als wir am Hauptbahnhof vorfahren.
                        Trotz des Umweges über Nürnberg bin ich nun deutlich früher in Prag. Es ist kurz nach neun, ich habe eine Stunde Zeit, bis mein Zug nach Vrútky fährt. Auch dieser Zug kommt pünktlich. Der Schaffner fragt, ob ich meine Reservierung morgen früh wieder haben will. Ich brauche sie nicht. Beim Öffnen der Abteiltür schlägt mir eine Warmfront entgegen. Ein Typ hockt bereits drin. Mit 10 Minuten Verspätung fahren wir ab. Mein Bettnachbar stopft noch Zeitungspapier in die Fensterritzen, damit es nicht zieht. Ich komme mir so schon vor wie im Tropenhaus. Eine Decke ist unnötig.
                        Im Prinzip verlief die Fahrt ruhig. Bis auf die Tatsache, dass ein Zusteigender wie blöd an der Tür rüttelt und mir die Pfoten einklemmt, da er die Zeit nicht abwarten kann, bis ich die Verrieglung entfernt hatte. Erst als ich ihn anschnauze, scheint der Typ sich zu besinnen.
                        Auch in Vrútky liegt Schnee, es ist kalt, neblig und recht windig. In einer Stunde geht es weiter. Ich beginne mir ernsthaft, über mein Vorhaben Gedanken zu machen. Wie wird es oben auf dem Kamm auf 2000 m aussehen? Ich weiß von einer früheren Tour, dass es dort sehr ungemütlich werden konnte. Damals hatten uns Sturmböen fast ins Tal des Hron geweht. Wie viel Schnee wird dort oben liegen?
                        Ich rechnete mir kaum Chancen aus, bei den Wetterverhältnissen den kompletten Hauptkamm laufen zu können. Und nur hochsteigen - um dann wieder abzusteigen? Das wollte ich mir nicht antun. So änderte ich noch auf dem Bahnhof mein Reiseziel. Ich würde wie geplant nach Banská Bystrica fahren, mir dort ein Anschlussticket kaufen und mit dem nächsten Zug nach Dedinky ins Slowakische Paradies fahren. Dort wollte ich mir eine Unterkunft nehmen und Tagestouren machen.
                        Es dämmerte bereits, als mein Zug einfährt. Zwischen der Kleinen und der Großen Fatra geht es nach Banská Bystrica. Es ist kälter geworden. Es schneit und die umgebenden Berge sind in Wolken gehüllt. Der nächste Zug nach Dedinky fährt in 3 Stunden. Ich krame meine Wanderschokolade aus dem Rucksack und mache erst mal Frühstück. Den Kopf tief unter die Kapuze gezogen, erkunde ich die Umgebung. Viel gibt es nicht zu sehen. Der Bierkiosk ist schon gut besucht. Vor dem Bahnhof fahren die Busse ab. Auch drei Stunden gehen einmal rum und ich bin froh wieder im warmen Zug zu sitzen. Bahnhöfe im Winter haben etwas Ungemütliches an sich.
                        Im Zug lerne ich eine Herpetologin kennen. Auch ihr ist es zu kalt im Moment, was ich bei dem Job durchaus nachvollziehen kann. Da fühlt sie wohl wie „ihre“ Amphibien und Reptilien, ihre Studienobjekte. Die Fahrt durch das Tal des Hron beeindruckt mich. Bunter Herbstwald ziert die Südhänge der Niederen Tatra. Die Bergwiesen sind von einer dünnen Schicht Schnee wie bezuckert. Das Slowakische Paradies schließt fast nahtlos an die Ausläufer der Niederen Tatra an. Die Landschaft wird wilder. Düstere Fichten- und Tannenwälder säumen das Hnilec-Tal. Schroffe Felsen durchbrechen ab und zu den Bergwald. Dann lichtet sich der Wald und Wasser umgibt den Zug – es ist der Stausee Palcmanská Maša. Ich bin am Ziel.







                        2. Dedinky

                        Der Stausee Palcmanská Maša entstand 1956 durch Anstauen des Flusses Hnilec. Überflutet wurden dabei Teile der Gemeinden Imrichovce und Štefanovce. In Dedinky angekommen, muss ich mich zunächst um eine Unterkunft kümmern. Ich wähle das erste Haus mit einer Goldfasan-Werbung. Es ist das Hotel Priehrada, was Talsperre bedeutet. Im Restaurant hocken ein paar Leute, viel scheint nicht los zu sein. 16,60 Euro kostet ein Zimmer pro Nacht. Die Dame an der Rezeption gibt mir Zimmer Nummer 7. Und weist mich gleich daraufhin, dass das Restaurant morgen und übermorgen geschlossen sei. Es gebe aber einen Laden im Dorf, der habe auf. Das Hotel ist nun für die nächsten 5 Tage mein Basislager. Ich bestelle erst mal eine Gulaschsuppe und ein Goldfasanenbier.
                        Es ist noch früh am Nachmittag. Draußen ist es zwar kalt und windig, trotzdem erkunde ich ein wenig die Gegend. Die Gemeinde Dedinky liegt 790 m hoch am Stausee Palcmanská Maša. Das Dorf entstand 1933 durch den Zusammenschluss zweier alter Bergarbeitersiedlungen. Im Sommer scheint hier einiges los zu sein. Schilder mit der Aufschrift „Ubytovanie“ (Unterkunft) stehen an jeder Straßenecke. Doch jetzt ist hier tote Hose. Die Fast-Food-Kioske stehen verrammelt am Straßenrand, Ruderboote liegen halb abgesoffen am Seeufer.
                        Hinter dem Dorf verschwindet ein mit rotem Band markierter Wanderweg im Wald. Laut meiner Karte führt er in die Nachbargemeinde nach Stratená. Ich folge ihm. Anfangs geht es durch Laubwald am Hang entlang. Nach etwa 30 Minuten geht es recht steil bergab. Am Ende erwarten mich die typischen Hühnerleitern, wie ich sie schon vom Nordteil des Slowakischen Paradieses kannte. Die Dinger sind überfroren und rutschig, ich muss vorsichtig sein.
                        Ich erreiche den Weiler Stratenská píla, einen Ortsteil von Stratená. Hier beginnt auch der Stausee. Bis ins Dorf geht es nun auf einer Forststraße. Auch in Stratená wird deutlich, die Saison ist vorüber. In der Dorfkneipe brennt Licht. Die Pensionen sind leer. Ich laufe bis zum Bahnhof und gehe zurück auf demselben Weg. Der Wind hat zugenommen, kurz vor Dedinky kracht es im Wald. Deutlich höre ich einen Baum aufschlagen. Es wird schon dunkel, als ich das Hotel erreiche. Es ist nicht mal halb fünf. Die Tür ist abgeschlossen. Erst durch mein Rütteln und Klopfen wird jemand aufmerksam. Ein Typ lässt mich rein. Die Rezeptionsdame gibt mir einen Schlüssel für den Hintereingang, zur Sicherheit. Zu essen bekomme ich auch nichts mehr, die Küche ist bereits geschlossen, das Personal daheim. Die haben nur für Tagesgäste über die Mittagszeit auf. Morgen werde ich mich erst einmal im Dorfladen mit dem Nötigsten versorgen.







                        3. Zejmarská roklina

                        Es schneit am Morgen. Da es laut Wettervorhersage noch mehr schneien und auch kälter werden soll, wähle ich für mein heutiges Wanderziel die Schlucht Zejmarská roklina. Es ist die Einzige begehbare Schlucht auf der Südseite des Slowakischen Paradieses. Alle anderen befinden sich auf der Nordseite. Ich hoffe, dass die Stege und Leitern noch nicht so sehr vereist sind, und ich die Schlucht noch begehen kann.
                        Die Wegmarkierung rotes Band verliere ich schon kurz hinter dem Hotel beim Aufstieg in einen Bergrücken, der die Gemeinden Dedinky und Biele Vody trennt. Die Sicht reicht mir aber, um dem richtigen Weg zu folgen. Oben angekommen sehe ich bereits das Dorf Biele Vody, ich halte geradewegs drauf zu. An der Schule finde ich die Markierung wieder. Es geht ein Stück durch das Dorf. Leute räumen die Gehwege vom Schnee. Hinter dem Bach weist ein Schild auf das Naturschutzgebiet Zejmarská roklina hin. Schon seit dem 31. Mai 1980 steht das 72,65 ha große Gebiet unter Schutz. Schon eine Weile, bevor die EU mit ihren Nationalparkauflagen kam. Laut Wegweiser dauert es 45 Minuten bis auf die Geravy-Hochebene am Beginn der Schlucht. Ich ziehe mir meine Eisketten über die Wanderschuhe und folge dem Bach. Für solche Touren haben sich die Ketten bestens bewährt. Kurze vereiste Stellen über Steine oder vereiste Leitersprossen kann ich so problemlos bewältigen. Steigeisen wären da etwas übertrieben.
                        Die Schlucht darf nur bergauf begangen werden und ist mit einem blauen Band markiert. Es läuft sich gut, ich fühle mich nirgends unsicher. Selbst die vereisten Leitersprossen und die mit Ketten abgesicherten Stellen im Fels stellen kein Problem dar. Die Schlucht ist kurz und steil. An den Wasserfällen, die den Namen des Partisanenkommandanten Kpt. Ján Nálepka tragen, geht es über Leitern im Felsen nach oben. Neben mir rauscht das Wasser. Über mir taucht eine Gämse zwischen den verschneiten Felsen auf, verschwindet aber genauso schnell, wie sie gekommen ist. Eine halbe Stunde kraxeln und die Schlucht liegt hinter mir.
                        Dichter Nebel hüllt mich auf dem Plateau ein, es schneit stärker. Schemenhaft zeigt sich die Bergstation der Seilbahn nach Dedinky auf einer großen Wiese. Alles ist verrammelt, aber aus dem Schornstein kommt Rauch, es muss als jemand da sein. Laut meiner Karte und dem Wegweiser führt ein grün markierter Weg über das Plateau nach Čingov im Norden. Ich muss ihm folgen bis zum Abzweig Predný Hýľ von dort ein Stück auf einem gelb markierten Weg bis zum Abzweig Zadný Hýľ, da würde ich wieder auf einen blau markierten Weg treffen.
                        Mein Problem ist, den grünen Weg zu finden. Der Wegweiser zeigt in eine Richtung, ich folge ihr und verschwinde im Nebel, von einem grünen Band weit und breit nichts zu sehen. Ein Forstweg verschwindet im Wald. Ich folge ihm, bin mir aber bald sicher, dass ich hier falsch bin, der Weg führt steil nach unten.
                        Also zurück und noch mal richtig schauen. Endlich entdecke ich an einem Baumstamm das grüne Band. Die eisbeladenen Äste haben die Markierung verdeckt. In der Schlucht haben sich meine Eisketten bewährt, hier kleben mir bald dicke Klumpen an den Schuhsohlen. Ich packe die Dinger wieder in den Rucksack. Unter dem Schnee versteckte Pfützen, die sich in den Spurrinnen der Forstwege gesammelt haben, ärgern mich. Der Abstieg von der Hochebene ist nicht so steil wie der Aufstieg, bald erreiche ich Biele Vody. Meine Spuren vom Hinweg sind schon nicht mehr zu sehen. Nun nur noch über den Skihügel und ich bin wieder in Dedinky.
                        Das Restaurant ist zwar zu, aber hinter der Bar werkelt einer rum. Ich bekomme einen heißen Tee. Der Typ schaut raus und sagt: „Winter? Here no winter!“ Spricht's und kippt sich einen Schnaps hinter die Binde. Im Dorfladen kaufe ich mein Abendessen: Käse, Salami, Bier und Mineralwasser. Nur Brot bekomme ich keins, dafür gibt es slowakische Brötchen (fast ungenießbar).









                        4. Dobšinská ľadová jaskyňa

                        Heute möchte ich zur Eishöhle Dobšinská ľadová jaskyňa. Über den Stausee ziehen Nebelschwaden, es scheint als würde er dampfen. Draußen ist es nicht mehr so kalt und vor allem windstill. Es schneit auch nicht mehr. Ich bin schon kurz hinter dem Dorf, da merke ich, dass meine Kameratasche noch im Hotelzimmer liegt. Fluchend laufe ich zurück.
                        Wie vorgestern muss ich zunächst bis Stratená laufen. Kein Lüftchen bewegt das Wasser des Stausees bei Stratenská píla. Schneebedeckte Fichten spiegeln sich auf der schwarzen Oberfläche des Sees. Eine Gruppe Wildgänse erhebt sich in die Luft, zieht einen Bogen über den See und verschwindet hinter den bewaldeten Bergen. Auch in Stratená ist noch alles ruhig, nicht einmal die Hofköter machen Radau. Mein Weg führt durch das schöne Tiesňavy-Tal. Ab und zu führt der Pfad über eine Brücke oder einen Steg, führt mit Ketten gesichert an Felsen entlang und endet plötzlich an einer engen Schlucht. Links und rechts erheben sich steile Felsen und zu meinen Füßen liegt eine Hühnerleiter im Schnee. Eigentlich sollte das Ding auf einen Felsabsatz führen.
                        Wie es wohl weiter geht? Auf den Felsen zu klettern, wäre leichtsinnig und erscheint mir eh als aussichtsloses Unterfangen. Also bleibt nur der Weg durch den Bach. Zum Glück führt er jetzt wenig Wasser und über die am Boden liegenden größeren Steine kann ich balancieren. Die Schuhe werden zwar nass, doch meine Füße bleiben trocken. Nach einigen Metern im Wasser sehe ich am rechten Ufer den Weg. Er führt von oben kommend direkt bis ans Ufer des Baches. An der Weggabelung Pod Hanesovou führt der Pfad über eine Wiese auf einen Berghang zu. Nach etwas Sucherei entdecke ich die Wegmarkierung. Im Wald geht es steil bergauf. Zwischen Felsblöcken und Baumstämmen stapfe ich durch den Schnee. Ein Felsdach, unter dem ich ohne Probleme biwakieren könnte, taucht zu meiner Rechten auf. Oben angekommen folgt der Pfad über parallel laufende Bergrücken. Es geht mal hoch dann wieder hinunter. Das Gelände nimmt den Charakter einer Karstlandschaft an. Felsen und Grotten tauchen auf und bald bin ich am Ziel. Leider zu spät. Viel zu spät. Denn die Dobschauer Eishöhle (Dobšinská ľadová jaskyňa) ist leider seit dem 30. September geschlossen. Ich bin also einen Monat zu spät.
                        Ich esse ein Brötchen und etwas Käse, trinke einen Schluck Mineralwasser und steige weiter bergab.
                        Tote Hose auch in Stratenás Ortsteil Dobšinská ľadová jaskyňa. Die Souvenirläden sind geschlossen. Die Sonne hat sich mittlerweile durch die Wolken gebrannt, am Himmel leuchten blaue Flecken und im Westen sehe ich sogar den letzten markanten Buckel der Niederen Tatra – die Kráľova hoľa.
                        Die nächsten 40 Minuten folge ich der Hauptstraße in Richtung Stratená. Es läuft sich nicht gut. Schneematsch liegt am Straßenrand und in periodischen Abständen kommt ein Schneepflug vorbei, der noch mehr Dreck auf meinen Weg bugsiert. Vor einem Straßentunnel biegt der Wanderweg nach links in den Stratenský kaňon.
                        Der adlige Ferdinand Georg August von Sachsen-Coburg-Saalfeld-Koháry ließ im 19. Jahrhundert eine Straße durch das Tal des Hnilec bauen, für eine bessere Infrastruktur zu den Hüttenwerken von Stratená. Stratená war zu der Zeit ein wichtiges Zentrum der Metallindustrie. Den engsten Abschnitt dieser Straße bildet der Canyon von Stratená.
                        Heute führt ein Lehrpfad durch den 1100 m langen Stratenský kaňon. Seit dem Bau eines Straßentunnels 1972 ist der Canyon nur noch für Wanderer und Radfahrer da.
                        Ein Stück hinter dem Canyon erreiche ich Stratená, der Kreis hat sich geschlossen und die Sonne hat sich auch wieder hinter dicken grauen Wolken verkrochen. Zurück nach Dedinky geht es denselben Weg wie heute Morgen. Die Hotelbar ist geschlossen, es gibt weder Tee noch Bier, aber ich hatte ja vorgesorgt.











                        5. Havrania skala

                        Der Rabenfelsen (Havrania skala) ist die nächste auf meiner Wunschliste stehende Attraktion auf der Südseite des Slowakischen Paradieses. Es ist Viertel vor sieben, als ich aus dem Hotel trete. Von dem für heute angekündigten sonnigen Tag merke ich nichts. Und es ist diesig. Auf dem Wanderweg von Dedinky zum Geravy-Plateau liegt unberührter Schnee. Ich zerstöre die Idylle mit meinen Wanderschuhen. Dichter Nebel empfängt mich wieder auf der Hochebene. Die Bäume sind stark vereist. Ich frage mich, was ein Baum an Schnee und Eis tragen muss? Kein Wunder, wenn ab und zu Bäume unter dem zusätzlichen Gewicht in die Knie gehen. Für mich als Wanderer auch nicht ganz ungefährlich.
                        Ich folge diesmal dem gelb markieren Weg. Fuchs, Reh und Wildschwein hatten die gleiche Richtung, zumindest solang, bis sie im Wald etwas von ihrem Weg wieder abkommen lies.
                        Ein Geländewagen mit Waldarbeitern kommt mir entgegen. Die einzigen Menschen weit und breit. Nach einem kurzen Abstieg führt die Forststraße durch eine Moorlandschaft. Das in Nebel getauchte gefrorene Gras sieht schön aus. Und im Himmel zeigt sich ein blaues Loch, das lässt hoffen! Immerhin beschreibt mein Wanderführer den Rabenfelsen als interessanten Aussichtsfelsen.
                        Vorher komme ich noch an einem anderen Naturspiel vorbei. Es ist die Quelle Občasný prameň. Übersetzt bedeutet ihr Name „Zeitweilige Quelle“, da das Wasser aus ihr nur zeitweilig hervorsprudelt. Neben der Quelle steht ein Gedenkstein für den slowakischen Geologen Dionýz Štúr, jenem Wissenschaftler, der die Quelle 1863 und 1867 untersucht und beschrieben hatte. Leider erfahre ich nichts über die Ursache des unregelmäßigen Wasseraustritts an der Quelle.
                        Der Weg hinauf zum Aussichtsfelsen ist recht steil. Der Wind lässt die Bäume um mich herum gefährlich knacken. Argwöhnisch schaue ich nach oben. Unterhalb des Gipfels befinden sich großräumige Felsengrotten. Eiszapfen hängen wie Stalaktiten von der Felsendecke. Nun bin ich doch noch in den Genuss gekommen, eine Eishöhle zu besichtigen.
                        Auf dem Gipfel ist die Sicht gleich Null. Der 1153 m hohe Rabenfelsen gehört mit zu den höchsten Gipfeln im Slowakischen Paradies. Er steht an 7. Stelle. Trotz der fehlenden Sicht hat sich die Tour für mich gelohnt. Denn die vereisten Bäume und der unberührte Schnee bilden einen Märchenwald.
                        Der Weg nach unten zieht sich stellenweise recht steil und abenteuerlich durch enge Schluchten hinab und endet im Stratenský kaňon. Im Canyon liegt heute etwas weniger Schnee, aber ich sehe noch deutlich meine Fußspuren. Wie gestern laufe ich über Stratená zurück bis Dedinky. Im Hotel wartet schon ein deftiges Schäfersteak.











                        6. Sokolia skala

                        Am nächsten Morgen lassen die Sonnenstrahlen die Gipfel über dem Stausee kurz aufleuchten. Morgenrot mit Regen droht? Im Moment sieht es jedenfalls noch gut aus. Meine letzte Wanderung im Slowakischen Paradies führt mich durch die Schlucht zwischen den Sokolie skaly (Falkenfelsen) und dem Berg Marčekova nach Stratená. Die imposanten Falkenfelsen hatte ich bereits im Zug bei der Anreise bestaunt.
                        Doch zuerst geht es wieder bis in den Gemeindeteil Stratenská píla. Píla bedeutet Sägewerk, und der Ort besteht im Prinzip auch nur aus ein paar Waldarbeiterhäusern. Im Tal des Baches Veľký Zajf (auf meiner Karte als Krčmársky potok geführt) führt eine schmale Asphaltstraße bergauf. Sie ist stellenweise noch mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Aber es wird spürbar wärmer. Wasser tropft von den Bäumen. An der Quelle Občasný prameň hole ich mein letztes Brötchen und den Rest Wurst raus und mache Frühstück. Dann geht es auf einem grün markierten Weg zu den Falkenfelsen oberhalb von Stratená. Das Sprichwort vom Morgenrot bewahrheitet sich, es fängt an zu regnen. Erst feiner Nieselregen, dann immer heftiger. So recht genießen kann ich den Abstieg nicht. Er ist steil und rutschig. Eis- und Schneereste bedecken nasses Laub und glitschige Wurzeln. Konzentriert setzte ich einen Fuß vor den anderen.
                        Zurück nach Dedinky wähle ich den Weg über Dobšinská Maša. Das Dorf gehört seit 1960 zu Dedinky. In strömendem Regen erreiche ich nach rund 4 Stunden die Gemeinde am Südufer des Stausees. Der Schnee verwandelt sich in Matsch. Mir ist es egal, denn morgen werde ich die Berge des Slowakischen Paradieses verlassen – mit dem Gefühl, die Zeit trotz des bescheidenen Wetters recht gut genutzt zu haben.







                        Es hat noch den ganzen Tag und die Nacht geregnet. Am nächsten Morgen ist der Schnee verschwunden. Dichter Nebel verschluckt die Landschaft. Ich fahre mit dem Bus nach Poprad. Zwischen den Bergen des Slowakischen Paradieses und der Niederen Tatra windet sich die Straße nach oben. Kaum geht es wieder runter, kommt die Sonne raus, Nebel und Wolken bleiben hinter mir. War ich doch im falschen Gebirge?
                        Zuletzt geändert von Baciu; 29.07.2016, 11:58.

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                          #13
                          AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

                          Zitat von chrischian Beitrag anzeigen
                          Das Jahr 1988 habe ich wesentlich voller in Erinnerung.
                          1988 war auch für mich ein besonderes Jahr. Da habe ich meine erste Bergtour mit Zelt und Rucksack gemacht, nicht im Slowakischen Paradies. Damals ging es nach Rumänien ins Apuseni Gebirge (Vladeasa, Bihor und Trascau)

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                            #14
                            AW: [SK] Im Paradies der Karpaten Teil 1

                            Merci, interessanter zweiter Teil aus dem Paradies. Wobei ein Teil der Bilder mich auch an das Elbsandstein im Winter erinnern, nur dass es höhenmäßig bei uns hier nicht so hoch hinaus geht.
                            Es klingt, als würde ein Teil der Slowakei in den Winterschlaf fallen - schade, aber wahrscheinlich kommen doch zu wenig Leute außerhalb des Sommers in der Region vorbei.
                            grüße
                            "Man vergesse nicht, dass die großen Berge lediglich den Wert haben, den der Mensch ihnen zumisst. Ansonsten bleiben sie nur ein Haufen Steine." (Walter Bonatti)

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