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  • Torres
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    • 16.08.2008
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    • Meine Reisen

    #41
    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

    17.09.2013 Verona


    Im nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Als ich zur Dusche gehe, finde ich ein paar Walnüsse, die vom Baum gefallen sind. Sie sind innen noch ganz weich und die Schale bitter. So mag ich sie am liebsten.
    Ich beschließe, diesmal den Weg an den Serpentinen zu nehmen, um die Bäckerei zu finden. Ich durchquere das Tor und laufe mit dem Roller unter dem Arm ein paar Treppen hinunter. Sie sind unangenehmer zu laufen als die anderen. Kurz darauf stelle ich fest, dass ich etwas vergessen habe – was, weiß ich nicht mehr – und als ich zurück komme, entscheide ich mich für die Straße. Ich entdecke, dass man in der Kurve ebenfalls einen schönen Ausblick über die Stadt hat und hier ein öffentlicher Park mit einem Wanderweg beginnt. Ich bin hin- und hergerissen, was ich jetzt tun soll, denn der Weg sieht nett aus. Er scheint die Hügel hinauf zu führen. Dann entscheide ich mich aber doch, in die Stadt zu fahren.
    So rollere ich auf der Straße die Serpentinen hinunter und mache ein Bild von dem Turm, hinter dem mein Zelt steht. Die Abfahrt macht Spaß, denn ich bin ganz schön schnell, doch ich erkenne auch, dass die Serpentinen für die Abreise mit Gepäck keine gute Wahl sind. Dazu sind zu viele Autos unterwegs.




    Ich finde die Bäckerei und kaufe Brötchen. Dann erwerbe ich in einem kleinen Gemüseladen Kartoffeln und etwas Obst. Die Verkäufer sind gut gelaunt und machen Späße. Vor der Tür stehen ein schwedischer Reisebus und ein Auto mit Hamburger Kennzeichen und St. Pauli Aufkleber.
    Am Ende der Straße komme ich auf der Höhe der Kirche San Giorgio heraus. Sie hat eine Kuppel, und ich dachte bis dahin, sie sei der Dom. Tatsächlich ist der helle schlanke Turm, den ich abends fotografiert habe, der Campanile des Doms. Klick. Hätte ich gewusst, dass der Dom ein Bild von Tizian aufweist, hätte ich ihn vielleicht besichtigt. Aber da ich das nicht weiß, bin ich in diesem Moment eher fürs Rollern zu begeistern. Vor San Giorgio befindet sich ein Radweg am Fluss, den ich gerne nehme. Mein Ziel ist der alte Friedhof, der beeindruckend sein soll und mir von den anderen empfohlen wurde. Zunächst mache ich aber einmal wieder Fotos in Richtung Ponte Pietra und Castel San Pietro.








    Der Radweg endet an der Ponte Garibaldi, und ich entscheide, quer durch die Innenstadt zu fahren. Ich fahre nach Stadtplan und als ich die Punkte der Sehenswürdigkeiten genauer betrachte, überlege ich, dass ich bei der Gelegenheit einen Blick auf die Häuser von Romeo und Julia werfen könnte. Es gelingt mir nicht. Ich finde die Häuser einfach nicht, obwohl sie ganz in der Nähe sein müssen. Zwar gehe ich davon aus, dass Romeo und Julia fiktive Figuren sind, aber Familien gleichen Namens lebten wohl in Verona und so hat man für Touristen die Häuser ausgewiesen und in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an das Haus von Julia sogar einen Balkon angebaut.

    Dafür komme ich an einem Platz heraus, der auch ganz schön ist. Ein Denkmal zeigt Guiseppe Garibaldi. Auf einer Bank esse ich ein Brötchen, während es zu nieseln anfängt. Durch Zufall finde ich das Museum, in dem die Rene Burtti Ausstellung gezeigt wird, welche die anderen besuchen wollten. Einen kurzen Moment überlege ich, ob ich sie mir anschaue, aber mir ist mehr danach, zu rollern. So quere ich wieder den Platz, an dem die Arena steht und biege zur Touristeninformation ab. Die Sonne strahlt jetzt wieder und ich flitze über den Bürgersteig. Hinweisschilder weisen auf das Grab von Julia hin und ich denke, dann suche ich eben dieses, wenn ich die Häuser schon nicht finde. Aber auch das finde ich nicht auf Anhieb. Ich rollere gefühlt dreimal um den Block, entdecke eine Parkanlage, in der deutsche Schüler Brote essen, zwei Gedenktafeln in der Nähe der Ponte Aleardi und einen Busparkplatz mit Sandwichkiosk, der von älteren deutschen Herrschaften frequentiert wird und jede Menge kleiner Cafés. Dann frage ich endlich jemanden, der mir zeigt, wo sich der Eingang befindet. Nämlich dort, wo ich schon zweimal war – ich habe es nur nicht gesehen. Nun bin ich aber richtig und fotografiere das Schild. Eine weiße Skupltur steht in der Zufahrt, es ist ein Geschenk von chinesischen Künstlern, die Romeo und Julia orientalisch interpretiert haben. Im Vorraum ist eine Büste Shakesspeares zu besichtigen. Das Grab selbst – sofern es das denn gibt - entpuppt sich als Bestandteil eines eintrittspflichtigen Museums. Enttäuscht wende ich und nehme den Friedhof in Angriff.





    Es ist wieder heiß geworden und ich rollere über die Ponte Aleardi. Weithin sichtbar befindet sich vor mir ein Gebäude mit der Aufschrift „Resurrecturis“. Seine Majestät lässt vermuten, dass sich dahinter der Friedhof verbirgt, aber sicher bin ich mir nicht. Ich kenne das Wort nicht (es bedeutet: Auferstehung) und kann mir nicht vorstellen, dass ein Friedhof an so zentraler Stelle steht und ein derart imposantes Gebäude ein Haupteingang zu Gräbern ist. Da niemand da ist, den ich fragen kann, rollere ich nach rechts und finde einen weniger monumentalen Eingang. Blumenhändler stehen in der Nähe und ich werte das als Zeichen, dass ich richtig bin. Denkfehler! Blumenhändler verkaufen ihre Blumen wohl kaum dort, wo die Angehörigen schon lange verstorben sind. Es ist der neue Friedhof, den ich anschauen werde. Als ich ihn betrete, bemerke ich den Irrtum, aber der Friedhof ist so unglaublich still und gewaltig, dass ich lange in der Nähe des Eingangs verweile. Vor allem die Angewohnheit, die Bilder der Verstorbenen auf die Grabsteine zu setzen, berührt. Aber obwohl hier der Ort der Toten ist, ist es, als wäre etwas Heiteres, Tröstliches über diesem Platz. Das Leben nach dem Tode?
    Nachdenklich verlasse ich den Friedhof. Nach alten Grabmälern steht mir jetzt nicht mehr der Sinn und ich habe das Bedürfnis, ein wenig zu rollern.





    Ich überquere die große Kreuzung am Friedhof und bin erneut überrascht, wie rücksichtsvoll die Autofahrer hier sind. Dann passiere ich das Universitätsviertel. An der Ponte Navi komme ich heraus und fotografiere die Liebesschlösser, die in Sichtweite der Kirche San Fermo über den Fluss gehängt wurden. Auch ein paar Schuhe sind dabei und ich denke an den ods-Fotowettbewerb „Schuhe“. Das Motiv hätte gepasst. Auf der Brücke stauen sich Reisebusse und Busse und erneut zeigen sich dunkle Wolken. An der Ponte Nuovo biege ich in die Innenstadt ein und erstaunlicherweise - man hat ja Ehrgeiz - finde ich nach kurzem Suchen die Straße mit dem Haus der Julia. Trauben von Touristen stehen davor und der Torbogen wird von einer Polizistin gesichert, die nur so viele Touristen durchlässt, wie der Eingang fasst. Das wird mir dann doch zuviel und so muss ich auf den Anblick des Balkons verzichten. Kurz darauf fängt es in Strömen an zu regnen und ich flüchte mich in die Kirche Santa Anastasia, eine gotische Dominikanerkirche. Wieder eine wundervolle Innenausgestaltung, wie ich sie an italienischen Kirchen so schätzen gelernt habe. Am meisten beeindruckt mich ein neuer Altar, der eine Mischung aus alten Elementen und Neugotik darstellt. Ein paar Informationen zu der Kirche hier.





    Als ich die Kirche verlasse, gießt es immer noch. Ich denke an das Museum von gestern und beschließe, mir die Ausstellung über die Arena, die Oper und über Pavarotti an zu schauen. Die Ausstellung ist menschenleer, nur ganz am Ende werde ich kurz ein britisches Ehepaar treffen. Ein wenig gespenstisch ist es schon, alleine durch eine Ausstellung zu gehen. Unvermittelt und unhörbar tauchen an den Stellen, an denen ich die Räumlichkeiten oder das Stockwerk wechseln muss, die Wächterinnen auf, und ich vermute, dass die Räume komplett videoüberwacht sind. Die Ausstellung ist interessant und enttäuschend zugleich, denn sie richtet sich mehr an den Laien und die Schwerpunkte Kostüme oder Originalpartituren interessieren mich weniger. Eine Installation, in der auf einer großen Leinwand, in vier unterschiedlichen Bildabschnitten, in der Arena aufgeführte Opern parallel in einer aktuellen und in vergangenen Inszenierungen gezeigt werden, ist sehr berührend. Leider muss man einen Teil der Bilder wie ein Dirigent am Notenpult selbst aktivieren. Vermutlich ist das der pädagogische Versuch, hyperaktiven Schulklassen die Oper näher zu bringen. Mich überfordert das völlig, und ich bin froh, dass eine Wächterin die Koordination für mich übernimmt und ich mich in die Musik versenken kann.
    Gut gelungen ist dafür die Pavarotti-Ausstellung, und ich habe mich gefreut, noch einmal seine junge Stimme hören zu können, die nichts mit der Stimme der kommerziellen Auftritte im Alter zu tun hat. Letztlich resumiere ich jedoch, dass ich mir mehr Oper und Opernaufnahmen gewünscht hätte. Die Frage ist, ob das eine derartige Ausstellung schon aufgrund urheberrechtlicher Erwägungen überhaupt leisten kann.

    Als ich aus dem Gebäude trete, ist der Regen in Nieseln übergegangen und hört bald auf. Ich habe keine Lust mehr, in der Stadt zu verweilen und beschließe, mir etwas zu essen zu kochen. Die Treppen sind heute viel einfacher zu bewältigen als gestern und unerwartet schnell bin ich oben. Auf dem Parkplatz des Castel steht ein Reisebus, und ich rollere schnell weiter. Kurz hinter dem Castel sehe ich eine Abzweigung und kombiniere anhand des Stadtplans, dass dies der Weg sein dürfte, den ich treppenfrei mit Gepäck zum Bahnhof gehen kann. Also kein Taxi auf der Rückfahrt, das steht fest. Am Zeltplatz angekommen, erfreue ich mich an den glitzernden Regentropfen auf den Blättern und am Zaun.





    Ich setze die Kartoffeln auf (sie werden mir mal wieder anbrennen, wie üblich, schmecken aber köstlich) und beobachte, wie ein italienisches Ehepaar auf dem Zeltplatz heimlich ein paar Reben Weintrauben pflückt.
    Der Sonnenuntergang ist beeindruckender als der von gestern, und eine Frau aus Malaysia postiert ihre Kamera auf einem Gorillapod. Als ich das Wort Gorillapod nenne, lacht sie mir zu, und wir kommen kurz ins Gespräch. Sie und ihre Freunde – alle mit beeindruckender Kameraausrüstung bewaffnet - reisen morgen ab. Sie wollen nach Finnisch-Lappland, um Nordlichter zu sehen. Ich wünsche viel Glück. Die Niederländer setzen sich zu mir, und wir unterhalten uns nett. Die Frau ist Künstlerin und fertigt Skulpturen. Die deutschen Radler waren in der Rene Burtti Ausstellung, und sie umfasste bekannte Werke aber auch Unbekanntes. Vielleicht hätte ich mich doch für eine Ausstellung über Fotografie entscheiden sollen? Die Frau von gestern Abend bleibt diesmal nicht lange. Sie hat ein Date und ist schon ganz aufgeregt.





    Später entscheide ich mich, noch ein wenig spazieren zu gehen und laufe Richtung Castel. Ein Kreuz leuchtet in der Dunkelheit und ich muss mehrere Fotos machen, bis ich es erkennbar auf die Speicherkarte bannen kann, ohne dass das Licht zu einer Kugel zerfließt.





    Und dann liegt die Stadt zu meinen Füßen.














    Ich denke an die Arena und sie muss bei diesem klaren Himmel heute eine großartige Kulisse für Sänger, Musiker und Publikum sein.








    Ein Auto kommt in hoher Geschwindigkeit angefahren und eine Gruppe erwachsener Männer steigt zügig aus. Im Hinterkopf gehen bei mir Alarmglocken an, aber sie wollen nur die Aussicht genießen. Einer von ihnen ist ein Mönch und es ist schön zu sehen, wie der Anblick der Stadt sie in Bann zieht. Ein Liebespaar sitzt auf der Brüstung und kuschelt, den Motorradhelm neben sich, und ich bekomme einen kurzen Anfall von Höhenangst, denn hinter der Brüstung geht es steil nach unten. Langsam gehe ich zurück und fotografiere auf der oberen Terrasse den Mond. Die Beleuchtung des Platzes lässt die Bäume irreal wirken.





    Ich beschließe, dass dieser Moment der Moment des Abschieds ist. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Mein nächstes Ziel wird Innsbruck sein. Ich setzte mich an den öffentlichen Computer im Café und überprüfe die Bahnverbindungen. Morgen um 11.02 Uhr fährt ein Zug nach Innsbruck. Ich werde versuchen, ihn zu bekommen. In den Sanitäranlagen sitzt unbeweglich ein Falter.





    Die Niederländerin ist bereits schlafen gegangen, während ihr Freund noch liest. Ich kuschele mich in meinen Schlafsack und versuche ein zu schlafen. Doch das ist nicht einfach. Nicht nur, dass mir schmerzlich bewusst wird, dass der Abschied morgen auch der Abschied von Italien sein wird. Ein Fahrzeug mit aufgebohrten Auspuff röhrt die Serpentinen hoch und fährt zum Castel. Kurze Zeit später röhrt es wieder zurück. Der Sound schallt über das ganze Tal und der Fahrer wird noch ein paar Male die Straße hoch- und runterfahren. Ein paar deutsche Jugendliche nisten sich auf der Terrasse vor dem Zeltplatz ein und unterhalten sich lautstark. Als ich sie darauf hinweise, dass hier ein Schlafplatz ist, entschuldigen sie sich und reden leiser. Kurz darauf wirft jemand in regelmäßigen Abständen etwas auf meine Apsis. Erst denke ich, die Jugendlichen werfen kleine Steinchen, aber das ist nicht logisch. So genau könnten sie aus der Ferne nicht treffen. Welches Tier es war, weiß ich nicht. Aber am nächsten Tag kleben auf meiner Apsis mehrere Weintrauben ohne Schale. Noch einmal röhrt das Fahrzeug durch die Straßen Veronas. Und wie gestern hört man Feuerwerksgeräusche - vielleicht wird das Konzert in der Arena mit einem Feuerwerk beendet? -, aber ich bin zu müde, um nachzuschauen und womöglich ein Foto zu machen. Dann schlafe ich endlich ein.




    Text
    Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2013, 22:02.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

    Kommentar


    • Torres
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      • 16.08.2008
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      • Meine Reisen

      #42
      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

      18.09.2013 Innsbruck

      Am Morgen bin ich früh wach und packe konzentriert. Ich befreie mein Zelt von den Weintraubenresten und wische es gut ab, damit das Zeltmaterial von der Säure nicht angegriffen wird. Wieder ist ein strahlender Tag und leicht fällt mir der Abschied nicht. Verona ist sicherlich nicht so emotionalisierend wie Neapel oder so vielfältig wie Rom. Und dennoch hat diese Stadt mein Herz erobert – auf eine ganz eigene Weise. Ohne dass ich weiß, warum.
      Der Mann an der Rezeption ist noch nicht ganz wach, und ich denke einen Moment schmunzelnd an einen ods-bekannten Campingplatz an der Elbe. Dann rollere ich mein Gepäck nach oben. Ich habe den großen Rucksack auf dem Rücken und den kleinen Rucksack an den Lenker gehängt, damit bergab der Roller nicht kippt. Die Lösung ist erstaunlich gut und wird von jetzt an beibehalten. Bei Probetouren hatte der kleine Rucksack zuwenig Stabilität bewiesen, aber seit ich aufgrund des UL-Vortrages von Jörgen Johansson (Autor von „Smarter Backpacking“), den dieser auf dem Forumscamp gehalten hatte, die Idee hatte, meine Hausschuhe als Rückenplatte zu verwenden, lässt er sich sehr gut befestigen und hat ausreichend Halt.

      Ich biege in den steilen Weg ab und stelle fest, dass ich richtig bin. Es ist eine nette kleine Straße, und ich komme an einer Jugendherberge heraus. Eine Kirche steht am Wegesrand, und während ich fotografiere, klingelt es hinter mir so energisch, dass ich instinktiv zur Seite springe. Sekunden später saust ein Fahrrad an mir vorbei. Es ist eine Nonne. Und ich muss einen Moment an die rasende Nonne in einem der Filme von Louis de Funès denken.





      Ein letztes Mal rollere ich über die Ponte Pietra. Ein Angler wirft seine Angel aus. Nur wenige Menschen sind unterwegs. Ich bin in Gedanken und nehme den falschen Weg. Aber die Innenstadt von Verona ist ja nicht groß. Auf der Piazza Erbe haben die ersten Souvenirläden bereits geöffnet. Ich rollere die Haupteinkaufsstraße entlang. Am Ende der Straße drängele ich mich in neapolitanischer (Motor)Rollermanier am Lieferverkehrsstau vorbei. Vor der Arena stehen ein Polizeiwagen und ein römischer Krieger, und ich brauche leider zu lange, die Kamera zu zücken, denn im ersten Moment sieht es so aus, als wäre der Krieger ein Carabinieri.





      Die Piazza Bra ist fast leer ,und ich rollere in Richtung Corso Porta Nuova, eine der großen Einfallstraßen. Als Bestätigung, dass ich richtig bin, frage ich eine Polizistin, die den Verkehr regelt, und sie nickt gut gelaunt. Der Bürgersteig ist sehr breit und ein Teil ist Radweg. Die meisten Menschen gehen zur Arbeit, einige sind aber auch Touristen, die früh auf sind, und ich werde ein paar Mal von schnellen Radfahrern überholt. An einem Kiosk halte ich an. Ich hatte nicht gefrühstückt und gönne mir ein frischbelegtes Ciabatta Caprese (Mozarella, Tomaten, Kräuter, Öl). Ich „streite“ mit dem Mann hinter dem Tresen, weil ich ihn bitte, kein Öl darauf zu machen. Er ist entsetzt. Das ist gegen seine Ehre. Ich gebe ihm gegenüber zu, dass Öl eine unverzichtbare Zutat ist, bitte ihn aber zu bedenken, dass ich das Ciabatta im Zug essen werde, und das Öl dann überall landet, nur nicht in meinem Magen. Er muss lachen und ist besänftigt. Das sieht er ein.

      Als ich denke, dass sich die Straße ganz schön in die Länge zieht, bin ich schon in der Nähe des Bahnhofs. An der vielbefahrenen Kreuzung steht die Porta Nuova, und ich halte mich rechts. Ein Fußgängerschild weist auf die Parkanlage hin, die parallel zum Innenstadtring verläuft, und die ich gestern schon als mögliches Ziel einer Rollertour im Auge hatte. Das Wegstück, das ich sehe, geht einen Hang hinauf und besteht aus Sand und Schotter. Fahrradfahren ist verboten. Schwer zu sagen, ob sich der Weg zum Rollern eignet. Übrigens umfasst die Parkanlage fast die Hälfte der Innenstadt und wenn man auf dem Stadtplan Parkanlage und Fluss zu einer Einheit verbindet, ergeben sie die Form eines Herzens. Verona, die Stadt der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt.

      Ich überquere eine vielbefahrende Straße und sehe bereits den Bahnhof. Und stelle fest, dass ich traurig bin. Es kommt mir vor, als wäre diese Stadt eine große, reiche Tafel und ich hätte gerade mal eine Weintraube genascht. Ich schaue, ob ich die Taxifahrerin wieder sehe, aber sie ist nicht zu sehen.
      Am Bahnschalter ist eine kleine Schlange und ich reihe mich ein. Vor mir steht ein Mann von geschätzt Mitte 50 mit einem riesigen Koffer und der Koffer ist so groß, dass sich darin nur ein Fahrrad befinden kann. Ich linse nach der Aufschrift. Ja, es ist ein Fahrradkoffer (Bild oben). Kurzerhand spreche ich ihn an. Er ist Radrennfahrer. Ich frage ihn, ob er berühmt sei und er lacht. Er sei Titelträger in Südafrika, aber berühmt sei er nicht. Er ist lange Mountainbike gefahren, aber nach einem Unfall fährt er Straßenrennen. Für ihn ist das noch sehr ungewohnt. Heute will er zu einem Rennen nach Trient.

      Ich rate ihm, dass er nach einem Zug fragen soll, der zu seinem Gepäck passt, denn in den meisten Zügen wird er diesen großen Koffer nicht verstauen können. Er stöhnt und guckt etwas genervt.
      Am Schalter erhalte ich eine Reservierung für den Zug um 11.02 Uhr nach Innsbruck und sehe an der Anzeigetafel, dass das Gleis bereits feststeht. Nun entdecke ich auch den Behindertenaufzug, denn es stehen einige Reiseradler davor. Immer mehr Radler sind zu sehen und in mir keimt der Gedanke auf, dass dieser Zug die Anlaufstelle für Radfahrer Richtung Norden sein könnte. So ist es. Der Zug fährt nach München und hat ein Fahrradabteil. Der Rennradler wartet auf den gleichen Zug, und wir unterhalten uns ein wenig. Kurz darauf sehe ich die Niederländer aus dem Aufzug kommen. Es gibt ein großes Hallo und ich mache die drei miteinander bekannt. Dann tauchen auch noch die beiden deutschen Radler auf und auch von ihnen kann ich mich nun verabschieden. Es ist einer der schicksalhaften Momente, in denen sich Wege von Menschen kreuzen, ohne dass man etwas dazu getan hat oder sich abgesprochen hat.

      Der Zug wird in Verona eingesetzt und so bleibt genug Zeit für die anderen, die Fahrräder im vorderen Wagen zu verstauen. Ich verabschiede mich von ihnen, während der Rennradler im gleichen Waggon, jedoch im Nebenabteil Platz nimmt. Unübersehbar steht sein Fahrrad im Eingang, so dass es für andere Fahrgäste praktisch unmöglich ist, in den nächsten Waggon zu wechseln oder die Toilette zu nutzen. Ich frage mich, wie lange das gut geht. Fünf Minuten. Dann kommt ein Schaffner und bittet ihn, den Koffer ganz nach vorne in das Fahrradabteil zu bringen.

      In meinem Abteil sitzt ein Vater mit seinen zwei fast erwachsenen Söhnen. Einer von ihnen ist schwer erkältet. Sie sind aus Russland. Die Söhne tragen ein T-Shirt „I love Verona“ und ich stutze. Das hat in Deutschland eine Doppelbedeutung. Dunkel erinnere ich mich, irgendwo gelesen zu haben, dass die Eltern die Person, die diesen Vornamen trägt, nach der Stadt benannt haben, weil sie die Stadt so schön fanden. Da kann man nichts gegen sagen.
      Als der Zug Verona verlässt, sehe ich in der Ferne die Berge. Schnell gewinnt der Zug an Fahrt und wir durchqueren Valpolicella. In den Tälern wird Wein angebaut und der Gardasee ist nicht weit. In Trient steigt der Rennradler aus und verabschiedet sich. Ich wünsche ihm viel Glück. Wenn ich seine Kommentare im Internet richtig interpretiert habe, erreicht er Platz 18. Im Rennen und in der Gesamtwertung.





      In Bozen haben wir eine kurze Zeit Aufenthalt. Das deutlich sichtbare Schild an den Bahnsteigen „Es ist verboten, die gelbe Linie zu übertreten“ lässt österreichische Einflüsse erkennen.





      Ein Italiener arabischer Herkunft ist in Bozen zugestiegen. Er spricht ziemlich gut Englisch. Wir kommen ins Gespräch und er fragt mich, warum die europäischen Touristen Italien besuchen und nicht den Irak, wo sich die erste Hochkultur entwickelt hat. Ich suche nach einer vereinfachten Erklärung und erläutere ihm, dass Rom nun einmal das Zentrum der christlichen Religion war / ist, und dass das römische Reich und Italien die Kultur der europäischen Ländern nachhaltig geprägt hat. Zudem können sich in Italien die Touristen frei bewegen, während im Irak Einschränkungen der Reisefreiheit, spezielle Regelungen für Frauen und eine schwierigere Sicherheitslage abschreckend wirken. Wir unterhalten uns lange und das Gespräch ist für beide Seiten hochinteressant.

      Die ersten schneebedeckten Wipfel tauchen auf. Der ältere der russischen Jungen kommt aus dem Speisewagen, um etwas zu holen und lässt sein gelbes Kissen zurück: „University of Love. Romeo + Juliet. Verona“. Kurz darauf sind wir am Brenner.





      Etwas später steht ein Mann auf einem Weg neben der Bahnlinie und mir gelingt aus dem fahrenden Zug heraus ein Zufallsfoto.





      Gegen 14.30 Uhr komme ich in Innsbruck an. Die Gipfel der Berge sind schneebedeckt. Der Bahnhof erinnert eher an ein Einkaufszentraum als an einen Bahnhof, und ich entdecke Vollkornbrot und ein Geschäft mit Schinkenspezialitäten. Das Wetter ist durchwachsen und in der Nacht soll es regnen. Ich entscheide mich, das Hostel aufzusuchen. Die Vorstellung, auf einem Campingplatz voller Wohnmobile mein Lager auf zu schlagen, erfüllt mich mit Unbehagen. Vielleicht zu Unrecht, ich weiß es nicht. Aber der Platz in Verona war einfach zu schön.

      Ich stelle mein Navi ein, und es lenkt mich in die Reichenauerstraße zum Hostel. Die Straße zieht sich, und eine Hochhaussiedlung säumt den Weg. Ich hatte gehofft, das Hostel wäre näher an der Innenstadt dran und die Umgebung etwas ansprechender. Auch das Hostel selbst entpuppt sich als futuristischer Zweckbau. Ein Schild an der Rezeption verkündet, dass Check-In um 17.00 Uhr ist und ich gebe mir Mühe, eine gute Laune zu bewahren. Das wäre in ungefähr eineinhalb Stunden. Ich mache es mir in der viel zu weichen Sofagarnitur gemütlich und versenke mich in einen Krimi. Das Telefon im Büro klingelt, und ich sehe, dass die Rezeption besetzt ist. Also versuche ich mein Glück. Die Frau hinter dem Tresen ist sehr freundlich, und ich kann sofort einchecken. Das Schild bezöge sich auf die Nachsaison ab Oktober. Es würde überall die Information stehen, dass diese Regelung jetzt noch nicht gilt. Sehr schön.

      Ich bekomme ein Zimmer im zweiten Stock. Die Treppen dürfen nur mit Hausschuhen betreten werden, und ich frage nach. Es geht um Bergschuhe, weil diese Striemen auf dem Bodenbelag hinterlassen. Ich verweise auf meine Wanderschuhe, und sie empfiehlt mir nach kurzem Abwägen, vorsichtig zu gehen. Nun denn. Also steige ich mit vollem Gepäck und Bettwäsche in den zweiten Stock. Seit den Treppen von Verona ein Kinderspiel. Das Zimmer soll mit einer Person belegt sein, doch es sind noch weitere Betten nicht abgezogen. Die Nachfrage ergibt, das könne vorkommen, dann hätten die Personen es wohl vergessen. Ich denke an Rom, wo jeden Tag ein Putzdienst die Zimmer gesäubert hat und die Betten der abgereisten Gäste gerichtet hat.

      Mein Bett ist am Fenster und bietet einen Blick auf die Berge. Ein Pluspunkt. So fällt es mir leicht, die höflich formulierte Bitte im Waschraum zu übersehen. Man sollte nur in Länder verreisen, deren Sprache man nicht versteht. Meine Mineralwasserflasche spendet Trost. Hinter dem Hostel befindet sich eine kleine Parkanlage, und ich beschließe, mir die Stadt an zu schauen. Es ist warm in Innsbruck, aber es sieht nach Regen aus.





      Da ich nicht weiß, ob der Park in die Innenstadt führt, rollere ich zunächst auf der Straße Richtung Innenstadt, finde aber an der nächsten Ecke schnell einen Zugang zum Inn. Straßenlärm dringt an mein Ohr, aber der Fluss und die Berge gefallen mir. Eine Infotafel weist auf „Verfehmte - Verfolgte - Verkannte“ hin. Es geht um Unkräuter, besonders um Brennessel („Brennesselkrieg ist Falterkrieg“), Löwenzahn, Hirtentäschel und den Breiten Wegerich.
      Es sind nur wenige Menschen unterwegs, und sie beäugen interessiert meinen Roller. Ich komme an der Sillmündung heraus und lese die Infotafeln. Die Sill sieht harmlos aus, hat aber Innsbruck immer wieder verheerende Hochwasser beschert. Eine Schild weist darauf hin, dass die Einsetzstelle für Paddelboote und Surfer gesperrt ist, und die Stadt nach einer Alternative sucht.







      Da ich hier nicht geradeaus fahren kann, rollere ich auf gut ausgebauten Fahrradwegen unter Bäumen an der Sill weiter.





      Der Weg gehört zu einer Parkanlage, in der weder gezeltet, noch Lagerfeuer gemacht werden darf :-). Ein Gedenkstein erinnert an die alte Pradlerbrücke, die vermutlich dem Hochwasserschutz weichen musste. Eine Pension, die ich schon auf dem Hinweg gesehen habe, steht an dieser Stelle, und vielleicht hätte ich mir dort ein Zimmer nehmen sollen, anstatt ins Hostel zu gehen. Überlegt hatte ich es.





      Ein doppelter Regenbogen erscheint am Himmel und jetzt bräuchte ich ein anderes Objektiv, denn ich bekomme ihn leider nur zur Hälfte aufs Bild. Also mache ich eine Nahaufnahme.





      Der Radweg geht in einen Park über, der wunderschön angelegt ist. Fahrradfahren ist hier verboten und ich grübele, an welcher Stelle ich den Fahrradweg verlassen habe. Aber ein Roller ist ja kein Fahrrad. Ich mache einige Fotos und überprüfe meine Position anhand des Stadtplanes, komme aber zu keinem befriedigenden Ergebnis.








      So halte ich mich rechts und lande an einer Hauptverkehrsstraße, die gerade eine langgestreckte Baustelle ist. Ich finde einen Fußgängerübergang und fahre Richtung Bahnhof, um die Orientierung wieder zu gewinnen. Vor dem Bahnhof führt eine Straße Richtung Innenstadt. Sie ist fast menschenleer. Die Geschäfte sind bereits geschlossen. Vor meinem geistigen Auge taucht Neapel auf und mühsam dränge ich die Bilder zurück. Vorwärts schauen.
      Auf der linken Seite sehe ich in der Ferne ein Tor und rechts eine Fußgängerzone. Ich biege rechts ab und bin erleichtert, dass sich hier doch noch ein paar Menschen befinden. Ein Rockmusiker rockt vor überschaubarem Publikum und macht das wirklich sehr gut. Es sind einige internationale Touristen unterwegs.








      Eine Kunstinstallation von Paul de Marinis namens „Raindance“ begeistert eine Asiatin. Ich mache ein Foto von der Szene, aber da ich nicht weiß, ob Fotos von der Installation urheberrechtlich geschützt sind, veröffentliche ich es nicht. Man nimmt sich einen Regenschirm und stellt sich unter die Überdachung. Sobald man sie betritt, fängt es an zu regnen und man kann durch Herumlaufen unterschiedliche Klänge erzeugen. Dumm nur, dass es ausgerechnet zu der Zeit, als ich davor stehe, zu nieseln anfängt. Das nimmt mir die Lust, es auch einmal aus zu probieren. So laufe ich weiter. Kurz versuche ich mir die Fußgängerzone im Winter vorzustellen, wenn Schnee liegt. Es gelingt mir nicht.
      War die Touristeninformation davor oder dahinter? Ich weiß es nicht mehr. Sie hat auf jeden Fall geschlossen, denn es ist schon 19.00 Uhr. Zwei Asiatinnen fragen mich hilflos vor der Tür, wo hier ein Supermarkt ist. Ich sage, dass ich mich nicht auskenne und empfehle ihnen den Bahnhof. Sie bedanken sich und laufen los, und wenn ich mich nicht täusche, werden sie ein paar Meter weiter drei geöffnete Supermärkte finden.

      Ich rollere dorthin, wo die meisten Touristen stehen. Das von mir mittlerweile als "Goldenes Dacherl" identifizierte Gebäude ist von Menschen umringt, und ich fotografiere es, da es anscheinend wichtig ist. Tatsächlich ist es das Wahrzeichen von Innsbruck. In der Seitenstraße locken Restaurants, und es duftet verführerisch nach Essen. Kochen kann man hier, das weiß ich. Einen Moment überlege ich, ob ich schwach werden soll, denn viel habe ich heute noch nicht gegessen. Eine deutsche Familie macht Essenspläne und schon allein die Tatsache, dass ich jetzt wieder die Sprache um mich herum verstehe, treibt mich weiter. Auch die Vorstellung, dann spät abends im Dunkeln zum Hostel rollern zu müssen, hält mich ab.





      Ich rollere zum Dom und es gießt jetzt in Strömen. Die Häuser auf dem Domplatz sehen heimelig aus. Ich lande in einer winzigen Sackgasse und rollere wieder zurück.








      Ich nähere mich der Hofburg und finde ein Schild vor, dass Fußgängern zu einer bestimmten Zeit das Betreten verbietet. Ich gehe dennoch durch den Bogen. Die Hofburg sieht imponierend aus, nur die Autos stören. Als ich zurückgehe, ist das Verlassen erlaubt. Aber ich gebe es auf, die Schilder verstehen zu wollen. Vielleicht sollen sie Besucherströme lenken. Jetzt ist alles geschlossen. Also weiter.





      Das Staatstheater gerät in mein Blickfeld. Wieder ein paar Fotos. Eine schöne Stadt. Aber nach Italien ist Innsbruck ein kleiner Kulturschock.





      Es wird langsam dunkel, und die Berge sind nur noch anhand kleiner Lichtpunkte zu erahnen, die von den Häusern in Hochlage ausgehen. Ich beschließe, mich auf den Weg zum Hostel zu machen. Ich schaue auf die Uhr, um abschätzen zu können, wie lange ich vom Hostel zum Bahnhof brauche.
      Als ich die Kreuzung hinter dem Bahnhof erreiche, sticht mir ein McDonalds ins Auge, und schlagartig bekomme ich Hunger. Soll ich oder soll ich nicht? Ach ja, zu jeder vernünftigen Tour gehört ein Fastfoodabend dazu. Wann war ich das letzte Mal dort essen? Vor anderthalb Jahren in Rovaniemi, glaube ich. Also los. Die Ampel wird grün und ich fahre frohgemut auf das Schild zu. Und sehe: Das Restaurant befindet sich in einem Einkaufszentrum - und das hat geschlossen. Ahhhrg. Schlagartig bekomme ich schlechte Laune, wie immer, wenn ich Hunger habe. Und nun? Neben dem Hostel ist eine Tankstelle. Dann gehe ich eben zur Tanke. Es wird Zeit, sich wieder an ungesundes urbanes Leben zu gewöhnen. Und denke dabei an die verlockenden Gerüche aus den Restaurants in der Innenstadt. Zu spät.

      Eine Bushaltestelle lockt verführerisch, aber Hunger hat bei mir schon immer Energien freigesetzt. Ich rollere mit dem Bus um die Wette und die ersten drei Stationen klappt das sogar. Hui, macht das Spaß. Mein Fuß meldet sich, und ich verfeinere meine Technik. Zu Hause kann ich mich immer noch schonen. Mein Roller und ich fliegen dahin, und ich stelle fest, dass ich richtig Kondition bekommen habe. So macht das Spaß. An der Pradlerbrücke steht eine beleuchtete Figur. Auf dem Hinweg habe ich sie nicht gesehen. Foto.





      Eine Sparkasse taucht auf und ich erinnere mich, dass ich morgen Geld holen muss. Meine Reisekasse ist fast leer. Ich passiere eine Ladenzeile und muss lachen. Hier versammelt sich fast alles, was man braucht. Oder so. Foto.





      Der Betrieb ganz rechts ist übrigens ein italienisches Restaurant. Nach dreiundzwanzig Minuten (ich vergesse natürlich, bei der Ankunft auf die Uhr zu schauen, kann das aber anhand der Fotos recherchieren), komme ich am Hostel an und rollere zu der Tankstelle. Zwei riesige Reisebusse versperren die direkte Zufahrt, und ich fahre an der Tankstelle vorbei, um mich von hinten heran zu schlängeln. Dort befindet sich ein Parkplatz, und ich sehe eine beleuchtete Anlage. Vielleicht ein Restaurant? Ich rollere etwas näher und sehe das Wort „Folklore-Center“. Hhmm. Vermutlich sind das Geschäfte, die Handarbeiten verkaufen. Die Fahrgäste des ersten Busses setzen sich in Bewegung und gehen zielstrebig in Richtung der beleuchteten Räume auf der linken Seite. Es sind viele Asiaten dabei, aber sie sprechen englisch. Vielleicht ist hier doch ein Restaurant? Ich überhole die Gruppe und sehe, dass sich auf der rechten Seite tatsächlich ein Restaurant befindet. „Sandwirt am Inn“, heißt es. Links ist ein großer Gesellschaftsraum, rechts ein Lokal. Ich parke meinen Roller. Dann setze ich mich an einen der Tische im Mittelgang und habe einen guten Blick in den Gesellschaftsraum.

      Die Bedienung fragt mich, was ich essen will. Nun, wenn ich schon einmal hier bin, will ich natürlich einheimische Küche essen. Ich bitte sie, mir etwas zu empfehlen. Das überfordert sie etwas, und ich frage, welche Speisen typisch für diese Region sind. Sie nennt mir zwei Sachen und ich entscheide mich für Kassspatzeln mit Rässkäse und Röstzwiebel. Dazu nehme ich einen Salat. Beides schmeckt vorzüglich und schlagartig bin ich wieder gut gelaunt. Als sie fragt, ob es mir schmeckt, bejahe ich. Es schmeckt wirklich ausgezeichnet. Sie freut sich, und wir unterhalten uns kurz.





      Der ersten Reisegruppe folgt eine zweite Reisegruppe und schließlich 5 oder 6 weitere, vielleicht auch mehr. Unglaublich, wie viele Menschen in diesen Saal gehen. Die Bedienungen stemmen Bierseidel über Bierseidel, um alle mit Getränken zu versorgen. Ich erfahre, dass heute Tiroler Abend ist und die Gäste sind Amerikaner. An den Nebentischen platzieren sich die Reiseführer und die Busfahrer. Und dann geht es los. Dirndl und Lederhose, Volksmusik, Schuhplattler, Jodeln und als mein persönlicher "Höhepunkt" der rührig auf einer Singenden Säge gegeigte Song „Edelweiß“ (Rogers und Hammerstein, „Sound of Music“ - das Lied kenne sogar ich und es ist definitiv kein Lied aus Tirol. Immerhin war die in Amerika berühmt gewordene Trapp Familie, deren Geschichte das Musical erzählt, aus Salzburg). Ich kann nicht anders. Ich muss zum Abschluss einen Apfelstrudel bestellen.





      Satt, und bis über beide Backen grinsend, entferne ich mich von dem Ort, der mir einen so wunderbaren Einblick in das Tiroler Brauchtum gewährt hat. Das nenne ich doch mal das volle Programm. Wer hätte das erwartet!

      Im Hostel angekommen, schlafen die anderen schon. Mein Bett knarzt und quietscht, als ich mich im Dunkeln ausziehe und in der Nacht werde ich, sobald ich mich umdrehe, wach. Das – und nur das - gibt den Ausschlag. Morgen fahre ich nach Zürich.
      Zuletzt geändert von Torres; 09.10.2013, 13:11.
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      • Torres
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        • Meine Reisen

        #43
        AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

        20.09.(-22.09) Zürich

        Am nächsten Morgen sind die Berge vor dem Fenster weg. In der Nacht hat es in Strömen geregnet, und ich bin froh, nicht gezeltet zu haben. Nicht, dass ich nicht regenfest bin, aber es ist ein gutes Gefühl, das Zelt trocken im Gepäck zu wissen. Aus dem Fenster mache ich ein paar Fotos vom Hostel und der Umgebung. Das Foto von den Bergen am Inn wird leider nichts, aber viel gesehen hätte man sowieso nicht.





        Das Frühstück wird in einem Raum serviert, der den Charme einer Bahnhofskantine hat, aber es ist reichlich und gut. Ein Pluspunkt. Ich zahle und freue mich auf Zürich. Zwar hatte Vegareve in einem anderen Zusammenhang gefragt, was ich ausgerechnet in Zürich will, aber irgendetwas wird mir schon einfallen. Ich habe nach der Fahrt heute noch zwei Reisetage übrig. Schade nur, dass ich mir in Zürich nichts leisten können werde. Aber Innsbruck kann nicht der Endpunkt der Reise sein, das steht für mich fest. Irgendetwas muss noch kommen.

        Ich rollere an der Hochhaussiedlung vorbei, schaue wieder zu den verschwundenen Bergen und plötzlich erschrecke ich mich. Eine dunkle Wolke steht am Himmel. Ich brauche etwas, um zu realisieren, dass es ein Berg ist, der durch ein Wolkenloch zu sehen ist. Ich greife nach der Kamera und bete, dass sich das Licht nicht verändert. Die Oberleitungen der ehemaligen Oberleitungsbusse sind im Weg, aber das Ergebnis gefällt mir dennoch:





        Es ist kaum jemand auf der Straße und ich komme gut voran. An der Sparkasse ziehe ich Geld. Ein Café lockt, aber es ist leider nur eine Konditorei und keine Bäckerei. In einer Seitenstraße hat jemand einen kaputten Schirm an den Zaun gehängt. Ich fotografiere das Schild der Maderspergerstraße und erfahre, dass Joseph Madersperger (1768-1850) ein Schneidermeister aus Tirol war und der Erfinder der Nähmaschine ist.
        An der Pradlerbrücke steht vor der Pension ein Motorroller mit deutschem Kennzeichen. Das Gepäck wurde kugelförmig mit einer silbernen Plane umwickelt. Interessante Konstruktion. Ich spreche die Fahrer an, doch sie sprechen kein Deutsch. Wir unterhalten uns auf Englisch. Die Nationalität habe ich vergessen.
        Ich entscheide mich, der Straße zu folgen und über die Brücke zu fahren, um nicht wieder im Park den Weg zu verlieren. An der Kreuzung vor dem Bahnhof hält eine rote Lok. In der Ferne sieht man eine Sprungschanze. Ist das etwas „die" Sprungschanze?





        Ich hole mir im Reisezentrum eine Reservierung für den Zug um 9.54 Uhr und kaufe Reiseproviant. Eine Truppe älterer Herren mit Mountainbikes bewundert meinen Roller. Sie machen jetzt eine Bergtour. Sie sind ein Verein und das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 70 Jahren. Ich setze mich am Bahnsteig auf eine Bank und warte. Ein Skateboarder rollt zu seinem Regionalzug und ich überlege, ob das auch ein Fortbewegungsmittel für mich wäre. Packmaß und Gewicht wären nicht schlecht. Der Zug nach Verona steht vor mir und ich lasse ihn seufzend fahren. Dann besteige ich den Zug nach Zürich. Es ist ein Railjet der ÖBB, gefertigt von Siemens. Der Railjet ist eine gemeinsame Zuggattung von ÖBB, DB, Schweizer Bahn und ungarischer Bahn. Das wird noch wichtig.

        Das Abteil ist fast leer. Schräg gegenüber sitzte eine Frau und liest die Kronen Zeitung. Die Überschrift handelt von dem Geheimbunker eines Serienkillers. Es hat Vorteile, eine Zeitlang keine Zeitung zu lesen. Es beruhigt die Nerven. Während der Fahrt kommen wir ins Gespräch. Die Berge von Innsbruck sind immer noch von Nebelschwaden umgeben und das Wetter wird sich nicht bessern.





        Das WC in meinem Waggon ist defekt und diese Tatsache lässt mich zweifeln, dass es sich um einen Wagen der ÖBB handelt. Es kann nicht anders sein: Es muss ein Wagen der DB sein. Auf halber Strecke lässt sich bei einem Zwischenhalt eine Tür nicht mehr schließen, und mein Verdacht erhärtet sich. Der Zug hat nun Verspätung, und irgendwann hält er dann aus betriebsbedingten Gründen auf offener Strecke. Die genaue Formulierung habe ich vergessen. Ich mache mir den Spaß, mir die Gespräche und Beschwerden vorzustellen, wenn dieser Zug in Deutschland fahren, äh stehen, würde.





        In Buchs SG betreten zwei Schweizer Polizisten den Zug. Ein Mann mit tiefgezogener Mütze und Hund wird kontrolliert, aber er ist Schweizer und nimmt das mit Fassung. Die Berge geraten aus dem Sichtfeld und lange Zeit führt die Bahnstrecke am Züricher See entlang, bevor der Zug in einem Tunnel verschwindet.





        Der Züricher Bahnhof ist eine wunderschöne Halle. So stelle ich mir den Bahnhof einer Großstadt vor. Ich gehe zum Bahnschalter, und der Mann hinter dem Schalter ist so richtig nach meinem Geschmack. Hier redet man Tacheles. Er könnte aus Norddeutschland sein. Ich buche für Samstag, 12.00 Uhr den ICE nach Hamburg. Die Zugfahrkarte kostet viel Geld, 130 Franken, glaube ich, und er sagt in der typischen trockenen Art der Schweizer, dass für die Schweizer die Schweiz auch teuer sei. Dann erklärt er mir, dass es für mich besser sei, wenn ich den Betrag in Franken abbuchen lasse. Ich frage ihn, ob es einen Ort gibt, der ungefähr eine Stunde von Zürich entfernt ist, und den ich mit meinem letzten noch offenen Tag besichtigen kann. Biel fällt ihm spontan ein. Oder Luzern. Er gibt mir einen Fahrplan mit, in dem die Züge der Region enthalten sind. Dann weist er mich mahnend darauf hin, dass ich den letzten Tag meines Interrailtickets für die Fahrt von Zürich nach Basel brauche. Gut, dass er das noch einmal deutlich gesagt hat. Ich bedanke mich herzlich. Ich glaube, hier werde ich mich wohlfühlen.

        Ich laufe zur Touristeninformation, und eine nette junge Dame gibt mir einen Stadtplan. Sie empfiehlt mir ein unabhängiges Hostel in der Innenstadt und erklärt mir, dass das Hostel zwar Mittagspause hat, die freien Betten aber an der Tür angeschlagen sind. Buchen kann sie es leider nicht. Die andere Alternative wäre die von mir recherchierte Jugendherberge in der Mutschellenstraße. Andernfalls würde es schwierig. Am Donnerstag sind die Geschäftsreisenden noch nicht abgereist. Das günstigste Hotel würde mich 145 Franken die Nacht kosten. Sie nennt mir auch den Namen des Campingplatzes am Züricher See, den ich ebenfalls bereits recherchiert hatte. Er wird mein Notfallplan sein, aber eine innere Stimme sagt mir, dass es besser ist, in einem Hostel zu übernachten. Preislich ist der Unterschied nicht groß und das Hostel ist näher an der Innenstadt.

        Gut gelaunt verlasse ich den Bahnhof und rollere in Richtung des Hostels in der Innenstadt. Ein Stein fällt mir auf und ich lese den Namen Berlin. 1959 haben die Städte einen gemeinsamen Bund geschlossen. Klick.





        Ich schiebe den Roller durch eine Fußgängerzone und stehe bald vor dem empfohlenen Hostel. Es ist ein schmales Haus mit schmalen Treppen und das Hostel ist im 5. Stock. Die Treppe ist eng und im 3. Stock habe ich schon keine Lust mehr. Dennoch kämpfe ich mich ganz nach oben und befinde mich in einem kleinen Raum, wo ein paar Engländer herumhängen und mit ihren Smartphones und Tablet-PCs herumspielen. An der Tür ist ein Anschlag und anscheinend sind nur noch Einzelzimmer für 70,00 Franken frei. Ich schaue mir die Sache ein paar Minuten an und dann weiß ich, dass ich hier falsch bin. Also die Treppen wieder runter und unten fühle ich mich befreit. Mal schauen, was die Jugendherberge bietet. Aus dem Internet weiß ich, dass zumindestens die Häuserfarbe gewöhnungsbedürftig ist: Lila.

        Ich rollere in Richtung See und mir geht das Herz auf. Der See und der Blick auf die Berge. Wunderbar. So habe ich mir das vorgestellt.





        Ich fahre eine Parkanlage am See entlang und nehme dann den gut ausgebauten Fahrradweg. Als ich an der Sukkulentensammlung ankomme, ist der Radweg zu Ende, und ich muss an der viel befahrenen Straße weiter rollern. Ich suche eine Seitenstraße, die mich über die Bahngleise führt, die parallel zur Straße verlaufen, aber ich sehe nichts. Links von mir wird irgendetwas gebaut und die einzige Brücke, die ich sehe, endet auf dem abgesperrten Gelände. Eine Bahnstation kommt in Sicht und mit ihr eine Unterführung. Ich frage Passanten und sie bestätigen, dass man durch diese Unterführung auf die anderen Seite kommt. Ich packe meinen Roller samt Gepäck und merke, dass ich im Treppensteigen Routine bekommen habe. Schon bin ich an der richtigen Zufahrtsstraße und muss jetzt nur noch einen für norddeutsche Verhältnisse recht steilen Berg hochschieben. Eine Baustelle produziert Baulärm, und ich hoffe, dass man ihn im Hostel nicht hört. Nein, wird man nicht.

        Die Jugendherberge ist ein großes Hostel, 290 Betten, aber als ich es betrete, sehe ich sofort, dass es perfekt organisiert ist. Ich bekomme ein Bett im Vierbettzimmer für zwei Nächte (32 Franken pro Nacht) und das Frühstück ist inklusive. Die Zimmer sind sauber, und mein Bett ist perfekt. Statt einer Wand habe ich neben mir ein Fenster zum Innenhof, und ich kann ins Grüne schauen. Die Schränke sind abschließbar, und die Sanitäranlagen sind neu und richtig nobel. Eine gute Entscheidung. Ich bin völlig k.o. Das Zimmer teile ich mit der Schweiz, und eine leere Tüte Zweifelchips liegt auf dem Boden. Ich denke an balticskin. Für diese Chipsmarke würde er alles tun. :-) Und lege mich erst einmal für ein paar Minuten aufs Ohr.

        Und dann betritt Schweden das Zimmer. Ich dachte immer, Schweden wären ruhige, in sich verwurzelte, eher wortkarge Menschen. Diesmal nicht. Zunächst werden die Klamotten gewaschen und da der von der Rezeption zugesagte Trockner des Hostels kaputt ist, die ca. 12 T-Shirts und 2 Hosen zum Trocknen im ganzen Zimmer verteilt. Es stellt sich heraus, dass die Baustelle, die ich gesehen habe, ein Sportevent ist, und ich jemanden vor mir habe, der Snowboarder betreut. Leider weiß Schweden weder genau, wo das Briefing ist, noch wo das Event ist, und gemeinsam erarbeiten wir anhand des Stadtplans Locations und Anfahrtsweg. Dann gehen wir einkaufen. Im Migros ist alles sehr teuer – die Schweiz ist nunmal sehr teuer – und Schweden jammert. Ich mache Produktberatung, aber zugehört wird mir nicht. Aus dem Kühlregal werden Frikadellen genommen und, weil sie zu teuer sind, beim Brot fallen gelassen. Ich packe sie ins Regal zurück. Dann wird ein eingeschweißtes halbes Hähnchen genommen, aber das ist noch roh und muss erst gebraten werden. Ich übersetze, was auf der Packung steht, aber erst die Verkäuferin muss bestätigen, dass das Teil roh ist, bis mir geglaubt wird. Dann sind Reiswaffeln die neuste Idee, aber welche mit Vanille. Die gibt es aber nicht, nur Schoko. Auch nicht richtig. Ich finde heraus, dass zum Migros ein Imbiss gehört, und ein halbes Poulet 6 Franken 50 kostet. Das ist das günstigste Essen dort, denn alles andere kostet über 15 Franken. Auch in der Jugendherberge wird Essen angeboten und dafür zahlt man 20 Franken. Nach etwas hin und her sind wir uns einig und lassen uns zwei halbe Hähne einpacken. Gute Stimmung auf dem Heimweg. Wir tragen das Huhn in unser Zimmer, wo wir es unerlaubterweise verzehren. Ich bin überrascht, wie gut es ist, wenn man es mit deutschen Erzeugnissen vergleichbarer Theken vergleicht.





        Ich lese ein wenig und mache dann die Augen zu. Ich bin immer noch unglaublich müde. Föngeräusche dringen an mein Ohr. Und sie hören nicht auf. Okay, Schweden war duschen. Aber so lange kann man kurze Haare doch nicht fönen? Ich stehe auf und schaue in den Vorraum, in dem sich ein Waschbecken und die Schränke befinden. Schweden fönt die T-Shirts mit dem Fön der Schweiz. Ich bleibe ganz ruhig und freundlich. Das Fönen wird eingestellt. Zweimal werde ich noch geweckt, weil irgendetwas vergessen wurde und erfahre, dass der Chef immer noch nicht im Hostel war und überhaupt, ich weiß ja gar nicht wo wir uns treffen etc. Beim dritten Mal erfahre ich, dass der Chef jetzt endlich da ist und eigentlich ein ganz anderes Zimmer gebucht hat, und Schweden jetzt umziehen muss. Einerseits schade, im Grunde war die Sache ja schon lustig, und ich hätte gerne gewusst, wie es weitergeht, aber auch: Hallelujah. Die nassen T-Shirts werden eingepackt und in der nächsten Etappe der Koffer geholt.
        Mitten im Getümmel steht plötzlich Brasilien. Brasilien kommt gerade von einem Englischkurs in Irland, schaut sich Europa an und ist rücksichtsvoll und leise. Perfekt. Kurz darauf fallen mir die Augen zu und ich schlafe durch bis zum nächsten Morgen.


        Zuletzt geändert von Torres; 10.10.2013, 22:12.
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        (Norddeutsche Panikattacke)

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        • Mika Hautamaeki
          Alter Hase
          • 30.05.2007
          • 3979
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          • Meine Reisen

          #44
          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

          Genialer Bericht mit tollen Bildern,.
          Grüße aus Pb.
          So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
          A. v. Humboldt.

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          • Sternenstaub
            Alter Hase
            • 14.03.2012
            • 3372
            • Privat

            • Meine Reisen

            #45
            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

            ganz ehrliche Frage:

            Was ist daran genial? In meinen Augen ist dieses Kompliment ein total schwaches. Was hat das mit Outdoor zu tun??
            Fotos nicht besonders gut, Didaktik zweifelhaft bis teilweise rassistisch In meinen Augen : 6 - setzen!
            Two roads diverged in a wood, and I—
            I took the one less traveled by,
            And that has made all the difference (Robert Frost)

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            • Alprausch84
              Fuchs
              • 12.02.2012
              • 1610
              • Privat

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              #46
              AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

              OT: Ist dein einziger und erster Post hier wirklich eine ungerechtfertigt schlechte Kritik an einem Reisebericht? *KopfmeetsTischplatte*

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              • Torres
                Freak

                Liebt das Forum
                • 16.08.2008
                • 30715
                • Privat

                • Meine Reisen

                #47
                AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                20.09.2013 Zürich, 1. Teil

                Das Frühstück im Hostel ist gut und reichlich. Ein Mann steht an der Rezeption und versucht, ein Bett zu bekommen, aber das Hostel ist seit gestern Abend ausgebucht. Ich habe Glück gehabt. Ich empfehle ihm den Campingplatz. Ich nehme meinen Roller und fahre die Straße Richtung Innenstadt, um zu schauen, ob ich hier eine Brücke oder einen Weg finde. Das ist nicht der Fall, und so biege ich irgendwann rechts ab, finde eine Unterführung und gelange in eine Grünanlage.





                Und kurz darauf bin ich wieder am See.











                Der Himmel ist wolkenverhangen und es ist kühler geworden. Es sieht nach Regen aus. Ich lasse mir Zeit.








                An der Bürkliterrasse steht eine Skulptur von Hermann Hubacher. Sie bildet die Entführung Ganymeds in den Olymp durch den als Adler verkleideten Zeus ab und ist heute ein Symbol der Schwulenkultur Zürichs.





                Ich überquere die Limmat und lasse das Opernhaus rechts liegen. Dann tauche ich in die verkehrsberuhigten Gassen ein.














                Aber so ganz befriedigt mich der Spaziergang nicht, und ich entwickele ein neues Hobby: Schilder fotografieren. Es gibt sehr edel gestaltete Schilder und später werden mir Züricher Bürger erzählen, dass diese Schilder sehr viel Geld kosten, da sie eine Zugehörigkeit zu den Zünften anzeigen, und eine Aufnahme in die Zünfte wohl eine sehr exklusive Angelegenheit ist. Außerdem gibt es auf den Hauswänden auch gemalte oder figürlich gestaltete Darstellungen, meist Tiere.





                Das Großmünster kommt in mein Blickfeld, und ich beschließe, es zu besichtigen. Es ist das Gebäude auf der rechten Seite. Der Turm in der Mitte gehört zur St.Peter-Kirche, die auf der anderen Seite der Limmat steht.





                Vom Vorplatz aus schaut man über die Limmat auf die Fraumünster-Kirche. Und auf das Oettingerhus, das ehemalige Amtshaus des Klosters Oettingen (hinter den Autos).





                Außerdem hat man einen Blick auf das „Haus am Loch“ (rechts im Bild), das im 13. und 14. Jh. bis zur Mordnacht in Zürich das Wohnhaus der Ritter Wisso war, bis 1218 vermutlich auch der Herzöge von Zähringen, und in dem der Sage nach Kaiser Karl gewohnt hat.





                Das Großmünster ist ursprünglich eine Grabkirche gewesen und wurde die Mutterkirche der Reformation Ulrich Zwinglis, der die evangelisch-reformierte Kirche begründete. Der zweite Zweig der evangelisch-reformierten Kirche wurde nach seinem Tod von dem Genfer Johannes Calvin begründet. Der Baubeginn des Münsters war 1100. Es ist die Kirche mit den zwei großen Türmen, die vorhin schon einmal auf einem Bild war und die sich am besten aus der Ferne fotografieren lässt. Daher das Bild der drei Türme noch einmal.





                Das Großmünster ist weitläufig und – wie bei den Reformierten üblich - schmucklos eingerichtet. Nur der Altar ist mit drei bunten Kirchenfenstern ausgestattet und in einer Nische sehe ich sogar ein Bild. Aber ansonsten ist die Innenausstattung karg und funktionell. Ich denke an die italienische Leichtigkeit und die erhabene Kunst, die einem das Gefühl gab, dass Gott größer sei, als alles auf Erden. Hier ist davon nichts zu spüren.

                Auf dem Platz steht eine Gruppe Amerikaner und lauscht gerade einer Führung. Einem Mann ist mein Roller wichtiger, und er spricht mich an. Ich erfahre, dass die Amish People Roller herstellen, weil sie kein Fahrrad fahren dürfen. Interessiert betrachtet er meinen Roller und fragt: „Kann der auch bergauf fahren?“ Ich kontere: „ Der Roller schon. Das Problem bin ich“. Er guckt verdutzt, und seine Frau, die dabei steht, lacht herzlich.

                Lässig rollere ich weiter und komme in einen sehr schönen Teil Zürichs. Welche Straßen das im Einzelnen sind, weiß ich nicht. Nicht alle Gassen kann ich zuordnen. Weiter fotografiere ich Schilder. Lange bleibe ich in der Münstergasse vor dem Geschäft Schwarzenbach Kaffeerösterei und Colonialwaren Eier, gegründet 1864 stehen. Die Gestaltung der Schriften, die Innenausstattung und die Warenpräsentation sind einfach wunderbar. Steil geht rechts die Spiegelgasse bergauf. Das cabaret voltaire seit 1916 verkündet mit einem Schild, dass im Jahre 2002 „der Dadaismus für kurze Zeit wiederbelebt wurde. R.I.P.“





                Außerordentlich gefällt mir der kackende Hund, den jemand an eine Wand gemalt hat. Da muss auch mein Roller mit auf´s Bild.





                Im Haus zur Sichel verlebte Gottfried Keller seine Jugendzeit von 1821-1848. Gottfried Keller (1819-1890) war ein Züricher Dichter und Politiker und ist auch in Deutschland bekannt. Seine bekanntesten Werke sind „Der grüne Heinrich“ und „Die Leute von Seldwyla“. Als ich das Haus hochschaue, sehe ich, dass die Überhänge der Dächer bemalt sind. Das findet sich noch öfter, aber warum das so ist, weiß ich nicht.
                Die "Oepfelchammer" weist links neben ihrem Schriftzug ein Bild von Hans Waldmann (1435-1489) auf, der erst Zunftmeister und dann Bürgermeister von Zürich war. 1848 wurde er hingerichtet. Diese Stelle ist nicht die einzige Erinnerung, die sich an Hans Waldmann findet, von dem ich ehrlich gesagt noch nie etwas gehört habe. Auf der rechten Seite des Schriftzuges ist ein Portrait von Gottfried Keller aufgemalt. Bei der "Oepfelchammer" handelt es sich übrigens um die älteste Weinstube Zürichs.





                "Zum Gießfass".





                Und später an der Ecke die "Alte Burg". Laut der angebrachten Tafel ist es ein mittelalteriches Wohnhaus mit einem für die Züricher Altstadt typischem Halbgiebel. Die ältesten Bestandteile sind aus dem 13. Jahrhundert. So recht weiß ich allerdings nicht, wie ich es fotografieren soll. Wie die Häuser zuvor steht es am Rindermarkt.





                Ich rollere weiter. Das Haus zum Rech. Hier wohnten mehrere Bürgermeister.





                Wieder Schilder und die zweite Hälfte der Spiegelgasse. Das Haus zum Steinberg. Ein Schuh über „Zur Schuhmachern“. Die Zunft Höttingen wurde 1897 gegründet. Das Haus des Deutschen Arbeiterbildungsvereins Eintracht 1888, 1911 Gewerkschaftshaus Eintracht. Das Haus „Zum Tannenberg.“ Und das Haus „Zum Adler Berg 1608“. Nicht im Bild ist das Haus, in dem Konrad Grebel gewohnt hat, der zusammen mit Felix Manz die Täuferbewegung begründete, die später von den Reformierten auch gewaltsam verfolgt wurde.





                Quartiersbriefkasten: „Nächste Leerung bei Leermond nur für Quartiersanliegen.“ Ein Haus, in dem Hans Roelli wohnte, „Lyriker, Liedschöpfer und Dichter zur Laute: Alle Rosen sie blühen am Wege rot...“ Das Friseurhandwerk. Ein Schwarzafrikaner in klischeehafter Darstellung. Das Haus „Zur Blauen Lilie“. Leider ist der Schriftzug schlecht erkennbar. Die Tür steht auf.










                Und immer noch finde ich Fotomotive, obwohl ich langsam ermatte.







                Auch das Geburtshaus von Gottfried Keller entgeht mir nicht. Weitere Schilder. Dann biege ich in eine kleine Gasse ein.





                Vor mir ist nun die Predigerkirche. Sie war laut Schautafel ursprünglich eine Dominikaner- oder Predigerkirche eines Klosters und wurde dann eine refomierte Kirche. 1611 erhielt sie ihre Innenausstattung. In der Kirche ist fotografieren nicht erlaubt, so dass ich keine Fotos der Innenausstattung zeigen kann. Sie ist nicht ganz schmucklos, sondern an den Seiten mit Stuck verzeiert. Das Gewölbe zeigt runde und viereckige Stuckelemente, in deren Mittel Rosetten angebracht sind. Der Hintergrund des Altarraumes weist einen Stuckschmuck in Form eines Gebäudes mit einem Torbogen auf. Der Altar selbst ist schlicht und besteht aus einem Tisch. Daneben an der Wand aus Holz die Kanzel. Klick.

                Ich setze mich in eine der langen Kirchenbänke und lasse die Kirche auf mich wirken. Vor meinem geistigen Auge taucht eine frierende, verhärmte Mutter mit ihren hungernden Kindern auf und ich stelle mir vor, wie diese Kirche auf sie gewirkt haben muss. Groß, mächtig und doch so kalt. Allgegenwärtig der strafende Gott des Alten Testamentes, und aus dem Alten Testament leitet sich auch das Bilderverbot ab. Wie muss sie sich gefühlt haben, wenn der Pastor mit protestantischer Strenge von Moral sprach? Über dem Altar steht „Du soll Gott dinen Herren lieben von gantzem dinem hertzen und von gantzer diner seel und von gantzen dinem gemüt und den nächsten als dich selbs“. Hat diese Kirche wirklich Trost spenden können und die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf den Beistand Gottes nähren können? Oder ging man in diese Kirche, um seine Pflicht zu tun? Um zu erreichen, dass es nicht noch schlimmer kommt?
                Mich fröstelt und ich fühle das Bedürfnis, diesen Ort zu verlassen.





                Ich befreie meinen Roller von seinem Schloss und gehe Richtung Bahnhof. An der Hauptstraße befindet sich ein McDonalds und es interessiert mich, was in Zürich ein Big Mac kostet. Bei meinem Gang durch die Innenstadt war ich an den verlockensten Schildern vorbei gekommen, auf denen die verlockensten Speisen standen. Das durchschnittliche Preisfenster befand sich zwischen 26 Franken (21 Euro) und 32 Franken (26 Euro). Das kam mir viel vor. Mal sehen, wie die Preise bei McDonalds sind. Der Hamburger kostet 2,50 Franken. Das sind 2,03 Euro (Wechselkurs von heute). Bei uns kostet er 1,00 Euro. Der BigMac kostet 6,50 Franken (5,27 Euro). Bei uns kostet er 3,59 Euro (derzeit 2,99 Euro). Funktioniert der BigMac-Index nun oder nicht?





                Es ist kurz vor 12.00 Uhr und ich merke, dass ich unzufrieden bin. Das ist mir einfach zu wenig Outdoor. In den italienischen Städten (bis auf Venedig) war das Outdoorgefühl erheblich größer, weil die Bebauung weitläufiger war, Parks die Stadt aufgelockert hatten oder auf den Piazzas viel zu sehen war. Ob man nun den ganzen Tag auf einer staubigen Landstraße radelt, die immer wieder durch Dörfer führt oder in einer Stadt mit Parks und Plätzen herumrollert, ist nicht so der Unterschied. Hier dagegen ist alles eng und zugebaut, und ich merke, dass mich das herunterzieht. Einen Tag habe ich auf meinem Interrailticket noch zur Verfügung, und ich beschließe, zum Bahnhof zu rollern, um mein Ticket vollständig aus zu nutzen.
                Ich setze mich in Bewegung und glaube, ich sehe nicht richtig: Ich werde von einem Kontrabass überholt. Ich meine zumindest, dass es ein Kontrabass ist, ich kann die Größe von Streichinstrumenten immer schlecht einschätzen. Der Kontrabass ist natürlich nicht alleine. Er wird von einer zierlichen Frau geschoben. Mein Hirn sagt „Foto“ und ich gebe Gas. Dieser Moment war einer der frustrierendsten Momente dieses Urlaubs, denn ich trete und trete und komme nicht vom Fleck. Sie ist unglaublich schnell, und ich habe nicht den Hauch einer Chance, sie einholen zu können. Als sie weit vor mir über die grüne Ampel rennt, mache ich ein Foto aus der Entfernung, das ich hier natürlich entsprechend vergrößert habe. Ich fühle mich alt.

                Als ich den Bahnhof betrete, fällt mir auf, dass der Bahnhof wie eine Kathedrale wirkt. Er wurde 1871 gebaut und ist einer der meistfrequentierten Bahnhöfe der Welt. Pro Tag fahren hier fast 3000 Züge ab. Auf der breiten Glasfront am Ende der Halle sind Vögel angebracht. Außerdem ein Hirsch. Als ich unter dem Glasfenster hindurchgehe, sehe ich auch noch einen Seehund. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, ob man ihn nur aus einem bestimmten Winkel heraus sehen kann, oder ob ich Halluzinationen hatte.





                Ich schaue auf die Anzeigetafel und der nächste der für mich in Frage kommenden Züge fährt nach Biel/Bienne. Gut. Dann eben Biel. In einer Stunde werde ich dort sein.
                Zuletzt geändert von Torres; 14.10.2013, 11:34.
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                  #48
                  AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                  Das erinnert mich: "Irgendwann mußt du nach Biel" - ein Laufbuch aus den 70-ern; war schon ein bißchen Kult.....

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                    #49
                    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                    Zitat von schneehuhn Beitrag anzeigen
                    Das erinnert mich: "Irgendwann mußt du nach Biel" - ein Laufbuch aus den 70-ern; war schon ein bißchen Kult.....
                    Habe das Buch gerade mal recherchiert. Klick. Davon habe ich heute das erste Mal gehört, klingt aber interessant.
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                      #50
                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                      ein schöner Link! Mir war die Strecke allerdins immer zu lang - Marathon reichte mir. Vielleicht hat man ja doch Manches versäumt...

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                        #51
                        AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                        Biel / Bienne


                        In Biel ist es nicht nur wärmer, sondern es scheint strahlend die Sonne. Biel liegt in der französischen Schweiz und das merkt man sofort. Ein anderes Flair, ein anderer Fahrstil, französische Werbetafeln und Restaurants. Die Zweisprachigkeit ist hier gesetzlich verankert. Plakate weisen auf das „Festival du film francais d´helvétie“ hin, das vom 18.-22. Septembre 2013 stattfindet. Ich frage eine Bahnmitarbeiterin nach der Altstadt, von der ich gehört habe, und sie beschreibt mir den Weg. Blöderweise frage ich nicht nach einem Stadtplan. Aber ich will mich hier ja nicht lange aufhalten.

                        Der Baustil und die Straßen sind völlig anders. Großzügig. Breite Straßen. Altbau. Eine schöne Stadt. Nach der engen Innenstadt Zürichs mit seinen kleinen schmalen Häusern eine Wohltat. Einen Fluss scheint es auch zu geben.





                        Kurze Zeit später bin ich in der Altstadt.





                        Die Altstadt erinnert wieder an Zürich. Klein und eng. Kaum Menschen. Ich rollere am Stadttheater vorbei, vor dem noch die Tische und Bänke einer Veranstaltung stehen. Am Ende des Platzes steht eine Statue und nicht weit davon eine zweite. Wie üblich lasse ich mich treiben und entdecke erneut die schön gestalteten Schilder, die sich auch in Zürich fanden. Ein Mann steht am Fenster und beobachtet, wie ich Fotos mache. Am Ausgang der Altstadt entdecke ich oben am Hügel ein Schild "Rolex". Inzwischen weiß ich, dass in Biel / Bienne die Uhrenmanufaktur von Rolex angesiedelt ist.











                        Groß ist die Altstadt wirklich nicht und nach kurzer Zeit bin ich wieder am Anfang angekommen. Und nun? Ich mag keine Häuser mehr sehen. Vielleicht sollte ich mich an dem Kanal – oder ist es ein Fluss? - auf eine Bank setzen?

                        Als ich die Hauptstraße queren will, sehe ich ein weiteres schönes Gebäude. Das kann ich mir ja schnell noch anschauen, entscheide ich. Es entpuppt sich als Standesamt. Eine Hochzeitsgesellschaft steht davor, und Braut und Bräutigam küssen sich für die Fotografen und Angehörigen. Es herrscht eine fröhliche Stimmung. Durch die Bäume erkenne ich einen Kirchturm und rollere etwas weiter, um die Kirche zu fotografieren. Schöne Häuser stehen oben am Hang und es sieht so aus, als wäre Biel ein zwar kleiner, aber durchaus wohlhabender Ort.
                        Ein zugewachsener Altbau gerät in mein Blickfeld und in der Garage erblicke ich einen restaurierten gelb-grünen 2CV. Die Farbe habe ich noch nie gesehen, aber die Form ist unverkennbar. Ein modernes Gebäude – oder doch der Altbau daneben? - scheint ein Museum zu sein. Leider endet der Bürgersteig kurz darauf, und ich überlege, ob ich so leichtsinnig sein soll, auf der von Bäumen eingefassten Landstraße weiter zu fahren, um eine kleine Ausflugstour zu machen. Bestimmt gibt es hier irgendwo Wanderwege (ja, gibt es, wie ich mittlerweile weiß und sie sind gar nicht weit entfernt). Aber die Befürchtung, mich zu überschätzen, ist zu groß. Man muss sich am letzten Tag des Urlaubes nicht noch ins Krankenhaus schießen. Hätte ich einen Stadtplan....

                        Noch ein sehnsuchtsvoller Blick auf die Bäume, und ich wende. Auf der anderen Straßenseite steht ein rosafarbenes Gebäude, und ich beschließe, die Straßenseite zu wechseln, um zu erkunden, was es damit auf sich hat. Es ist das Museum Biel.





                        Und ich sehe, dass hinter dem Museum eine Allee beginnt. Auf einem Schild steht „Seevorstadt / Faubourg du Lac“. Ich bin elektrisiert. Biel hat einen See? Ich horche in mich hinein. Ja, ich bin mir sicher. Der Fluss, die Atmosphäre: Biel hat garantiert einen See. Es kommt mir fast so vor, als könne ich ihn riechen. Aber ob er in der Nähe ist? Ich kann vorweg nehmen: Biel hat einen See. Berichten von Freunden zufolge ist es sogar ein wunderschöner See. Ich finde ihn nur nicht. Hatte ich schon erwähnt, dass das Navi im Hostel liegt?





                        Die Allee sieht einladend aus und ich beschließe, noch ein paar Meter zu rollern. Und atme tief durch. Schön ist es hier. Natur. Bäume. Der Fluss. Spaziergänger sind unterwegs. Die Sonne scheint. Es könnte Italien sein.
                        Auf der anderen Seite des Kanals befinden sich liebevoll renovierte Häuser und Villen. In einem verwunschen wirkenden Garten picken Fasane. Laub bedeckt den Boden und man merkt, dass es Herbst geworden ist. Immer noch sind 26 Grad Lufttemperatur, aber der Sommer ist vorbei.





                        Ein paar Schüler kommen auf mich zu und ich mache mich bereit, sie zu fragen, ob hier in der Nähe ein See ist. Da haut der eine Junge dem anderen den Ranzen in den Rücken und der betroffene Junge schreit vor Schmerzen und ist kurz davor, zu weinen. Ein Mädchen tröstet und die anderen schimpfen den Täter aus: Die Gruppe ist anderweitig beschäftigt.

                        Kurz darauf stehe ich vor einem Eisenbahndamm. Pech. Kein See. Schön ist es dennoch hier. Still und kein Verkehr. Dann sehe ich durch Zufall eine Unterführung. Vielleicht geht es hier doch zum See? Ich fahre hindurch und nach einem kurzen Stück erscheint eine starkbefahrene Straße. Ich bin ratlos. Menschen, die ich fragen kann, sehe ich keine. Infotafeln auch nicht. Heute weiß ich: Ich bin den Quai du Bas entlang gerollert, vor mir liegt die Ländtestraße, und wenn ich die Straße einfach überquert hätte, wäre ich nach allerhöchstens 5 Minunten: An den Bieler See gekommen. Aber man kann nicht immer Glück haben.

                        Wieso ich auf dem Sandweg mit den Pollern lande, kann ich nicht mehr rekonstruieren. Vielleicht liegt es an dem Schild, aber zu meiner Enttäuschung zeigt es nicht den Weg zum See, sondern eine Seilbahn an. Einen kurzen Moment überlege ich, mich hier in die Sonne zu setzen. Es ist schön hier. Es blüht und grünt, und ein Apfelbaum steht im Gebüsch. Ich schaue auf die Uhr, entscheide mich aber, zurück zu rollern. Ich kann nicht einschätzen, wie lange ich hierher gebraucht habe.
                        Plötzlich höre ich Geräusche, die mir bekannt vorkommen. Rollkoffer. Es sind Soldaten in Uniform, die ihre Rucksäcke auf Rollen hinter sich her ziehen. „Die Jungs wollen zum Bahnhof“, kombiniere ich scharf. Vielleicht gibt es eine Abkürzung? Ich nehme die Verfolgung auf. Der jüngste Soldat hat am meisten Gepäck dabei und ist mit dem Transport hoffnungslos überfordert. Der Routinierteste hat dagegen nur die Hälfte mit und treibt die anderen zur Eile an. Ich muss lächeln. Haben wir nicht alle mal so angefangen?

                        Drei Minuten später ahne ich, wo ich bin und zwei Minuten später bin ich am Bahnhof. Anscheinend bin ich eine Art Halbkreis gefahren. Es ist fast 15.00 Uhr und es ist Freitag. Der Wochenendreiseverkehr wird bald einsetzen. Ich setzte mich kurz auf eine der Bänke vor dem Bahnhof und blinzele in die Sonne. Und nun? Den See suchen, falls es einen gibt? Nein. Ich bin müde. Zürich hat auch einen See. Vielleicht habe ich Glück, und ich kann die Sonne mitnehmen. Aber Biel hat mir gut gefallen. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, werde ich wieder kommen.


                        Zuletzt geändert von Torres; 15.10.2013, 08:32.
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                          #52
                          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                          Zürich, 2. Teil

                          Um 15.15 Uhr fährt der nächste Zug nach Zürich, und er ist tatsächlicher erheblich voller als der Zug auf der Hinreise. In Solothurn werden noch einmal viele Menschen einsteigen, und die Sitzplätze sind ab da alle belegt. Mein Roller befindet sich zusammengeklappt zwischen meinen Beinen. Eine Frau, die mir gegenübersitzt, hat antiquarisch ein Buch über „Sophia Loren“ erworben und betrachtet es vorsichtig. Ich frage sie nach dem Film „Es begann in Neapel“. Diesen Film hatte der Neapolitaner auf der Zugfahrt nach Rom nicht gekannt, und auch sie findet den Titel nicht in dem Buch. Die Handlung war tatsächlich nicht beeindruckend, die Landschaftsaufnahmen des Fischerdorfes waren mir aber in Erinnerung geblieben. Es gibt den Film. Ich erfahre, dass Sophia Loren in Rom geboren wurde und in einem armen Vorort Neapels aufgewachsen ist. Heute wohnt sie am Genfer See. Die Frau blättert in dem Buch und mein Auge fällt auf ein Zitat: „Die beiden größten Vorteile in meinem Leben waren, mit Verstand geboren zu werden und arm geboren zu werden.“ Sophia Loren und ihre Zitate...

                          Die Landschaft erstrahlt im Sonnenlicht. Auf der linken Seite grenzen die Felder an Hügel, rechts ist es dagegen flach. Die Innenstadt von Solothurn sieht hübsch aus. Eine Burg steht eindrucksvoll am Hang. Bei Olten sehe ich einen Kühlturm, und ich überlege, ob hier ein Atomkraftwerk steht. In der Tat. Es ist das Kernkraftwerk Gösgen – Däniken. Auch die Schweiz hat übrigens unter dem Eindruck von Fukushima einen Atomausstieg beschlossen, der spätestens in 50 Jahren vollzogen sein soll.









                          Als ich am Züricher Hauptbahnhof ankomme, traue ich meinen Augen nicht. Es ist voll. Richtig voll. Auf den Bahnsteigen drängeln sich die Menschen, und ich muss aufpassen, nicht mit Rollkoffern zusammen zu stoßen. Wie gut, dass ich so früh gefahren bin. Ich nehme den nächsten Ausgang (es ist der Haupteingang), widerstehe tapfer der Versuchung, mir in der verlockende Auslagen präsentierenden Confiserie Sprüngli (gegründet 1836 in der Marktgasse in Zürich, Sitz in Zürich) Schokolade zu kaufen, folge den Menschenmassen über eine Ampel und befinde mich in einer mondänen Einkaufsstraße, der Bahnhofstraße. An der Ecke das repräsentative Hotel Schweizerhof. Die Bahnhofstraße ist eine Fußgängerzone, in deren Mitte Straßenbahnen fahren, und ich frage mich, woher die vielen Menschen, welche die Bahnhofstraße entlang schlendern oder eilen, das Geld haben, hier einkaufen zu gehen. Später sehe ich, dass die Bahnhofstraße bis zum See geht und vor allem genutzt wird, um zum Bahnhof zu kommen.
                          Ich lasse mich kurz in der Masse treiben, biege dann aber links ab. Das hier ist nicht meine Welt. So richtig komme ich in der Nebenstraße aber nicht weiter und wende mich der Straße an der Limmat zu, dem Bahhnhofquai. Hinter der Brücke steht ein mit Landszenen bemaltes Gebäude, in dem ein Geschäft mit der Bezeichnung „Schweizer Heimatwerk“ untergebracht ist. Hier erhält man Schweizer Messer und Souvernirs. Ich entdecke, dass man neben dem Gebäude direkt an der Limmat entlang gehen kann. Es ist ein Weg nur für Fußgänger. Mit einem Klapproller natürlich kein Problem.

                          Der kleine Weg gefällt mir. Schwäne und Enten haben neben der Brücke einen kleinen eigenen Bereich und auf der anderen Seite der Limmat steht erhaben das Großmünster. Der Weg geht in eine kleine kopfsteinbepflasterte Straße über, und ich bemerke, dass dass rechts oben Menschen auf einer Mauer sitzen. Vielleicht führt der Weg dort hin?














                          Steil geht es nun bergan. Vor einem Stein stehen zwei gebildete alte Männer und der eine von ihnen erklärt dem anderen auf französisch die Geschichte Zürichs und die Bedeutung des Steines. Unauffällig lausche ich seinen Ausführungen, aber leider verstehe ich nicht alles. Es handelt sich bei dem Stein um den „Grabstein des Lucius Aelius Urbicus um 200 n.Chr., auf dem erstmals der römische Name von Zürich, nämlich sta(tionis) Turicen(sis) genannt wird.“ Der Stein ist eine Kopie. Kurz darauf bin ich auf einem schattigen Platz angelangt und vor mir ist die Mauer, von der aus man einen Blick auf die andere Seite der Limmat hat und in der Ferne sogar die Berge sehen kann. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes sind Schachspieler in ihr Spiel vertieft. Schön ist es hier oben. Friedlich.

















                          Nur langsam quere ich den Platz und kann mich von den Eindrücken nicht so richtig losreissen. Als ich gehe, wähle ich nicht den Aufgang, sondern die Treppe auf der gegenüberliegenden Seite. An ihrem Fuß biege ich links ab und gerate in eine Einkaufsstraße.






                          Enge ist ein Züricher Quartier (Stadtteil). Die Sukkulentensammlung liegt zum Beispiel in Enge. Wo das Quartier Enge genau beginnt, weiß ich allerdings nicht.
                          Ich habe Hunger bekommen und setze mich auf eine Bank. Ich esse etwas Brot mit Käse und schaue den Menschen zu. 22 Franken habe ich in der Tasche, das Wechselgeld von gestern, als ich mit Euro bezahlt hatte. Ich studiere den Victorinox Aufsteller vor der Tür eines Souvenirladens, und es ist wohl Schicksal, dass ausgerechnet das Taschenmesser, das zu dieser Tour passt, genau 22 Franken kostet: Das Modell „Camper“. Mit Säge. Für den Survivaleinsatz als Ergänzung zur Axt. Perfekt. In blendender Laune betrete ich mit dem zusammengeklappten Roller in der Hand das Geschäft. Die Verkäuferin schaut entsetzt auf den Roller, aber als ich mich entschuldige und sofort sage, was ich will, läuft sie los. „Mit Säge?“, fragt sie noch einmal sicherheitshalber. „Ja“. Klar mit Säge. Was soll ich mit dieser winzigen Schere, die mochte ich schon als Kind nicht leiden.





                          Ich laufe weiter. Die Geschäfte sind mit Fahnen des Filmfestivals Zürich beflaggt. Ich passiere die St. Peter Kirche. Ein Schild erinnert an den reformierten Pfarrer, Philosph und Schriftsteller Johann Caspar Lavater. Die Robert-Walser-Gasse und eine reich verzierte Weinstube. Wieder geht es eine Treppe herunter. Und wieder fotografiere ich die reichverzierten Geschäftsschilder. Bunt dazwischen das Schild eines Chinarestaurants.








                          Ich laufe an dem Haus „Neuhaus“ vorbei und bewundere das Arrangement der Schuhe in dem Geschäft. Die Warenpräsentation wirkt exklusiv und luxuriös. Das Haus "Schirmfabrik" und das Restaurant „Zunfthaus zur Waag“. „Café und Restaurant Orsini“. Das Hirschsymbol des „Münsterhofes“. Und eine unbekannte Heuschrecke. Dann befinde ich mich plötzlich wieder an der Bahnhofstraße und stehe vor „Tiffany“. Audrey Hepburn. Die Realität sieht teurer aus.








                          Ich gehe in Richtung Limmat und sehe, dass der Züricher See nicht weit ist. Das Wochenende wird eingeläutet.








                          Es ist 18.00 Uhr und die Stadt reizt mich nicht mehr. Langsam könnte ich zum Hostel rollern. Ich begebe mich in die bereits bekannte Parkanlage am See, und wieder entdecke ich neue Dinge auf dem Weg. „Vaterland nur Dir“, steht auf einem Stein. Ein Gedenkstein für Dr. Arnold Bürkli (1833-1894), Quai-Ingenieur. Nach ihm ist also der Bürkli Platz benannt. Eine Springbrunnenanlage. Ein paar Männer bemalen ein Boot.





                          Längere Zeit schaue ich ihnen zu. Ich habe noch keine so richtige Lust, zum Hostel zu rollern. 3 Wochen war ich jetzt unterwegs, und sie kamen mir viel länger vor. So viele Eindrücke. So viele Erlebnisse. Und doch ist alles anders. Normalerweise wäre ich jetzt körperlich erschöpft und würde mich auf zu Hause freuen, doch dieses Mal kommt es mir vor, als müsse mein Urlaub erst beginnen. Als müsse ich jetzt mein Zelt holen und losfahren. Auf Tour gehen. Den Züricher See entlang rollern. Outdoor. Ohne Ziel. Einfach fahren, bis ich müde bin. Mein Zelt aufbauen und den nächsten Tag weiter. Muskeln in den Oberschenkeln habe ich zwar auf dieser Tour auch aufgebaut, aber es fehlt das Gefühl, eine Strecke bewältigt zu haben. Eine körperliche Herausforderung gemeistert zu haben. Landschaften kennen gelernt zu haben. Vorgehabt hatte ich das ursprünglich. Ich wollte von den Städten aus die Umgebung erkunden und nach Naturschutzgebieten Ausschau halten. Aber es hatte sich nicht ergeben.


                          Um Zeit zu schinden, fotografiere ich die Sukkulentensammlung durch den Zaun und schaue noch einmal extra, ob ich bei den Männern mit dem Boot am See weiter komme. Dabei weiß ich die Antwort schon. Hier ist der Radweg am Wasser definitiv zu Ende. Ich rollere Richtung Straße und biege auf den Radweg an der vielbefahrenen Straße ein, den ich gestern schon gerollert war. Unübersehbar ist die Baustelle von gestern nun der Ort des Events, von dem Schweden gestern geredet hatte. Ein Bagger schüttet eine Rampe auf.





                          Ich schaue ein wenig den Vorbereitungen zu, und dann bin ich auch schon am Bahnhof Wollishofen. Hier ist die Unterführung, und wenn ich sie nähme, wäre ich nach wenigen Minuten am Hostel. Die Sonne scheint, und ich beäuge die Unterführung, aber so richtig habe ich keine Lust. Wo ist eigentlich der Campingplatz? Ich könnte ja mal schauen, ob ich etwas verpasst habe, und wie weit er weg ist.

                          Kurze Zeit später befinde ich mich an einem Steg. Es ist der Schiffsanleger Wollishofen.





                          Die Sonne taucht Zürich in freundliches Licht. Der See liegt still und verlockend vor mir. Jetzt hätte ich gerne mein Kajak dabei. Die Stille und das leise Glucksen des Wasser.





                          Ich rollere auf einem Weg am See entlang. An den Begrenzungswänden befinden sich bunte Graffitis. Ein wenig unheimlich ist die Anlage schon. Ein Industriegebiet? Der Sprungturm eines Schwimmbades? Ich weiß es nicht.
                          In einer Kurve stehen ein Junge und seine Großmutter und angeln. Eine kleine Maus läuft ein paar Meter weiter über den Weg, und als der Junge meinen Fotoapparat sieht, sagt er in Mundart ganz aufgeregt: „Da ist eine Maus. Die musst Du fotografieren“. Das tue ich und zeige ihm die Maus vergrößert auf dem Display. Er ist schwer beeindruckt.








                          Der von Bäumen überdeckte Weg wirkt nun verwunsche,n und bedauerlicherweise endet er nach kurzer Zeit. Ich befinde mich nun an einem Platz unter Bäumen. Ein paar Leute sitzen an den Tischen eines Lokals.





                          Am See komme ich nun nicht weiter und biege rechts ab. Hier steht der Fabrikschornstein, den ich schon von Ferne gesehen hatte. Es ist die „Rote Fabrik“, die heute als Kulturzentrum genutzt wird.





                          Ich muss nun ein längeres Stück auf dem Bürgersteig an der Straße entlangfahren, und ich merke, dass meine Beine langsam müde werde. Es geht leicht bergauf. Wieder zeigt sich eine Möglichkeit, ans Wasser zu kommen, und wieder sehe ich Zürich in der Ferne liegen.





                          Der Campingplatz ist immer noch nicht zu sehen. Und nun? Ich beschließe, zum Hostel zu fahren, denn am Wasser komme ich anscheinend nicht mehr weiter, und mein Fuß ziept unangenehm. Ein Mann mit einem Golden Retriever betritt den Anleger, und ich schätze ihn als Anwohner ein. Der Weg zum Campingplatz? Er war zu Fuß noch nie dort, aber er schätzt, dass es höchstens zehn Minuten sind. Hhhm. Zehn Minuten zu Fuß oder zehn Minuten mit dem Roller?, frage ich mich. Egal. Das wird jetzt auch noch zu schaffen sein.

                          Ich rollere über den Parkplatz – ich glaube, hier war ein Segelclub – und dann wieder zur Straße. Es geht erneut leicht bergauf. Als ich merke, dass mein Fuß immer mehr schmerzt, und ich überlege, aufzugeben, bin ich unerwartet am Ziel. Der Platz sieht schön aus, und ich sehe, dass Zelter eine Wiese am See nutzen können. Der Platz direkt am See kostet im Sommer für eine Person mit normalem Trekkingzelt 31 Franken. Eine andere Zeltwiese ist 4 Franken günstiger. Auto oder Hund kosten extra. Die Tipis, die dort stehen, scheinen die Miettipis zu sein. Wenn ich mich richtig erinnere, stand nur ein 3 Personenzelt auf der Wiese, weitere Zelte sehe ich nicht. Wassersportler, d.h. Surfer, kümmern sich um ihre Ausrüstung, und ich überlege, wie viele Gäste hier wohl morgen auf dem Freestyle-Event starten werden. Die Wohnmobile stehen auf jeden Fall dicht an dicht.
                          Ein Holzhaus steht am See, und es riecht verlockend nach Essen. Mein Magen knurrt. Es ist das Restaurant Fischer´s Fritz. Ein Angestellter begrüßt die Gäste, und ich wage nicht, die Preise auf der Speisekarte zu erfragen. Vielleicht ein Fehler. Der Fisch stammt zu großen Teilen aus dem Zürichsee und wird am Vorabend frisch gefischt. Zugegeben, ein attraktiver Platz in toller Lage. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich zwei Tage nach Verona hier wirklich wohl gefühlt hätte. Zu viele Menschen hier. Zu viele Wohnmobile. Heute abend hätte das vielleicht schon anders ausgesehen, aber gestern war nicht heute abend. Ein Foto von der Zeltwiese mache ich übrigens nicht, denn der Aufenthalt auf dem Gelände ist ja nur Gästen gestattet.





                          Ich rollere nun wieder auf dem Bürgersteig zurück und merke, dass mein Fuß seine Belastungsgrenze erreicht hat. Mit Umwegen ist jetzt Schluss. War ja auch ein langer Tag. Wie viele Kilometer bin ich heute gerollert? 20 km könnten das schon gewesen sein. Nein. Ich muss mir keine Gedanken machen. Diese Reise war so, wie sie war. Mehr war körperlich nicht möglich, und ich habe das beste daraus gemacht. Alle diese Eindrücke – ich möchte sie nicht missen. Bäume, Wiesen, Felder oder Flüsse sind schön. Aber es ist ebenso schön, mal an Plätzen gewesen zu sein, die Weltgeschichte geschrieben haben.

                          An der nächsten Kreuzung sehe ich ein Schild, das zur Jugendherberge weist. So weit ist der Campingplatz gar nicht von der Jugendherberge entfernt, wenn man nicht am See entlang fährt. Es wäre gestern zu schaffen gewesen. An der Ecke steht ein Brunnen, und ich fülle meine Flasche auf.





                          Wieder geht es eine Wohn- und Geschäftsstraße bergauf, und ich wandere langsam, weil ich nicht mehr richtig auftreten kann. Dafür kann ich nun in Ruhe die letzten Momente dieses Tages genießen. Menschen sind kaum unterwegs. Kurz vor dem Hostel sehe ich eine Familie, die ein riesiges UfO in ihren Kleinwagen zu pressen versucht. Erst denke ich, es sei ein überdimensionales Wurfzelt, aber es entpuppt sich als 50er Jahre Sofa. Und dann stehe ich auch schon vor der Jugendherberge. Wieder muss ich über die Farbe schmunzeln.





                          Ich gehe auf mein Zimmer und notiere mir endlich, was ich dabei hatte.


                          Packliste:

                          Transportrucksack

                          Hauptfach:
                          Zelt Dragonfly XT (2 kg)
                          Footprint (=Tarp)
                          Heringe
                          NeoAir
                          hauchdünne Evazote
                          WM Caribou
                          MSR Reactor inkl. mittlerer Kartusche
                          Seideninlett
                          Küche (Ersatzmesser, Spork, Salz, Brühwürfel, Nähgarn, Nadeln, Holzlöffel)
                          Plastiktüte fürs nasse Zelt
                          Ersatz T-Shirt
                          Ersatz-Hemd
                          Dünne Daunenjacke
                          Rucksackhülle für den Roller

                          Große Fronttasche:
                          Kursbuch Interrail
                          Karte Europa, Schweiz/Italien und Kroatien (). Später sammeln sich ein paar Stadtplanblätter an, 6 Postkarten und 4 Vatikanbriefmarken.

                          Kleine Fronttasche
                          Expander
                          Kleines Multitool
                          Luftpumpe
                          Flickzeug


                          Tagesrucksack (25l)

                          Schlafshirt
                          Kappe
                          Kulturbeutel inkl. 2 Ersatzsocken, 2 Unterhosen, Zahnpasta, Zahnbürste, Reisehaarbürste, Duschzeug und Shampoo (je 50 ml), Microfaserhandtuch
                          Hausschuhe
                          Shorts
                          Stirnlampe
                          Klappteller
                          Klappbecher
                          Opinel und Spork
                          Eletronikkram (Ladegeräte, Batterien)
                          Navi
                          kleines Schrankschloss
                          E-Book-Reader
                          Etwas Brot und Käse für den nächsten Tag
                          Abus Kettenschloss (2 kg)
                          1,5 Liter Wasser


                          Am Körper

                          Hanwag Alaska
                          Funktionshose
                          Shirt
                          Hemd
                          Unterwäsche
                          Vaude Albo3in1 ohne Innenfutter, an Reisetagen um die Hüfte getragen.
                          Handy
                          Smartphone (nur für den W-Lan Einsatz)
                          Schlüssel
                          Geld
                          Ersatzzahnbürste
                          Fotoapparat mit 3 Akkus und 3 Speicherkarten.

                          UL ist das nicht. Aber ich kann ja weiter an mir arbeiten. Für meine Verhältnisse war das schon wenig, und mehr hätte ich auch nicht gebraucht. Ich gehe im Geist noch einmal die Stationen meiner Reise durch. Unvorstellbar, dass ich morgen abend um diese Zeit bereits zu Hause bin. Dann schlafe ich ein.


                          Zuletzt geändert von Torres; 17.10.2013, 21:22.
                          Oha.
                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                          • hansen
                            Anfänger im Forum
                            • 17.10.2013
                            • 34
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                            • Meine Reisen

                            #53
                            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                            Also ich komm da nicht ganz mit, warum man sich solche strapazen antun muss und dann auch noch philisophen wie den herrn nietzsche zitiert. Man könnte das ganze ja einfacher haben und mit dem Zug reisen. Das war bei mir zu Rucksackzeiten auch schon Abenteuer pur und denk immer wieder gern dran.

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                            • Torres
                              Freak

                              Liebt das Forum
                              • 16.08.2008
                              • 30715
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #54
                              AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                              21.09.2013 Zürich oder: Das große Finale


                              Am Morgen bin ich sehr früh wach. Mein Fuß hat sich wieder beruhigt, und ich bin sehr froh darüber. Das ist ein Fortschritt. Ich frühstücke und verlasse gegen 8.00 Uhr das Hostel. Ich habe viel Zeit, mein Zug fährt erst um 12.00 Uhr. Ich möchte den letzten Tag genießen.

                              Ich lenke sowohl Roller, als auch Schritte in Richtung der Straße, aus der ich gestern gekommen bin und finde doch tatsächlich ein Radwegschild. Lavendel blüht an der Seite und ich bleibe einen Moment stehen. Die Sonne scheint. Es ist ein wunderbarer Tag.





                              Der Radweg geht durch eine Unterführung, und wenn ich mich richtig erinnere, ist dieser Weg ein barrierefreier Zugang zum Bahnhof Wollishofen. Bald darauf bin ich am Schiffsanleger Wollishofen. Und atme durch.





                              Es ist still. Menschen sind noch keine unterwegs.











                              Auf dem See trainieren Ruderer.





                              Nur mühsam reiße ich mich von dem Anblick los und rollere gemächlich Richtung Zürich. Ein Weg fällt mir ins Auge, und ich gelange in ein Art Garten.





                              Ich durchquere ihn und schaue auf die Flotte der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft.





                              Männer machen die Schiffe startklar für den heutigen Tag. Auf der anderen Seite sehe ich hinter der Tankstelle den Bahnhof Wollishofen.
                              Leider ist der Weg kurz darauf zu Ende. Ich muss eine Treppe herunter gehen und vor mir sind die Zäune des Freestyle-Events. Normalerweise müsste hier also ein Weiterkommen sein.





                              Ich rollere auf dem Bürgersteig an der Straße entlang. Ein paar Leute kommen mir entgegen, und ich vermute, dass sie auf dem Event arbeiten.
                              Wieder komme ich in der gewohnten Parkanlage an und fotografiere die Brunnen diesmal aus einem anderen Blickwinkel.

                              Und entdecke einen Stein.





                              War der gestern auch schon da? Verwirrt gehe ich um ihn herum und schon wird es klarer. Es ist ein Gedenkstein für Gottfried Keller.

                              Und dann sehe ich auch seinen Kopf. Und das Denkmal in seiner Vollständigkeit. Unfassbar, dass es mir bisher nicht aufgefallen ist. Es steht nicht weit von den Springbrunnen entfernt, und ich bin schon zweimal daran vorbei gerollert.





                              Vereinzelt tauchen die ersten Jogger auf und eine Fahrradfahrerin zieht sich ihre Handschuhe an. Es ist frisch geworden, in der Tat.





                              Eine Ente schwimmt in Ufernähe. Wie klar das Wasser hier ist.





                              Auf einer Wiese findet Frühgymnastik statt. Ein Angler steht am See und angelt. Ich lehne den Roller an eine Bank und mache ein paar Fotos von meinem Roller und meinem Gepäck. So sah das also aus.





                              Und wie ich mir so meinen Roller betrachte, bin ich schon ein bisschen stolz: Es hat funktioniert. Ich bin tatsächlich mit diesem Gepäck durch 4 Ländern gereist. Sogar in Schnellzügen, in denen der Fahrradtransport nicht erlaubt ist. Als ich damals in Thüringen aus dem Zug stieg, schwante mir Böses, denn die Konstruktion erschien mir sehr instabil. Bekanntermaßen mache ich ja vorher keine Testläufe, um nicht in Gefahr zu geraten, die Tour gar nicht erst anzutreten. Und wie ich dann mühsam auf den Platz in Leutenberg gewackelt bin, und der Roller auf dem Gras bergab fast einen Salto gemacht hat, hatte ich schwerste Bedenken, dass ich mit Roller und Gepäck zurecht komme. Aber es hat geklappt. Wir sind ein Team geworden. Ein perfektes Team. Thanks.





                              Aber einen Namen hat der Roller trotzdem nicht, nur dass das klar ist.

                              Ich setze mich zu meinem Roller auf die Bank und genieße die morgendliche Stimmung. Es ist wunderschön hier. Wer hätte das gedacht.








                              Nach einiger Zeit treibt es mich weiter und ich nähere mich dem Bürkli Platz. Die „African Queen“ kommt auf mich zu.








                              Nein, natürlich ist es nicht die „African Queen“. Die ist heute in Key Largo, Florida ausgestellt. Es ist ein Schiff der Zürichsee-Flotte. Auf dem Anlegesteg stehen viele Touristen, man hört es an der Sprache. Die meisten sind aus Deutschland.

                              Ich überquere die Straßenbahngleise und gehe Richtung Bahnhofstraße. Es ist Flohmarkt. Die Menschen sind gut gelaunt und hätte ich kein Gepäck dabei, hätte ich gerne ein wenig gekramt und geschaut. Es ist Samstag. Das Wochenende hat begonnen. Unter dem Pavillon sitzt ein Mann mit der Tüte eines (süd)deutschen Discounters und liest Zeitung.





                              Ich lenke meine Schritte in Richtung Limmat. Die Straße ist eine Baustelle. Auf dem Boden liegt eine Honigwabe, und ich überlege, wie die wohl hier hinkommt. Die Limmat liegt ruhig und klar vor mir. Heute ist das Licht perfekt, und das Großmünster funkelt prächtig in der Sonne.





                              Kurz darauf befinde ich mich an der Fraumünster Kirche. Viele Autos parken an dem Vorplatz und Autotüren knallen. Ein Mann sucht in seinem Luxusauto hektisch seinen Fotoapparat. Auf dem Platz steht eine Kutsche, und ein Brautpaar steigt ein und posiert für die Fotografen und die Familie. Die meisten Familienmitglieder sind italienische Schweizer und man redet auf italienisch temperamentvoll durcheinander. Ein älterer Herr versucht nun auch, Fotos zu machen, weiß aber nicht, wie die Kamera funktioniert, ein junger Mann läuft zu ihm und erklärt. Der ältere Herr schüttelt ihn ab, versucht aufs Neue ein Foto zu machen und die anderen lachen und feuern ihn an. Der Kutscher setzt sich mit ernster Miene auf den Bock, aber die Zurufe sorgen dafür, dass er lacht und den fotografierenden Angehörigen zuwinkt. Er erhält Applaus und man sieht ihm an, dass ihm die Sache ebenfalls Spaß macht. Es ist eine so schöne Stimmung, dass ich meine Freude daran habe, zuzuschauen. So warte ich, bis sich die Kutsche in Bewegung setzt, wendet und über die Münsterbrücke entschwindet. Viel Glück, Euch beiden.





                              Ich gehe nun auch über die Münsterbrücke und entdecke auf der anderen Seite der Limmat Schilder, die erklären, dass die Fahnen am Limmatquai die Zunftabzeichen darstellen (von links nach rechts): Zunft zum Schmiden (Huf-, Gold- und Silberschmieden), Zunft zur Weggen (Müller und Bäcker), Vereinigte Zünfte zur Gerwe und zur Schumachern (Rotgerber, Weißgerber, Pergamenter und die Schuhmacher), Zunft zum Widder (Metzger und Viehhändler), Zunft zur Zimmerleuten (Zimmerleute, Maurer, Wagner, Drechsler, Holzküfer und Fassbinder). Am Zunfthaus zur Haue hängt die Fahne der Zunft zum Kämbel, in der die Kleinhändler vertreten waren oder sind (Gartner (Gemüse- und Obstverkäufer), Öler und Grempler (Gewerbetreibende und Kleinhändler). Und wieder ein schöner Blick über die Limmat. Auf dem Gasthaus „Zum Storchen“ steht eine Storchfigur.





                              Das Rathaus Zürich. Es ist freischwebend über die Limmat gebaut worden und kann daher vom Schiff aus betreten werden. Zwischen 1694 und 1698 gebaut, tagen heute der Kantonsrat, der Gemeinderat und kirchliche Gremien (ev.-reformiert und röm.-katholisch) in dem Gebäude. Als ich weitergehe, entdecke ich einen Wochenmarkt.





                              An der Mauer, von der aus ich gestern auf die Limmat geschaut habe, haben sich die ersten Touristen versammelt.








                              Immer noch ist es viel zu früh. Ich könnte jetzt den Zug um 10.00 Uhr nehmen. Aber es gibt keinen Grund zur Eile. Der Morgen ist viel zu schön. So lasse ich mir Zeit, auch wenn der Bahnhof bereits in Sichtnähe ist.





                              Ich gehe um den Bahnhof herum, mache erneut ein Foto von seiner repräsentativen Vorderfront und setze mich dann in der Bahnhofstraße auf eine Bank und schaue den Menschen zu.





                              Die meisten Menschen sind in Bewegung, und ich vermute, dass viele von ihnen Urlauber oder Wochenendurlauber sind. Ein Junge mit einem Maikäferkoffer eilt die Straße entlang, und seine Eltern sind in heller Aufregung, weil sie befürchten, dass er ihnen davon läuft. Sie rufen ihn zurück und reden ein ernstes Wort mit ihm, aber er versteht das Problem nicht. Er weiß genau, wohin die Familie jetzt muss und eilt weiter.
                              Touristen mit Rollkoffern queren die Straßenbahngleise, aber es sind auch viele Menschen ohne Gepäck unterwegs. Einige sind in Eile, andere schlendern und schauen sich die Geschäfte an. Die Stimmung gefällt mir und es wird am Abend ein kleiner Kulturschock sein, als ich auf dem Hamburger Hauptbahnhof ankomme. Ich sehe große Menschen, kleine Menschen, alte Menschen und junge Menschen und keiner gleicht dem anderen. Die Vielfalt der Natur.





                              Nach einiger Zeit betrete ich den Bahnhof und gehe ich in Richtung Gleise. An dem Gleis, an dem mein Zug abfahren wird, steht der TGV nach Paris und ich denke „Paris. Urlaub müsste man haben.“ In der Nähe stehen rotgekleidete Menschen und erst denke ich, es sind Bahnbeamte, aber es werden immer mehr. Man begrüßt sich, diskutiert, Kinder laufen herum, und ich stutze. Findet hier gleich eine Demonstration statt?
                              Ich trete näher und sehe, dass ein Mann Fahnen verteilt. Unia steht darauf, wobei das „i“ wie eine 1 mit einem Punkt geschrieben wird. Ich versuche, heraus zu finden, was für Demonstranten das sind und wogegen sie demonstrieren, aber das ist gar nicht so einfach. Viele tragen Straßenkleidung. Transparente sehe ich keine. Ich entdecke, dass einige Demonstranten T-Shirts mit dem Aufdruck „Mindestlohn“ anhaben, während weitere Schriftzüge Ausländerpolitik und Asylgesetz thematisieren. Auch Rente, Managergehälter, Abzocke und 24 Stunden Arbeitstag scheinen ein Thema zu sein. Ein Mann mit einem Mikrofon kommt in meine Nähe, und ich bitte ihn, von seinem T-Shirt ein Foto machen zu dürfen. Er reißt seine Jacke auf, und ich mache ein Foto von dem Aufdruck, aber das ist ihm nicht genug. Er besteht darauf, dass ich auch sein Gesicht fotografiere. Na denn. Ich frage ihn, wofür sie demonstrieren, und er antwortet: „Wir sind für vieles!“. Eine Frau verteilt rote Kappen an die Umstehenden, und auch ich bekomme eine in die Hand gedrückt. Später erfahre ich, dass Unia eine Gewerkschaft ist, und ein Schweizer Ehepaar, das ich in Hamburg treffen werde, wird lachen, als ich frage, wofür oder wogegen die Gewerkschaftler demonstriert haben. „Das weiß niemand so genau“, sagen sie, und erklären, dass die meisten Mitglieder wohl den deutschen Grünen entsprechen würden. Ob diese Einschätzung richtig ist, weiß ich leider nicht. Im Internet werde ich später lesen, dass die Gruppe an diesem Morgen zu einer gesamtschweizerischen Demonstration nach Bern gefahren ist.


                              Ich verlasse die Demonstranten, suche den Wagenstandsanzeiger am Gleis und rollere zu dem Abschnitt, an dem der von mir reservierte Waggon halten wird. Eine Durchsage ertönt: „Der Zug nach Bern, der für die Gewerkschaftler reserviert ist, steht abfahrbereit an Gleis 16. Wir wünschen allen Fahrgästen eine angenehme Fahrt“. Ich muss lächeln. Da scheint jemand solidarisch zu sein. Hinter dem Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis sieht man Menschen mit Fahnen auftauchen.





                              Der TGV setzt sich in Bewegung und mein Zug wird angezeigt.





                              Wieder kommt die Durchsage, dass der Zug nach Bern abfahrbereit ist. Wieder sieht man hinter der Scheibe des Zuges auf dem gegenüberliegenden Gleises Menschengruppen mit Fahnen. Ein Sprechchor erschallt „Auf – die - internationale Solidarität“. Ich ertappe mich dabei, dass ich den Text lautlos mitspreche. Musik erschallt und man hört, dass eine Musikanlage auf ihre Funktion überprüft wird. Sie muss wohl auch mit. Kurz wird sie ausgestellt und dann wieder angestellt. Bald kommt sie näher.

                              Und während aus blechernen Lautsprechern weithin hörbar „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht. Die Internationale: Erkämpft das Menschenrecht“ schallt, fährt der ICE 72 von Zürich nach Hamburg-Altona langsam in den Züricher Hauptbahnhof ein.


                              Was für eine Reise!


                              Zuletzt geändert von Torres; 17.10.2013, 20:52.
                              Oha.
                              (Norddeutsche Panikattacke)

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