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    #21
    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

    Interessant! Muss nicht immer Fahrrad sein Danke für den Bericht!
    Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

    Gruß, Wi grenzenlos

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    • Torres
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      • Meine Reisen

      #22
      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

      10.09.2013 Roma


      In der Nacht habe ich mäßig geschlafen. China ist gegen halb vier morgens abgereist – nicht ohne eine Stunde lang herum zu rascheln, ein paar Mal die Leiter vom Bett geräuschvoll hoch- und runterzuklettern, mit der Taschenlampe anderen ins Gesicht zu leuchten und ein paar Mal die Tür zu zu knallen. Taiwan entschwindet dagegen gegen 5 Uhr geräuschlos. Australien hat für heute eine Busfahrt nach Neapel gebucht und gestern noch erzählt, dass der Bus in Neapel keinen Stopp einlegen wird, weil das zu gefährlich ist. Immerhin gibt es dort viel Kriminalität und eine gewisse Organisation hat dort die Strukturen fest im Griff. Zielort des Busses ist daher Pompeij. Upps. Eigentlich hatte ich Napoli fest eingeplant.

      Am Frühstückstisch recherchiere ich auf wikitravel. Die Sicherheitslage ist tatsächlich nicht gut, aber wenn man etwas vorsichtig ist und den Neapolitanern vorurteilsfrei begegnet, kann man sich dort wohlfühlen. Die Autoren empfehlen bed and breakfast, das man aber nur vor Ort buchen kann oder als günstige Alternative das Hotel San Giorgio in der Nähe des Bahnhofs. Die Jugendherberge befindet sich in Hafennähe etwas außerhalb und ist nicht so gut zu erreichen. Ich schaue nach Campingplätzen, aber der nächste Platz befindet sich in Sorrentino. Der Ort ist zwar mit der Vorortbahn zu erreichen, aber so ganz zufrieden stellen mich die Beschreibungen nicht.
      Aber mich plagen noch andere Sorgen. Neapel ist eigentlich ein Umweg. Wenn ich zwei Tage für Neapel einplane, muss ich mich sputen, um nach Kroatien zu kommen. Griechenland ist keine Option. Die Fährfahrt dauert lange und die Bahnverbindungen zu unberechenbar. Am besten wäre es wohl, über Venedig zu fahren. Laut Karte ist Venedig gar nicht weit von Kroatien entfernt und es gibt dort auf den vorgelagerten Inseln Campingplätze.

      Draußen nieselt es, und ich beschließe, heute mal einen Ruhetag ein zu legen. Ich brauche Urlaub vom Urlaub. Auf dem Stadtplan sehe ich den Park der Villa Borghese, und ich entscheide mich, ihn an zu steuern und dort etwas Ruhe zu finden. Als ich das Hostel verlasse, scheint schon wieder die Sonne. Ich rollere Richtung Bahnhof und da fällt mir ein, dass ich mir noch eine Reservierung für morgen holen muss. Wieder stehe ich gut eine Stunde in der Warteschlange, aber ich bin ganz ruhig. Hilft ja nichts. Als ich dran bin, erhalte ich für 10.00 Euro eine Reservierung für den Highspeed-Train nach Napoli. Spontan buche ich auch noch Venedig. Die Reservierung kostet 3.50 Euro. Ich habe die Wahl zwischen einem Zug um 8.12 Uhr oder gegen 14.00 Uhr. Ich wähle 8.00 Uhr, aber irgendwie kommt mir die Sache spanisch vor. Fast jede Stunde fährt ein Zug nach Venedig, das hatte ich meinen Interrail-Planer entnommen. Ich frage extra nach, ob das schnelle Züge sind, und sie nickt. Ganz überzeugt bin ich nicht, aber da ich kein Internet habe, nehme ich die Reservierung mit. Ich kann es mir ja immer noch anders überlegen. Am Abend werde ich sehen, dass es tatsächlich kein Highspeedtrain ist, sondern ein schneller IC, der allerdings fast 3 Stunden länger braucht. In meiner Interrail-App ist er nicht aufgeführt. Nun ja, wer weiß, wofür das gut ist. Vielleicht ist das Schicksal.

      Mit den Reservierungen in der Tasche rollere ich los. Es ist bereits nach 11.00 Uhr. Ich entscheide mich, die Straße zu fahren, zu der mich mein Navi bei der Ankunft gelenkt hat. Diesmal biege ich links ab und komme an öffentlichen Gebäuden vorbei. Unter einem Schild „DHL Service Point“ erklärt ein älterer Herr einer jungen Dame den Stadtplan. Das wäre eine gute Werbung. Die Straße ist eine Hauptstraße und mit Behindertenzugängen versehen. Die gibt es in Rom öfter und die sind für das Rollerfahren sehr praktisch. Es sind in Asphalt eingelassene kleine Rampen. An einer Hauswand hängt in Lebensgröße ein Plakat von Armani. Es passt perfekt zur Umgebung.

      Für einen kurzen Moment verliere ich die Orientierung, und merke kurz darauf, dass ich meinen Weg korrigieren muss. Ich rollere an einem Bürohaus vorbei und rechts von mir steht mal wieder altes Gerümpel herum – eingezäunt. Ein Italiener spricht mich an, als ich ein Foto mache und erklärt mir, dass der Tempel des Diokletian ein Stück weiter weg ist. Ich bedanke mich, aber da wollte ich gar nicht hin.

      Vor mir ist auch wieder irgendein altes Gerümpel, und ich will ein Foto machen, aber zwei überbreite Engländer, die auf ihre Frauen warten, versperren den Weg. Vor dem Gerümpel ist ein Hof ,und ich rollere hinein, um ein Foto ohne Engländer zu machen. Dann sind die Engländer weg und ich mache doch noch ein Foto. Der Innenhof ist hübsch und ich sehe sogar eine Tafel: „Basilica Santa Maria degli Angeli dei Martiri“. Darunter steht „450 anniversario“. Vielleicht eine Kirche? Ich setze mich auf einen Stein und trinke erst einmal Mineralwasser. Ameisen krabbeln über den Hof. Die Tür ist offen, und ich denke, ich könnte ja mal schauen, was das für eine Kirche ist. Als ich mich der Treppe mit dem Roller nähere, schaut mich ein Italiener strafend an. Okay. Ich schließe den Roller an der Treppe an. Im Eingang steht eine Figur und dann kommt ein Raum mit Tafeln, welche wohl die Ruine erklären. Ich will schon wieder gehen, da sehe ich, dass es hinter den Tafeln einen weiteren Raum geht.

      Und stehe mitten in einer traumschönen Kirche. Nicht ganz so imposant wie der Petersdom, aber ebenfalls atemberaubend. Die Konzeption der Kirche ist ein Projekt von Michelangelo und ein Teil der Decke ist unbemalt. Es stellt mich zufrieden, dass die Schilder die Bauform damit erklären, dass der Eindruck eines Zeltes entstehen sollte :-)
      Die Kirche wird nur von wenigen Menschen besucht und so kann man sich viel intensiver in die Details vertiefen. Einige Altäre sind wunderschön, und moderne Skuplturen gehen eine gute Verbindung mit der jahrhundertealten Kunst ein. Besonderer Höhepunkt ist die Sonnenuhr mit einem Meridian, der quer durch die Kirche verläuft. Auch eine Bronze, die das Pendel von Galileo darstellt (Guiseppe Gallo, Felice Farina, 2008) fasziniert oder der Kopf von Johannes der Täufer (Igor Mitoraj, 2006). Natürlich mache ich Bilder, da ich aber nicht weiß, ob ich die hier veröffentlichen darf, hier ein Link zu der Kirche. http://de.wikipedia.org/wiki/Santa_M..._e_dei_Martiri

      Eine Marienfigur rührt mich an und ich denke an Werner (Cervantes). Morgen ist sein Todestag. Ich gehe zu dem Altar nebenan und zünde ein Licht für ihn an. Hoffentlich geht es ihm gut, wo er jetzt ist.





      Nachdenklich verlasse ich die Basilica. Nun will ich doch noch einen Blick auf die Therme des Diokletian werden, auf deren Ruinen die Kirche erbaut wurde. Als ich um die Ecke biege, macht ein Obdachloser mit Fahrrad an einer Mülltonne Essensrecycling. Flink packt er eine mitgebrachte Mülltüte aus und trennt in professioneller Geschwindigkeit Essbares (Brot) von nicht Essbaren. Dann stehe ich vor dem gesuchten Gebäude und entdecke, dass hier das Nationalmuseum untergebracht ist. Ich umrunde die Anlage weiter und stoße auf einen Kiosk, der gleichzeitig Ferrari Fan-shop ist. Ich entscheide mich, einen Ferrariaufkleber für meinen Roller zu erwerben, aber leider muss man mehrere Aufkleber zu einem entsprechenden Preis abnehmen. Das ist mir dann doch zuviel.

      Am Haupteingang des Museums betrete ich die Zufahrt, um den durch Bäume verborgenen Teil zu fotografieren. Ein Pförtner, der in einem Häuschen sitzt, macht mir unmissverständlich klar, dass der Roller draußen bleiben muss. Ich versuche zu diskutieren – immerhin stehen an der Zufahrt auch Autos – aber mangels ausreichender Italienisch Kenntnisse stehe ich auf verlorenem Posten. Ich wende und dann bekomme ich mal wieder einen Hormonschub, drehe wieder um, werfe den Roller wie ein trotziges Kind auf den Rasen und laufe los, das Foto zu machen. Als ich zurück komme, sehe ich einen anderen Mitarbeiter in der Einfahrt, der mich anlacht und mir irgendetwas zuruft. Ich vermute, dass diese Geste dazu geführt hat, den beiden klar zu machen, dass das ein Roller und kein Fahrrad ist. Auch der Sicherheitsbeamte, der mittlerweile telefoniert, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Grummelnd, aber dennoch aufrechten Hauptes, entferne ich mich. Ein Stück weiter ist der Haupteingang der Basilica, die ich vorhin besucht habe, aber auch er wirkt eher schmucklos.

      Es fängt wieder an zu regnen, und ich merke, dass mir die Lust auf Park vergangen ist. Ich bin immer noch in der Nähe des Hauptbahnhofes und dem Park kein Stück näher gekommen. Links von mir ist ein Brunnen, und ich suche eine Möglichkeit, auf die andere Straßenseite zu kommen. Es handelt sich um den Platz der Republik (Piazza del Republica). Ich nehme die erste Hürde und stoße auf eine lange Reihe Buden, in denen gebrauchte Bücher verkauft werden. Leider sind die Bücher auf italienisch, sonst hätte ich vermutlich ein paar Stunden hier geschmökert. Wieder überquere ich die Straße und befinde mich am Piazza del Cinquecento, an dem auch der Palazzo Massimo alle Terme steht. Es wird auf Ausstellungen hingewiesen.

      Ich biege in mein Viertel ein. Eine Straßenbahn rattert vorbei. Ein Obdachloser sitzt vor einem Fastfoodrestaurant und stopft sich wahllos die Essensreste aus dem davorstehenden Mülleimer in den Mund. Ich bin müde und lege mich ein wenig auf das Bett. Wieder recherchiere ich nach Übernachtungsmöglichkeiten in Neapel, aber schlauer macht mich das nicht. Ich muss morgen spontan schauen, was sich ergibt.



      Aber lange halte ich es im Zimmer nicht aus. Verdammt, nun war ich in Rom und haben den Trevi Brunnen nicht gesehen. Das geht gar nicht. Ich schaue auf den Stadtplan, wo er ist. Okay, das kann ich mir merken. So starte ich ohne Stadtplan.

      Am Anfang geht auch alles gut, aber irgendwo biege ich falsch ab. Was soll man auch machen, wenn man ständig über Fotomotive stolpert, die einen vom Weg ablenken. Immerhin finde ich irgendwann ein Straßenschild: Ich bin in der Via Quirinale. Das nutzt mir aber nicht viel, denn ich habe ja keinen Stadtplan dabei. Offizielle Gebäude säumen den Weg und in einer Einfahrt steht nicht nur ein Mann in einer geknöpften Uniform, dessen Hosen wie Reithosen aussehen, sondern auch ein Wachsoldat mit glänzendem Helm. Ich bin beeindruckt. Das Foto veröffentliche ich aber nicht.





      Wieder eine Kirche, die Chiesa Di Sant´Andrea Al Quirinale. http://de.wikipedia.org/wiki/Sant%E2...a_al_Quirinale. Besichtigen tue ich sie nicht. Ein Park schließt sich an, aber der Eingang ist verschlossen. Ich hätte ihn gerne besichtigt. Dann komme ich an eine merkwürdige Kreuzung. An jeder Ecke ist ein Brunnen. Arno, Tiber, Diana und Juno. http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Vier_Brunnen. Da an der Kreuzung viel Verkehr ist, fotografiere ich sie einzeln. Hier sind nun auch wieder Touristen und ich frage ein englisches Ehepaar nach dem Weg. Es weiß das auch nicht so genau, aber ein Blick auf ihre Karte lässt mich die Orientierung wieder gewinnen. Ich bin ziemlich stark vom Weg abgekommen, aber so groß ist Rom ja nicht :-). Wieder komme ich an einem imposanten Museum vorbei. Und dann geschieht ein Wunder: Ich finde einen Wegweiser! Jetzt kann nichts mehr passieren!





      Die Dichte an Touristen nimmt zu, und dann weiß ich nicht, was lauter ist: Das Rauschen des Wassers oder das Rauschen der Worte. Der Brunnen ist aus meiner Sicht gelungener Kitsch, aber die Atmosphäre ist wieder wunderbar. Lange halte ich es dennoch dort nicht aus und laufe Richtung Hauptbahnhof. In den Gassen finden sich kleine Restaurants, deren Speisekarte hohe Kochkunst verspricht, kleine Läden und gehobene Souvenirshops. Ein schönes Viertel hier. Ein Feinkostgeschäft zeigt seine Auslagen ,und ich bin froh, dass lina nicht dabei ist. Ich wette, sie hätte hier stundenlang eingekauft und den Ladenbesitzer in ein Fachgespräch verwickelt :-) (nicht hauen, bitte!).





      Als ich zurück in mein Viertel komme, wähle ich ein anderes Restaurant, das vor allem von Italienern besucht wird. Aber die Preise für die köstlichen Kleinigkeiten (in Italien isst man ja mehrere Gänge: 1. Vorgang, 2. Vorgang, Hauptgang, Dessert) übersteigen mein Budget. So begnüge ich mich mit einer Vorspeise: Spaghetti. Und schaue neidisch auf die Teller meiner Nachbarn, die sich an der echten italienischen Küche erfreuen.

      Mein letzter Tag in Rom. Noch viel gäbe es hier zu entdecken. Aber diese zwei Tage waren genau richtig. Morgen will ich weiter. Langsam schlendere ich zurück. Ein Laden, der die letzten Tage noch renoviert wurde, ist plötzlich voller Schmuck und Asiatinnen zeichnen die Preise aus. Ich gebe der ODS – Hotline meine Position durch und erzähle, dass ich morgen nach Neapel fahre. Dort soll es gefährlich sein und ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee ist. Ich bekomme zur Antwort: „Neapel, wie spannend. Das wird bestimmt großartig“. Na dann....
      Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2013, 23:16.
      Oha.
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        #23
        AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

        <- gespannt auf die Fortsetzung wartet


        Ich habe schon öfters bei dir was von ODS Hotline gelesen. Ist das blos nen Insider oder gibbet sowas hier?
        Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich bin in Euch und geh’ durch Eure Träume. (Michelangelo)
        Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen. (Albert Schweitzer)

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          #24
          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

          Zitat von changes Beitrag anzeigen
          <- gespannt auf die Fortsetzung wartet


          Ich habe schon öfters bei dir was von ODS Hotline gelesen. Ist das blos nen Insider oder gibbet sowas hier?

          Nein, das ist ein Insider. Es ist halt jemand, der auch bei ODS ist und dem ich immer meine Position durchgebe und der auch so nett ist, mal für mich etwas zu recherchieren, wenn ich kein Internet habe. Sozusagen das backup an Land. Das hat sich bei meiner ersten Wintertour so entwickelt und ist dann beibehalten worden. Besser, als die Familie zu verunsichern, die nicht weiß, worum es geht.

          Danke übrigens mal dafür, liebe ODS Hotline.
          Oha.
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            #25
            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

            11.09. (-12.09.) 2013 Napoli (Neapel, Naples)

            Am Morgen bin ich früh wach. Ein letztes Mal Frühstück ("Good morning. How many slices do you want? Ham and Cheese? Have a nice day" – wie lebt man, wenn man jeden Tag 50 oder 100 Mal im gleichen asiatisch singenden Tonfall die gleichen Sätze sagt?) und dann rollere ich mein Gepäck zum Bahnhof. Ich bin viel zu früh und mein Zug ist noch nicht angekündigt. So setze ich mich ein wenig hin – am Bahnsteig sind in den Pfeilern Ausbuchtungen, denn Bänke sucht man im Eingangsbereich vergebens – und schaue den Leuten zu. Es sind viele Geschäftsleute dabei, aber es ist ein Fluss von Menschen und alle wirken entspannt. Die unterschwellige Aggressivität, die man bei uns oft spürt, fehlt. Eine Mentalitätssache?
            Schon vorgestern, als ich durch Rom rollerte, hatte ich mich gefragt, wo eigentlich die Italiener meiner Kindheit geblieben sind? Immer waren sie fröhlich, gut gelaunt, besaßen unglaubliches komödiantisches Talent, sangen gerne und waren immer zu einem Spaß zu haben. Wer schwarze Haare hatte und ein bisschen italienisch aussah, bekam immer ein wenig mehr Eis als die anderen und das Eis wurde nicht in Kugeln serviert, sondern mit einem Schaber in runde, essbare Becher gestrichen. Wenn eine Fußballweltmeisterschaft anstand, ging man zum Italiener. Es war völlig egal, ob Deutschland gewann oder Italien oder irgendeine andere Mannschaft spielte, jedes Tor der bevorzugten Mannschaft wurde bejubelt und jedes Gegentor führte zu dramatischen Leiden und wenn im direkten Vergleich Deutschland gewann, war man für Deutschland und wenn Italien gewann, war man für Italien. Am Ende war alles nur ein Spiel und man freute sich, dass es ein gutes Spiel war. Wann sind sie hier im Norden aus dem Straßenbild verschwunden? Und haben die meisten der ursprünglich italienischen Eislokale und Restaurants an Deutsche, Inder oder Pakistani übergeben? Oder wurden einige von ihnen einfach Deutsche?

            Mein Zug soll um 10.10 Uhr fahren, doch ich habe noch keine Zuordnung zu einem Bahnsteig. Ich frage einen Bahnbeamten, auf welchen Bahnsteig ich muss (Binari), und er erklärt, dass sich das erst 15 Minuten vor Einfahrt herausstellt. Endlich begreife ich das System und verstehe, warum so viele Leute vor den Schautaufeln im Eingang stehen. Einen Moment überlege ich, was wäre, wenn die deutsche Bahn dieses System einführen würde. Sicherlich wäre sie damit flexibler, vor allem in Kopfbahnhöfen, aber den Proteststurm kann ich mir lebhaft ausmalen. Als ich den Bahnsteig weiß, rollere ich vor. Statt der Abschnitte A B C D stehen am Bahnsteig Nummern, welche die Waggons bezeichnen. Mein Waggon ist relativ weit hinten und so habe ich etwas Weg vor mir. Dann packe ich wieder den Roller ein. Der Zug kommt etwas verspätet kurz vor 10 Uhr und ich steige ein.

            Der Wagen ist so gut wie leer, nur 4 junge Frauen in Sommerkleidung und mit nichts an Gepäck als einem Handtäschchen sitzen im vorderen Bereich. Eine sitzt auf dem von mir per Reservierung zugeteilten Platz, schaut eine Sekunde verwundert, als ich neben ihr stehe, springt aber sofort auf, als ich die Reservierung zeige. Ich glaube, zu hören, dass sie spanisch sprechen und verorte sie als Südamerikanerinnen.
            Ein junger Mann betritt das Abteil und auf Englisch fragen sie ihn, ob die Basilica in Naples in der Innenstadt sei. Er schaut etwas irritiert und fragt noch einmal nach. Ja, ob die große Basilica von Naples in town centre sei. Er stutzt und sagt langsam auf englisch, dass Neapel keine große Basilica hat, da müsse man schon etwas weiter fahren. Doch, doch, hüpfen die Frauen auf ihrem Sitz herum, da gibt es eine große Basilica. Ich mische mich jetzt auch ein und sage, dass ich nichts von einer großen Basilica in Neapel gelesen habe. Rom hat eine große Basilica, aber nicht Neapel. Nein, sagt die Wortführerin, wir wollen nicht nach Rom, sondern nach Neapel, das steht auf unserem Ticket und man hat uns gesagt, dass in Neapel eine große Basilica sei. In einem Moment spiritueller gesteuerter Eingebung, frage ich sie, ob sie mir das Ticket mal zeigen kann. Auf dem Ticket steht als Ziel „Roma Termini“. Das sage ich ihr. Da steht Rom. Ihr müsst hier raus. Die Basilica ist hier, in Rome. Die erste der Frauen will schon hochspringen, doch die Wortführerin sagt, nein, wir wollen nach Napoli und auf dem Ticket steht schließlich Napoli drauf. Tatsächlich hat jemand mit Kugelschreiber „7 Napoli“ geschrieben. Aber eingedruckt steht Rom, moniere ich schwach und gebe das Ticket zurück (der Schaffner hat vermutlich Gleis und Zugziel darauf geschrieben, damit sich die Damen nicht verirren...). Ich werde nicht gehört. Die Damen bleiben frohen Mutes sitzen. Vertraulich schaut mich das Mädel, das schon aufspringen wollte, an und sagt mit leuchtenden Augen „We want to see the Pope“.
            „Klick“, macht es bei mir und mit hellsichtiger Klarheit weiß ich, dass der Zug jede Sekunde los fahren wird, da er schon über der Zeit ist und ich werde laut: „Go out, the Pope is here, go out“. Das wirkt. Die Mädels springen augenblicklich auf, die Wortführerin ruft „Thank you“, rennt zur Tür, die Tür öffnet sich tatsächlich noch und sie springt raus. Zwei andere hinterher. Die Türen beginnen sich schon zu schließen, aber auch die letzte kommt noch raus, anscheinend hat sie der Zugführer gesehen, und dann schließen sich die Türen endgültig, und der Zug fährt los. Das war Sekundensache. Kurz sehe ich noch die Wortführerin, wie sie unbeeindruckt auf die anderen einredet und nach jemandem Ausschau hält, den sie jetzt fragen kann. Gingen die Fenster auf, würde ich ihr „Metro, Statione Ottaviano“ nachrufen, aber das wird sie wohl selbst herausfinden. Puhhh. Mein Adrenalinspiegel muss sich erst einmal beruhigen und ich denke nur, wie glücklich ich wäre, wenn ich so schmerzfrei und unbedarft durchs Leben gehen könnte.

            Die Fahrt nach Napoli ist kurz, knapp eine Stunde. Ich habe mich mittlerweile für das Hotel San Giorgio entschieden, denn wenn der nächste Zug kurz nach acht fährt, möchte ich in der Nähe des Bahnhofes wohnen und nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sein. Ich kann nicht einschätzen, wie weit es vom Hostel zum Bahnhof ist. Als ich aussteige, erwarte ich Gewusel, Taschendiebe und Menschen mit Koffern, die den Weg versperren (kurz: Den Hamburger Hauptbahnhof), aber nichts dergleichen ist zu sehen. Alles ordentlich, sauber und Menschen, die hier nicht hergehören, scheint der Eintritt verwehrt zu sein. Auch der Bahnhof überrascht mich, er ist neu und attraktiv. Es sind erheblich weniger Menschen hier, als in Rom. In der Vorhalle befinden sich kleine Geschäfte und die Beschilderung ist exzellent. Gut gekleidete Männer mit Schildern der Hotels oder Namen von Reisenden stehen herum und suchen ihre Gäste. Sollte Neapel ganz anders sein, wie in den Zeitungen beschrieben?

            Als ich den Bahnhof verlassen, trifft mich die Realität mit voller Härte. Es ist sehr heiß und vor der Tür ist das vermisste Gewusel. Männer preisen irgendetwas an – Hotel, Taxi? Keine Ahnung - und ich bin froh, aus einer Großstadt zu kommen und die körpersprachlichen Strategien zu beherrschen, mit denen man Desinteresse zeigt. Ich schalte das Navi an und es zeigt mir eine merkwürdige Straßenführung, aber ich verstehe, dass ich geradeaus muss. Der Bahnhofsvorplatz ist eine riesige Baustelle und das Navi lenkt mich zur Straße rechts davon. Die Straße besteht aus einer schmalen Bahn für Autos (Taxis) und einem davon abgegrenzten breiten Bürgersteig, der voller Menschen ist. Ich schließe mich einem Ehepaar mit Rollkoffern an, um mich nicht so alleine zu fühlen. Den Roller zu nutzen, ist hier kaum möglich. Auf der rechten Seite des Fußweges sind kleine Geschäfte und auf der linken Seite Buden, in denen Souvenirs verkauft werden. In der Mitte des Fußweges stehen Italiener, Afrikaner und Araber, sie unterhalten sich familiär und lebhaft, gehen aber sofort respektvoll zur Seite, wenn jemand durch will - nicht ohne einen kurzen interessierten Blick auf meinen Roller zu werfen. Roller scheint man hier nicht zu kennen. Ich bin schon bald erstaunt, wie rücksichtsvoll und gut erzogen man hier ist, bei uns hätte ich mich nur mit Gewalt durchschlängeln können.

            Als ich an der nächsten Kreuzung ankomme, will ich einfach nur noch nach Hause. Ich befinde mich an der Piazza Garibaldi, d.h. am Rande eines Platzes mit mehreren darauf zu laufenden Straßen. Autos, Motorroller und Busse, die teilweise zweispurig auf die Kreuzung zufahren, ohne dass ich ein System erkennen kann, geben ein unentwirrbares Knäuel an Verkehr. Ständig wird gehupt, es ist Stau und doch kein Stau, nichts geht voran und dennoch fließt der Verkehr, Motorroller schlängeln sich behände durch das Chaos, so dass mir fast schlecht wird, Busse nehmen ihr Vorrecht des Stärkeren in Anspruch und: Eine Fußgängerampel fehlt. Zwar gibt es für die Autos eine rote Ampel, aber das heißt noch lange nicht, dass die Fußgänger nun eine grüne Ampel vorfinden. Man muss – wenn die Autos rot haben – sein Glück versuchen. Leider hält sich kaum jemand an die rote Ampel, so dass dennoch Vorsicht geboten ist. Ich bin in Italien angekommen.

            Da ich mit meinem Gepäck keine Experimente machen will, biege ich vor der Kreuzung rechts ab, in der Hoffnung, dort später besser die Straße queren zu können. Ein Schild weist auf das Hotel San Giorgio hin und ich habe den Eindruck, ich müsse jetzt links einbiegen. Tatsächlich finde ich eine Lücke im Verkehr und und tauche in eine Nebenstraße ein. Auf dem Bürgersteig und der Straße liegt Glas und ich realisiere, dass Neapel keine Stadt für Roller ist. Wäsche hängt aus den Fenstern, die Straßen sind sehr eng, viele Menschen wohnen hier auf engem Raum und ich komme mir fremd vor. Tatsächlich ist die Bevölkerungsdichte in Neapel in einigen Stadtteilen sehr hoch. In Rom wohnen ca. 2000 Menschen auf einem qm, hier sind es ca. 8500 Menschen auf einem qm. Mit einer Million Einwohnern ist Neapel übrigens die drittgrößte Stadt Italiens (Quelle: Wikipedia). Der Straßenzustand bringt mich dazu, wieder zur Hauptstraße zurück zu wollen, zumal dem Navi zufolge das Hotel links liegen muss. Ich komme fast wieder an der Kreuzung heraus, die ich eben umgegangen habe. Und dann frage ich einfach jemanden und der Italiener zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite. Tatsächlich. Da steht es.

            Das Hotel ist verschlossen und es sieht so aus, als hätte es nicht geöffnet. Ich betätige die Klingel und augenblicklich erscheint der Portier und lässt mich samt bepacktem Roller ein. Das Hotel ist sehr gepflegt und die Gäste vor mir machen einen guten Eindruck. Ich bin angenehm überrascht. Hier werde ich bleiben. Ich buche ein Zimmer für zwei Tage. 50 Euro kostet das Zimmer, sagt er und ich nicke erleichtert. Das kann ich mir leisten. Pro Tag, setzt er warnend hinzu. Ich nicke. Das hatte ich schon richtig verstanden. Im Vergleich zur Jugendherberge München ist das völlig okay. Ich hatte mehr befürchtet. Tatsächlich kostet das Zimmer laut Anschlag an der Tür 77 Euro und das ist es auch wert. Ein Aufzug fährt mich in den 7. Stock. Das Zimmer ist klein, hat aber ein Doppelbett. In einer Nische sind Schrank und Safe und im Nebenraum ist eine moderne Dusche mit Toilette. Welch ein Luxus nach dem Hostelleben. Auf dem gleichen Stock ist ein Balkon und ich schaue mir die Dächer der Umgebung an.

            Das ist also Neapel. Die Stadt, in der die Pizza erfunden wurde, die Stadt, in der das Entreißen der Handtasche vom Motorroller aus erfunden wurde und in der die Tasche mit langem Schultergurt „erfunden“ wurde, um diese Diebstähle zu verhindern. Die Stadt, die in der deutschen Medienberichterstattung mit Kriminalität, Korruption, Drogen und Müll in Verbindung gebracht wird. Das seit seiner Zugehörigkeit zu Italien (Ende des 19. Jhs.) vom wirtschaftlich starken Norden als Stiefkind behandelt wurde, was eines der Gründe für die wirtschaftliche Rückständigkeit ist. Dessen Arbeitslosenquote bei den 15-24 jährigen fast 50 Prozent beträgt. Und in der die Menschen dennoch fröhlich sind. Das ist also Neapel. Mal schauen, was der Tag bringt.

            „Eines Tages werde ich nach Neapel zurückkehren,
            weil es meine Heimat ist, die ich liebe.
            Aber nicht, um zu singen,
            sondern um Pizza zu essen.“
            Enrico Caruso (Quelle: Wikipedia)

            Zunächst aber einmal habe ich Hunger. Ich frage an der Rezeption nach einem Restaurant und man empfiehlt mir das Restaurant La Brace. Wieder stehe ich an der Kreuzung und traue mich nicht hinrüber. Ein riesiger Afrikaner bahnt sich einen Weg durch den Verkehr und ich lerne. Man muss noch energischer als in Rom loslaufen und den Verkehr mit einer Handbewegung in die Schranken weisen. Es funktioniert. Diesmal wirken die Straßenhändler und die Herumstehenden gar nicht mehr so bedrohlich und ich kaufe Wasser in einem kleinen Laden, der rumänische Spezialitäten verkauft. Ich bin überrascht, wie günstig die Preise hier sind, gegen Hamburg ist das kein Vergleich. Nun entdecke ich auch ein unauffälliges und sicherlich sehr teures Hotel und ein bed and breakfast Schild in einer Seitenstraße. An den Buden werden BVB Schals und Schals mit dem Aufdruck Napoli VS Borussia, 18. Settembre 2013, Stadio San Paolo verkauft (Dortmund hat das CL Spiel verloren). Ob das Lizenzware ist? Mit Erstaunen stelle ich fest, dass hier die Händler und Geschäftsleute mit ganz anderem Respekt behandelt werden, als in Deutschland. Niemand stellt hier den Eingang zu oder behindert die Gewerbetreibenden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit. Auch später werde ich feststellen, dass Neapel überwiegend von Kleingewerbe geprägt wird. Im Gegensatz zu Deutschland sind kleine Geschäfte noch allgegenwärtig und viele Menschen arbeiten eben auch noch im Handel oder im Handwerk. Daher haben sie einen anderen Bezug dazu. Laut Wikipedia gibt es in Neapel 246.956 Betriebe (2005) und auf 1000 Einwohner kommen 108 Betriebe (2010). Supermarktketten oder mondäne Einkaufszentren sehe ich keine.

            Der Mann in der Touristeninformation reicht mir einen Stadtplan und zeichnet mir auf, wo das Restaurant ist. Es ist ganz in der Nähe auf der anderen Seite des Bahnhofsvorplatzes. Diesmal laufe ich auf der anderen Seite des Platzes entlang. Schülergruppen aus Deutschland kommen mir entgegen, und hier ist die Straße ruhiger. Das Restaurant ist ein nettes Straßenlokal und ich sehe dem Pizzabäcker beim Pizza backen zu. Man empfiehlt mir Nudeln mit Meeresfrüchten und ich willige ein. Es schmeckt köstlich. Mit einer Literflasche Mineralwasser zusammen zahle ich um die 12,00 Euro. Das lässt auf geringe Kaufkraft in der Stadt schließen.





            Ich studiere den Stadtplan und gehe noch einmal zur Touristeninformation, denn die Stadt erscheint mir recht weitläufig. Der Mann empfiehlt mir in Richtung Hafen den Touristenbus R 21. Er fährt an dem unübersichtlichen Kreisverkehr mit der abenteuerlichen Kreuzung ab. Ich lerne, dass es Bustickets in Zeitungskiosken und Lottoläden gibt und erwerbe ein Tagesticket. Die Preise sind verglichen mit Hamburg lächerlich, ich glaube, ich zahle 3.60 Euro, weiss das aber nicht mehr genau. Ich verfeinere meine Entschlossenheit, die Straße zu überqueren und nehme an der Piazza Garibaldi den Bus. Aus einer Recherche weiß ich, dass man sich notieren soll, wohin der Bus fährt, da die Busfahrer die Stationen nicht ansagen. Ich mache ein Foto von der Übersicht, aber es wird mir nicht helfen. Es sind nur die wichtigsten Stationen aufgeführt, und der Bus hält viel öfter als verzeichnet. Die Busfahrt ist abenteuerlich. Der Bus fährt zügig und schwankt und es ist empfehlenswert, einen Sitzplatz zu ergattern. Fast alle Fahrgäste – auch die Männer – tragen Taschen mit langem Henkel, die sie quer über die Schulter gespannt haben.

            Nach der fünften Haltestelle höre ich auf zu zählen und irgendwann steige ich einfach aus. Verdammt, wo zum Teufel bin ich? Ich laufe ein Stück nach vorne und lande an einer Kreuzung. Der Verkehr ist immer noch dicht und ein Chaos, aber komisch, das stört mich viel weniger als in Wien. Vermutlich, weil der Verkehr fließt und nicht steht. Es ist unglaublich, die Straßen sind völlig verstopft und dennoch fließt der Verkehr. Zu meiner linken ist das Kreuzfahrtterminal, vor mir ist eine durch Bauabeiten verhüllte Burg (Macchio Angioino)und oben auf dem Berg ein schlossähnliches Gebilde, das Castel San Elmo. Ich finde ein Straßenschild und weiß nun langsam, wo ich bin.





            Ich nehme den nächsten Bus und fahre zu der Haltestelle Teatro San Marco. Hinter mir ist ein großes Gebäude und ich denke, es könnte ein Einkaufszentrum sein. Weit gefehlt. Es ist eine riesige Halle (Galleria Umberto I) und ich bin beeindruckt. Hier ist sie wieder – die Weite und die Höhe. Was für eine Architektur. Zwei Paare in Hochzeitskleidung lassen sich fotografieren, ich bin mir aber nicht sicher, ob es wirklich ein Paar ist oder ob es nur Modeaufnahmen sind. Auf dem Boden – Marmor? - sind um die Mitte angeordnet Bilder aller Sternzeichen eingefügt.





            Nach einiger Zeit verlasse ich die Galerie wieder und gehe am Teatro di San Carlo vorbei.





            Ich entscheide mich, Richtung Wasser zu laufen, um ein wenig Ruhe und Natur zu finden. Die Geräusche einer Parade dringen an mein Ohr und tatsächlich ist auf dem Platz eine Parade im Gange. Es ist die Piazza del Plebiscito mit der Kirche San Francesco di Paola und hinter mir ist der Palazzo Reale. Touristen laufen dennoch über den Platz und machen Fotos. Die Parade scheint öfter stattzufinden.





            Dann komme ich an eine Straße und es sieht aus, als würde sie direkt ins Meer führen. Hier bin ich richtig. Am Ende der Straße stehen Reisebusse, aber es sind nur wenige Touristen da. Und es gibt einen wundervollen Blick auf Neapel. Malerisch liegt es in der Bucht des Golfes von Neapel und grenzt an einen ebenso malerischer Berg. Ist das der Vesuv? Er sieht so freundlich aus in seiner geschwungenen Form. Seit 1944 befindet er sich in einer Ruhephase, aber er ist immer noch ein aktiver Vulkan.








            Einen Strand gibt es hier nicht, aber immerhin einen Fahrradweg, der vor allem von Joggern für das Trainingsprogramm genutzt wird. Einer läuft wie ein krummer, nasser Schwamm und ich denke an meinen Fuß. Das erste Mal habe ich wieder die Einlagen in die Schuhe gelegt und es läuft sich gut. Das Schlimmste scheint überwunden. Vergebens suche ich nach einer öffentlichen Toilette und entscheide mich, weiter nach rechts zu gehen.
            Ein paar junge Männer baden und ein Boot voller Japaner entfernt sich aus dem kleinen Hafen. In der Ferne liegen die Hügelketten des Golfes von Neapel und vermutlich auch von Sorrentino und rechts von mir das Castel dell´Ovo, das in das Wasser hineinragt.














            Die Häuser sehen mondän aus, es scheint sich hier um ein wohlhabendes Viertel zu handeln. Für Autos ist die Promenade gesperrt. Die Polizei sorgt für Sicherheit. Ein Marmorbrunnen lacht mich an – übrigens der Brunnen der Unbefleckten Empfängnis (Fontana Imacolatella) :-) - und ich würde gerne ein sonnenbeschienenes Foto machen, aber die Sonne ist hinter Wolken entschwunden. So gehe ich weiter und bald kommt die Sonne wieder heraus. Zu spät. Ich passiere das Castel del´Oro. Die Restaurants an der Straße werben um Kundschaft, aber es sind nur wenige Menschen unterwegs. Auf den Steinen sonnen sich junge Männer, denn einen Strand gibt es auch hier keinen.

















            Die verkehrsberuhigte Zone ist zu Ende und am Wasser verläuft nun eine Hauptstraße. Ich steuere auf einen Park zu. Oben zeigt sich wieder das Castel San Elmo.
            Meine Hoffnung auf eine öffentliche Anlage wird nicht erfüllt, aber in dem Park gibt es ein Café. Unmutig gibt mir der Gastronom den Schlüssel und zum Dank kaufe ich für 2.50 ein Eis. Vanille, Joghurt Kirsch und Zitrone. Es ist heiß in Neapel, 28 Grad. Und schlagartig bin ich wieder in meine Kindheit versetzt. Dieses Zitroneneis. So muss Zitroneneis schmecken. So und nicht anders. Dieser Hauch von Zitrone, nein, das können nur die Italiener – ich korrigiere – nur die Neapolitaner. Auch die anderen Kugeln schmecken köstlich. Das beste Eis seit Jahren. Ein Mann produziert riesige Seifenblasen und Kinder spielen auf dem Kinderspielplatz.





            Ich sehe auf meinem Stadtplan, dass hier ein Bus zum Bahnhof fährt (ich glaube, es ist die 140) und stelle mich an die Bushaltestelle. Der Verkehr ist dicht, aber er fließt. Motoroller überholen die Autos rechts und links, es wird hart gebremst und manchmal sind nur Millimeter dazwischen, aber der Verkehr rollt und alles sieht elegant aus. Was für eine wunderbare Stadt. Alle Vorbehalte sind verflogen.

            Der Bus ist gut gefüllt und fährt an der Wasserkante entlang. Es ist ein wilder Ritt, und ich werde gut durchgeschüttelt. Aber die Atmosphäre ist freundlich und nach einiger Zeit bekomme ich einen Sitzplatz. Ein italienische Ehepaar fragt mich, wo ich hin will und kümmert sich rührend darum, dass ich richtig aussteige. Es weiß nicht, dass ich mich hier schon ganz gut auskenne. Der Bus stockt, man hört die Sirenen eines Rettungswagens, und ich mache Fotos von der Kirche San Maria del Carmine. An der Piazza verabschiede ich mich von meinen Begleitern und gehe Richtung Hotel. An der Ecke, neben dem arabischen Fleischgeschäft, befindet sich eine Apotheke. Seit zwei Tagen habe ich starkes Halsweh, verursacht vermutlich durch die Klimaanlagen, die nachts die Schlafzimmer herunterkühlen, und der Apotheker spricht zwar kein Englisch, weiß aber sofort, was ich benötige. Eigentlich suche ich Salbeibonbons, aber er gibt mir Halstabletten und ist sehr zufrieden, als ich bejahe. In einer Ecke sehe ich Vollkornnudeln und Bioprodukte und merke mir das vor. In einer Apotheke hätte ich derartiges niemals gesucht.
            Ich lege mich in das kühle Zimmer und ruhe ein wenig aus. Dann mache ich mich auf die Suche nach einem Supermarkt. Wieder gehe ich zur Piazza Garibaldi und das erste Mal nehme ich wahr, dass man hinter dem Bahnhof den Vesuv sehen kann. Ich biege in die Parallelstraße ein. Die Straße ist breit und voller Geschäfte. Hier bekommt man auch Luxuswaren, aber die großen Ketten fehlen. Langsam setzt die Dämmerung ein und ich entscheide, nicht mehr zu weit zu gehen. Ich weiß nicht, wie sicher Napoli in der Nacht ist. Ich biege in eine sehr enge Seitenstraße ein und nach einiger Zeit trifft ein kleiner Kulturschock. Es sind viele Menschen auf der Straße, alle kennen sich irgendwie und auch hier ist Stau. Müllbeutel liegen an der Straße, es wird laut gestikuliert und drei Jungen, die ich auf 12 Jahre schätze, fahren mit ihrem Motorroller geschickt in der Straße herum. Hier lernt man erst laufen und dann Roller fahren. Afrikanerinnen rufen auf italienisch den Umstehenden etwas zu und diese lachen. Am Straßenrand sitzen Männer oder fliegende Händler und man handelt, disputiert, begrüßt sich. Eine gut gekleidete Frau kommt mit ihrem Kind aus einem Spielzeuggeschäft und besteigt einen Roller, das Kind auf dem Schoß. Ein Supermarkt taucht auf, aber ich sehe keinen Eingang. Die Fenster sind aus Milchglas und man kann nicht in das Innere sehen. Ich möchte nicht fragen und gehe weiter. Auch Fotos zu machen, traue ich mich nicht. Das wird hier nicht gut ankommen. Einige der Menschen registrieren mich, aber es ist klar, dass ich nicht dazu gehöre und hier auch nichts zu suchen habe.





            Als ich wieder die Hauptstraße entlang gehe, an der auch das Hotel liegt, ist mein Blick geschärft. Auch hier liegt Müll auf der Straße und junge Männer lungern um die Buden herum, die Obst und Wasser verkaufen, aber irgendwie ist hier ein Zusammenhalt, den ich von zu Hause her höchstens in türkischen Vierteln kenne. Ist es Familie? Nachbarschaft? Oder der Glaube? Immer wieder wird spürbar, dass trotz der bunten Vielfalt die deutsche Beliebigkeit nicht das Straßenbild prägt. Die Reeperbahn ist da eine ganz andere Nummer, nur um mal ein Beispiel zu nennen.

            Ich gehe Richtung Apotheke und schaue noch einmal in den arabischen Laden, aber das Sortiment, das bei uns auch die türkischen Läden führen, ist nicht mein Geschmack. Ich schaue noch einmal aufmerksam die Häuserzeile an und da sehe ich meine Rettung: Unverkennbar steht in Leuchtschrift über einem Geschäft: „Sklep polski“. Ein Sklep! Ich trete ein. An der Tür steht ein Bewacher polnischer Abstammung, der den Laden bewacht, während zwei Polinnen den Laden wischen. An der Kasse sitzt ein Afrikaner. Das Sortiment ist polnisch und italienisch: Ich erwerbe die dünnen polnischen Würste, ein Ciabatta, etwas Käse, einen Fertigsalat mit Mozarelle sowie Mineralwasser und zahle dafür 6 Euro.
            Mit meiner Einkaufstüte laufe ich zum Hotel zurück und sehe, wie mich ein Mann sehr genau taxiert. Man sieht, dass das hier sein Gebiet ist. Ruhig gehe ich an ihm vorbei. Am nächsten Abend gehe ich wieder an ihm vorbei, werde aber nicht mehr beachtet. Es ist nun klar, dass ich zum Hotel gehöre. Ich gehe früh schlafen und werde gegen Mitternacht von einem knatternden Feuerwerk geweckt. Aus meinem Fenster kann ich in den gegenüberliegenden Fenstern das Leuchten sehen. Als ich mich gerade aufraffen will, zu schauen, ob ich es vom Balkon aus sehen kann, ist es schon vorbei. Am nächsten Abend wird sich das wiederholen. Als ich bei meiner Abreise den Portier frage, was denn gefeiert wurde, zuckt er mit den Schultern: „Irgendetwas wird hier immer gefeiert.“ Ich kann es nicht leugnen: Napoli gefällt mir.
            Zuletzt geändert von Torres; 26.09.2013, 06:19.
            Oha.
            (Norddeutsche Panikattacke)

            Kommentar


            • boehm22

              Lebt im Forum
              • 24.03.2002
              • 8237
              • Privat

              • Meine Reisen

              #26
              AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

              toll - ich muß mal dringend nach Neapel :-)
              Viele Grüße
              Rosi

              ---
              Follow your dreams.

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              • schneehuhn
                Gerne im Forum
                • 08.07.2005
                • 57

                • Meine Reisen

                #27
                AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                ein großartiger Bericht - und viele schöne Fotos. Danke schön!

                Gruß Anne

                Kommentar


                • Torres
                  Freak

                  Liebt das Forum
                  • 16.08.2008
                  • 30722
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                  12.09.2013 Napoli und Amalfi-Küste

                  Am nächsten Morgen frühstücke ich erst einmal – das Frühstück ist einfach, aber völlig ausreichend und der Service sehr gut – und setze mich dann an den Rechner. Ich muss mir Gedanken über mein nächstes Ziel machen. In Venedig selbst gibt es ein Hostel, doch so ganz sehe ich mich da mit Roller und Gepäck noch nicht hinkommen. Die Wegbeschreibung klingt kompliziert. Und es sind 16 Bett-Zimmer. Auf den Inseln vor Venedig sind Campingplätze, doch von dort wieder zum Zug oder nach Venedig zu kommen, ist umständlich. Am besten wäre eine Unterkunft in Venedig Mestre. Auch hier gibt es bed and breakfast, aber als ich auf einer website nach der Verfügbarkeit schauen, ist alles belegt. Immerhin ist morgen Freitag und damit Wochenende. Ich bin ratlos. Bis morgen muss mir etwas eingefallen sein.

                  Am Morgen hat es etwas geregnet und der Himmel ist bedeckt. Ich horche in mich hinein und nach Kirchenbesichtigung oder Stadtbesichtigung steht mir weniger der Sinn. So entscheide ich mich, nach Sorrento zu fahren. Sorrento ist etwas südlicher und ein Touristenort. Er ist mit einer Vorortbahn zu erreichen und war als Ziel im Gespräch, da dort ein Campinglatz ist. Theoretisch könnte ich mich dort ein wenig umgucken und dann entweder Pompei besichtigen oder am Vesuv aussteigen. Eine Wanderung am Vesuv traue ich aber meinem Fuß noch nicht zu. Bloß nicht übertreiben.

                  Ich laufe Richtung Bahnhof und fotografiere den Vesuv. Groß und eindrucksvoll steht er über dem Bahnhofsvorplatz. In einem Lottogeschäft kaufe ich einen Retour Fahrschein. Was er gekostet hat, weiß ich nicht mehr, aber ich glaube, um die 4 Euro. Ich suche den Bahnsteig 2 und finde ihn. Aber von Sorrento steht hier nichts. Dieser Bahnsteig ist auch nicht renoviert und die Regionalzüge, die hier fahren, haben wenig mit dem Fernverkehr zu tun. Ein Mann mit Sicherheitsweste steht an den Rolltreppen und mit meinem Mut zu italienisch frage ich ihn, ob hier der Zug nach Sorrento fährt. Er lächelt und verneint. Ich muss zur Circumvesuviana. Ich verstehe sofort, was den Mann überrascht und noch mehr freut. Die Schilder hatte ich gesehen, wusste nur nicht, was es damit auf sich hat. Ich verabschiede mich dankend – auf italienisch, natürlich.

                  Nun bin ich am richtigen Bahngleis und es ist relativ voll. Einige wollen natürlich Pompei anschauen, andere sind auf dem Weg zur Amalfiküste, um dort ihren Urlaub zu verbringen. Ein Familie aus Deutschland macht sich Gedanken über die Abfahrt des Zuges und ich erkläre ihnen, dass sie richtig sind. Besonders helle sind sie leider nicht und das Gespräch ist mühsam. Daher bin ich erfreut, als ein amerikanisches Ehepaar seine Fragen von einem sehr gut englisch sprechenden Italiener beantwortet bekommt, der sehr interessante Tipps gibt. So erfahre ich den Namen der Stationen und dass man den Vesuv mit dem Bus besichtigt. Er berichtet, dass er heute verschlafen hat und eigentlich schon vor zwei Stunden bei der Arbeit sein sollte. Glücklicherweise hat er Gleitzeit und muss nur zwei Stationen fahren. Zuletzt gibt er uns noch den Tipp, in welchen Waggon wir einsteigen sollen, weil man dort nämlich mit großer Sicherheit noch einen Sitzplatz bekommt. Herzlichen Dank dafür, es funktioniert nämlich.





                  Die Bahn fährt ruckelig und es dauert endlos, bis Neapel hinter uns liegt. Immer wieder schaue ich zum Vesuv, doch er ist wolkenverhangen. Viele Menschen steigen in Pompei aus, doch einen Blick auf die Altertümer erhascht man nicht. Die Amerikaner, die bisher mit ihren Koffern gestanden haben, setzen sich zu mir, denn auch ihnen wurde es zu schaukelig. Sie fahren nach Sorrento und suchen Urlaub und Erholung. Rom war ihnen zu busy. Ich kommentiere das nicht, denn ich kenne Sorrento nicht. Aber ein kleines, lauschiges Dörfchen ist es vermutlich eher nicht, denn es lebt vom Tourismus. Der Vesuv ist nun auf der anderen Seite der Bucht und man schaut von den Hügeln, die ich gestern fotografiert habe, auf Neapel. Ein Schild Basilica di Pozzano erinnert mich an die vier Damen von gestern im Zug. Ist das wirklich erst einen Tag her? Hier – gut 45 Minuten von Neapel entfernt, gibt es also eine Basilica. Aber ein Bild gelingt mir nicht, hier fährt die Bahn in einem Tunnel.


                  Als ich in Sorrento ankomme, sieht es nach Regen aus. Ich überlege, was ich mache, denn Sonne am Strand ist wohl Wunschdenken. Vor dem Bahnhof steht ein Stadtrundfahrtbus, aber da habe ich keine Lust drauf. Ich gehe ein Stück weiter und an der Kreuzung steht ein weiterer Bus. „Amalfi“ steht darauf und eine lange Schlange von Menschen steht an der Bustür. Ich erinnere mich an meinen Kollegen: „Du musst unbedingt die Amalfi-Küstenstraße fahren, das ist die schönste Straße Italiens“. Ohne es zu wollen, steuere ich auf einen Straßenstand zu, wo ein Italiener die Fahrkarten verkauft. 7.60 hin und zurück. Warum eigentlich nicht? Wie von Geisterhand gesteuert, kaufe ich eine Fahrkarte. Der nächste Bus fährt in einer halben Stunde. Ich reihe mich in die lange Schlange der Wartenden ein. Wieviele Plätze hat so ein Bus? 24? 32? Das könnte knapp werden. Der erste Bus ist voll und fährt los.

                  Nach einer halben Stunde kommt der nächste Bus, keine Sekunde eher. Aus einem Reiseführer weiß ich allerdings, dass man in Italien froh sein kann, wenn überhaupt ein Bus kommt. Trotz Fahrplan ist das in Italien nicht selbstverständlich und manchmal muss man sich vor Ort einigen. Aber irgendwie funktioniert alles immer irgendwie dann doch. Die Koffer müssen von den Fahrgästen selbst im Gepäckfach verstaut werden und der Bus füllt sich zunehmend. Leider gehöre ich zu den Fahrgästen, die keinen Sitzplatz mehr bekommen, so dass ich im Gang stehen muss. Der Bus fährt durch den Ort und angesichts des Verkehrs und des Trubels, den ich ausschnitthaft sehe, wüsste ich gerne, ob die Amerikaner dort glücklich geworden sind. Kurz darauf geht es auf die kurvenreiche Küstenstraße. Zunächst sieht man nur Bäume und Gebüsch, und es regnet nun tatsächlich, aber plötzlich hat man einen Ausblick auf die Bucht von Sorrento. Malerisch liegen zwei Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Das Wetter verschlechtert sich nun zunehmend und Wolken und Regennebel hüllen die Landschaft und Hügel um Sorrento ein. Ein Kreuz auf einem Berg weist auf eine Kirche oder einen Friedhof hin, während sich der Vesuv im Hintergrund nur erahnen lässt.











                  Der Bus hat nun eine Schleife gedreht und erreicht den Colli di Fontanelle. Man schaut noch auf Sorrento und gleichzeitig gibt der Hügel den Blick auf das Mittelmeer frei. Bald verziehen sich die tief hängenden Wolken und ich mache Bild um Bild. Freihand, natürlich, und mit dem anderen Arm an einem Griff hängend. Als hätte ich meine alte Kleinknipse mit. Ich muss feststellen, ich habe mich an meine spiegellose Spiegelreflex gewöhnt. Dann fährt der Bus Kurve um Kurve, Serpentine um Serpentine. Teilweise kann ich nur in Schräglage fotografieren und immer wieder streift der Tragegurt der Kamera die Glatze des Mannes auf dem Sitzplatz neben mir, aber er trägt es mit Fassung. Diese Gelegenheiten kann ich mir nicht entgegen lassen. Diese Küste ist wunderschön und aufgrund der erhöhten Position des Busses und der Tatsache, dass ich nicht selbst fahren muss, sieht man unglaublich viel. Irgendwann schreit mein Fuß vor Schmerzen, aber ich höre nicht auf ihn. Viele Bilder sind schief und ich muss sie im folgenden beschneiden, aber unter den Umständen bin ich überrascht, dass sie überhaupt etwas geworden sind. Wieder schraubt sich der Bus die Straße hoch, und man sieht wieder Sorrento und Neapel, aber dann entschwindet Sorrento endgültig aus dem Blickfeld. Dafür faszinieren die Li Galli Inseln. Und das Wetter wird langsam besser.





                  Die Serpentinen führen über Viadukte und die Straßen sind eng. Vor den Kurven hupt der Bus und manchmal muss er sich im Millimeterabstand an parkenden Autos verbeidrängen. An den Aussichtspunkten stehen Motorradfahrer oder Autofahrer und fotografieren. Langsam kommt Positano ins Blickfeld. Hier soll es den schönsten Strand geben. Fähren fahren von hier aus nach Amalfi, aber leider weiß ich davon nichts, sonst hätte ich mir Positano genauer angeschaut.














                  Der Busfahrer sagt „Positano“ und die ersten Fahrgäste steigen hektisch aus. Ein Ehepaar aus Deutschland fragt extra noch einmal nach, ob er Positano gesagt hat, und ich nicke. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass es die einzige Haltestelle ist, denn der Ort ist doch recht tief im Tal. Die Eheleute steigen dennoch aus und holen ihren Koffer aus dem Gepäckfach. Sicher ist sicher. Anscheinend trauen sie italienischen Busfahrern nicht. Tatsächlich hält der Bus insgesamt dreimal: Jeweils am Ortseingang und am Ortsausgang, sowie in der Mitte. Und es wird sich auf der Fahrt ebenso herausstellen, dass Positano nicht gerade klein ist. Aber mir solle es recht sein. Für mich heißt das nämlich jetzt: Ich habe einen Sitzplatz, und mein Fuß bedankt sich artig. Jetzt müssen diejenigen stehen, die in Positano zusteigen und das sind nicht wenige Fahrgäste.








                  Von einem Sitzplatz aus betrachtet, ist die Fahrt natürlich viel entspannter, und man kann auch die eine oder andere versteckte Villa sehen. Beeindruckend, was sich einige hier in die Felsen gehauen haben. Teilweise auch mit Privatstrand, der durch steile Treppen erreicht wird. Oft aber zusätzlich mit Swimmingpool. Ich vermute, dass diesen Bewohnern das eine oder andere am Straßenrand parkende Auto gehört.





                  Eine Töpfereifabrik taucht in einer Kurve auf. Es sind schöne Stücke, die gezeigt werden. Und erst hier ist Positano zu Ende.
                  Wieder ist der Ausblick grandios, nur leider spiegelt sich mein Hintermann in der Scheibe. So angenehm es ist, zu sitzen und so gut die eine Hälfte der Fotos auch wird – die andere Hälfte wird von einem karierten Hemd überdeckt, das nicht immer heraus zu schneiden ist.


                  (Im Vordergrund Haus unkenntlich gemacht.)


                  Die nächsten Ortschaften erscheinen. Vettica Maggiore mit seiner charakteristischen Kirche, das bereits zu Praiano gehört. Wir durchfahren den Tunnel grotta di diavolo und in Praiano erscheint in Wassernähe ein runder Turm, der wie der Rest einer Burg aussieht. Leider gelingt es mir nicht, ihn scharf zu fotografieren. Immer wieder sorgen die Kurven dafür, dass man einen Blick zurück auf die zerklüftete Küste werfen kann, die man eben durchfahren hat. Conca dei Marini schmiegt sich an die Felsen, und an einer Schlucht steht ein Mann mit einem kleinen, komprimierten Lastwagen auf dem Parkplatz und betrachtet das Treiben unter sich im Tal. Auf der anderen Seite des Felsens befinden sich Burgreste und Heiligenbilder aus Pappe. Das Ortsschild von Furore taucht auf und wieder einmal hält der Bus ruckelnd, während der Autoverkehr versucht, sich endlich an ihm vorbei zu schlängeln. Überholen ist hier fast unmöglich. Die Busse hupen vor jeder Kurve, um zu zeigen, dass sie kommen und die Straße verengen. Teilweise ist die Straße nur mit einem normalen Geländer gesichert und es geht sehr tief runter. Ich bin heilfroh, dass ich diese Straße nicht selbst fahren muss.





                  Ein Felsen fasziniert mich und eine Italienerin ermutigt mich, ihn zu fotografieren und sagt etwas von: Das ist die Madonna. Ich weiß immer noch nicht, ob die Bezeichnung dem menschlich aussehenden Felsen gilt oder ob sich dort ein Heiligenbild oder eine Kirche befindet.
                  Kurz darauf passieren wir ein gelbes Gebäude, auf dem Grotta della Smeraldo steht. In dieser Bucht befindet sich eine Blaue Grotte.





                  Wir passieren noch einen Ort mit Burg und Turm und dann taucht auch schon langsam Amalfi auf. Meine Kamera ist heiß gelaufen. Ich habe in der letzten Stunde ungefähr 450 Bilder gemacht und selten gewartet, bis die Kamera die Bilder verarbeitet hat, sondern gleich weiterfotografiert. Das war wohl ein wenig viel. Oder liegt es an der Hitze? Schäden trägt sie allerdings nicht davon.





                  Der Bus hält am Hafen von Amalfi und alles steigt aus. Ich schaue auf die Uhr: 1 Stunde hat die Bahn nach Sorrento gebraucht und 1,5 Stunden der Bus. Jetzt ist es halb drei. Es hilft nichts, ich muss mit dem nächsten Bus zurückfahren. Mittlerweile wird es ja schon erheblich schneller dunkel. Dass diese Entscheidung goldrichtig sein wird, weiß ich da natürlich noch nicht.








                  Ich laufe ein wenig umher und kaufe ein Zitroneneis. Auch hier wieder der wunderbare Geschmack, und ich genieße es. Dann schaue ich, wo der Bus fährt. Schilder gibt es keine. Ich frage jemanden, und er deutet auf den Platz. Auf einem der eingezeichneten Busparkplätze wird er fahren. Gut. Dann warten wir mal, was passiert. Die Traube an Menschen, die nach Sorrento will, wird größer. Es sind alle Altersstufen vertreten, die Mehrheit wird aber von Ehepaaren zwischen 50 und 60 gestellt. Ich beginne, mich zu positionieren, auch ich habe keine Lust, die Fahrt über zu stehen.

                  Ein Bus kommt und parkt an der Stelle ein, wo der Bus nach Sorrento abfahren könnte. Die Traube bewegt sich auf den Bus zu. Die Insassen steigen aus und jemand aus der Traube fragt, ob der Bus nach Sorrento fährt. Der große, stämmige Busfahrer mit Zopf, der einem irischen Pub alle Ehre machen würde, lässt das Fahrtrichtungsschild „Amalfi“ über der Frontscheibe stehen, zieht den Schlüssel ab, sagt „No“, steigt aus und schließt den Bus. Ungerührt bahnt er sich einen Weg durch die hoffnungsvoll schauende Traube, setzt sich in das gegenüberliegende Café, um eine Zigarette zu rauchen und macht seine wohlverdiente Pause. Empörung unter den Ehepaaren und ich höre grummelndes Tuscheln auf englisch, deutsch und holländisch. Ich muss lachen und stelle mir vor, diese Szene würde in Deutschland passieren. Im Geiste schreibe ich grinsend das Beschwerdeschreiben, das in unserem Land unweigerlich folgen würde – in fünffacher Ausführung an das Busunternehmen, den Ort, die Touristeninformation, den Bürgermeister und den Landrat und zur Sicherheit natürlich per e-mail.
                  Sehr geehrte Damen und Herren,
                  wir sind immer wieder gerne Gast des Ortes A. und sind regelmäßige Nutzer Ihres Busunternehmens. Dass es am Hafen von A. keine Beschilderung der Bushaltestelle gibt, daran haben wir uns bereits gewöhnt und immer Geduld gezeigt. Am x.x.2013, gegen xx.xx Uhr, wurde unsere Treue zu Ihrem Unternehmen jedoch überstrapaziert. Der Busfahrer XY beantwortete unsere Frage, ob dies der Bus nach Sorrento sei, lediglich mit einem knappen „Nein“ und entschwand, ohne uns des Blickes zu würdigen, oder uns darüber auf zu klären, wo der Bus nach Sorrento fährt. Dieses Verhalten war so unverschämt, dass meine Frau Herzbeschwerden bekam und uns die Lust verging, uns weiterhin in diesem Ort auf zu halten. Wir mussten unseren Urlaub daher abbrechen.
                  Da wir bisher immer gute Erfahrungen mit Ihrem Busunternehmen gemacht haben, möchten wir Sie auffordern, dem besagten Busfahrer sein Verhalten vor Augen zu führen. Bisher waren wir immer freundlich behandelt worden, und sein Verhalten hat einen Misston bewirkt, der uns den Urlaub verdorben hat, und uns darüber nachdenken lässt, ob wir noch einmal die Dienstleistungen Ihres Unternehmens in Anspruch nehmen und dieses auch weiterhin unseren Freunden und Bekannten empfehlen. Es sollte für Ihr Unternehmen selbstverständlich sein, dass der zahlende Kunde König ist, und die Dienstleistungsqualität im Vordergrund stehen.

                  In der Hoffnung, dass Sie umgehend eine Veränderung herbeiführen,
                  verbleibt mit hochachtungsvollen Grüßen

                  xxxxxx
                  (Ähnlichkeiten mit ähnlich lautenden Schreiben sind rein zufällig und nicht gewollt. Okay – ich gebe zu, dass ich ab und zu solche Schreiben lesen darf und mich hier etwas austoben musste )


                  Ich stelle fest, dass ich auf den Busfahrer ein bisschen neidisch bin, der ungerührt die Traube betrachtet und erstaunlicherweise auch nicht länger von den Wartenden belästigt wird. Es sieht so aus, als seien hier Mitarbeiter noch Menschen und müssten sich nicht dem Diktat der Ansprüche einer infantilisierten Gesellschaft unterwerfen, die zu jeder Zeit absolute Bedürfnisbefriedigung verlangt. Die Befürchtung, dass er vielleicht doch der Busfahrer ist und dann gar nicht mehr fährt, ist wohl höher, als das Bedürfnis, seine Aggressionen auf verbaler Ebene ungefiltert aus zu leben.
                  In dem Zusammenhang sei auch einmal erwähnt, dass die Reiseführer eindeutig klar machen, dass die an meinem Wohnort grassierende (Un)Sitte von Touristen, sich auf Treppen von Gebäuden, Kirchen, Brunnen, Bahnhöfen oder sonstigen Zugängen zu Verkehrseinrichtungen oder Geschäften nieder zu lassen und erst einmal ausgiebig das mitgebrachte Essen zu verspeisen, in Italien nicht erwünscht ist und bestraft werden kann. Es gibt ausreichend gastronomische Betriebe, bei denen man sich versorgen kann und andere haben ein Recht, die Treppen ihrem Zweck entsprechend zu benutzen. Leben und leben lassen.

                  Ein weiterer Bus kommt und ich erkenne den Busfahrer wieder, der mich auf der Hinfahrt gefahren hat. Das wird der richtige Bus sein und ich gehe in seine Richtung. Die Traube teilt sich in die Fahrgäste nach Salerno und die Fahrgäste nach Sorrento. Auch dieser Fahrer stellt sein Schild nicht um, nachdem er eingeparkt hat, und als er die Tür öffnet, um die Fahrgäste ein zu lassen, frage selbst ich einen Italiener hinter mir, ob das der Bus nach Sorrento ist. Er nickt, und als ich lachend den Kopf schüttele, sagt er in singendem Tonfall: „Das ist Italien“ und zuckt fatalistisch lächelnd mit den Schultern.
                  Ich finde einen Sitzplatz am Fenster zur Seeseite und bin erleichtert, dass ich nicht stehen muss. Neben mich setzt sich eine junge Deutsche und wir kommen ins Gespräch. Sie ist mit ihrer Freundin mit Mitfahrgelegenheiten unterwegs und macht vorrangig Couchsurfing. Das Fahren mit Mitfahrgelegenheiten funktioniert gut, allerdings nur zwischen den größeren Städten. Das ist etwas bedauerlich, denn gerade die Küstenorte am Meer sind nur sehr umständlich mit Bussen oder – im besten Fall - mit Vorortbahnen zu erreichen, die zudem extrem unzuverlässig sein können. Die beiden waren im Cinque Terre Nationalpark wandern, an der Küste baden, haben Florenz besichtigt, das ihnen gut gefallen hat und waren ebenso in Venedig. Nur in Venedig hatten sie Pech mit einer Mitfahrgelegenheit, da diese sie einfach versetzt hatte. Ich erfahre, dass die Regionalzüge in Italien sehr günstig sind, selbst lange Strecken kosten oft nur zehn oder zwanzig Euro. Wie ich später sehen werde, ist man dafür aber auch sehr lange unterwegs. Ich frage sie, ob sie in Venedig im HiHostel waren und sie verneint. Mit Couchsurfing hatte es Venedig nicht geklappt und da sind die beide in Mestre auf einen Campingplatz gegangen. Rialto, heißt er. Dort haben sie für 30 Euro eine Hütte gemietet. Ich frage, ob es ein reiner Wohnmobilplatz mit Hütten ist, oder ob auch Zelte da waren. Nein, sagt sie, da waren auch Zelte, das ist ein normaler Zeltplatz. Der Platz war schön, zwanzig Minuten mit dem Bus vom Bahnhof entfernt, in der Nähe war ein Lidl Markt und sie fand es angenehm, nach dem Trubel in Venedig mit den vielen Menschen abends ein wenig in der Natur zu sein.
                  Bingo. Mein Übernachtungsproblem ist gelöst. Morgen geht es nach Venedig und endlich kann ich wieder im Zelt schlafen. Zur richtigen Zeit im richtigen Bus.








                  Der Verkehr scheint dichter zu sein, als auf der Hinfahrt, und als sich auf der Strecke zwei Busse begegnen, wird es Millimeterarbeit. Aber der Busfahrer schafft es, und der ganze Bus applaudiert. Ein Cabrio mit deutschem Kennzeichen weicht dem Bus aus, und die Damen sehen aus, als wären sie auf der Suche nach dem Traumprinzen. Viel Glück. Fahrradfahrer sehe ich übrigens keine. Die Strecke ist zu eng und zu viel befahren und später erfahre ich, dass es für Radfahrer Routen oberhalb gibt, welche die Küstenroute nur auf Abschnitten tangieren.

                  Erwartungsgemäß steigen in Positano viele Menschen zu, und der Bus ist krachend voll. Die Stehenden tun mir aus ernsthaft leid, und ich versuche mich unsichtbar zu machen, denn es sind auch ältere Leute dabei, für die man eigentlich aufstehen müsste.








                  Die Fahrt vergeht wie im Fluge, und wieder taucht auf der gegenüberliegenden Seite des Golfes von Neapel der Vesuv auf. Als wir durch das nunmehr sonnenbeschienen Sorrento fahren, überlege ich einen Moment, ob ich aussteige und mir den Ort anschaue. Er hat an einigen Stellen ein bezauberndes Flair, und ich weiß nicht, dass es dort auch eine Gedenktafel für Enrico Caruso (1873-1921) gibt, der heute noch der größte Tenor aller Zeiten ist. Caruso, Neapolitaner und in armen Verhältnissen aufgewachsen, wurde übrigens als junger Sänger (fehlerfrei war seine Darbietung nicht, aber er war bereits ein Star) im berühmten Teatro San Carlo ausgebuht, von der High Society Neapels als Gassenjunge behandelt und am nächsten Tag von einem Theaterkritiker verrissen, der das Potential seiner Stimme entweder nicht erkannte oder nicht erkennen wollte. So schwor sich Caruso, nie wieder in seiner Heimatstadt zu singen und daran hat er sich gehalten. Gestorben ist er in einem Hotel in Neapel und seine Stimme hat ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht.
                  Ich schaue auf die Uhr, aber es ist schon recht spät, und so fahre ich bis zum Bahnhof.





                  Eine Durchsage „Der Zug nach Neapel steht abfahrtbereit auf Gleis X“ (sogar in deutsch!) lässt mich eilen, aber tatsächlich steht der Zug noch mindestens 25 Minuten, bis er endlich abfährt. Vor mir sitzen zwei uralte Engländerinnen, die sich in leidendem Tonfall über das laute Geräusch der Bahn beschweren. Eine von ihnen feilt sich konzentriert die Fingernägel. In Pompei setzen sie sich um und eine fröhliche Truppe Norweger betritt das Abteil. Ich unterhalte mich mit einem Ehepaar. Sie machen Urlaub in Rom und sind für eine Tagestour mit dem Highspeedtrain nach Neapel und von da aus nach Pompei gefahren. Das ist natürlich auch eine Idee. Ich versuche, Bilder vom Vesuv durch das gegenüberliegende Fenster zu machen, aber die meisten sind verwackelt oder schlecht. Auch die Scheibe spiegelt. Heute sind keine Wolken über dem Gipfel und das erste Mal sieht man, dass es kein Berg wie jeder andere ist.





                  In Neapel angekommen, gehe ich kurz ins Hotel und suche den Campingplatz heraus. Die Beschreibung klingt gut. Dann gehe ich noch ein wenig bummeln. Eigentlich schade, dass ich Neapel morgen bereits verlasse. Ich biege in eine Einkaufsstraße ein und wieder fällt mir auf, dass die ganzen Ketten, die bei uns mittlerweile selbst in den Stadtteilen das Stadtbild prägen, fehlen. Ein Bettler steht vor der Tür eines Hauses, als warte er auf Menschen, die ihm Geld geben. Instinktiv schaue ich auf die Tür und stelle erstaunt fest, dass es sich um eine Kirche handelt. Eine Frau auf der Kirchenbank sieht mich an der Tür stehen und schaut mich scharf an. Es ist Gottesdienst. Und plötzlich habe ich das Bedürfnis, diesem Gottesdienst bei zu wohnen. Ich weiß, es ist sträflich, den Gottesdienst zu stören, und ich fühle mich als Eindringling, aber ich betrete dennoch die Kirche und gehe auf Zehenspitzen zu den Bänken. Ich reihe mich in eine Bank ein. Der Gottesdienst ist fast zu Ende, und ich bekomme noch den Segen und ein Kirchenlied mit. Wieder zünde ich ein Licht für Werner an.
                  Die Kirche ist nicht groß, aber ebenfalls wundervoll ausgemalt. Das erste Mal kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht nicht Prunksucht ist, welche die Kirchen so schön gestalten lässt, sondern die Erfahrung der Armut. Dass die Kirche der Ort ist, der sich von allen anderen abhebt und wo man das Schöne und Erhabene findet, das einen von dem bitteren Alltag ablenkt. Ein Ort, der den Menschen das Gefühl gibt, dass es neben den Mühen des Lebens noch etwas Großes, Gewaltiges gibt, das über das Menschsein hinausgeht: Gott.

                  Als ich hinaustrete, ist es bereits dunkel geworden. Ich lenke meine Schritte zu der Pizzeria von gestern. Eine andere Pizzeria lockt, aber sie ist stärker auf Touristen ausgerichtet. Hier im übrigen noch der Hinweis, dass es in Neapel Sitte ist, das Eindecken des Tisches (Coperta, ca. 0,50 bis 1,50 Euro) und den Service (Servizia, ca. 3 Euro) gesondert zu berechnen. Man sollte also das Kleingedruckte lesen, damit man sich hinterher nicht über das Ohr gehauen fühlt. In dem Restaurant, in dem ich war, wurde nur Coperta berechnet und sie waren stolz, dass Servizia im Preis enthalten war. Angesichts der Preise, die für unsere Verhältnisse - gemessen an der Qualität - günstig sind, ist der Aufschlag aber kein Problem. Die besten Restaurants soll es wohl im historischen Zentrum geben. Zudem ist Neapel bekannt für seinen Büffelmozzarella und für Weihnachtskrippen. Und es gibt es noch viele Schneider, die Maßanzüge fertigen. Einem Reiseführer zufolge, soll man außerdem immer einen Blick halb nach oben haben, da die Neapolitaner in einigen Wohnvierteln die Angewohnheit haben, sämtlichen Müll zum Fenster hinaus zu werfen. Das soll an Neujahr dazu führen, dass die Anwohner ihre Autos umparken, da zu dieser Zeit traditionell neue Möbel und Elektrogeräte angeschafft werden.

                  Im wähle einen Tisch vor der Tür mit Blick auf die Straße. Am Nebentisch sitzen italienische Schweizer und empfehlen mir die 4 Käse Pizza. Sie ist köstlich. Der Käse verbindet sich zu einer ganz eigenständigen Geschmacksnote und die Pizza ist ungewohnt leicht. Nicht dieser Käsehammer mit aufdringlich schmeckenden Käsen, wie man sie bei uns gerne bekommt. Ein verhaltensauffällig aussehender junger Mann mit schwankendem Gang nähert sich der Pizzeria, es scheint, als sei er drogensüchtig. Der Kellner beobachtet ihn und wie zufällig stehen plötzlich der Pizzabäcker und ein anderer Angestellter neben ihm und tuscheln etwas, ohne die Miene zu verziehen oder den Kopf zueinander zu drehen. Der Drogensüchtige sieht sie, stutzt und entfernt sich wieder. Ich bin beeindruckt. Hier gibt es Grenzen, die ganz fein gewoben sind und nur dem guten Beobachter deutlich werden. Als die Straßenmusiker und die pakistanischen Blumenhändler kommen, wiederholt sich die Szene nicht.





                  Als ich das Lokal verlasse, sehe ich, dass nebenan im Mauerwerk eine Heiligenstätte eingerichtet ist. Und ich ahne, dass man in dieser Stadt noch so viel sehen, entdecken und erleben kann, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Bitte nicht falsch verstehen: Neapel ist immer noch eine gefährliche Stadt, und das Risiko, ein Opfer von Kriminalität zu werden, hoch. Man sollte sich nicht naiv anstellen, sein Geld nicht offen herumtragen und nicht in jede Straße oder jedes Vierteil hineinlaufen, was man sieht. Vor allem nachts ist erhöhte Vorsicht geboten, denn es gibt viele Jugendbanden. Aber wenn man die Regeln anwendet, die man auch in deutschen Großstädten beachten sollte und noch etwas zusätzliches Sicherheitsbewusstsein drauf packt, kommt man auch mit Neapel klar. Diesem Sicherheitsdenken folgend, gehe ich auf direktem Weg Richtung Hotel, kaufe im Sklep die Wegzehrung für morgen und gehe früh zu Bett.
                  Morgen geht es also nach Venedig. Die Motive des Malers „Kanal-Otto“ (Canaletto) besichtigen, den ich als Kind so mochte. Ich bin gespannt. Und ich freue mich auf mein Zelt.
                  Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2013, 06:32.
                  Oha.
                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                  • supi
                    Gerne im Forum
                    • 13.01.2013
                    • 79
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                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                    Schöne Bilder, einer schönen Tour... bin gespannt wie es weiter geht.

                    Ein kleiner Kritikpunkt:
                    Meen Jung, als ich in deenem Alter war habe ih ned so rumgjammert.

                    Ich schlage vor das du dir beim nächsten Abstecher zu uns unten verlinktes Gefährt zulegst.
                    http://www.fystek.fi/galleria/index.php/IMG_1224

                    Mit so einem Teil hat mich mal ne Oma bergab überholt... ich fuhr etwa 50km/h.
                    Das wäre echt was für dich, massig Platz für Zuladung, ein Plätzchen zum ausruhen der müden Knochen.....

                    Ales Gute

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                    • Torres
                      Freak

                      Liebt das Forum
                      • 16.08.2008
                      • 30722
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                      • Meine Reisen

                      #30
                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                      Auch kein schlechtes Gefährt. Sieht aus, als wäre das klappbar? Ihr habt in Finnland wirklich hervorragende Rennmobile, ich staune.... Ich glaube, ich muss da mal wieder hin.....
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                      • Rattus
                        Lebt im Forum
                        • 15.09.2011
                        • 5177
                        • Privat

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                        #31
                        AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                        Zitat von supi Beitrag anzeigen
                        Ich schlage vor das du dir beim nächsten Abstecher zu uns unten verlinktes Gefährt zulegst.
                        http://www.fystek.fi/galleria/index.php/IMG_1224
                        Ist ja irre. Sieht nur ziemlich unbequem aus - da muss man ja absolut breitbeinig drauf stehen, oder täuscht da die Perspektive?
                        Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                        • Torres
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                          • 16.08.2008
                          • 30722
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                          #32
                          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                          13.09.(-15.09.)2013 Venezia

                          Mein Wecker klingelt um 6.00 Uhr und um 6.30 Uhr laufe ich in den Frühstücksraum. Ich bin tatsächlich der erste Gast. So etwas passiert mir sonst nie. Nur im Urlaub. Ich esse zwei Brötchen und labe mich noch einmal an dem exzellenten Kakao, der aus der Maschine kommt und dann heißt es Abschied nehmen. Schnell mache ich noch ein paar Bilder vom Hotel und der Portier posiert für mein Foto.





                          Neapel schläft noch, und während der Verkehr auf den Straßen bereits die üblichen Geräusche macht, bauen die ersten Straßenhändler langsam ihre Läden auf. Nur wenige Menschen sind schon unterwegs. Als eine Frau neben mir aus einem Haus kommt, erschrecke ich mich. Hier wird die Haustür nicht ganz aufgemacht, sondern ein kleines Loch in der Tür öffnet sich und die Frau muss die Beine heben, um auf die Straße zu kommen. Diese Tür ist mir ein Foto wert. Der Vesuv ist immer noch da und wehmütig verabschiede ich mich. Mein Zug ist bereits angekündigt und ich wandere zu dem Gleis. Wie erwartet, handelt es sich nicht um einen Highspeedtrain, sondern um eine Art Interregio mit Abteilen. Natürlich könnte ich den Zug noch tauschen, aber ich hake die Buchung unter Schicksal ab. Mal sehen, wozu das gut ist.

                          Das weiß ich spätestens, als ich im Abteil sitze. Ich habe den mittleren Platz in Fahrtrichtung (und da Rom ein Kopfbahnhof ist, weiß ich, dass ich den größten Teil der Fahrt rückwärts sitzen werde... Ich hasse Kopfbahnhöfe!) und links neben mir, rechts vor mir und rechts neben mir schnattern ein paar Italienerinnen, die ich auf um die 50 Jahre schätze. Sie kennen sich nicht, sondern stellen sich erst vor und würden mich ja auch mit einbeziehen, aber ich muss passen. „Germania“, sage ich. „Aaaaaah, Germania“ ertönt es (man beachte das gerollte „r“!) und dann rattern sie los und irgendwie geht es um Silvio Berlusconi und Frauen und was auch immer. Wieder kann ich mich nicht zurückhalten und fotografiere den Vesuv, der aus dem morgendlichen Dunst auftaucht. Bye, bye Neapel.





                          Ich biete meiner Nachbarin zur linken an, den Platz zu tauschen, damit sie sich mit den anderen Damen besser unterhalten kann, und sie freut sich. So lese ich ein bisschen und fotografiere zwischendrin.





                          Als sich der Zug Formia-Gaeta nähert, werden die Frauen ganz aufgeregt und machen mir klar, dass ich unbedingt fotografieren muss. Tatsächlich sieht man für kurze Zeit das Meer und die Umrisse von Gaeta.













                          Eine weitere Italienerin im gleichen Alter steigt zu und wird überschwänglich von einem Mann – vermutlich ihrem Bruder – verabschiedet, der ihr die Koffer in den Zug getragen hat und sich nicht so ganz trennen kann. Immer wieder bekommt sie ein Küsschen aufgedrückt. Es ist ihr selbst ein wenig unangenehm und sie schickt ihn mehrmals fort. Ich erinnere mich plötzlich, dass unser Vater uns früher auch die Koffer in den Zug gebracht hat und ich immer Angst hatte, dass er nicht rechtzeitig heraus kommt und dann ohne Fahrkarte mitfahren muss. Ich habe mir da immer ganz furchtbare Abenteuer überlegt, die dann passieren. In den letzten Jahren habe ich solche Szenen bei uns nicht mehr gesehen, denn meistens haben die Züge ja nur 2 Minuten Aufenthalt.
                          Dann ein Schock: Meine Kamera sagt "Kartenfehler" und alle Bilder von heute und ein Bild von gestern sind gelöscht. Mein Herz rast. Das einzige, was mir einfällt, ist die Speicherkarte zu wechseln und die alte Speicherkarte gut weg zu stecken. Tatsächlich wird mir zu Hause ein Programm helfen, die Daten wieder zu finden.

                          Vor Rom tauchen am Rande der Eisenbahnstrecke Reste einer Stadtmauer auf, die bis Rom mehr oder weniger hinter Bäumen, Sträuchern und Häusern sichtbar sein wird.








                          Hinter Rom stellt sich heraus, dass der Neuzugang im Abteil Englisch und ein bisschen Deutsch spricht. Als die Wortführerin, die seit Neapel das Gespräch dominiert hat, aussteigt, outet sich auch die andere Frau am Fenster und erzählt, vorsichtig nach Worten ringend, dass sie als Kind in Freiburg aufgewachsen ist und bis zur 5. Klasse in einer deutschen Schule war. Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts sind sie zurückgekehrt. Eine leichte badische Färbung hört man immer noch. Sie guckt mich vorsichtig an und sagt dann, dass viele Menschen in Italien uns um Frau Merkel beneiden. Die Politiker in Italien taugen nichts. Und die Wirtschaftskrise wird immer schlimmer. Ich denke, sie spricht von Süditalien, aber die andere Frau schüttelt mit dem Kopf. Auch dem Norden geht es schlecht. Die Fabriken schließen. Ihr Sohn ist arbeitslos geworden und keiner weiß, wie es jetzt weiter gehen soll.

                          Andere Fahrgäste kommen in das Abteil und die Gespräche verlaufen sich. Wieder lese ich ein wenig, schaue aber auch viel heraus. Die Fahrt ist viel interessanter als mit dem Highspeedtrain. Obwohl die Trasse gar nicht so weit von der Hochgeschwindigkeitstrasse entfernt ist, wirkt die Landschaft dennoch lebendiger und vielfältiger als auf der Hinfahrt. Ich sehe viele schöne Kirchen und Burgen und überlege, dass so ein kleiner „Taschengöga“ gar keine schlechte Erfindung wäre. Leider werden die Bilder anschließend nicht mehr besonders gut – die Sonne und die Scheibe spielen nicht mehr mit. So lese ich wieder ein Buch mit "Wachtmeister Studer".





                          Die letzten zwei Stunden werden dann doch zur Qual. So schön es ist, nicht umsteigen zu müssen, so sind 8 Stunden Zugfahrt in einem Ratterzug, und die damit verbundene körperliche Untätigkeit, einfach nichts für mich. Diese Erfahrung wird letztlich besiegeln, dass ich Kroatien nicht bereise, denn die Zugdistanzen sind mir einfach zu weit.

                          Gegen 17.30 Uhr komme ich in Venedig-Mestre an und darf Roller und Gepäck erst einmal die Treppen herunter und wieder hinauf schleppen. Behindertenaufzüge oder -rampen gibt es in Mestre nicht.
                          Als ich vor die Tür des Bahnhofs trete, bekomme ich einen kleinen Kulturschock. Ordentlich, aufgeräumt, zivilisierter Verkehr, niemand hupt. Vor dem Ticketbüro stehen 3 oder 4 Kunden. Einen bitteren, kurzen Moment ohrfeige ich mich, dass ich nicht in Neapel geblieben bin. Was soll ich in dieser langweiligen Gegend? Das ist ja wie zu Hause. Aber die Vorstellung, wieder 6 Stunden im Zug zu sitzen, bis ich wieder in Neapel bin, schreckt mich dann doch. Also vorwärts schauen.

                          Zusammen mit einem englisch sprechenden Paar rätsele ich vor einer Tafel mit Stadtplan, wo ich denn nun genau bin. Der junge Mann erkennt als erstes, wo wir sind, und seine Freundin stöhnt und ist kurz davor, aus zu flippen. Sie müssen wieder durch den Bahnhof durch und zur anderen Seite raus. Ich atme dagegen auf, denn ich bin auf der richtigen Seite. Ich fotografiere den Stadtplan, weil mein Navi mal wieder nichts anzeigt, präge mir die Straßennahmen ein und versuche, die richtige Straße zu finden, um zum Campingplatz zu rollern. Sinnlos. Ich finde keine Straßenschilder.
                          Vor mir (d.h. an der dem Bahnhof gegenüberliegenden Seite) hält Bus Nr. 15 und durch Zufall sehe ich im Laufschriftfenster neben anderen Straßen den Namen „Via Orlanda“. An dieser Straße befindet sich der Campingplatz. Mein Gehirn rattert und sagt: Den Bus nehmen. Man muss sich nach dieser Zugfahrt nicht noch stundenlang verfahren.

                          Ich versuche hektisch den Roller zu klappen, aber der Bus fährt bereits los. Dabei hätte er mich sowieso nicht mitgenommen, da ich kein Ticket habe und beim Fahrer auch keins kaufen kann. Eine Passantin zeigt mir, dass der Ticketshop genau hinter mir ist, und ich kaufe für 1.30 einen Fahrschein. Dann warte ich eine geschlagene halbe Stunde (und denke noch ein wenig an Neapel...), da der Bus Verspätung hat. Eine elektronische Schautafel zeigt seine genaue Ankunft an. Als ich endlich im Bus sitze, bin ich angenehm überrascht, dass der Innenstadtkern von Mestre sehr hübsch ist. Bald fährt der Bus aber auf großen Ausfallstraßen, und ich bin heilfroh, dass ich nicht gerollert bin. Ein Jungspund macht mich an, weil mein Gepäck einen zweiten Sitz verstellt, ich springe auf und gebe ihm meinen Platz. Er grummelt vor sich hin und bleibt stehen, das ist ihm dann doch peinlich. :-) Kurz darauf meldet sich ein anderer Mann, den ich am Anfang gefragt habe, ob er mir sagen können, wo ich raus muss, und erklärt mir, dass ich in zwei Stationen raus muss. Seine Ansage ist zuverlässig, und ich bedanke mich sehr herzlich bei ihm. Das hätte ich nie gefunden. Falls jemand mal in die Verlegenheit kommt: Die Fahrt dauert ca. 20 Minuten. Irgendwann kommt ein sehr großer Kreisel und man hat das Gefühl, der Bus fährt jetzt auf eine Autobahn, was er aber nicht tut. Kurz darauf hält der Bus am Campingplatz Venezia, der gut ausgeschildert ist. Dann kommt eine Haltestelle, die man sehr leicht übersieht und danach (bzw. spätestens wenn man rechts eine Tankstelle sieht und links den Lidl), muss man ganz schnell den Halteknopf drücken. Der Bus hält direkt vor dem Campingplatz.

                          Ich checke ein und das Übernachten kostet mich 12.00 Euro und ein paar Cent die Nacht. Das sind doch mal wieder reelle Preise, und ich kündige 3 Übernachtungen an. Gezahlt wird aber erst, wenn die Abreise erfolgt. Ich finde eine Zeltwiese und da steht schon ein Hubba Hubba, und sofort fühle ich mich heimisch. Auch ein Quechua mit Spitzbogen erfreut mein Herz. Mein Zelt ist schnell aufgebaut, und da das Wetter die nächsten Tage durchwachsen sein soll, stelle ich mich so an den Zaun, dass ich das footprint wieder als Tarp nutzen kann. Zu meiner Schande stelle ich fest, dass ich es in Rom nicht getrocknet habe. Der Regen von Lugano ist noch drauf. Ist das lange her....

                          Ich gehe in den kleinen Supermarkt des Campinglatzes, aber das Angebot ist dürftig. Also rollere ich zu Lidl. Lecker, was man dort so alles kaufen kann. Platz müsste man haben. Neben vertrauten Sachen gibt es dort eine gute Auswahl regionaler Produkte. So erwerbe ich Büffelmozarella, Salami, etwas Gemüse, Tomatensoße und eine Flasche Wein. Eigentlich hätte ich Lust auf Tiefkühlspinat, aber den gibt es nur in der 1 Liter Packung. Ich packe den Reactor aus und koche Nudeln mit Tomatensoße und Mozarella. Meine Nachbarn sind Deutsche. Er erzählt, dass sie 4 Hostels abgeklappert haben und alle waren belegt. Dann sind sie in ihrer Not hier auf den Campingplatz gelaufen. Sie haben eine Stunde gebraucht, bis sie zu Fuß hier waren. Ich bin froh, dass ich mir so etwas durch mein Gespräch von gestern ersparen konnte. Da ich aus UL Erwägungen keinen Flaschenöffner dabei habe, frage ich zwei französische Ehepaare, die gemütlich draußen sitzen und Whiskey trinken, nach einem Korkenzieher. Natürlich haben sie einen. Wir quatschen noch ein wenig und lachen viel.

                          An der Ecke meines Platzes stehen Hütten und vor der Tür sitzen Engländer und trinken Bier. Ich befürchte Schlimmstes. Aber die Befürchtungen sind grundlos. Ich habe selten so einen ruhigen Platz erlebt. Die meisten Gäste sind nur auf der Durchreise. Man kommt an, besucht Venedig und fährt früh morgens wieder oder man besucht den nächsten Tag Venedig und fährt dann den Tag darauf früh wieder. Da ist für Parties keine Zeit. Die meisten jungen Leute mieten sich sowieso eine Hütte und es sieht so aus, als würden sie sich in Venedig einfach mal richtig ausschlafen. Kurz: Gegen 21.00 Uhr ist erstaunlicherweise Platzruhe. Die Nacht wird kühl, so dass ich den Schlafsack als Decke nehme, und dann schlummere ich tief und fest. My home is my castle.


                          Zuletzt geändert von Torres; 29.09.2013, 23:09.
                          Oha.
                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                          • Gast180628
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                            • Meine Reisen

                            #33
                            AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                            schöner bericht!
                            neapel...kleine läden....
                            tja, fast nur die deutschen fahrn mitm porsche :-)) zum discounter, is halt n psychogeografischer schaden, dasses essen billig und schlecht sein muss, aber war bei dir bestimmt nur eher abschiedstraining fürn rückweg.

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                            • Torres
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                              • 16.08.2008
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                              • Meine Reisen

                              #34
                              AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                              Tja, das Problem war, die kleinen Läden erst einmal zu finden. Und das nächste Problem war, dass ich immer nur das kaufen konnte, was ich unmittelbar verzehren konnte oder was haltbar war. Ich konnte ja nicht kühlen. Aber selbst die von mir im Sklep oder im Discounter gekauften regionalen Lebensmittel waren qualitativ hervorragend. Und ich frage mich, wie dann erst die Erzeugerprodukte auf den Märkten schmecken mögen!

                              Edit: Ich muss mich korrigieren: Der Wein hätte besser sein können.
                              Zuletzt geändert von Torres; 30.09.2013, 14:25.
                              Oha.
                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                              • Torres
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                                #35
                                AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                14.09.2013 Venezia

                                In der Nacht hat es ein wenig geregnet und morgens ist es bewölkt, doch bald kommt die Sonne heraus. Ich frühstücke die Reste vom Abend und gehe zur Rezeption, um mir ein Busticket zu kaufen. Eine rote Dyane 6 verzückt mich – ein Relikt aus einer Zeit, als der Besitz eines Autos noch lange nicht bedeutete, jemals in angemessener Zeit das gewählte Ziel auch zu erreichen. So bin ich erst kurz vor 10.00 Uhr am Schalter und das ist genau die Auscheckzeit für die Hütten. Ein netter Franzose lässt mich vor und mit meinem Ticket stelle ich mich an die Bushaltestelle. Die Rezeption hat jedem Gast einen Stadtplan in die Hand gedrückt, worauf steht: Bus 19 nach Venezia, Bus 5 zurück zu Camping Rialto. Nach ca. 20 Minuten kommt der Bus und biegt nach einiger Zeit auf einen Damm ein. Man sieht eine breite Bucht, Fabrikanlagen am Festland und so ganz romantische Stimmung kommt bei mir nicht auf. Kitsch à la „Eine Nacht in Venedig“ über die Verfilmungen der Bücher von Donna Leon (Commissario Brunetti) bis hin zum köstlichen Buch von Hannu Raittila „Canale Grande“, in der vier Finnen Venedig vor dem Versinken retten wollen, schießen mir durch den Kopf. Nun, schauen wir uns die Sache erst einmal vorbehaltlos und in Ruhe an.

                                Ich steige am Busterminal aus und es geht über eine kleine romantische Brücke an einem öffentlichen Park vorbei. Ein junger Mann steht an einem Stand und sammelt Unterschriften. Ich sehe zwei Bilder und mir ist augenblicklich klar, dass er gegen den zunehmenden Kreuzfahrttourismus in Venedig ist. Sog und Schwall. Das kann nicht gut gehen. Ich unterschreibe.
                                Es ist heiß geworden. Kurz darauf stehe ich an dem ersten Kanal und schaue auf das Treiben. Verschiedene Wassertaxis pflügen zügig durch das Wasser und mir ist innerhalb von Sekunden klar, wie der Unfall mit der Gondel, der vor kurzem einen deutschen Bürger das Leben kostete, passieren konnte. Es ist hier einfach zu voll.








                                Ich überquere eine Brücke und nähere mich einer Kirche. Ich fotografiere in alle Richtungen und in einem Haus entdecke ich sogar das deutsche Konsulat. Ich lasse mich einfach treiben, die Sonne ist schön warm, und die Häuser gefallen mir.





                                Kleine Kanäle und kleine Brücken tauchen auf, aber auch das eine oder andere Haus, das schwere Wasserschäden hat. Es riecht nicht richtig modrig, dazu ist es noch zu warm, aber es ist ein Geruch, den ich auch von unseren Kanälen her kenne. Wer übrigens glaubt, dass Venedig die meisten Brücken in Europa hat, täuscht sich. Hamburg liegt mit ca. 2496 Brücken vor Berlin (2100, die Zahl variiert aber nach unten), Amsterdam (ca. 1200), London (ca. 850) und Venedig (426). Diese Zahl berücksichtigt allerdings nur das historische Venedig. Einige Straßen sind angenehm breit, aber immer wieder gibt es auch enge, verwinkelte Straßen, die ein wenig an die Gängeviertel Hamburgs erinnern. Ein Kinderroller liegt an der Straße und ich vermisse meinen Roller. Venedig ist nicht nur autofrei, sondern auch fahrradfrei. Viele Gassen sind einfach zu eng und die Brücken haben teilweise Stufen, so dass Venedig auch für Rollstuhlfahrer nur bedingt geeignet ist.








                                In einem Kiosk erwerbe ich einen Stadtplan für 3,00 Euro, denn das Stadtplanblatt des Campingplatzes ist zu ungenau. Es ist nicht leicht, zu erraten, wo man sich gerade befindet und der neue Stadtplan hat sogar ein Straßenverzeichnis, welches die Suche erleichtert. Immer wieder stechen mir Details ins Auge: Das Haus, dessen Fensterfassade teilweise zugemauert ist, das kleine Heiligenbild an einer Mauer, das Grün zwischen den Mauern, die Wäsche vor dem Fenster. Eine Kirche – die Chiesa di San Rocco - taucht auf und mir ihr die ersten touristischen Reisegruppen. Und kurze Zeit später weiß ich, wie Venedig mit Waren versorgt wird: Durch Muskelkraft und riesige Sackkarren.





                                Die Kirche ist wunderschön ausgestaltet, und ich mache Fotos, die ich hier aber lieber nicht veröffentliche. Schräg gegenüber ist die Scuola Grande di San Rocco und sie scheint etwas Besonderes zu sein, denn sie kostet Eintritt und viele Menschen stehen davor. Ich entnehme einem Plakat, dass die Innengestaltung ein Meisterwerk des Malers Tintoretto darstellt und tatsächlich sieht das Bild auf dem Plakat sehr beeidruckend aus. http://de.wikipedia.org/wiki/Scuola_Grande_di_San_Rocco

                                Mir ist das allerdings zu viel Rummel und so laufe ich weiter. Ein Ledergeschäft lockt und da mein Gürtel den Tag zuvor gerissen ist, ersetze ich ihn durch einen in Italien gefertigten Ledergürtel. Die Touristendichte nimmt nun zu und überall findet man Reiseführer mit lustigen Regenschirmchen, die sie hochhalten, damit die Gruppe weiß, wem sie zu folgen hat. Menschen mit riesigen Rollkoffern bahnen sich den Weg über die Treppen der Brücken und suchen mehr oder weniger verzweifelt ihr Hotel. Ich denke an UL und bin mir sicher, dass sie verfluchen, so viel Gepäck mitgenommen zu haben.
                                Die Touristendichte ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass ich – wie alle anderen - langsam anfange, die Schilder zu beachten, welche wahlweise zur Rialtobrücke oder zum Markusplatz lenken. Bei diesen vorgezeichneten Routen wird man nicht nur an Sehenswürdigkeiten vorbeigeführt, sondern man kann sich auch darauf verlassen, dass die Straße weiterführt und nicht unvermittelt an einem Kanal endet. Zudem sind die Straßen hier infrastrukturell gut ausgebaut und es finden sich mehr oder weniger noble Geschäfte oder Restaurants, die der Stadt neben der Vielzahl an Hotels das nötige Geld einbringt. Auch Ableger internationaler Konzerne dürfen da nicht fehlen. Unvermittelt stehe ich vor einem Maskengeschäft und der Maskenmacher berät gerade einen seiner Kunden. Fotografieren des Geschäftes ist nicht erwünscht, aber ich mache dennoch ein Foto. Diese Masken haben nichts mit den billigen Imitaten zu tun, die man überall in den Souvernirgeschäften findet.
                                Die Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari erscheint vor meinen Augen, aber auch sie besichtige ich nicht von innen. Dennoch kann ich einen Eindruck gewinnen. Durch ein Seitenfenster kann man ein Blick auf das Innere erhaschen, und sie ist wundervoll gestaltet. Als ich weiter gehe, kommen wieder Kanäle und die allgegenwärtigen Gondeln ins Blickfeld. Erstaunlich übrigens die Technik, mit der die Gondeln bewegt werden. Derartige Bewegungsabläufe habe ich vorher noch nie gesehen.











                                Immer weiter lasse ich mich treiben und immer mehr Eindrücke prallen auf mich ein. Ein Souvenirhändler repariert das Dach seines Geschäftes. Und wieder Kanäle, Kanäle, Kanäle.





                                Jäh stört ein Motorboot die Idylle und wirft Wellen an die Häuser. Kein Wunder, dass der Putz blättert – Umweltverschmutzung, Wellenschlag und Hochwasser hinterlassen unübersehbare Spuren am Gemäuer. Ein Vater mit seiner kleinen Tochter nähert sich per Boot und ich beobachte fasziniert, wie die Tochter geschickt ins Haus springt und die Waren annimmt, die der Vater gerade erworben hat. Der Computermonitor – oder ist es ein Flachbildfernseher? - wird als letztes ins Haus gebracht. Ein Bekannter mit einem zweiten Boot unterstützt. Dann springt die Tochter wieder in das Boot und vermutlich wird weitere Ware geholt. Die Gondeln werden nun immer prächtiger und auf einem Platz lockt eine maskierte Schöne in einem prächtigen blauen Kleid die Touristen, für ein Foto etwas Geld zu spenden. Ein Straßenschild verkündet, dass ich mich am oder in der Rio Terra San Silvestro befinde. Und dann bin ich plötzlich am Canale Grande.





                                Zugegeben, beeindruckend ist es schon, wenn man plötzlich an einem Ort steht, den man schon hundertmal auf Fotos, Gemälden, in Filmen oder in Zeitschriften gesehen hat. In der Realität überlagern andere Gefühle die Gedanken: Ist das voll hier. Ist hier ein Schiffsverkehr! Was wollen alle die Menschen hier? Das sind also die berühmten Paläste. So prunkvoll sehen die eigentlich gar nicht aus. Lastkähne gibt es hier auch. Das habe ich mir idyllischer vorgestellt.
                                Und dann wendet sich mein Blick nach links und ich sehe: Die berühmte Rialtobrücke. Brechend voll von Menschen. Behängt mit einem Plakat, das mit seiner Botschaft über die geschossenen Fotos vermutlich die ganze Welt erreicht. Es geht um die Kunstbiennale 2013 und der Sponsor wird sicherlich auf seine Kosten kommen. Ich entschließe mich für das volle Programm und steige die Treppen hoch. Überall sind Menschen und der Blick nach vorne verheißt noch mehr Menschen.





                                Die meisten Fotos werden von Paaren gemacht, die sich wechselseitig vor der Kulisse fotografieren. Ich nutze eine Lücke und muss dann doch während des Blickes von der Brücke neidlos anerkennen: Das hat schon ´was.








                                Die Brücke ist von zwei Seiten begehbar und in der Mitte sind an der einen Seite Souvenirläden. Ich laufe die Brücke an der einen Seite hoch und an der anderen wieder herunter.





                                Und dann reicht es selbst mir. Venedig ist ja eine schöne Stadt, aber das ist nun doch ein bisschen sehr viel Urban Outdoor. Aber ich muss ja noch zum Markusplatz. Andernfalls hat man wohl das wichtigste verpasst. Also dann auf.





                                Und dann bin ich plötzlich da. So im Nachhinein durch das Auge des Fotografen betrachtet, ist das schon ein beeindruckender Platz mit beeindruckenden Gebäuden und es ist schade, dass die Markuskirche (Basilica di San Marco) zum Teil hinter einer Abdeckung verborgen ist. Unschwer erkenne ich den Platz aus Filmen wieder. Nur eine Touristengruppe wagt sich, die legendären Tauben zu füttern. Mittlerweile ist das nämlich bei Strafe verboten.





                                Vor Ort stoße ich dagegen an meine Grenzen. Menschen, überall Menschen und da Nachsaison ist, ist das vermutlich nur ein Bruchteil der Menschen, die sich im Sommer in der Ferienzeit Venedig anschauen. Hilfe. In so einer Stadt zu wohnen, muss eine Qual sein. Überall sind größere Touristengruppen unterwegs, die in Trauben um irgendeine Säule herumstehen. Ein paar Sportler haben Surfbretter aufgebaut und es ist mir nicht klar, was sie damit bezwecken. Es gibt außerdem einige Souvernirläden und Menschen, Menschen, Menschen.

                                Ich flüchte Richtung Canal Grande und der Ausblick auf das Wasser und die zwei Gebäude auf der anderen Seite des Kanals besänftigt mich etwas. Ich halte Ausschau nach irgendeinem grünen Flecken und in der Ferne scheint ein Park zu sein, aber sicher bin ich mir nicht. Am nächsten Tage werde ich sehen, dass man sich dort tatsächlich setzen kann, aber ob es dort ruhig ist, entzieht sich meiner Kenntnis. So setze ich mich auf eine steinerne Bank unter dem Vordach eines der langen Gebäude – zusammen mit anderen Touristen, die ebenfalls eine Auszeit brauchen.
                                Ich horche in mich hinein und sage: Nein. Die Leichtigkeit und die Beschwingtheit, die Rom so faszinierend gemacht hat, fehlt hier völlig. Diese Stadt ist ein Museum. Mag sein, dass hier im historischen Venedig 60.000 Menschen wohnen. Und sicherlich bestreiten viele ihren Lebensunterhalt mit dem Tourismus. Aber genauso, wie die Stadt schutzlos dem Wasser ausgeliefert ist (der Markusplatz liegt sehr tief und wird regelmäßig überflutet), so hat sich diese Stadt auch schutzlos den Touristen ausgeliefert. Die Touristen sind das Lebenselixier, aber sie ersticken auch das Leben und den Fortschritt. Später werde ich hören, dass die Touristen früher zwei Wochen in der Stadt blieben, um sich zu erholen. Heute kommen sie für einen Tag und fahren wieder. Wie im Taubenschlag. Wie ich. Ich muss hier weg.





                                Ich entscheide mich, mich anhand meines Stadtplanes zu orientieren, um den Menschenmassen aus dem Weg zu gehen. Es ist Zufall, dass ich ein Foto der Seufzerbrücke mache, ich habe sie nicht gesucht und auch nicht gewusst, wo sie sich befindet.





                                Ganz einfach ist die Orientierung aber auch mit einem Stadtplan nicht. Würde jemand von einem Tag auf den anderen alle Hinweisschilder und Straßenschilder entfernen, hätte der Ortsunkundige kaum eine Chance, den Weg aus der Stadt zu finden.











                                Irgendwann komme ich an der Rialtobrücke heraus und bei dem Versuch, Nebenstraßen zu finden, verirre ich mich in Sackgassen. So finde ich zunächst den Gemüsemarkt – und fühle mich an Litauen erinnert – und schließlich den Fischmarkt von Venedig, der leider schon geschlossen ist. So bleibt nur ein Foto von den Säulen. Der Geruch in der Halle ist natürlich unverkennbar.





                                Wieder verirre ich mich und lande am Canal Grande. Ein älteres Ehepaar aus Dresden versucht, sich gegenseitig zu fotografieren, aber mein Angebot, sie zusammen zu fotografieren, lehnen sie ab. Wir werden uns noch zweimal wieder begegnen, denn auch sie verlaufen sich.
                                Dann weiß ich mich wieder zu orientieren und finde die Schilder zur Piazzale Roma. Hier fahren die Busse ab.





                                Der moderne Bahnhof St. Lucia gerät in mein Blickfeld. Noch einmal ist ein Kanal zu queren und dann bin ich am Busbahnhof. Aber wo fährt der Bus? Ein Busfahrer hilft: Die Bushaltestelle ist weiter vorne. Dort, wo ich ausgestiegen bin, ist nur der Ausstieg.





                                Die Bushaltestelle ist tatsächlich groß mit der Nummer des Busses versehen. Nun ist es der Bus Nr. 5. Da er zugleich der Flughafenbus ist, stehen viele Menschen mit viel Gepäck herum. Ich ergattere mit dem Geschick des Großstadtkindes einen Platz und sitze einem älteren wohlsituierten amerikanischen Ehepaar gegenüber. Es hat den Jetlag. Sie haben 14 Stunden im Flieger gesessen und haben sich anschließend Venedig angeschaut. Geschlafen haben sie bisher nicht. Sie wohnen in einem Hotel am Flughafen. Morgen werden sie zu einer Kreuzfahrt mit dem derzeit größten Kreuzfahrtschiff der Welt Richtung Spanien aufbrechen – den Namen des Schiffes habe ich vergessen. Ich denke an meine Unterschrift und muss lächeln. Tatsächlich sieht man vom Bus aus, dass am heutigen Tage acht Kreuzfahrtschiffe Venedig angelaufen haben. Groß und wie ein Fremdkörper stehen sie am Kai. Es sind riesige schwimmende Hotels und die Eleganz der alten Kreuzfahrtschiffe fehlt ihnen völlig.

                                Ich drücke rechtzeitig den Halteknopf und steige an der richtigen Haltestelle aus. Als ich auf dem Campingplatz ankomme, bin ich froh über den Anblick. Bäume, Wiese, mein Zelt und mein Roller. Ich atme tief durch. Morgen werde ich auf eine der vorgelagerten Inseln fahren. Ich brauche eine Dosis Natur.
                                Am Abend setze ich mich in das Restaurant und esse eine vegetarische Pizza. Der Pizzabäcker backt die Pizza frisch, aber Neapolitaner kann er nicht sein. Die Aubergines sind angebrannt und durch besondere Raffinesse zeichnet sich der Geschmack nicht aus. Ich überlege, wie ich am Montag weiter fahren soll und stelle erneut fest, dass Venedig nicht so zentral liegt, wie ich dachte. Nach Kroatien käme ich wohl am besten über Wien. Nach Paris am besten über Deutschland. Und nach Hause komme ich am besten von Innsbruck oder von Zürich und Basel aus. Vielleicht sollte ich Innsbruck und Zürich einplanen? Nach Innsbruck fahren und dann von Innsbruck aus Zürich besuchen? Ich habe noch einige Tage auf meinem Ticket übrig. Andererseits soll das Wetter in Österreich und der Schweiz nicht mehr so gut sein. Es wäre besser, in Italien zu bleiben. Florenz, vielleicht? Das soll wunderschön sein. Aber auch das ist eine längere Zugfahrt. Und ich müsste wieder zurück. Umstiegspunkt nach Innsbruck ist Verona. Gibt es etwas Besonderes in Verona? Eine Opernarena, ja, das weiß ich. Aber sonst? Gibt es dort eine Jugendherberge?
                                Es ist eigentlich eher Spaß, dass ich die Übernachtungsmöglichkeiten in Verona im Internet überprüfe. Ein Hostel scheint es dort zu geben, aber auch einen Campingplatz. In einem Castel. Es soll einer der schönsten Campingplätze Europas sein. Ach. Vielleicht sollte ich einfach mal mit Städtetouren aufhören und Campingplätze besichtigen? Verona kommt auf meine Liste. Ich kann jetzt schon verraten, dass es tatsächlich Verona wird. Wie richtig diese Wahl sein wird, weiß ich natürlich noch nicht. Ich glaube, ich wäre sofort abgereist.
                                Zuletzt geändert von Torres; 01.10.2013, 11:35.
                                Oha.
                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  #36
                                  AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                  15.09.2013 Lido di Venezia

                                  Am Morgen bin ich früh auf und kaufe mir gegen 9.00 Uhr ein Busticket für die Hin- und Rückfahrt. Ich habe mich entschieden, nach Lido di Venezia zu fahren und ein wenig zu rollern. Mit dem Roller unter dem Arm stelle ich mich an die Bushaltestelle. Es ist Sonntag und die Busse fahren seltener als wochentags. So ist er bereits sehr voll, als er ankommt, zumal sich viele Menschen mit Koffern im Bus befinden, die zum Bahnhof Venezia Santa Lucia wollen. Die mittlere Tür macht der Busfahrer daher erst gar nicht erst auf und so versuche ich mein Glück vorne beim Fahrer. Fast komme ich nicht mit, aber die Freundin einer jungen Frau zögert zu lange und da die Frau Angst hat, dass die beiden getrennt werden, springt sie wieder aus dem Bus. Wunderbar. Das ist meine Chance. Mein Roller und ich können einstiegen und für ein asiatischen Paar ist auch noch Platz. Nun geht wirklich niemand mehr hinein und der Bus fährt ohne weiteren Halt nach Venedig.

                                  Ich kaufe ein Ticket für die Vaporettos (Linienschiffe) und zahle 18.00 Euro für ein Tagesticket. Erst hier sehe ich, dass der Bus in dem Preis einbegriffen wäre. Da habe ich einen Fehler gemacht und zuviel bezahlt. Ich hätte das Ticket gestern kaufen sollen. In Italien wird mit Entwertern gearbeitet, so dass man Tickets im voraus kaufen kann.

                                  Ich besteige die Linie 1, die praktischerweise von der Piazzale Roma bis nach Lido fährt. Da ich an der ersten Haltestelle einsteige, ist das Boot fast leer, und so ergattere ich einen Sitzplatz. Den Roller stelle ich neben mich.

                                  Der Himmel ist bedeckt und daher fehlt der milde, gnädige Glanz freundlichen Lichts auf den Häusern Venedigs. Vom Boot aus sieht man die Schäden an den Häusern besonders deutlich: Die Farbveränderungen, den Ruß, die Wasserschäden, das Moos und den abgeblätterten Putz. Ich sitze in Fahrtrichtung rechts und fotografiere aus dem offenen Fenster heraus, aber nur wenige Motive finden meine Gnade. Die Häuser sehen aus der Nähe einfach zu angegriffen aus. Nur zwei Paläste gefallen mir wirklich. Sie sind mit Malereien geschmückt. In einem anderen Palast sieht man die Kronleuchter leuchten.





                                  Die Fahrt dauert sehr lange und immer mehr Menschen steigen zu. Ich bin froh, einen Sitzplatz zu haben. Am Markusplatz leert sich das Boot zunächst, aber dann steigen wieder weitere Gäste ein und die meisten müssen stehen. Von Ferne sieht man die Touristenmassen auf dem Platz und ich freue mich auf eine ruhige Insel.

                                  Und dann glaube ich, Halluzinationen zu haben. Ein Schiff kommt auf uns zu und ich denke: HADAG. Das ist ein Typschiff der HADAG. Jahrelang haben die Schiffe dieses Typs den Hamburger Hafen geprägt. Aber das kann nicht sein. Ich kann mich nicht erinnern, dass eines der Schiffe in Italien fährt und schon gar nicht in Venedig. Ich muss mich irren. Das Schiff kommt näher und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es sieht fast so aus wie die Kirchdorf, die heute noch in Hamburg für Hafenrundfahrten eingesetzt wird. Die Fenster im unteren Bereich fehlen, an ihrer Stelle ist das gezeichnete Stadtpanorama angebracht. Aber der Aufbau ist gleich. Ich warte, bis das Schiff so nahe ist, dass ich ein gutes Bild machen kann. Das muss ich unbedingt zu Hause recherchieren.





                                  Und das habe ich soeben getan. Es ist: Tamtam: Die ehemalige Pöseldorf. HADAG Typschiff IIIc, Baujahr 1960, gebaut in der Hanseatischen Werft. Heute trägt sie den Namen Trafaria Praia und ist in Transtejo, Lissabon beheimatet. Von 1996 bis 2011 wurde sie auf dem Tejo als Fährschiff eingesetzt und jetzt ist sie als Botschafterin der Biennale 2013 unterwegs. Klick. Ich kann es nicht fassen. Die Welt ist klein. Gute Fahrt, alte Dame. Es war schön, Dich wiederzusehen.

                                  Langsam verschwindet der Markusplatz in der Ferne.





                                  Nach insgesamt gut einer Stunde Fahrt erreicht das Schiff den Anleger Lido. Lido di Venezia ist der mittlere Teil einer der Lagune von Venedig vorgelagerten Nehrung und trennt Venedig von der offenen Adria. Der Lido dient den Veneziern als Erholungsort und hat den Charakter eines Seebades. Es gibt ausgedehnte Strände, die aber zum Teil in Privatbesitz sind. Auch ein Campingplatz findet sich hier, den ich mir aber nicht anschauen werde. Der Hauptort Lido ist der jährliche Austragungsort der Internationalen Filmfestspiele Venedig.

                                  Da ich Menschen möglichst aus dem Weg gehen will, rollere ich auf dem Bürgersteig von der Fähranlegestelle, die sich in San Maria Elisabetta befindet, in Richtung Malamocco. Es sind im Ort erstaunlich viele Fahrradfahrer unterwegs und mir fällt auf, dass ich bisher in Italien kaum Radler gesehen habe. Nach kurzer Zeit bin ich alleine. An einer Brücke mache ich Fotos und versuche, einen Weg zum Wasser zu finden. Das gelingt mir. Kurz darauf befinde ich mich an einem kombinierten Fuß- und Radweg. Nur sehr wenige Radfahrer und ab und zu mal Fußgänger mit Kinderwagen sind unterwegs. Ich genieße die Ruhe und atme tief durch. Bänke locken auf einem Grünstreifen und ich setze mich ein paar Minuten hin. Das Wetter ist trist, aber das stört mich kein bisschen. Ein Motorboot heizt vorbei. Dann ist es wieder still.





                                  Ich rollere weiter und bin ein wenig übermütig. Die Quittung kommt nach kurzer Zeit: Mein Fuß muckt wieder auf. Also mache ich langsamer, aber ich fühle, dass er wieder dick wird. Als die Küstenstraße endet und an einem Kanal zur Straße führt, entscheide ich mich, die andere Seite der Insel an zu schauen. Kurz bevor ich den Strand erreiche, entdecke ich ein Schild: E5. Ist damit der Europäische Fernwanderweg gemeint oder handelt es sich um einen Fernradweg? Ich dachte, der E5 endet in Verona.





                                  Der Anblick der Adria enttäuscht. Mag sein, dass es hier bei Sonnenschein sehr schön ist, doch der Strand ist nicht sehr breit und die Häuserkulisse an der Promenade lässt mein Herz nicht gerade Sprünge machen. Ich passiere ein unbesetztes Pförtnerhäuschen, die Umkleidekabinen und ein von zwei Personen besuchtes Restaurant mit ausladender Terrasse und gehe auf einem steinernem Pier in Richtung Meer. Ein Schwimmer hat die Adria (fast) für sich alleine. Das Wasser ist klar und vermutlich warm, aber nach Schwimmen ist mir heute nicht zumute. Ich verweile ein wenig, hänge meinen Gedanken nach und gehe dann langsam zurück.





                                  Ich rollere weiter in Richtung Malmocco und merke, dass sich der Weg zieht. So nehme ich einen Bus, der mich nach Alberoni führt. Ich rollere durch eine nette Ortschaft und biege dann auf eine Landstraße ein. Hier sind Bäume und Büsche und der Asphalt ist perfekt. Ich muss mich zwingen, aus Rücksicht auf meinen Fuß, langsam zu fahren. Autos begegnen mir keine. Zwei Radfahrer kommen mir entgegen und grüßen mich lächelnd. Das Bild zeigt also die Strecke hinter mir. Ich genieße es, in der Stille vor mich hin zu rollern und bin enttäuscht, als die Straße schon bald zu Ende ist. Ich komme an einer Fähranlegestelle heraus und bedauere, meine Ausrüstung nicht dabei zu haben. Ich würde jetzt gerne an der Küste entlang weiterrollern. In der Ferne sehe ich einen Turm und grübele, ob es sich um einen Leuchtturm handelt. Sicher bin ich mir nicht.

                                  Ein Schild informiert über einen Fernradweg. Ist das mit E 5 gemeint? Zwei italienische Reiseradler im Papageienlook erscheinen und warten auf die Fähre, die sie zum nächsten Teil der Nehrung fähren wird. Ich beneide sie. Ich überlege, ob ich zurückrollern soll, entscheide mich aber, die Bushaltestelle in der Nähe aufzusuchen. Es ist besser, meinen Fuß zu schonen. Schade. Wäre ich fit, würde ich die Straße von eben noch einmal zurückfahren. Vollspeed, natürlich.
                                  An der Bushaltestelle entdecke ich einen Sendeturm und einen kleineren leuchtturmartigen Turm. Aber ob es sich hierbei um einen Leuchtturm handelt, entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis und eine Internetrecherche hat bisher auch kein Ergebnis gebracht.





                                  Der Bus fährt mich bis zur Anlegestelle und einen Moment überlege ich, mir noch den Ort an zu schauen. Aber nach Häusern steht mir heute nicht der Sinn. Außerdem muss ich damit rechnen, dass bald der Sonntagsrückreiseverkehr einsetzt. Daher reihe ich mich in die Schlange der Wartenden ein, die von dem vorhergehenden Schiff nicht mehr mitgenommen werden konnten und habe Glück, im nächsten Schiff zunächst innen und später auch auf den wenigen Plätzen hinten im offenen Heck sitzen zu können. Nun kann ich ungestört und ohne Sichtbehinderung fotografieren. Von dem Gedränge auf dem spätestens ab Markusplatz völlig überfüllten Schiff bekomme ich nichts mit.

                                  Wieder bin ich fasziniert, mit welchem Geschick die Gondoliere ihre Gondeln bewegen.





                                  An einer Brücke lässt sich ein „Porter Service“ erkennen, der mit einem auf die Treppen abgestimmten Handkarren die Koffer der Gäste transportiert und sich mühsam seinen Weg durch die Massen bahnt. Sind heute noch mehr Touristen unterwegs als gestern? Es kommt mir so vor. Wieder taucht eines der von außen bemalten Häuser auf. Schön anzusehen. Ein Gast mit Hund steigt zu und hat eine Tasche dabei, auf der viele kleine Pfoten aufgedruckt sind. Ein Tatzenverbrechen. Was macht eigentlich ODS?





                                  Eine Truppe Kajakfahrer paddelt vorbei und die Umstehenden murmeln „Oh“ und „Ah“. Es scheint ihre Vorstellungskraft zu überfordern.





                                  Immer wieder sehe ich Details, die ich fotografierenswert finde. Dann kommen wieder ganze Häuserzeilen, die ich als sanierungs- oder renovierungsbedürftig einstufen würde. Guterhaltene Häuser sind oft Hotels oder Museen und an einem besonders stolz wirkenden Palast hängen die Werbebanner eines Unternehmens. Ein Boot mit der Aufschrift Ambulanza steuert mit hoher Geschwindigkeit einen engen Kanal an. Natürlich. In dieser Stadt kann weder ein Rettungswagen fahren, noch ein Hubschrauber landen. Eine Braut im Brautkleid feiert fröhlich winkend mit Freundinnen auf einem Boot. In einem zweiten Boot folgen weitere Freundinnen. Es sieht nach Junggesellenabschied aus. Der Führer einer Yacht nimmt vor einem Hotel die Koffer der Gäste in Empfang.





                                  Als ich Venedig verlasse, sehe ich in der Ferne die Kreuzfahrtschiffe stehen. Die Amerikaner von gestern sind vermutlich schon auf hoher See. Die größten Kreuzfahrtschiffe fassen derzeit um die 5000 Gäste. Acht Schiffe gleichzeitig am Pier und jedes mit 5000 Gästen an Board - das wären alleine 40.000 Kreuzfahrtgäste pro Tage. Puh. Aber ein Wirtschaftsfaktor, kein Zweifel.





                                  Am Abend gehe ich wieder in das Restaurant, weil es nur an dieser Stelle W-Lan gibt. Die Pizza ist noch schlechter als gestern und aus billigen Zutaten gemacht. Aber es ist Sonntag und die Geschäfte haben geschlossen, so dass ich nichts zum Kochen da habe. Ich checke noch einmal alle möglichen Bahnverbindungen in Richtung Kroatien, Ungarn und Frankreich und entscheide mich schließlich für Verona. Eine Stunde Zugfahrt ist in Ordnung. Mehr Zeit möchte ich morgen nicht im Zug verbringen. Von Verona aus ist es außerdem nicht weit nach Innsbruck, falls ich ab Innsbruck nach Hause fahren will. Und Innsbruck liegt wiederum günstig, falls ich noch Zürich anschauen will. In beiden Städten gibt es Hostels und ich fotografiere die Adressen ab. Dann fotografiere ich die Anreisebeschreibung für den Campingplatz Castel San Pietro in Verona. Sorgen macht mir allerdings, dass auf der Beschreibung ein Fußweg eingezeichnet ist, der Treppen beinhaltet. Mit Roller und Gepäck dürfte das mit meinem Fuß nicht zu schaffen sein. Ich lese mir gefühlt 32 Bewertungen des Campingplatzes durch, bis ich erfahre, dass es 258 Treppenstufen sind. Das ist nicht wenig. Drei oder vier Bewertungen später schreibt ein Amerikaner, er hätte für sieben Dollar ein Taxi genommen. Das ist natürlich auch eine Idee. Ich verschiebe das Problem auf morgen. Mir wird schon etwas einfallen.
                                  Zuletzt geändert von Torres; 02.10.2013, 11:12.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                    • 22.08.2008
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                                    AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                    Hallo Torres, wegen dir komme ich heute spät ins Bett.
                                    Ein wie üblich gut geschriebener und unterhaltsamer Bericht von dir. Die Beschreibungen der italienischen Städte haben Erinnerungen in mir wachgerufen. Früher war ich öfters in Italien, leider die letzten Jahre nicht mehr. Ich muss doch mal wieder hin. Freue mich auf die Fortsetzung mit Verona, da war ich auch schon mal.

                                    Ich bin gespannt mit welchem Fortbewegungsmittel du deine nächste Reise durchführst. Du überrascht immer mit ungewöhnlichen Fahrzeugen.
                                    Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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                                    • Torres
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                                      AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                      Danke für Deinen positiven Kommentar. Morgen geht es mit meinem Bericht weiter. Aber ob mir jetzt noch so viele neue Fortbewegungsmittel einfallen? Schauen wir mal
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • Torres
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                                        • 16.08.2008
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                                        16.09.(-17.09.)2013 Verona

                                        In der Nacht hat es aus Kübeln geschüttet und am morgen ist das Zelt klitschnass. Ich entscheide mich, es in die Morgensonne zu legen, die bald hinter den Bäumen auftauchen wird. Wie gewohnt lege ich es auf den Rücken, damit die Innenwände als erstes trocknen. Das Innenzelt hängt merkwürdig am Außenzelt dran und ich sehe, dass erneut eines der Gummibänder, die das Innenzelt mit dem Außenzelt verbinden, abgerissen sind. Erst denke ich, dass es daran liegt, dass die Gummibänder nach sieben Jahren ihre Elastizität verloren haben, aber sie dehnen sich völlig normal. Irgendetwas stimmt hier nicht. Es sieht aus, als würde das Gestänge das Zelt auseinanderdrücken. Richtig. Das Zelt hat kein Bodenband. Ich nehme eine Tarpschnur und bastele eines. Na also. Jetzt sieht das Zelt ja wie neu aus. Nicht mehr so flach und irgendwie - geodätischer.

                                        Ich stelle das Zelt auf den Kiesweg und beschließe, einen kleinen Spaziergang zu machen. Der Campingplatz ist wirklich schön und wenn ich nur zum Campen gekommen wäre, könnte ich hier durchaus noch ein paar Tage verbringen. Der hintere Teil des Platzes ist mit Flatterband abgesperrt, damit sich die Gäste auf die vorderen Plätze verteilen und das nasse Gras und die nassen Bäume glitzern in der Sonne. Kurz vor Ende des freigebenen Teils steht eine kleine, weiße Dackelgarage. Ein Billigzelt ist das nicht, das sehe ich sofort, auch wenn der hintere Teil vom Regen eingedrückt wurde. Ein MTB steht daneben. Das Material sieht weder nach SilNylon, noch nach PU aus. Eher wie eine Mülltüte. Und in dem Moment weiß ich, was das ist. Tatsächlich finde ich an der Seite ein Schild: Tarptent. Yes. Dieser Tag wird ein guter Tag.
                                        P.S. Es ist übrigens ein Sublite und das Material Tyvek.





                                        Ich schlendere die gesperrte Wiese entlang und am Ende ist ein Tor, das mit einem Schloss verriegelt ist. Dahinter verbirgt sich ein verwunschen anmutender Nutzgarten.





                                        Der Campingplatz, den ich heute aufsuchen werde, soll gleichzeitig ein botanischer Garten sein und Vorfreude kommt auf.
                                        Als ich auf der anderen Seite zurückgehe, entdecke ich ein großes weißes Familienzelt (oben im Bild). Die Form, die Verarbeitung und die Qualität: Das kann nur ein De Waard sein. Wieder liege ich richtig. Das Schild zeigt, dass das Zelt noch in Holland gefertigt wurde. Der Besitzer, natürlich ein Holländer, kocht gerade Kaffee. Wir unterhalten uns auf Englisch und es erfolgt der denkwürdige Dialog, den ich bereits in einem thread gepostet habe: „Ist das ein altes Zelt?“. „Nein“. „Wie alt ist es denn?“ „Erst 15 Jahre. “ Er hat Recht. Für ein De Waard ist das kein Alter.

                                        Mein Zelt ist nun trocken und ich verstaue es im großen Rucksack. Zwei Deutsche packen ebenfalls und gestehen, dass sie in der Nacht gefroren haben. Es ist kühl geworden, in der Tat. Nachdem ich gezahlt habe, stelle ich mich an die Bushaltestelle. Der Bus 15 kommt und ich bin noch ganz auf die Nr. 19 ausgerichtet. Als ich meinen Irrtum bemerke, setze ich schnell den Rucksack auf und schnappe mir den Roller. Fast fährt der Bus vorbei, und ich bin dem Busfahrer dankbar, dass er an meinem hektischen Treiben erkennt, dass ich mit will und doch noch hält.
                                        Nach zwanzig Minuten bin ich am Bahnhof und bitte um eine Reservierung für den nächsten Zug nach Verona. Die Bahnmitarbeiterin fragt extra nach, ob es wirklich der nächste Zug sein soll, und als ich nicke, reserviert sie mir einen Platz um kurz nach 11.00 Uhr im Highspeedtrain. An der Anzeigetafel sehe ich, dass ein paar Minuten später ein regionaler Zug gefahren wäre, der auch nicht sehr viel länger braucht, aber das ist mir jetzt egal. Im Schnellzug kann ich jedenfalls mein Handy noch einmal aufladen.
                                        Während der Fahrt ziehen Wolken über die Sonne und es scheint, als würde sich das Wetter verschlechtern. Ich dämpfe meine Erwartungen an Verona, da ich davon ausgehe, dass es sich um eine Industriestadt handelt, die im Idealfall einen kleinen Altstadtkern aufweist. Vielleicht gibt es dort aber ein wenig grün oder ein schönes Hinterland, so dass ich ein wenig Urlaub machen und rollern kann. Immerhin kommt die Sonne wieder heraus, als ich Verona erreiche.

                                        Der Bahnhof wirkt freundlich und routiniert trage ich mein Gepäck die Treppe hinunter. Dass der Bahnhof behindertengerecht ausgebaut ist, kommt mir gar nicht in den Sinn. Ich laufe durch den Ausgang und vor mir stehen, wie Perlen aufgereiht, in sonnenbeschienenem beige: Taxis.

                                        Wenn das Schicksal so unbarmherzig zuschlägt, muss man sich ergeben. Also steuere ich den vordersten Wagen an. Gutgelaunte Taxifahrer halten gerade ein Schwätzchen und als ich mich nähere, erkenne ich das Zentrum ihrer guten Laune: Eine blonde, schlanke, fröhliche Naturschönheit in den Endvierzigern mit ganz vielen Lachfältchen. Die Männer zeigen auf ihr Auto und sie bedankt sich fast schüchtern bei den Kollegen, lächelt mich mit ihrem wunderbaren Lächeln an und wuchtet mit mehr gutem Willen als Technik den großen Rucksack in den Kofferraum des Taxis. Damit ist der Kofferraum voll und sie schaut mich verlegen mit großen Augen an. Ich packe den Roller und bedeute ihr, dass sie den Rollwagenrucksack auf die schmale Seite legen soll und siehe da, nun passt auch der Roller davor. Sie strahlt, haucht „Grazie“ und wir besteigen ihr Gefährt. Was für eine Frau!
                                        Leider spricht sie kaum Englisch und ich spreche kaum italienisch, aber wir unterhalten uns prächtig. Das Taxi nimmt zunächst eine große Ausfallstraße und ich bin überrascht, wie wenig Verkehr hier ist. Die Autofahrer fahren zivilisiert und ich erzähle, dass ich in Neapel war. Sie schaut mich erschrocken an. Neapel, nein, nach Neapel würde sie nie fahren. Das Taxi biegt ab und kurz sehe ich die Arena. Die Opernfestspiele sind leider vorbei, erzählt sie, die gehen nur bis Ende August. Schade, aber ich vermute, die Vorstellungen sind sowieso schnell ausverkauft. Wir fahren den Innenstadtring entlang und ich erhasche einen kurzen Blick auf die Altstadt (UNESCO Weltkulturerbe seit 2000). Ich bin erstaunt. Diese Stadt scheint richtig hübsch zu sein. Die Straße windet sich nun in Serpetinen einen Hügel hinauf und ich erinnere mich an die schematische Anreisebeschreibung. Ich hätte also durchaus ohne Treppen den Campingplatz erreichen können. Es gibt sogar einen schmalen Bürgersteig, auf dem man den Roller hätte schieben können. Vermutlich hätte ich für dieses Teilstück allerdings eine Stunde gebraucht.
                                        Plötzlich biegt die Taxifahrerin in einer Serpentine in eine Seitenstraße unter einem Torbogen ein und wenige Meter später sind wir da. Ich gebe Trinkgeld und sie schenkt mir ein so strahlendes Lächeln, dass ich unwillkürlich überlege, ob man so etwas lernen kann. Aber sie wirkt völlig natürlich und ich freue mich, als im Eingang ein junges Paar auftaucht und sie bittet, die beiden mit in die Stadt zu nehmen.


                                        Ich entdecke ein Schild „Reception“, bin mir aber nicht sicher, ob ich nach links oder nach unten muss. So gehe ich erst einmal nach links und lande auf der oberen Terrasse, wo gerade Abbauarbeiten stattfinden. Später werde ich erfahren, dass dort gestern eine Hochzeit gefeiert wurde. Als die Feierlichkeiten begannen, setzte unerwartet starker Regen ein und die ganze Mühe war umsonst, aber die Feier war trotzdem schön. Ich trete an die Brüstung und genieße den Anblick. Verona hat einen Fluss. Das ist schon mal gut. Und an den Seiten steigen Hügel empor. Es scheint wirklich eine wunderschöne Stadt zu sein. Das hätte ich nicht erwartet.






                                        Ich laufe den steilen, schmalen Weg zur Rezeption hinunter und es riecht nach Natur und nach Spätsommer. Am Walnussbaum hängen Nüsse und ich sehe, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie herunterfallen. Ich laufe zunächst an der Rezeption vorbei, die sich unauffällig in die Natur einfügt und muss ein kurzes Stück wieder zurücklaufen. Im Büro sitzt eine Italienerin und telefoniert, und die Atmosphäre kommt mir ein wenig vor wie in einer Wohngemeinschaft. Nebenan ist ein kleiner Laden, der gleichzeitig ein Café ist. Hier bekommt man zur Not neben Nudeln, Dosen und Getränken auch ein paar wenige frische Sachen. Ich frage die Frau nach einem Platz für mein kleines Zelt und für mich. Sie hat Platz, sagt sie auf Englisch, aber einchecken kann ich erst ab 14.00 Uhr, denn jetzt ist Mittagspause. Mir soll es recht sein und ich setze mich auf die von Bäumen umgebene Terrasse vor dem Café in den Schatten. Um ein Uhr kommt sie zu mir und ich darf schon früher einchecken. Das ist nett. Auf meinen Wunsch gibt sie mir einen Platz mit guter Aussicht und wenig Treppen :-). Im Internet hatte ich gelesen, dass die Plätze teilweise sehr klein sind und man bei der Angabe „kleines Zelt“ auch wirklich ein kleines Zelt dabei haben sollte. Meines ist klein und ich bekomme einen schmalen Platz an der ehemaligen Stadtmauer zugewiesen, der einen Durchguck besitzt, mit dem man auf ein Stück Verona schauen kann. Der ganze Zeltbereich ist von Weinranken überdeckt, die für menschliche Räuber hoch genug hängen und verlockende Weintrauben tragen. Die Bewertungen hatten recht. Das ist wirklich ein schöner Platz.














                                        Daneben befindet sich eine Terrasse, die man nutzen kann, um zu reden, zu kochen oder den Blick über Verona zu genießen. Am Rand befinden sich Wasser, Waschbecken und Mülleimer. Und eine Bank ist sogar überdacht. Ein Platz für Zelter, keine Frage.








                                        Ich laufe ein wenig herum und schaue mir Teile des Platzes an. Unter der Terrasse meines Zeltplatzes ist ebenfalls ein Zeltplatz. Man sieht große Zelte auf einer Zeltwiese im Schatten stehen. Auf der anderen Seite unserer Terrasse sind Einzelplätze für Zelte, die in Hecken eingefasst sind. Noch weiter unten muss es noch eine Ebene geben, das sehe ich auf dem Plan. Ich gehe aber erst einmal wieder nach oben, weil ich Wäsche waschen muss. Ganz oben, neben dem Eingang, befinden sich ein paar kleinere Wohnwagen und Campingbusse und die meisten Reisenden sind Deutsche oder Briten. Auch hier steht man eng und ich schätze mal, dass vielleicht 10 oder 15 Wagen hier hin passen. Die Monstermobile schon gar nicht. Die Camper haben direkten Zugang zu der oberen Terrasse, von der aus man auf die Terrasse des Cafés schaut, ich sehe sie allerdings nur vor ihren Autos in der Sonne hocken. Einige der Wohnwagen sind vermutlich Mietwohnwagen, denn dieser Service wird angeboten. Mietzelte gibt es auch.





                                        Die Sanitäranlagen meines Platzes sind auf halber Höhe und davor gibt es ungefähr 8 schmale Parkplätze für Autos. Sie fallen vor dem Hintergrund der Bäume und Sträucher kaum auf. Viele Pflanzen sind mit Schildern versehen, die die Pflanze und ihre Charakteristik in vielen Sprachen erklären. Auch ein Schild, wie man sich zu verhalten hat, darf nicht fehlen. Ich überlege mir, mir auch noch die unteren Plätze an zu schauen, denn auch dort sind laut Karte Parkplätze ausgewiesen. Keine Ahnung, wie die Autos dort hinkommen, ich sehe am Platz keine Zufahrt. Aber ich will erst einmal die Stadt sehen und später vergesse ich das wieder. Hunde sind auf diesem Platz übrigens nicht erlaubt, auch wenn ich eine Ausnahme gesehen habe. Möglicherweise lag das daran, dass der Hund stark bewegungseingeschränkt war.





                                        Ich hole meinen Roller und entscheide mich, den kürzeren Weg ins Tal zu nehmen. Er führt über das Castel San Pietro. Einen Stadtplan habe ich nicht, sondern ich verlasse mich auf mein Glück und meine Fähigkeit, Fragen zu stellen. Ich biege am Eingang rechts ab und rollere die Straße zum Castel entlang. Das Castel gibt dem Campingplatz anscheinend nur den Namen. Den Platz selbst umgeben alte Stadtmauern.

                                        Der Parkplatz vor dem Castel ist ein beliebter Platz für Liebespaare, Frischvermählte, Touristen und alle, die den Ausblick auf Verona schätzen oder Bilder machen möchten. Es gibt sogar die fest installierten Ferngläser, in die man Geld einwirft, um die Sehenswürdigkeiten von Nahem sehen zu können. Der Platz ist tatsächlich perfekt. Verona und die benachbarten Hügel liegen vor einem. Und nun sieht man, dass Verona in einer Flussschleife liegt. Es ist die in Südtirol entspringende Etsch, ital. Adige, der zweitlängste Fluss Italiens.





                                        Das Rauschen des Flusses dringt von unten hoch, und ich laufe die Stufen hinunter. Kurz darauf bin ich an der Ponte Pietra. Dass die Brücke 100 vor Christi gebaut wurde, 1945 von deutschen Soldaten teilweise zerstört und mit den Originalsteinen wieder aufgebaut wurde, ist mir nicht bewusst. Ich betrachte fasziniert das Spiel des Wassers. Leider hat sich die Sonne verzogen, so dass die Stelle auf den Fotos nicht ganz so zur Geltung kommt, wie ich es mir wünschen würde. Aber ich bleibe bestimmt 15 Minuten auf der Brücke stehen. Diese Stadt hier ist kein Museum und das Wasser ist ungestüm und gewaltig.





                                        Die Brücke führt zu einem Tor und ich mache zwei Bilder der angrenzenden Straßen.





                                        Da rechts eine Einbahnstraße ist, fahre ich nach links und finde mich bald auf schmalen Straßen wieder, die sich gut rollern lassen. Sie sind verkehrsberuhigt oder weisen wenig Verkehr auf, so dass ich die schmalen Bürgersteige verschmähe. Radfahrer machen das auch so, sehe ich bald, denn auch die Einheimischen fahren hier Rad. Ein Schild mit einem Bild von Luciano Pavarotti (ein Tenor...) lässt mich stutzen und eine junge Frau erklärt mir, dass dieses Gebäude ein Museum ist und es dort eine Ausstellung über die Arena, die Oper sowie als Sonderausstellung über Pavarotti gibt. Ich verspreche ihr, morgen zu kommen und frage sie, wo ich einen Stadtplan bekomme. Sie beschreibt mir den Weg zur Arena: Fahren sie an xy links, dann wieder rechts und dann immer geradeaus. Klingt einfach und wäre es auch gewesen, wenn ich links abgebogen wäre. Aber ich verpassse die Abfahrt, weil ich an irgendetwas anderes denke, und als ich dran denke, bin ich schon auf der Piazza Erbe. Der Platz ist längst nicht so prächtig wie die zentralen Plätze, die ich in Rom oder Venedig gesehen habe, aber er ist so schön lebendig. In der Mitte stehen nicht nur Souvenirbuden (das erste Mal seit Jahren sehe ich wieder Pinocchio Marionetten), sondern auch Obst- und Gemüsehändler, es sind nette Cafés und Restaurants da, und die Anzahl der Menschen ist gerade richtig. Es sind Touristen da, aber nicht zu viele, und ich merke, wie ich mich entspanne. Sollte ich hier die Leichtigkeit wieder finden, die Rom zu einem Erlebnis werden ließ? Ich mache Fotos und erspähe ein Outdoorlabel. Der Laden reizt mich nicht.





                                        Zwei Fahrradfahrer kommen aus einer Straße und ich erkenne Zeltnachbarn wieder. Hah. Kaum in Verona und schon Bekannte. Ich frage, wo die Arena ist und sie schildern mir den Weg.
                                        Die Haupteinkaufsstraße ist Fußgängerzone und sehr voll, so nehme ich eine schmale Seitenstraße und habe Glück, zu sehen, dass sich an einer Stelle, wo die Straße zu Ende scheint, Fußgänger durchschlängeln. Noch ein wenig Straße und unvermittelt stehe ich vor der Arena.





                                        Nein, so beeindruckend wie das Collosseum ist sie nicht. Viel kleiner. Es ist die drittgrößte Arena Italiens und sie fasst 22.000 Menschen. Die letzten Katharer wurden hier verbrannt. Und seit 1913 ist sie wieder ein Theater. Vor ihr stehen viele Menschen, und im ersten Moment denke ich: Schon wieder alles voller Touristen. Viel zu viele Menschen hier. Verdammt. Ich brauche eine gewisse Zeit, um zu bemerken, dass der eigentliche Platz völlig leer ist. Die Leute stehen vor allem vor den Eingängen der Arena. Viele haben Schals um den Kopf. Oder um die Handgelenke. Ziemlich jung sind sie auch. Ist das hier ein Versicherungsevent oder eine Promotionaktion? Ich bemühe mich, die Aufschrift zu entziffern: „Ligabue“. Aha. Vielleicht eine Bank?

                                        Von allen möglichen Seiten strömen junge Leute, teilweise auch Kinder herbei. T-Shirts Ligabue, Fahnen Ligabue, am Arm Ligabue. Zwei Mädchen geben dem Fernsehen Interviews. Es hilft nichts, ich muss fragen. Ein Italiener steht neben mir, ich schätze ihn auf 20 Jahre. „Was ist Ligabue“? „Wie, Sie kennen Ligabue nicht?“ „Nein, muss man das?“ „Ja, unbedingt“. „Und was ist Ligabue?“ „Ein Sänger. Der beste Sänger der Welt“. „Oh. Okay. Ich bin alt.“. Er lacht. „Keine Sorge, das macht nichts, außerhalb Italiens kennt man ihn wohl tatsächlich eher nicht.“ Ich frage nach dem Eintrittspreis. Die Karte kostet 70,00 Euro. Einen Moment lang überlege ich, ob ich eine Karte kaufe. Gerne würde ich die Arena einmal als Konzertstätte sehen. Aber 70,00 Euro sind zuviel. Vermutlich ist es ja sowieso eine Teenieband. Inzwischen weiß ich: Weit gefehlt. 1960 geboren und zusätzlich Schriftsteller und Regisseur, ist Luciano Ligabue ein Star, der den Rekord hält, das größte Konzert eines Einzelkünstlers gegeben zu haben - mit ca. 180.000 Zuschauern (2005). Und er ist verdammt gut.

                                        Und das verpasse ich:





                                        Ein Fernsehbericht über das Konzert


                                        http://youtu.be/O-LN07QoK70


                                        Ich wende mich ab und suche das Schild der Touristeninformation. Da ich nichts finde, quere ich die Piazza Bra, die nun plötzlich fast leer wirkt. Nur wenige Touristen sind unterwegs. Autos fahren auf der Piazza keine, aber am Rande der Piazza gehen die wichtigsten Straßen ab. Dennoch ist die Verkehrsdichte eher gering. Oder bin ich seit Neapel unsensibler? Später werde ich bemerken, dass sich der Verkehr am Innenstadtring durchaus staut. Aber als störend empfinde ich das nicht.

                                        Am Ende der Piazza Bra sehe ich, dass ich links muss (Via degli Alpini). Die Touristeninformation befindet sich in einem alten Gemäuer, vermutlich einer Stadtmauer. Ich erhalte einen Stadtplan und sehe, dass Verona gar nicht so groß ist. Insgesamt hat es ca. 250.000 Einwohner. Zudem erfahre ich, dass das Konzert von Ligabue eines von fünf Konzerten ist, die in den nächsten Tagen in der Arena statt finden. Er scheint also wirklich eine Berühmtheit zu sein, wenn man ihm zutraut, mehr als 100.000 Menschen in seinen Bann zu ziehen.

                                        Ich rollere zurück und erneut zieht mich das Treiben vor der Arena an. Und ich spüre wieder die Leichtigkeit, die ich in Rom so genossen habe.





                                        Alle um mich herum sind glücklich und gelöst. Mädels, die ihre Eintrittskarte küssen, als sie von der Kasse zurück kommen. Jungs, die ganz cool tun, aber in Wirklichkeit stolz sind, eine Eintrittskarte in der Hand zu halten. Jungs, die ihre Mädels in Erwartung des Konzertes zärtlich in den Arm nehmen. Schüler, die für Bier eigentlich noch zu jung sind und die Flaschen unauffällig auf dem Boden entsorgen. Schüler in dem gleichen Alter, die das nicht gut finden und die Flaschen aus dem Weg räumen. Eltern mit minderjährigen Kindern, denen man die freudige Erwartung von weitem ansieht. Ein strahlender 13jähriger mit Italienflagge und Ligabue T-Shirt. Eltern, die zur Vernunft aufrufen und angesichts der fröhlichen Kindergesichter nicht streng sein können. Schwarzhändler, die herumstreichen und mit ihren Geschäften anscheinend nicht zufrieden sind. Ein Kameramann, der die Atmosphäre einfängt. Und die Gruppe, die ganz am Zaun der Arena steht, mit Sprechchören Jubel hervorruft und für den Kameramann „Certe Notti („Gewisse Nächte“)“ im Chor singt. Ich drehe von der Szene ein Video mit meiner Kamera und mittendrin muss eine ältere deutsche Frau, der ich blöderweise vorher auf deutsch erklärt hatte, dass Ligabue ein Sänger ist, in mein Ohr brüllen: „Haben Sie bei dem Film auch Ton?“ Der Klassiker!

                                        Daher hier „Certe Notti“ in einer Aufnahme, in der Luciano Ligabue zusammen mit Luciano Pavarotti auftritt. Wann die Aufnahme entstanden ist, ist unklar, aber ich würde sie wohl auf um die Jahrtausendwende datieren, denn 2005 ist Pavarotti das letzte Mal aufgetreten. Mit diesem Video weiß dann auch jeder, wer Pavarotti ist, von dem ja bereits die Rede war und noch sein wird.


                                        http://youtu.be/CN8YF8e_lTU


                                        Ein gutaussehender, weißhaariger Italiener, vielleicht Mitte 50, spricht mich an. Er bewundert meinen Roller und fragt, wo ich ihn herhabe. Er rollert viel mit seinem kleinen Enkel. Ich erzähle ihm, dass dieses ein Erwachsenenroller ist und erkläre ihm, wo er ihn bestellen kann. Er bedankt sich und sein Lächeln umrankt ein kaum merklicher Zug der Resignation, den Menschen haben, die versuchen, die Fassade aufrecht zu erhalten. Und ich weiß: Wirtschaftskrise, arbeitslos, wenn er Glück hat Frührente. Rollern mit dem Enkel und Gartenarbeit anstatt gebraucht zu werden. Er tut mir leid.


                                        Es sieht nach Regen aus, und so rollere ich langsam zurück. Auf der Piazza Erbe erstehe ich Paprikaschoten und eine reife Avocado. Ich erkläre der Markfrau, dass die Avocado weich sein soll, und sie erklärt auf italienisch, die Avocado wäre perfekt. Ich bin nicht der Meinung, und sie nimmt sie wieder in die Hand und empört sich lautstark. Sie würde nur gute Avocados verkaufen. Sie lässt mich eine angeschnittene Avocado probieren, und ich nicke. Sie schaut zufrieden, greift nach der von mir gekauften Avocado, tauscht sie unauffällig aus und siehe da, diese Avocado ist besser, allerdings auch noch recht hart. Dennoch wird sie fantastisch schmecken. Leider sehe ich die Marktfrau nicht mehr, ich hätte es ihr gerne mitgeteilt.

                                        An die Piazza Erbe schließt sich die Piazza di Signori an, und ich fotografiere ein bisschen herum. Auf dem Platz steht Dante, der Dichter der „Göttlichen Komödie“. Die ehemaligen Paläste beherbergen jetzt staatliche Institutionen.





                                        Als ich weitergehe, komme ich an einer merkwürdigen Anlage vorbei. Sie wirkt ein bißchen unheimlich. Es ist die Kirche Santa Maria Antica aus dem 8. Jh. Sie war laut wikipedia eine Privatkirche der Scaliger, welche die Paläste auf dem eben fotografierten Platz um das Denkmal von Dante herum erbaut haben und die kunstvollen Türme im Garten sind Grabmäler.





                                        Ich fahre Richtung Ponte Pietra und bleibe eine Zeitlang vor einem Teppichgeschäft stehen. Die Motive sehen selbstgemacht aus. Etwas weiter befindet sich ein kleines Geschäft, das italienischen Käse und italienische Wurst anbietet. Leider hat es beretis geschlossen und auch am nächsten Tag nicht geöffnet, als ich dort etwas kaufen will.
                                        Und dann warten die Stufen auf mich. Gar nicht weit von der Ponte Pietra, versteckt zwischen zwei Häusern, geht es hoch. Die Stufen sind gehfreundlich angelegt: Nicht zu hoch und und nach steilen Abschnitten kommen langgezogene Abschnitte. So packe ich meinen Roller in die rechte Hand und gehe Schritt um Schritt. Es geht erstaunlich gut. Mein Knie muckt nicht, der Fuß ist okay, nur der Arm wird zwischendrin lang und länger. So mache ich ab und zu Pause, auch weil ich feststelle, dass die Angelegenheit ziemlich schweißtreibend ist. Ein Ehepaar, das mir entgegenkommt, wird mich am nächsten Tag darauf ansprechen, dass sie mich bewundert haben, wie ich den schweren Roller da hoch schleppe. Naja, so schlimm war das auch wieder nicht.

                                        Auf halber Höhe gibt es einen Park, und ich nutze ihn als Rechtfertigung für eine Pause. Man sieht, dass die Sonne langsam untergeht und ein Fotograf balanciert auf der Mauer, um Fotos zu machen. Auch ich versuche mein Glück. Wohl wissend, dass der Sonnenuntergang noch nicht vorbei ist, gehe ich aber kurz drauf weiter.





                                        Als ich am Castel ankomme, habe ich 229 Stufen gezählt. Dieser Weg ist also kürzer als der beschriebene Fußweg an den Serpentinen. Ich rollere zu meinem Zelt und nehme meine Kochsachen, um mich auf unsere Terrasse zu setzen. Es gibt Spaghetti mit Avocado und Käse. Nun dreht die Sonne richtig auf und versinkt glutrot hinter den Häusern. Meine Kamera übersteuert bei den nächsten beiden Bildern und es gelingt mir nicht, das durch manuelle Einstellung abzuschwächen. In Wirklichkeit ist der Farbkontrast etwas schwächer, der Orangeanteil geringer und die Farben weicher. Da ich aber meine Bilder nachträglich nicht bearbeite (Ausnahme: Beschneiden), lasse ich das hier einfach mal so stehen.





                                        Es fängt an in dicken Tropfen zu nieseln, und ich hole meine frischgewaschene Wäsche von der Leine. Und da ich gerade dabei bin, packe ich auch die Wäsche und Schlafsäcke der anderen in die jeweiligen Zelte und schließe zudem das vordere Zelt, in das es sonst gnadenlos hineinregnen würde. Erst glaube ich, dass ich voreilig gehandelt habe, denn der Regen hört schnell wieder auf.











                                        Aber dann prasselt er auf den Zeltplatz ein. Starkregen nennt man so etwas. Ich denke an die Konzertbesucher der Arena. Sie tun mir leid. Hoffentlich ist die Bühne überdacht.

                                        Die Bewohnerin des ersten Zeltes kommt und freut sich, dass ich das Zelt geschlossen habe. Da ich an dem einzigen überdachten Tisch sitze, setzt sie sich dazu, und wir quatschen lange. Sie hat sich eine sechsmonatige Auszeit genommen und fährt ein wenig in Europa herum. Hier wollte sie nur kurz bleiben, ist jetzt aber bereits zwei Wochen hier. Es gefällt ihr hier einfach zu gut, denn man trifft immer wieder neue Leute und erlebt auch in der Stadt immer wieder Neues. Die deutschen Radfahrer, die ich in der Stadt getroffen habe, kommen zurück und erzählen ähnliches. Sie wollten eigentlich eine Radtour über die Alpen machen, haben es sich dann aber anders überlegt, waren am Gardasee und sind zuletzt in Verona hängen geblieben. Sie packen Brötchen und Käse aus und beschreiben mir, wo man in der Nähe des Platzes einen kleinen Supermarkt findet. Die niederländischen Radfahrer kommen später. Wir verständigen uns auf Englisch. Sie haben eine Alpenquerung hinter sich und ebenfalls überlegt, das Konzert an zu schauen. Aber 70 Euro waren ihnen auch zu teuer. In der leeren Arena waren sie heute nachmittag schon, aber sie meinten, das lohnt sich nicht.

                                        Kurz vor 24.00 Uhr heben wir die gemütliche Runde auf. Als alle in den Zelten liegen, kommt das italienische Paar zurück, das in dem Billigzelt wohnt. Nicht nur, dass sie ungehemmt reden und lachen, nein, die Frau schmeißt auch die im Zelt verstauten Töpfe um, so dass auch die letzte Maus auf dem Platz noch wach wird. Die Rache folgt kurze Zeit später: Ein Sturzregen mit Blitz und Donner setzt ein, der so stark sein wird, dass am nächsten Morgen mein Innenzelt mit hochspritzendem Sand und Schlamm versehen sein wird. Das Unwetter wird die ganze Nacht anhalten. Erfreulicherweise hält mein Zelt dicht. Das Zelt der Nachbarn nicht.


                                        Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2013, 06:31.
                                        Oha.
                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                                          AW: [D][AT][CH][IT] Ein Klapproller und eine Reise in die Ewigkeit

                                          Danke dir!
                                          Deine Veronabeschreibung weckt ne Menge Erinnerungen - tolle Stadt! Und der Camping hat eine Wahnsinnslage, der Blick auf die Stadt einfach unbeschreiblich...

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