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  • Werner Hohn
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    • 05.08.2005
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    • Meine Reisen

    [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: Deutschland, Frankreich, Spanien, Schweiz
    Reisezeit: Mai, Juni 2013


    Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

    Ursprünglich wollte ich mit dem Rad vom heimischen Sofa bis nach Portugal fahren. Selbstverständlich auch zurück, und selbstverständlich über eine andere Route. Vier Monate wollte ich unterwegs sein. Meine Frau würde nach Faro fliegen, wo wir irgendwo an der Küste drei Wochen Urlaub machen wollten. Zurück würde sie wieder das Flugzeug nehmen, ich das Rad. Soweit der Plan. Gegen meine Radtour nach Portugal hatte meine Frau keine Einwände. Gegen die Rückfahrt auch nicht.

    Tja, vorher waren wir zwei Wochen in Südfrankreich, was zur Folge hatte, dass mir nur noch etwas mehr als vier Wochen für die Hinfahrt nach Portugal blieben. Mindestens 2.500 Kilometer, höchstwahrscheinlich mehr. Nun bin ich der Jugend schon sehr lange entwachsen, was nicht weiter schlimm ist, doch es gibt im Alter Tage, an denen man die jugendliche Leistungsfähigkeit gebrauchen könnte. Da die Wissenschaft als Mittel der Verjüngung nur Viagra, Botox und Silikon bereit hält, blieb mir nichts anderes übrig, als ein neues Ziel zu suchen.

    Dann eben an die Costa Brava und wieder zurück, inklusive mehrwöchigem Urlaub mit meiner Frau am Strand. Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr war ich von der Idee angetan. Endlich würde ich mir all das ansehen können, woran ich Jahrzehnte vorbeigefahren bin. Zehntausende Kilometer sind wir mit dem Auto auf dem Weg nach Spanien oder Portugal durch Frankreich gefahren. Die braunen Hinweistafeln auf touristische Sehenswürdigkeiten links und rechts der Autobahnen kannten wir schon lange auswendig. Das ein oder andere Dorf, dessen romanischer Kirchturm über Baumwipfel ragt; in deren frühmorgendlich verlassenen Hauptstraße wir bei Staus einen Blick geworfen hatten; einsame Bauernlandschaften, die nur aus Wiesen und einsamen, grauen, aus der Ferne wie verfallen aussehende Gehöfte zu bestehen scheinen, all das würde ich mir nun ansehen können.

    Zurück sollte es entlang des Canal des Deux Mers zur französischen Atlantikküste gehen. Bis zur Mündung der Loire wollte ich der Küste folgen, dann den Fluss hoch, bis Orléans, wo ich auf direktem Weg nach Osten abbiegen wollte, um erneut an die Mosel zu kommen. Irgendwann und irgendwie muss sich bei dem Punkt ein Missverständnis eingenistet haben. Jahrzehntealte Ehen haben das so an sich. Man(n) glaubt alles sei in seinem Sinne, und wenn er sich das so zurecht biegt dass es seinen Vorstellungen entspricht, und frau wartet ab.

    Der einzige Wermutstropfen an der Route war die Tatsache, dass ich die ersten 350 Kilometer entlang der Mosel die Strecke mehr oder weniger abgewandert hatte, sogar die ersten beiden Tage schon mit dem Rad gefahren bin. Doch in den Apfel musste ich beißen. Egal wohin ich fahren würde, bei Start und Ende an der heimischen Haustür, würde ich immer durch erwanderte Landschaften fahren.
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 16.10.2013, 12:33.
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  • Werner Hohn
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    #2
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    "Map courtesy National Geographic Education. National Geographic does not review or endorse content added to this background by others."

    "Man müsste sich das alles mal ansehen"

    Etappen roter Strich:

    Tag 1: Zuhause - Cochem 92 km
    Tag 2: Cochem - Trittenheim 110 km
    Tag 3: Trittenheim - Nenning 87 km
    Tag 4: Nenning - Metz (FR) 82 km
    Tag 5: Metz - Nancy (Villers) 67 km
    Tag 6: Nancy - Lac du Bouzey (Epinal) 80 km
    Tag 7: Lac du Bouzey - Vesoul 90 km
    Tag 8: Vesoul - Besançon 81 km (davon 16 km Stadtrundfahrt)
    Tag 9: Besançon - Dole 77 km
    Tag 10: Dole - Chalon-sur-Saône 97 km
    Tag 11: Chalon-sur-Saône - Crêches-sur-Saône 80 km
    Tag 12: Crêches-sur-Saône - St-Clair-du-Rhône 125 km
    Tag 13: St-Clair-du-Rhône - Tain-l'Hermitage 60 km
    Tag 14: Pausentag
    Tag 15: Tain-l'Hermitage - Bollène 115 km
    Tag 16. Bollène - Avignon 56 km
    Tag 17: Avignon - Saint-Gilles 54 km
    Tag 18: Saint-Gilles - Vias Plage 136 km
    Tag 19: Pausentag
    Tag 20: Vias Plage - Le Barcarès 116 km
    Tag 21: Le Barcarès - Argelès-sur-Mer 43 km
    Tag 22: Argelès-sur-Mer - Sant Martí d'Empúries (ES) 82 km
    Tag 23: Pausentag
    Tag 24: Pausentag
    Tag 25: Sant Martí d'Empúries - Sant Antoni de Calonge 54 km
    Tag 26: Pausentag
    Tag 27: Pausentag
    Tag 28: Pausentag
    Tag 29: Sant Antoni de Calonge - Sant Martí d'Empúries 60 km

    Circa 1.850 km
    Durchschnitt (Pausentage rausgerechnet): 85 km/Tag

    Tag 30 bis 49: Urlaub

    Mit der Tour im Rücken oder Sport ist doch nicht Mord

    Etappen blauer Strich:

    Tag 1: Girona Flughafen – Canet-en-Roussillon (FR) 137 km
    Tag 2: Canet-en-Roussillon – Vias Plage 126 km
    Tag 3: Vias Plage – Pont du Gard 149 km
    Tag 4: Pont du Gard - Tain-l'Hermitage 154 km
    Tag 5: Tain-l'Hermitage – Les Abrets 112 km
    Tag 6: Les Abrets – Seyssel 76 km
    Tag 7: Seyssel – Rolle am Genfer See (CH) 95 km
    Tag 8: Rolle – Le Landeron am Bielersee 119 km
    Tag 9: Le Landeron – Lörrach (DE) 119 km
    Tag 10: Lörrach – Kehl am Rhein 150 km
    Tag 11: Kehl am Rhein – Bad Dürkheim 152 km
    Tag 12: Bad Dürkheim – Zuhause 188 km

    Circa 1.580 km
    Durchschnitt: 132 km/Tag

    Insgesamt gefahren: 3.600 km

    Im Bericht werden hin und wieder Straßennummern auftauchen, die es heute nicht mehr gibt. Besonders gilt das für Frankreich. Dort bin ich mit einem Michelin-Straßenatlas aus dem Jahr 2000 gefahren. Zwischenzeitlich haben sich sehr viele Nummern geändert. Auch wurden einzelne Straßen "heruntergestuft". Aus der ein oder anderen Nationalstraße ist eine D-Straße ( Département-Straße) geworden.
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 10.07.2013, 13:23.
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    • Werner Hohn
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      #3
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      "Man müsste sich das alles mal ansehen"

      Erster Tag: Routine
      Zuhause – Cochem/Mosel (Campingplatz)

      Hatzenport - St. Johannes

      Anfang Mai. Die den 1. Mai standesgemäß mit Wandern und Saufen begangen haben, liegen wohl noch flach. Am frühen Morgen ist nichts los auf der Strecke an den Rhein. Zickzack könnt ich auf der Straße fahren. Durch Neuwied, das in seiner morgendlichen Öde noch hässlicher ist als bei Tageslicht, über die Rheinbrücke auf die andere Rheinseite, auf den Rheinradweg, und direkt wieder runter. Die Straße nach Koblenz läuft viel besser. Glatt und ohne Schlaglöcher freut sich mein Hintern über das Geld, dass das Land den Autofahrern hinterher bläst. An der Mosel, da ist schon mehr los. Die ersten Radwanderer tauchen auf. Zumeist Rentner in kleinen Gruppen.

      Die Weinberge sind noch grau. Kein Grün ist an den Weinstöcken zu sehen. Viele Weinstöcke warten noch auf den Schnitt. Grün ist alles drumherum. Die Büsche, die wenigen Bäume im noch hellgrünen Schimmer der ersten Blätter. Weiter oben, die Hänge hoch bis zur Kante, blüht der Weißdorn. Der Löwenzahn blüht dort wo der Winzer ihn in Ruhe lässt. In den Steillagen ist neben jedem Weinstock eine flach getreten Stelle. Grade so groß, dass zwei Füße hinpassen. Ohne würden auf Dauer die Sehnen und Bänder leiden. Eingleisig, entlang einer gezackten Führungsschiene, schlängeln sich alle halbe Kilometer Weinbergbahnen die Talwände hoch. Zwischen den kahlen Rebstöcken wirken die verzinkten Führungsschienen wie Fremdkörper, doch ohne diese wäre der Weinbau hier zum Erliegen gekommen.

      Es ist ein ereignisloses Fahren. Nichts ist fremd. Vor jeder Moselkehre weiß ich, was dahinter kommt. Längst fahre ich auf dem Radweg, der die Bundesstraße begleitet. Immer dicht neben der Straße, meistens nur durch einen Strich getrennt, wäre alles andere idiotisch. Die Urlaubssaison hat noch nicht richtig angefangen. Nur die Campingplätze, an denen ich alle halbe Stunde vorbei fahre, sind schon gut besucht. An den Tischen unter den roten Sonnenschirmen in Winningen sind noch alle Stühle leer. Die Moselschifffahrt hat mal eben ihre Anleger aus den Winterlagerplätzen an den Anlegestellen neu vertäut. Das Maigeschäft, speziell den Feiertag, wird sich niemand entgehen lassen. Die meisten Kartenverkaufsstellen sind verwaist. Rechtzeitig zur Abfahrt des nächsten Ausflugsschiffs wird jemand hinter der Glasscheibe stehen, oder direkt am Anleger die Fahrkarten verkaufen. In den Schaukästen der Andenkenverkäufer hängt seit eh und je der mehr oder weniger gleiche unsägliche grottenschlechte Nippes. Kitsch, der schon in den Sechzigern des letzten Jahrtausends auf den Müll gehört hätte. Postkarten, bei denen man sich fragt, ob der Fotograf eine Ausbildung erleben durfte, reihen sich aneinander. In Glaskästen, an den Wänden, Teller mit Weinrebenmustern und Sinnsprüchen, gegen die die Schlagzeilen der Boulevardpresse ein intellektuelles Vergnügen sind. Dazwischen die unausrottbaren Schweizer Taschenmesser. Wer kauft den Schrott?

      Cochem

      Durchs bis jetzt so stille Moseltal kreischt der Lärm bis an den Anschlag aufgedrehter Motoren. Über das stille Wasser jagen zwei bekloppte Fahrer mit ihren Jet-Skis. Der Lärm bricht sich an den Steilhängen. Den Moselstausee an der Staustufe rauf und nach einer weiße Wellen aufwerfenden engen Wende mit Vollgas wieder runter. Immer wieder und wieder. Hoffentlich verrecken ihnen die Motoren. An der Moselschleuse Müden ist Schluss damit.

      Durch die Fußgängerzone in Cochem schieben sich schon die Touristenmassen. Am Ufer liegen zwei Flusskreuzfahrtschiffe, die ihre Gäste in die Altstadt enlassen hat. Am Imbiss unter der alten Skagerrak-Brücke werden die Bratwürste im Minutentakt über den Tresen geschoben. Ob jemand unter den Hungrigen weiß, dass die Brücke über ihren Köpfen nach der größten Seeschlacht des Ersten Weltkriegs benannt ist?

      Im örtlichen Fahrradladen, Cochem hat sogar zwei, besorge ich mir noch einige Ersatzspeichen für das Hinterrad. Unterwegs hatte mich der Gedanke an einen Speichenbruch beschlichen, und nicht mehr losgelassen.

      Zweiter Tag: Stammgäste?
      Cochem – Trittenheim (Campingplatz)

      Marienburg bei Zell

      Ob ich aus der Art geschlagen bin, frage ich mich meist, wenn ich morgens auf Campingplätzen als Erster zum Klo und Waschbecken schlurfe. Bis auf einige alte Leute, die wegen seniler Bettflucht oder schwacher Blase auf den Beinen sind, lässt sich in der Regel um 7 Uhr in der Früh kein Mensch sehen. Aus dem einen Wohnwagen hört man Schnarchen, aus dem anderen Kindergeplapper. Die sind schon wach. Raus dürfen die aber nicht, denn Mama und Papa haben schließlich Urlaub. Ja! Genau! Ich habe Urlaub! Wie oft habe ich mir das anhören müssen, wenn ich mit anderen unterwegs war. Als regelmäßige Zugabe, die auf keinen Fall vergessen werden durfte, musste der Spruch „Ich bin doch nicht auf der Flucht“ nachgeschoben werden. Und dann ist es Zehn, bis der Zelt verstaut war und man endlich, endlich unterwegs war.

      Früh morgens packen, wenn alles noch schläft, ist herrlich. Nebel hängt überm Fluss. Zelt und Wiese sind triefend nass. Vorpacken. Leise, ganz leise Schlafsack und Klamotten in raschelnde Plastiktüten von Aldi und Bücher Schaefer aus Limburg stecken. Die Klopapierrolle wird noch gebraucht, weil deutsche Campingplatzbetreiber nicht in der Lage sind, selbiges aufs Klo zu hängen. Alles andere kommt schon in die Packtaschen. Ab aufs Klo, zur Dusche. Auf dem Rückweg ähnelt der Campingplatz immer noch mehr einen Friedhof, denn einer Ferienanlage. Innenzelt aushängen, rollen und in die Tütenkombination aus Rewe und Carrefour stecken. Beide zusammen halten dicht, rascheln jedoch fürchterlich. Heringe ziehen, Gestänge aus den Kanälen ziehen. Nur nicht klappern, mit dem Alugestänge, die Heringe im nassen Gras abstreifen, nicht zusammenschlagen, die Leute wollen nicht geweckt werden. Alles in die himmelblaue Rolle, den Stuhl hinterher, Gurt drumherum und weg.


      Römisches Weinschiff in Neumagen-Dhron

      Zu meinem Glück fehlt jetzt nur eine Bäckerei, die schon geöffnet hat. Ein großer heißer Kaffee, zwei Croissants oder Brötchen am Stehtisch, wenn es ein schöner Tag wird, draußen in der Sonne sitzen; den einen oder anderen belanglosen Satz mit der Verkäuferin wechseln, das ist Urlaub. Wenn die Ich-habe-Urlaub ihre Augen aufschlagen, bin ich schon weit weg. Vielleicht habe ich keine Bäckerei gefunden, keinen Kaffee bekommen, auch egal. Vielleicht hatte ich die einsame Straße so früh am Morgen für mich alleine. So wie heute. Die Pendler nehmen die schnelle Bundesstraße an diesem Morgen. Ich nehme die kleine Straße über Valwig, Beilstein und Messenich nach Senheim. Kein Verkehr um diese Jahreszeit, zu dieser Uhrzeit. Den Kaffee gibt es in Beilstein. Standesgemäß überteuert, ganz wie es sich für eines der kleinsten und malerischsten Dörfchen an der der Mosel gehört.

      Es ist wie zwei Jahre zuvor. Sogar das Wetter ist ähnlich. Frisch am Morgen, angenehm am Nachmittag. Runterspulen der Kilometer. Hier schauen, da schauen. Es ist wie auf der Runde um den Block. Schauen, was sich verändert hat. Wundern, dass sich nichts ändert. Und immer wieder wundern, dass die meisten Moselorte fern jeglichen Tourismus sind. Nicht alle sind schön. Schlaue Gemeinderäte haben vor Jahren ihren Dörfchen WoMo-Stellplätze spendiert. Es gibt Orte da wuchern die Plätze; und ich frag mich auch nach Jahren noch, was macht man da, wenn man da steht. Seit' an Seit' mit dem Nachbarn auf die Mosel und Weinberge schauen? Reicht das fürs Glücklichsein? Kinder sind Mangelware auf diesen Plätzen. Es gibt dort so gut wie nie Kinder. Sie würden nur stören, beim Dösen im Klappstuhl, beim Putzen der Plastikhütte. Ein paar wollten mir mal was von Freiheit und Abenteuer erzählen. Fahren wann und wohin man will. WoMo-Stellplätze gibt es in ganz Europa. Über Deutschland und Österreich waren die Drei nicht hinausgekommen. Ich war so verdutzt, dass ich gefragt hatte, was daran Freiheit und Abenteuer sei. Das ist Jahre her. Das war auf dem WoMo-Stellplatz in Andernach am Rhein. Dort stehen sie im Abstand von 2 Metern mit der Fahrzeugfront Richtung Rhein. Die in der ersten Reihe sehen den Fluss, die dahinter die Rückseite der ersten Reihe. Den Lärm der Güterzüge haben alle zu gleichen Teilen. Viele kommen jedes Jahr vorbei. Stammgäste im Lärmteppich der Deutsche Bahn AG. Für die Stadt Andernach ist es ein einträgliches Geschäft. Freiheit und Abenteuer für ein paar Euro die Nacht.

      Auf dem Moselufer bei Andel liegt wieder das gelbe Flugzeug der einzigen Flugschule in Deutschland, die Wasserflugausbildung durchführen darf. Aus Kanistern wird die kleine Propellermaschine betankt. Oben auf der Leiter steht der Inhaber. Zwei, drei Fragen später muss ich mal wieder den Kopf über deutsche Bestimmungen schütteln. Dass die Piloten für die Landung auf bundesrepublikanischen Binnengewässern den Sportbootführerschein und eine Funklizenz benötigen wusste ich schon, doch dass für die Wasserung in deutschen Küstengewässern der Sportbootführerschein See und die entsprechende Funklizenz verlangt wird, darüber möchte ich nicht weiter nachdenken.

      Trittenheim - Clash der Kulturen? Nö!

      Als ich auf dem Campingplatz am Moselufer in Trittenheim abbiege, ist alles wie immer. Zum vierten Mal bin ich hier. Immer aus eigener Kraft. Das erste Mal auf einer Wanderung von Bingen nach Trier. 2006, während der Fußball-WM war das. Damals war es Zufall, weil ich nicht zu einem näheren doch im Wald liegenden Platz wandern wollte. Von hoch oben über der Mosel sah der im späten Sommerlicht leuchtende Moselort so einladend aus, dass ich die Höhenmeter des nächsten Tages in Kauf nahm. Auf meiner Radtour nach Trier vor 2 Jahren war ich auch hier. Nun wieder. Stammgast für einen Tag.

      Der Besitzer dreht grade seine Runden mit dem Aufsitzmäher, das wichtigste Werkzeug hier. Im Prinzip ist der Platz nur eine Wiese, doch mehr Golfrasen als Wiese. Es gibt nur drei oder vier Dauercamper. Es gibt keine abgegrenzten Parzellen, keine Hecken, keinen Sichtschutz, keine Zäune, keine nummerierten Stellplätze, keine Zugangskontrolle und das Zäunchen im unteren Platzteil könnte ein von Arthrose geplagter Dackel ohne Mühen überwinden. Manchmal schwappt die Mosel über den unteren Platzteil und wenn es dicke kommt, sogar über den oberen. In meinen Augen ist das gut so. Das hält Dauercamper mit ihren unseligen Bretterbuden fern. Eine Campingplatzordnung, die mir woanders schon oft ausgehändigt wurde, habe ich dort noch nie gesehen. Es wird eine geben. Doch die soziale Kontrolle erfolgt durch die Gäste. Alles ist einsehbar. Wer sich nicht hinter Hecken und Zäunen und Sichtschutzplanen verstecken kann, benimmt sich. Zum Feiern als Jugendlicher wäre ich hier nie gelandet. Abends um 10 ist es mucksmäuschenstill. Nur die Dehnungsfuge der Brücke nebenan stört wenn ein Auto drüber rumpelt.
      Zuletzt geändert von Werner Hohn; 18.03.2016, 23:12. Grund: Die finale Korrekturrunde?
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      • retebu
        Erfahren
        • 15.09.2008
        • 433
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        #4
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        Geht bestimmt weiter

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        • Enja
          Alter Hase
          • 18.08.2006
          • 4750
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          #5
          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

          Auf dem Platz in Trittenheim bin ich auch Stammgast. Da werden wir immer liebevollst versorgt.

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          • Werner Hohn
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            • 05.08.2005
            • 10870
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            #6
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            Klar geht es weiter; und Enja wird noch die eine oder andere Stelle wiedererkennen.
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            • Werner Hohn
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              #7
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              Dritter Tag: Ohne besondere Vorkommnisse
              Trittenheim – Nennig (Campingplatz)

              Einsames Anrollen. Kein Mensch ist unterwegs. Ereignisloses Abfahren der letzten Moselschleifen, die diese Bezeichnung verdient haben. Ab Trier wird die Mosel für ein ganzes Stück gradliniger. Der eine oder andere Fotostopp, obwohl es nichts zu fotografieren gibt. Frühstück mit Rentnern am Neukauf in Schweich. Den Moselradweg bis Trier runterspulen. Die Weinberge mit den Sonnenuhren liegen nun hinter mir. Trier lasse ich links liegen. Zu oft bin ich in dieser Stadt gewesen. Schon zu Kindeszeiten wurden wir durch die Kaiserthermen gescheucht. Am Ortsausgang kommt mir ein Tretrollerfahrer entgegen. Vollbremsung fürs Fachsimpeln. Er hat das Auto in die Werkstatt gebracht und fährt nun mit dem Roller zurück. Für ihn gibt es kein besseres Stadtfahrzeug.

              Die Saarmündung ist einen Halt wert. Die Mündung scheint ein gutes Angelrevier zu sein. Wie überall, hocken auch hier nur Männer hinter den Angeln. Eine Frau habe ich noch nie mit einer Rute gesehen. Ab der Mündung der Sauer in die Mosel, habe ich Luxemburg an meiner rechten Seite. Man rüstet fürs nahende Hochwasser, jedenfalls im deutschen Oberbillig. Eine mobile Spundwand wächst aus der Straße. Gegenüber in Luxemburg geht alles seinen normalen Gang. Gegenüber weht eine Europaflagge in der Mittagsbrise, die das Flusstal hinunter weht.

              Die Princesse Marie-Astrid

              Mittagspause in der prallen Sonne. Es ist warm geworden. Die Princesse Marie-Astrid, höchstwahrscheinlich der Stolz der luxemburger Binnenschiffer, zieht an mir vorbei. Passagiere sind nicht viele zu sehen. Nach ausgiebiger Pause starte ich die Aufholjagd. Das ist einfach, doch ich habe eine Beschäftigung, die zwar nicht besonders sinnvoll ist, aber die Zeit geht vorüber. Nennig kündigt sich mal wieder mit seinem mehr oder weniger halboffiziellen Campingplatz an. Einen Halt kann ich mir sparen. Vor Jahren wurden wir hier abgewiesen. Es gibt hier keinerlei Sanitäranlagen, keinen richtigen Eigentümer, keine Verwaltung, angeblich jedoch eine Genehmigung für den Platz, der sich mehr als einen Kilometer das Flussufer entlang zieht. An der Brücke nach Luxemburg sind genug Plätze, die Urlauber aufnehmen, wurde uns damals ziemlich unwirsch beschieden.

              Die vergammelten ehemaligen Zollstationen an der Brückenauffahrt am deutschen Ufer teilen sich Richtung Luxemburg eine Dönerbude und Richtung Deutschland ein Asia-Imbiss. Kaffee trinken am sonnigen Moselufer in Luxemburg. Ein Bummel durchs, na ja, touristische Remich. Ansonsten? Nix! Die Wäsche ist trocken, als ich zurück komme. Meine holländischen Nachbarn haben sich wie es scheint nicht bewegt während meines Spaziergangs nach Luxemburg. Immer noch haben alle vier einen Tablet-PC in den Händen, auf den sie ohne Unterlass starren. Einen „Block“ weiter haben sich – neutral und neudeutsch formuliert – bildungsferne Familien niedergelassen, deren Hauptbeschäftigung im Konsum nicht jugendfreier Getränke zu bestehen scheint. Selbstverständlich unter vergammelter Deutscher Flagge. Es wird Zeit, dass ich über die Grenze komme!

              Vierter Tag: Vive la france?
              Nennig – Metz/Frankreich (Campingplatz)

              Die Nacht war kalt. Mehrmals bin ich wach geworden, weil mein Sommerschlafsack eben ein Sommerschlafsack ist. Ein letztes Frühstück am Rande der Republik, im Wasgau Markt in Perl. Trotz Sonntag hat die Bäckerei offen. Ein letzter Tratsch in der Muttersprache, und dann ab über die Grenze, nach Luxemburg. Eine Runde durch Schengen muss unbedingt sein. Wer freizügiges Reisen liebt, für den ist das Städtchen Pflicht. Zurück über die Brücke. Die Straße runter, der Radwegbeschilderung hinterher, unter der Brücke wieder zurück zur Straße, genau die, die ich eben hinunter gefahren bin. Radwege … ich könnt mal wieder. In Sierck-les-Bains bin ich in Frankreich. Apach, den eigentlichen Grenzort, bekommt kein Mensch mit, der steht nur auf den französischen Radwegweisern in Gegenrichtung. Unter dem Bahndamm hindurch an die Mosel, auf auf den Radweg. Weit, weit voraus schickt das AKW Cattenom drei weiße Rauchwolken in den makellos blauen Himmel. Es müssten vier Rauchsäulen sein. Ein Block liegt mal wieder still.


              Schengen

              Radfahrer sind unterwegs. Ein Fußballspiel an einem namenlosen Dorfrand lockt jede Menge Zuschauer an. Spaziergänger treffe ich nur in der Nähe der Orte. Meist bleibt der Weg diesen fern. Mäandernd, dem Lauf der Mosel folgend, kreise ich um die drei Rauchsäulen. Mal sind diese vor mir, dann neben mir, und wenn ich glaube, es geschafft zu haben, muss ich nur den Kopf drehen, dann sind sie wieder da. Kehre an Kehre schlängelt sich der Radweg durch die in die Breite gegangene, kaum als Tal wahrzunehmende Landschaft. Durch Thionville hindurch, wie schon tausendmal auf der Autobahn. Wollte ich mir nicht alles ansehen? Ist die Stadt sehenswert. Nein, entscheide ich angesichts des Radwegweisers nach Metz und der Véloroute du Téméraire. Die ist makellos glatt, offensichtlich neu oder generalüberholt ist. Alleine auf dem Radweg. Sonntäglich träges Frankreich.


              Cattenom in der Ferne

              Endlich fahre ich nach Süden, und das nun für Tage. Ach was, das wird so bleiben. Als ich Metz erreiche, bin ich im Kopf alle Ort durchgegangen, die mir an der Route zum Mittelmeer eingefallen sind. Und dann stehe ich am Stadtrand von Metz. Vor mir ein Feld, weiter hinten das blaue Zentrallager von IKEA, links eine Batterie Getreidesilos aus Beton. Ist den Franzosen auf den letzten 300 Metern das Geld für den Radweg ausgegangen?

              Der Campingplatz ist nahe der Autobahn und direkt an der Mosel, fast in der Stadtmitte, somit ein beliebter Übernachtungsplatz für Camper. Die Mosel führt Hochwasser. Schmutzig, allerlei Unrat mit sich führend und dreckigbraun, gurgelt das Wasser der Mosel zu Tal. Es schüttet in Frankreich seit Wochen. An unserem letzten Urlaubstag im April in Südfrankreich hat der Regen angefangen. Im Norden des Landes sind die Felder größtenteils abgesoffen. Die Ernte wird bescheiden ausfallen. Eine kurze, schnelle Rundfahrt durch die Stadt mit dem Rad. Nur für die Fotos. Mehr muss nicht sein. Zu oft in der Stadt gewesen. An den Eisbuden stehen die Leute Schlange. Nach einem kühlen Morgen, ist es ein heißer Nachmittag geworden. Beinahe wie ein Sommertag. Wird das Wetter besser werden? Die vergangenen Tage entlang der Mosel waren mehr Sommer, denn nasses Frühjahr.

              Uckange

              Auf dem Campingplatz treffe ich zwei Jungs aus Holland, die auf dem GR 5 auf dem Weg von der Nordsee nach Nizza sind. Nicht am Stück. wochenweise geht es nach Süden. Die beiden schieben einen Pausentag ein. Die Motivation, meint der Ältere, das Satzende auslassend, mit einer sowohl Entschuldigung wie auch Resignation andeutenden Schulterbewegung. Nachmittags bricht an einem ihrer Zelte ohne ersichtlichen Grund ein Gestängebogen.

              Daneben hat ein junger Mann aus London sein Zelt aufgebaut. Sein Rad hat er mit drei Schlössern am Zaun gesichert. Zuhause wäre das anders nicht machbar. Zuhause würde er dieses Rad nicht aus den Augen lassen. Er ist auf dem Weg nach Barcelona. Oh, meine Richtung. Man könnte … schießt es mir durch den Kopf. Lieber nicht, denn mit seinem Englisch habe ich ungeahnte Schwierigkeiten. Was der da redet, hat mit der mir bekannten Sprache nichts zu tun. Es würden schwierige Tage für mich werden. Zudem ist er mindestens 30 Jahre jünger. Am ersten leichten Anstieg würde er davonfahren, am zweiten, auf mich wartend, langsamer kurbeln, am dritten wäre er weg. Beiläufig spricht er vom „Kopf frei fahren“. Ja denn, nun werde ich auf alle Fälle alleine weiter fahren.

              Metz - Kathedrale

              Mit der Dämmerung kommt noch ein Kanadier mit Rad, ein Frankokanadier. Hurra, der spricht ein klares Englisch. Seit 18 Jahren fliegt der jedes Jahr für eine Radtour nach Europa. Drei bis vier Monate wird er diesmal unterwegs sein. Von Paris soll es nach Polen und weiter nach Griechenland gehen. Kanada sei sowas von langweilig. Stundenlanges Radfahren durch Wälder auf schnurgeraden Straßen an deren Rändern keine Orte zu finden sind, seien der Inbegriff der Langeweile. Es wird ein unterhaltsamer Abend.

              Vive la france? Mal sehen. Der erste Tag ist vielversprechend.

              Fünfter Tag: Langstreckenpilger, Langstreckenradfahrer
              Metz – Villers bei Nancy (Campingplatz)

              Hinaus aus der Stadt mache ich kurzen Prozess: Ich nehme den Wanderweg des GRP Metz-Nancy am Ufer des Moselkanals. Für Radfahrer verboten. Alle halbe Kilometer stehen Barrieren mit Schildern, die man nicht missverstehen kann. Morgens, bevor der Tag richtig beginnt, ist kein Wanderer oder Pilger unterwegs der maulen könnte. Wassergebunden, halbwegs glatt und viel wichtiger, der Weg führt ziemlich genau in die Richtung, in die ich muss. Vor Jahren sind meine Frau und ich auf diesem Weg aus der Stadt hinausgewandert, um nach einem Abstecher nach Metz wieder auf den GR 5 zu kommen.

              Am Moselseitenkanal bei Metz

              In Ars-sur-Moselle wechsele ich endgültig auf die Straße. Radwege wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Am Ortsausgang von Novéant-sur-Moselle, fast schon in Arnaville, treffe ich auf einen Pilger. Auf der Bank, auf der auch wir vor Jahren gesessen haben und den Kopf über die Wegführung des Pilgerwegs geschüttelt hatten, sitzt ein Belgier. Alles an ihm strahlt Unterwegssein aus. Verbranntes Gesicht, von der Sonne gebleichte Klamotten, die Farbe des Rucksacks ist nicht mehr zu bestimmen. Der Packsack für das Zelt ist mehrfach mit Klebeband ausgebessert. Trotzdem schaut das Gestänge heraus. Hinten am Rucksack baumelt die unverzichtbare Jakobsmuschel.

              Seit 8 Monaten ist der Mann unterwegs. Gestartet ist er in Saint-Malo an der französischen Kanalküste. Über kaum bekannte Pilgerwege ist er nach Irun in Spanien gewandert. Über den Küstenweg hat er Santiago de Compostela erreicht. Weihnachten hat er mit anderen Pilgern in der Stadt gefeiert. Noch im Januar hat er sich wieder auf den Weg gemacht. Den Camino francés, den Jakobsweg ist er in Gegenrichtung gewandert. Es sei ein nasser, kalter und einsamer Camino gewesen. In Saint-Jean-Pied-de-Port, schon hinter den Pyrenäen, ist er auf den GR 653, die Via Tolosana, gewechselt. Nach 700 km ist er im Frühjahr in Arles am Rande der Camargue angekommen. Ab da ging es nach Norden. Über Le-Puy-en-Velay ist er nun an der Mosel gelandet. Das zählen der Kilometer hat er schon lange aufgegeben. Irgendwas zwischen 5 und 6.000 werden es bis jetzt sein. Es ist nicht mehr weit bis nach Belgien. Geschlafen hat er in Pilgerherbergen oder im Wald. Geld hat er so gut wie keins mehr. Trotzdem sieht er ungemein zufrieden aus. Er schaut aus, als würde er nach der Heimkehr schnellstmöglich wieder aufbrechen. Irgendwo auf dem langen Weg hat er den Schritt aus der bürgerlichen Gesellschaft gemacht. Als ich ihm das sage, muss er lachen, und bestätigt, mit dem Kopf schon wieder unterwegs zu sein. Die beste Art eine Reise zu beenden, ist schon unterwegs eine neue zu planen.

              Der Engländer vom Vortag überholt mich kurz vor Nancy. Wie erwartet, zieht er an einem kurzen Anstieg mühelos an mir vorbei. Ich lasse ihn ziehen, und bin nicht böse drum. Am fünften Tag unterwegs, habe ich mich längst wieder an das Alleinsein gewöhnt.

              Dieulouard - Burg

              Nein, nein, der Campingplatz ist nicht in der Stadt, egal was meine Straßenkarte sagt. Der professionell freundlichen jungen Frau in der Touristeninfo der Stadt Nancy sieht man an, dass es ihr schwer fällt, dem verschwitzten, etwas streng riechenden alten Mann eine erschöpfende Auskunft zu erteilen. Nein, auf dem kostenlosen Stadtplan ist der Campingplatz nicht mehr drauf. Ich muss nach Villers-lès-Nancy. Das liegt am Stadtrand, oben an der Autobahn. Die Frau ist so blasiert, dass es mich in den Fingern juckt, sie solle doch bitte im Grand Hotel De La Rheine am Place Stanislas nebenan anrufen, um mir ein Zimmer zu reservieren. Das Jucken hört schnell auf.

              Grobe Richtung Westen, grober Anhaltspunkt, Berg hoch. Wenn es runter geht, bin ich falsch. An der ersten Tankstelle kaufe ich einen Stadtplan. Ein freundlicher Franzose, der, - Hurra!, Hurra! - der englischen Sprache mächtig ist, gibt mit den Tipp, nicht den direkten Weg zum Campingplatz zu nehmen. Der sei wahnsinnig steil. Ob der weiß, was er spricht, denke ich beim Blick in den Stadtplan. Seine Empfehlung bedeutet einen gehörigen Umweg, der auch nicht flach ist. Doch!, doch!, unterstreicht er seinen Vorschlag mit Nachdruck. Oben angekommen bin ich beim Blick ins Tal froh, dass er mit Nachdruck auf seiner Empfehlung bestanden hat. Der direkte Weg hinunter in die Stadt sieht verdammt steil aus.


              Nancy - Place Stanislas

              Zum Cap Nord will er. Eben dass ich das Zelt aufgebaut habe, krabbelt aus dem Nachbarzelt ein alter, drahtiger Franzose. Vor seinem Tunnelzelt steht gleichfalls ein Fahrrad. Freundlich, verlegen lächelnd, als wolle er sich für sein Ziel entschuldigen, wiederholt er noch einmal, dass er zum Nordkap will. Das habe ich verstanden. Der Rest wird schwierig. Mein Französisch ist um es freundlich auszudrücken, nur noch rudimentär. Mein Gegenüber spricht ausschließlich die Sprache der Grande Nation. Es wird ein lustiges Gespräch. Karten, Gesten und zusammengeschusterte, in keinem Wörterbuch vorkommende Worte füllen den späten Nachmittag aus. Schietwetter hat er seit seinem Aufbruch in Lyon gehabt. Eine Woche ist das her. Das mit dem Schietwetter, daran muss er sich wohl oder übel gewöhnen. Wer zum Nordkap will, sollte nicht mit azurblauem Himmel für Wochen rechnen. Dafür muss er nun für Tausende Kilometer keine Anstiege mehr hoch.

              Gestern der Kanadier, heute Morgen der Belgier und nun der Franzose. Langsam schwant mir, dass ich auf dem Weg durch Frankreich andere Menschen treffen werde nur als nur Dauercamper.

              Der erste Abend mit Regen. Schweinekalt und ungemütlich ist es geworden. Die lange Unterhose wird ran müssen. Im Sanitärgebäude bullert die Heizung auf Hochtouren. Treffpunkt fürs Schwätzchen mit den Nachbarn. Die Busfahrt hinab in die Stadt spare ich mir. Die Dame von der Touri-Info wirkt noch nach. Zu essen gibt es das, was in dem Regalfach in der Rezeption zu finden war: eine Tüte Nudeln und frische Tomaten, gekocht mit einem Trockenwürfel Gemüsebrühe. Nouvelle Cuisine in der Apsis. Nebenan rauscht die Autobahn. Es kann nicht weit sein bis zum Autobahndreieck, wo es hinunter geht nach Metz. Ab hier ist die Autobahn Richtung Süden mautpflichtig. Hier wechselt der sparsame Holländer mit seinem Gespann auf die Nationalstraße, auch wenn ihn das mehr Sprit kostet als die Autobahnbetreiber an Gebühren verlangen.
              Zuletzt geändert von Werner Hohn; 09.12.2015, 20:48.
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              • Enja
                Alter Hase
                • 18.08.2006
                • 4750
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                #8
                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                Ja, bisher erkenne ich alles wieder. Auf dem Jakobsweg sind wir zwar nicht über Nancy. Aber auf der Tour die Mosel entlang. Gleiches erleben. Die arrogante Touri-Info. Der CP nicht auf dem Plan. Immer bergauf. Wir haben den direkten Weg genommen. Das war heftig. Aber der Platz dann recht nett.

                Ich könnte zu Vergleichszwecken meinen Jakobsweg-Bericht hier einstellen. Wäre vielleicht interessant.

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                • Wafer

                  Lebt im Forum
                  • 06.03.2011
                  • 8804
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                  Hallo Werner.

                  Deine Berichte sind immer lesenwert! Es freut mich, dass du uns wieder teilhaben lässt an deiner Reise und deiner Gedankenwelt. Ich freue mich auf die Fortsetzung!

                  Zitat von Enja Beitrag anzeigen
                  Ich könnte zu Vergleichszwecken meinen Jakobsweg-Bericht hier einstellen. Wäre vielleicht interessant.
                  Das wäre eine gute Idee! Also einen Leser hättest du!

                  Gruß Wafer

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                  • Werner Hohn
                    Freak
                    Liebt das Forum
                    • 05.08.2005
                    • 10870
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                    Sechster Tag: Bei Aldi
                    Villers bei Nancy – Lac du Bouzey bei Épinal (Campingplatz)

                    Nasskalt ist es beim Packen. Der Himmel ist wolkenverhangen. Dunkel ist es auch noch. Ich bin früh dran. Der Franzose mit Ziel Nordkap packt ebenfalls schon. Sein bonne route, klingt mir hinterher. Die Regenjacke zugezogen bis unters Kinn, könnte ich Handschuhe gebrauchen, die ich natürlich nicht dabei habe. Mir fällt der Rat vom „derMac“ ein, auch im Sommer nicht ohne Handschuhe auf Radtour zu gehen. Zu spät. Gegen den Berufsverkehr steil hinunter zur Mosel, nach Neuves-Maisons. An der Kreuzung links auf die D 115. Das Sträßchen wird mich zur D 570 und dem Canal de Est bringen. Schon da ist von der immer noch nahen Stadt nichts mehr zu spüren. Unter dem immer noch grauen Himmel gehört die D 570 mir alleine. Die Autofahrer nehmen die gut ausgebaute Nationalstraße. Auf dem Moselseitenkanal ist bis auf den Ponton der Voies navigables de France (VNF) kein Schiff unterwegs.

                    Gripport

                    Radwege gibt es schon seit letzten Nachmittag nicht mehr. Gut so. Es ist einfacher den Straßenschildern zu folgen, denn die sind größer, somit weithin sichtbar. Das allerbeste ist, für Autofahrer wird immer großräumig ausgeschildert. Meistens jedenfalls. Und im Zweifel immer der Straßennummer hinterher. Der elende Stopp, um nachzuschauen, ob das auf dem Radwegweiser grade auftauchende Kaff in meiner Richtung liegt, entfällt.

                    Halt bei Aldi in Roville-devant-Bayon. Das Baguette klemmt schon unter der Packrolle. Der Camembert aus Aldis Kühlregal kostet mich 15 Kilometer. Eine Frau alleine schmeißt den Laden. Der Kundin ganz vorne fällt eine Milchflasche runter. Die Kassiererin unterbricht ihre Arbeit, sucht nach Putzeimer und Putzlappen. Nach 10 Minuten geht es weiter. Das Pärchen vor mir ist dran. Wie alle Supermärkte in Frankreich, hat auch Aldi nur die extrem tiefen Einkaufswagen. Wer es je mit dem Rücken hatte, wird sich fragen, wie die unterste Lage ausgeräumt werden soll, ohne anschließend beim Orthopäden zu landen. Die beiden vor mir haben den Wagen voll gemacht, übervoll. Ein ordentlicher Hügel wölbt sich weit über den chromblitzenden Rand des Einkaufswagens. Es passt nicht alles aufs Band an der Kasse. Er braucht einen Euro für einen leeren Einkaufswagen, damit er einräumen kann, was die Kassierin schon über die Glasscheibe des Scanners gezogen hat. Den Euro hat er nicht. Er startet eine Umfrage im Markt, die sich hinzieht. Nein, angeblich hat niemand einen übrig. Ich auch nicht. Er raus zum Auto. Nach einer gefühlten Stunde kommt er mit dem leeren Einkaufswagen.

                    Es kann los gehen. Die Kassiererin, nun ausgeruht, zieht die Ware im Akkord über den Scanner. Dem Mann ist anzusehen, dass er motorisch nicht zu den schnellsten seines Geschlechts gehört. Weinflasche entkorken oder Bierdose aufreißen liegt ihm mehr. Ob das stimmt? Keine Ahnung, in diesem Augenblick auf alle Fälle, denn für meine Begriffe stehe ich schon viel zu lange. Ich stehe da mit einem Käse, mehr nicht, und der da vorne kommt nicht in die Pötte. Die Frau legt immer noch Ware auf, die Kassiererin scannt im Akkord, der Mann kommt nicht nach. Endlich hat die Frau alles auf dem Band. Was ihr Mann nicht schafft, erledigt sie mit einer Armbewegung. Einmal mit dem Arm quer übers Band und die angestaute, gescannte Ware liegt im Einkaufswagen. Warum sucht sie sich nicht einen neuen Kerl, einen der nicht so lahm im Kopf ist?

                    Kanalbrücke über der Mosel bei Épinal

                    Endsumme: Zweihundertfünfzigundnochwas. Ich staune. Bei Aldi habe ich das für nicht möglich gehalten. Es geht ans Bezahlen. Die Kreditkarte der Frau wird nicht akzeptiert. Der Mann muss ran. Ob dessen Karte noch finanziellen Spielraum aufweist? Meine Vermutung, dem ist nicht so, bestätigt sich umgehend. Mittlerweile stehen ein Dutzend Leute hinter mir. Niemand meckert, keiner schaut ungeduldig auf die Uhr. Das ist so 'ne Art Kino für die.

                    Es geht weiter. Nur wie? Es bleibt nur noch Bargeld. Ehrlich gesagt, in bar traue ich die Summe den beiden nicht zu. Stimmt, haben sie nicht. Ganz, ganz knapp wird die 170-Euro-Marke verpasst. Was tun? Ware ausräumen. Es entbrennt eine lautstarke, vermutlich aufschlussreiche Diskussion über das was wichtig ist im Leben, zwischen dem Mann und der Frau, der ich leider nicht folgen kann. Gestik und Mimik reichen aber auch. Die Palette mit dem Bier und der Karton Rotwein gehören bei ihm nicht zur Verhandlungsmasse, bei ihr schon. Endlich mischt sich die Verkäuferin ein, die darauf hinweist, dass der Laden um 12 Uhr wegen der zweistündigen Mittagspause geschlossen wird, was die Leute hinter mir ziemlich erheitert. Kurz vor 12 bin ich draußen. Was für ein glückliches Land muss Frankreich sein. Aldi macht zwei Stunden Mittagspause!

                    Der Stopp hat auch sein Gutes. Die grauen Wolken haben sich verzogen. Die Sonne kommt immer öfter raus. Épinal, wohin ich zunächst wollte, streiche ich am Ortsrand. Mir steht der Sinn nicht nach Stadt, auch nicht auf so eine kleine wie Épinal. Den Berg hoch, zum Lac du Bouzey, wo es einen Campingplatz gibt, ist dann doch weiter als gedacht und anstrengender als gedacht ist es auch. Den Radweg, der von Golbey, ein Vorort Épinals, entlang des Kanals bis zum See führt, ignoriere ich. Er scheint wassergebunden zu sein und es wäre ein Umweg.

                    Lac de Bouzey

                    An der Rezeption des Campingplatzes werde ich von einem Mann nach dem Woher und Wohin, dem Wieso und Weshalb ausgefragt. Schon wieder einer, der Englisch kann. Immer öfter frage ich mich, ob es nicht ein Klischee ist, dass die Franzosen keine Fremdsprache beherrschen. Ein Klischee, dem wir liebevoll anhängen, weil es uns ein bisschen mehr als weltoffene Reisende dastehen lässt?

                    Der hinter dem Tresen der Rezeption erzählt von der besten Zeit seines Lebens, von einer langen Wanderung. Vor Jahren hat er eine 3.000 Kilometer lange Wanderung gemacht. Alle seine Freunde und Verwandten in Frankreich hat er zu Fuß besucht. Von der Mosel nach Genf. Durch die Westalpen in die südliche Provence, leider nicht bis ans Meer, was er im Nachhinein bedauert. Weiter nach Westen bis in die Pyrenäen. Zum Schluss in einem weiten Bogen über das Zentralmassiv zurück zu seiner Familie. Einige Zeit später hat er geheiratet. Wenn heute jemand auf dem Campingplatz erscheint, der auf einer langen Tour ist, beschleichen ihn dumme Gedanken.

                    Es ist nichts los auf dem Platz. Ein paar Holländer in Miet-Bungalows. Zwei französische Familien mit Kleinkindern. Mit dem Zelt bin nur ich da. Am Abend mache ich noch einen Spaziergang fast um den halben See. In der Dunkelheit erst komme ich zurück. Das Gehen hat ungemein gut getan. Dass man dabei alles intensiver wahrnimmt, hatte ich beinahe vergessen.

                    Siebter Tag: Nationalfeiertag auf dem Land
                    Lac du Bouzey – Vesoul (Hotel)

                    Nationalfeiertag in Frankreich. Seit dem 8. Mai 1945 gehört Frankreich zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs. Wie groß der Anteil am Sieg letztlich war, darüber hat sich erst in den letzten Jahren die Intelligenz des Landes den Kopf zerbrochen. Mir ist es egal. Dem Gros der Bevölkerung ebenfalls. Man ist Siegermacht und eine weitergehende Diskussion hat sich damit erübrigt. Charles de Gaulle jedenfalls hat frühzeitig erkannt, dass ein Platz auf dem Siegerpodest dem Land gut zu Gesicht stehen wird. Hat es auch, doch heute ist das alles längst vergessen. Dass auch noch Alliierte dabei gewesen sind ist an den Denkmälern für die Toten des Krieges nicht zu erkennen. An den oft kurzen und dünnen Fahnenmasten neben den steinernen, wenn sie noch aus dem Ersten Weltkrieg stammen, oft martialischen Mahnmalen, weht nur die Trikolore. Am Fuß ein Kranz, ein Gebinde, viel zu oft nur Plastikblumen. Meist nichts. Nur im verschlafenen Bains-les-Bains wehen neben der Französischen noch die Amerikanische und Britische Flagge. Vom Feiertag nimmt niemand Notiz. Die Menschen haben frei, müssen nicht zu Arbeit. Das ist noch wichtig. Der Krieg, der Sieg? Hier nur noch Geschichte. Umzüge, Reden sind nirgendwo angekündigt. Rasen wird gemäht, das Auto gewaschen und durch die kurze Hauptstraße des nächsten Dorfs hört man das typische Geräusch laufender Betonmischmaschinen. Das ist vom Sieg geblieben. Auch eine Form von Kriegsgewinn: ein arbeitsfreier Feiertag. Ist auch gut so.


                    Auf dem Land bei Fieuze an der D 4

                    In Girancout stauen sich an der Theke der einzigen Bäckerei die Menschen. Immer wieder bin ich erstaunt, wie viele Arten Baguette es gibt. Das jedes Brot eine eigene Bezeichnung hat, wird mir, der immer Baguette, wenn ich weltgewandt sein möchte, auch mal eine Flûte verlangt, mit einem freundlichen Lächeln nachgesehen. An diesem Morgen fährt der Zeigefinger der Verkäuferin den Ständer mit den Broten ab. Bei einem dunklen, kurzen sage ich Stopp. Na also, was wollen wir mit Fremdsprachen.

                    Es macht immer wieder Spaß über das Land zu fahren. Verlassene kleine Straßen, welliges Land. Gelegentlich fahre ich am Canal de Est entlang. Immer noch gibt diese schmale Wasserstraße die Richtung vor. Einen Radweg gibt es zwar nicht, genau am Kanal entlang fahren geht auch nicht, doch wo ein Kanal ist, kann die Landschaft so steil nicht sein.

                    Durch Fontenoy-le-Château führt der Kanal, hier mal wieder als Seitenkanal neben dem Fluss Côney. Canal de Est darf der Kanal nur noch in meiner alten Straßenkarte aus dem Jahr der Jahrtausendwende heißen, heute ist das der Kanal Canal des Vosges, der sich mit dem Canal de la Meuse den langen alten Kanal teilt.

                    Fontenoy-le-Château

                    Am Kai liegt eine große Motoryacht aus Holland. Genauer aus Brielle. Auf meiner Wanderung über den holländischen Weitwanderweg Deltapad bin ich 2010 durch Brielle gewandert. Europa ist übersichtlich, denke ich; und wenn man reiselustig ist, dazu lange genug lebt, kommt man immer wieder in Orte, die man mit anderen bekannten Orten in Verbindung bringen kann. Der Schiffsbug zeigt nach Süden. Es ist offensichtlich, dass man ans Mittelmeer will. Wenn es hier einen Menschen gibt, der das versteht, dann bin ich das. Das Dorf ist verschlafen. Viele Häuser stehen leer. Das stattliche Postgebäude hat seine beste Zeit lange hinter sich. Früher gab es bestimmt einen stolzen Postmeister, der Herr über dieses Gebäude war. Heute sind die Fenster der oberen Etage blind. Den Ort hinaus geht es über gröbstes Kopfsteinpflaster. Das tut weh bis hoch in die Schultern. Noch bevor ich mit den Überlegungen fertig bin, abzusteigen und zu schieben, bin ich am Ortsausgang.

                    Vauvillers - 'Halles de bois'

                    Ereignislos ist das Land nun. Senke, Hügel, Senke, Hügel. Nicht viel rauf, nicht viel runter. Überwiegend Wiesen, dazwischen gelbe, weithin leuchtende Rapsfelder. Es ist noch nicht lange her, da hat man sich danach umgesehen, heute sind sie alltäglich geworden auf dem Land. Einen steilen Anstieg habe ich bei der Routenwahl gestern Abend übersehen. Auf der zuverlässigen Michelin-Karte sind auf der D 434 hinter Faverney zwei Pfeile zu sehen. Das bedeutet, auf mich kommen 9 bis 13 Prozent Steigung zu. Auf halbem Weg will ich absteigen. Ich bin zum Verkehrshindernis geworden. Warum nicht schieben? Es sieht doch niemand. Elende Quälerei. Der Schweiß rinnt in die Augen, die anfangen zu brennen. Der Hintern leidet, der Schritt leidet. Das T-Shirt klebt am Rücken. Im Polster der Radhose sammelt sich der Schweiß. Verdammt, warum steige ich nicht ab? Falscher Ehrgeiz. Oben angekommen, bin ich für die nächsten Minuten erledigt. Ein vorsichtiger Blick in die Karte: Habe ich noch eine Zwei-Pfeile-Steigung übersehen? Glück gehabt, es kommt nur noch eine Ein-Pfeil-Steigung. 5 bis 8 Prozent, darüber lässt sich wegrollen.

                    Eine Woche unterwegs, Nationalfeiertag. Den Campingplatz überlasse ich anderen und gönne mir ein Hotel. Das Ibis in Vesoul liegt genau an der Strecke zum Campingplatz, weil ich den direkten Weg dorthin, die Kraftfahrstraße, nicht nehmen darf. Ja, kein Problem, das Fahrrad kann mit aufs Zimmer. Da ich jede Menge Ibis Hotels kenne, wird auf der Stelle um einen anderen Platz verhandelt. So groß sind die Zimmer auch wieder nicht. Mit der Frau am Empfang einige ich mich aufs Chefbüro. Der ist sowieso nicht da. Feiertag. Vielleicht mäht er den Rasen vor seinem Haus.
                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 16:42. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                    .

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                    • Igelstroem
                      Fuchs
                      • 30.01.2013
                      • 1888
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                      Ich möchte gerne jeden Tag zwei Tage Werner Hohn lesen.
                      Lebe Deine Albträume und irre umher

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                      • Flachlandtiroler
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                        Liebt das Forum
                        • 14.03.2003
                        • 29004
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                        OT:
                        Zitat von Enja Beitrag anzeigen
                        Ich könnte zu Vergleichszwecken meinen Jakobsweg-Bericht hier einstellen. Wäre vielleicht interessant.
                        Aber bitte nicht in den gleichen Thread!



                        Gruß, Martin *auch auf Fortsetzung(en) gespannt*
                        Meine Reisen (Karte)

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                        • Werner Hohn
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                          • 05.08.2005
                          • 10870
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                          Leute, Leute, das ist Arbeit. Zwei Tage pro Tag ... kennt jemand einen guten Scheidungsanwalt, der für mich das maximale rausholen kann?

                          Vor Jahren hatte ich um Zwangssperrung gebeten, wenn ich wieder mit einem langen Reisebericht anfangen sollte.
                          .

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                          • Werner Hohn
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                            • 05.08.2005
                            • 10870
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                            Achter Tag: Auf Frankreichs Straßen
                            Vesoul - Besançon (Hotel)

                            Packen im Hotel ist klasse, denn es gibt nichts zu packen. Einem mageren Frühstück, das wie in beinahe jedem Hotel in Frankreich sein Geld nicht wert ist, folgt ein früher Start. Vesoul habe ich mir gestern nicht angesehen. Ein handfester Grund für einen Stadtbummel ist mir beim besten Willen nicht eingefallen. Die ziemlich ereignislose Runde durch die Stadt auf die ich geschickt werde, weil die Ausschilderung für die Autofahrer meine Richtung bestimmt, bestätigt, dass das Liegen auf der Wiese eine gute Entscheidung gewesen ist. Durch das Industriegebiet am nach Leerstand ausschauenden Peugeot-Werk vorbei, verlasse ich die Stadt. Wohin es genau gehen soll, weiß ich noch nicht. Auf der Liste stehen Gray an der Saône und Besançon am Doubs. Bis Gray ist es nicht weit, vielleicht 40 km, bis an den Doubs maximal 25 mehr. Noch bis Raze kann ich die Entscheidung aufschieben. Nach links, die Karte runter, oder geradeaus zum linken Kartenrand? Wie ich mich kenne, wird der Wind, eine eventuell erkennbare Steigungsstrecke oder einfach der bessere Straßenbelag den Ausschlag geben.

                            Noch lasse ich mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Es ist angenehm, die am Morgen noch nicht stechende Sonne auf der Haut zu spüren. Stopp, Werner, hier stimmt was nicht! Früh am Morgen, Sonne im Gesicht, das kann nicht sein, wenn die potentiellen Ziele im Westen oder Süden liegen. Ach, der Kreisverkehr in der eben durchfahrenden Siedlung! Auf einer Nebenstrecke bin ich auf dem Weg zurück in die Stadt. Vier Kilometer für die Katz. Gut, das waren flache Kilometer, trotzdem.

                            Neuvelle-lès-la-Charité - Abbaye de la Charité

                            Es steht fest. Nach Besançon fahre ich heute. Den Ausschlag hat ein Rudel Rennradfahrer gegeben. Die sind hinter Raze nach links gefahren. Hinterher! So lange wie die gebraucht haben, um mich zu überholen, kann nur bedeuten, dass die nicht trainiert sind, und untrainierte Rennradfahrer, einige mit feister Plautze, fahren keine Steilstrecken, höchstens hinab. Kaffeepause am Supermarkt in Fretigney. Dieser hier hat heute auf, sogar bis in den Abend.

                            Es ist wieder ein Feiertag. Christi Himmelfahrt. Zwei Feiertage hintereinander und dann kommt ein Freitag. Die Franzosen, die sich als Unternehmer betrachten, sehen das ganz praktisch: jeder macht was er will. Die einen machen am weltlichen Nationalfeiertag zu, die anderen am kirchlichen Feiertag, manche sogar an beiden. Beide Feiertage arbeitsfrei hätten nur die Beamten, die Angestellten der SNCF und des Energieversorgers EDF. Das darf jetzt nicht wahr sein. Mitten in der tiefsten französischen Provinz hocke ich mit einem Pappbecher Kaffee vom Imbisswagen in der Sonne, und bekomme auf Deutsch die Eigenheiten der Feiertagsregelungen unseres Nachbarn erklärt. Mein Gegenüber stammt aus dem Elsass und und hat an die dreißig Jahre in Deutschland gearbeitet. Zu seinem Glück, sagt er fröhlich, für ein französisches Staatsunternehmen, was ihm einen frühen Ruhestand bei ziemlich guter Pension beschert hat. Jetzt wartet er auf seine Frau, die den Einkaufswagen durch den Markt schiebt. Weil er Langweile hatte, hat er sich den Radfahrer gekrallt.

                            Ganz so flach wie ich mir die Strecke angesichts der dickbäuchigen Rennradfahrer vorgestellt hatte, ist diese dann doch nicht. Zwischendurch kreuzt mehrmals ein Jakobsweg. Für Wanderwegmarkierungen habe ich immer noch ein gutes Auge. In Oiselay-et-Grachaux kommt ein Mann mit großem Rucksack die Hauptstraße hoch. Ein Jakobspilger? Anhalten, fragen? Es läuft grade so gut. Schade, denke ich später, vielleicht hätte er Interessantes zu erzählen.

                            In Etuz am Ognon sehe ich die erste Markierung der Via Francigena, hinter der Brücke noch mehr. Offensichtlich hat sich was getan, oder bin ich zufällig in einer Region unterwegs mit einem aktiven Verein?

                            Berliet Lastwagen in Cussey-sur-l’Ognon

                            Weiter auf leeren Provinzstraßen, durch einen verlassenen Landstrich. Alte Häuser, manchmal mit Schrottautos im Hof, häufen sich. Ja, lang, lang ist es her, dass Berliet Autos und Lastwagen gebaut hat. Wann ich den letzten auf der Straße gesehen habe, weiß ich nicht mehr. PKWs habe ich von denen nie gesehen, dazu bin ich zu jung. An die LKWs kann ich mich noch erinnern. Nachdem diese aus dem Fernverkehr verschwunden waren, konnte man sie eine zeitlang bei kleinen Fuhrunternehmen im Regionaleinsatz oder als Baustellenfahrzeuge sehen. Ohne das es einem groß aufgefallen ist, sind die Lastwagen von Berliet nach und nach von den französischen Straßen verschwunden. Nach Irrwegen hatte Renault die Marke übernommen. Überlebt haben die Berliet in Museen, bei Sammlern und auf Schrottplätzen. In Cussey-sur-l’Ognon stehen drei alte Lastwagen von Berliet auf der grünen Wiese hinter einem alten Haus. Unter Bäumen gammeln sie sich vor sich hin. Einer ist noch gut in Schuss. Offensichtlich dienen die anderen Fahrzeuge als Ersatzteillager. Berliets auf den Straßen war Frankreich, mehr Frankreich als französischer Wein.

                            In Frankreich sieht man noch oft Schrottplätze mit alten ausschließlich französischen Autos. Oft habe ich den Eindruck, die sammeln den Schrott nur. Ausgeschlachtet und verkauft wird wohl nur an gute Bekannte. Einmal bin ich auf einer Wanderung aus Versehen auf so einem Platz gelandet. Hinten war kein Zaun. Nur alte Citroën, Peugeot, Simca und natürlich Renault. Als der Besitzer mich entdeckt hatte, wurde ich wutentbrannt von Hof gescheucht.

                            Auch die Simcas, diese Heckschleudern, sind von den Straßen verschwunden, mit ihnen die gelben Scheinwerfer der französischen Autos. Auf unseren ersten Urlaubsfahren mit den Kindern war das Ausschauhalten nach gelben Scheinwerfern eine beliebte, wenn auch nicht lange anhaltende Beschäftigung. Wer heute nach gelben Scheinwerfer Ausschau halten möchte, sollte Geduld aufbringen.

                            Nach Besançon zu fahren hatte ich mir so leicht vorgestellt. Dass dies eine hochkomplizierte Angelegenheit werden sollte, war am Abzweig Besançon/Gray nicht abzusehen. Wenn ich dort schon gewusst hätte, dass ich ein Dutzend Extra-Kilometer, mindestens 500 Höhenmeter zusätzlich, mehrere unterschiedliche Auskünfte und zwei Stunden dafür aufwenden muss, wäre es Gray geworden.


                            Die D 3 bei Fretigney

                            Nach Besançon hinein? Kein Problem! Die N 57 führt den Berg hinab bis ins Zentrum. Schade nur, dass die Strecke für Radfahrer gesperrt ist. Einer mit 'nem Rennrad meint, ich soll die Verbotsschilder ignorieren. Ortsfremden könne er keine bessere Lösung bieten. Nee, lass mal, die Straßenkarte zeigt eine Strecke über gelbe und weiße Nebenrouten. Auxon-dessous, Miserey-Salines, École Valentin und dann geradeaus in die Stadt. Wo liegt das Problem?

                            Umleitung in Auxon-dessous. Baustelle. ROUTE BARREE. Kommt, für Radfahrer an einem Feiertag, wird doch wohl was gehen! Die Bauarbeiten ruhen. Schweres Gerät ist keins zu sehen. Am Straßenrand stehen ein paar Überbleibsel der Arbeit: ziemlich dicke Betonrohre. Wenn irgendwo da oben auf dem Berg, da wo der Wald anfängt, noch ein Graben quer zur Straße offen ist … bei den Rohren … drüber über den Graben, würde ich es wohl nicht schaffen. Also Autos fahren keine. Im Garten an der Kreuzung wird mal wieder ein Rasenmäher geschoben. Heftiges Winken, Schreien, Gestikulieren. Ah, Miserey-Salines, oui. Er hat sich nicht geirrt. Die Gräben sind zugeschüttet. Die Bagger, die als Sperre quer auf der Straße stehen, sind aus dem Fahrradsattel schön anzusehen. Na also, klappt doch.

                            Miserey-Salines ist proper. Sanierte Kirche, schön einfallslose Einfamilienhäuser, eine Bushaltestelle mit einer schön bunten, viele, viele Striche und Nummern zeigende Tafel mit den Buslinien, doch Straßenschilder gibt es keine. Grobe Richtung Siedlung, den Berg hoch. Soll ich hoch? Dass nächste Auto wird gestoppt. Vater mit Kindern. Seit ein paar Tagen zwinge ich die Franzosen Englisch zu reden. Keine Frage mehr vorher, ob sie das können, das endet eh immer mit Non. Also ohne Umschweife drauf los. Oft klappt das. Der hier der hier gehört zur Gruppe, die sich keine Blöße geben will. Weil seine Kinder Englisch in der Schule haben, oder das er wirklich helfen will? Egal. Geradeaus den Berg hoch, dann rechts. Wirklich? Oui! Aus dem sich schließenden Fenster kommt noch ein good luck. Wie soll ich das verstehen?

                            Den kurzen Berg hoch. Das darf nicht war sein: ich lande auf der Nationalstraße, die ich bis zur nächsten Ausfahrt nehme. Wären da keine Schilder gewesen mit rotem Rand und kleinem schwarzen Radfahrer, wäre es eine tolle Empfehlung gewesen. Runter ins Industriegebiet, ganz runter. Sackgasse. Den Berg, den ich eben voller Zweifel runter gerauscht bin, wieder hoch bis zu der Nationalstraße. Die andere Straße in ein anderes Industriegebiet nehme ich. Den Berg hinunter natürlich. Unten putzt ein Junge seinen uralten Dreier-BMW. Fragen? Wäre sinnlos. Kreuzung rechts, klar, den Berg weiter runter. Scheiße. Die Kurve führt überall hin, nur nicht in die Stadt. Zurück. Der Junge putzt immer noch. Weiter die Straße hoch. Oben schaut eine Hotelwerbung über die Bäume, daneben das gelbe M von McDonald's.

                            Wo finde ich jemand, den ich fragen kann? Feiertag! Verdammte Feiertage, schafft sie ab, damit die Leute zur Arbeit müssen. Die Straße weiter rauf. Eine Zufahrt zur Nationalstraße. Wieder das runde Schild mit dem roten runden Rand. Soll ich den Rat des Rennradfahrers vom Mittag beherzigen? Bei diesen Überlegungen kommt ein Mann ums Eck, was hier für Kurve steht. Nickelbrille, Umhängetasche aus Stoff, Gesundheitslatschen, Wuschelkopf. John Lennon in seinen Flegeljahren. Der sieht nach 27 Semester Soziologie aus. Der geht zu Fuß. Der kennt sich hier aus. Der spricht Englisch. Ja, das spricht der fließend. Es leben 27 Semester Soziologie! Ich bekomme eine Wegbeschreibung. Ich muss wieder zurück bis zu der Rechtskurve unten im Industriegebiet. Links, im Kurvenscheitel, führt eine Straße nach École Valentin. Da will ich hin. Moment! Das ist die Kurve von eben, die aus der Stadt führt! Ja, deshalb soll ich nach links abbiegen. Wenn es rechts aus der Stadt geht, geht es links in die Stadt. Vermutlich denkt er, einen Blödmann vor sich zu haben. Hoffentlich hat er recht, wenn, wünsche ich ihm weitere 27 Semester.

                            Rechtskurve, Abzweig links. Durchfahrt verboten, weil das die Ausfahrt der Nationalstraße ist. Scheißegal! A-ha, Busse und Radfahrer dürfen hoch nach École Valentin. Dort sehe ich keine Schilder Richtung Besançon. Überall hin, nur nicht in die Stadt. Dann noch einen Hügel hoch, das müsste passen. Neuer Kreisverkehr. Kein Schild. Hier runter. Wird schon. In Pirey dämmert mir, meine Wahl war die falsche. Am Kreisel steht ein Schild: Besançon. Nie wurde es von so liebevoll blickenden Augen gelesen. Die Straße läuft. Guter Asphalt. Kein Verkehr. Willkommen in École Valentin! Da war ich vor Minuten schon einmal. Kurz bevor die Wut hochkocht, der nächste Kreisel: Besançon. Super … Scheiße … Nationalstraße … das blöde Schild … ihr könnt mich am Arsch … Rein in die Auffahrt. Hinter mir hupt es. Blick in ins Spiegelchen. Renault Megan. Und, was soll das? Leck mich! Hinter mir mir heult einmal eine Polizeisirene auf. Die in Frankreich hört sich ziemlich … na ja, ist nun mal so ... lächerlich an. Trotzdem: so schnell hat mein Rad noch nie gestanden. Grinsend fahren die zwei Polizisten an mir vorbei. Von wegen, ihr könnt mich mal.

                            Die Rettung ist nahe, denn die Louvre-Gruppe betreibt in ganz Frankreich Hotels. Kein Mensch kennt die Hotels von denen, denn es gibt keine Louvre-Hotels. Die Gruppe unterhält an den Autobahnen und frequentierten Fernstraßen Hotels unterschiedlicher Preisklasse. Fast immer findet man diese dicht beieinander. Campanile Hotel, Premiere Hotel, Kyriad Hotel bis hin zu den Tulip Hotels. Letztere finden sich eher nicht an der Autobahn. Der Louvre-Gruppe gehört an diesem Nachmittag mein immerwährender Dank. Neben dem Kreisverkehr, zu dem ich reumütig mein Rad zurück schiebe, steht ein Kyriad und gegenüber ein Premiere Hotel. Das billige Haus wird es. Premiere ist trotz des Namens die Billigmarke der Gruppe. Platz für das Fahrrad findet sich in der Garage, wo die Bettwäsche säuberlich wie mit dem Lineal ausgerichtet in Regalen lagert.

                            Hundert Meter neben dem Hotel, dort wo die zweite Auffahrt zur Nationalstraße ist, führt ein gut beschilderter Radweg nach Besançon. Angesichts dessen beschließe ich, auf keinen Fall den Mittag, respektive die zwei Stunden um die Mittagszeit, einer ernsthaften Analyse zu unterziehen. Eins weiß ich jedoch mit Sicherheit. Sollte ich noch einmal einen Streckentipp von einem Rennradfahrer erhalten, wird der umgesetzt.

                            Besançon

                            Nachmittags fahre ich mit dem Rad hinunter in die Stadt Mit Schrecken registriere ich, dass ich 4 Kilometer den Berg hinab fahre. Das muss ich alles wieder hoch! Mit Karacho entlang Vaubans Festungswällen hinein in die Stadt. Vauban hat die Verteidigungslinien so großzügig geplant, dass die heutige Straßenverwaltung mühelos ziemlich breite Straßen zwischen die hohen schwarzen Mauern schieben konnte.

                            Besançon gefällt mir nicht. Die Stadt ist am Ufer des Doubs eine einzige Baustelle. Die Bürger und die Stadtverwaltung wollen eine Straßenbahn. Baustelle das Ufer runter und wieder hoch. Wenn man schon dabei ist, kann man in einem Rutsch auch noch die Brücke sanieren. Und für die eine oder andere Straßensanierung im kleinen Stil, hatte der Stadtkämmerer auch noch Geld in der Kasse. Kurz: eine einzige Baustelle. Die Fahrt hoch auf den Hügel zum Hotel ist ein einziges Vergnügen. Wie leicht das ohne 17 Kilo Gepäck geht.

                            Am Abend drehe ich eine Runde zu Fuß durch École Valentin, bei der ich am Ortsrand die Stelle wiedererkenne wo ich den 27-Semester-Soziolgen getroffen hatte. Oh-je, ja klar. Er hätte mich nur zu McDonald's schicken müssen, dessen Reklamepfahl hinter seinem Rücken in den Himmel ragte. Es wären nur wenige Meter gewesen.
                            Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 16:45. Grund: Dass die "Franzosen" hier den Fehler nicht reklamiert haben ...
                            .

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                            • hosentreger
                              Fuchs
                              • 04.04.2003
                              • 1406

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                              Danke Dir
                              für Deinen (bisherigen) Bericht, genau die richtige Einstimmung für meine dreiwöchige Radtour Ende Augut - Mitte September von der Saar (Merzig) über Orléans an die Loire-Mündung, dann die Bretagne und Normandie hoch und über Rouen und Reims wieder zurück.
                              Ich werde sicherlich bei einigen Gelegenheiten an Dich und Deine Erlebnisse denken - hoffentlich aber nicht, wenn ich in einem ALDI mit einem Käse in der Hand stundenlang vor der Kasse stehen muss... In dem Zusammenhang: Von guten Weinen habe ich bisher noch nichts gelesen. Magst Du mir da keine Hoffnung machen???

                              Ich freue mich schon auf die Fortsetzung!
                              hosentreger
                              Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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                              • Gismo834
                                Erfahren
                                • 25.01.2010
                                • 223
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                Echt genial geschrieben. Macht richtig Spaß zu lesen. Und Grinsen musste ich auch das ein oder andere Mal.

                                Wenn Du in Cochem im Radladen warst könnte es gut sein das das der Laden von Elmar Schrauth war.
                                Ist einer der besten Geschäfte für Cyclocross Fahrräder in Deutschland. Sehr netter und kompetenter Mann, der auch eine Cyclocross Rennstrecke in Cochem betreibt.

                                Die Szene im Aldi kommt mir bekannt vor. Habe ich so ähnlich in einem Supermarkt in der Bretagne erlebt....allerdings mit einem Paket Eis in der Hand Die Franzosen haben echt die Ruhe weg.

                                Freue mich schon auf die Vortsetzung.

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                                • Werner Hohn
                                  Freak
                                  Liebt das Forum
                                  • 05.08.2005
                                  • 10870
                                  • Privat

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                                  #17
                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                  Zitat von hosentreger Beitrag anzeigen
                                  ... In dem Zusammenhang: Von guten Weinen habe ich bisher noch nichts gelesen. Magst Du mir da keine Hoffnung machen???
                                  Nee, hosentreger, da kann ich dir keine Hoffnung machen. Seit ewigen Zeiten trinke ich keinen Alkohol mehr.

                                  Aber sehr gut, dass du dich mit deinem Reiseziel gemeldet hast, denn nun melde ich Interesse an einem Reisebericht an. Die Gegend hatten wir hier noch nicht, und Übung hast du ja mittlerweile. Damit ist nicht nur das Radfahren gemeint.

                                  Zitat von Gismo834 Beitrag anzeigen
                                  ... Wenn Du in Cochem im Radladen warst könnte es gut sein das das der Laden von Elmar Schrauth war.
                                  Ist einer der besten Geschäfte für Cyclocross Fahrräder in Deutschland. Sehr netter und kompetenter Mann, der auch eine Cyclocross Rennstrecke in Cochem betreibt.
                                  Gismo, das war mir zu weit. Der beim Bahnhof war es, aber danke für den Tipp. Nachdem ich mehrere Tage gegen den Mistral gefahren bin, dreht in meinem Kopf ein Randonneur bzw. ein Cyclocross Rad seine Runden. Die Radhändler bei mir vor der Haustür bieten entweder Hausmannskost oder hochpreisiges Gerät für die Straße, mit dem ich nichts anfangen kann. Cochem ist schließlich nicht weit. Schau'n wir mal, ums es mit den Worten eines alternden Fußballers zu sagen.
                                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 14.07.2013, 14:36.
                                  .

                                  Kommentar


                                  • Werner Hohn
                                    Freak
                                    Liebt das Forum
                                    • 05.08.2005
                                    • 10870
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                                    #18
                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                    Neunter Tag: Siebzehn Minuten
                                    Besançon - Dole (Campingplatz)

                                    Was war das für ein Schild? Aus dem Augenwinkel hatte ich das nur wahrgenommen. Eine enge Wende auf schmalen Radweg. Aufpassen, dass ich nicht ins kalte, graugrüne Kanalwasser falle. Beim nächsten Mal Richtung Land, nicht Richtung Kanalufer wenden. Nantes 729, steht auf dem weißen Radwegweiser. Wow! Das nenn' ich ja mal großräumig ausgeschildert. Schlagartig fällt mir ein, dass ich auf der Eurovélo 6 sein muss. Bei der Planung haben Radwege keine Rolle gespielt, denn es gab einfach keine Planung. Doch die Eurovélo 6 ist selbst an mir nicht spurlos vorüber gegangen. Das ist so was wie der Camino für Radwanderer, glaube ich. Die Langversion des Caminos selbstredend. Steigungsfrei vom Atlantik an das Schwarze Meer. Mit eigener Website, Karten, Unterkunftslisten und all dem Pi Pa Po, der heute von allen erwartet wird, wenn man sich auf die Socken machen will. Die Sicherheit zu wissen, dass man weiß was kommt, fährt immer mit. Jetzt wird es Radfahrer hageln.


                                    Tunnel de Thoraise

                                    Die Eurovélo 6 passt mir an diesem Morgen ganz gut. Nach den gestrigen Irrfahrten tut es gut, einfach einem gut ausgeschilderten Radweg zu folgen. In Dole werden zwar ein paar Kilometer mehr als nötig auf dem Tacho stehen, aber gestern waren das auch mehr als erwartet. Nun denn, dem Radweg und seinen Wegweisern hinterher.

                                    Meine Überlegungen kreisen mehr ums Wetter als um die Route. Gestartet bei frühsommerlichen 23°, wird es von Tag zu Tag kälter. Geregnet hat es beim Start auch noch nicht. Doch nach und nach ist es nicht nur kälter geworden, die Tage sind auch nasser geworden. Der Regen hat sich bis jetzt auf kurze Schauer begrenzt. An den morgendlich Aufbruch unter dunklen Regenwolken habe ich mich seit Nancy gewöhnt. Die sind immer schnell weg gewesen. Heute, so sieht es aus, wird auf ein Unentschieden hinauslaufen. Morgens diffus, ab dem Mittag Sommerhimmel. Ehrlich gesagt, steht mir nicht der Sinn nach Schmuddelwetter. Richtung Südeuropa, ans Mittelmeer, wer dorthin fährt, hat andere Erwartungen ans Wetter.

                                    Dann bin ich also auf dem längsten markierten Radweg Europas unterwegs. Im Gegensatz zu den Wegweisern bekannter Weitwanderwege, hat der Radwegweiser vor wenigen Minuten nicht den Impuls geweckt, diesem zu folgen. Radfahren ist noch immer mehr Mittel zum Zweck, nämlich irgendwohin zu fahren, denn der Sehnsucht hinterher zu laufen.

                                    ...

                                    Immer am Ufer des Doubs hält sich die Wegführung. Nicht jede Flusskehre wird mitgenommen. Der Canal du Rhône au Rhin, der hier oft Seitenkanal ist und sich am Wasser des Doubs bedient, sorgt für gerade Abschnitte. Radfahrer sehe ich immer noch keine. Je länger ich fahre,umso mehr wundere ich mich darüber. Es geht auf Mitte Mai zu. Das Wetter ist nicht das idealste, die langfristige Wettervorhersage schon gar nicht, doch wer dem sommerlichen Trubel aus dem Weg gehen möchte, sollte jetzt unterwegs sein. Kein Mensch auf einem Rad mit Packtaschen begegnet mir. Der Kanal ist genauso verlassen. Wo sind die Charterboote? Was bin ich froh, dass ich mein Geld nicht in diesem Gewerbe verdiene. Es schaut nach einem finanziell miserablen Frühjahr der Branche aus.

                                    Ob bis Dole oder weiter, war in Besançon noch nicht abzusehen. Beim Anblick des gedrungenen Kirchturms über der Altstadt, beschließe ich zu bleiben. Kurz, breit mit vier zierlichen Türmchen an jede Ecke, mit einer kleinen Haube als Abschluss, als hätte das Geld für eine anständige Kirchturmspitze nicht gereicht, thront die Kirche über der Altstadt. Eine pure Machtdemonstration der Kirche.

                                    Am Campingplatz ist die Schranke unten. Zwei Stunden Mittagspause. Noch mehr als eine Stunde warten. Mal sehen, ob ich das Zelt schon aufbauen darf. Hinterm Haus sitzt die Großfamilie beim Mittagessen. Vom Enkel bis zu Oma und Opa sind alle anwesend. Erfreut, dass da einer um die Ecke in die heilige Mittagspause geschlurft kommt, ist keiner von denen. Widerwillig winkt mich ein Mann durch, ja, ich soll schon mal das Zelt aufbauen. Kaum steht das, kommt ein Wohnmobil auf den Platz gefahren. Die Schranke ist oben. Huch, Alter, das nächste Mal schaust du dir Uhr genauer an. Es waren noch 17 Minuten bis zum Ende der Mittagspause. Daher also die angesäuerten Mienen. Mal wieder ein Deutscher, der kein Zeit hat.


                                    Dole - Stiftskirche Notre-Dame

                                    Zehn Minuten nach 14 Uhr stehe ich am Tresen der Rezeption. Die Frau hat mich durch die Glastür kommen sehen, sie hat sogar freundlich gelächelt. Als ich die Tür öffne, ist sie verschwunden. Die Tür zur Terrasse, auf der noch alle sitzen, steht weit offen. Die ganze Familie kann ich sehen und die könnten mich sehen, wenn sie wollten. Sie wissen, dass ich am Tresen stehe. Niemand von denen schaut zur Tür, die in die Rezeption führt. Überall schauen sie hin, nicht zur Tür. Die Frau, die vorhin noch hinterm Tresen stand, geht mehrmals mit schmutzigem Geschirr in den Händen an der Tür vorbei. Sie schaut ebenfalls nicht. Mir wird bewusst, es wird eine Lektion für mich geben. Was waren das nochmal? Fünfzehn Minuten? Nee, siebzehn.

                                    Ja, dann wollen wir mal. Die warten doch nur darauf, dass ich mich lautstark melde. Die da draußen auf der Terrasse haben die Regionalregierung der Franche-Comté nicht auf ihrer Rechnung. In der Rezeption stapeln sich die vielsprachigen Hochglanzprospekte mit den touristischen Höhepunkten. Die Region ist damit reichlich gesegnet. Mir vertreiben die bunten Blätter die Zeit. Es waren genau 17 Minuten, die ich zu früh gewesen bin. Wenn ich noch Zweifel hatte, sind diese um 27 Minuten nach 14 Uhr, hinfällig, denn auf die Minute taucht die Frau in der Tür auf. Es tut ihr leid, dass sie mich übersehen hat. Ich hätte mich melden sollen. Kein Problem, ich hab' Zeit und mir den Weg zur Touristeninfo gespart.

                                    Ob ich mit Karte oder Bargeld zahlen möchte?
                                    Was ist ihnen denn lieber?
                                    Bargeld.
                                    Hab' nur Scheine.
                                    Kein Problem.
                                    Mit erkennbarer Absicht suche ich lange, aber dann wird er doch gefunden, der gelbe 200-Euro-Schein. Sie zögert keine Sekunde.

                                    Dole - Rue Pasteur

                                    Die Altstadt von Dole ist verlassen. Durch Gassen mit grobem Kopfsteinpflaster schiebe ich das Rad. Selbst das ist Plackerei. Graue, von Nässe oft schwarze Mauern, schwarze Fensterscheiben, verlassene Geschäfte mit Schaufenstern an denen noch Plakate vom Ausverkauf vor zwei Jahren hängen. Neben dem Geburtshaus von Louis Pasteur ist ein kleiner Garten. Schwarze Büste auf Betonsockel, etwas Grünzeug, eins blüht rot. Kein Mensch ist dort. Oben, rund um die aus der Ferne so mächtige Kirche öffnen die Geschäfte und Kneipen. Oben, da wo mehr Platz ist, wo das Licht fluten kann, sind Menschen. Unten in der Altstadt hängen die Schilder für den Radweg nach Budapest und nach Nantes. Morgen werde ich die Straße an der Stadt vorbei nehmen. Das wird keine zwei Minuten dauern, bis ich hinten wieder auf dem Radweg bin.

                                    In der abendlichen Dämmerung taucht noch ein Radfahrer auf. Gepäck hat er nicht. Ihm gehört das Zelt neben meinem. Der alte Mann ist Kanadier, mal wieder ein Franko-Kanadier. Seit unglaublichen 34 Jahren macht er jedes Jahr Urlaub in Frankreich. Woanders ist er noch nie gewesen. Frankophil sei er. Er will den Doubs hoch bis an den Rhein, dann weiter nach Basel. Überflüssig zu erwähnen, dass er auf der französischen Seite des Rheins bleiben wird. Meine Versuche, ihm den großen Rest Europas schmackhaft zu machen, fruchten nicht. Es ist nicht das Sprachproblem, wie von mir vermutet, wehrt er sich, denn es gäbe schließlich noch England. Er liebt Frankreich, und wenn seine Frau nicht wäre, würde er schon lange hier wohnen.
                                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 05.10.2013, 20:46.
                                    .

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                                    • Gismo834
                                      Erfahren
                                      • 25.01.2010
                                      • 223
                                      • Privat

                                      • Meine Reisen

                                      #19
                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                      Gismo, das war mir zu weit. Der beim Bahnhof war es, aber danke für den Tipp. Nachdem ich mehrere Tage gegen den Mistral gefahren bin, dreht in meinem Kopf ein Randonneur bzw. ein Cyclocross Rad seine Runden. Die Radhändler bei mir vor der Haustür bieten entweder Hausmannskost oder hochpreisiges Gerät für die Straße, mit dem ich nichts anfangen kann. Cochem ist schließlich nicht weit. Schau'n wir mal, ums es mit den Worten eines alternden Fußballers zu sagen.[/QUOTE]

                                      Er hat auch einen Onlineshop und ein Forum

                                      http://www.radsport-schrauth.de/

                                      http://forum.cx-sport.de/index.php

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                                      • Werner Hohn
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                                        Liebt das Forum
                                        • 05.08.2005
                                        • 10870
                                        • Privat

                                        • Meine Reisen

                                        #20
                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                        Zehnter Tag: Betreutes Touren
                                        Dole - Chalon-sur-Saône (Campingplatz)

                                        Dünner Regen fällt. Im Zelt hat es sich nach mehr angehört. Beim Zusammenpacken entwickelt sich ein Schwätzchen mit den Nachbarn, die vergangenen Abend noch gekommen sind. In ihrem Kombi stehen zwei Fahrräder. Ein Mann und eine Frau auf dem Rückweg nach Süddeutschland. Mit ihren Fahrrädern waren sie drei Wochen auf dem spanischen Camino del Norte unterwegs. Das letzte große Teilstück seit ihrem Start in der Heimat vor ein paar Jahren. In wenigen, mehrwöchigen Etappen immer dem Jakobsweg hinterher. Frankreich, ganz besonders der Aubrac, das war toll. Der einsame Höhepunkt. Vom Aubrac schwärmen alle. In Spanien haben sie zum Schluss die Randstreifen der Nationalstraßen schätzen gelernt. Mit dem Rad auf Wegen, die für Fußgänger gedacht sind, sei zermürbend gewesen. Dann lieber die breiten Randstreifen. Und nun? Sie brauchen ein neues Ziel. Vielleicht mit den Rädern nach Rom? Es gäbe noch so viel zu erzählen. Ich muss weiter. Eine Regenpause nutze ich zum Aufbruch.

                                        Saint-Symphorien-sur-Saône

                                        Es ist ein verzettelter Aufbruch. Eine Stunde später als normal. Kaum rollen die Räder, gießt es. Unterstellen, warten, weiter. Zwei Radfahrer, Frau und Mann, überholen mich. Später überhole ich sie. Sie sind auf dem Weg von Freiburg an die Biskaya. Die schon gebuchte Rückfahrt treibt Tempo und Etappenlänge in die Höhe. Meine Güte, über die Jahre habe ich vergessen, wie das ist, wenn man in einen knappen Jahresurlaub möglichst viel Tour stecken muss.

                                        Die Eurovélo 6 bleibt dem Canal du Rhône au Rhin treu. Das hatte ich befürchtet und mit einer Route entlang der N 73 geliebäugelt. Unentschlossenes morgendliches Geeiere, bis es zu spät ist. Die Unentschlossenheit endet an der Saône, endlich ein richtiger Fluss. La Voie bleue de la Saône steht auf dem Radwegweisern. Im Erfinden von tollen Namen sind die Franzosen fleißig. Ob es eine zusammenhängende Strecke ist? Es dauert keine Stunde, bis mir das egal ist. Der Wegweiser führt den Radweg auf die andere Kanalseite und dann geht es zurück, wieder den Fluss hoch. Da drüben bin ich doch vor Augenblicken noch gefahren, und das auch noch aus der Richtung in die ich jetzt fahre! Mein Geschimpfe über diese Wegführung hört niemand. Das ist ganz gut so. Zurück über die Brücke nach Seurre, auf die Straße. Die D 5 führt ohne Umwege bis ins Zentrum von Chalon-sur-Saône.

                                        Es ist wieder eine Fahrt übers Land. Ein verschlafener Landstrich. Frankreich hat viele davon. Die Landstraße könnte glatter sein. Der Straßenbelag ist aus grobem, „steinigem“ Teer. Mein Hintern freut sich nicht, meine Handgelenke auch nicht. Jedes Steinchen, jedes schlecht überteerte Schlagloch, krabbelt die Gabel hoch. Wenige Wälder. Grüne Wiesen, gelbe Rapsfelder, ganz vereinzelt Dörfer, die schmale Landstraße. An einer Brücke über die Saône, Mittagspause auf der Leitplanke. Der Fluss führt leichtes Hochwasser. An den Feldrändern steht das Wasser hier.


                                        Gergy

                                        In Gergy kämpfen zwei Frauen mit den Tücken der Autotechnik. Der Anlasser rührt sich nicht. Das Radio will auch nicht. Mein Tipp geht Richtung Batterie. Helfen kann ich nicht. Über den Platz an der Kirche hämmert aus dem offenen Fenster einer Bruchbude eine Bassgitarre. Der Junge mit dem Bass vorm Bauch sieht nicht danach aus, als würde er seine Umwelt wahrnehmen. Die Kirche ist verschlossen. Anderes habe ich nicht erwartet. Der Platz an der Kirche ist mit Pflanztrögen aus Beton zugestellt. Das ist schlimmer als der hämmernde Bass.

                                        Wie schön, dass der Samstag weit fortgeschritten ist. Auf der Hauptzufahrtstraße ins Zentrum von Chalon-sur-Saône kann ich mich alleine austoben. Spiegelglatt mit einem durchgehenden Radweg auf der Straße suche ich nach der „Grünen Welle“. Auf Dauer reicht die Puste nicht. Auf der Brücke über die Saône habe ich die Stadt auf ihren ganzen Länge von Nord nach Süd durchfahren. Einer der Nachteile, wenn man der Ausschilderung für Autofahrer folgt.

                                        Chalon-sur-Saône

                                        Am städtischen Ufer haben zwei große Flusskreuzfahrtschiffe unter deutscher Flagge festgemacht. Alle haben die blickdichten Vorhänge des Panoramafensters ihrer Kabine zugezogen. Es ist Nachmittag, was gibt es da zu verbergen? Auf dem Oberdeck sitzen Menschen, die ihre Reiseziele im Reiseblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung finden.

                                        Der Campingplatz liegt direkt am Ufer der Saône. Die erste Reihe vorne am Ufer ist fest in englischer Hand. Alle sind ausgeflogen. Stadtbummel? Bei meiner Rückkehr aus der Stadt steht ein großer Reisebus auf dem kleinen Platz vor dem Schlagbaum. Alte Männer und Frauen klettern aus dem Bus. Jeder Mann hat mindestens einen Karton mit Weinflaschen unter dem Arm. Den ganzen Tag waren sie mit dem Bus unterwegs. Das Programm für heute sah den Besuch gleich zweier Weingüter mit der unvermeidbaren Weinprobe vor. Die haben nicht gekostet - wer spuckt den Wein schon aus, wenn er nichts kostet -, die haben gesoffen. Ganz nüchtern sind die alle nicht mehr. Organisierte Wohnwagentouren durch Europa, so reisen diese Engländer. Schon zwei Wochen sei man unterwegs. Auf dem Platz wird man drei Tage bleiben. Alles ist durchorganisiert. Von der Streckenauswahl, über Karten, Reiseführer und Ausflüge bis hin zur Vorsorge für den medizinischen Notfall. Wird gefahren, sind es maximal 300 Kilometer am Tag, Begleitfahrzeug inklusive. Wer keinen Wohnwagen hat, bekommt einen geliehen. Glück gehabt. Alte Engländer sind angenehme Zeltnachbarn. Abends ist von denen nichts mehr zu hören. Vor Jahren hatte ich das Vergnügen auf einem Campingplatz zu landen, der fest in der Hand der Fans von Manchester United war, die auf dem Weg nach Barcelona waren. Dem Verein hinterher. Das war 'ne Nacht! Vielleicht waren es die Kinder dieser Alten.

                                        Elfter Tag: Dem Herbst entgegen
                                        Chalon-sur-Saône - Crêches-sur-Saône (Hotel)

                                        Kalt, kalt, kalt. Am Straßenrand krame ich die Regenhose aus der Packtasche. Mir ist kalt bis auf die Knochen. Losgefahren bin ich dick eingemümmelt in Fleecejacke, Regenjacke und Mütze. Eine warme Hose habe ich nicht dabei. Zwei superdünne Sommerhosen, die als Schutz vor der Sonne gedacht sind, sollten reichen. Ich fahre in den Süden, in den Sommer, in die Wärme. Auf Radfahren in der Regenhose bin ich nicht scharf, doch ohne geht es an diesem Tag nicht. Für die Hände habe ich nichts. Zwei kleine Plastiktüten habe ich noch im Gepäck. Soll ich die über die kalten Finger stülpen? Es muss ohne gehen. Wenn das jemand sieht, lande ich in der Klappsmühle.

                                        Dieser Morgen treibt mal wieder das Nordkap aus dem Kopf. Beim Wechsel vom Wanderer zum Radfahrer ändert sich das eine oder andere Ziel. Das Nordkap ist so ein neues Ziel. Nach Skandinavien hat es mich noch nie gezogen. Kalt, nass, dunkel, windig, einsam, teuer, zu viel Natur. Mit dem Rad hat sich das geändert – theoretisch. Theoretisch kann man das ja mal durchspielen. Einmal hinauf in den Hohen Norden, und wenn schon Skandinavien, dann muss es das Nordkap sein. So weit ist das mit dem Rad schließlich nicht. Ein Straßenatlas findet sich bestimmt. Es ist Sonntagmorgen, es ist kalt, der Himmel ist grau. Licht, welches diese Bezeichnung verdient, darauf hoffe ich nicht mehr. Das Nordkap stirbt an diesem Morgen erneut den Kälte-, Nässe- und Lichttod.


                                        Tenarre - Bressehaus (1641)

                                        Schon lange nicht mehr war die Kaffeepause beim Bäcker schöner. Eine große heiße Tasse, die meinen Fingern wieder Leben einhaucht. Noch eine? Noch eine! Die Kundschaft trägt Winterpelz – mehr oder weniger. Von Sommerkleidung sind die Jacken und Mützen jedenfalls ziemlich weit entfernt. Die noch warmen Brote dampfen auf dem Weg von der Ladentür zum Auto.

                                        Das sehenswerte Tournus streiche ich von der Liste. Der Ort muss sehenswert sein, denn oben am Rand der Autobahn steht ein braunes Schild hinter der Leitplanke. Braune Schilder bekommen nur ausgesprochen touristische Orte und Landschaften. Nee, ich verzichte. Zwölf Kilometer Umweg, das bei der Kälte, lass mal. Dann lieber in den Sturmböen. die die Autos hinter sich herziehen, ohne zu denken weiter fahren. Weiter als bis zum Bäcker fährt kein Autofahrer heute. Für Sonntagsausflüge mit der Familie gibt das Wetter zu wenig her. Landstraßenfahren mit dem Rad könnte an diesem Tag so schön sein, wäre die Kälte nicht.

                                        Es geht immer zwanzig, dreißig Meter rauf und wieder runter. Die Saône ist nirgends zu sehen. Mit jedem neuen Tag in der Nähe eines Bachs oder Flusses, bin ich überzeugter, dass die Franzosen ihre Straßen nach Möglichkeit nicht direkt am Ufer bauen. Hochwasserschutz mit Verstand? Lange Geraden, weitab vom linken Ufer der Saône, gehen über in lange Hauptstraßen, von denen wieder lange Geraden abzweigen. Ich muss aufpassen, nicht auf die falsche Gerade abzubiegen, so lullt das ein. Steigungen hinauf fahren ist mir heute lieber, denn hinunter. Dabei wird mir warm. Steigungen hinunter fahren, ist nicht spaßig. Für meine Finger ist das zu kalt. Um mich aufzuwärmen mache ich zu viele Pausen. Während den Ortsdurchfahrten halte ich Ausschau nach den blinkenden grünen Neonreklamen der Apotheken. Neben Uhrzeit und Datum, zeigen die meisten auch die Temperatur an. 12° über Null, das ist die höchste die ich gesehen habe, als ich Mâcon im Hinterland umfahre.


                                        Macon

                                        Die Stadt streiche ich vom Besuchsplan. Überwölbt von grauen Wolken, ist die nicht besonders einladend. Der Stadtrand langt mir. Die Gewerbegebiete entlang der ehemaligen Nationalstraße reichen bis Crêches-sur-Saône. Hier gibt es einen Campingplatz der Gemeinde. Noch ist der geschlossen, doch in wenigen Tagen macht der auf. Schon direkt an der Stadtgrenze steht, dass der geschlossen ist. Mich stört das nicht. Bestimmt ist ein Tor geöffnet und ein Sanitärgebäude ebenfalls. Richtig vermutet. Die Wiese ist zwar noch nicht gemäht, doch auf dem Klo hängt schon Klopapier. Vertrieben haben mich zwei wild gestikulierende Dauercamper. Fermé, fermé! Das habe ich verstanden. Bis zu diesem Tag war mir das in Frankreich noch nicht untergekommen. Tor auf, Klo auf, baue das Zelt auf. Wenn ich Pech hatte, ist abends einer von der Gemeinde gekommen und hat kassiert.

                                        Tja, wieder einmal die Louvre-Gruppe. Das Premiere-Hotel hat das vergammelste um die Stockwerke laufende Geländer, das ich je an einem Hotel gesehen habe, doch die Zimmer sind groß, sauber und warm. Preiswert auch. Wochenendtarif. Die Frau am Empfang hat mir extra ein Zimmer in der ersten Etage gegeben, damit ich mein Rad am Geländer anketten kann. Eins ist schon mal klar: das Rad kommt ins Zimmer! Und noch eins ist klar: der große Heizlüfter, den mir die Putzfrau noch auf das Zimmer stellt, wird bis in die Nacht durchlaufen, und das nicht nur, damit das Zelt trocken wird.

                                        Skandinavien, das Nordkap? Niemals! Die Franzosen bauen prima Heizlüfter. Draußen regnet es. Zwei Reisebusse aus Italien stoppen vor dem benachbarten Campanile-Hotel. Die Italiener sehen aus, als würden sie in den Wintersport fahren. Hinter der Windschutzscheibe klemmt das Schild mit dem Reiseziel: Paris. Im warmen Frühling muss die Stadt toll sein, haben die sich bestimmt bei der Buchung gesagt.
                                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 05.10.2013, 21:03.
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