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  • Werner Hohn
    Freak
    Liebt das Forum
    • 05.08.2005
    • 10870
    • Privat

    • Meine Reisen

    #41
    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

    Neunzehnter Tag: Camping vier Punkt null
    Ruhetag in Vias Plage

    Canal du Midi bei Vias

    Nach drei Wochen auf Tour fällt das Ausschlafen schwer. Wie andere Menschen das unterwegs geregelt bekommen, ist mir ein Rätsel. Tag für Tag früh aufstehen und dann kommt der eine zum Ruhetag auserkorene Tag, und man ändert von einer Nacht auf den nächsten Morgen seinen Rhythmus. Wie geht das? Zu den Glücklichen gehöre ich nicht. Immerhin bleibe ich so lange liegen, bis Schritte vorne auf dem Weg zu hören sind. Badeschlappen auf dem Weg zur Dusche.

    Gemütliches Frühstücken mit der F.A.Z. und der „Zeit“. Bildungsvormittag mit den Zeitungen der Vorwoche. Nach vielen Jahren halte ich wieder die „Zeit“ in den Händen. Was ist die betulich geworden! Und bunt, und Leser schreiben Stussbeiträge. Eine ganze Seite hat man denen gegeben. Journalisten verfassen Artikel, die das pralle Leben von allen Seiten beleuchten wollen, und dabei so viel Licht verbreiten, dass vom prallen Leben nichts mehr bleibt. Gähnende Ausgewogenheit. Politische Beiträge, die keinem Politiker weh tun. Okay, die „Zeit“ hat noch nie die Revolution ausgerufen. Doch so lahm kann sie vor Jahrzehnten nicht gewesen sein. Etwa doch? Vertragen pensionierte, verwitwete Oberamtsratsgattinnen keine klaren Worte? Ab in den Mülleimer - so gut wie ungelesen. Dagegen ist die „Frankfurter“ das reinste Revolverblatt.

    Die große Wäsche dauert nur Minuten. Die Mutter mit zwei Kindern an den Bändseln der Bikinihose beneidet mich. Nicht ums Radfahren, um die Aldi-Tüte mit meiner Schmutzwäsche. Sieben Teile in Polypropylen-Color. Sie werden trocken sein, noch bevor die zweifache Mutter ihre Wäscheberge auf der Leine hängen hat.

    Camping 4.0

    Das Campen hat sich geändert. Früher ist mir das nie aufgefallen. Auf dem Platz hier ist das schwerlich zu übersehen. Hunderte Plastikhäuser, Mobilhomes, haben aus dem Campingplatz eine Siedlung gemacht, Fahrgestelle unten drunter hin oder her. Die Stars heißen nicht mehr Hymer, Concorida, Detlefs oder Bürstner. Der Camper muss sich an neue Namen gewöhnen: O'HARA, IRM, SUN ROLLER. Hütten aus Plastik, in jedem gewünschten Look und jeder Größe. Transportiert wird schließlich nur einmal. Wer es ganz groß haben will, kombiniert die Häuser. Schon im Frühjahr ist uns aufgefallen, dass die Platzbetreiber in Südfrankreich auf diesen Urlaubstrend bauen. Viele haben das Komplettangebot am Zaun hängen: Dauerplätze mit Parzelle und Haus aus einer Hand. Ob ein Zusammenhang mit den Billigfliegern besteht? Rund um den wirklich schnuckeligen Miniflughafen von Béziers kommt kein Camping mehr ohne diese Hütten aus. Ratternde Rollkoffer im Ryanair-Handgepäckmaß hätte ich niemals mit Campingplatz in Verbindung gebracht. Hier gehören sie dazu. Der Campingplatz hat ungezählte Hütten; und mit den Hütten wird das Urlaubsgefühl verkauft. Ohne Themenviertel und -landschaften geht es offenkundig nicht: Louisiane, Chardonnay, Patio und Tropica, Bali, Piraten und Prestige Beach Farret. Und vorne am Strand hat TUI ein Viertel. Wer hätte gedacht, dass Campingurlaub im Reisekatalog Platz findet. Hütten, meist aufwertend als „Bungalows“ beschrieben, waren schon immer auf den Campingplätzen zu sehen, doch dass Zelte, Wohnwagen, sogar Wohnmobile auf immer mehr Plätzen keinen Stellplatz mehr finden, ist neu. Mal sehen, wie lange der hier noch aufs überkommende Camping baut.


    Canal du Midi bei Vias - Hochwasserdurchlass des Libron (der nicht zu sehen ist)

    Abends kann ich nicht einschlafen. Lange höre ich der Musik zu, die von der Hauptstraße aus den offenen Kneipen den Campingplatz beschallt. Um Mitternacht ist Schluss. Wenig später hört man Schlüssel klirren, gefolgt vom dumpfen Schlagen der Plastiktüren. Meine Nachbarn von den Hütten gegenüber sind nun auch da. Acht feierfreudige Polinnen mit Rollkoffern.
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 17:22. Grund: Die finale Korrekturrunde?
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    • Enja
      Alter Hase
      • 18.08.2006
      • 4750
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      • Meine Reisen

      #42
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      Vias - da habe ich mal mit den Kindern eine Woche am Meer verbracht.

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      • Trampelwurm
        Anfänger im Forum
        • 19.04.2012
        • 20
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        • Meine Reisen

        #43
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        ..... Und dann fangen sie an zu summen: Sur le pont d' Avignon.

        Ich weiss nicht ob ich dieses Lied hasse.
        Wie oft mussten wir in der Schule dazu anstimmen...Und nochmal..Sur le pont d' Avignon lal la lala...
        Heute beginnt der Rest deines Lebens....

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        • Werner Hohn
          Freak
          Liebt das Forum
          • 05.08.2005
          • 10870
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          #44
          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

          Bei mir war das der "Bruder Jakob", mehrstimmig selbstverständlich. Kein Mensch hatte verstanden, um was es in dem Lied geht.

          Dann sehe ich zu, dass ich nach und nach aus dem Land, das sich eine Nationalhymne mit einem martialischen Text leistet, in eines der wenigen Länder komme, das auf Text in der Hymne verzichtet. Da muss man auch nichts auswendiglernen und zu singen gibt es ebenfalls nichts. Vielleicht spielt die Spanische Fußballnationalmannschaft aus diesem Grund den besseren Fußball.
          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 13.08.2013, 14:55.
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          • Werner Hohn
            Freak
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            • 05.08.2005
            • 10870
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            #45
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            Zwanzigster Tag: Übers Land und vorbei am Meer
            Vias-Plage - Le Barcarès (Campingplatz)

            Canal du Midi bei Cers

            Viel zu früh wach geworden vom knatternden Außenzelt. So geschützt wie das Zelt steht, muss es draußen heftig wehen. Hier, hinter die Hecke, dürfte eigentlich kein Wind hin kommen. Der Wind hat nun endgültig auf Nordwest gedreht. Daher also. Ein stabiler Tramontana weht draußen. Die Surfer auf den flachen Étangs werden jubeln. Zweiundsiebzig Euro knöpft mir die Mannschaft hinter dem Tresen für zwei Übernachtungen ab. Ein stolzer Preis für hundert Quadratmeter Wiese. Peinlich ist ihnen, dass sie mir einen Euro und noch-was Kurtaxe abknöpfen müssen.

            Béziers - Kathedrale St. Nazaire

            Es weht tatsächlich. Doch im Windschatten der Platanen längs des Canal du Mid ist es nahezu windstill. Gepflanzt, um der Wasserverdunstung Einhalt zu bieten, sind die mächtigen Bäume ein idealer und schöner Windschutz für Radfahrer. Béziers möchte ich auf alle Fälle mitnehmen, nicht schon wieder an der Schleusentreppe vorbei fahren. Dass die Sommersaison noch Tage weit weg ist, ist auf dem Kanal zu sehen. Hobbyskipper sind rar an diesem Morgen. Nur ein Boot ist auf dem Kanal unterwegs. Vater steht am Ruder, Mutter deckt den auf Deck stehenden Tisch. Dass selbst bei wenig mehr als Schrittgeschwindigkeit der Fahrtwind über dem schattigen Wasser kalt ist, wird hingenommen. Wehe, sie lassen mit ihrem weißen Boot den Windschatten der Platanen hinter sich. Die Kaffeetassen werden nicht mehr zu halten sein. Vom Deck wehen holländische Sprachfetzen bis ans Ufer. Franzosen machen noch keinen Urlaub, die warten bis zum Sommer, dann reichen Badehose, T-Shirt und Sonnenbrille.


            Bei der Domaine de Fontrames

            Ehemalige Frachschiffe sind am Ufer festgemacht, umgebaut zu Wohnschiffen, werden sie nicht mehr bewegt. Vom verrotteten, mit langen Rostfahnen überzogenen schmalen Kahn, der dem Absaufen näher ist als der Restauration, bis hin zur liebevoll zum Wohnschiff umgebauten Péniche, säumt alles, was irgendwie zum Wohnschiff geeignet ist das schattige Kanalufer. Geschäftstüchtige Eigner vermieten sogar Zimmer an Bord. Einer hat einen alten Wohnwagenaufbau auf einen Prahm gestellt, fertig ist die Bleibe auf dem Wasser. Dazwischen viel zu viele ihrer Takelage beraubte Segelboote aus der Frühzeit des Kunststoffbaus, die nun als Motorbootersatz herhalten müssen. Ein trauriger Anblick. An erstaunlich vielen Wohnschiffen weht am Heck der Union Jack.

            In Narbonne

            Die Schleusentreppe der Écluses de Fonserannes ist ein Muss für jeden Charterskipper. Am Kai des Wartebeckens liegen die weißen Schiffe der Bootsvermieter dicht an dicht. Darum war auf dem Kanal kein Betrieb. Die sechs Schleusenkammern kosten Zeit. Wer hier nicht versauern will, muss früh da sein. Im Wechsel wird den Berg hoch geschleust, und wenn nach einer Dreiviertelstunde die Boote oben sind, geht es die Treppe abwärts. Im Augenblick wird ein Ausflugsboot zu Berg geschleust. Obwohl keine Passagiere an Bord sind, hat das Schiff Vorrang, wie der ganze gewerbliche Verkehr auf dem Kanal. Fracht fährt zum Glück niemand mehr. Mancher Charterschiffer mit engen einwöchigem Zeitplan wird froh drum sein. Die dann fälligen Wartezeiten an der Schleusentreppe würden im Stunden-Rhythmus getaktete Urlaubspläne zunichte machen.


            Bages am Étang de Bages-Sigean

            Nach der Schleusentreppe, Nationalstraßenfahren im Hügelland mit Gegenwind. Das mediterrane Languedoc in Postkartenansicht fliegt vorbei. Orte ohne Halt bleiben zurück, kaum dass ich ihre Namen registriere. Die Steigungen sind überschaubar, der Wind reicht nicht in jede Senke hinein und über die wellige Landschaft kann man dank der klaren Luft weit blicken. Endlich, endlich wieder übers Land fahren! Seit Lyon bin ich nicht mehr über das Land gefahren. So einfach das Radfahren in Flusstälern auch ist, so langweilig ist es auf Dauer. In dieselbe Schublade gehört das Übers-Flachland-Fahren. Die Camargue steckt in dieser Schublade. Für den Rest des Tages werde ich auf Straßen unterwegs sein, auf denen sich im Sommer Stoßstange an Stoßstange reiht.


            Étang de Bages-Sigean

            Übergang N 9/D 627

            Narbonne hat mich am Ortseingang mit dem Schild Halles de Narbonne ins Zentrum gelockt, das eine einzige Baustelle ist. Alte Fußgängerzonen und die Mauern, die den Canal de la Robine im Bett halten, werden aufpoliert. Fotostopp und weiter. Sigean ist das nächste Ziel. Vorher spontan von der Nationalstraße hinunter an den Étang de Bages-Sigean. Ganz so spontan doch nicht. Nur Berechnung nach einem Blick in die Straßenkarte. Der Gegenwind oben auf der Nationalstraße ist zu heftig geworden. Unten am Wasser fahre ich windgeschützt. Vom Massentourismus unberührte Dörfer säumen das Westufer. Wo die Hügel zurückbleiben, muss ich oft vom Rad absteigen und auf der ebenen Straße schieben. so stark bläst dort der Wind. Immer wenn sich ein Pass in der niedrigen Hügelkette andeutet, ein Sattel, eine Senke, wird der Wind auf Sturmstärke beschleunigt.

            Die Lydia auf dem Strand bei Bacarès

            Der Tierpark Réserve Africaine de Sigean wird von der Liste gestrichen. Wer in Südfrankreich oder Katalonien unterwegs ist, kann der Werbung des Parks nicht aus dem Weg gehen. Die Zahl der Werbeplakate scheint unendlich. Mittags ist mir noch zu früh für den Tagesabschluss; zudem dürfte es nicht einfach sein, Einlass als Radfahrer zu erhalten. Für die freilaufenden Löwen und Bären wäre ich ein gefundenes Fressen.

            Mit Sturmwind im Rücken hinunter nach Leucate-Plage. Surfers Paradise auf dem Étang de Salses ou de Leucate. An der Uferstraße stehen Wohnmobile aus ganz Europa. Überwiegend die einfachen, billigen Kastenwagen. Man ist noch jung, und die Surfausrüstung kostet Geld. Ein Brett, zwei Segel? Ach-wo, damit kannst du nichts anfangen. Unter drei Brettern und mindestens fünf Segeln geht hier niemand aufs Wasser. Stimmt. Die Luxuswohnmobile sind noch fern. Die kommen erst im Alter, wenn man auch im Urlaub die Verbindung über die Satellitenschüssel zur gewohnten Abendunterhaltung nicht mehr missen möchte. Der eine oder andere wird dann vielleicht sagen, „Weißt du noch, wie das damals war. Da ging es auch ohne großes Wohnmobil und ohne Fernseher“. Die Frau wird nicken und sich ihren Teil denken. Gut möglich, dass sie zu den Frauen gehört hat, die heute im Windschatten der Kastenwagen hocken und darauf warten, dass „ihr Sportler“ Zeit für sie hat.

            Strand bei Bacarès

            In Le Barcarès endet der Tag. Der Campingplatz gehört zu denen, auf dem Camper keine nennenswerte Rolle mehr spielen. Für die ist nur noch Platz wo die Parzellen zu klein oder die Bäume zu niedrig sind, um Plastikhäuser aufzustellen. An der Rezeption hat eine urlaubende Engländerin mit einem ellenlangen Fragenkatalog den Verkehr aufgehalten. Ja, man hat alles, bis hin zum mehrsprachigem Babysitter. In der platzeigenen Pizzeria sehnen sich Kellner und Köche nach Gästen. Alle Stühle werden den Abend verwaist bleiben. Der platzeigene Supermarkt hat schon seit Mittag zu. Bei der abendlichen Runde über den Platz sehe ich keine Menschen. Vor vielen Hütten stehen Autos. Aus vielen Fenstern fällt warmes Licht. Im frühen Halbdunkel unter dem dichten Laubdach der hohen Bäume ist es einsam. Der Wind weht immer noch. Es ist wieder kalt geworden.

            Einundzwanzigster Tag: Rumgegurke
            Le Barcarès – Argelès-Plage (Campingplatz)

            Nachbau historischer Fischerhütten am Étang de Canet-Saint-Nazaire

            Lustlos fängt der Tag an. Ob der dunkle Campingplatz aufs Gemüt geschlagen hat? Heute noch nach Spanien? Oder doch nicht? Ich muss gegen den Wind fahren, weil Radfahrer hier nicht auf die parallel zur Küstenlinie verlaufende D 81 dürfen. Die wollte ich bis an den Rand der Pyrenäen fahren. Na, dann eben nicht. Noch keine 2 Kilometer gefahren und schon reicht es mir. Der Wind schlägt brutal aufs Gemüt. McDonald's hat noch zu. Keine Kaffeepause also. Lidl hat schon auf, hat aber keinen Kaffee. Aldi hat neu gebaut, macht in der nächsten Woche auf. Wie im heimischen Gewerbegebiet ist das hier. In Saint-Laurent-de-la-Salanque biege ich mehrfach falsch ab, immer gegen den Wind. Und dann habe ich doch die passende Richtung. Man lässt mich zurück an die Küste. Mit einem Mal habe ich Rückenwind, und was für einer. Ein Tritt ins Pedal, der Rest macht der Wind. Der Tacho klettert auf neun, elf auf fünfzehn, weiter auf dreiundzwanzig Kilometer, ohne das ich für den Vortrieb sorgen muss. Kaum zu glauben. So muss e-Bike-Fahren sein. Augenblicklich bekommen alle von mir Geschmähten die Absoulution. Nach wenigen Minuten ist alles vorbei. Der Wegweiser schickt mich erneut gegen den Wind. Richtung Pyrenäen, so scheint der mir zu sagen, musst du dich halt anstrengen.

            Strand bei Le Racou

            Was nun? Spanien oder nicht Spanien? Ich weiß es nicht! Wieder eine Eurovèlo, die mit der Nummer 8. Woher kommt sie, wohin führt sie? Keine Ahnung. Fürs Erste neben der Straße am Strand entlang. Das ist ziemlich wenig Information für einen Europäischen Fernradweg. Wie sollen die Leute ans Träumen kommen, wenn nur die Nachbarorte ausgeschildert werden? Saint-Cyprien Plage ist trostlos. Urlauber sind keine zu sehen. Der Strand gehört noch den Arbeitern der Gemeinde. Die Strandbars sind rundum vernagelt. Noch darf ich mit dem Rad die Strandpromenade entlang fahren. Ab nächsten Monat ist das verboten.


            Fort Saint-Elme

            Die Gegend hier ist nicht schön. Hinterm Strand ist alles flach, alles ist zugebaut. Campingplatz neben Campingplatz. In der ersten Reihe am Strand stehen nicht die schönsten Appartementhäuser, ist kein Platz für die besten Hotels Frankreichs. Die Schönen und Reichen wird es nicht nach Saint-Cyprien ziehen. In der Ferne wachsen die Hügel der Pyrenäen aus dem Gegenlicht. Mittags steht das Zelt hinter einer schützenden Hecke auf dem Campingplatz am Rand der Pyrenäen. Richtung Osten ist alles flach, Richtung Westen fangen die Berge an. Es ist schön hier. Vierzig Meter über dem Meer, komme ich mir vor wie in den Bergen. Der Wind bläst immer noch. Das Meer ist übersät mit niedrigen, weiße Kämme tragenden Wellen. Sogar von meinem Zeltplatz kann ich sehen, wie der Wind Gischtfahnen abreißt. Vorsichtshalber drehe ich das Zelt mit dem Wind, der nach und nach dreht. An den Pyrenäen stauen sich die Regenwolken, die der Wind Richtung Mittelmeer, Richtung Sommer, treibt.

            Unglaubliche 43 Kilometer habe ich geschafft. Alles lustlose Kilometer. Die zählen doppelt. Eins steht jetzt unumstößlich fest: morgen bin ich in Spanien! Ich freu mich tierisch. Ist 'ne Art Heimkommen.

            Zweiundzwanzigster Tag: España!
            Argelès-Plage - Sant Martí d'Empúries (es)

            Die Côte Vermeille entlang bei Gegenwind. Davon habe ich immer geträumt. Seit meinem Start von drei Wochen soll das der Tag mit den meisten Höhenmetern werden. Wie viele es am Abend sein werden … keine Ahnung. Doch mehr als 1.000 aufwärts werden nicht zusammenkommen. Und wenn ich mich etwas spute, wird am Mittag das Schlimmste hinter mir liegen. Die niedrigen Pässe auf der Route du littoral kommen mal eben auf magere 200 Meter, das jedoch ziemlich häufig. „Normal-Null“, also das Wasser des Mittelmeers, die Strände in den überschaubaren Buchten, die alten Befestigungsanlagen, der ehedem mal mehr mal weniger bedeutenden Städtchen, all das werde ich mitnehmen. Ausweichem auf die oben verlaufende D 914 nur um Höhenmeter zu sparen, wäre Blödsinn.


            Collioure

            Die ersten Kilometer den Berg hinauf sind angenehm. Die morgendliche Kühle, der in die tiefen und engen Taleinschnitte nicht hinein reichende Wind! Die Weinberge im klaren Sonnenlicht, der weite Blick aus dem Einschnitt hinaus aufs blaue Meer! Radfahren ist einfach nur schön, bis ich auf dem ersten Pass zum Stehen komme. Bäumchen biegen sich mir entgegen, die Mütze macht Flugversuche, das Rad ist kaum zu halten. Der angenehme Teil des Vormittags ist vorbei. Frühstückspause in Collioure. Die Croissants sind noch warm. An den Enden tropft die Nougatfüllung. Die Frau hinter der Verkaufstheke ruft mich nicht zurück, als ich mit der Kaffeetasse in der Hand die Bänke an der Promenade ansteuere. Vorläufig ist das mein letztes Frühstück in Frankreich. Grau und wenig einladend sind die im Schatten liegenden Festungsmauern der kleinen Stadt, bis das Sonnenlicht in die enge Bucht fällt. Alle Nuancen zwischen Grau und Braun, Blau und Meerwasserblau leuchten im Licht des frühen Morgens. Der Wind ist weit weg, bewegt nur die Palmzweige über meinem Kopf. Auf der Straße halten die ersten Kleintransporter mit Lebensmitteln, Bier, Wein, Mehl und Backzutaten. Es hilft nichts, ich muss weiter.

            Von rechts oben nach links unten und weiter nach vorne geschoben

            Kein einziger Kilometer, der flach ist. Rauf, eine Kuppe, wieder runter, windgeschützt durch die Orte, elende Quälerei in den wenigen weiten Buchten, an den langezogenen Taleinschnitten, an deren Flanken die Straße zur nächsten Kehre über dem Meer führt, wo der Wind in Sturmstärke blasen kann. In den scharfen Kurven oben auf dem Kaps, werfen unerwartete Kehrwinde mich beinahe vom Rad. Vor Cerbère muss ich absteigen. Im Gegenwind komme ich keinem Meter den Berg hinunter. Eine halbe Stunde bergab schieben, bis ich im Windschatten des nächsten Kaps bin! Im Flachland habe ich schon bei Gegenwind schieben müssen, den Berg hoch auch, den Berg hinunter noch nie. In Port-Vendres hält ein Straßenbauarbeiter mein Fahrrad fest, bis ich vom Einkauf zurück bin. Sogar an die Wand gelehnt, drohte das umzukippen. Wie lange soll der Tramontana noch anhalten?


            Côte Vermeille

            Der letzte Anstieg in Frankreich vorbei an den vernagelten, dem Verfall preisgegeben Grenzstationen beider Länder. Hoffentlich werden sie nie mehr in Betrieb genommen. Abseits der Straße, hinter einem die Sicht versperrenden Erdwall, erinnert ein Denkmal an das Leid der Flüchtlinge, die Francos Regime aus dem Land getrieben hat. Hier fängt Spanien an. Portbou unten in der Bucht ist traurig. Eingeschnürt von engen, braunen Tälern, an deren Hängen die farblosen Häuser von den langgestrecken ehemaligen Abfertigungshallen des Zolls, der Guardia Civil und des Grenzbahnhofs erdrückt werden, ist Portbou so weit von der Leichtigkeit des Südens weg, wie man hier nur sein kann. Wenn die ganze Costa Brava so wäre, würden die Urlauber fern bleiben. Erneut fahre ich nicht zum Denkmal für Walter Benjamin. Weshalb nicht? Auf der Flucht vor den Nazis hat er sich 1940 hier das Leben genommen, wohl weil er keinen anderen Ausweg sah. Im kleinen Zentrum des Grenzorts erinnert eine schmale Infostele mehrsprachig an seinen Tod im damaligen Hotel de Francia. Benjamin soll Kafka zitiert haben: „... es gibt viel Hoffnung, aber nicht für uns“. Ein Unbehagen bleibt, als ich das Rad durch die winzige Fußgängerzone schiebe. So weit bin ich gefahren und noch immer ist die deutsche Geschichte oft mein Begleiter.

            Vorfreude

            Die erste spanische Straße ist die N-260. Noch zwei Orte, Colera und Llançà, danach bleiben die Hügel zurück. Ab Kilometer 24 wird die N-260 schnurgerade nach Figueres führen, das weiß ich, lange bevor ich den Kilometer 24 erreicht habe. Sanftes Auf und Ab, kaum das Rennradfahrer die Steigungen wahrnehmen, bis in das Hinterland der Costa Brava. Von wenigen sehenswerten Orten abgesehen, ist das nach vierzig Jahren Massentourismus immer noch unbekannt. Vorne am Wasser der Strand, fürs Abgrenzen vom Massentourismus, eine Fahrt nach Cadaqués, eine geführte Tageswanderung im Naturpark Cabo de Creus und als kultureller Höhepunkt ist ein Besuch in Dalis Wirkungsstätten fest eingeplant. Der geniale Selbstvermarkter würde sich vor Freude ins Fäustchen lachen, wenn er es noch erleben könnte.

            Ausgiebige Pause am Spar-Supermarkt in Llançà. Den ersten spanischen Kaffee gibt es im Pappbecher. Egal, dass wusste ich vorher. Wie immer um die Mittagszeit, ist der große Parkplatz leer. Am Gebäude der Touristeninfo fehlen noch immer Kacheln. Seit Jahren fehlen die schon, sie werden noch Jahre fehlen. Dort wo der Parkplatz endet, da hinten wo die Straßenlampe an der Straßeneinmündung steht, sind die Wegweiser für den GR 11. Hinauf zum Kloster Sant Pere de Rodes geht es da, und weiter zum Leuchtrum auf dem Cabo de Creus. Etwas mehr als eine gute Tagesetappe, vielleicht zwei, bis zum Ende des GR 11 am Mittelmeer. Hinter meinem Rücken, auf der anderen Seite der Straße, neben der ein Feldweg in die Senke führt, steht der andere Wegweiser. GR 11 Sant Silvestre de Valleta und Vilamaniscle steht da. Wie weit es bis zur Biskaya ist, zu meinem Leidwesen nicht.

            N-260 - Fünfzehn Kilometer geradeaus bis zu Dalis Eier

            Für die letzten 50 Kilometer brauche ich die Karte nicht mehr. An sich schon seit dem Grenzübergang nicht mehr. Die Kilometer, die wir hier mit dem Auto gefahren sind, wird manch Sonntagsfahrer im ganzen Leben nicht fahren. Der Wind ist weg. Der Tramontana ist zusammengefallen. Die Steigungen sind zurück geblieben. Vorbei an Obstplantagen, Ackerland, Gemüsefeldern, an Wiesen und Windschutzhecken geht die jetzt mühelose Fahrt. Auf den Feldern sind die Saisonarbeiter bei der Gemüseernte. Tief gebückt stehen, hocken, sitzen sie zwischen den Reihen mit den Erdbeeren. Das Getreide steht hoch. Die ersten Felder sind schon abgeerntet. In kleinen Häusern rattern die Wasserpumpen. Dort wo der Wind bläst, wo die Hecken nicht schützen, wo es nicht lohnt Wasser zu pumpen, Unland. Diesen Teil der Costa Brava haben die Urlauber nicht vor Augen, die in Barcelona oder Girona aus dem Flugzeug steigen. Ohne hinzusehen zählt nur die Ankunft an der Küste. Radfahrer, stelle ich fest, kennen das Hinterland sehr wohl. Die guten Straßen locken Rennradfahrer aus ganz Europa. Bis zum Campingplatz werde ich von mindestens fünfzehn Grüppchen und Einzelfahrern überholt. Spanische Werbung hat keiner auf dem Trikot. Franzosen, Holländer, Belgier und jede Menge Deutsche. Das hatte ich komplett verdrängt: in Baden-Württemberg und Bayern sind Pfingstferien. Auf dem Campingplatz geben Deutsche den Ton an. Überall schwäbelt es. Es wird Zeit, dass die Ferien enden.
            Zuletzt geändert von Werner Hohn; 29.08.2020, 14:20. Grund: Die finale Korrekturrunde?
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            • blauloke

              Lebt im Forum
              • 22.08.2008
              • 8354
              • Privat

              • Meine Reisen

              #46
              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

              Hallo Werner,
              heute habe ich mir Zeit genommen und deinen Bericht gelesen. Wie immer hervorragend geschrieben.
              Lass uns nicht zu lange auf die Fortsetzung warten.

              Was hat dich eigentlich zum Radfahrer gemacht? Früher warst du doch nur zu Fuß unterwegs.
              Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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              • Werner Hohn
                Freak
                Liebt das Forum
                • 05.08.2005
                • 10870
                • Privat

                • Meine Reisen

                #47
                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                Tja, was hat mich zum Radfahrer gemacht? Höchstwahrscheinlich das Wandern.

                Vorneweg: Wandern gehe ich immer noch. Gut 1.000 km im Jahr kommen noch zusammen. Es sind im Augenblick halt nicht die großen Touren. Im Herbst machen meine Frau und ich wieder eine Wanderung in Spanien, über die es hier im Forum noch nichts gibt. Und für das kommende Jahr ist eine lange Wanderung in Aussicht - und (vielleicht) eine ziemlich lange Radtour.

                Wanderungen mache ich ja schon seit anderhalb Jahrzehnten, und das nicht nur im Urlaub, sondern so gut wie immer. Irgendwann ist es genug gewesen. Im Nachhinein kann ich sagen, es war ein schleichender Prozess. Vom Wanderweg auf den Pilgerweg, von dem als Wanderer auf die Straße. Bis zum Fahrrad ist es dann nicht mehr weit.

                2010, nach einer Wanderung überwiegend auf Radwegen habe ich mir ein Fahrrad gekauft. Innerhalb weniger Wochen folgten 2 Radtouren auf Radwegen. Moselradweg von Koblenz nach Trier und Rheinradweg von Bad Breisig bis ungefähr holländische Grenze und wieder zurück. Gefallen hat mir das Fahren auf Radwegen nicht. Das ist sterbenslangweilig, und das oft auf alles andere als schönen Strecken. Einer Markierung muss ich mit dem Rad nicht unbedingt hinterher fahren, war ich mir danach sicher. Fahrradfahren sollte für mich ein Stück Freiheit sein. Irgendwie die Sonntag-Nachmittag-Autotour, wo man oft auch nicht weiß, wo man schlussendlich landet. 2011 ist das Rad abgesehen von den Touren vor der Haustür nicht weit weg gerollt. Radwege waren schrecklich.

                2012 wollte ich ans Mittelmeer und zurück. Weil German Tourist entgegen der leise gehegten Hoffnung nicht früher als angekündigt bei mir aufgetaucht ist, ich unterwegs wegen Rückenprobleme einige Tage pausieren musste, ist es statt dem Mittelmeer die Strecke Rhein-Basel-Bodensee-Alb-Neckar-Heidelberg-Rhein geworden. Das hat sich unterwegs spontan ergeben. Ein Straßenatlas reicht. Ist ein Radweg neben der Straße ist es gut, ist einer in der Nähe, könnte ich, muss aber nicht. Die Tour dauerte zweieinhalb Wochen und war 1.300 km lang. Ungefähr so hatte ich mir das vorgestellt.

                Drei Monate später war die nächste Tour fällig. Es sollte nach Belgien, weiter an die Kanalküste Richtung Bretagne und irgendwie zurück gehen. In zwei Tagen über Düren-Aachen-Maastricht nach Antwerpen. Bei der Ankunft an der belgischen Küste waren von Westen aufkommende Gewitter, Hitze und dauerhafter Gegenwind angekündigt. Darauf habe ich mir an der nächsten Tankstelle einen Straßenatlas Belgien-Holland gekauft und bin in die Gegenrichtung gefahren. Die komplette holländische Küste hoch bis nach Ostfriesland. An einer Tankstelle in Leer hat der ADAC-Autoatlas Deutschland den holländischen ersetzt. Ich wollte rüber nach Hamburg. Weil die Isomatte verreckt ist, musste eine neue her. In Leer war keine brauchbare zu bekommen. In Papenburg auch nicht. Erst bei Sport-Klahsen in Aschendorf. Da war ich schon ein Stück nach Süden gefahren und auf den Schildern tauchte immer wieder die Magnetschwebebahn auf. Das wollte ich mir ansehen. Dass die nach dem tötlichen Unfall nicht mehr fährt, erfuhr ich erst in Lathen.

                Hamburg war jetzt fern. Auch egal, denn ich hatte einen Straßenatlas für das ganze Land. Der Dümmer See war das nächste Ziel. Einmal quer durchs maisverseuchte Emsland. Der Dümmer ist eine Katastrophe. Eine Wiese unter Wasser. Immerhin weiß ich das jetzt. Wie sollte es weitergehen? Mittellandkanal und rüber Richtung Münsterland und Pott? Beim Kartenwälzen vor dem Zelt, hielt ein älterer Mann auf einem MTB an. Wohin soll die Reise gehen? Meine Überlegungen fand der nicht so toll. Die Weser und die alten Fachwerkhäuser soll ich mir ansehen. Gemeinsam haben die Nasen in den Autoatlas gesteckt und eine Route gebastelt.

                Bei Minden bin ich auf die Weser gestoßen. Von da hoch bis Hann. Münden, weiter nach Kassel wollte ich, zur Documenta. Zwei Tage würde ich für die abzwacken können. Kassel und seine ...... Documenta sind mir schon in der Touristen-Info auf die Eier gegangen. Bis zu diesem Tag habe ich es für nicht möglich gehalten, dass solche Massen von blasierten Menschen, dazu ohne jeglichen Kunstverstand, zusammen kommen können, ohne das eine höhere Macht Blitze und Donner vom Himmel schickt. Die Masse plapperteinfach nach, was im Feuilleton steht. Kein gutes Urteil, ich weiß. Vielleicht kommt das auch nur zustande, weil ich schon am Stadtrand von einer uralten Tankstellenbesitzerin angeblafft wurde, wie man in Zeiten von Navi und GPS auf die bescheuerte Idee kommen kann, in einer Tankstelle nach einem Stadtplan zu fragen. Außerdem hatten die Geldautomaten an der Touri-Info mir bescheinigt, dass meine Karten ungültig sind. Der Documenta-Virus im Zentralrechner, oder was? Und die sanitären Anlagen auf dem Campingplatz wären über die Bezeichnung "Saustall" freudig erstaunt gewesen.

                Zwischendurch hat meine Frau vorsichtig nachgefragt, wohin die Reise gehen soll. Richtung In-guten-wie-in-schlechten-Zeiten würde sie positv bewerten. Also einmal quer durch den Norden von Hessisch-Sibirien an die Lahn bei Marburg. Zwei Tage später war die Tour nach 1.600 km zu Ende.

                Als vermutlich planungsfaulster User des Forums, war diese Tour der Startschuss für die nach Spanien. Auf der hat sich eine ungeahnte Dimension aufgetan: Ich kann den Urlaub auf mehrere Monate ausdehnen, indem ich mit dem Rad dorthin fahre, wo es meiner Frau (mir auch) gefällt. Ich starte Wochen vorher, sie kommt nach, ich fahre weiter oder zurück. Monate weg, ohne Monate getrennt zu sein. Die Idee wurde aus der Not eines alten Mannes geboren, der sich mit dem Rad auf den Weg nach Sizilien gemacht hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Außerdem kann ich noch mit dem Rad fahren, wenn ich nicht mehr laufen kann. Alte Männer behaupten das steif und fest. So gesehen, ist das eine Altersvorsorge XXL.

                Radtouren haben auch Nachteile: Im Gegensatz zum Wandern bleibe ich mehr oder weniger (eigentlich mehr) im Hier und Jetzt. Tagträumereien, Kopfwelten steht der Straßenverkehr entgegen. Sogar auf menschenleeren Radwegen ist man mit einem Auge immer wachsam, das wiederum ist äußerst hinderlich, wenn man Reiseberichte schreiben muss.

                Gegen Radwege habe ich eigentlich nichts. Wenn einer auf meiner Route liegt, nehme ich den, aber Radwegen nachfahren, um den Radweg zu fahren, ist nichts für mich. Mit so einer Planungsvorlage wäre ich nie nach Spanien gekommen und zurück auch nicht.

                So, das waren jetzt zwei Reiseberichte im Reisebericht.
                Zuletzt geändert von Werner Hohn; 12.01.2015, 15:28.
                .

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                • hosentreger
                  Fuchs
                  • 04.04.2003
                  • 1406

                  • Meine Reisen

                  #48
                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                  Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                  ...Zwischendurch hat meine Frau vorsichtig nachgefragt, wohin die Reise gehen soll. Richtung In-guten-wie-in-schlechten-Zeiten würde sie positv bewerten. ...
                  Gut, dass meine Frau nicht hier im Forum liest!
                  Den Satz würde ich wohl sonst häufiger zu hören bekommen...
                  Danke für die beiden eingestreuten Berichte. Der ursprüngliche Bericht ist dann wohl eher eine Rahmenerzählung (nennt man das heute auch noch so???).
                  hosentreger
                  Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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                  • blauloke

                    Lebt im Forum
                    • 22.08.2008
                    • 8354
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #49
                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                    Danke für deine ausführliche Antwort.

                    Ein paar Jahre habe ich noch mit meinen Wanderungen zu tun.

                    Wie du schreibst ist das Radfahren ideal für ältere Herren. Ich kann mir durchaus vorstellen in ein paar Jahren ebenfalls, für längere Strecken, aufs Rad zu steigen. Lasse mich mal überraschen, meistens kommt es doch anders als man denkt.

                    Servus
                    Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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                    • Meloney
                      Anfänger im Forum
                      • 14.08.2013
                      • 16
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #50
                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                      Ich habe mir gerade den Bericht von vorne bis hinten durchgelesen. Toll geschrieben!

                      Gerade der Beginn interessiert mich, da ich bereits den Moselradweg in Form einer Karte hier daheim liegen habe. Soll nach dem Rheinradweg mein nächstes Ziel werden.

                      Freue mich auf Fortsetzung...

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                      • Werner Hohn
                        Freak
                        Liebt das Forum
                        • 05.08.2005
                        • 10870
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #51
                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                        Dreiundzwanzigster und vierundzwanzigster Tag: Unter Landsleuten
                        Zwei Pausentage in Sant Martí d'Empúries (Campingplatz)

                        Bucht von Roses

                        „Mama, ist der Mann krank?“. Kinder können ziemlich direkt sein. Der kleine Junge, der vor meinem Zelt stehengeblieben ist, wird niemals auf die Idee kommen, dass er der erste ist, der ausspricht was Erwachsene denken, wenn sie mich sehen. Kopf, Gesicht, Ohren und Hände sind von der Sonne verbrannt. Meine Handoberseiten sind von Hitzeblasen übersät und die Haut am oberen Drittel der Finger ist lila. Der Rest ist weiß, das ist die Häfte, die beim Lenkerhalten nach unten zeigt. Die Nase ist blutig. Die Haut auf den Wangenknochen sieht aus wie rissiges, altes Schuhleder. So fühlt sie sich auch an. Die Ränder der Ohrmuscheln sind eine einzige Reihe aus blutigen oder verkrusteten Blasen. Die ältesten sind nur noch leere, harte Hautfetzen, die lose am Ohr hängen. Mangels südländisch dichter Haarpracht, zeigt der Kopf alle Farbtöne zwischen schwarz-verbrannt bis hellrosa-kurz-vor-blutig. Wenn ich je Zweifel hatte, ob ich im Süden Europas bin, beim Blick in einen Spiegel, sind die ausgeräumt. Der Mutter des Jungen ist die Frage extrem peinlich. Ohne das ich Zeit für eine Antwort finde, zieht sie ihren Jungen schleunigst von meinem Zelt weg. Lasst die Kinder doch fragen! Irgendeiner muss schließlich Fragen stellen.

                        Überall auf dem Platz sind Deutsche, die meisten sind dem Augenschein nach Wiederholungstäter. Über mehrere Duschreihen hinweg tauschen Jugendliche ihre gemeinsamen Erlebnisse vom letzten Urlaub aus. Von „weißt du noch, letzten Sommer ...“ bis zur „Blonden vom letzten Jahr“. Der Sommer will immer noch nicht so richtig. Macht nichts. Meine Landsleute haben an alles gedacht. Man macht halt einen Strandspaziergang in der vorsorglich mitgebrachten Dreilagenjacke. Tatzen überall. Knöchelhohe Wanderschuhe haben fast alle. Morgen, wenn die Sonne scheint, langt dann wieder die Badehose. Die Stauräume der Wohnmobile speien aus, was die Freizeitgesellschaft braucht, ohne das heute keiner mehr an die frische Luft geht. Zelte sind nur wenige zu sehen. Wenn es hoch kommt, eben mal ein Dutzend. Vorne in der ersten Reihe am Strand stehen zwei Hilleberg Nallo nebeneinander, eins rot, eins grün. Dazwischen knattert ein Tarp im wieder auffrischenden Tramontana. Es ist nur einer leichter Wind, beinahe ein Sommerwind, trotzdem drehe ich mal wieder mein Zelt in den Wind.

                        Pyrenäen am Sommeranfang

                        Die nahe Kette der Pyrenäengipfel ist für diese Jahreszeit und so nahe am Mittelmeer bis ungewohnt weit nach unten schneebedeckt. Die Thermometer am Strand machen bei 15° schlapp. Die in Spanien vorgeschriebene Pool-Aufsicht wacht über leere Becken. Die Frau in der Strandbar kann ungestört die Tageszeitung lesen. Immer wieder regnet es. Dann hocken die Leute unter ihren hohen Pavillions, unter den Wohnwagenmarkisen, ich im schwarzen Zelt. Nach zwei Tagen warten auf schönes Wetter und zwei verregneten Strandspaziergängen reicht es mir. Der Wetterbericht ist nicht berauschend, doch einen ganzen Tag soll es trocken bleiben. Der Wind wird von den Pyrenäen hinab wehen. Das passt. Rückenwind! Morgen fahre ich weiter. Nichts wie weg, das auch, weil ich in wenigen Tagen wiederkommen werde.

                        Fünfundzwanzigster Tag: Die Costa Brava von hinten
                        Sant Martí d'Empúries - Sant Antoni de Calonge (Campingplatz)

                        Seit Beginn der Finzanzkrise wollen sie nicht mehr. ¡Viva Madrid!

                        Auf dem katalanischen Weitwanderweg GR 92 werde ich heute ein Stück fahren. Lücken schließen mit dem Fahrrad. Da fahren, wo wir vor zwei Jahren nicht wandern wollten, weil der Weg entlang der Küste schöner ist. Bis ich auf den Wanderweg stoße, sind es noch ein paar Kilometer durch das rollende Hinterland der Costa Brava, das auch hier, wo Tausende im Sommer auf den großen Campingplätzen am Meer Urlaub machen, von den Urlauberströmen völlig unberührt geblieben ist. Noch nicht einmal die obligatorischen Golfplätze habe sich breit gemacht. Vereinzelt sind braune Bauerndörfer auf flachen Hügeln zu sehen, die aus den Wiesen, den Obstbäumen herausragen. Ganz oben ragt meist ein Kirchturm über die verwitterten Dächer der sehr oft leer stehenden Häuser. Unterwegs auf schmalen Straßen mit langen Geraden, unterwegs auf gutem, glatten Teer, ganz alleine bin ich unterwegs. Die Spanier bauen gute Straßen.


                        Gualta - Pont Vell

                        Zeit genug für eine sehr frühe Pause auf der schattigen Bank neben den Denkmal für die Opfer des Guerillakrieg von 1809 gegen Napoleon. Über die alte Steinbrücke Pont Vell mit den alten, tief ausgefahrenen Spuren der Karrenräder führt der GR 92. Sogar als Wanderer muss man aufpassen, sich nicht die Knochen zu brechen, so tief sind die mittelalterlichen Karrenspuren. Einer mit einem Mountainbike steigt nach kurzen Zögern ab. Auf die Schnauze fallen, könnte auf der Steinbrücke verdammt weh tun. Trotz häufigem Regen werden die Felder um die Dörfer nach der Ernte schon nicht mehr grün. Wenn die Sonne scheint, brennt sie erbarmungslos. Über dem Wasser des Daró flimmert schon morgens die Luft. Libellen schwirren über dem Schilf. Ein klappriger VW-Bus aus Belgien unterbricht die Stille als er durch das Dorf fährt. Blödsinn, still ist es nur, wenn der sich verausgabende Köter vorm Haus an der Brücke Luft holen muss.

                        Die Wettervorhersage am Vortag hat richtig gelegen: der warme Frühlingstag ist in der Mittagssonne nahe am heißen Sommertag. Abseits der C-31, dieser Rennbahn zu den Sammelpunkten der Urlauber, fährt an diesem Sonntag kein Auto; nur ein Motorrad-Club aus dem nahen Palamós ist auf dieselbe Idee gekommen wie ich. Landstraßentingeln! Drei Maschinen kommen langsam von hinten auf. In grelle Warnkleidung gehüllte Beifahrer weisen mich herrischer Machopose an sofort am Straßenrand anzuhalten. Sofort! Jeden Augenblick können hunderte Motorräder über die Hügel rollen. Das ist typisch für den spanischen Mann: gib ihm eine Aufgabe, eine Anweisung, etwas worüber er bestimmen kann, und er wird den Chef, den Ordnungshüter nach außen kehren. Das könne sie noch besser als die Deutschen.


                        Palau Sator

                        Ob es Hunderte sind, wage ich zu bezweifeln, aber es sind jede Menge, die mich überholen. Das dann doch so langsam, dass ich ohne Mühe mit dem Hauptfeld durch das verschlafene Torrent rolle. Mehrmals muss ich sogar mit dem Tempo runter, damit ich nicht auf den Vordermann auffahre. Mittendrin fahren eine handvoll Roller mit, sogar kleine, schwachbrüstige. Das wäre in Deutschland undenkbar. Im Gänsemarsch rollen wir durch den verwinkelten Ort. Wir sind so langsam, das wir uns von Sattel zu Sattel unterhalten können. Als Schlusslicht folgt ein Krankenwagen vom Spanischen Roten Kreuz. Das war's, das Überrolltwerden. Ich sag's ja: spanisches Machogehabe mit viel heißer Luft.

                        Für die letzten 10 Kilometer muss ich auf die nun vierspurig ausgebaute C-31. Auch egal, denn es ist Sonntag und zudem ist der Randstreifen breit. Wenn ich Ausfahrten zu den endlosen Gewerbegebieten queren muss, muss ich trotzdem aufpassen, nicht untergemangelt zu werden. Du denkst an nichts böses, und ausgerechnet dann kommt einer von hinten im Dreier-BMW aus den Anfangsjahren des neuen Jahrhunderts und mangelt dich unter! Dann doch lieber einen Blicke nach hinten riskieren, egal ob Verkehr oder kein Verkehr. Teppichhallen neben Gartencentern, Autowerkstätten neben Keramikaustellungen. Leere, hellblaue, hochkant gestellte Swimmingpools machen schon von weitem Reklame. Verwitterte, ausgefranste Fahnen machen Werbung für Strandhotels, die noch geschlossen sind. Auf den großen Straßenschildern rauschen die Namen bekannter, ehedem leuchtender, für lange Zeit verblasste, nun langsam wieder in Mode kommende Touristenzentren auf. Später muss ich runter von meiner „Autobahn“. Das große Schild, dass ab hier für alles, was langsam fährt, Schluss ist, kann sogar ich nicht übersehen. Die Lust auf ein saftiges Knöllchen hält sich in Grenzen, schon alleine weil ich ohne den in Spanien vorgeschriebenen Helm fahre. Man soll das Glück nicht zu sehr strapazieren. Bis jetzt ist die Polizei immer an mir vorbei gefahren. Dabei soll es bleiben.

                        Ende für Radfahrer. Schade

                        Der Campingplatz in Calonge ist das Gegenteil von dem in Sant Martí, der groß, brettflach und rechtwinkelig ist. Von solchen Plätzen träumen Gelegenheitswohnwagenfahrer. Der hier ist in Terrassen angelegt. Schmale Straßen und enge Kurven halten die Massen ab. Und noch lange nicht jeder Stellplatz ist mit rollenden Häusern erreichbar. Auf dem Platz ist angenehm wenig los – sehr zum Leidwesen der Mitarbeiter. Das anhaltend schlechte Wetter würde viele Stammgäste weiter nach Süden, auf auf die sonnigen Campingplätze an der Costa Dorada treiben. So viele Stornierungen wie in diesem Frühjahr hat es noch nie gegeben. Bei allem Verständnis für die Nöte der Mitarbeiter, mir passt das gut in den Kram. Eine ganze Terrasse habe ich für mich allein. Drüber ist auch niemand, drunter auch nicht, links auch nicht, rechts auch nicht, nur unten am Strand stehen mehr Urlauber. Hier werde ich bleiben, bis meine Frau kommt, das heißt: drei Tage Nichtstun, drei Tage Regenschauer abwettern. Zum Ausgleich habe ich den schönsten Weg vor dem Zelt, den man für einen Einkauf bei Lidl europaweit erwarten kann. Mit leeren Händen hin zu Lidl, mit Kartoffelsalat und Frankfurter zurück. Alles auf dem GR 92. Hin und zurück gut und gerne 5 Kilometer.

                        Das Fahrrad, schwant mir, wird abgesehen von der Rückfahrt nach Sant Martí, die nächsten Wochen nicht die Hauptrolle spielen.

                        Sechsundzwanzigster bis achtundzwanzigster Tag: Regentage
                        Drei Pausentage in Sant Antoni de Calonge (Campingplatz)

                        Bei Sonne raus aus dem Zelt, bei Regen rein in das Zelt, zwischendurch Gräben ziehen, weil der sandige Boden das Regenwasser nicht mehr aufnimmt. Nachschauen, ob das Wasser auf den Terrassen über der meinen nicht doch den Weg zu meiner findet. Regenjacke trocknen, Schuhe trocknen. Letzteres gelingt mir in den drei Tagen auf dem Campingplatz in Sant Antoni de Calonge nicht wirklich. Das Wasser in den Duschen ist super heiß. Sobald ich drunter stehe, kommt der gefühlte Sommer zurück. Am Abend, kurz bevor ich in den Sommerschlafsack krieche, springe ich noch einmal drunter. Aufwärmen, bis die Haut rot ist, und dann ab auf die Matte. In den Morgenstunden bin ich weit vor dem Sonnenaufgang wach, entweder weil mir zu kalt wird, oder weil der Regen auf das Außenzelt prasselt.

                        Während der wenigen Sonnenstunden mache ich Einkaufswanderungen© zu Lidl und zu dessen spanischen Mitbewerbern, fahre kurz mit dem Rad rüber nach Platja d'Aro. Dort gibt es einen Decathlon. Lange halte ich mich in dem Gang mit den warmen Schlafsäcken auf.

                        Camping Treumal

                        Auf dem Platz ist wirklich nicht viel Betrieb. Nur wenige Camper sind mit dem Wohnwagen da, noch weniger mit dem Wohnmobil. Die meisten sind Saisoncamper auf dem Heimweg. Mit Anbruch des Winters nach Süden, spätestens mit Anbruch des Sommers nach Norden. Der neueste Trend ist der Langzeiturlaub von März bis Juni, denn die Wintertage in Andalusien oder an der Steilküste der Algarve halten nicht immer was der Rentner sich beim Aufbruch gen Süden verspricht. Graue Tage gibt es auch dort. Bei einer Pechsträhne sogar ganze Wochen. Außerdem ist Weihnachten ohne die Familie kein Weihnachten. Im März runter, dann passt alles. Und dann ganz langsam zurück. Spätestens mit Beginn der deutschen Sommerferien wollen alle wieder auf dem Heimweg sein. Die, die unbedingt ihre Ruhe haben wollen, machen sich erst dann auf den Weg nach Norden, wenn die Pfingstferien der Baden-Württemberger enden. Zu viele Kinder auf den Campings sind so manchem Rentnerpaar ein Dorn im Auge. Zwei von denen stehen drei Terrassen über mir. Der Mann hat am ersten Tag mein Zelt so lange umkreist, bis ich ihn gefragt habe, ob er das kaufen möchte. Kommentarlos ist er abgedampft, und beobachtet mich seitdem aus seinem Vorzelt. Wenn er verhindert ist, übernimmt die Frau. Bitter wird ihnen aufstoßen, dass sie nur den rückwärtigen, damit langweiligen Teil meiner Unterkunft sehen können. Meine Ein-Mann-Grabenzieh-Orgien vor der Apsis bekommen sie nicht mit.

                        Nach vier Nächten wird es Zeit zu gehen. Ich muss auch los. Meine Frau landet am nächsten Tag in Girona. Das Wetter hat ein Einsehen. Mindestens bis Mittag soll es trocken bleiben. Die Frauen in der Rezeption bedauern ehrlich meine Abreise. Täglich haben sie für mich das Internet angeschmissen, ja, sogar für mich ins Netz gebracht. In diesem Jahr wollt' s noch keiner haben.

                        Neunundzwanzigster Tag: Ende Radtour römisch eins
                        Sant Antoni de Calonge - Sant Martí d'Empúries (Campingplatz)

                        Kaum zu glauben, aber wahr, die Sonne scheint. Noch beim Heringziehen sah es nach Regen aus. Jetzt, da mein Budget um 80 Euro geschrumpft ist, scheint die Sonne. Kaum dass ich auf dem Rad sitze, ist der Sommer zurück. Na ja, richtig da war er noch nie. Also dann, den Weg kenne ich zu genüge, jedenfalls bis Palafrugell. Immer die vierspurige C-31 entlang, bilde ich mir ein. Was habe ich verpasst? An jeder Ausfahrt aus dem Kreisverkehr stehen Radverbotsschilder. Noch 'ne Runde. Es bleibt dabei: ich darf nicht auf der Straße zurück fahren, die in der Gegenrichtung für Radfahrer frei ist. Runter in die Stadt, hinten wieder raus. An der Tankstelle neben der Einfahrt darf ich auch nicht auf die C-31. Über den Berg hinunter nach la Fosca. Nein, aus der Bucht führt keine Straße nach Palafrugell. Der alte Mann, den ich frage, ist sich in dem Punkt sicher. Nur ein Wanderweg. Ich weiß, den kenne ich. Fürs bepackte Rad ist das nichts.


                        Pals

                        Zurück, erneut am Camping King vorbei. Der lag eben schon am Weg. Vor dem Tor werden zwei große Reisebusse lautstark von englischen Schülern in Uniform geentert. Ferien auf dem Campingplatz. Was bin ich froh, auf dem ruhigen Platz ein Stück die Küste hinunter gelandet zu sein. Mein Rentner-Ehepaar vermisse ich schon jetzt. Die hätten ihren Spaß.

                        Warum darf ich aus der Gegenrichtung nicht auf die C-31? Schwein gehabt. Hinter der Tankstelle steht der Radwegweiser für den Radweg nach Palafrugell. Einer der neuen Via Verde-Wege. Wassergebunden und flach windet der sich durch die Wiesen. Dafür ist das nun ein Umweg. Doppelt so lange wie hin brauche ich. Nach und nach fahre ich auf einen blauen Ford Transit auf, der hinter einem Pulk Fahrräder den Verkehr aufhält. Mein erster Gedanke ist Holländer, nein, das sind Spanier. Eine gemischte Gruppe, sowohl Männer wie Frauen, sowohl Rennräder, wie MTBs. Wenn das mal gut geht. Wir haben dasselbe Ziel: L'Escala. Als das vorne ankommt, wird kurzerhand die Route geändert. Von einem auf'm Reiserad lassen sich auch Spanier in Urlaubslaune nicht gerne überholen. Überholt hätte ich sie nicht. Dafür bin ich viel zu faul.

                        Die letzten Kilometer ist mehr durch die Gegend tingeln als ernsthaftes Fahrradfahren. Vermeiden, bekannte Wege zu fahren, lenkt eine kurze Zeit ab. Ganz gelingt mir das nicht, trotz Zeit im Überfluss. Die Reisfelder, die auf der Hinfahrt noch trocken waren, werden nun geflutet. Störche staksen durch das Wasser. Zwischen den langen Apfelbaumreihen stehen ganze Mauern aus großen, bunten Obstkisten. Plastikkisten haben die Holzkisten verdrängt. Auf den alten steht noch Costa Brava, auf den neuen, zweckmäßigen, nichts.

                        ...

                        Kurz vor dem Ziel springt die Kette ab und verklemmt sich. Ein dünner Ast hat sich zwischen Ritzel und Speichen verklemmt. Ein roter Volvo mit Ludwigsburger Kennzeichen hupt wie wild, weil ich plötzlich stehen bleiben muss. Obwohl ich mir Mühe gebe, kann ich mich nicht erinnern, dass in den vergangenen dreißig Tagen ein Autofahrer wütend gehupt hat.

                        Um Mittag gebe ich die Sucherei nach unbekannten Straßen auf. Je näher ich meinem Urlaubsziel komme, umso aussichtsloser wird das. Den kürzesten Weg und fertig. Zum Ende der Siesta bin ich in Sant Marti, und nun fängt der Urlaub an. Drei Wochen Nichtstun, drei Wochen in einem richtigen Bett mit richtiger Bettwäsche schlafen. Morgen fahre ich zum Flughafen bei Girona und hole meine Frau ab. Ich bin gespannt. Drei Wochen Urlaub ohne Programm haben wir seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gemacht. Das beste wird sein, wir machen Wanderungen, Strandwanderungen, so ganz, ganz lange oder wir erkunden die Teilstücke des GR 92 im Hinterland, die wir noch nicht kennen. Drei Wochen nur am Strand hocken … das könnt' in eine Strafarbeit ausarten.
                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 17:47. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                        .

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                        • Meloney
                          Anfänger im Forum
                          • 14.08.2013
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                          #52
                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                          Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                          Dreiundzwanzigster und vierundzwanzigster Tag: Unter Landsleuten
                          Zwei Pausentage in Sant Martí d'Empúries (Campingplatz)

                          „Mama, ist der Mann krank?“. Kinder können ziemlich direkt sein.
                          An der Stelle mußte ich echt lachen. Ich kenne das nur zu gut und ich liebe Kinder für diese ehrliche offene voruteilslose Neugier.

                          Tolle Reise. Hat Spaß gemacht zu lesen.

                          Take care
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                          • Werner Hohn
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                            • 05.08.2005
                            • 10870
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                            #53
                            AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                            Danke. Nach dem Treffen am nächsten Wochenende geht es zurück an den Rhein. Dann in nur 12 Tagen.
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                              • 31.12.2005
                              • 1642
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                              #54
                              AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                              Hallo lieber Werner.
                              Vielen Dank für diesen wunderbaren Bericht.
                              Hast Du eigentlich kein stolzes Foto von dem "kranken Mann" gemacht?
                              Da ich ja auch zu den alten Säcken hier zähle lasse ich mir die Sache mit dem Radfahren mal durch den Kopf gehen.
                              Noch will ich ja per pedes durch die Lande, aber mal sehen was kommt.
                              LG
                              Rainer
                              radioRAW - Der gesellige Fotopodcast

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                              • Werner Hohn
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                                • 05.08.2005
                                • 10870
                                • Privat

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                                #55
                                AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                Hallo Rainer,

                                das würde noch fehlen. Auf solch ein Foto wartet meine Frau seit Jahren, damit sie mir das immer wieder als Beweis meiner Unvernunft unter die Nase reiben kann. Die Predigt über mein ........... Verhalten, hatte sich jedenfalls gewaschen. So ganz unrecht hat sie leider nicht. Außerdem sehe ich mich nicht gerne auf Fotos. Auf der Festplatte stauben circa 18.000 Fotos vor sich hin, darunter dürften keine 50 sein, auf denen ich zu sehen bin.
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                                • Werner Hohn
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                                  #56
                                  AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                  Drei Wochen später

                                  In den letzten Wochen haben wir das gemacht, was alle Urlauber hier machen, wir haben nichts gemacht. Unsere Bilanz nach drei Wochen fällt angesichts dessen, was wir uns vorgenommen hatten, sehr dürftig aus. Ein paar lange Wanderungen am Strand entlang, anderthalb Wanderungen auf dem GR 92, im Mietwagen durch Katalonien geschaukelt, das Internet gequält, bei schlechtem Wetter in Dreilagenjacken am Strand gewesen. Immer wieder sind wir zu Fuß hinüber nach L'Escala gegangen, das immer noch nicht ganz von den Touristen übernommen ist. Die Fahrrad-Bilanz fällt noch schlechter aus. Mindestens 300 Kilometer in der Woche wollte ich fahren. Bei dürftigen 200 in drei Wochen ist es geblieben. Unendlich langes Frühstücken auf der Terrasse, faules Schleppen an den Strand, dort herumlungern und dem Wind hinterherschauen, damit haben wir die Tage ausgefüllt.

                                  Wahrheiten auf Fahnenstoff

                                  Für einige Tage hatte am Strand die PWA World Windsurfing Tour Station gemacht und ihre Rennen ausgetragen. Auf dem Bildschirm sieht das immer so toll aus. Braungebrannte Jungs mit von der Sonne gebleichten Haaren, drumherum eine Horde schöner Frauen. Alle strahlen unbändige Lebensfreude in die Kameras. Die PWA im prallen Leben? Eine einsame Bühne am Strand, mit trockenen Palmwedeln als Deko, Teilnehmerlisten mit Namen, die nur noch Eingeweihte kennen, bunte Flaggen im Wind, die Kameras katalanischer Fernsehsender, zwei, drei Sponsorenpavillions, das war sie, die weltberühmte Tour der Windsurfer, die in der Heimat keinen Widerhall mehr findet. Rauf auf das Brett, Parcours surfen, kurzer Schnack, ab ins Wohnmobil. Allerspätestens seit Bjørn Dunkerbeck oder Robby Naish nicht mehr durch die Medien geprügelt werden, ist es Windsurfen bei uns Geschichte. In Düsseldorf, wo in den Achtzigern auf jedem fünften Auto ein Dachgepäckträger fürs Surfbrett zu sehen war, war man schon viel eher weiter. Wer heute surft, ist alt und hat oft eine Wampe, die vom Neoprenanzug notdürftig in Form gepresst wird. Kiteboarder sind die Könige am Strand und auf dem Wasser. Die neben uns, die kommen alle aus Düsseldorf.
                                  Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 17:49. Grund: Die finale Korrekturrunde?
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                                    #57
                                    AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                    Mit der Tour im Rücken oder Sport ist doch nicht Mord

                                    Erster Tag: Beginn der Radtour römisch zwei oder Über die Pyrenäen
                                    Girona Flughafen – Canet-en-Roussillon, FR (Campingplatz)

                                    Girona am frühen Morgen

                                    Mit dem Fahrrad in die Pyrenäen kommt immer gut an. Berge, Pässe, Qual, Schweiß und schnelle Abfahrten. Noch vor dem Start der ersten Etappe für die Rückreise weiß ich, dass ich später damit punkten kann. Über die Pyrenäen! Ach, das reicht nicht, noch ein Ausrufezeichen hinterher! Schon für die Überquerung der Pyrenäen an der Küste habe ich im Netz Höhenmeterangaben gefunden, die an Hochgebirgsquerungen denken lassen. Immer wieder auf sechshundert, siebenhundert Meter rauf. Was für ein Quatsch. Aber jetzt, wo ich im Inland die Berge überqueren werde, damit kann ich angeben. Links und rechts meiner Route sind richtig hohe Berge. Wenn auch nicht direkt neben der Straße, aber in Sichtweite sind die schon. Mit dem Auto über die Autobahn durch die Pyrenäen, bedeutet von Frankreich ein langer, langer Anstieg mit Extraspur für die langsamen Lastwagen. Mit sonor bollerndem und schwarz qualmenden Auspuffrohren quälen die Fahrer aus Osteuropa die Lastwagen die Berge hoch. Wenn sie beim Runterschalten Zwischengas geben, kann man das an der schwarzen Rußwolke schon von weit hinten mitverfolgen. Die Spanier sind schnell oben, da meist leer. Zwei Tage zuvor sind sie mit Obst und Gemüse aus Andalusien in den Norden gefahren. Zurück geht es viel zu oft ohne Fracht.

                                    An der Nationalstraße II. Jetzt keine ernsthafte Panne

                                    Aus der Gegenrichtung sieht das nicht besser aus. Autofahrer werden sich an die langen Steigung aus dem spanischen Flachland hinauf zu den Bergen erinnern. Wenn ich denen erzähle, wo ich hochgefahren bin, werden sie vor Ehrfurcht erstarren. Da bist du mit dem Rad hoch! Ja, so ähnlich habe ich das vor Tagen gehört, als der Nachbar vom Campingplatz gefragt hat. „Wirklich? Da willst du hoch?“ Ja doch, da will ich hoch. Der Col du Perthus ist nur 290 Meter hoch, egal ob aus Frankreich hinauf oder aus Spanien. Hoch muss man so oder so, doch so hoch nur, wer über die Autobahn fährt. Über die Landstraße sind es sogar noch 40 Höhenmeter weniger. Das alles habe ich dem Frager verschwiegen. Wer will schon die Details wissen. Bei Pyrenäen denkt jeder an hohe Berge, an hohe Pässe. Nachfragen, wo man drüber ist, macht keiner. Ich werde das nicht ändern. Ja, ich werde die Berge der Pyrenäen mit dem Fahrrad überqueren. Noch in dreißig Jahren werde ich im Altersheim mit der Pyrenäenüberquerung angeben. Dass ich von Girona bis zum Rand der Bergkette mehr Höhenmeter sammeln werde als hinauf auf den niedrigen Pass, wird kein Mensch als berichtenswert erachten.

                                    Bevor es soweit ist, hätte ich gerne mein Fahrrad zurück. Leider ist das über Nacht verschwunden. Gestern hatte der Portier das in einem Konferenzraum des Hotels abgestellt. Nachtmittags hatten wir Stimmen aus dem Raum gehört, und noch geflachst, dass hoffentlich niemand auf die Idee kommt, mein Rad mitzunehmen. Jetzt ist es weg. Der Nachtportier gibt sich alle Mühe gelassen zu wirken. Das schwarze Fahrrad wird auftauchen, das kann nicht weg sein. Mit seinem dickem Schlüsselbund klappern wir gemeinsam alle möglichen Räume ab. Nein, nein, nein! Nirgendwo in diesem Hotel steht mein Fahrrad. Nicht in den anderen Konferenzräumen, nicht im ohnehin viel zu kleinen Kofferabstellraum, nicht hinten in der Wäschekammer, nicht noch weiter hinten, wo die Ware für die Küche angeliefert wird. Ratlose Gesichter bei den Angestellten der Nachtschicht. Ich weiß, dass mein Rad nicht geklaut wurde. Das sagt mein Verstand, doch was ist, wenn doch?


                                    Noch 10 Kilometer bis Frankreich

                                    Alles Grübeln hilft nicht weiter, meine Frau muss zum Flughafen. Der Rückweg zu Fuß zum Hotel ist ein einziges Was-wäre-wenn. Den nächsten Flug buchen, warten bis sich alles geklärt hat und mein Rad auftaucht, warten und hoffen, dass mir der Hotelbetreiber ein neues kauft, direkt zum Radhändler in die Stadt fahren lassen oder zum nahen Decathlon? Alle Optionen spiele ich auf dem viertelstündigen Rückweg durch. Egal, wie das ausgeht, der Rückflug ist keine Option.

                                    Schichtwechsel im Hotel. Der Portier vom Vortag schiebt wieder Dienst an der Rezeption. Das ist der, der mir gestern hoch und heilig versprochen hat, dass das Rad sicher ist. Wortlos schnappt er sich den dicken Schlüsselbund und öffnet die erste Zimmertür im Flur. Soll ich ihm einen Heiratsantrag machen?

                                    Über Nebenstraßen fahre ich nach Girona. Ungewohnt fühlt sich das Rad an. Die leichten Anstiege hoch habe ich das Gefühl mich zu quälen. Der Nationalstraße II werde ich ab der Innenstadt folgen. Immer den Schildern nach zu der Bergkette. Jede Ortsumgehung nehme ich mit. Die N-II ist alles andere als flach. Oft genug führen Zwei-Spur-Anstiege über die Hügel. Leider sind es immer nur Hügel, nie eine Hochebene. Immer wieder runter in das langweilige katalanische Hinterland vor Figueres. Durch die Stadt? Nein, es läuft gerade verdammt gut auf der Nationalstraße, auf der der Verkehr überschaubar ist. Mittags stehe ich schon am Rand der Pyrenäen. Der Schnitt ist viel zu hoch für einen alten Mann. Auf Dauer werde ich das nicht durchhalten können. Hier hat vor einem Jahr ein Feuer gewütet, das es bis in die Tagesschau gebracht hat, weil die Autobahn kurzfristig gesperrt wurde. Nur ein Jahr später ist alles wieder grün. Die Natur kann das ganz gut ab. Nur der Mensch macht Stress.


                                    In der Plaine de Roussillion

                                    La Jonquera scheint ausschließlich aus Supermärkten mit sehr großen Parkplätzen zu bestehen. Entlang der N-II reiht sich einer neben den anderen. Schnaps und Tabak werden hier verkauft. Nahezu an jedem Kreisverkehr wartet eine junge Frau auf Kunden, meist Lkw-Fahrer. Der Teer in den großen, in ihrem Durchmesser ohne Zweifel auf Lastwagen ausgelegte Kreisel, ist rau wie eine Schotterpiste. Unzählige mehrachsige Anhänger haben die feine Deckschicht abgerieben, haben die grobe Teerschicht darunter frei gelegt. Dicker, schwarzer Gummiabrieb hat Kreise hinterlassen, als hätte ein kleines Kind erste Versuche im Kreise malen gemacht. Durch das Dorf fährt niemand. Das möchte auch niemand. Das Museum für die Flüchtlinge des Franco-Regimes, das MUME - Museu Memorial de l'Exili, im Zentrum ist leider verschlossen. Vor der Tür parkt ein dunkelgrüner Geländewagen der Guardia Civil. Unpassend oder nach so langen Jahren der Normalität doch tröstlich?

                                    Aus dem letzten Kreisverkehr hinaus liefere ich mir ein Rennen mit eine Zugmaschine ohne Auflieger aus Portugal. Gegen 460 leichtgewichtige Volvo-PS komme ich nicht an. Dabei verdrehe ich mir das rechte Knie. Noch 10 Kilometer bis zur Grenze. Die letzten Kilometer durch Spanien. An den Ausgängen enger Seitentäler sind unter den Bäumen kleine, zugemauerte Bunker zu sehen. Man muss schon wissen wonach man schauen soll, so versteckt sind die. Francos Erbe an die Nachkommen. Das Tal vom Pass hinab ist ein natürliches Einfallstor für die Feinde seine Phantasie gewesen. Heute werden Führungen und Geländewagentouren zu den Bunkern angeboten. Hat der alte Faschist sich sein Erbe so ausgemalt?

                                    Elne - Maternité suisse d'Elne

                                    Kilometerlang war der Anstieg so flach, dass er mal eben als Steigung wahrzunehmen war. Vor der Grenze überholt mich ein alter Mann auf einem Rennrad. Danach wird es steil für die letzten 3 Kilometer. Nicht weit voraus quält sich nun der alte Mann den Berg hoch. Keine Sekunde kommt das Verlangen auf, ihn einzuholen. Wehmut? Nein. Nicht lange, dann werde ich wieder in Spanien sein. Außerdem freue ich mich auf Frankreich.

                                    Wer über die Autobahn fährt, verpasst das Dörfchen Le Perthus. Bedauern muss nicht aufkommen, nicht, weil das Dorf keine Schönheit ist, sondern weil einem der Stau auf der steilen dörflichen Hauptstraße erspart bleibt. Le Perthus ist eine einzige,wenn auch kurze Einkaufsmeile. Die spanisch-französische Grenze verläuft mitten auf der Hauptstraße. Entlang des einen Bürgersteigs Spanien, zu erkennen an den Schnaps- und Zigarettenläden, am Bürgersteig gegenüber, Frankreich, erkennbar an den hochpreisigeren Läden. Mehrmals muss ich absteigen, sei es, weil ein Auto unverhofft aus einer Parklücke ausschert, sei es, dass mir jemand ein Bündel Sonnenbrillen vom Mittelstreifen her vor das Gesicht hält. Oben angekommen bin ich glücklich, alles hinter mir gelassen zu haben. Nicht nur den Trubel in Le Perthus, auch die Pyrenäenüberquerung. Schon bei der langen Abfahrt hinein in das Languedoc wird aus der anstrengungslosen Fahrt über die Berge eine Heldentat. Damit werde ich angeben können. Wie hoch sind die Berge, der Pass, danach wird nie einer fragen.

                                    Schönheiten aus alten Zeiten

                                    Die französische Straße hinunter in die Ebene ist schmaler, windungsreicher als die breite Nationalstraße in Spanien. Die Franzosen fahren forsch, überholen da, wo ich es nicht erwartet habe. Viele sind mit Wohnmobilen unterwegs. Die mit der wenigsten Geduld wollen einfach nicht einsehen, dass die Straße nicht breit genug ist für sie, den Gegenverkehr und mich. Wenige Minuten mache ich das mit, dann fahre ich mitten auf der rechten Spur. Heute scheine alle keine Zeit zu haben, doch nicht um den Preis meiner Gesundheit. Unten angekommen ist Ruhe. Die D 900 neben der Autobahn wirkt wie ausgestorben. Abbiegen nach Elne, nicht nur weil ich an die Küste will, auch weil ich mir die ehemalige Kathedrale anschauen möchte. Diese steht in der Oberstadt. Steil sieht der Weg hinauf von unten aus. Zu steil nach dem Pyrenäenpass. Na dann weiter, das neue Ziel ist die Bootswerft Catana in Canet-en-Roussillon.


                                    Eine Catana 59

                                    Catana baut Mehrrumpfboote, Katamarane. Die Werft fängt preislich da an wo andere aufhören. Unbezahlbare, dafür schnelle Schiffe. Schon immer habe die das so gemacht. Wer eine Bratwurstbude mit Mast und Segel bevorzugt, muss woanders kaufen. Schon vor einem Vierteljahrhundert habe ich von einer Catana geträumt, beim Segeln auf einem Hobie Cat auf dem sauerländischen Biggesee. Für das Alter sollte es ein Katamaran aus Canet-en-Roussillion werden. Der Traum ist ein Traum geblieben. Damals unbezahlbar, heute immer noch. Wenigstens einmal wieder eine dieser großen Yachten sehen. Am Kai neben der Festmacherleine stehen, dem grade noch vernehmbaren Knirschen der Polypropylen-Leine zuhören, die sich im leichten Hafenschwell reckt. Zwischen den schlanken Rümpfen hindurch schauen und am anderen Ende die Inseln der Südsee erblicken. Die Ecke im Kopf, die für die Verwaltung lebenlanger Träume zuständig ist, wird die Leinen lösen und noch in der Hafenausfahrt Genua und Großsegel hissen. Der Motor würde ersterben, ganz still würde es an Bord sein. Nur das leise Pfeifen des Windes in den Fallen, den Wanten, den Stagen wäre zu hören. Von unten könnte man das Gluckern der zwischen den Rümpfen hindurchlaufenen Wellen hören. Gelegentlich würde das Achterliek leise flattern, Zeit für eine Korrektur der Segelstellung. Der Kurs könnte zur Straße von Gibraltar zeigen, hinaus aus dem kleinen Mittelmeer. Auf dem Atlantik dann Kurs 270 Grad, Kurs Weltumseglung. Jugendträume soll man tunlichst nicht sterben lassen. Die Welt ist voll von Menschen, die ihre Träume verloren haben. Nicht wenige scheint die Angst umzutreiben, sie könnten von ihren Träumen eingeholt werden.

                                    Zweiter Tag: Auf die nächsten fünfundzwanzig Jahre
                                    Canet-en-Roussillon - Vias Plage (Campingplatz)

                                    Die direkte, schnelle, schon bekannte Route oder Straßen, die ich auf dem Hinweg nicht gefahren bin? Probleme tun sich auf, die niemand beim Tourstart erwartet. Auf keinen Fall die Strecke von vor wenigen Wochen. Mehrmals werde ich diese kreuzen müssen, vielleicht für Minuten auf bekannter Straße unterwegs sein, doch im Großen und Ganzen ist am gestrigen Abend eine mir noch unbekannte Strecke aus der Karte entwachsen. Hinten raus, am späten Nachmittag, wird es die Route von vor einem Monat werden müssen. Gelegenheit, Strecke zu machen. Ganz vorne steht heute der Besuch der Forteresse de Salses. Das Fort ist direkt neben der Autobahn, und nie nie nie haben wir es geschafft, dort einen Stopp einzulegen. Es gibt sogar einen Autobahnparkplatz mit dem Namen der Festung. Heute soll es endlich sein. Zum fünfundzwanzigsten Jahrestag des Vorbeifahrens will ich die Festung sehen. Von innen eher nicht, dafür bin ich zu geizig, und soweit geht mein Interesse an alten Gemäuern dann doch nicht. Die Außenansicht und gut ist es. Auf nach Salses-le-Château, auf zu Vaubans Festung.


                                    Bei Salses-le-Château

                                    Ich fahre durch eine Landschaft, in der vor Wochen der Tramontana buchstäblich versucht hat, mich vom Rad zu wehen, in der ich damals geflucht habe wie lange nicht mehr. An diesem Morgen wünsche ich mir Wind. Nur eine leichte Brise, damit das Radeln auf holpriger Straße durch die Weinfelder erträglicher wird. Bitte, bitte, etwas Wind! Blauer Himmel seit dem Aufbruch. Kein Schatten soweit das Auge reicht. Im Hinterland versinken schon jetzt die kargen Ausläufer des Corbières im Dunst. Es wird ein heißer Tag werden. Weit bevor der Campingplatz erwacht ist, bin ich um die Schranke gekurvt. Noch ein letzter Blick zur Tafel mit den Veranstaltungen für diesen Tag. Es sind fassungslos viele. Tagesbeschäftigung für gelangweilte Urlauber. Ein letztes Winken hinüber zum Nachtwächter und Canet; mit seinem Yachthafen, mit den großem Mehrrumpfbooten und der sehr perfekt organiserte und gestylte Campingplatz bleiben zurück.

                                    Trotz ausbleibendem Wind tut die Hitze gut. Extra dafür bin ich in den Süden gefahren. Tagelang habe ich auf der Fahrt von der Heimat nach Spanien von diesem Wetter nur träumen können. Immer, wenn es nicht warm werden wollte, wenn ich bei Regen nachts im Zelt gelegen habe, dann hat das Erinnern an frühere heiße Tage geholfen. Die ganze Woche wird sommerlich werden, das hat in der spanischen Zeitung vom Vortag gestanden. Es wird Zeit, mir eine französische zu suchen. Für die Wettervorhersage reichen sogar für mich als Französisch-Legastheniker deren bunte Grafiken.


                                    Canal de la Robine und GRP - Sentier du Golfe Antique

                                    Die Festung werde ich im Ort vergeblich suchen, das weiß ich. Am Rand vielleicht, doch auf keinen Fall mitten in der Stadt. Einen Wegweiser sehe ich nicht. Sind die alle zugeparkt? Kein Problem, hinten wieder aus Salses raus und dann müssen neben der Autobahn Vaubans Wehrmauern auftauchen. Der Gedanke, einen Blick in die Straßenkarte zu werfen kommt mir nicht. Von der Av. Armand Claret auf die D 900 nach Osten. Wo bleiben die Wegweiser? Müsste die Festung nicht längst zu sehen sein? Mit Fragen im Kopf, weiter Richtung Osten. Salses bleibt zurück. Auf Höhe der Bahnunterführung dämmert mir, dass ich die Festung verpasst haben muss. Beim Blick in die Karte stellt sich die Frage, wie das passieren konnte. Von der D 900 zum Besucherparkplatz sind es noch keine 400 Meter. Versteckt hinter der Bahnlinie, ist das alte Gemäuer an diesem Tag für mich nicht in dieser Welt. Nur selten mache ich kehrt. Vertan, ist vorbei. Auf die nächsten fünfundzwanzig Jahre. Die verpasste Gelegenheit wird dann ein halbes Jahrhundert alt sein.

                                    Narbonne

                                    Über das Wasser möchte ich fahren. Dafür muss ich nach Port-la-Nouvelle, das alleine wegen des dünnen, betongrauen und himmelhohen Turms der Zementfabrik Lafarge schon aus der Ferne alles andere als zum Besuch einlädt. Die Fahrt dorthin ist schön. Die einsame Straße am Ufer des Étang de la Palme entlang endet am Ortsrand, wo in einer Industriebrache ein einsamer, neuer Aldi in flirrender Hitze Schatten wirft. Port-la-Nouvelle ist keine Schönheit. Wie aus der Ferne angekündigt, nicht, aus der Nähe nicht. Hier am Étang, dieser idealen Schnittstelle zwischen Land und Meer, hat der Canal de la Robine seinen Anfang. Bevor dieser Narbonne erreicht, führt der viele Kilometer durch das Wasser. Links Wasser, rechts Wasser und dazwischen ein schmaler, oft künstlich angelegter Landstreifen, für den Kanal, eine Bahnlinie und einen Wanderweg. Das ist der GRP - Sentier du Golfe Antique. Einmal komplett um den großen Étang de Bages et de Sigean. Siebzig Kilometer durch ein unbekanntes Frankreich, inklusive Löwenpark und vergessene Fischerdörfchen zwischen Autobahn und Meer.

                                    Der Wanderweg ist so breit, so flach und so einsam, dass das Radfahren Spaß macht. Leichter Wind ist am Mittag aufgekommen. Wie immer um diese Tageszeit am Mittelmeer. In der ersten Schleuse wird ein Charterboot geschleust. Ab da bin ich alleine. Der kurze Canal de la Robine, der Narbonne mit dem Meer und mit dem Canal du Midi im Hinterland verbindet, ist einer der schönsten kleinen Kanäle hier, was nur wenige Skipper als Anreiz sehen. Oder dürfen sie mit ihren Charterbooten den Midi nicht verlassen? Sie ahnen nicht, was ihnen entgeht. Mittagspause unter einer Schirmkiefer; wie es sich gehört, mit Baguette und Käse – nicht von Aldi. Ein einsamer Radfahrer kommt aus der Gegenrichtung. In seinem Rücken fährt ein Personenzug scheppernd durch den Binnensee. Von meinem Sitzplatz unter der Kiefer sieht es aus, als würden die Waggons über das Wasser fahren. Erst ganz zum Schluss biege ich vom Kanal ab. Nach Narbonne rein will ich nicht.

                                    Béziers - Kathedrale St. Nazaire und Pont Vieux

                                    Die N 9 ist wieder mein Ziel. Jetzt kommen Wiederholungen, auf die ich mich freue. Die Nationalstraße ist schön zu fahren, hat ein bisschen was von Panoramastraße im welligen Flachland. Einkaufsstopp und Kaffeepause in Corusan. Die Bäckereifrau hält mich wegen des Fahrrads für einen Holländer. Eine englisch sprechende Brotverkäuferin, wer hätte das gedacht. Die Straßenbaustelle vor Béziers ist endgültig fertig. Ich verfahre mich total, weil ich der Ausschilderung zum Flughafen folge. Wieder Baustellen, kein noch so schmaler Randstreifen. So viele Autos wie schon lange nicht mehr. Mit weit überhöhter Geschwindigkeit werde ich dicht am Ellenbogen überholt. Ausweichen können die Fahrer nicht wegen des Gegenverkehrs. Hinten dran bleiben will keiner. Für einen Blick in die Karte anhalten ist nicht möglich. Offensichtlich habe ich hier nichts zu suchen. Nächste Ausfahrt runter von der Straße, hinein in Zentrum von Béziers. Eine Runde um den halben Fuß der Altstadt muss reichen. Mit dem Canal du Midi wieder raus aus der Stadt.

                                    Der Rest ist auf Zeit, auf Tempo fahren. Je früher ich auf dem Campingplatz ankomme, desto mehr Freizeit habe ich. Der Beginn der zweiten Tageshälfte ist folglich harte Arbeit. Ein langer und geruhsamer Ausklang vor dem Zelt, wird die Belohnung sein. An der Rezeption kennt man mich schon. So oft fährt hier keiner mit dem Rad vor.

                                    Der alte Mann aus Irland von der Parzelle nebenan, der mich angesprochen hat, kann nicht glauben, dass ich mit dem Rad hier bin, dass ich so lange Etappen fahre. Seine Frau muss kommen um unser beider Missverständnis zu klären: er denkt in britischen Meilen, ich in kontinentalen Kilometern. Kein Wunder, dass der ungläubig aus dem Häuschen war. Abendessen aus den Kühlregalen des Supermarkts. Der Kocher bleibt kalt. Keine Lust, müde und dann ist da noch die Sache mit dem französischen Wetterbericht in der französischen Zeitung. Es wird wieder Wind geben. Morgen bekomme ich noch eine Schonfrist. Übermorgen ist Starkwind bis 70 km/h aus Nord angekündigt. Übermorgen ändert sich mein Kurs auf Nord. Die Rhône muss ich hoch. Das darf nicht wahr sein! Übermorgen, am Abend, soll es vereinzelte Schauer geben. Auch das darf nicht wahr sein. Habe ich den Gegenwind im Schlepptau?

                                    In Agde

                                    In der Nacht liege ich noch lange wach. Die Urlaubersaison steuert unübersehbar auf den ersten Ansturm zu. Im Vergnügungspark, dessen Gerüste, Stellagen und Abspannseile hinter Vias in den hellen Abendhimmel ragen, war man bei der Vorbeifahrt am Nachmittag bei den abschließenden Tests. Die Zeit für den Spaßurlaub ist da. Ab dem kommenden Wochenende wird es laut werden in der Region.

                                    Mitternacht. Die Kneipen auf der Hauptstraße stellen die Musik ab. Eine halbe Stunde später wird die schwarze Harley gestartet. Sie gehört einem der Wirte da draußen. Genau wie vor Wochen, blubbert die Maschine leise über die Hauptstraße aus dem Ort raus. Im Kreisverkehr vor Vias wird der Mann auf die Schnellstraße Richtung Westen abbiegen. Dort erst wird er den Gasgriff aufreißen und mit einer immer leiser werdenden Donnern in die Nacht verschwinden. Das hat er vor Wochen schon gemacht, in den Aprilwochen zuvor auch schon. Wann fängt Heimat an? Wenn man weiß, wer mit dem Motorrad durch die Nacht fährt?

                                    Dritter Tag: Nouvelle Cuisine
                                    Vias Plage – Pont du Gard (Campingplatz)

                                    Einmal mehr stehe ich viel zu früh vor den großen Fenstern der Rezeption. Die Türen sind noch alle verrammelt. Um halb neun, für meine Begriff kurz vor Mittag, werden die Türen auf sein. Immerhin steht an der Mauer eine Bank in der Sonne. Zeit, sich ernsthafte Gedanken zu machen wohin die Fahrt an diesem Tag gehen soll. Der für den nächsten Tag angekündigte Mistral spornt an. Je mehr Kilometer ich heute und morgen Vormittag schaffe, umso weniger muss ich am Tag darauf gegen den dann starken Wind fahren. Mit viel Glück biege ich dann schon wieder aus dem Tal der Rhône ab in ruhigere Landschaften. Mit Unterbrechungen soll die N-113 soll der rote Faden des Tages werden. Nîmes will ich auf jeden Fall erreichen. Und wenn es dann noch immer gut läuft, die olle römische „Brücke“ über den Gard. Auf den beiden 200.000er-Kartenblättern ergibt das eine sechzig Zentimeter lange Gerade. Aus der linken Ecke ganz unten, hoch zur rechten Ecke ganz oben. Diagonal durch zwei A3-Seiten des gelben Michelin aus dem Jahr 2000.

                                    Montpellier - Tour de la Babotte

                                    Agde umkurve ich am Rand, Marseillan am Binnenufer des Bassin de Thau. Im Anschluss um Meze herum und dann auf die Nationalstraße, die keine mehr ist. D 613 steht auf den neuen Schildern. Das verordnete Ende einer Straßenkarriere. Von oben ein allerletzter Blick auf den Etang und Sete. Die Sicht auf das Mittelmeer muss ich mir dazu denken. Ungewollt lange bleibe ich auf der Bank an der Straße sitzen. Lange wird es dauern, bis ich das Meer erneut zu sehen bekomme. In diesem Urlaub nicht mehr. Ab hier fahre ich in den Norden. Jetzt kommt tatsächlich Wehmut auf. Der Wind wird ebenfalls aus dem Norden wehen. Schlechtes Wetter wird von dort kommen. Weiter, mir bleibt keine Zeit für Trübsal. Der kostenlose Autobahnabschnitt macht sich auf der Nationalstraße bemerkbar, denn der Verkehr bleibt überschaubar. Es wird am Wochentag liegen. Samstags fährt in Frankreich auch nur eine Minderheit zu Arbeit.

                                    Spontaner Halt in Saint-Jean-de-Védas an einem Imbiss mit bunter Werbung. Draußen stehen Tische und Stühle. In der Küche werkelt ein alter, hagerer Mann. Für den Kaffee ist er nicht zuständig. Er ruft einen Frauennamen. Widerwillig schaut eine junge Frau um die Ecke. Ein Kaugummi wandert von einer Backe in die andere. Jeder Falte auf der jungen Stirn ist eine Anklage. Mein Anliegen ist eine Zumutung für sie. Kein Gast ist zu sehen, nur der radebrechend nach einem Kaffee fragende Mann, dem in der warmen Bude der Schweiß in Bächen durch das Gesicht rinnt. Sie geht vorbei an der großen, schweren Kaffeemaschine, deren Ein/Aus-Schalter rot leuchtet, auf der sich weiße Tassen aus Porzellan stapeln. Sie geht zu einer kleinen, schwarzen Pad-Maschine, greift sich einen Pappbecher, einen Plastikrührer, steckt in Papier eingewickelten Kaffee in den Halter und knöpft mir die Kohle ab. Premiere! Die erste Pad-Maschine in Frankreich. Draußen wird verständlich, warum ich der einzige Gast bin: der Kaffee ist widerlich.

                                    Mit den Verkehrsschildern ins Zentrum Montpelliers. Aufpassen muss ich bei den Schienen für die Straßenbahn. Wann hatte ich zuletzt Straßenbahnschienen? Auf dieser Tour noch keine. Nach Montpellier von Westen rein, im Zentrum abbiegen nach Süden. Richtung Flughafen abbiegen und in Lattes auf die D 189, das ist Plan A. Einen Plan B gibt es nicht. Dafür ist keine Zeit. Aus der Stadt führt die französische Version einer Kraftfahrstraße. Verbot der Durchfahrt für Fahrräder – oder so. Weiter, heute ist Samstag. Wenig später bin ich runter von der verbotenen Straße. Gehupt hat keiner. Vermutlich wird die halbe Stadt in der Woche auf dem Weg an das Meer die Kraftfahrstraße mit dem Rad nutzen. Von Montpellier habe ich nicht viel gesehen, bis auf den südlichen Stadtrand. Sauber, gepflegt, langweilig, ein Haus wie das andere, Supermarkt an Supermarkt. Das Konglomerat, das so viele südeuropäische Städte umgibt. Am Straßenrand stehen gelbe Schilder mit der Ankündigung der Tour de France, die demnächst hier durch kommt. Gesperrt von-bis, Parken verboten von-bis. Die Autofahrer hupen, wenn sie mich gewahr werden. Spornt das an? Im Augenblick noch.

                                    Die Tour kommt

                                    Ein tägliches Problem treibt mich an, der Hunger. Schon der zweite McDonald's, der total überfüllt ist. Nicht nur Frankreichs Kinder, selbst die Alten belagern die amerikanischen Bulettenbuden. Von wegen „französische Küche“. Die hat Speisekarten mit Preisen, bei denen sich nur noch Bedienstete des Staates nicht fragen, wie man das bezahlen soll. Und dann diese Wartezeiten. Essen wird schon im einfachsten französischen Restaurant immer noch zelebriert. Schon um das preiswerteste Menu du jour wird nach außen, für den Gast, ein Aufwand betrieben, als stehe in der Küche ein zukünftiger Sternekoch. Stets wird der Kellner die Menüwahl der Gäste mit wohlwollendem Kommentar bestätigen. Die könnten den ersten Gang in Minuten auf dem Tisch haben. Suppe ist Suppe. Suppe hat schon die französische Oma im voraus gekocht. Nein, nicht in einem Restaurant, das auf die überkommende Tradition des Hauses und die Manieren seiner Kundschaft stolz ist. Überdies hat der Gast Zeit zu haben. Aber bitte nicht nachmittags, da schließt die Küche pünktlich. Und am Abend soll der Gast tunlichst erst erscheinen, wenn die Töpfe auf Temperatur sind, also zu der Uhrzeit, wo müde Radfahrer den Reißverschluss am Schlafsack zuziehen. Konsterniert wird der Kellner auf die Tradition der Landesküche verweisen, wenn ein hungriger Radfahrer auf den letzten Drücker noch ein Mittagessen verlangt oder abends schon um sechs nach der Speisekarte fragen sollte.

                                    Ein Hoch auf die amerikanische Küche! So sehen das an diesem Samstag alle südfranzösischen Familien zwischen Montpellier und Nîmes. Die Warteschlange beim dritten McDonald's ist noch länger als bei dem vorher. So viel Zeit nur fürs Anstehen! Diese Zeit habe ich nicht! Weiter, trotz nagendem Hunger. Lunel ist mir nur ein Blick im Vorbeifahren wert. Keine Zeit für den schattigen Park mit dem großen Springbrunnen. Die Suche nach einem Restaurant ist wichtiger. In der kleinen Kurstadt müsste es doch eins geben, nur eins, das am Nachmittag mehr als Kaffee und Wein anbietet. Irrtum. Weiter und am Stadtrand der nächste Stopp. McDonald's! Gegen die Ausfahrt auf den Parkplatz geschossen. Der Franzose hinter dem Lenkrad zeigt mir einen Vogel. Er hat ja so recht, doch der Hunger der Hunger. Ernüchterung bereits an der Tür. Die bis dahin längste Schlange aller heutigen McDonald's reicht bis zur Tür. Vorne wandert ein Karton mit Kinderfutter nach dem anderen über die Theke. Aufgereiht stehen leere Papiertüten neben leeren Papiertüten. Die Großbestellungen junger Familien. Hier werde ich genauso verhungern, wie in jedem auf Tradition bedachten französischen Restaurant zwischen Nachmittag und Abend.

                                    Das letzte Mars rettet mich. Das ist jenes Notfall-Mars, welches seit Girona mitgeschleppt wird. Zum Notfall-Mars wird ein Mars, wenn ich vergesse, noch ein Mars im Gepäck zu haben; denn Schokoriegel, die bei mir nur eine einzige Nacht überstehen, sind eine Abweichung vom Normalfall. Dem Mars sind die drei Tage in der Lenkertasche nicht bekommen. Die ungewohnte Form diagnostiziere ich als Hitzeschock. Die nächste halbe Stunde ist gerettet. Nîmes ist in Reichweite.

                                    Zwischen Montpellier und Nîmes lässt sich die Straßenverwaltung nicht lumpen. Dort darf aus der Departementsstraße wieder die Nationalstraße 113 werden. In Nîmes ist die N 113 zugleich südlicher Stadtring. Ein Kreisverkehr löst den nächsten ab. Ganz große, in deren Grün sich Gartendesigner ausgetobt haben, kleine, dessen Grün vom Rasenmäher des städtischen Gartenbauamts getrimmt wird. Nîmes Nîmes Nîmes, soll ich tatsächlich die Stadt vom Stadtring aus links liegenlassen? Wäre das eine Sünde? Ohne Zweifel, das wäre es. Die Entscheidung muss warten.


                                    Ins Tal des Gardon

                                    Die N 113, die sich hier in der Stadt Av. Président Salvadore Allende nennt, wird aus dem Norden von der Av. Pierre Gamel und aus dem Süden von der Route de Saint-Gilles gekreuzt. Obwohl, korrekt ist das nicht, denn wo gibt es in Frankreich noch Kreuzungen? Es ist später Nachmittag, um die 17 Uhr. Am Kreisverkehr ist ein McDonald's! Auf der Terrasse ist nur ein Pärchen zu sehen. Sollte das dem um diese Uhrzeit nicht vorhandene urbanen Leben zu verdanken sein? Drinnen ist bis auf die in jedem südeuropäischen McDonald's anzutreffenden zwei, drei WiFi-Kaffeebecher-Festhalter keine Menschenseele.

                                    Ein Big Mac Menu groß, große Fanta, großer Kaffee, ein Hamburger, ein Cheeseburger, einmal 6er-Nuggets und ein Filet-o-Fish – wegen der Omega-3-Fettsäuren, schließlich soll die Gesundheit nicht zu kurz kommen! - sammeln sich im Handumdrehen auf dem Tablett. Über die Menge hat sich der Schwarze hinter der Kasse nicht gewundert, über meine Auswahl dann doch. Kurzerhand habe ich genommen, was in der Warmhalterutsche in seinem Rücken zu sehen ist. Hunger schraubt Ansprüche runter.

                                    Pont du Gard

                                    Zurück auf der Terrasse, kaum das ich sitze, sind alle Tischmanieren vergessen. Fressen, anders lassen sich die ersten Bissen nicht beschreiben. Das beste an der amerikanischen Papp-und-Styroporschachtel-Küche ist, dass jenes was drin steckt, nicht gekaut werden muss. Schlingen steht nichts im Weg. Nach dem Big Mac und den Pommes geht es mir deutlich besser. Das scheint das junge Pärchen drei Tische weiter mitbekommen zu haben. Zeit, mich anzusprechen, direkt auf englisch. Meine sprachliche Höchstleistung an der Theke vorhin, ist ihnen nicht entgangen. Das Übliche: Woher, wohin, warum, wie lange. Sie hat sich grad eben ein MTB bei Decathlon gekauft. Ein Rockrider, die Hausmarke für schmales Geld. Nun ist sie mit ihrem Freund auf Stadtrundfahrt. Er fragt, sie übersetzt, ich esse nun, fresse nicht mehr, rede mit vollem Mund. Ihr Urteil über das Essverhalten deutscher Männer wird nicht komplett vernichtend ausfallen. Beide faziniert plötzlich die Idee einer Radtour durch ihr Land. Bis vor Minuten haben sie keine Gedanken an so etwas verschwendet.

                                    Vollgefressen, zufrieden und ja, ohne schlechtes Gewissen, streiche ich Nîmes von der Liste. Das Weltkulturerbe McDonald's ist genug. Noch eine Stunde bis zum UNESCO-Weltkulturerbe Pont du Gard. Die „Bridge“ würde ich einen halben Kilometer hinter dem Zaun des Campingplatzes finden. Von der Frau mit dem Meldeformular bekomme ich noch den Tipp, nach 20 Uhr zum römischen Aquädukt zu gehen. Die Eintrittspreise seien unverschämt. Spätestens um diese Uhrzeit sind die Kassen geschlossen. Später ärgere ich mich, weil mir um diese Uhrzeit nur die Wahl zwischen Gegenlicht oder Dunkelheit bleibt. Zusätzlich nerven zwei kichernde Amerikanerinnen, die mit 10er-Tablets vor dem Kopf Videofilmchen drehen, denen nur der Weg ins Unterschichtenprogramm offen stehen wird.

                                    Das Mittelmeer liegt jetzt schon weit zurück. Die Zeitung von heute hat bestätigt, was in der von gestern zu lesen war. Morgen und die Tage danach, gibt es Gegenwind. Mit dem Hellwerden soll der einsetzen und nach und nach an Kraft zulegen. Morgen wird das Radfahren anstrengend werden. Morgen bin ich endgülitg auf dem Heimweg.

                                    Vierter Tag: Therapeutisches Radeln
                                    Pont du Gard - Tain-l'Hermitage (Campingplatz)

                                    Viel zu früh bin ich unterwegs. Der erste Tag, der ohne Kaffee beginnt. Brot gibt es in allen möglichen Sorten bei den Bäckern in Remoulins. Kaffee hat keiner. Die Bars sind noch zu. Vor dem Hotel auf der Hauptstraße stehen gepackte Reisetaschen in der Sonne. Ein Häufchen Urlauber wartet auf den Transfer zum Flughafen. Ein Mann fegt den Bürgersteig um die Taschen herum. Ob es drinnen einen Kaffee für mich gibt? Nein, nur für Gäste. Das fängt ja gut an! Es soll ein langer Tag werden. Mindestens Valence soll es werden, besser noch weiter nach Norden.


                                    Hinab ins Tricastin

                                    Der angekündigte Wind ist da. In den ersten Morgenstunden ist der noch schwach. Er ärgert trotzdem. Den Berg rauf und auf der anderen Seite wieder runter mit Gegenwind. Ich habe mich für eine Route abseits der Rhône entschieden. Hügelig, an manchen Hängen sogar steil ist der Straßenverlauf. Dafür in annähernd gerader Linie nach Norden durch die zum Fluss hin sanft auslaufenden Hügel des Département Ardèche. Noch immer Südfrankreich, jedoch anders als das unten an der Küste. Kein Tourismus. Auf dem Land eben. Wenig Verkehr. Mehr Wind, je weiter ich nach Norden komme.

                                    Stures Fahren ohne Verstand. Auf die Geräusche vom Fahrrad hören. Weshalb knackt es unten, hinten, vorne? Warum vibriert das Vorderrad ganz leicht? Ist das nur der Straßenbelag, oder die Ankündigung einer Panne? Mit jeder Stunde wird das Rasseln der Kette lauter. Ein Tropfen Öl wird das am Abend abstellen.

                                    Das rechte Knie tut weh. Nicht viel. Besser ignorieren. Mit jeder Umdrehung der Kurbel meldet sich das Knie zuverlässig. Dann doch auf das Knie konzentrieren. Stundenlang. Wird es schlimmer, je mehr ich auf das helle Stechen achte, das direkt aus der Kniescheibe zu kommen scheint? Geht es weg, wenn ich nicht an das Knie denke? Das weiß ich nicht. Ich denke ausgiebig an das rechte Knie, jenes das ich mir noch in Spanien verdreht habt. Am letzten Kreisverkehr vor der Grenze. Als ich mir mit der leeren Zugmaschine aus Portugal ein Beschleunigungsrennen geliefert und absehbar verloren habe. Der Fuß hat verdreht auf dem rechten Pedal gestanden. Mehrere mit äußerster Kraft getretene Kurbelumdrehungen lang hat sich das Knie nicht gemeldet. Erst als der Lastwagen auf und davon ist, war das Stechen da, und dann auch wieder weg. Heute bekomme ich endgültig die Quittung, oder? Stunde um Stunde beschäftigt mich das Knie. Ich will nach Hause und das schneller als runterzu. Ein kaputtes rechtes Knie hindert nur.

                                    Cruas - Centrale nucléaire

                                    Denke ich nicht ans Knie, höre ich nicht auf das Knacken, Fiepen, Rasseln des Fahrrads, beschäftigt mich der Wind. Wird es stärker, oder bilde ich mir das nur ein. Doch, sicher, der Wind legt zu. Oder liegt es an dem engen Taleinschnitt, in dem der Wind beschleunigt? Wird es hinter der Kuppe erträglicher werden, obwohl ich immer weiter nach Norden gegen den Nordwind fahre, wenigstens die Straße hinab? Weshalb vibriert der Lenker? Warum ist der Spiegel plötzlich verstellt? Ist der Schmerz im Knie weniger oder mehr geworden? Würde ein Verband aus Diclofenac helfen? Habe ich Diclofenac in den Packtaschen? Nein. Soll ich stattdessen eine halbe Palette Aspirin schlucken? Was macht der Wind? Der treibt die Wolken immer schneller vor sich her. Ist das Einbildung?

                                    Zeigt der Pfeil am Tacho, der die Welt in über und unter dem Durchschnitt teilt, öfter nach unten oder öfter nach oben? Was ist mit dem Knie? Fahre ich schon lange unter dem Durchschnittstempo? Das Knie tut nicht mehr weh. Endlich! Doch, jetzt, wo ich daran denke, kommt das Piksen auf der Kniescheibe zurück. Zu früh gefreut. Die Kette rasselt lauter. Soll ich jetzt ölen, damit ich wenigstens die aus dem Kopf habe? Das Schaltröllchen rattert ebenfalls. Dreck oder fehlt Öl? Oder verstellt? Das Knie, was macht das Knie, das von den leeren 460-Volvo-PS vorgeführte Knie? Eben, beim Schaltröllchen-Rasseln war es gut, nun tut es wieder weh. Die Schlaglöcher fühlen sich so weich an. Fehlt Luft im Hinterrad? Soll ich nachschauen. Das geht aus dem Sattel. Sieht gut aus, der Reifen. Besser anhalten und den Manometer aufstecken? Was sagt das Knie dazu, die Schaltung und die Kette, das Schaltröllchen und überhaupt, was sagt der Wind dazu? Der ist stärker geworden. Vor lauter Wehklagen ist mir das nicht direkt aufgefallen. Jetzt brennt der Hintern. Fahre ich mich wund, fahre ich mir eine Blase am Hintern, oder scheuert es nur? Das ist nun wirklich alles Einbildung.

                                    Cruas - Basilique de Cruas

                                    Abends gibt es endlich den ersten Kaffee des Tages, Instandbrühe aus dem Titantopf vor dem Zelt. Nebenan stehen die Zelte zweier alter Franzosen. Kurz vor dem Siebzigsten sind sie. So sehen sie auch aus. Die beiden sind auf ihrer alljährlichen Radtour durch ihr Land. Diesmal von Narbonne die Rhône hoch bis in die Lorraine. Über eine andere Strecke zurück ans Mittelmeer. Sie sind auf dem Rückweg zu ihren Frauen. Jeden Tag starten die Alten pünktlich um 5 Uhr mit dem Morgengrauen. Jeden Tag, Ausnahmen gibt es keine. Zwei preußische Franzosen. Dafür liegen sie am frühen Abend um Sieben auf der Luftmatratze. Morgen wollen die beiden zur Ardèche. Mit dem Gedanken hatte ich schon vor dem Mittag gespielt, als ich über die Brücke bei Saint-Just gefahren bin. Am Kreisverkehr sind so viele Autos Richtung Fluss abgebogen, dass der Verzicht nicht schwer gefallen ist.

                                    Was macht das Knie am Abend? Keine Ahnung. Was soll damit sein? Dem Knie geht es gut. Was macht die Luft im Hinterrad? Das Manometer hat auf den Strich genau bestätigt, dass der Blick aus dem Sattel nicht geirrt hat: Luft genug. Die Kette, das Schaltröllchen? Ein wenig Öl und alles läuft so leise wie gewohnt. Der Wind? Welcher Wind? Doch, doch, der ist heftig gewesen. In den Schlafsack falle ich kaputt wie selten zuvor. Dem Flusstal werde ich unter keinen Umständen weiter folgen. Morgen wird es zwischen den Berghängen das enge Tal hinunter blasen. Neue Richtung, Schweiz, weg vom Wind.

                                    Fünfter Tag: Alte Geschichten
                                    Tain-l'Hermitage – Les Abrets (Campingplatz)

                                    Dem Wind gefällt die Kurve. Eine Beschleunigungsstrecke wie aus dem Lehrbuch. Mit Macht stürmt er das Tal hinunter, legt sich in der langen Rechtskurve an die steilen Hänge an, beschleunigt und rauscht ums Eck. Das Wasser der Rhône wirft niedrige Wellen. Dünne Bäumchen zwischen Ufer und Leitplanke biegen sich bis auf den Boden. In Böen fauchend, dann wieder nur brausend, jagt der Mistral das Tal hinunter. Die Rechtskurve des Windes, ist meine Linkskurve. Wo der an Tempo zulegt, werde ich mit Macht gebremst. Bei harten Böen schlingere ich an den Fahrbahnrand, ins Grün, wenn ich Pech habe, gegen die Mauer. Verpasse ich das Nachlassen der Bö, lande ich ehe ich mich versehe auf dem Mittelstreifen der N 7. Der Fahrer eines Tanklastzuges sieht wie ich kämpfe, mich quäle. Den Überholvorgang bricht er auf meiner Höhe ab, drosselt das Tempo und bleibt eine Armlänge neben mir. Was soll das? Idiot, überhole gefälligst! Es braucht ein paar Augenblicke, bis mir klar wird, was er da macht. Windschutz durch einen 40-Tonner. Ich nehme alles zurück. Die ganze lange Linkskurve vor Ponsas bleibt der hellblaue Auflieger neben mir. Nichtsdestotrotz klettert der Tacho nicht weit über Schritttempo hinaus. Erst auf der Geraden, als der Wind genau von vorne kommt, beschleunigt der Fahrer seinen Tanklaster. Hinterm Steuer saß bestimmt ein Radfahrer. Merci.


                                    Bei Hauterives

                                    Wenig später verlasse ich in Saint-Vallier das Tal der Rhône. Die wenigen Kilometer bis hierhin waren eine einzige Quälerei. Zwei Stunden Fahrt für 16 Kilometer! In der Schlucht zwischen dem Städtchen und Saint-Uze ist es windstill. Dahinter kommt die Autobahn. Danach bin ich aus Südfrankreich raus. Grüne Wiesen, Kühe, Bauernhöfe, Buchenwälder, weite Täler, beinahe Ebenen. Dörfer, die nicht mehr nach Süden aussehen. Mitteleuropäisches Bauernland. Erstaunt drossele ich das Tempo. Dass das so schnell gehen kann. Ist der Urlaub zu Ende? Fängt hier die eigentliche Rückfahrt an?

                                    D 121 bei Moras-en-Valloire

                                    Der Wind hat abgeflaut. Schirmt das bisschen Berg das Hinterland so sehr vom Mistral ab? Lange Geraden, wenige Kurven. Schon auf dem Kartenblatt schaut es nach einer einfachen Strecke aus. Zweimal werde ich sehr niedrige Hügel queren müssen, die sich als allerallerletzte Ausläufer der Westalpen nach der Eiszeit noch gehalten haben. Dörfer ohne Menschen auf den Straßen. Ein Rennradfahrer schließt auf und bleibt eine zeitlang an meinem linken Ellenbogen kleben. Es dauert lange, bis er einsieht, dass seine Kommunikationsversuche ins Leere führen. Auf schöner, aber welliger Strecke auf halber Hanghöhe durch das Tals des Bourbre. Der Wind ist wieder da. Nicht viel, nicht von vorne. Ein Abstecher zum Château de Pupetières. Vergebens. Nocht ist für die Öffentlichkeit nicht geöffent. Die Saison beginnt nächste Woche.

                                    Beaurepaire, La Côte-St-Andrè. Zwischen den Dörfern bin ich vor acht Jahren gewandert. Nicht hier unten auf der Straße, oben über den langgestreckten Hügelkamm, durch den Wald. Erinnerungen von unten? Keine! Le Grand-Lemps. Mit Mühe finde ich die Kirche wieder, vor der wir vor Jahren unser blaues Auto eine Woche geparkt hatten. Unterwegs suche ich nach Erinnerungspunkten, nach Blicken, die ich schon einmal gesehen habe. Nichts. Mit Regenschauern hoch nach Les Abrets. Oben weht der Wind. Also doch. Den Schildern zum Campingplatz hinterher. Camping Le Coin Tranquille, auf dem bin ich vor neun Jahren schon einmal gelandet. Daran erinnere ich mich gut. Damals war ich als Wanderer von zu Hause aus gestartet. 2004 während der Fußball-Europameisterschaft ist das gewesen. Schon kurz nach der Jahrtausendwende war der Platz von Holländern überlaufen. Kein Wunder, als Hollands Campingplatz des Jahres 2000. Mir blieb nur das Staunen über ein Stück Holland in der Fremde. Ein Camping wie ein VW Golf: zuverlässig, vorhersehbar, ordentlich, ruhig, langweilig. Das hat sich nicht geändert.

                                    Château de Pupetières

                                    Weil der Platz schon damals schweineteuer gewesen ist, durfte der vorsorglich organisierte Pilgerausweis erstmals ran. Auf den hat es zu der Zeit noch ordentlich Rabatt gegeben. Die Holländer, die immer an der Rezeption herumlungern, haben nicht schlecht gestaunt. Ein Pilger! In dieser Gegend im Jahr 2004 ein Exot. In dem Glauben habe ich sie gelassen. Im Nu ist das über den Platz gegangen. Als mein oranges - jenes aus den Fußballstadien bekannte Oranje boven-Orange - Zelt aufgebaut war, hatte ein Mann aus einem der Wohnwagen am anderen Ende der Zeltstraße zielstrebig mein Zelt angesteuert. In der einen Hand hielt er Messer und Gabel, in der anderen einen großen Teller Bratkartoffeln mit Schnitzel und Salat. Bei „Ik ben geen Nederlander” hatte seine Hand nur ganz kurz gezuckt. Wirklich nur ganz kurz, kaum dass ich es wahrnehmen konnte.


                                    An der D 73 vor Virieu

                                    Es ist wieder ein Pilger auf dem Platz. Nicht ich. Diesmal ist es ein Dauercamper. Gegenüber am ausgestellten Wohnwagenfenster dreht sich eine Jakobsmuschel im Abendwind. Es wird ein schwieriger, anstrengender Ausklang des Tages. Radebrechend, händeringend wühlen wir zwei uns durch unsere Pilgerwege und -geschichten. Vor zwei Jahren ist mein heutiger Platznachbar von hier in drei Monaten nach Santiago de Compostela gepilgert. Er ist Frührentner der SNCF, der französischen Staatsbahn, und hat die Zeit dafür. Auf dem Platz übernachten nicht mehr so häufig Pilger, was er sehr bedauert. Erst durch einen dieser Übernachtungsgäste ist er auf den Jakobsweg aufmerksam geworden. Der führt immer noch draußen an der Schranke vorbei. Muschelwegweiser sind keine mehr zu sehen.
                                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 18:20. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                    .

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                                    • Werner Hohn
                                      Freak
                                      Liebt das Forum
                                      • 05.08.2005
                                      • 10870
                                      • Privat

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                                      #58
                                      AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                      Sechster Tag: Müde
                                      Les Abrets – Seyssel (Campingplatz)

                                      Mit Irrfahrten in den Morgen. Mit überflüssigen Steigungsstrecken in den Tag. Anstatt in die Karte zu gucken, fahre ich nach Erinnerung. Die Orte auf den Straßenschildern kommen mir bekannt vor, die haben Jahre im Hinterkopf überlebt. Falsch. Im Kreis über allerkleinste Landsträßchen rund um den Campingplatz. Erst als der Schulbus mit der auffälligen Reklame von vor einer halben Stunde mit seiner zweiten Tour, vermutlich Kindergartenkinder, zum zweiten Mal wegen mir auf den Grünstreifen ausweicht, dämmert es. Eine ganze Stunde ist verschenkt. Die Minuten an den Steigungen zählen doppelt. Und das ausgerechnet an diesem Tag. Heute will ich bis zum Genfersee fahren. Schon vor den Irrfahrten ahne ich, dieses Ziel wird pures Wunschdenken bleiben. Doch aufgeben gilt nicht - nicht schon in der Früh.

                                      Bei La Balme-de-Sillingy

                                      Am Mittag fahre ich immer noch nach Genf. Im Kopf ist das keine große Sache. Doch die Beine denken nicht, hängen keinen Tagträumen nach, die Beine sind müde und tun weh. Keine Kraft fürs schnelle Rollen gen Genf. Ausgerechnet in den letzten Stunden müsste ich dann noch einmal über einen Berg. Die Gedanken an den langen Anstieg auf den Schlusskilometern machen die Beine noch schwerer. Die Oberschenkel überrollen den Kopf.

                                      Viele Pausen summieren sich am Nachmittag zu zwei Stunden. Nach all den Irrfahrten ist erneut die Rhône die Richtschnur für den Weg in die Schweiz. Während ich diagonal über das Land abkürzen konnte, musste der Fluss einen sehr weiten Bogen über Lyon machen. Zwei Tage habe ich gespart. Aus dem breiten Fluss ist ein breiter Bach geworden, der schnell fließt. Schiffe auf dem graugrünen Wasser gibt es nun nicht mehr. Selten sehe ich die Rhône an diesem Tag. Meist nur auf den Verkehrsschildern. Hier scheinen die Dörfer auf den Zusatz -sur-Rhône keinen Wert zu legen.

                                      Mittagessen aus dem spärlich bestückten Kühlregal eines Supermarkts. Sandwiches zu 99 Cent das Stück. Schon in der dreieckigen Plastikpackung sind die unappetitlich anzuschauen. Der Geruch erinnert an Salatdressing. Ekel macht sich im Hals breit. Der Hunger treibt vier dieser pampigweichen Dreiecke mit der Geschmacksrichtung “Unbekannt” runter. Ein Restaurant gibt es weit und breit nicht. Vom Döner oder Bic Mac gar nicht zu reden. Allertiefste französische Provinz mit dem Willen, das soll so bleiben.

                                      Château de Mécoras

                                      In Seyssel steige ich vom Rad. Genf ist zwar nah, doch von den Beinen her in sehr weiter Ferne. Die Steilstrecke durch die Montagne de Vuache wird um einen Tag verschoben. Mit ausschlaggebend sind auch der große Carrefour-Supermarkt gegenüber des städtischen Campings und die Musik, die von der Terrasse des Platzrestaurants bis zur Straße schallt lockt auch. Unbekannte französische Rockmusik. Am Wochenende findet ein kleines Musikfestival auf dem Platz statt. Der junge, ungebremsten Enthusiasmus versprühende Platzwart rattert im Stakkato die Namen der einheimischen Bands runter, die in zwei Tagen ihren Auftritt haben werden, erst dann verlangt er das Geld und das Anmeldeformular soll ich bitte selbst ausfüllen. Mir gefällt es hier. Um zu zeigen, was ich verpasse wenn ich am kommenden Tag schon abreise, dreht er die Musik lauter.

                                      Später kommt ein alter Japaner mit Reiserad auf den Platz. Kaum steht sein Zelt, sitzen wir zusammen. Er wird im Herbst siebzig. Es ist seine achte Radtour in Europa. Wir quatschen übers Radfahren, über das in Europa und das in Japan. Europa ist toll fürs Fahrrad, Japan, schlecht, wenn nicht sogar miserabel. Übers Essen. Das in Europa ist miserabel. Über die Supermärkte. Die in Europa gehen so. Immerhin gibt es Reis, der meist so so lala ist. Übers Alter. Das, was alte Männer so von sich geben. Über die ViaRhôna, die auf seinen Ausdrucken von Google Maps durchgängig zum Mittelmeer führt. Da will er hin. Von Genf bis Seyssel hat er schon gelernt, dass hinter der blauen Linie durch die Google-Welt Wunschdenken steckt. Einen Radweg hat er nicht gefunden. Doch ohne die Google-Welt ist er in Europa verloren. Google macht die Welt zweisprachig, bringt seine japanische Schrift an die Rhône. Wir reden über Packtaschen. Seine sind von Ortlieb. Einmal das Komplettprogramm rund ums Fahrrad. Alles in Ortlieb-Gelb-Schwarz. Er schwört drauf. In Japan gibt es keine Fahrradtaschen in der Qualität von Ortlieb. Wir reden über Stühle. Er hat einen ohne Stuhlbeine. Nur Sitzkissen mit Rückenlehne, die von einem nach hinten ragenden Aluverhau in den Rücken stützender Form gehalten wird. Ein Kompromiss, ein miserabler, sagt mein neuer Bekannter. Wir reden über meinen Stuhl. Der Helinox ist klasse. Ich sehe ihm an, dass er den gerne mitnehmen würde. Ja, keine Frage. Ob ich mit 100 Euro zufrieden bin? Keine Woche mehr, dann sei ich zu Hause. So schwer es mir auch fällt, der Stuhl bleibt meiner.


                                      Seyssel

                                      Es ist ein schöner Nachmittag geworden. Einer der schönsten überhaupt seit Beginn der Heimfahrt. Französische Rockmusik weht von der Terrasse hinab, vorne rauscht die Rhône und mit der untergehenden Sonne strahlt Seyssel in kräftigen Farben. Neben der Brücke im Ort steht ein Radwegweiser mit der Aufschrift du Léman à la mer. Umkehren?

                                      Siebter Tag: Der erste Grenzübertritt
                                      Seyssel – Rolle/Schweiz (Campingplatz)

                                      Zweifel kommen auf. Da soll ich hoch? Der Radwegweiser nach Genf am Straßenrand zeigt kurz vor Frangy nicht nach Frangy. Der Wegweiser für die Autos zeigt nach Genf, das aber nicht den Berg hoch, sondern flach hinüber Richtung Frangy. Das ist der erste Wegweiser für Radfahrer nach Genf für diesen Tag. Über Frangy, über die höchstwahrscheinlich gut laufende D 992 auf direktem und schnellen Weg in die Schweiz, oder soll ich dem Wegweiser fürs Rad folgen? Über Frangy scheint kürzer zu sein. Was soll die Grübelei. Ab, den Berg hinauf. Überraschen lassen, wohin die Radwegplaner mich führen. Steil auf schmaler Straße den Berg hinauf. Schwitzen sogar in der frischen Morgenluft. Oben bietet sich eine tolle Sicht zurück ins Tal.


                                      Bei Crêt de Feu/Tanay

                                      Am Horizont verläuft die A 40. Das Rollen schwerer Lkw-Reifen trägt der Wind bis hier hin. Die Windböen prallen ab von der senkrechten, kahlen Wand der Montagne de Vuache, und machen mir das Leben im Aufstieg zusätzlich schwer. Ein kleines Bauerndorf ohne Bauern nach dem anderen. Verstreute Bauernhöfe auf grünen Wiesen. Vieles hier sieht nach Wochenendhaus und Altersruhesitz aus. Überhaupt, vieles sieht hier nach Schweiz aus. Ein alter, von den Zeit verblasster Wegweiser an einer Kreuzung zeigt die Richtung nach Genf an. Alte Befestigungsanlagen auf einer Bergkuppe. Von der Straße, Blicke tief hinunter zur Rhône. Vor lauter Wald und Hügel ist die oft nicht zu sehen. Wenn dann doch einmal , verschwindet der Grenzfluss nach wenigen hundert Metern hinter der nächsten Biegung.

                                      An der Grenze bei Chancy/Schweiz

                                      Das kalkweiße Fort l'Écluse klebt wie ein Schwalbennest am Hang. Von hinten drücken schwere Kieslaster die enge Bergstraße hoch. Der Platz zwischen Leitplanke und senkrechter Felswand ist knapp. Das Fahrrad ist im Weg. Keine Zeit für ein anständiges Foto. Noch einmal um einen Bergvorsprung, dann sollte Genf zu sehen sein. Fehlanzeige. Im Dunst sind nur Flugzeuge im Landeanflug zu erkennen.

                                      In Chancy überquere ich die Grenze zur Schweiz. Augenblicklich wird der Straßenbelag perfekt. Fast auf der Grenzlinie liegt im Gebüsch eine dreisprachige Warntafel. HALT – SCHIESSGEFAHR Durchgang verboten. Ja, jetzt bin ich in der Schweiz. Es ist die erste wirkliche Grenze auf meiner Fahrt. Zwar fehlen alle Insignien einer Grenze, doch Zweifel sind nicht angebracht. Perfekte Radwegausschilderung. Kopfzerbrechen bereiten die Vielzahl der Routen. Links die Straße rüber nach Genf, geradeaus der Steigung folgend nach Genf? Geradeaus ist immer gut. Geld brauche ich auch. Fremdes Geld. Wiederauferstehung eines Rituals, das lange vergessen schien: nach dem Grenzübertritt zur erstbesten Wechselstube oder zum ersten Geldautomaten. Nahezu ins Zentrum muss ich fahren, bis ich einen Geldautomaten finden. Sag noch einer, in der Schweiz dreht sich alles um das Geld. Oder haben die Schweizer aus Angst vor den amerikanischen Finanzminister vorsorglich abgerüstet? Der Bankgeheimnis ist jedenfalls futsch.

                                      Platinis Volkssport

                                      Für eine Straßenkarte der Westschweiz und eine Tafel Ovomaltine-Schokolade geht der erste Frankenschein drauf. Als Kraftfutter geschätzt seit unserer Durchquerung der Schweiz vom Bodensee zum Lago Maggiore auf dem Europäischen Fernwanderweg E1, ist die Schokolade ein Muss an diesem Tag. Auf den Fahrradstreifen der Stadt toben sich Motorrollerfahrer beider Geschlechter aus. Grauer Anzug, neben kurzem Schwarzen. Obendrauf ein Helm, vors Gesicht eine verspiegelte Sonnenbrille – und ich steh in den Abgasen. Genf sehen und weiterfahren. Immer auf dem Radweg am Genfersee entlang. Feine Villen hinter mannshohen Mauern am Seeufer. Eine nach der anderen. Kamerabewehrte Tore. Blickdichte Grünanlagen. Mir bleibt der Blick auf die Straße und den Parkstreifen. Fürs gemeine Volk bleiben hin und wieder freie Seegrundstücke, ein paar Strandbäder. Der Sommer ist noch nicht so weit. Die Anklage der leeren Liegewiesen ist eindeutig. Kein Blick auf die so nahe Alpenkette am anderen Seeufer ist mir vergönnt. Der verdammte Mittagsdunst deckt alles zu.


                                      Schloss von Rolle

                                      Spontane Vollbremsung in Nyon. Die UEFA, das Reich des Michel Platini, hat einen Protzbau ans Seeufer gestellt. Abbiegen vor den Augen des Wachmanns, der schon oben auf dem Bürgersteig aufpasst, dass den Fußballbonzen keiner in die raumhohen Fensterfronten schaut, und das Rad in der flachen Einfahrt ausrollen lassen. Über einen Weg im Park kommt die schwedische Frauen-Fußball-Nationalmannschaft im Gänsemarsch. Sogar ein diplomierter Fußballdepp wie ich, weiß, dass das Schwedinnen sind. Alle sind blond? Nein, alle tragen gelb-blaue Trainingsanzüge. Ein schnelles Foto der UEFA-Säule, dann ist der Wachmann vom Bürgersteig auch schon zur Stelle. Das Gelände ist unverzüglich zu verlassen! Alles klar. Volkssport Fußball. Nein, nicht diese Einfahrt hoch, die andere! Einbahnstraßenregelung. Ordnung muss sein.


                                      Nachbau einer Genfersee-Barke vor Rolle

                                      Camping am Seeufer in Rolle. Ein nicht mehr erhoffter warmer Sommerabend. Leider ohne Gesellschaft. Jeder ist hier gerne für sich. Auf dem See findet eine kleine Regatta statt. Farblose schlaffe Segel im Dunst. Das Zelt steht auf der grünsten Wiese der Tour. Ach was, auf einem Rasen. Das Handtuch soll ich bitte vom Lattenzaun nehmen. Das macht man hier nicht. Gut, dann flattert es halt mit vier Wäscheklammern gesichert an der aus einer Abspannschnur improvisierten Wäscheleine. Muss ich das Fahrrad für die Nacht anschließen, hier wo alles seine Ordnung haben muss?

                                      Achter Tag: Drei-Seen-Tag
                                      Rolle – Le Landeron/Bieler See (Campingplatz)

                                      Am Aufstieg nach Lussery

                                      Wie komme ich vom Genfersee zum Lac de Neuchâtel? Nach Lausanne hinein und dann nach Nordwesten abbiegen, auf die kleinen, wenig befahren Landstraßen zwischen den beiden Seen ausweichen, oder schon vorher das Seeufer verlassen, damit mir die Stadt erspart bleibt? Die Entscheidung nimmt mir der Straßenwegweiser nach Yverdon-les-Bains ab. Vor Lausanne links hoch ins Land. Unter grauem Himmel ein klein wenig umherirren, bis ich auf die Schilder der Mittellandroute stoße. Mich erstaunt nicht, die mehr oder weniger „motorfahrzeugfrei“ vorzufinden, was mit einer Wegführung auch über schlammige Waldwege erkauft wird. Da geht im Kopf die Schublade mit den Schimpftiraden auf.

                                      Warum nur bin ich dem Radwegweiser gefolgt? Kann man so blöd sein? Ja, man kann. Denn die Hoffnung, dass auf der Mittellandroute Steilstrecken eher nicht den größten Anteil stellen werden, dass mich die zuverlässige – wer wird die Schweizer Gründlichkeit anzweifeln? - Ausschilderung dahin führen wird, wo ich hin will, hat mal wieder meinen Grundsatz, den direkten und schnellen Weg über die Straße vorzuziehen, den Weg aller Grundsätze nehmen lassen: grundsätzlich sind Grundsätze gut, doch mit dem Leben haben sie nichts gemein. Gelbe Wanderwegweiser einträchtig an einem Pfosten neben den burgunderroten Schildern der Radroute, und das mitten im Buchenwald. Sehr viel schneller als zu Fuß komme ich nicht voran. Straße? Bei der ersten Straßenquerung kneife ich noch. Weiter der Mittellandroute hinterher. Bei der zweiten reicht es mir. Karte raus und gut ist.


                                      La Sarraz - Schloss

                                      Das hier ist nicht die Schweiz aus den Hochglanzbroschüren der Schweiz Tourismus. Hierher verirren sich nicht die Bergwanderer und Platin-Kreditkarten-Urlauber. Die schicke Schweiz ist am Seeufer unter grauem Himmel zurück geblieben. Überhaupt, was macht der nahende Sommer? Er macht einen Bogen um die Schweiz an diesem Morgen. Am Mittag immer noch. Mittagspause auf der Bank vor der auf dem Feld stehenden Kirche in Lussery. Regentropfen fallen aus den grauen Wolken. Nur wenige, doch mir verderben sie die Laune.

                                      Römischer Meilenstein bei den Mosaiken von Boscéaz bei Orbe

                                      Orbe mit der der großen Nestle-Fabrik am Stadtrand. Auf den Gleisen stehen lange Güterzüge. Ein Silowaggon an dem anderen. Nespresso lese ich in großen weißen Buchstaben auf jedem Waggon. What else? Ob der George Clooney gleich ums Eck kommt? Die Blonde, die mit dem immer gleichem Lächeln, würde ich bevorzugen. Noch lieber wäre mir der John Malkovich, der macht für eine Tüte Kaffeekapseln den Weg in den Himmel frei. Musste der deshalb der Blonden weichen? Doch, doch, der Malkovich in dem weißen Anzug, wenn der dereinst vor der letzten Tür stehen sollte, das könnte mir gefallen. Jedoch muss ich vorher noch unser Kaffeesystem anpassen. Mit den falschen Kapseln in der Papiertüte möchte ich nicht vor ihm stehen. Der würde mir die Tür nicht öffnen.

                                      Krachen lassen ab Yverdon. Immer auf der Straße am Seeufer vorbei. Wellig hoch, wellig runter im steten Wechsel. Der Lac du Neuchâtel ist bei weitem nicht so mondän die der Genfersee. Wasser mit Land drumherum. Mit Karacho das Schloss Vaumarcus verpasst. Die Finger springen zu den Bremshebeln und greifen nicht zu. Geschwindigkeiten jenseits der 40 soll man nicht zum Stillstand bringen. Über die Dächer von Neuchâtel schiebt sich eine graue Wolkendecke nach der anderen. So weit weg wie heute war der Sommer schon seit ewigen Zeiten nicht mehr. In der Stadt wuchert eine Zeltstadt. Der Zirkus Knie begräbt öffentliche Plätze, ganze Straßenzüge unter sich.

                                      In Neuchâtel

                                      Am Nachmittag baue ich das Zelt in Le Landeron auf. Ich bin am Bieler See. Eine unsichtbare Grenze verläuft hier. Deutsch umweht mich nun wieder. Freue ich mich? Die kleinen Boote an den kurzen Stegen unten im Yachthafen verschwinden alle unter Planen. Sommer wo bleibst du? Landerons Zentrum ist reinstes Museum. Das "Museum" hat keine Besucher am Nachmittag. Abends werde ich wiederkommen. Die Speisekarte an der Mauer des Restaurants scheint bezahlbar. Oder rechne ich falsch um? Mir fehlt die Übung. Waren das noch Zeiten. Gut, dass sie vorbei sind.


                                      Bieler See

                                      Ein wackeliger, dünnbeiniger Tisch ,auf dem sich leere Bierflaschen drängen. Zwei rostige Campingstühle, deren Stoffbespannung den Sommer nicht überstehen wird. Stilleben unter Laubdach auf Schweizer Camping. Wer hätte das gedacht. Später hält ein mit Rostfahnen dekorierter Mercedes Sprinter am Tisch. Zwei junge Franzosen, meine Nachbarn für den Rest des Tages, laden mich zum Abendessen ein. Englisch kann einer, der muss dann für den Rest des abends dolmetschen. Der andere kocht. Ob ich mitessen möchte. Nein, danke. Drüben im Ort, das Restaurant …

                                      Man ist in den Fraises, und man ist unzufrieden. Mit der Polizei in der Schweiz, weil wegen der sind sie auf dem viel zu teuren Campingplatz. Mit dem Vorarbeiter, der kommt aus Polen. Mit den Kollegen vom Erdbeerfeld, die kommen aus Polen. Mit den Vorgaben, die sie bekommen haben. Mit allen Vorgaben. Wie die Erdbeeren nach dem Pflücken auszusehen haben. Auf keinen Fall wie in ihren ersten Kisten, matschig. Welche Farbe die Erdbeere haben muss. Auf keinen Fall wie in ihren ersten Kisten, mit grünen Stellen. Wie klein die kleinsten Erdbeeren sein sollen? Auf keinen Fall so klein wie in ihren ersten Kisten. Die Arbeitszeit ist auch zu lang. Zwölf Stunden auf dem Feld, um dann mit einem Stundenlohn von 14 Franken abgespeist zu werden. Das nur, wenn es keine Beanstandungen gibt. Bei den Polen gibt es nie Beanstandungen. Bei ihnen oft. Beide werden morgen nicht mehr aufs Feld gehen. Rückenschmerzen und ein paar Hunderter hat man schlieplich schon gespart. Das muss reichen.


                                      Le Landeron

                                      Arbeitsnomaden wie man sie auf vielen Campingplätzen findet. Die meisten sind Saisonarbeiter im Dienst des urlaubenden Mitteleuropäers. Ohne sie wird nicht nur auf Schweizer Gemüsefeldern die Ernte verfaulen, auch auf den großen katalanischen Campingplätzen geht ohne diese Nomaden nichts. An den Kassen, in der Wäscherei, im Handwerkerschuppen, in den Blumenbeeten, beim Müll arbeiten über den Sommer Menschen aus der Extremadura, aus Andalusien oder aus einen der anderen Armenhäuser Spaniens. Dass Franzosen ebenfalls zu diesem Heer gehören, ist mir neu. Das liegt wohl an den Besonderheiten der Schweiz. 14 Franken die Stunde fürs Erdbeerpflücken! Soll ich meine Frau anrufen, es wird später werden? Benötige ich Arbeitspapiere?

                                      Neunter Tag: Transitradeln
                                      Le Landeron – Lörrach/Deutschland (Campingplatz)

                                      Heute soll der Tag in der Republik enden. Lörrach wird es werden. Da bin ich mir ganz sicher. Vereiteln können das nur Pannen in Serie. Bis jetzt haben Pannen einen großen Bogen um die Tour gemacht, warum ausgerechnet heute? Nein, darum muss ich mir keinen Kopf machen. Vom Bieler See, dem am Nordwestufer Bahnlinie, Straße und Radweg so nahe treten, dass sein Wasser oft unter hangabschneidenden Brücken ans Ufer plätschert, sehe ich nicht viel. Fahren, stoppen fürs Foto, fahren. Stures Radfahren am Seeufer vorbei. Radweg, Straße, Radweg, Straße, gekiester Radweg, Radweg, Straße, Stadt, Biel. Café an der Hauptstraße, Kaffee. Fahren.

                                      Zwischen Biel und Sombeval

                                      Straßenschilder nach Delémont, auf der anderen Seit des Jura. Fahren, jetzt den Berg hoch. Lastwagen um Lastwagen kommen den Berg hinunter. Sicheres Zeichen, dass die gewählte Strecke nicht so steil sein kann. Runter mit den Gängen. Nicht so weit runter, wie beim Start vor zwei Monaten. Viel größere Gänge trete ich jetzt, als müsse ich mir selbst etwas beweisen. Ja, muss ich. Die Schinderei an manchen Tagen muss auch was Gutes gehabt haben. Fahrbahnteilung. Der Gegenverkehr ist weg. Randstreifen durch Tunnel, entlang der Straße. Sorgen, in den dunklen Tunneln übersehen zu werden. Licht an. Zweihundert Meter hinterm Tunnel, das obligatorische Schild, mit dem Scheinwerfer und dem Fragezeichen. Licht noch an? Ich tu mal so, als sei das wichtig. Nach vorne beugen, am Ring drehen. Ja, das Licht ist nun aus. Das Bundesdeutsche Verkehrsministerium will am helllichten Tag alle Autos mit Licht auf der Straße sehen. Der ADFC ist dagegen, weil die die Fahrräder am Tag mit Licht auf den Straßen haben wollen. Wenn alle mit Licht fahren, fallen Fahrräder nicht mehr auf. Ich fahre ohne Licht. Ist schließlich die Schweiz hier.

                                      Das mit Sorge erwartetet Verbotsschild für Radfahrer ist schon von weitem zu sehen. An einem Kalksteinbruch muss ich runter vom Seitenstreifen. Die lärmende Schnellstraße verschwindet in Tunneln. War alles Bergfahren für die Katz? Glückliche Schweiz. Nebenan ist eine ruhige Straße. Autoverkehr? Fehlanzeige! Ein Ortsschild: Péry. Wie im Urlaub ist das hier. Grüne Wiesen, schmucke Häuser, Schweizer Nationalflaggen und keine Schilder „Zimmer frei“. Hier könnte man Urlaub ohne Urlauber machen.


                                      Gorges de Court

                                      Eine letzte Höhenmeter vergeudende Gefällstrecke nach Sonceboz-Sombeval vor dem letzten Anstieg zum Col de Pierre-Pertuis. 827 Meter steht auf dem blauen Schild. Der höchste Punkt meiner Radtour. Auf dem Tacho steht 3002. Knapp verpasst, aber immerhin. Ab hier geht es bis an den Rhein nur noch bergab. Siebzig Kilometer das Rad laufen lassen. Anfangs steil, gefolgt von einem langen, langen Auslauf nach Basel. Radwege ignorieren. Die Supermärkte sind geschlossen wegen der Mittagspause. Ach, Schweiz. dir geht es gut. Weiter unten sei einer, der habe offen. Die alte Frau mit der großen Einkaufstasche meint es gut. Dort könnte ich etwas essen. Sie ahnt nicht, dass ich keine Zeit habe. Zwei trockene Brötchen auf die Hand und ein Flasche Wasser würden mir reichen.

                                      Courrendlin - Tour de l'Horloge

                                      Die Gorges du Court ist so breit wie die Teerstraße. Keine Zeit. Schnelles Foto und weiter. Gorges de la Birse, ebenso ein Stern in der Karte. Sehenswert. Hindurch! Links und recht der Straße ein Stahlwerk. Von Roll! Der Stahlbaron der Schweiz? Keine Zeit. Weiter. An der Straße ein komischer Turm, mitten in Courrendlin. Halt. Foto. Weiter.

                                      Die Sprache mäandert über die Ortsschilder. Französische Namen auf den Firmenschildern. Erst ab Laufen rolle ich auf sprachlich sicherem Boden. Eine Containerbackstube am Straßenrand. Ein Schwizerdütsch-Türke hinter der Theke. Keine Sprachprobleme mehr. Brötchen, Kaffee, Wasser. Wucherpreise. Belanglos, die Franken müssen weg. In zwei Stunden werde ich hinter der Grenze sein. Das Tal hinunter weht ein kräftiger Wind. Schön, nachher wird der schieben. Noch ein Kaffee auf dem Bürgersteig im Durchzug. Der Umtauschverlust wird höher sein, als der Kaffee kostet. Zwei bepackte Reiseradler kommen den leichten Ansteig hoch. Noch 50 Kilometer Bergfahrt. Ob die das wissen?

                                      Nach Basel rein, der Radausschilderung hinterher. Sicher ist sicher. Keine Experimente in der Großstadt. Wo geht es nach Lörrach, nach Deutschland, ins Zentrum? Basel verwirrt durch mehrere ausgeschilderte Zentren. Woher soll ich wissen, welches meins ist? Zentrum Nordstadt kann so falsch nicht sein. Über den Rhein. Mitten über dem Fluss, ein Foto. Weiter, vom Gefälle der Wettsteinbrücke Richtung Deutschland getrieben. Rote Radwegweiser. Riehen, noch immer Basel. Am linken Rad der Straße das Museumsgebäude von Renzo Piano für die Fondation Beyeler. Diesmal tut das Vorbeifahren weh. Überdachungen quer auf der Straße. Die Grenze. Am Gebäude ein altes Schild: Großherzogtum Baden. Heimat? Na ja, bis dahin ist es noch ein gutes Stück.


                                      Kontrastprogramm

                                      Ohne Abzweig in die Stadt. Erste Anlaufstelle, Lutz – Die Buchhandlung. Die Karten sind im Obergeschoss. ADAC Deutschland 1:300.000, 8 Euro 95. Keine zwei Minuten hat das gedauert. Weiter ohne abzubiegen zum Campingplatz. Fünf Minuten Routenplanung in der Sonne. Sieben Seiten reiße ich aus dem Autoatlas raus. Der Rest wandert zum Altpapier. Vom Nachbarzelt staunt man rüber. Sieben ausgefranste Seiten in A4 noch bis zur Haustür.

                                      Zehnter Tag: Regenradeln
                                      Lörrach – Kehl am Rhein (Campingplatz)

                                      Lörrach am Samstagmorgen zum Beginn des Sommers. Kalt und grau müht sich der Tag aus der Nacht hoch. Ziemlich weit weg ist der frühe Morgen vom sommerlichen Breitwandcolor. Endlose Bindfäden fallen vom Himmel. Vor den Ampeln stauen sich auf dem nassen Asphalt lange Spurrillenpfützen. Rotes Wasser, grünes Wasser im Lichtwechsel der Ampeln. Für gelbes Wasser reicht die Zeit nicht. Farbloses Wasser rinnt die blaue Jacke hinunter. Rinnsale, Bäche sammeln sich auf der schwarzen Regenhose. Zuallerletzt, in den grünen Zustiegschuhen, ist es nur noch kaltes Wasser.

                                      Weil am Rhein - VitraHaus von Herzog & de Meuron

                                      Gelbes, warmes Licht am linken Straßenrand im Gewerbegebiet, das McDonald's-Gelb. Nur fünf Minuten gefahren und schon muss ich mich aufwärmen mit einem Becher Kaffee und einem warmen Frühstück. Die Regenklamotten sind dann auch wieder trocken. Die Füße immer noch kalt. Stur die Bundesstraße weiter. Immer den Schildern nach Weil am Rhein folgen. Graues Haus unter grauem Himmel. Das VitraHaus von Herzog & de Meuron ist an diesem Tag wie das Wetter: nackte, kalte Unbehaustheit.

                                      Jahrelang hing bei uns an der Wand ein Plakat mit den Stühlen der Vitra-Kollektion. Für die Originale war nie genug Geld da, nur für eine preiswerte Kopie des Wassily Chair von Marcel Breuer. Für das „Feuerwehrhaus“ der Architektin Zaha Hadid waren wir vor vielen Jahren nach Weil gefahren. Damals hatte das Auswechseln der Preisschilder bei den Personal Computern gerade Fahrt aufgenommen. Die Preisschilder im Schaufenster, beginnend bei 10.000 Deutsche Mark, konnte Vobis nicht so schnell austauschen wie die Preise fielen. Die Wahl zwischen Personal Computer oder Vitra-Kollektion hatte der IBM-Kompatible mühelos für sich entscheiden können. Zaha Hadid hatte sich wohl auch gefreut, über das Wuchern der Rechenleistung für immer weniger Geld. Ohne immer leistungsfähigere Rechner wäre es bei ihrem „Feuerwehrhaus“ geblieben. Ihre Enwürfe verschlangen Computerpower.


                                      Bei Bremgarten (?)

                                      Bundesstraße 3. Wenig Verkehr. Seitenwind treibt die Gischtwolken von mir weg. Der Regen wird dünner. Die Kälte bleibt. Beide Füße sind taub, schmerzen trotzdem. Wie taub müssen Füße werden, dass der Schmerz nicht mehr zu spüren ist? Bei Schlingen die Anhöhe hoch. Jede Steigung ist willkommen. Da wird es warm unter der Regenjacke. Die Abfahrten fahre ich ungewohnt langsam, weil der Schmerz in den Fingern nur bei niedrigem Tempo erträglich bleibt.

                                      In Müllheim runter von der Bundesstraße. Tingeln über die Landstraßen in Rheinnähe. Das ergibt immerhin eine gerade Linie. Kaum bin ich abgebogen, hört der Regen auf. Über meiner rechten Schulter, über dem immer dunklen Schwarzwald, stauen sich schwarze Regenwolken. Weit weg von mir, regnet es. Lange bis zum Boden reichende Regenfahnen wehen den Horizont entlang. Breisach am Rhein, kalte Mittagspause im Park unter dem Dach des Pavillons. Am Anleger haben zwei Kreuzfahrtschiffe der Viking River Cruises festgemacht. Schnell weiterfahren, bis zum Park, bevor der Neid auf die warmen Kabinen zu groß wird.

                                      Noch bis zum Stromkilometer 623

                                      Ein Abstecher zum Rhein und zum Rheinradweg. Der Regen setzt wieder ein und hört auf, als ich den Rheinradweg verlasse. Der ist wegen Hochwasser eh nicht fahrbar. Die Schranken sind unten. Ich will es gerne glauben. Der Kaiserstuhl wird am westlichen Rand geschnitten. Rebreihen wälzen sich über die flachen Hügel, niedergedrückt von einem grauen Himmel. Weisweil, Niederhausen, unscheinbare Dörfer, denen schon nicht mehr der Zusatz „am Kaiserstuhl“ vergönnt ist.

                                      Rust, Rust, Rust, überall Rust. Und dann ist der Ort von den großen gelben Schildern verschwunden, hat Europa-Park Platz gemacht. Das reicht auch. Schon aus der Ferne sichtbar, flattert eine große Hochformatflagge Spaniens in den grauen deutschen Himmel. Der Freizeitpark hat passend zu seinen Themenhotels geflaggt. Johlende, schreiende Menschen sausen auf den Achterbahnen unter dem niedrigen Himmel umher. Hier soll es einen Campingplatz geben. Nichts für mich. Weiter. Wie zur Belohnung scheint für eine Weile die Sonne.


                                      Kaiserstuhl bei Burkheim

                                      Ländliche Straßen durch Wiesen. Eigentlich langweilig, doch der Regen ist weit weg. Eine tiefschwarze Wolke schiebt sich den halben Restnachmittag von West nach Ost. Wenn die sich ausregnet, kann ich einpacken. Zwei spannende Stunden braucht die Wolke, bis sie sich weit vor mir ausregnet. Mit einem Umweg nach Kehl hinein. Diese elende großräumige Ausschilderei für die Autofahrer! Vor den Schulen reiht sich eine leere Reihe Fahrradständer an die nächste. Am Rand der Campingplatzwiese reihen sich die Zelte der Reiseradler aneinander. Frauen und Männer in Radtrikots auf dem Weg zu den Duschen. Die Frauen kommen als Frauen wieder raus, die Männer bleiben in ihrer Kluft Radfahrer. Die Kundschaft vom Rheinradweg. Mein Zelt baue ich weit entfernt auf. Übers Radfahren möchte ich mich nicht für den Rest des Tages unterhalten.

                                      Elfter Tag: Über Grenzen fahren
                                      Kehl am Rhein – Bad Dürkheim (Campingplatz)

                                      Der niedrige Himmel mit den grauen Regenwolken ist verschwunden. Der Himmel ist hoch. Der Sommer ist da. Nicht der heiße Hochsommer, der Frühsommer meldet sich zurück. Eine halbe Stunde durch Kehl irren, weil mich die Schilder immer und immer wieder Richtung Neuried schicken wollen. Dorthin möchte ich nicht, da war ich gestern. Warum soll ich zurück fahren? Die Wegweiser zum Rheinradweg werden mit Verachtung gestraft. In der Folge drehe ich eine Runde durch den Rheinhafen. Sackgasse. Hier kommt man nur mit dem Schiff weiter. Lange Reihen Bürstner-Wohnmobile harren unter über hohe Pfosten gespannte Gewebedächer auf neue Kunden. Wenn ich da vorbei fahre, bin ich richtig, hat das Mädchen an der Tankstelle gesagt. Die Ausschilderung nach Neuried wird sich schon an der ersten Abfahrt verabschieden. Rheinau oder doch Baden-Baden, in diese Richtung wolle ich wohl, sollte dann auf den Schildern stehen. Das Mädchen kennt sich aus.

                                      Auenheim bei Kehl

                                      Abzweigen von der Bundesstraße in das Hanauer Land. Das steht so im ADAC-Atlas. Durch die Hauptstraßen der Rheindörfer nach Norden. Links und rechts der Dorfstraßen reiht sich ein niedriges schmales Fachwerkhaus nach dem anderen mit der Giebelseite zur Straße. Sonntägliche Stille in den Dörfern, auf den Straßen, auf den Bürgersteigen. Mein Ziel ist erneut Frankreich. Auf der anderen Seite des Rheins komme ich schneller voran. In den herausgerissenen Kartenblättern sind Frankreichs Straßen wie mit dem Lineal gezogen.

                                      Frauen und Männer vom Roten Kreuz, ein Serviceposten mit Getränkeflaschen, ein rotes Auto der Feuerwehr belagern den Platz an der Brückenauffahrt nach Gambsheim. Die Radfahrer eines Triathlon sind im Anflug. Schnell, schnell über die Brücke, bevor die kommen. Region Alsace und Canal de dérivation de I'LL steht auf den beiden Schilder am Straßenrad. Nun bin ich wieder in Frankreich. Schön. Die Straßen sind genauso verlassen wie in Deutschland. Immer wieder Radwege neben der D 468. Die Straße ist eben wie das Land hier. Reiter queren die Straße ohne Eile. Zur Sicherheit wechsele ich die Fahrbahnseite. Das harte Klackern der beschlagenen Hufe klingt hinterher bis ein Auto die Straße hoch kommt. Im Schatten unter den Straßenbäumen ist es immer noch frisch. Die Temperatur des Frühlings nur. In der Sonne auf der Straße wird mir warm. Die Temperatur des Sommers. Ich fahre Schlangenlinien, damit die Sommertemperaturen bleiben.

                                      Mothern/Frankreich

                                      Irgendwo rechts zieht der alte Rhein Schleife nach Schleife durch das platte Land. Die Rheindörfer diesseits der Grenze sehen aus wie die jenseits der Grenze. Wegweiser mit deutschen Namen führen von der Straße weg zu kleinen Wäldchen. Zum Biergrund, einem Bunker der Ligne Maginot, zum Salmengrund, einem Baggersee bei Seltz. Vorbei an der Moto Cross-Strecke in Mothern. Wegen eines Rennens an diesem Sonntag ist die Straße gesperrt. Großzügig werde ich durchgewunken. Jeder andere zahlt Eintritt. Niemand scheint davon auszugehen, dass ich wegen des Rennens hier bin.

                                      Lauterbourg, Frankreich, Lauterburg, Deutschland. Wechsel von der Département-Straße auf die Landesstraße. Leerstehende Abfertigungsgebäude. Ein Restaurant, auf dessen Parkplatz Unmengen Motorräder parken. Sonntagsrocker auf Tagesausflug. Auf der Bundesstraße 9 durch Wald in die Südpfalz hinein. Ausgedehnter Wald, hatte ich den je auf dieser Reise? Vermisst habe ich den Wald nicht. Speyer oder Bad Dürkheim? Jugendherberge oder Campingplatz? Die Chance ist hoch, am Sonntagabend ein Einzelzimmer in der Speyerer Jugendherberge zu ergattern. Dann doch noch zum Pfälzerwald hinüber. Einfach geradeaus durch die wellige Weinrebenlandschaft nach Neustadt a. d. Weinstraße. Weit im Westen, kaum im Dunkel des Pfälzerwalds auszumachen, ist das Hambacher Schloss grade so an seinen hellen Mauern zu erkennen.

                                      Ruppertsberg

                                      Über das Grün der Weinstöcke ragen niedrige rote Dächer. Nur die Kirchtürme schauen weit über das Weinland. Die Wassertürme machen den Kirchtürmen Konkurenz. In jedem Dorf reißen schwarze Solaranlagen schwarze Löcher in die Dorfansichten. Wer von Süden kommt, muss das aushalten. Die Dörfer sehen anderes aus als die unten am Rhein. Viel heller Sandstein und an jedem zweite Haus rankt eine Weinrebe die Mauern hoch. Weinverkauf, Flaschenweinverkauf, Weinversand, Weinprobe, Weinausschank, die Werbung der allgegenwärtigen Winzerbetriebe, gerne in rustikaler Schrift. In Familienbesitz scheinen alle zu sein. Wo sind die großen, deren Flaschen im japanischem Supermarkt zu finden sind. Der Japaner von vor einigen Tagen hatte das erwähnt. Freimersheim, Altdorf, ein Ort so unbekannt wie der nächste. Weinkennerdörfer umgeben von Weinkennerlagen tief im Weinkennerland? Mitten durch Haßloch und in einem Bogen über die Bundesstraße 271 hinein ins Städtchen Bad Dürkheim. Das Fass dort wollte ich mir nach 50 Jahren endlich mal wieder ansehen. Einer dieser Orte, die nur von den Erzählungen anderer immer noch zum eigenen Leben gehören. Schon am überfüllten Parkplatz an den Salinen ist es genug. Nichts wie weg hier. Der Tag endet als Sommernachmittag am Seeufer auf dem Campingplatz. Alles künstlich, doch das ist einerlei. Hauptsache warm, Hauptsache das schwarze Zelt steht in der Sonne.
                                      Zuletzt geändert von Werner Hohn; 09.04.2019, 20:41. Grund: Die finale Korrekturrunde?
                                      .

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                                      • Werner Hohn
                                        Freak
                                        Liebt das Forum
                                        • 05.08.2005
                                        • 10870
                                        • Privat

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                                        #59
                                        AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                        Zwölfter Tag: Bundesstraßentag
                                        Bad Dürkheim – Rheinkilometer 623

                                        Wird das der vorletzte oder der letzte Tag meiner Radtour? Noch bin ich 200 Kilometer von daheim weg. Sind das optimistische Nur-Kilometer oder doch pessimistische Zuviel-Kilometer? Zu schaffen ist das in einem Tag. Nur noch ein einziges Mal quälen, und zum Schluss am Abend ins eigene Bett fallen. Auch als Reiseradler sollte man sich Anstregungen hin und wieder zumuten. Die Lust auf einen langen Tag im Sattel ist da. Bundesstraßen will ich fahren. Die ergeben keine gerade Linie, schon wegen des Rheintals ist das unmöglich, doch sie sind schnell. Immer der guten Ausschilderung hinterherfahren, das Rad über den glatten Asphalt rollen lassen. Keine langsamen Umwege entlang der Bäche, der Niederungen in Kauf nehmen. Statt Kartenstudium an jeder Kreuzung, einfach dem Schild nach drüber rollen. Über die Bundesstraßen also.

                                        Rheinhessen - Weck, Worscht un Schtrom

                                        Über unzählige Hügel werde ich fahren müssen, bevor ich am Rhein bin. Das Meiste davon bin ich vergangenen Sommer gefahren, einiges ein Jahr zuvor sogar gewandert. An diesem Tag ist das wurscht. Das Rad laufen lassen, der Kette beim Surren zuhören. Wind in den Ohren, wo ich über die flachen Anhöhen fahre. Brausen in den Ohren wenn das Rad in den großen Gängen hinab in die Senken rollt. Nicht einfach nur laufen lassen, kurbeln, damit ich schneller unten bin. Der Kette zuhören, wie sie annähernd lautlos die Ritzel am Hinterrad wechselt. Sattes Schleifen zwischen den Füßen, beim Steigen aufs große Blatt. Bei den Anstiegen, bis aufs kleinste Blatt, aufs größte Ritzel wechseln. Dabei kann ich mir Zeit lassen. Bei Abfahrten schnell hoch bis aufs größte Blatt und noch viel schneller aufs kleinste Ritzel wechseln. Dabei kann ich mir keine Zeit lassen. Stunde um Stunde geht das so. Rheinhessen ist hügeliger, als Weinlesemaschinen das glauben machen. Rheinhessen ist an diesem Morgen toll zu fahren.

                                        Wenn ich nicht durch die Schaltung klicke, bleibt Zeit für das weite Land. Überall hier fehlt der Grenzen aufbauende Wald, fehlen engsichtig machende Berge. Der Blick geht weit, bis hinab in die Rheinebene unten bei Ludwigshafen. Industrieanlagen, Hochhäuser sind schemenhaft im Dunst zu erkennen. Traktorspuren zerteilen grüne Getreidefelder. Beide verlieren sich hinter der nächsten Anhöhe. Die Schattenwürfe der wenigen Büsche ziehen Grenzen, wo keine Grenzen sind. An Unkraut-Böschungen zerbricht die berauschende Monotonie wogender Getreidelandschaften. Im Westen ist der Himmel blau, im Osten hat der im Dunst keine Farbe. Diffuse, farblose rechte Seite, klare, farbkräftige linke Seite.

                                        Auf allen Hügellinien stehen Windräder. Kein Rotor dreht sich. Plumpe und vielstrebige Gittermasten reihen sich in die Linien gewohnter schlanker Masten. Wie kommt man an eine Genehmigung für die scheußlichen Gittermasten? Über die Weinfelder - sicher, in Rheinhessen sind das Felder - ragt ein gelber Gitterkran in den blauen Himmel. Nebenan stehen vier weiße Maststummel. Neuer Strom für Europas ächzende Stromnetze.


                                        Rheinhessen farbreduziert

                                        Hinauf und hinab nach Alzey. Bei der Kaffeepause weiß ich noch immer nicht, wie weit ich heute fahren werde. Wird es doch ein Tag mehr werden? Überschlägig liege ich gut in der Zeit. Noch immer fahre ich auf der B 271. Am langen Anstieg nach Wörrstadt hoch, da wo die Oberschenkel brennen, kommen die Zweifel, ob das mit dem Bundestraßenfahren wirklich eine gute Idee ist. Wörrstadt ist Zufall, unten in Alzey eine Verwechselung mit Wöllstadt. Oben angekommen ist alles gut. Die B 420 ist schnell. Wieder springt die Kette nicht flott genug in die schnellen Gänge. Neben der Autobahn über die B 50 nach Bingen am Rhein. Aussichtsloses Wettfahren mit den Lastwagen.

                                        Besinnungspause auf einer Parkbank an der Nahemündung in den Rhein. Durchfahren bis zur Haustür oder trödeln bis zu einem der vielen Campingplätze am Rhein? Noch gut 100 Kilometer sind es über die B 42 auf der anderen Rheinseite bis zuhause. Der Rheinradweg ist tabu. Was sich auf der schmalen Brücke über die Nahe in einer halben Stunde abspielt, reicht mir. Zu viel Radverkehr. Zu viele, die mit dem Rad nicht umgehen können, zu viele, die schnell unterwegs sein wollen. Es trifft aufeinander, was nicht aufeinander treffen sollte. Der Ausweg ist auf der anderen Rheinseite zu finden. Über die B 42 fährt kein Radfahrer, obwohl der Radweg dort schon ziemlich weit ausgebaut ist.

                                        Mit der Rheinfähre hinüber nach Rüdesheim. Der Ärger über den weit überzogenen Preis, der Radfahrer aus der Tasche geluchst wird, verfliegt auf der Bundesstraße. Mit Rückenwind das Tal hinunter. Bei Tempo 30 ist kein Fahrtwind mehr zu spüren. Das Leben kann so schön sein. Kilometerlange Wettrennen mit den weißen Bugwellen der zu Tal fahrenden Frachter. Nach links schielen, zum Fluss, zum Heck des nächsten Gegners, auf den ich auflaufe. Am schäumenden Schraubwasser mit dem Zählen der Sekunden anfangen. Beiläufig die Länge des Binnenfrachters an der Bordwand suchen. 110 Meter, „Großes Rheinschiff“. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig … vorbei. Schleppschiffe, die einen Radfahrer den Strom hinunter ziehen.

                                        Wo es passt, wechsele ich von der quirligen Bundesstraße auf den neuen Radweg. Jungfräulicher Beton mit Dehnungsfugen alle 20 Meter. Bei jeder gibt es einen kurzen Schlag die Gabel hoch. Am Radweg wir immer noch gebaut. Könnte jemand auch die Dehnungsfugen glätten?


                                        Rheinhessen von Wörrstadt aus gesehen

                                        Die Welt der Postkartenansichten fliegt vorbei. Kein Blick für die Rheinburgen über mir. Alle Viertelstunde bleibt eine zurück. Die auf der anderen Uferseite bleiben lange im Blick. Über die Prospektansichten der Mittelrhein-Touristik, in alle Welt getragen via Internet, schiebt sich der Sommer. Egal, deshalb wird das Rheintal nicht noch schöner. Alles tausendmal gesehen. Vorbei, vorbei an all den Burgen, den wenigen intakten Fachwerkdörfern. Vorankommen alleine zählt. An diesem Ufer fahren die Güterzüge der Deutschen Bahn. Lange Güterzüge kommen von hinten lautlos auf, rauschen vorbei, hallen unglaublich laut durch das Tal. Die verschämt verschwiegene Seite des romantischen Rheintals. Kein Sekundenstopp für Fotos. Fotos vom Rhein und seinen Burgen habe ich Unmengen. Die „Feindlichen Brüder“ kann ich nicht sehen, muss ich auch nicht, ich weiß, dass ich jetzt unter ihren Burgen fahre. Die eine Weiß, die andere Braun. Gemeinsam teilen sie sich einem schmalen Sporn. Weiter mit dem Verkehr. Die Autos sind leiser als die Güterzüge. Dafür kommen sie mir näher, rücken meiner Pelle sehr nah. Die, die immer hier fahren, nutzen kürzeste Geraden zum Überholen, brettern in den langezogenen Kurven dicht am Rad vorbei, als wollten sie das Rad im Fahrtwind mitziehen. Urlauber, Rheintouristen tun sich schwer in den Kurven. Auch auf den kurzen Geraden fährt die Angst vor dem Gegenverkehr mit. Unverhofft könnte der um die nächste Kurve kommen. Wenn man lange genug zögert, auf alle Fälle. Für das zügige Vorbeifahren, müssten sie sich Burgensucherblick lösen. Viele lösen sich erst spät, dann wird es knapp.

                                        Gau Bickelheim - Obelisk an der Kreuzung B 420/B 50

                                        Hintern raus, der Wechsel zur anderen Rheinseite in Koblenz. Das muss sein, denn Andernach darf ich nicht auslassen. In Andernach gibt es den schon traditionellen Kaffee zum Tourende, und eine ganze Stunde Pause. Ohne beides würde ich den letzten Anstieg nicht schaffen. Auf den flachen Straßen merke ich nicht, wie erledigt ich bin. Das ist allereinfachstes Rollen. Kraftaufwand, gleich null. Brutal sind jetzt schon allerkleinste Anstiege. Die letzte Stunde ohne Kaffee, der lange Anstieg aus dem Rheintal hinaus? Fahrbar nur mit dem Kaffee. Schwarze Regenwolken schieben vom Südwesten über die Ausläufer des rheinischen Westerwalds. Das Wetter bleibt mir bis zum letzten Meter treu. Auf dem siebtletzten Kilometer erwischt mich der letzte Regenschauer der Radtour, sogar ein Gewitter, bevor ich den allerletzten langen Anstieg hoch fahre.

                                        Mit Einsetzen der Dunkelheit rolle ich vor dem Haus aus. Auf den Tag genau bin ich zwei Monate unterwegs gewesen.
                                        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 28.12.2015, 18:49. Grund: Die finale Korrekturrunde?
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                                          #60
                                          AW: [DE] [FR] [ES ][CH] Mit dem Fahrrad vom Rhein an die Costa Brava und zurück

                                          Ich habe heute frei, wollte zuhause für die Arbeit was lesen. Aber ich habe beim Frühstück diesen Bericht angefangen …

                                          Der ist großartig. Das ist gar kein Forumsbeitrag – das ist Literatur.

                                          Danke. Vielen Dank



                                          stoeps
                                          „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                                          ― John Muir

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