AW: Die Donau entlang
30.9.2013
Heute gibt es Frühstück. Einen eingeschweißten Keks. Und ein Stück Käse. Wir packen unsere Sachen und schaffen sie in den Abstellraum zu den Rädern. Ein Gespräch mit der Rezeptionistin führt zu dem Ergebnis, dass wir wohl gestern auf dem falschen Busbahnhof waren. Gemeinsam mit den Österreichern brechen wir zum „richtigen“ auf. Der Abfahrtsplan läuft auf einem riesigen Flachbildschirm durch. L’wiw ist nicht dabei. Wir stellen uns am Ticket-Schalter an. Aber auch dort heißt es nur „L’wiw njet“. Man muss anscheinend erst nach Kiew. Und dort den Bus wechseln.
Durchgehende Züge gibt es. Das kann man im Internet sehen. Für die Österreicher, die Richtung Budapest wollen, gibt es sowieso eigentlich nur passende Zugverbindungen. Also auf zum Bahnhof. Die anderen waren gestern schon da und haben herausgefunden, dass es in einer Halle einen internationalen, fremdsprachigen Service gibt. „English spoken“ steht am Schalter. Allerdings ist das nicht der Fall. Man verweist uns an einen anderen.
Davor steht eine lange Warteschlange. Wir tun das, was wir in solchen Fällen immer tun. Prophylaktisch anstellen. Hilfe suchen. „Anybody speaking English? Spricht hier jemand Deutsch? Francais?“ Jemand fragt auf Deutsch, wie er uns helfen kann. Ein in Deutschland lebender Russe auf dem Heimweg. Wir erklären ihm unser Anliegen. Er meint, das mit den Rädern werde nicht klappen. Und macht sich an die Diskussion. „Velocipeda njet“ verstehen wir inzwischen gut. Es entspinnt sich eine aufgeregte Diskussion zwischen den Menschen vor und hinter dem Schalter. Mein Vorschlag, doch einfach den Rädern auch Personen-Tickets zu kaufen, auf diese Weise ein Vierer-Liegeabteil zu chartern und so die Räder unterzubringen, ohne jemanden zu stören, wird abgelehnt. Unser engagierter Unterstützer schlägt ein „Baggage Ticket“ für die Räder vor. Alle freuen sich. Eine gute Idee. Das geht. Im Endeffekt kosten die Rad-Tickets vier Euro. Die für uns je 20 Euro. Das ist die mittlere Klasse. Da gibt es Betten in Vierer-Abteilen. Die dritte Klasse hat Pritschen ohne Abtrennungen. Für etwas über 10 Euro. Die „Ljuks-Klasse“ kostet weit über 100 Euro. Wir sollen die Räder zusammenklappen und einwickeln.
So. Der Zug ist uns schon mal sicher. Er wird am Abend fahren und am Morgen am Ziel ankommen. Klappräder haben wir nicht. Wir beschließen, Vorderrad und Sattel abzunehmen und den Lenker längs zu drehen. Jetzt brauchen wir noch Geschenkpapier zum Einwickeln. Wir bummeln über den Basar, um geeignetes Material zu finden. Dort treffen wir auch die anderen in gleicher Mission. Kartons, Plastikfolie, Plane – all das ist dort nicht zu kaufen. Das, was vorhanden ist, wird dringend gebraucht. Die Ladeninhaberinnen sind offensichtlich durchgängig nicht erfreut, wenn wir ihre Läden betreten. Wir werden böse angeguckt. Und auf jede Frage gibt es ein entschiedenes „njet“. Ob das eine postkommunistische Ablehnung freien Handels ist oder wie unser Reiseführer meint, eine kulturelle Eigenheit der Russen – keine Ahnung. Jedenfalls nervt es.
Letztendlich erwerben wir vier Türkenkoffer im xxl-Format. Zwei für jedes Rad. Dazu Klebestreifen und Schnur. Als wir den Österreichern wieder begegnen, sind sie genauso ausgestattet. Wir kaufen noch ein bißchen Proviant. Bummeln über den Basar und auch noch einmal durch die Stadt.
Sehr, sehr rechtzeitig befreien wir Räder und Gepäck aus dem Hotel und machen uns in Richtung Bahnhof auf. So richtig sicher, dass wir mitkommen, sind wir immer noch nicht. Auf dem Bahnhof stehen jetzt viele Züge bereit. Offensichtlich fahren die fast ausschließlich über Nacht. Und sind alles Liegewagen. Es ist blitzsauber. Kein Hälmchen liegt am Boden. Viele Leute warten. Es gibt eine Anzeigetafel, auf der Abfahrten angekündigt werden. Platforma heißt wohl Bahnsteig. Daneben ist noch etwas anderes anders durchnummeriert. Wir tippen drauf, dass das die Gleise sind, kennen das Wort aber nicht. Laut Fahrplan fahren wir von Bahnsteig drei. Tatsächlich natürlich von einem anderen, der erst eine Viertelstunde vor Abfahrt angegeben wird.
Viele bewundern unsere Räder. Und viele haben auch sehr viel Gepäck dabei. Wir können unsere Räder erst vor der Waggontür "zusammenklappen", da wir sonst unseren Kram nicht mehr transportieren können. Zu den Tickets gehören Platzreservierungen. Man kann also auch nicht beliebig einsteigen. Darf das auch nicht. Erst einmal treffen wir ein kanadisch-ukrainisches Paar. Sie ist in Stalingrad geboren. Als Tochter eines sowjetischen Offiziers. Aufgewachsen in Baikonur, mitten im Weltraumprogramm. Dann zum Studium nach Kiew. Dort hängen geblieben und dadurch Ukrainerin geworden. Und irgendwann nach Kanada ausgewandert.
Irgendwann wird der Bahnsteig bekannt gegeben. Und wir setzen zum Sprint an. Der Zug ist unglaublich lang. Und sieht aus als stamme er aus dem Film „Dr. Schiwago“. Laute russische Marschmusik ertönt. Vor der Tür zu unserem Waggon steht die Waggon-Dame (übersetze ich mal vorsichtig). „Velocipeda njet“, sagt sie gleich mal entschieden. Wir zücken unser Baggage Ticket. Das erfreut sie. Aber zusammenklappen und einwickeln. Wir machen uns an die Arbeit. Ich schleppe schon mal die Taschen in unser Abteil und verstaue sie unten den Betten. Die Räder werden niemals in dieses Abteil passen. Es ist sowieso eng und enthält noch einen großen fest eingebauten Tisch. Dazu Teppichboden. Spitzendeckchen. Künstliche Blumen. Bettzeug liegt bereit.
Draußen schrauben wir in Windeseile die Räder auseinander und schaffen alles in die großen Taschen. Ein Rad in jeweils zwei davon, deren eine Seite wir aufschneiden. Mit dem gleichen Messer pieksen wir Löcher, ziehen Schnur durch und binden alles zusammen. Dann ist es höchste Zeit. Alle anderen sind schon eingestiegen. Unsere Fahrkarten werden eingesammelt. Wir schleppen die Räder rein. „Kupe“, also Abteil wird noch befohlen. Was nun? Auf einmal ein Wink und schon stehen die Räder senkrecht am Ende des Waggons neben der Clo-Tür. Und stören da auch niemanden.
Erleichtert lassen wir uns in unserem Abteil nieder und genießen die Aussicht aus dem Fenster bei letztem Tageslicht. Der Zug erreicht flott seine geschätzte Reisegeschwindigkeit von 45 km/h und ruckelt unter Marschmusik und reichlich Getöse aus dem Bahnhof. Er ruckelt sowohl in Längs- als auch in Querrichtung wie auf hoher See. Die Betten sind leider etwas kurz.
http://de.wikivoyage.org/wiki/Reisen...in_der_Ukraine
30.9.2013
Heute gibt es Frühstück. Einen eingeschweißten Keks. Und ein Stück Käse. Wir packen unsere Sachen und schaffen sie in den Abstellraum zu den Rädern. Ein Gespräch mit der Rezeptionistin führt zu dem Ergebnis, dass wir wohl gestern auf dem falschen Busbahnhof waren. Gemeinsam mit den Österreichern brechen wir zum „richtigen“ auf. Der Abfahrtsplan läuft auf einem riesigen Flachbildschirm durch. L’wiw ist nicht dabei. Wir stellen uns am Ticket-Schalter an. Aber auch dort heißt es nur „L’wiw njet“. Man muss anscheinend erst nach Kiew. Und dort den Bus wechseln.
Durchgehende Züge gibt es. Das kann man im Internet sehen. Für die Österreicher, die Richtung Budapest wollen, gibt es sowieso eigentlich nur passende Zugverbindungen. Also auf zum Bahnhof. Die anderen waren gestern schon da und haben herausgefunden, dass es in einer Halle einen internationalen, fremdsprachigen Service gibt. „English spoken“ steht am Schalter. Allerdings ist das nicht der Fall. Man verweist uns an einen anderen.
Davor steht eine lange Warteschlange. Wir tun das, was wir in solchen Fällen immer tun. Prophylaktisch anstellen. Hilfe suchen. „Anybody speaking English? Spricht hier jemand Deutsch? Francais?“ Jemand fragt auf Deutsch, wie er uns helfen kann. Ein in Deutschland lebender Russe auf dem Heimweg. Wir erklären ihm unser Anliegen. Er meint, das mit den Rädern werde nicht klappen. Und macht sich an die Diskussion. „Velocipeda njet“ verstehen wir inzwischen gut. Es entspinnt sich eine aufgeregte Diskussion zwischen den Menschen vor und hinter dem Schalter. Mein Vorschlag, doch einfach den Rädern auch Personen-Tickets zu kaufen, auf diese Weise ein Vierer-Liegeabteil zu chartern und so die Räder unterzubringen, ohne jemanden zu stören, wird abgelehnt. Unser engagierter Unterstützer schlägt ein „Baggage Ticket“ für die Räder vor. Alle freuen sich. Eine gute Idee. Das geht. Im Endeffekt kosten die Rad-Tickets vier Euro. Die für uns je 20 Euro. Das ist die mittlere Klasse. Da gibt es Betten in Vierer-Abteilen. Die dritte Klasse hat Pritschen ohne Abtrennungen. Für etwas über 10 Euro. Die „Ljuks-Klasse“ kostet weit über 100 Euro. Wir sollen die Räder zusammenklappen und einwickeln.
So. Der Zug ist uns schon mal sicher. Er wird am Abend fahren und am Morgen am Ziel ankommen. Klappräder haben wir nicht. Wir beschließen, Vorderrad und Sattel abzunehmen und den Lenker längs zu drehen. Jetzt brauchen wir noch Geschenkpapier zum Einwickeln. Wir bummeln über den Basar, um geeignetes Material zu finden. Dort treffen wir auch die anderen in gleicher Mission. Kartons, Plastikfolie, Plane – all das ist dort nicht zu kaufen. Das, was vorhanden ist, wird dringend gebraucht. Die Ladeninhaberinnen sind offensichtlich durchgängig nicht erfreut, wenn wir ihre Läden betreten. Wir werden böse angeguckt. Und auf jede Frage gibt es ein entschiedenes „njet“. Ob das eine postkommunistische Ablehnung freien Handels ist oder wie unser Reiseführer meint, eine kulturelle Eigenheit der Russen – keine Ahnung. Jedenfalls nervt es.
Letztendlich erwerben wir vier Türkenkoffer im xxl-Format. Zwei für jedes Rad. Dazu Klebestreifen und Schnur. Als wir den Österreichern wieder begegnen, sind sie genauso ausgestattet. Wir kaufen noch ein bißchen Proviant. Bummeln über den Basar und auch noch einmal durch die Stadt.
Sehr, sehr rechtzeitig befreien wir Räder und Gepäck aus dem Hotel und machen uns in Richtung Bahnhof auf. So richtig sicher, dass wir mitkommen, sind wir immer noch nicht. Auf dem Bahnhof stehen jetzt viele Züge bereit. Offensichtlich fahren die fast ausschließlich über Nacht. Und sind alles Liegewagen. Es ist blitzsauber. Kein Hälmchen liegt am Boden. Viele Leute warten. Es gibt eine Anzeigetafel, auf der Abfahrten angekündigt werden. Platforma heißt wohl Bahnsteig. Daneben ist noch etwas anderes anders durchnummeriert. Wir tippen drauf, dass das die Gleise sind, kennen das Wort aber nicht. Laut Fahrplan fahren wir von Bahnsteig drei. Tatsächlich natürlich von einem anderen, der erst eine Viertelstunde vor Abfahrt angegeben wird.
Viele bewundern unsere Räder. Und viele haben auch sehr viel Gepäck dabei. Wir können unsere Räder erst vor der Waggontür "zusammenklappen", da wir sonst unseren Kram nicht mehr transportieren können. Zu den Tickets gehören Platzreservierungen. Man kann also auch nicht beliebig einsteigen. Darf das auch nicht. Erst einmal treffen wir ein kanadisch-ukrainisches Paar. Sie ist in Stalingrad geboren. Als Tochter eines sowjetischen Offiziers. Aufgewachsen in Baikonur, mitten im Weltraumprogramm. Dann zum Studium nach Kiew. Dort hängen geblieben und dadurch Ukrainerin geworden. Und irgendwann nach Kanada ausgewandert.
Irgendwann wird der Bahnsteig bekannt gegeben. Und wir setzen zum Sprint an. Der Zug ist unglaublich lang. Und sieht aus als stamme er aus dem Film „Dr. Schiwago“. Laute russische Marschmusik ertönt. Vor der Tür zu unserem Waggon steht die Waggon-Dame (übersetze ich mal vorsichtig). „Velocipeda njet“, sagt sie gleich mal entschieden. Wir zücken unser Baggage Ticket. Das erfreut sie. Aber zusammenklappen und einwickeln. Wir machen uns an die Arbeit. Ich schleppe schon mal die Taschen in unser Abteil und verstaue sie unten den Betten. Die Räder werden niemals in dieses Abteil passen. Es ist sowieso eng und enthält noch einen großen fest eingebauten Tisch. Dazu Teppichboden. Spitzendeckchen. Künstliche Blumen. Bettzeug liegt bereit.
Draußen schrauben wir in Windeseile die Räder auseinander und schaffen alles in die großen Taschen. Ein Rad in jeweils zwei davon, deren eine Seite wir aufschneiden. Mit dem gleichen Messer pieksen wir Löcher, ziehen Schnur durch und binden alles zusammen. Dann ist es höchste Zeit. Alle anderen sind schon eingestiegen. Unsere Fahrkarten werden eingesammelt. Wir schleppen die Räder rein. „Kupe“, also Abteil wird noch befohlen. Was nun? Auf einmal ein Wink und schon stehen die Räder senkrecht am Ende des Waggons neben der Clo-Tür. Und stören da auch niemanden.
Erleichtert lassen wir uns in unserem Abteil nieder und genießen die Aussicht aus dem Fenster bei letztem Tageslicht. Der Zug erreicht flott seine geschätzte Reisegeschwindigkeit von 45 km/h und ruckelt unter Marschmusik und reichlich Getöse aus dem Bahnhof. Er ruckelt sowohl in Längs- als auch in Querrichtung wie auf hoher See. Die Betten sind leider etwas kurz.
http://de.wikivoyage.org/wiki/Reisen...in_der_Ukraine
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