[CZ] "Plan C" steht nicht für "Couch": Zu Fuß in die Goldene Stadt

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    [CZ] "Plan C" steht nicht für "Couch": Zu Fuß in die Goldene Stadt

    Tourentyp
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    Lon
    Mitreisende
    Prolog

    "Plan A können wir vergessen", sagte Herr Pfad-Finder, als die Entscheidung für eine Ostertour keinen Aufschub mehr duldete. "Da liegt noch zuviel Schnee." Plan B ließ zwar etwas weniger Schnee erwarten, stieß aber bei Frau November nicht auf euphorische Begeisterung. "Ich werde mal über einen Plan C und einen Plan D nachdenken", sagte Herr Pfad-Finder. "Wobei 'C' nicht für 'Couch' und 'D' nicht für 'Diwan' steht!", fügte er warnend hinzu. Frau November blickte auf das Schneetreiben vor dem Fenster: "Schade eigentlich." Am nächsten Morgen stand Plan C fest: Von Leitmeritz (Litomerice) grob Elbe und Moldau folgend nach Prag. Eine überschlägige Schätzung ergab 90 bis 95 km, also binnen eines Tages der Osterfeiertage bequem zu schaffen. Die parlamentarische Billigung war schnell erreicht - "keine Berge" und "kein Schnee" erwiesen sich als überzeugende Argumente.


    29.3.

    Der Bohemia-Wanderexpress brachte uns umsteigefrei nach Leitmeritz, wo uns gleißende Sonne begrüßte. Das hatten wir uns nicht so vorgestellt! Mit zugekniffenen Augen ging es über durch verschneite Felder nach Theresienstadt (Terezin). Die zu k.u.k.-Zeiten erbaute "Große Festung" war unter den Nazis zum jüdischen Ghetto umfunktioniert worden. Davon ist heute wenig zu sehen, wenn man das Ghettomuseum und diverse Ausstellungsräume abzieht. Anders als die bei meiner WAI-Tour besuchte Festung Neubreisach im Elsass ist die ursprüngliche Bausubstanz schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg mit Neubauten durchbrochen worden. Der Gesamtcharakter ist also eher der eine typischen böhmischen Kleinstadt als der einer Festung - auch wenn die Bastionen weitgehend erhalten sind.



    • Die Skyline von Leitmeritz
    • Historisches Protestgrafitti gegen den sowjetischen Einmarsch 1968: "Ivan, komm nach Hause, Papa hat die Stiefel versoffen. Deine Mama". Die Ölfarbe des Widerstands ist haltbarer als die Kalkfarbe der Kommunisten.
    • Der Hauptplatz in der Großen Festung





    Ganz anders hingegen die Kleine Festung: Sie fungierte unter den Nazis als Gefängnis für politische Gefangene. Schon auf dem Weg zum Haupteingang wird man mit dem "Nationalfriedhof" konfrontiert, der in seiner Gesamtanmutung durchaus die Architektur des Holocaust-Denkmals in Berlin inspiriert haben könnte.



    • Der Nationalfriedhof
    • Der Haupteingang zur Kleinen Festung



    Dass wir uns den Museumsbesuch verkniffen hatten, wurde sogleich mit Schneetreiben geahndet, als wir weiterzogen. Ein von mir auf der Karte ausgeguckter abkürzender Feldweg entpuppte sich als Zufahrt zu einem Entsorgungsbetrieb, so dass wir zunächst auf der Hauptstraße weiterliefen. Ein angesichts der Fahrkünste unserer Nachbarn eher zweifelhaftes Vergnügen. Beim Abgleich mit Luftbildern wieder zu Hause stellte ich allerdings fest, dass der richtige Weg schon 100-200 Meter vor der Zufahrt abgezweigt wäre ... Manchmal will man gar nicht wissen, warum der gewünschte Weg nicht zu finden war!

    Als wir dann in Travcice ankamen, schien schon wieder die Sonne - jedenfalls genau so lange, bis wir eine Picknickbank gefunden hatten. Vermutlich war das ein Zeichen, dass wir nicht so viel Zeit mit Pausen vertrödeln sollten. Denn jetzt stand ein Abschnitt an, der auch schon bei der Vorbereitung am heimischen Bildschirm Fragen aufgeworfen hatten: Wir mussten ein Sandgrubengelände und das im Süden unmittelbar anschließende Munitionsdepot nördlich umrunden - nur dass keine der Karten ein zusammenhängendes Wegenetz auswies. Am Wochenende hätte ich die Betreten-Verboten-Schilder nach landesüblicher Manier ignoriert, am Karfreitag - der in CZ kein Feiertag ist - erschien das nicht unbedingt ratsam. Durch ein militärisch angehauchtes Brachgelände (Svazarm/GST oder Lidove milice/Kampfgruppen?) ließen wir uns von den vorhandenen Wegen führen. Schließlich erreichten wir eine völlig vermatschte Schotterpiste. Die Hoffnung, den Matsch durch Umgehen auf den Restschneeflächen zu vermeiden, erwies sich als so trügerisch wie dünnes Eis auf Pfützen nur sein kann.

    Der rege Verkehr von Kipplastern auf der Schotterpiste ließ keinen Zweifel: Jetzt waren wir doch auf dem Grubengelände gelandet. In der Annahme, dass beladene Kipplaster in Richtung Ausfahrt fahren, folgten wir ihnen und gelangten unbeanstandet wieder in die Legalität. Wieder einmal hatte sich meine These bewahrheitet: Die Trägheit von tschechischem Aufsichtspersonal wird nur von seinem Phlegma übertroffen.



    • Das kommt davon, wenn man sich auf dünnes Eis begibt, das unter Schnee verborgen liegt!
    • Die MS Domfels aus Magdeburg am Karfreitag auf der Elbe flussabwärts.
    • Auf dem Schild in Gegenrichtung steht übrigens "Radweganfang" - damit ihn die Radfahrer, die sich aus dem Uferdickicht durchkämpfen, nicht verpassen.



    In Libotenice erreichten wir endlich wieder die Elbe. Der in der Karte eindeutig vorhandene Uferweg verlor sich schnell, es blieb nicht einmal ein Anglerpfad. Wir verließen ihn in Richtung Straße. Wenige hundert Meter weiter erblickte "Steiner, das Eiserne Fernglas", ein blaues Radwegschild am Ufer. Woher kam dieser Radweg her? Jedenfalls nicht von der Straße, das war offensichtlich. Dass er aus der Elbe kam, wagte ich mit meiner mehrjährigen Erfahrung zu bezweifeln. Wir gingen über ein Feld, um nachzugucken: Der Radweg kam von nirgendwo.

    Und rund zwei Kilometer weiter endete er - genauso im Nirgendwo. Zuhause stellte ich fest, dass sich Nirgendwo I und II genau mit den Gemeindegrenzen von Hrobce deckten. Handelte es sich um eine böhmische Variante der Cargo-Kulte aus der Südsee - "Wenn man einen Radweg baut, kommen die Radfahrer von selbst"? Offensichtlich war es dem Bürgermeister von Hrobce aber gelungen, mit solchen oder ähnlichen Argumenten EU-Mittel loszueisen.

    Die Böhmische Rotschnabel-Elbgans (?)


    Immerhin blieb südlich von Nirgendwo II noch ein Wirtschaftsweg der Wasserstraßendirektion übrig, der für uns Fußgänger reichte. Auf ihm erreichen wir Roudnice/Raudnitz. Mehr oder weniger zufällig entdeckte ich dort am Straßenrand jene rostige Quelle, der die Stadt angeblich den Namen verdankt: "ruda" heißt Eisenerz.



    • Von der Wasserseite wird Roudnice von Schleuse und Wehr geprägt.
    • Die rostige Quelle
    • Unterhalb des Schlosses steigt der E10 in den Bus bzw. aus dem Bus.



    Wenn auch die Gründung der Stadt auf rostigen Grund zurückgeht, so lässt die Gegenwart davon nichts ahnen. Roudnice gehört zu jenen böhmischen Kleinstädten, die auch ohne touristische Aufbrezelung ertragbar sind. Die Industrie darf klugerweise die Umlandgemeinden beglücken.

    In Roudnice beginnt auch wieder der E10 in Richtung Süden, der aus guten Gründen in Melnik in den Bus umgestiegen war - kein Scherz, das ist die Empfehlung der KCT-Wanderkarte. Allerdings ist er hier noch nicht als E10 ausgeschildert, sondern trägt den Namen "Dvorakova cesta" (Dvorak-Weg). Das hat Gründe, die wir in rund 30 km erörtern werden. Diesem Dvorak-Weg wollten wir jetzt folgen.

    Frisch betankt machten wir uns an den ersten "Rauf" unserer Tour. Das Wort "Rauf" hat sich im sächsischen Stammtisch-Idiom etabliert, nachdem bei einer denkwürdigen Tour durch das vulkankegelgespickte böhmische Mittelgebirge vom Reiseleiter jede Frage nach dem weiteren Routenverlauf mit "Da Rauf!" beantwortet wurde.

    Dieser Rauf war jedoch schon nach 130 Metern Höhendifferenz zu Ende. Zu Ende war auch der Tag, weshalb wir jetzt nach einem Nachtlager Ausschau hielten. Der Rauf selbst eignete sich nicht - viele Fußspuren in den Schneeresten - ja, Fußspuren! - ließen keinen Zweifel, dass die örtliche Bevölkerung hier morgens und abends ihre Hunde entleerte. In einem Eichenwäldchen am Feldrand um die Ecke fanden wir schließlich einen geeigneten Platz.


    Der Höhepunkt der Königsetappe am nächsten Tag kommt in Sicht. Hier müssen wir rauf!

    Technische Daten: 28,4 km in 8h 20'


    30.3.

    Was wir bei der Auswahl unseres Schlafplatzes nicht wussten, war, dass der Bauer am nächsten Morgen um halb sieben das erste Mal mit seinem Trecker vorbeikam, um Holz aus einem weiter hinten gelegenen Wald zu holen. Der Trecker-Wecker kam jetzt alle 20 Minuten vorbei, bis wir aufgaben. Falls er uns gesehen hat, ließ er es sich nicht anmerken.

    Bei blauem Himmel marschierten wir auf den höchsten Rauf unserer Tour zu, den Rip (Foto siehe oben). Er gilt als heiliger Berg der Tschechen. Der Legende nach soll Urvater Cech hier die Wanderung seines Volkes beendet haben. Die Legende wurde im 19. Jahrhundert bei der nationalen Wiedergeburt aufgegriffen. Es gab Volksversammlungen, und der Grundstein des Nationaltheaters in Prag wurde von hier geholt.

    Auch an diesem Samstag fand eine kleine Völkerwanderung statt. Eine tschechische Esoteriker-Vereinigung hatte die Rundkapelle auf dem Rip gemietet, um dort eine Versammlung abzuhalten, geleitet von einem "Biotroniker" namens Tomas Pfeiffer. Auch wir bekamen ein Flugblatt in die Hände gedrückt. Das Ganze hatte einen Hauch von Scientology, aber in einer urböhmischen Ausprägung: Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich Scientologen schon um halb zwölf die ersten Biere reinpfeifen. In Abwandlung eines Scientology-Werbespruches müsste es also heißen: "Sie nutzen nur zehn Prozent ihres Gehirnes - also schnell weg mit dem Rest!"



    • Die Inschrift an der Gastwirtschaft auf dem Gipfel lautet: "Was für Mohammed Mekka ist, ist für die Tschechen der Rip."
    • Die Rotunda des Hl. Georg, 1126 erstmals erwähnt und seither unzählige Male umgebaut.
    • Hier geht es bergab. Auch wenn man gar nicht will - fehlende Haftreibung und Schwerkraft sorgen schon dafür.



    Auch wenn ich eigentlich gerne ethnologische Studien betreibe - besonders da, wo es richtig wehtut -, wollten wir nicht auf den Beginn der Versammlung warten. Wir machten uns an den Abstieg auf dem Pfad an der Südseite. Um es kurz zu machen: Die Entscheidung war nicht ganz clever. Dort, wo kein vereister Schnee lag, sorgte zähflüssiger Lehm für unkontrollierbare Gleitreibung. Der anschließende Feldweg präsentierte sich nicht besser.

    Mit goebbelsgleichen Klumpfüßen erreichten wir das Dorf Ctineves. Wir hätten den Lehm aber gar nicht am Ortseingang abstreifen müssen, denn hinter dem Ort ging es wieder so weiter. Und hinter Jevineves auch.
    • Der Wegweiser in Jevineves: 1414 km und 213 Stunden bis zum Vatikan, 6491 km und 959 Stunden nach Mekka. Selbst in der Fußnote fehlt nicht subtiler Spott: "Erneuert im Jahr des Herren 2012 durch die Meister Uhery aus Ledcice. Ohne Förderung durch die EU."



    In Mlcechvosty stießen wir endlich wieder auf den Fluss. Die Elbe war inzwischen nach Osten abgebogen, übriggeblieben war die Moldau. Hier verlief der Wanderweg direkt am Bahndamm, und ich konnte bemerkenswerte Lernfortschritte bei Frau November beobachten. Als ich wieder einmal feststellte, dass der EC von Dresden nach Prag pünktlich war, sagte sie, dass sie lieber einen "Elefant" gesehen hätte. Nein, kein Lesefehler, "City Elefant" heißen die Doppelstocktriebzüge der Staatsbahn CD. Bei der nächsten Tour lernen wir dann Regionova, RegioPanter und RegioShark. Letzteren habe allerdings selbst ich noch nicht live gesehen.

    In Nove Ouholice stiegen wir dann wieder auf die Hochebene über dem Fluss auf. Die Hast entpuppte sich jedoch als Fehler: Die Karte hatte eine hässliche Landschaft mit riesiger Sandgrube und Öllager versprochen, tatsächlich war der Wald auf der anderen Seite des Weges ideales Zeltgelände: Eben, trocken, kaum von Gassigassen durchzogen und immer wieder kleine Lichtungen. Wir hatten allerdings nicht mehr genügend Wasser für die Nacht dabei. Und hier oben gab es keines. Wir stiegen also nach Nelahozeves ab, wie es die Wegmarkierung befahl.

    Nelahozeves ist der Grund, weshalb der E10 hier "Dvorakova cesta" heißt: Dort wurde Antonin Dvorak geboren und verbrachte auch seine Kindheit. Das Schloss hat mit ihm nichts zu tun, es gehört dem Adelsgeschlecht Lobkowicz und ist wegen seiner Außendekoration sehenswert. Man sieht es aus dem Zug zwischen Prag und Usti oberhalb der Bahnlinie. Drinnen gibt es eine Ausstellung moderner Kunst, die vielleicht auch sehenswert ist, was wir uns jedoch verkniffen. Wir wollten ja das Putzpersonal nicht in Zweifel stürzen, ob unsere Lehmtapsen möglicherweise ein Kunstwerk sind oder nur Dreck.



    • Das Schloss in Nelahozesves
    • Herr Dvorak hält natürlich keine Fluppe in der Hand, sondern einen Taktstock!



    Weil es Frau November nach einem Kaltgetränk dürstete, kehrten wir in der erstbesten Kneipe ein, die allerdings nicht als erstbest entpuppte, sondern entsetzlich verraucht. Das hatte allerdings den Vorteil, die Entscheidungsfinden über das weitere Vorgehen zu beschleunigen: Wir gingen in der Tat vor, und zwar 200 Meter bis zur "Marina Vltava". Dort fragten wir die Wirtin nach einem Zimmer. Nach dem rituellen Blick in das Reservierungsbuch (das ansonsten leer war) bekamen wir ein Zimmer, nicht ohne die durchaus verständliche Bitte, die Schuhe vor der Teppichzone auszuziehen. Frau Marina Vltava hatte sich das Ostergeschäft wohl anders vorgestellt: Der Radweg Dresden-Prag führt direkt an der Pension vorbei, und auch die wasserseitige Anbindung war beachtlich. Wir hatten in der ganzen Zeit aber kein einziges Sportboot gesehen - mit Ausnahme von zwei Ruderbooten bei Leitmeritz - und nur einen einzigen Radfahrer mit Übernachtungsgepäck.


    Technische Daten: 27,2 km in 8:10h


    31.3.

    Beim Aufwachen am Morgen war es bedeckt, um genau zu sein: Der Himmel, nicht meine Füße. Die Bettdecke war nämlich wieder einmal zu kurz. Der Normtscheche der Bettwäscheindustrie ist offenbar nur 1,70m groß.

    Unser erstes Ziel war Kralupy, nur drei Kilometer weit südlich. Wir hatten in der Nacht etwas umdisponiert und beschlossen, von Kralupy aus nicht mehr den E10 am Fluss entlang zu laufen. Dort wären wir schon frühzeitig in den dicht besiedelten Speckgürtel Prags gekommen. Stattdessen wollten wir jetzt in Kralupy nach Südwesten abdrehen, die Burgruine Okor mitnehmen und dann über die westlichen Vororte nach Prag hineinlaufen. Die Gegend kannte ich nämlich auch schon aus meiner Prager Zeit.

    Mein Problem war nämlich: Ich hatte die zuständige Karte für den Großraum Prag-West zuhause vergessen. Zwar hatte ich meinen GPS-Zauberkasten dabei, und mit meiner "Wischfunke" (Dank an Kliku für dieses bezaubernde Wort) konnte ich auch Online-Wanderkarten abrufen. Aber das Hin- und Her-Scrollen plus Rein- und Raus-Zoomen erwies sich als extrem unkomfortabel für die Planung. Aus dieser Erfahrung heraus würde ich auch heute mehr denn je zuvor vom Verzicht auf großräumige Papierkarten abraten.

    • Die Kirche von Kralupy nad Vltavou.
    • Ausspülungen am Moldauufer.



    Den Weg nach Kralupy säumten nicht nur beeindruckende Ausspülungen des Kalkstein am historischen Moldauufer über uns, sondern auch einige Zugänge zum Bahntunnel, der nur wenige Meter hinter der Felswand verlief. Ich musste mich natürlich persönlich vom Vorhandenseins des Tunnels überzeugen. Kralupy selbst präsentierte sich immer noch als "aufstrebende sozialistische Stadt". Mit Ausnahme einer Kirche war die ganze Innenstadt bei einem amerikanischen Bomberangriff Ende März 1945 zu Bruch gegangen, und der sozialistische Städtebau hatte die Gesamtsituation auch nicht verbessert. Eisenhüttenstadt ist im Vergleich dazu ein städtebauliches Kleinod.


    Der Harem spielt mit dem Hahn Verstecken.


    Nachdem der Versuch gescheitert war, das Kartendefizit im Bahnhofskiosk und anderen stationären Verkaufseinrichtungen zu beheben, fügte ich mich in mein Schicksal. Durch das nur beschränkt bezaubernde Tal des Zakolansky potok ging es zunächst nach Zakolany. Dort begrüßte uns eine von der EU gesponsorte Kunstkonstruktion, und direkt daneben eine Statue des größten Sohns des Ortes: Antonin Zapotocky, Präsident der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik von 1953 bis 1957. Man muss etwas Verständnis für die Retroromantik von Zakolany mitbringen, denn außer zwei Bahnlinien, die sich hier kreuzen, aber nicht miteinander verbunden sind, hat der Ort nichts Besonderes vorzuweisen.



    • Antonin Zapotockys Denkmal kommt auch ohne Inschrift aus.
    • In diesem Haus wurde der "führende Vorkämpfer des Sozialismus" geboren. Die Gedenktafel ist bis heute ein staatlich geschütztes Denkmal.
    • Puderzuckerbestreutes Blendwerk der aggressivsten Kreise des Imperialimus unter dem Deckmantel der Religion.



    Das sieht auf der Hochfläche über Zakolany schon ganz anders aus: Hier liegt Budec, im Mittelalter Sitz eines mächtigen Stammes der Tschechen. An die großen Zeiten erinnert die Rundkirche (Rotunda), die angeblich aus der Zeit um das Jahr 895 stammt und damit das älteste erhaltene Steingebäude Böhmens darstellt. Ebenfalls angeblich erhielt hier der tschechische Nationalheilige, der Heilige Wenzel - Erfinder des gleichnamigen Platzes in Prag - seine Ausbildung. Gleich um die Ecke steht noch ein steinerner Tisch mit Hussitenkelch. Bis heute finden hier alljährlich national angehauchte Wallfahrten statt.



    • Die Rotunde von Budec.
    • Gegenüber die Fundamente einer weiteren Kirche (?).
    • Der Hussitentisch.



    Über Wege in unterschiedlichem Vermatschungszustand erreichten wir schließlich unser Zwischenziel Okor. Die Burgruine übertraf unsere Erwartung, der Trubel allerdings auch: Es war Mittelaltermarkt. Ich verstehe diese Begeisterung für Mittelaltermärkte nicht ganz, denn vor tausend Jahren war jeden Tag Mittelaltermarkt.



    Die Burgruine Okor...
    und zwei extrem ungeschickte Ritter, deren Hiebe stets den Gegner verfehlten




    Wir nutzten die Gelegenheit, in der Gaststätte am Fuß der Burg einige Millionen frittierte Fettmoleküle zu uns zu nehmen, und verließen wenige Meter später die Papierkarte. Zum Glück waren einen Tag vor dem Urlaub zwei Wechselakkus für meine Wischfunke angekommen, so dass ich ergänzend zum Zauberkasten hemmungslos auf Online-Karten zurückgreifen konnte. Die Online-Karten waren aber gar nicht so furchtbar notwendig: Der Wegverlauf nach Tuchomerice war simpel genug. Und Tuchomerice das gleiche langweilige Speckgürteldorf, das ich aus meiner Studienzeit in Prag in Erinnerung hatte.



    • Nein, der Fahrradlenker gehört nicht mir - aber einem Seelenverwandten.
    • Die Kirche von Male Cicovice.
    • Tuchomerice vom westlichen Ortseingang.



    Inzwischen war es Zeit für die Suche nach dem Nachtlager geworden, und regelmäßiges Rauschen über uns machte deutlich, dass mir eine Fehlkalkulation unterlaufen war: Hier verlief die Einflugschneise des Flughafens Prag. Die Flugzeuge flogen schon so niedrig, dass man die Farbe des Tomatensafts hinter den Fenstern erkennen konnte. Als Bewohner eines Hinterhauses in Berlin-Mitte war ich solchen Lärm nicht gewohnt. Frau November als Inhaberin eines Logenplatzes an der Einflugschneise nach Dresden zeigte sich deutlich gelassener. Mit Stöpseln war es dann auch kein Problem mehr für mich. Deutlich schwieriger hingegen war es, einen Platz für den Hühnerstall zu finden, der nicht gleich von einem der zahlreichen Hundekackwege im Wald oberhalb von Tuchomerice zu sehen war. Schließlich fanden wir einen Platz in einem dunklen Fichtenwäldchen. Weil der nächste Weg aber trotzdem nur rund 100 Meter weit entfernt war, baute ich einen optischen Schutzwall aus herumliegendem Geäst.


    Technische Daten: 27,4 km in 8:10h


    1.4.

    Die Nacht verlief wider Erwarten weitgehend ruhig. Das letzte Flugzeug nahm ich gegen 23 Uhr war, das erste am Morgen dann gegen 7 Uhr - da trieben mich aber schon "Flugzeuge in meinem Bauch" aus dem Schlafsack. Unerfreulicherweise war wieder einmal alles weiß eingepudert, aber natürlich kein "richtiger" Schnee, sondern nur so viel, dass man das Zelt zu Hause erst einmal zwei Tage zum Trocknen aufhängen muss.

    Über Nebusice ging es noch bei Sonnenschein durch die Schlucht der Divoka Sarka am westlichen Stadtrand von Prag. Hier begegneten wir zum ersten Mal seit Okor wieder "Wanderern". Während wir bei einem Prag-Besuch einige Woche zuvor am oberen Rand der Schlucht entlanggelaufen waren, liefen wir nun unten durch.




    Die Divoka Sarka von oben...
    ... und von unten.


    Weil wir beim Erreichen der ersten Straßenbahnlinie immer noch deutlich vor der Zeit, aber unter der 10-Kilometer-Marke lagen, drängte ich weiter in Richtung zum Jagdschloss Hvezda ("Stern"), dessen Name seinen Grund im Grundriss hat. Als wir uns den verschlammten Hangweg hochgekämpft hatten, sahen unsere Botten wieder so aus wie vor zwei Tagen. Oben angekommen, fing es dann auch bald an zu schneien. Wir verzichten nach der Durchquerung des Parks darauf, den Rest bis zum Hauptbahnhof zu laufen, sondern stiegen in die Straßenbahn. Auch wenn es sich irgendwie falsch anfühlt, eine solche Tour derart banal abzuschließen.




    • Obora Hvezda: Im Schnee begann die Ostertour, im Schnee endete sie.
    • Linie 18, Petriny-Vozovna Pankrac



    Technische Daten: 11,8 km in 3:05h
    Hier sollte eine GPX-Karte erscheinen! Wenn diese nicht nach wenigen Sekunden nachgeladen wird bitte die Seite aktualisieren.
    Angehängte Dateien
    Zuletzt geändert von Wafer; 28.11.2020, 22:36.
    Schutzgemeinschaft Grüne Schrankwand - "Wir nehmen nur das Nötigste mit"

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    #2
    AW: [CZ] "Plan C" steht nicht für "Couch": Zu Fuß in die Goldene Stadt

    Zitat von Pfad-Finder Beitrag anzeigen
    Gegenüber die Fundamente einer weiteren Kirche (?).
    Ja, die Marienkirche, kurz nach St Wenzeslaus Tod errichtet,
    möglicherweise zum Zwecke seiner Seelenmesse, zu einer Zeit da er noch nicht heilig war.
    Runde Zentralbauten scheinen die Tschechen damals schick gefunden haben,
    die Peter-Paul Rotunde war im übrigen Wenzels Vorbild für die große St. Veitsrotunde auf dem Hradschin
    (sie bestand aber nur bis ca. 1060, als man dort mit dem ersten Dombau begann)
    Für die vorliebe runder Kirchen in Tschechiens Frühzeit wird gerne auf karolingische Vorbilder verwiesen (Achen, Würzburg, Altötting ..., oder auf alte Baptisterien/Taufkirchen.

    PS:
    Vielen Dank für diesen, wie gewohnt, sehr schönen Bericht
    "Wärme wünscht/ der vom Wege kommt----------------------
    Mit erkaltetem Knie;------------------------------
    Mit Kost und Kleidern/ erquicke den Wandrer,-----------------
    Der über Felsen fuhr."________havamal
    --------

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      #3
      AW: [CZ] "Plan C" steht nicht für "Couch": Zu Fuß in die Goldene Stadt

      Zitat von Pfad-Finder Beitrag anzeigen
      Weil es Frau November nach einem Kaltgetränk dürstete, kehrten wir in der erstbesten Kneipe ein, die allerdings nicht als erstbest entpuppte, sondern entsetzlich verraucht.
      Das sollte hoffentlich bald ein Ende haben (Artikel).

      Den Říp muss man auch auf einer "keine Berge"-Tour mitnehmen. Ich habe dort mal meine Kinder hochgejagt.

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      • Pfad-Finder
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        #4
        AW: [CZ] "Plan C" steht nicht für "Couch": Zu Fuß in die Goldene Stadt

        Zitat von chrischian Beitrag anzeigen
        Das sollte hoffentlich bald ein Ende haben (Artikel).
        Nach Landessitte bedeutet das, dass nur noch auf der Toilette geraucht wird. Siehe Zugtoiletten.
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        • stoeps
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          • 03.07.2007
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          #5
          AW: [CZ] "Plan C" steht nicht für "Couch": Zu Fuß in die Goldene Stadt

          Herrlich – wie immer !!

          Vom Humor, Interessen und Schreibstil geschlossen, rate ich jetzt mal, dass Du Maschbau-Ing bist

          Der Radfahrer ist wahrscheinlich der Gründer der "Schutzgemeinschaft Fahrradarmaturenbrett – ich lasse mir nur wirklich wichtige Daten anzeigen"
          „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
          ― John Muir

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          • blauloke

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            #6
            AW: [CZ] "Plan C" steht nicht für "Couch": Zu Fuß in die Goldene Stadt

            Ohh, da habe ich doch bis jetzt glatt einen herrlichen Bericht von dir übersehen.
            Den habe ich jetzt zufällig gefunden.
            Zuletzt geändert von blauloke; 16.07.2020, 12:50.
            Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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