[FI] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

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  • Torres
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    • 16.08.2008
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    • Meine Reisen

    #21
    AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

    Ja, das Teil ist toll. Ich bin kein guter Fotograf, aber sogar ich sehe, dass die Motive ganz anders herüber kommen als mit meiner (auch gar nicht so billigen) Kleinknipse. Das macht schon Spaß. An den Bildern aus Lappland sieht man das später richtig deutlich.
    Erstaunt war ich, dass die Akkus so gut durchhalten. Selbst tiefe Temperaturen haben sie anstandslos überstanden, wenn man die Kamera zwischendrin mal in die Jacke gesteckt hat.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    • Torres
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      #22
      AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

      10.01.2013 Parola

      In der Nacht hat es ein wenig gefroren und die Bürgersteige sind glatt. Mit Bus 1 geht es zum Marktplatz und mit Bus 32 zum Bahnhof. Ich reserviere einen Platz, um mein Gepäck besser verstauen zu können. Das hat sich bewährt, denn es scheint so, dass die Finnen erst einmal alle Fensterplätze reservieren und erst dann die mittleren Plätze und ziemlich genau sehen können, wo noch Platz ist oder nicht. Dadurch habe ich immer das Glück, dass mein Rucksack auch in gut besetzten Zügen problemlos neben mir sitzen kann (wodurch ich ihn auch auf wieder auf die Schultern bekomme) und teilweise bekomme ich mit Hinweis auf mein Gepäck sogar einen Platz in der Nähe der Gepäckschränke zwischen den Abteilwagen. Die Reservierungen sind kilometerabhängig und kosten zwischen 2 und 7 Euro.
      In Koijola habe ich 3 Minuten Aufenthalt, muss aber den Bahnsteig wechseln. Immerhin gibt es einen Aufzug. Die Schaffnerin sagt dem Anschlusszug Bescheid, dass man dort nach mir Ausschau halten soll und als ich den Aufzug verlasse, kommt schon ein junger Mann und geleitet mich zum Zug. Das nenne ich Service.

      In Hämeenlinna schaue ich nach Inarijoen Peter, erkenne ihn aber nicht. Erst als er winkt, weiß ich, wo ich hin muss. Er nimmt mir Gepäck ab und lädt meine Sachen wie selbstverständlich in sein Auto. Wir fahren zu ihm nach Hause. Okay, warum nicht. Ich freue mich. Ich wollte schon immer mal ein finnisches Haus von innen sehen.

      In Parola machen wir erst einmal Hausbesichtigung.

      Eine echt finnische Sauna:





      Ein wunderbarer See und an dem Blauton sieht man endlich wieder das finnische Licht.





      Ein finnisches Haus.





      Und in der Küche ein schöner, gemütlicher alter Ofen.





      Nachdem er mir eine freie Topokarte für mein Navi kopiert hat, setzen wir uns in die Küche. Bald kommt seine Frau Reija dazu. Wir machen einen Schlafsacktest und er zeigt mir einen uralten ME Daunenschlafsack, der immer noch qualitativ hochwertig ist. Aber der war damals auch nicht ganz billig.
      Und dann sitzen wir zu dritt am Küchentisch und reden, reden und reden. Zwischendurch essen wir leckere Köstlichkeiten und irgendwann bekomme ich auch typische finnische Produkte für den Outdooreinsatz gezeigt. Dann reden wir weiter und die Zeit vergeht wie im Fluge. Als ich irgendwann auf die Uhr schaue, ist es schon halb fünf, aber mein Zugticket gilt ja den ganzen Tag. Gegen 18 Uhr will ich aufbrechen und da gibt es erst einmal leckeres Essen und wir essen zusammen. Peter muss mich ja schließlich zum Bahnhof fahren, alleine komme ich hier nicht weg. Und da der Tag so schön war, kann ich nun auch gleich über Nacht bleiben. Also unterhalten wir uns angeregt weiter. Gegen halb 2 Uhr pumpe ich endlich die DownMat auf und mache es mir in der Küche gemütlich. Ein schöner Tag. Nur selten findet man heute noch Gesprächspartner, die Spaß daran haben, sich zu unterhalten, ohne irgendwann den Fernseher oder den PC anschalten zu müssen. Vielen Dank für die Einladung, Peter und Reija.


      11.01.2013 Tampere

      Am nächsten Morgen sitzen Eisangler auf dem See. Kaum zu glauben, dass das Eis trägt. Im letzten Jahr waren die Seen um diese Zeit noch offen. Inarijoen Peter zeigt mir, was man auf dem Eis immer dabei haben sollte: Es sind zwei Handgriffe mit einer Spitze, mit der man sich aus dem Eis ziehen kann, wenn man einbricht. Ich werde mir später dieses Modell besorgen. Klick

      Der Blick über den See beeindruckt mich tief. Als ich in den nächsten Tagen finnische Bücher lese, sind Schilderungen von Häusern am See immer in Parola angesiedelt. Übrigens hat sich durch meinen Besuch bei Peter und Reija noch etwas geändert: Ohne es zu merken, habe ich plötzlich die Ausspracheregeln finnischer Ortschaften begriffen. Mit einem Mal verstehen die Leute, wo ich hin will und wo ich herkomme und selbst die Namen finnischer Schriftsteller gehen mir plötzlich wie von selbst von den Lippen.

      Wieder hilft mir Peter beim Tragen des Gepäckes und ich glaube ihm an zu sehen, dass er mich für verrückt hält, so viel Zeug zu schleppen. Er hat ja Recht. Gemeinsam warten wir auf den Zug. Am Nachmittag erreiche ich Tampere. Die Jugendherberge Dream Hostel ist in Laufdistanz, aber doch weit genug, dass ich merke, dass meine Arme immer länger werden. Den Schlitten aus zu packen ist leider keine Option. Auch hier ist wenig Schnee auf den Bürgersteigen und wenn welcher da ist, verschwindet er unter Granulat. Ich muss ein paar Mal absetzen, zumal ich noch einen Umweg laufe. Eine architektonisch interessantes Gebäude - es ist die Tampere Hall - wirbt mit der Oper „Madame Butterfly“. Ob das heute statt findet? Ich checke im Hostel ein und bekomme wieder ein Bett. Diesmal teile ich das Zimmer mit finnischen Mitbewohnern.

      Ich gehe zu der Kongresshalle. Heute wird Mozart gespielt. Ich sage, ich werde es mir überlegen. Zunächst gehe ich zu Stockmann, um Mineralwasser zu kaufen. In Finnland habe ich immer unglaublichen Durst auf Mineralwasser. Keine Ahnung, wieso. Ich betrete das Kaufhaus und irgendwas schiebt mich in Richtung Kofferabteilung. Mein Unterbewusstsein vermutlich. Es denkt: Vielleicht haben die ja Rollwagen. Neben der Kasse stehen auf einem Podest drei nett angeordnete gleichfarbige Rollwagen. Kosten? 20 Euro das Stück. Wie viel Gewicht kann man damit transportieren, frage ich die nette Verkäuferin. Also mehr als 20 kg sollten es nicht sein, sagt sie. Das reicht für mein Gepäck.
      Mein Unterbewusstsein entwendet mir mein Portemonnaie und der Rollwagen gehört mir. Zwei Jahre Garantie, erklärt mir die Verkäuferin. Ich schaue die Verkäuferin an und sage, ich glaube, wenn er kaputt geht, werfe ich ihn einfach weg. Sie grinst. Dann frage ich sie, ob ich das wirklich gerade getan habe. Diesen Rollwagen in DIESER Farbe zu kaufen? So kann ich mich doch nirgends blicken lassen. Zwei weitere Verkäuferinnen lachen sich schlapp und die lachende Verkäuferin meint milde: „Daher der Preis!“ Sie hat ja Recht. Für die originalen 40 Euro hätte ich es mir bestimmt überlegt. Die Farbe ist einfach peinlich. Ich grübele, ob hier meine britische Ader wieder durchgeschlagen hat. Aber das Ziehen des Rollwagens fühlt sich gut an. Und tatsächlich – er wird meine letzten Probleme lösen. Meine Ausrüstung ist komplett.

      Und nun wollen einige Leute vermutlich wissen, wie das Teil aussieht. Okay. Aber nur, wenn niemand lacht. Das Foto ist von übernächsten Tag.

      Tötö – Tusch. Dat isser:





      In der akademischen Buchhandlung erwerbe ich zwei finnische Bücher auf Deutsch. Eines ist von Leena Letholainen und ich werde später feststellen, wie anders man finnische Bücher liest, wenn man die Orte kennt, an denen sie spielen.

      Als ich am Hostel ankomme, strömen die Konzertgäste in die Halle. Spontan überlege ich mir, doch Mozart an zu hören. Doch das Konzert ist ausverkauft. So mache ich einen Spaziergang in dem benachbarten Park. Zwei junge Männer, vermutlich Studenten, laufen unter dem tosenden Applaus ihrer Freunde in der Badehose durch den Park. Woanders stehen junge Leute und machen eine Privatdisko auf. Es ist Freitag und erheblich kälter als in Turku. Angenehm kalt. Ich freue mich auf Lappland.

      Der Park entpuppt sich als Skulturenpark und der See ist zu gefroren. Aber auf das Eis traue ich mich nicht. Bei Gewässern, die ich nicht kenne, bin ich vorsichtig. Die Halle erstrahlt in hellem Licht. Eine tolle Architektur. Die Architekten heißen Sakari Aartelo und Esa Piironen.




















      Im Hostel habe ich Internetzugang und recherchiere auf der Seite des Hotel in Saariselkä, das mir Inarijoen Peter empfohlen hat. Wenn ich eine Woche bleibe, kostet das Zimmer inklusive Frühstück 36 Euro pro Tag. Das ist für Lappland nicht viel. Die Jugendherberge in Kilopää ist auch nicht sehr viel billiger, aber sehr abgelegen. Hiervon hatte mir Peter abgeraten, weil man dort schlecht weg kommt und keine Infrastruktur vorhanden ist. Spontan rufe ich in Saariselkä an und frage nach einem Zimmer. Ich habe Glück und buche sofort.
      Da der Sonderpreis von Montag bis Montag gilt, werde ich mir morgen Tampere anschauen und am Sonntag nach Rovaniemi reisen. 8 Stunden Zugfahrt erwarten mich an diesem Tag. Am Montag wird mich dann ein Express Bus in ca. 3 ½ Stunden nach Saariselkä bringen.
      Zuletzt geändert von Torres; 06.04.2013, 22:09.
      Oha.
      (Norddeutsche Panikattacke)

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      • Plautze
        Erfahren
        • 02.12.2011
        • 398
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        #23
        AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
        Aber nur, wenn niemand lacht.
        Ich hab nicht gelacht, ich schwöre. Aber ich bin gespannt auf die Probleme, die das Teil lösen konnte!

        Gruss, Plautze

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        • Torres
          Freak

          Liebt das Forum
          • 16.08.2008
          • 30705
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          #24
          AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

          12.01.2013 Tampere

          Am Morgen ist das Wetter angenehm. Es dürfen so um die – 10 Grad sein. Ich entschließe mich, zum Fernsehturm zu laufen. Das hatte mir die Touristik Information geraten. Die Stadt ist für einen Samstag relativ leer und ich muss mir wieder vor Augen halten, dass in Finnland im Verhältnis zur Größe des Landes kaum Menschen leben. 5,5 Millionen sind es nun, wir eine Zeitung euphorisch berichten wird. Aufgrund von Zuwanderung. Tampere ist die drittgrößte Stadt und hat ungefähr 220.000 Einwohner. Der Bezirk, in dem ich lebe, ist größer. Übrigens ist Tampere Partnerstadt von Essen und Chemnitz.

          Ich laufe die Haupteinkaufsstraße entlang und passiere das TT Theater und die Alte Kirche. Das Rathaus dient nur noch repräsentativen Zwecken.





          Kurz wärme ich mich im gewohnten Outdoorgeschäft auf und erwerbe Merinohandschuhe mit Touchscreen Fingern. Sie sind als Geschenk gedacht, werden mir aber selbst noch gute Dienste leisten. Dann biege ich rechts ab. Auf einer breiten Fußgängerpromenade geht es weiter.








          Der Fernsehturm steht in einem Freizeitpark. Die Attraktionen sind im Winter verwaist, nur der Turm ist geöffnet. Der Zugang ist nicht so einfach, denn aufgrund des Schnees kann ich nicht erkennen, wo der Weg ist. 2 Menschen laufen auf dem See. Kann man das wirklich gefahrlos? So ganz überzeugt bin ich nicht.








          8 Euro kostet der Eintritt, es sei denn, man besucht das sündhaft teure Restaurant. Der Turm erinnert mich an den Hamburger Fernsehturm, der schon seit Jahren für den Publikumsverkehr geschlossen ist, weil sich der Betrieb nicht rentiert. Sie sind ungefähr zur gleichen Zeit entstanden, der Hamburger Turm 1968, der Turm in Tampere 1971. Der Ausblick ist das Geld wert.














          Auf dem See befindet sich eine Schlittschuhbahn. Anscheinend ist er frei gegeben.








          Ich stromere ein wenig auf den Gelände herum und erklimme einen Aussichtspunkt, finde aber keinen Zugang zu dem See. Dafür breche ich mir fast das Bein, als ich im gefrorenen Tiefschnee das Gleichgewicht verliere. Aber es ist nichts passiert.











          Ein Kunstmuseum lockt, aber ich kann bei so einem Wetter nicht drin bleiben. Langsam gehe ich den Weg wieder zurück und kämpfe mich über einen ungeräumten Parkplatz. Der Fußgängerweg wurde vom Schneepflug verschüttet. Die Autos und Reisebusse in der Nähe lassen den Motor laufen. Die Fahrer sind nicht zu sehen. Glückliches Finnland.

          An der Schiffstankstelle finde ich einen Zugang zum See.





          Der Schnee blinkt in der Sonne diamantengleich und hat eine gleichmäßige Oberfläche. Ich kann mich nicht satt sehen.





          Einen kurzen Moment bereue ich, Saariselkä bereits gebucht zu haben. Hier in der Nähe sind ebenfalls Wanderwege. Vielleicht sollte ich meine Tour hier fortsetzen? Oder den See überqueren? Zu spät. Leider.








          Vor mir taucht eine feuchte Stelle auf. Vorsichtig laufe ich weiter, höre aber, dass das Eis Geräusche macht. Ich muss mir dringend die Ice Claws kaufen, von denen Peter gesprochen hat. Plötzlich fühle ich mich auf dem Eis nicht mehr sicher. Vermutlich ist es nur Einbildung, aber der Nachteil eines zunehmenden Lebensalters ist nun einmal, dass man schon viel gesehen hat. Außerdem wird die Sonne gleich unter gehen und ich weiß nicht, wie schnell es hier dunkel wird. Langsam wandere ich wieder zurück.





          Ich nehme den gleichen Weg wie auf dem Hinweg. Die Sonne färbt die Häuser rotgolden. Als ich die Skulptur fotografiere, sehe ich, dass ich erneut meinen Objektivdeckel verloren habe.





          Ich muss fast die ganze Promenade zurück laufen, bis ich ihn im Schnee liegen sehe. Bei Lidl kaufe ich Batterien für das Navi. Es sind die gleichen wie in Deutschland, nur dass sie doppelt so teuer sind. Der Besuch ist aufschlussreich. Frisches Hähnchenfleisch ist durchgehend mariniert, es gibt viel mehr Salami und andere Sorten Lachs und auch die Blutwurst fehlt in deutschen Regalen. Die Aufteilung des Ladens ist gleich.

          In der Nähe der Brücke werden die Alte Kirche (1824) und das TT Theater sowie die gegenüberliegenden Häuser von rosefarbenen Fabrikwolken umschmeichelt. Es sind angenehme – 12 Grad.








          Ich suche einen Rückweg, der mich nicht durch die Bahnhofspassage führt und quere ein Einkaufszentrum.








          So komme ich an der orthodoxen Kirche von Tampere heraus. Sie ist kleiner als die Kirche von Helsinki, aber der Stil ist ähnlich.





          Auf der Eisenbahnbrücke leuchtet der Himmel in wunderbaren Farben und nun freue ich mich doch auf Lappland.





          Das Gebäude der Universität von Tampere strahlt wie Eis.





          Noch weiß ich nicht, dass sich in meinem Zimmer eine schnarchende Säge einquartiert hat, die 14 Stunden durchschlafen wird. Irgendwann stelle ich die auf meinem Handy gespeicherte Musik auf volle Lautstärke, um überhaupt schlafen zu können. Wie gut, dass genug Lieder abgespeichert sind.
          Zuletzt geändert von Torres; 29.01.2013, 20:04.
          Oha.
          (Norddeutsche Panikattacke)

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          • Alprausch84
            Fuchs
            • 12.02.2012
            • 1610
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            #25
            AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

            Abgesehen von der Qualität, bin ich immer wieder überrascht in wie kurzer Zeit du diese Mengen an Text fabrizierst. Grossartig!

            Und natürlich das übliche "Danke für den tollen Reisebericht!".

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            • Torres
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              • 30705
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              #26
              AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

              13.01.2013 Rovaniemi

              Am Morgen strafe ich die Säge mit Verachtung und verlasse das Hostel früh. Mein Rollwagen ist mit der Futtertasche, den Thermoskannen und den Schneeschuhen bepackt und bewährt sich schon auf den ersten Metern. Ohne Mühen und Kraftaufwand erreiche ich den Bahnhof. Als der Zug kommt, stelle ich fest, dass auch das Einsteigen viel leichter geht als vorher. Ich hätte so etwas schon in Turku kaufen sollen. Langsam kann ich verstehen, warum Rentner damit ihre Einkäufe transportieren. Ich parke den Rollwagen in dem dafür vorgesehenen Gepäckschrank. Im Zug habe ich Internet und surfe ein wenig auf ods, bis die Verbindung abbricht. Später werde ich feststellen, dass dieser Zug ganz schön teuer ist. Die Fahrt hätte mich ab Tampere regulär 89 Euro gekostet. Mein Interrailticket lohnt sich.

              Gegen halb 4 erreiche ich Oulo. Hier muss ich umsteigen und es dauert etwas, bis ich kapiere, dass der Zug nicht einfährt, sondern vor dem Zug steht, den ich gerade verlassen habe. Anderen geht es genau so und wir hetzen zu dem richtigen Zug. Wieder bin ich froh, den Rollwagen zu haben. Leider ist der Zug sehr alt und der Einstieg eng und steil, dass ich kaum mit dem Rucksack rein passe. So brauche ich Geschicklichkeit, um dann - nachdem ich mich umgedreht habe - den Rollwagen 3 Treppen hoch zu wuchten. Aber vorher war das nicht einfacher, im Gegenteil. Da habe ich erst die Einzelteile in den Zug geworfen und damit den Eingang so versperrt, dass ich selber nicht mehr rein kam und jemand anderes helfen musste.

              Viertel vor sechs bin ich in Rovaniemi. Der Boden ist mit einer dichten Schneedecke bedeckt und auch hier leistet der Roller gute Dienste. Dennoch packe ich den Schlittten aus. Der Rollwagen passt perfekt darauf. Dann noch die Schiebelehne drauf legen und das Ganze gut verzurren. Der Rucksack mit der Kamera bleibt in meiner Hand. Und schon wandere ich fröhlich durch Rovaniemis Straßen. Manchmal ist es doch ganz schön, wenn man sich bereits aus kennt.





              In der Fußgängerzone liegt Granulat und der Schlitten kratzt wieder etwas. Es sind – 12 Grad. Ich ziehe den Schlitten schwungvoll auf der Behindertenzufahrt des Hotels hinter mir her, aber durch meinen Rucksack gerät er zu weit nach außen und stürzt ab. Mein Rollwagen! Aber es ist nichts passiert. Ich buche ein Zimmer im Hostel Rudolf. Ein Bett kostet 50 Euro. Ein Zimmer kostet 56 Euro. Ich bin sprachlos. Ich nehme also ein Zimmer und mit Rabatt bin ich dann bei knapp über 50 Euro. Trotzdem: Ganz schön fetter Preis.

              Ich rufe die ODS Hotline an und stelle mich auf den Lordi Square. Ein Mann schließt gerade das Häuschen seines Weihnachtsschmuckstandes und weiß sofort, was ich suche: Die Webcam. Er zeigt mir, wo sie ist und tatsächlich: Ich werde gesehen. :-)

              Der Weihnachtsbaum, den ich dank der webcam schon seit Dezember kenne, ist noch geschmückt. Schnell ein Foto machen. Tatsächlich wird er den nächsten Morgen in der Frühe abgebaut. Davor stehen Eisfiguren.








              Dennoch: Es liegt kaum Schnee hier. Im letzten Jahr waren hier Berge geräumten Schnees aufgetürmt, aber in diesem Jahr sieht man fast nichts.





              Ich beziehe mein Zimmer und koche mir schnell etwas. Die Bilder der Nordlichter des letzten Jahres kommen mir wieder ins Erinnerung und es ist, als würde ich sie noch einmal sehen. Und als ich aus dem Fenster schaue, weiß ich, dass es wirklich Nordlichter waren.

              Ich bummele durch die Stadt und suche meine Lieblingsbrücke. Aber der geheimnisvolle Nebel des letzten Jahres fehlt – der Fluss ist beinahe zugefroren. Und das Schiff fehlt.








              Auch an der Promenade ist kaum Schnee zu entdecken. Zwar ist eine feste Schneedecke vorhanden, aber im letzten Jahr waren die Sitzbänke reichlich von Schnee bedeckt. Entweder hier wurde sorgfältig geräumt oder der Winter ist schneeärmer als der letzte Winter. Dafür leuchten die Farben der Lampen und Lichter der Fußgängerzone wunderbar. Die Anzeige zeigt immer noch – 12 Grad.








              Am Einkaufszentrum sind wieder die Lichtspiele. Die Zahl der glitzernden Flächen variiert. Ich könnte stundenlang zuschauen.





              Morgen fahre ich in den Norden Lapplands. Wird es in der Gegend den ganzen Tag dunkel sein? Eine Frau hat mir erzählt, dass es dort schon lange wieder hell ist. Und die Tage jeden Tag viereinhalb Minuten länger werden. Ich werde es erfahren.
              Zuletzt geändert von Torres; 29.01.2013, 22:06.
              Oha.
              (Norddeutsche Panikattacke)

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              • peter-hoehle
                Lebt im Forum
                • 18.01.2008
                • 5175
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                #27
                AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                Danke schön. Ich kann vorweg sagen, das wird alles noch viel interessanter.....
                Da bin ich mal gespannt auf die Fortsetzung.

                Gruß Peter
                Wir reis(t)en um die Welt, und verleb(t)en unser Geld.
                Wer sich auf Patagonien einlässt, muss mit Allem rechnen, auch mit dem Schönsten.

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                • Torres
                  Freak

                  Liebt das Forum
                  • 16.08.2008
                  • 30705
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #28
                  AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                  Bevor es ins Licht geht:

                  Ich habe soeben die Beiträge der Wanderung editiert und noch ein paar Bilder eingefügt. Irgendwie hat mein Fotoprogramm die unterschlagen. Sogar zwei Bilder vom Anfang der Strecke gibt es. Ich hätte schwören können, dass ich dort nicht fotografiert habe. Da hat mir meine Erinnerung einen Streich gespielt. Zwar verändern die neuen Bilder nicht Inhalt, aber vielleicht wundert sich ja jemand darüber, dass es Bilder gibt, die gestern noch nicht da waren.


                  Hier die Anfangsbilder:





                  Oha.
                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                  • hosentreger
                    Fuchs
                    • 04.04.2003
                    • 1406

                    • Meine Reisen

                    #29
                    AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                    Hallo Torres,

                    habe jetzt alles bis hier "in einem Rutsch" gelesen (passend zum Schlitten, nicht zur Rollkarre). Sehr schön - wie immer Deine Berichte.
                    Bin außerdem mal gespannt, wann Du Deiner Ausrüstung noch ein paar Flügel - oder für den Sommer wenigstens ein paar Schwimmärmchen - hinzufügst. Oder ein Segel für die Schlittenfahrt über den zugefrorenen See.
                    Der Gedanke kam mir, als ich Deine Beschreibung des Fernsehturmbesuchs gelesen habe.

                    Bin schon auf die Fortsetzung und die Bilder gespannt!

                    Gruß von der Saarschleife (im Moment +12 Grad)
                    hosentreger
                    Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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                    • PWD
                      Fuchs
                      • 27.07.2013
                      • 1313
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #30
                      AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                      Wie immer beeindruckender Fotobericht, Torres! Ich bekomme Lust, obwohl es mich eigentlich stets eher Richtung Süden zieht.

                      Sag mal, willst Du nicht vielleicht doch der Fraktion der Wanderanhänger beitreten?
                      Warum? Rucksack und Schlitten und Rollwagen. Mit den Wanderanhängern od. wie man sie auch nennen mag, geht das alles in einem; sogar als Fahrradanhänger.
                      Ein Freund war mit seinem selbst gebauten Gerät Ende letzten Jahres nördlich Umeå und hat sich Babyski, die Spitzen von ausrangierten LL-Skiern, unter die Räder geschnallt (ich glaub´sogar einfach gesteckt).
                      All in one; nix schieben, nix (mit der Hand) ziehen, immer frei beweglich und wenn erforderlich auch zu schultern...

                      Gruß,
                      Joachim

                      Kommentar


                      • Torres
                        Freak

                        Liebt das Forum
                        • 16.08.2008
                        • 30705
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #31
                        AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                        Danke, hosentreger. Du hast Recht. Es gibt noch viel Kreativpotential Hier regnet es übrigens in Strömen. Ich kriege gerade einen Kulturschock. Daher schreibe ich auch so schnell.

                        @PWD
                        An Dich habe ich unterwegs sogar gedacht. Hattest Du nicht sogar mal einen Rollwagen dabei? Oder verwechsele ich das? Irgendwas spukt mir da im Kopf herum.

                        Aber ich liebe flexible Systeme. Ihr werdet bald lesen, warum meine Idee mit dem Schlitten einfach nur gut war.

                        So. Weiter geht es.
                        Oha.
                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                        • Torres
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                          Liebt das Forum
                          • 16.08.2008
                          • 30705
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #32
                          AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                          14.01.2013 Saariselkä. Die erste Nacht. 2,3 km.


                          Am Morgen stehe ich früh auf. Ich habe wunderbar geschlafen. Als wäre ich zu Hause. Mein Klapprodel ist schnell gepackt und so geht es zum frühstücken ins Hotel. Mein Gepäck kann ich dort unterstellen.





                          Der Tannenbaum wird von seinen Lichtern befreit.





                          Ich schaue in dem Souvenirgeschäft vorbei und die Frau hinter dem Tresen erkennt mich sofort. Wir unterhalten uns wie alte Bekannte. Sie hat schöne neue Produkte, aber ich habe keinen Platz im Gepäck. Gut für meinen Geldbeutel. Wir tauschen e-Mail Adressen aus.
                          Anschließend gehe ich zur Touristen Info und frage sicherheitshalber noch mal nach dem Bus. Peter hatte mir eine Verbindung ausgedruckt, die um 17.00 Uhr in Rovaniemi los fährt und gegen 20.30 Uhr ankommt. Tatsächlich gibt es aber noch weitere Verbindungen und ich kann mit dem Express Bus fahren, der gegen 12.00 Uhr los fährt. Das passt mir gut, denn viel kann man in Rovaniemi an einem halben Tag nicht machen. Ich hole mein Gepäck und laufe zum Busbahnhof in der Nähe des Bahnhofes. Eine Frau kommt mir mit ihrem Skischlitten entgegen (ich weiß nicht, wie die Geräte heißen), ein Mann fährt Ski und andere haben Stöcke dabei. Ich falle nicht auf, mit meinem Schlitten. Kinder spielen lärmend im Schnee.

                          Am Parkplatz vor dem Busterminal sehe ich das erste Mal die Stromanschlüsse, mit denen die Batterien am Leben gehalten werden.





                          Der Bus steht schon bereit (ganz rechts).











                          Beim Einladen rutscht der Spanngurt nach hinten und die Ladung liegt schief, aber mein Gepäck wird heil ankommen.





                          Im Bus befinden sich außer mir eine dreiköpfige englischsprachige Familie, 4 Finnen und 12 Asiaten. Im Sommer fährt der Bus in Richtung Nordkap nach Karasjok (norwegische Finnmark). Im Winter bis Ivalo. Das Ticket für die Hin- und Rückfahrt kostet 85 Euro. Es liegen ungefähr 260 km Busfahrt vor mir.





                          Der Bus fährt am Dorf des Weihnachtsmannes vorbei und hält am Flughafen. Dann geht die Fahrt über die fast schnurgerade Landstraße Richtung Norden. Der ganze Tag war grau in grau, aber urplötzlich erscheint die Sonne und die Landschaft zeigt sich in faszinierendem Licht.










                          Viele Fahrgäste beachten das Schauspiel gar nicht, sie lesen oder dösen. Nur ein japanisches Ehepaar in meinem Alter und ich lassen sich keinen Moment entgegen. Und ich überlege, ob Outdoorer sein wirklich etwas mit der Aktivität zu tun hat. Ich glaube, es ist eine anderen Form der Wahrnehmung, die nicht an die Aktivität gebunden ist. Es gibt Menschen, die wandern und sehen nichts. Und es gibt Menschen, die fahren Auto und nehmen alles wahr.







                          Die Landschaft ist menschenleer. Ab und zu sieht man ein paar verstreute Gebäude und alle 30 oder 50 km mal eine kleine Ansiedlung. Sind es mehr zwanzig Häuser, ist die Ansiedlung schon groß. Zu Fuß kommt man hier nicht weg. Ich erinnere mich an das Gespräch mit Peter, der den Kopf geschüttelt hatte, dass so viele Deutsche nach Urlaub in abgelegenen Hütten fragen. Einsame Hütten sind in Finnland wirklich einsam. Vor allem im Winter. Damit muss man erst einmal klar kommen. Ich verstehe langsam, was er meint. Mit Deutschland ist dieses Land nicht vergleichbar. Hier hat Einsamkeit ein völlig andere Bedeutung.

                          Der Bus macht in Sodankylä Pause, um Pakete aus- und ein zu laden. Der Hysterien hervorrufenden Schuhhändler ist mit mehren Paketen dabei. Vor der Tür steht einer der Skischlitten, deren genaue Bezeichnung ich nicht kenne. Nach einer halben Stunde geht es weiter.











                          Ein Rentier steht auf der Straße und der Bus hupt es weg. Am Rande finden sich Rentierzäune. Mehrere Passagiere steigen in Kakslautanen aus und ich frage mich, was sie an diesem abgelegenen Platz unterrnehmen wollen. Später sehe ich, dass das Hotel ein Santa Hotel mit allem Drum und Dran ist. Elfen und so. Gläserne Iglus, in denen man schlafen kann und von denen aus man die Nordlichter sehen kann, wenn es sie gibt. Eine perfekte Marketingmaschinerie.





                          Mein Hotel heißt Panimo oder Saariselkä Inn.





                          und ist ein Pub und einen Brauerei zugleich. Ich checke ein. Es ist 16.00 Uhr. Die Hotelzimmer sind in mehreren Nebengebäuden untergebracht. Das Zimmer ist geräumig, das Bett für meinen Geschmack zu weich und zu schmal, aber der Ausblick in den verschneiten Garten ist schön. Ich werde mich hier wohlfühlen. Vor der Tür steht der Wagen der Santa-Kette und der Fahrer fährt ein paar Mal kurz in der Gegend rum und kommt immer wieder. Der Pub ist lokaler Treffpunkt des Ortes.



                          Ich beschließe, den Ort zu erkunden. Es gibt einen größeren Supermarkt, der angenehm chaotisch ist und noch nicht marketingtechnisch optimiert wurde, ein Geschäft von Partioaitta, das ich gleich besuche, um endlich die Ice Claws zu kaufen, die ich in Tampere vermisst habe und einen kleineren Lebensmittelladen an der Touristik Information. Ein paar Souvernirläden gibt es auch noch. Dazu mehrere Restaurants, eine Tankstelle, den Pub und einen Grill-Imbiss. Und mehrere große Hotels. Dazu Hütten und Häuser. 311 Einwohner. In Deutschland würde man sagen: Ein Nest. In Finnland ist das ein bedeutender Wintersportort. Hier gefällt es mir.

                          Der Supermarkt und im Hintergrund der Schornstein, dessen Bedeutung ich bisher nicht herausgefunden habe:





                          Ich gehe zur Touristik Information und hole mir einen Stadtplan. Ich frage nach Tourenmöglichkeiten für Wanderer, aber die meisten Wanderwege sind jetzt Loipen und dort ist wandern verboten, weil die Skifahrer zu schnell sind und man Unfälle vermeiden will. Die Scooterspuren sind sowieso tabu. Zwei Wanderwege gibt es: Einen auf den Kaunispää und einen in Richtung Süden. Und einen Schneeschuhtrail.
                          Ich frage, ob man irgendwohin eine Tour mit Zeltübernachtung machen kann und sie erklärt mir leicht genervt, dass Zelten im Nationalpark nur auf den erlaubten Plätzen möglich ist. Ohne Skier kommt man dort nicht hin. Das erste Mal nehme ich bewusst wahr, dass Saariselkä direkt am Urho-Kekkonen Nationalpark liegt. Er ist laut wikipedia ungefähr so groß wie Luxemburg und der zweitgrößte Nationalpark Finnlands.
                          Zuletzt frage ich nach Nordlichtern. Sie empfiehlt mir, auf den Kaunispää zu gehen. Eine andere Stelle befindet sich 2 km von hier an der Landstraße auf einem Parkplatz. In der Stadt ist es zu hell dafür. „Ist heute ein guter Tag dafür?“ Sie schaut auf ihren Monitor und bejaht. Heute wird der Himmel wolkenlos sein.

                          In meinem Zimmer steht ein Wasserkocher und ich bereite mir ein Trekkinglunch zu. Dann denke ich scharf nach. Ich habe keine Ahnung, wie es auf dem Hügel aussieht. Welche Bedingungen dort herrschen. Vielleicht wird mir kalt? Oder ich werde müde? Der Tag war lang. Ich entscheide mich, den großen Rucksack samt Zelt mit zu nehmen. Die DownMat fliegt raus, dafür kommt der Kocher rein. Der Schlitten kommt mit. Als Sitzgelegenheit ist er immer geeignet.

                          Ich stelle mein Navi an und versuche den Weg zu entdecken, den mir die Frau der Touristik Info eingezeichnet hat. Ich laufe die Straße herunter und setzte mich probehalber an einem leichten Gefälle auf meinen Schlitten. Aber mit Rucksack bin ich wohl zu schwer, er kommt nicht in Schwung. Am Ende der Straße sehe ich Loipen und ein eingezäuntes Gelände. Vielleicht einen Abfahrtsstrecke? Ein Wanderwegpfeil zeigt nach oben und ich laufe ein kurzes Stück am Zaun entlang, aber als der Weg auf der Piste weitergeht, kommen mir Bedenken. Vielleicht ist der Weg ein Stück weiter. Mein Navi zeigt dort einen Weg. Tatsächlich finde ich Fußgängerspuren. Der Schnee ist knöcheltief und pulverig. Hätte ich die Schneeschuhe mitnehmen sollen? Aber zurückgehen will ich nicht. Der Schnee wird tiefer und das Gehen anstrengender. Ich bemerke, dass die Spur anderer Wanderer vor mir kleiner geworden ist und dann dreht auch noch der letzte Wanderer um. Na klasse. Die berühmte Sackgasse. Ich stapfe trotzdem weiter. Da oben muss ein Weg sein, das sehe ich im Navi. Der Schnee wird noch einmal tiefer und ich pflüge mich den letzten steilen Absatz durch den Schnee. Wieder einmal mobilisiere ich ungeahnte Kräfte und frage mich, wie ich es immer wieder schaffe, mich innerhalb kürzester Zeit in Schwierigkeiten zu bringen. Eine letzte Klippe, bei der ich die Hände zu Hilfe nehmen muss, aber dann bin ich oben. Ein Skitrail mit Fußspuren empfängt mich. Immerhin. Er ist nicht beleuchtet.

                          Ich biege links ab. Da irgendwo in dieser Richtung muss die Piste sein, die so angenehm fest war. Ich glaube nicht, dass jetzt noch so viel los ist. Tatsächlich liegt die Piste kurz darauf vor mir und ich stapfe weiter. Laut Navi muss ich richtig sein, sie deckt sich mit dem Wanderweg, der in dem Stadtplan der Tourist Information eingezeichnet ist. Ich habe die Stirnlampe dabei, aber zunächst ist es recht hell dort. In der Nähe sind Häuser und strahlend leuchtet der Ort im Tal. Der Weg macht einen Biegung und es wird dunkler. Ich mache die Stirnlampe an, um zu sehen, wo ich hinlaufe. Der Himmel ist sternenklar. Aus der Ferne ertönt ein Poltern und jauchzende Schreie. Es scheint von oben zu kommen. Was ist das? Ich mache instinktiv die Stirnlampe aus und springe sicherheitshalber in den Tiefschnee neben der Piste. Etwas Undefinierbares saust in hoher Geschwindigkeit an mir vorbei und verschwindet im Tal.

                          Einen Moment bin ich verwirrt und dann fällt der Groschen. In Tampere hatte ich am Frühstückstisch in Katalogen geblättert. Auch ein Prospekt war dabei. Ein Berg war eingezeichnet. Rechts ein Skilift und links daneben Skipisten. Und ganz links? Ganz links war: Eine unglaublich lange Rodelbahn. Ich laufe gerade die Rodelbahn hoch! Ich drehe mich um und starre meinen Schlitten an. Das bedeutet, ich kann heute Abend womöglich ins Tal fahren. Ich laufe weiter und nun sehe ich auch, dass mehrere Bäume mit dicken Polstern versehen sind, um Rodler vor Unfällen zu schützen.

                          Hinter mir höre ich Stimmen. Zwei andere Wanderer sind ebenfalls unterwegs, werden aber später umkehren. Die Strecke wird nun steiler. Eine Kurve ist durch Seitenwände geschützt. Die Bäume stehen nun nicht mehr so dicht und durch den Schnee dazwischen wird es heller, so dass ich die Lampe ausmachen kann. Und dann habe ich plötzlich das Gefühl, als würde ich in direkt in den Himmel hinein laufen. Die Sterne funkeln und sehen zum Greifen nah aus. Ein wahnsinniges Gefühl, das ich nie vergessen werden. Einige Momente bleibe ich stehen und schaue einfach nur in den Himmel. Die Luft ist klar und irgendwie anders. In der Ferne leuchtet das Licht an der Spitze des Sendeturmes. Dann versuche ich ein Foto, aber es gelingt mir nicht. Ich hatte vorgehabt, mit der Kamera zu üben, aber es doch nicht getan. Das rächt sich nun. Aber kann man so einen Moment wirklich fest halten? Nein. Man muss ihn erleben.


                          Um halb neun komme ich auf dem Gipfel an. Es ist die Rodelbahn. 1,2 km lang ist sie eine der längsten oder sogar die längste Rodelbahn Finnlands. Ein Stativ habe ich nicht dabei, wie man auf dem folgenden Bild sieht.





                          Auf dem Kaunispää weht ein scharfer Wind. Ich hatte mir vorgestellt, mir einen ruhige Ecke zu suchen und mein Zelt auf zu stellen, aber das Restaurant auf dem Berg ist noch in Betrieb. Es ist eine Sonderveranstaltung, denn normalerweise schließen sie, wenn der Lift seinen Betrieb einstellt. So hatte es mir die Dame der Touristen Information erklärt. Also gegen 17.00 Uhr. In einiger Entfernung stehen der Sendemast und eine Hütte, aber um dorthin zu kommen, liegt zu viel Schnee und ein Unterstand ist das nicht. Ein Auto fährt so schwungvoll auf den Parkplatz, dass ich zur Seite springe. Hier kann ich mich auch nicht hinstellen. Zu öffentlich und die Autos scheinen hier nicht mit Spaziergängern zu rechnen. Weiter hinten ist es zu abschüssig und da ich keine Ortskenntnis habe, möchte ich keine Experimente wagen.

                          In der Ferne sieht man einen leichten Bogen aus Licht. Eine Art Corona. Ganz schwach, aber vorhanden. Ich denke an das gleißende Licht im letzten Jahr in Rovaniemi. Der Bogen könnte ein gutes Zeichen sein.
                          Ich entdecke einen Aussichtsturm und betrete ihn. Der Zugang ist vereist, aber die Stufen geben Halt. Dennoch ist der Aufstieg mit dem riesigen Rucksack gar nicht so einfach. 3 Fotografen sind schon in Lauerstellung und haben ihre Stative günstig geparkt und ein Paar aus Israel, das ich am nächste Donnerstag wieder treffen werden, versucht Fotos zu machen. Ich versuche ein Probefoto, aber die Kamera löst einfach nicht aus. Und nun? Die Kamera müsste das eigentlich können. Es liegt an mir. Vielleicht soll es einfach nicht sein. Oder die Himmelserscheinung ist einfach noch zu schwach.
                          Der Wind weht erbarmungslos und ich würde mich gerne setzen. Ich nehme den Rucksack ab, wickele mir die Evazote um den Körper und verkrieche mich hinter dem Geländer. Ein grandioser Fehler. Der Wind pfeift durch das Geländer und innerhalb von Sekunden ist mein Rücken, der durch den Rucksack geschützt war, eiskalt. Ich friere. Also Rucksack wieder auf ziehen. Mittlerweile funktioniert das sogar ganz gut.

                          Ich gehe die Treppen wieder runter, schnappe mir meinen Schlitten und verstecke mich im Hof des Restaurants. Dort ist es windgeschützter und mir wird wieder wärmer. Warum ich nicht auf die Idee komme, mir die Daunenjacke und die Daunenhose an zu ziehen, ist mir heute noch rätselhaft. Als hätte mich der Windchill denkunfähig gemacht. Ein Griff und ich hätte die Sachen in der Hand gehabt, sie waren doch griffbereit im unteren Rucksackfach. Und sogar einen dünne Windbreaker Jacke habe ich dabei.

                          Immer wieder kommen Autos, die kurz darauf wieder fahren. Ganz schön viel Betrieb hier. Das Restaurant schließt gegen 21.00 Uhr, genau weiß ich das aber nicht mehr. Ungefähr eine halbe Stunde stehe ich nun schon hier oben und friere. Als die Gäste das Haus verlassen und zu ihren Autos gehen, wechsele ich wieder die Position und drücke mich an die Hütte der Seilbahn. Dort ist der Wind schwächer. Im Restaurant gehen die Lichter aus und das Personal fährt nach Hause. Es wird dunkel und still. Neue Autos kommen. Ein Reisebus kommt, spuckt Fahrgäste aus, lädt sie dann aber kurz darauf wieder ein und fährt weg. Ein roter Kleinbus steht noch da, aber die Leute laufen nach und nach verfroren zu dem Bus zurück und so fährt auch er. Einen Moment überlege ich, ob ich fragen soll, ob sie noch einen Platz für mich haben. Ich würde mein ganzes Geld dafür geben, jetzt ein Auto zu haben. Oder einen Platz im Auto. Es müsste noch nicht mal eine Heizung haben. Nur Windschutz.

                          Wieder kommen Autos. Einige bleiben, andere fahren sofort wieder. Immer, wenn sie auf den Parkplatz einbiegen, stehe ich vor dem Skilifthäuschen in grellem Licht. Ich verdrücke mich wieder in den nunmehr dunklen Hof des Restaurants. Meine Füße, mein Kopf und meine Hände sind warm, aber der Rest von mir friert erbärmlich, wenn der Wind um die Ecke pfeift. Eigentlich kein Wunder. Ich rechne jetzt mal nachträglich aus: Auf dem Kaunispää soll es wärmer als im Ort sein. Nehmen wir an, dass auf dem Kaunispää – 10 Grad sind (In Saariselkä waren – 12 Grad am frühen Abend) und der Wind mit ca. 15 - 20 km/h bläst, was ich für realistisch halte, dann wären das laut Windchill-Tabelle um die – 17 Grad Temperatur. Das ist viel für das, was ich an Kleidung anhabe, das weiß ich aus Erfahrung. Kurz und gut: Was ich hier mache ist ganz schön gefährlich. Und das Schlimme ist: Das weiß ich selbst. Immer wieder überlege ich, doch das Zelt auf zu bauen und mich in den Schlafsack zu kuscheln. Aber ich kriege das einfach nicht fertig. Als wäre mein Hirn verkühlt. Zu keinem Zeitpunkt denke ich an meine Kleiderreserve. Idiotisch.

                          Wieder laufe ich in der Gegend herum, um mich warm zu halten und starre immer wieder zu dem Lichtbogen hin. Den Rucksack die ganze Zeit auf dem Rücken. Einen kurzen Moment überlege ich, den Schlitten zu nehmen und einfach ins Tal zu fahren. Morgen ist auch noch ein Tag. Aber ich kennen die Strecke nicht und so kalt wie mir ist, weiß ich nicht, ob das eine gute Idee ist. Meine Knochen sind viel zu steif. Ich werde wohl lieber laufen müssen. Aber auch dazu kann ich mich nicht aufraffen.

                          Und dann wird der Lichtbogen plötzlich größer. Wieder ist der rote Bus gekommen und spuckt die Leute aus und ich begreife, dass dies eine organisierte Nordlichtertour ist. Die Türen gehen geräuschvoll auf und die Insassen strömen schnatternd auf den Parkplatz. Ein paar Leute rufen: „Ah“ und „Oh“. Dabei sieht man doch immer noch gar nichts. Obwohl: Der Lichtbogen ist breiter geworden. Immer wieder sieht man die Fotografen zum Aufwärmen in ihr Auto huschen und den Motor anstellen. Oh, wie ich sie beneide. Wieder verziehe ich mich an die Wand des Restaurants. Aber der Wind hat gedreht. Also wieder Richtung Parkplatz.

                          Und dann wird der Bogen plötzlich zu einem brennenden Ring. Die Sonne bricht durch. Die Farbe ist hell und an den Spitzen rötlich. Eine dornige Corona. Eine Teil am oberen Rande löst sich ab und schwebt in einer geschwungenen Bewegung durch die Luft. Meine Sinne explodieren. Die Asiaten aus dem rotem Bus applaudieren. Was für ein Erlebnis. Nie vorher habe ich so etwas gesehen. Der Anblick ist so überwältigend, dass ich das Erlebnis teilen muss. „Verdammt, warum kommst Du nie mit. Du weißt nicht, was Du gerade verpasst. Der Himmel explodiert. Aber Fotos machen funktioniert nicht.“ Die ODS Hotline reagiert umgehend auf den fototechnischen Teil der Aussage und antwortet: „Du musst den Selbstauslöser einstellen. Hast Du die Anleitung dabei?“ Selbstauslöser. Stimmt, das hatte ich geübt. Ich ziehe die Handschuhe aus und drücke die Menutaste, während ich immer wieder nach oben schaue. Aber es ist schon wieder vorbei. Genau so schnell wie es gekommen ist, verschwindet das Nordlicht wieder und zurück bleibt nur der hell leuchtende Bogen. Also kann ich mir Zeit lassen.

                          Die Einstellung des Selbstauslösers gelingt mir und ich lege den Fotoapparat auf den Schlitten, damit er fixiert ist. „Und schau mal, ob Du einen Nachtmodus hast“, tönt es aus den Tiefen des Telefons an meinem Ohr, das sich in der Schalmütze befindet. Ich finde den Modus, aber der Auslöser löst trotzdem nicht aus. Ich erinnere mich dunkel, irgendwo gelesen zu haben, dass man als Fotograf immer eine Lampe dabei haben sollte, um die Kamera aus zu lösen. Ich mache die Stirnlampe an und leuchte Richtung Schneehaufen. Tatsächlich fällt die Kamera darauf rein. Ich halte sie in Richtung Bogen und sie löst aus. Ist etwas zu sehen? Keine Ahnung. Wenn, dann höchstens ganz schwach. Das Kontrollbild ist dunkel. Also noch einmal.

                          Und dann muss ich plötzlich handeln. Ich stammele „Ich muss Schluss machen, meine Hände“ ins Telefon, drücke auf aus und werfe das Handy in die Jackentasche. Meine Hände brennen wie Feuer. Keine gute Idee, so lange die Handschuhe ausgezogen zu haben. Der Wind ist viel zu kalt. Und endlich funktioniert mein Hirn wieder. Ich reiße den Rucksack von den Schultern, schmeiße ihn den in den Schnee und hole die fetten 800er Expeditionsfäustlinge raus. Dann hüpfe ich auf der Stelle herum, die Hände zwischen den Beinen. Verdammt tut das weh. Das hatte ich jahrelang nicht mehr.

                          Nach einer gefühlten Ewigkeit (die Kamera sagt: 4 Minuten) sind die Hände wieder warm und ich versuche noch ein Foto. Mit dünnen Handschuhe, aber nur kurz. Der Ausbruch hat nicht noch einmal stattgefunden und der rote Bus ist bereits abgefahren. Es ist einfach zu kalt. Aber der Bogen ist immer noch da. Irre ich mich, oder sehe ich einen kleinen grünen Schatten auf dem Kontrollbild. Vermutlich einen Täuschung.

                          Ich entscheide, dass nun Schluss ist. Es ist halb elf.
                          Ich setzte den Rucksack wieder auf den Rücken und setze mich in Bewegung, um jetzt endlich zu gehen. Entweder ich rodele oder ich gehe herunter. Allein durch den Gedanken wird mir wärmer. Ein sehr schmaler, mittelgroßer Mann in dickem weißen Skianorak, dessen Gesicht mit Skibrille und Pelzkragen fast verdeckt ist, hüpft ebenfalls auf dem Parkplatz herum und ich lache ihn an und grüße. Er lacht und grüßt zurück. Seine Frau hat soeben Kamera und Stativ vor sich aufgebaut und macht Fotos. „Es ist zu kalt“ sagt der Mann in einem Englisch mit hartem Akzent und ich nicke. „Ich gebe auf. Ich muss jetzt mal schauen, wie ich hier weg komme. Da hinten ist eine Rodelbahn. Ich habe ja einen Schlitten dabei“. „Wenn Du willst, kannst Du mit uns fahren, wir fahren in drei Minuten. Uns ist auch kalt.“, sagt der Mann. Ich kann es kaum glauben, was er gerade gesagt hat. „Ihr habt ein Auto?“ Er nickt und zeigt auf einen Kleinwagen. Ein Auto mit Motor und Heizung. Keine Gefahr, dass mir heute abend noch die Haxen breche. Da sage ich nicht nein.
                          Wir laden den Rucksack ein und damit ist der Kofferraum voll. Ich klappe den Schlitten zusammen und packe ihn auf den Rücksitz. Ich habe schon wieder eine Schraube verloren. Ich muss die Schrauben regelmäßiger nachziehen und kontrollieren. Von jetzt an halte ich mich dran und ich werde keine mehr verlieren.

                          Die Frau macht immer noch Fotos und am Bogen wird eine Stelle wieder etwas größer und heller. Er sagt zu ihr etwas in einer fremden Sprache und sie packt das Stativ mit der Kamera zusammen. Auf englisch sage ich den beiden, dass wir ruhig noch warten können, ein paar Minuten halte ich das noch aus. Anscheinend hat die Aussicht auf ein Auto meine innere Heizung angestellt. Aber die beiden wollen fahren. Im Auto stellt sich heraus, dass sie aus Indien sind und lange auf diese klare Nacht gewartet. Die ganze Woche über war der Himmel bedeckt und heute war ihre letzte Chance, Nordlichter zu sehen. Morgen reisen sie ab. Sie sind überglücklich. Das Auto ist ein Mietwagen. „Anders kommt man ja hier nicht weg“, sagt er seufzend. Die Fahrt dauert höchstens 5 Minuten, mehr nicht. Und sie wohnen im gleichen Hotel. Auf dem Parkplatz lassen sie mich heraus, die Frau steigt aber nicht aus. Ich hole meinen Rucksack. Dann frage ich, ob ich sie noch zu einem Getränk im Pub einladen darf, aber sie lachen. „Nein. Wir fahren wieder zurück. Wir wollten nur warm werden.“ Ich wünsche den beiden viel Glück und eine gute Heimreise, sie winken mir fröhlich zu und weg sind sie.

                          Im Tal ist es ohne den Wind wunderbar warm und ich gehe in mein Zimmer. Es ist 23.00 Uhr. Was für eine Nacht.


                          Zuletzt geändert von Torres; 05.02.2013, 20:55. Grund: Präzisiert
                          Oha.
                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                          • dingsbums
                            Fuchs
                            • 17.08.2008
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                            #33
                            AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                            Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                            Vor der Tür steht einer der Skischlitten, deren genaue Bezeichnung ich nicht kenne.

                            Schlicht und einfach Tretschlitten - so wie Tretroller. :-) Oder Spark, wie auf Schwedisch. Und da du ja in Finnland warst: Potkukelkka.

                            Schöner Bericht übrigens, lese gespannt mit.

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                            • Torres
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                              Liebt das Forum
                              • 16.08.2008
                              • 30705
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                              #34
                              AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                              Danke schön für die Info.

                              Einfach scheint das Fahren damit nicht zu sein. Ich habe einen Urlauber bei den ersten Versuchen beobachtet und der machte den Eindruck, dass man auch das lernen muss.
                              Oha.
                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                                • 16.08.2008
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                                #35
                                AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                                15.01.2013 Die Begegnung mit dem Licht. Klapprodelwandern und Klapprodelfahren. Ca. 7 km

                                Am Morgen wache ich auf, als es hell wird, also gegen 9 Uhr. Der Himmel ist von einem Blau, das ich noch nie gesehen habe.





                                Frühstück gibt es von 10.00 Uhr bis 11.00 Uhr. Ziemlich spät für meinen Geschmack, aber da das Lokal von 10.00 Uhr bis 02.00 Uhr geöffnet ist, auch irgendwie verständlich. Es gibt Porridge, Toast, Roggenbrot, Salami, Schinken und Käse zum Früstück. Und natürlich Butter. Außerdem Kaffee, Tee und Milch. Die meisten Hotelgäste sind Asiaten und habe ihr Laptop dabei. Der Rest sind Finnen. Einige reisen heute ab. Ein Asiate kommt mir bekannt vor. Ich könnte schwören, dass ich ihn im Hostel von Rovaniemi getroffen habe.

                                Die Tourist Information hatte mir den Fahrplan vom Skibus ausgedruckt und ich beschließe, zum Kaunispää zu fahren, um mich erst einmal zu orientieren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich da tagsüber so einfach hochlaufen kann (doch, kann man). Der Bus fährt um 11.15 Uhr in Hotelnähe auf der anderen Straßenseite und ich erfahre, dass die Bushaltestelle, an der ich angekommen bin, für beide Fahrtrichtungen gilt. Hier fährt man also auch wieder ab.

                                Der Bus rollt in einer Schleife in Richtung Kaunispää. Als er auf mittlerer Höhe ist, stockt mir der Atem: Die Sonne geht auf. Noch weiß nicht, dass sie aufgehen wird, über dem Horizont stehen bleiben wird und wieder unter gehen wird. Der Kaunispää entpuppt sich als runder Hügel und ich erkenne die Aufbauten wieder. Aber erst einmal muss ich die Sonne fotografieren. In den nächsten Minuten mache ich gefühlt 5000 Fotos. Saariselkä liegt im Dunst.








                                Dann schaue ich mich um. Der Skilift mit dem Häuschen. Das Restaurant. Die Rodelbahn. Hier bin ich gestern also herumgeirrt.











                                Die Temperaturen liegen bei um die – 14 Grad und obwohl die Sonne nicht wärmt, ist es angenehm. Der Wind hat sich gelegt.








                                Zwei Sonnenspiegelungen zeigen sich links und rechts der Sonne und schillern in leuchtenden Farben.














                                Wunderschön.








                                Der Nebel senkt sich etwas und der Schornstein ragt aus dem Nebelmeer hervor. Auch der Kran in der Nähe meines Hotels zeigt sich schemenhaft.








                                Nach vierzig Minuten kann ich mich endlich los reißen. Das Restaurant leuchtet in der Sonne.





                                Links an der Tür des Holzhauses habe ich gestanden.





                                Der beleuchtete Mast.





                                Irgendwo hier in der Ferne, ca. 90 km entfernt, liegt Russland. Ein junger Chinese fragt mich, ob dort ein See ist. Ich verneine. Es ist Nebel.








                                Die Ecke hinter dem Restaurant, an der ich mich gestern Abend vor dem Wind versteckt habe. Die gelben Spuren sind nicht vor mir, ich schwöre.








                                Der Aussichtsturm. Dort wollte ich mich hinsetzen.














                                Und hier standen die Nordlichter am Himmel.








                                Nein. Mein Zelt hätte hier nicht hin gepasst. Ich werde mich wohl damit abfinden müssen, es im Rucksack zu lassen. Langsam wende ich mich der Rodelbahn zu. Der Nebel hat sich ein wenig gelichtet.









                                Es sind vor allem Asiaten, die mit einer Plastikpulka den Hang hochwandern und sich dann todesmutig in die Tiefe stürzen. Aber auch Finnen sind dabei. Ein paar krachen mit voller Wucht als erstes seitlich in den Tiefschnee und auch der eine oder andere Purzelbaum oder Bauchklatscher ist dabei. Die Erfahreneren lassen es langsamer angehen und halten die Spur.

                                Ich entpuppe mich für einen kurzen Moment als Weichei, als ich das sehe. Soll ich mich wirklich hier herunterstürzen? Ich bin lange nicht mehr Schlitten gefahren. Meine letzte Erinnerung ist 10 Jahre her, als ich in Hummelsbüttel die Rettungskräfte eingewiesen habe. Ein Mann war mit voller Wucht gegen einen Baum geprallt. Kein schöner Anblick. Kurz drauf war ein anderer Schlitten unter dem Gewicht der Person zusammen gebrochen und auch das ging nicht besonders gut aus.

                                Eine Engländerin fragt, ob sie mich anschieben soll. Das ist die Initialzündung. Ich verneine zwar, aber ich stoße mich ab. Langsam setzt sich mein Schlitten rumpelnd in Bewegung. Die Bahn ist in gutem Zustand und mein Schlitten ist schnell. Ich bremse ihn etwas herunter und bleibe kurz darauf an einer Ebene stecken. Okay. Die Bahn ist klug angelegt. Es gibt Abschnitte, die beschleunigen und Abschnitte, die bremsen. Gut zu wissen. Ich mache erst einmal Fotos. Hier ungefähr muss es gewesen sein, wo der Himmel immer näher kam.














                                Die Kurve kommt und wieder wird der Schlitten stark herunter gebremst. Das ist mir Recht.











                                Der Mond zeigt sich klar am Himmel und ich fahre die kurvenreiche Strecke ins Tal. Dort lässt man seine Plastikpulka liegen. Wer eine braucht, nimmt sie sich und manchmal fahren Hotelbesitzer herum und sammeln für ihre Gäste welche ein.

                                Als ich wieder oben ankomme, ist es bereits 14.30 Uhr. Von der Sonne ist nichts mehr zu sehen. Nur ein rötlicher Schimmer erinnert an das Schauspiel. Die Sichel des Mondes leuchtet.








                                Auf dem Parkplatz steht eine Gruppe Autofahrer. Sie scheinen Reifen zu testen.





                                Aus meinen Gedanken gerissen, mache ich mich wieder auf, den Rodelhang herunter zu fahren. Freiwillig halte ich zwischen drin an, um noch ein Foto zu machen.





                                Dann donnere ich ins Tal. Ich ziehe meinen Schlitten zu Lappland Safari und buche für Donnerstag einen zweistündigen Skikurs für Anfänger. Der Spaß kostet 55 Euro inklusive Ausrüstung und der Möglichkeit, noch 2 Stunden dran zu hängen. Mal sehen, ob mir Skifahren gefällt.

                                Die Aktivität hat Hunger gemacht. Ich futtere meine Tütennahrung. Es ist kälter geworden. Ich merke, dass ich die Kälte spüre und erinnere mich an gestern. Ich ziehe meine flutgeschädigte, im Nordisk Sonderverkauf günstig erstandene Yeti Daunenhose an und ich kann jetzt schon sagen, dass sie sich bewähren wird, auch wenn die Daunen verdächtig zwischen den Nähten hervor blinzeln. Dann laufe ich los, um das Thermometer zu suchen. Es steht auf – 20 Grad. In dieser Temperatur war ich noch nie unterwegs. Eigentlich wollte ich heute wieder Nordlichter anschauen gehen. Ich beschließe, bei der Touristeninformation zu schauen, ob das Wetter günstig ist. Die Dame bejaht.
                                Die Temperatur löst bei mir Respekt aus und ich frage nach einer geführten Tour. 3 Stunden kosten 58 Euro (ein Taxi auf den Kaunispää kostet übrigens pro Fahrt 20,00 Euro), aber noch einmal so frieren wie gestern möchte ich nicht. Und halte ich bei dieser Ausgangstemperatur auch für viel zu gefährlich. Ich wäre bereit, das Geld zu investieren. Man schickt mich zum Anbieter vor Ort. Dieser teilt mir mit, dass es heute keine Nachfrage gibt. Die Tour fällt aus. Ich könnte eine Schneemobiltour für 177 Euro pro Person buchen. Ich winke dankend ab. Und nun?

                                Ich laufe zurück.

                                Im Zimmer krame ich in meinem Rucksack. Ich habe noch eine Daunenjacke und eine dünne Windjacke. Die Daunenhose geht über das Kreuz. Das sollte reichen. Ich ziehe mich an und werde an dem Abend den Reissverschluss meiner Radjacke endgültig ruinieren. Seitdem ich die Jacke besitze habe ich ihn damit gequält, dass ich zuviel in den Taschen oder zuviel darunter hatte. Die heutige Kombi Daunenjacke, Polarloftinnenjacke, Windjacke, Softshell und Merinopullover sind dann doch zuviel. In der Folge wird er immer wieder aufplatzen und irgendwann in den nächsten Tagen werde ich dazu übergehen müssen, die Innenjacke über die Außenjacke zu ziehen. Sieht zwar grenzwertig aus, aber solange es nicht regnet, funktioniert das gut. Auf den Kopf kommt mein wollener Heater, den ich im letzten Jahr in Rovaniemi erworben habe. Meine dreigeteilten Radhandschuhe mit leichter Daunenfüllung, die ich im letzte Jahr nicht gebraucht habe, erhalten ihre erste Chance und werden sich überraschend gut bewähren. Die anderen Handschuhe sind viel zu dick.

                                Gegen 18.00 Uhr mache ich meinen Schlitten klar und schultere den Tagesrucksack (Kamera, Thermoskanne, Riegel, die fetten Handschuhe von gestern). Nachdem ich den Weg zwei Mal errodelt habe, kommt er mir immer kürzer vor. Ich kenne jede Welle und jede Kurve. Auf der Bank an der Schikane sitzt ein Lieberpaar und kuschelt. Die Sterne sind nicht ganz so klar wie gestern und das Gefühl, in den Himmel zu laufen, stellt sich nicht mehr in der Intensität ein. Beeindruckend ist der Himmel dennoch. Saariselkä liegt unter einer Dunstglocke und das Licht ergibt eine breite Spur.








                                Auf dem Berg ist es menschenleer. Das Restaurant hat längst geschlossen. Ich laufe über den Parkplatz Richtung Aussichtsturm. Ein Schneemobil kommt die Skipiste hoch, gibt Gas und fährt in meine Richtung. Ich springe zur Seite. Das Schneemobil hält am nördlichen Rand, wendet und verschwindet im Nichts. Ich vermute, dass er der Nordlichteraktivitätenmelder für die Schneemobiltour ist.

                                Im Gegensatz zu gestern habe ich den Berg für mich alleine. Der Wind hat sich gelegt und mir ist angenehm warm. Ich stelle mich auf den Aussichtspunkt und schaue in die Weite. Wieder ist der Bogen zu erkennen, wenn auch nur schwach. Die Luft ist klar. Die Sterne funkeln. Welche eine Magie. Was für eine wunderschöne Nacht.

                                Ich experimentiere mit meiner Kamera herum und stelle fest, dass sie die Lichter Saariselkäs erkennt, die Lichter des Nordens dagegen nicht. Ich versuche, sie zu überlisten, indem ich sie auf Saariselkä ausrichte, mich dann drehe und sie dann in Richtung Bogen halte. Es funktionert. Sie löst aus.








                                Da ich kein Stativ habe, lege ich für die Fotos meinen Handschuh auf die Brüstung des Aussichtsturms, damit die Akkus leistungsfähig bleiben. Immer wieder stecke ich die Kamera außerdem unter die Daunenjacke, denn wenn die Kamera zu lange der Kälte ausgesetzt ist, blinkt der Akku Leerstand. Kaum ist er wieder warm, hat er volle Ladung.

                                Aber ich merke, dass das Fotografieren in diesem Moment nur Nebenrang hat. Diese Nacht ist besonders und ich löse mich wieder auf und horche in die Stille hinein. Der Bogen trägt den Hauch der Ewigkeit in sich. Niemand kann das fotografieren, niemand. Fotos zeigen ein Abbild, das nicht existiert. Ein Blitzlicht oder eine Momentaufnahme, mehr nicht. Die Flüchtigkeit, die Wesenhaftigkeit, die Lebendigkeit, den zarten Hauch und die Geräusche der Stille können Bilder nicht abbilden. Nordlichter entstehen im Kopf und ich bin mir sicher, dass jeder Mensch sie anders sieht.





                                Immer noch ist es still und der Lichthauch beginnt sich zu verändern.








                                Aus dem Tal ertönt das Dröhnen von Motoren und die Schneemobiltouristen knattern den Berg hinauf. Sie tun mir leid, denn das, was ich in der Einsamkeit und Stille von eben empfunden habe, werden sie nicht empfinden. Sie parken am anderen Rande des Parkplatzes und ich bin froh darüber, dass sie nicht näher kommen. Ich sehe ihre spitzen Schatten am Rand des Hügels und fühle mich dennoch weiterhin alleine. Morgen werde ich erfahren, dass sich die zwei Engländerinnen, die heute mit mir im Bus den Sonnenaufgang bewundert haben, in der Gruppe befinden.





                                Das Licht verändert seine Form und irgendein Clown brüllt zwei- oder dreimal über den Hügel „How beautiful“. Vor Schreck vergesse ich mich um zu drehen und meine Kamere macht ein künstlerisches Bild. Ich überlege, ob meine Pumpgun im Rucksack liegt, aber der Gruppe scheint das auch nicht zu gefallen und es wird wieder still.











                                Das Nordlicht breitet sich aus





                                und ich lege für einen Moment den Fotoapparat aus der Hand. Es hat nicht die Farbtiefe des letztes Jahres, sondern ist blass und flüchtig. Das grün der Bilder filtert die Kamera heraus, das menschliche Auge sieht die Farben anders. Dennoch ein magischer Moment. Hoch türmen sich die Strahlen am Himmel auf.





                                Die Reifen eines Transporters knirschen auf dem Schnee und zwei Männer poltern eilig die Treppe hoch. Der Aussichtsturm wackelt ein wenig.





                                Der eine stellt sofort die Kamera auf das Geländer und stellt vermutlich auf Langzeitbelichtung. Der andere plappert lautstark auf Finnisch in sein Telefon. Sie kommen mir wie Presseleute vor. Wissen sie nicht, dass das Reden während einer Nordlichtererscheinung Unglück bringt und man es unterlassen sollte? Das Nordlicht sieht das ähnlich und verglüht. Der Bogen steht schmal am Himmel. Noch einmal sieht man etwa zehn Minuten später einen Schatten.





                                Und dann ist auch der Bogen verschwunden. Zurück bleiben die Sterne als wäre nie etwas geschehen. Die Schneemobilfahrer starten den Motor und fahren weiter. Ich verlasse den Turm, nehme meinen Schlitten und suche mit der Stirnlampe die Rodelbahn. Im Tiefschnee nebem dem Parkplatz blinkt ein grünes Licht und ich stelle die Stirnlampe aus, um den Fotografen oder Kamermann nicht zu stören.

                                Die Momente, in denen ich alleine war, waren unglaublich und ich bin voll der Eindrücke. Ich stelle meinen Schlitten an die Kante, nehme das Seil in die Hand und sause in die Tiefe. Jemand hat mit einer Maschine die Bahn geglättet und mit Pulverschnee versehen und an einigen Stellen gibt es Schneeuntiefen. Vor der Schikane bleibt mein Schlitten stecken, ich schieße alleine bergab und etwas verdutzt finde ich mich in der Nähe der gesicherten Kurve im Schnee wieder. Ah, so ging das also. Die Daunenhose bildet ein gutes Polster. Der Mond steht über Saariselkä und ich wage ein Foto, aber die Bilder verwackeln.





                                Ich kehre um, um meinen Schlitten zu holen und da sehe ich über den Bäumen, dort wo der Weg in den Himmel führt, einen fahlen Schimmer von Nordlicht. Ruhig schwebt es dahin und ich fühle den Lufthauch der Seelen der Toten. Noch einmal zeigt es sich und ich versuche ein Foto, aber das Licht ist sehr schwach.





                                Lange schaue ich ihm zu und immer noch ist es als zarter Hauch aus Chiffon zu erahnen. Dann weiß ich: Es ist ein Abschied. Ohne mich noch einmal um zu drehen, fahre ich ins – 25 Grad kalte Tal.
                                Zuletzt geändert von Torres; 15.02.2013, 00:15.
                                Oha.
                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  #36
                                  AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                                  16.01.2012 Rodeln. Ca. 3,6 km

                                  Am nächsten Morgen ist es wärmer geworden. Die Anzeige zeigt – 18 Grad. Auf dem Kaunuspää weht ein kräftiger Wind. Wieder hat sich Sonne über den Horizont erhoben.














                                  Ein Tourist läuft mit seiner neuerstandenen Samimütze herum. Ich verstehe nicht, woher das Bedürfnis kommt, sich solche Dinge an zu schaffen. Er wirkt seltsam deplaziert. Aber vielleicht ist die Mütze ja warm.
                                  Wieder kann ich nicht an mich halten und fotografiere erneut wie ein Weltmeister. Ich kann mich an den Farben nicht satt sehen. Wie mag der Himmel erst auf den zahlreichen Loipen im Nationalpark aussehen?














                                  Immer mehr Bewölkung zieht auf. Der Skibus zieht seine Kreise.











                                  Ich treffe die Engländerinnen von Montag wieder und sie erzählen mir, dass sie bei der Schneemobiltour dabei waren. Sie wirken nicht so richtig überzeugt. Das Nordlicht war schön, aber die Tour war teuer. Sie zahlen das Dreifache wie ich für ein Bett in einem 6 Bettzimmer und es wirkt, als hätten sie sich ihren Urlaub anders vorgestellt. Wenn man nicht rodelt, wandert oder Ski fährt, gibt es hier auch nicht viel zu erleben. Zwar ist Saariselkä mit um die 300.000 Gäste einer der bestbesuchtesten Wintersportorte Finnlands – waren es in diesem Jahr 400.000 Besucher in Rovaniemi? - aber außer Natur findet man nur wenig Zerstreuung, die über die organisierte Hotelanimation à la Alleinunterhalter in der Bar hinausgeht. Sehr stark hat übrigens die Zahl russischer Touristen zugenommen. Wie Peter erzählte, sind wohl früher die Briten an Weihnachten mit der Concorde in Rovaniemi eingefallen. Heute haben die Russen viel Geld. Und auch viele Chinesen können sich die Reise leisten. Die meisten Asiaten, die ich treffe, sind Chinesen.











                                  Ich verspüre Hunger auf etwas Süßes und gönne mir im Restaurant eine Waffel. Meinen Schlitten lasse ich draußen stehen. In Finnland stiehlt man keine Schlitten. Ich hoffe, dass die Touristen das auch wissen.
                                  Es ist warm im Restaurant und die Aussicht ist grandios. Alle Tische sind besetzt und viele Menschen essen hier eine Suppe oder das Menu. Ich setze mich zu den Engländerinnen, die einen guten Tisch am Fenster ergattert haben und noch Platz frei haben. Sie haben eine Suppe mit Lachs und Kartoffeln gegessen, die sehr gut aussieht. 11.00 Euro dafür inklusive Brot, Butter und Wasser ist für finnische Verhältnisse in Ordnung und die Portion stimmt auch.

                                  Als ich mich um Viertel nach eins auf den Weg mache, ist die Sonne schon verschwunden.





                                  Die Abfahrt ist kühl und ich bin froh, dass ich meine Daunenhose anhabe. Wieder strande ich vor der Schikane. Aber eigentlich ist das nicht schlecht, denn die Fußgänger sind an dieser Stelle oft wenig achtsam. Die Wolken verändern das Licht und ganz neue Farben entstehen.







                                  Die Japaner, die mit mir im Bus aus Rovaniemi gesessen hatte, posieren vor der Schikane. Seine Pulka ist in der Kurve umgekippt und die beiden lachen wie die Kinder und fotografieren sich. Ich mache von ihnen beiden ein Foto und sie verbeugen sich höflich. Sein Name ist Toshi, er hat den Namen gestern oder vorgestern an die Bande geschrieben. Vielleicht waren die beiden das Liebespaar von gestern. Passen würde es zu ihnen.

                                  Ich entscheide mich, diesmal mit dem Bus hoch zu fahren und stelle mich an die Haltestelle. Vom Handling fand ich es immer schade, dass mein Schlitten nicht hochkant stehen bleibt und ich entdecke, dass das sehr wohl funktioniert. Bei Schnee!





                                  Eine französische Reisegruppe mit Skiern und einer französisch sprechenden Leiterin kommt vorbei und parkt die Ski neben dem Bushäuschen. Entsetzt fragt einer, ob die nicht gestohlen werden, wenn die Gruppe jetzt erst einmal ins Café geht. Die Leiterin lächelt. „Dann würde ich an Finnland zweifeln“, sagt sie. Sie erzählt von der Rodelbahn und ich nicke und gebe einen Kommentar ab. Tolle Bahn. Die Franzosen lachen und verabschieden sich fröhlich Richtung Café. Und ich merke mal wieder, dass die Unterscheidung Tourist oder Outdoorer nicht funktioniert. Alle sind so glücklich hier im Schnee und voller Vorfreude. Als wären wir wieder Kinder. Das Naturerleben zählt. Nicht die Fortbewegung oder das Zelt. Draußen sein.

                                  Toshi und seine Frau laufen vorbei und wir begrüßen uns. Es ist dunkel geworden und verschiedene Grautöne dominieren die Landschaft.





                                  Als ich kurz nach drei wieder auf dem Gipfel stehe, erinnert nur noch ein schwacher Schimmer an die Sonne. Es ist feuchter geworden, ein fieser Wind weht einen fast um und es ist lausig kalt.





                                  Eine junge Chinesin klappert sich frierend mit ihrem Plastikschlitten zur Rodelbahn, aber sie kommt nicht in Schwung. Ich zeige ihr, dass sie vorne an der Kante beginnen muss. Oben ist es nicht steil genug. Sie macht ein Foto von der Bahn und ich biete ihr an, sie zu fotografieren. Sie drückt mir ihr Iphone in die Hand. Dann macht sie eine Bewegung wie: „Schnell, mach schon“. Ich hole meine Kamera aus der Tasche und sie macht schnell drei wirklich gute Fotos von mir. Die wenigsten Menschen können Menschen fotografieren, meistens fehlt die Hälfte oder man braucht eine Lupe, um das Gesicht erkennen zu können. Sie reicht mir wieder meine Kamera und donnert ins Tal. Ich donnere hinterher.
                                  Der Belag ist hart und schnell geworden und als ich die Richtung mit dem Bein korrigiere, merke ich ich, dass ich aufpassen muss. Wenn mein Bein hängen bleibt, kann es brechen. So komme ich sehr schnell den Berg herunter und überhole die Chinesin mit Leichtigkeit. Im Pulverschnee vor der Schikane bremse ich den Schlitten runter. Ich bin zu alt für Knochenbrüche und Sicherheit geht vor. Vorsichtig fahre ich in die Schikane rein. Nun überholt mich die Chinesin mit vollem Speed und ich folge ihr. In der letzten Kurve driftet der Schlitten zur Seite, da ich auf dem Boden schlecht lenken kann und daher bremse ich noch einmal ab. So kommt sie vor mir ins Ziel. Sie nimmt ihre Pulka, winkt mir zu und biegt Richtung Hotel ab. Ich laufe zu meinem Hotel.

                                  An diesem Abend habe ich keine Lust auf Trekkingmahlzeiten und esse im Restaurant des Supermarktes die für Finnland typischen Hackbällchen mit Kartoffelpürree, Salat, Milch, Wasser oder Saft, Kaffee oder Tee, Brot mit Butter. Für 9.90 Euro.

                                  Der Himmel ist bedeckt. Heute wird es keine Nordlichter geben.





                                  Ich gehe in die Sauna. Danach nehme ich mein Buch von Leena Lehtolainen in die Hand und mache mir einen gemütlichen Abend. Dem englischen Videotext entnehme ich, dass heute offiziell Kaamos, die Polarnacht zu Ende gegangen ist. In Utsjoki hat sich die Sonne über den Horizont erhoben. Auch in Saariselkä ist heute das erste Mal seit Dezember die Sonne aufgegangen. Ich werde morgen erfahren, dass die Menschen, die hier wohnen, auf die Straße gelaufen sind und sich gefreut haben. Die dunkle Jahreszeit ist vorbei.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • Torres
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                                    • 16.08.2008
                                    • 30705
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                                    #37
                                    AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                                    17.01.2013 Skifahren. Oder so. 2,6 km.

                                    Als ich am Morgen zum Frühstück gehe, glüht der Himmel kitschig rot. Die Temperaturen betragen um die – 10 Grad.











                                    Eine Frau auf Skiern lässt sich von ihrem kleinen Terrier ziehen. Später werde ich lesen, dass diese Aktivität Ski Joring heißt und den Tourismusmanagern der Region Sorgen bereitet. Anscheinend wird das gerade eine neue Trendsportart und da die Aktivität auf normalen Skitracks zu gefährlich ist, wird über spezielle Angebote nachgedacht.

                                    Ich mache Fotos von dem Pub, in dem ich immer frühstücke, fotografiere die Theke, auf der ein Teil des Frühstücks steht und frage, wieso der Bereich einen deutschen Namen trägt: Fuchsbräu Stüberl.












                                    Ich erfahre, dass der Chef in Deutschland brauen gelernt hat. Der Fuchs ist das Zeichen des Lokals. Ich komme mit dem Mann hinter dem Tresen ins Gespräch. Am Wochenende ist hier ein Bluesfestival. Das Haus ist ausgebucht. Er empfiehlt mir, die Veranstaltung im Restaurant auf dem Kaunispää zu besuchen.

                                    Mein Skikurs beginnt um 13.00 Uhr und ich habe noch Zeit. Ich stelle kurz den Fernseher an und bin von der Vielfalt des Programmes überrascht: Kanal 1: Kochshow. Kanal 2: Kochshow. Kanal 3: Staubsaugerverkauf. Kanal 4: Wunderdiät. Würde man nur Kanal 3 schauen, müsste Kanal 4 eigentlich überflüssig sein, oder?

                                    Um 12.45 Uhr holt mich ein Kleinbus vor dem Hotel ab. Die 300 Meter hätte ich zwar auch zu Fuß geschafft, aber es ist im Preis inbegriffen. Ich habe meine Daunensachen an, denn meine Logik sagt mir, dass die Daunenhose Stürze abfedern kann. Weil es nicht sehr kalt ist, lasse ich sie an den Beinen auf und schließe nur das Klett. Man fragt mich besorgt, ob die Socken dick genug sind und ich bejahe. Ich bekomme irgendwelche Salomon Schläppchen in die Hand gedrückt und Cross-Country-Ski. Die anderen beiden Kunden kenne ich von ersten Abend auf dem Kaunispää. Sie sind aus Israel.





                                    Als alle ausgestattet sind, marschieren wir zum Startpunkt am Urho-Kekkonen Nationalpark. Das Einklicken in die Ski will geübt werden. Die Skistöcke nach hinten und so herum. Okay. Ich laufe ein wenig auf flachem Gelände herum und das geht. Ich hätte gedacht, dass ich mir gleich mein ersten Schritt auf die Ski trete und sich meine Beine verknoten. Dann geht es auf den Track.

                                    In einer Loipe geht es bergab. Die Frau fährt los und es klappt. Der Mann fährt los, etwas wackelig, aber es klappt. Dann fahre ich los und falle fast sofort um. Ich rappele mich wieder auf und die Lehrerin erklärt mir, wie ich mein Gewicht zu verlagern habe. Ich versuche es wieder und merke, dass ich in den Waden keinerlei Muskeln habe. Meine Knie zittern ungesund und ich lasse mich fallen. Ich muss an dieser Stelle dazu sagen, dass ich beim Kampfsport richtig fallen gelernt habe und daher auch keine Probleme damit habe.
                                    Also wieder von vorne. Meine Waden zittern, mein Knie wird belastet und ich lasse mich fallen. Ich beschließe, es erst einmal in der Mitte zu versuchen. Ski sind rutschig, wie ich merke. Ich stelle mich seitlich hin und steige auf den Kanten langsam die steilste Stelle hinunter. Dann versuche ich wieder ein Stück zu fahren. Außerhalb der Loipe fällt mir das einfacher als in der Loipe. Die Spur hat sich tief in harten Schnee eingefräst und sobald ich nicht meinen Mittelpunkt finde, setzen sie mir eine unüberwindbare Grenze.

                                    Die anderen beiden sind nicht mehr zu sehen und die Lehrerin fragt mich, ob sie mich alleine lassen kann. Ich nicke und bin froh darum. Alleine kann ich besser ausprobieren. Ich steige wieder in die Loipe und tatsächlich gleite ich einen kurzen Moment. Dann kommt eine Kurve, ich verliere wieder das Gleichgewicht und lege mich hin. Immerhin klappt Aufrichten jetzt bestens. Aber ich merke, dass ich mich in den Beinen verkrampfe. Wie beim Schlittschuhlaufen. Die einzige Sportart der von mir ausprobierten Sportarten, die ich nie gelernt habe. Skifahren scheint auch nicht mein Fall zu sein.

                                    Eine kleine Steigung kommt und ich komme erst ganz gut hoch. Dann fangen die Ski an stärker zurück zu rutschen. Das irritiert mich und ich stelle die Ski doch lieber wieder parallel. Sicher ist sicher. Die anderen kommen mir entgegen, die Lehrerin musste sie zwei Kilometer entfernt einfangen. Es stellt sich heraus, dass sie als Kinder bereits Ski gefahren sind und ihre Kenntnisse auffrischen wollten.

                                    An der nächsten Kreuzung machen wir erst einmal Pause.








                                    Ich fotografiere ein Suchbild für Becks: Wo ist die Skifahrerin?





                                    Es gibt heißen Saft aus der Thermoskanne. Ich denke an meine erste Kanufahrt. Auf dem Wasser habe ich mich sofort sicher gefühlt. Schnee ist etwas anderes.





                                    Die Lehrerin schickt die anderen auf die selbstorganisierte Tour, um mich zurück zu begleiten. Das ist mir eigentlich gar nicht recht, dann alleine komme ich irgendwie besser klar. Immerhin habe ich in der Pause mal geschaut, wie die anderen so stehen und an der nächsten Abfahrt versuche ich das auch. Kurz gleite ich, dann denke ich nach und wieder poff. Die Lehrerin empfiehlt mir, einfach den Kopf aus zu schalten und ich versuche es. Tatsächlich gleite ich eine für meine Verhältnisse lange Strecke bergab. Als die Kurve kommt, denke ich wieder nach, komme aus dem Gleichgewicht und da ich merke, dass ich mein Knie überbelaste, lasse ich mich mit Schwung sofort wieder fallen. Der Aufprall auf den Arm ist aufgrund der Geschwindigkeit hart, aber einen blauen Fleck bekomme ich nicht.

                                    Den letzten kleinen Anstieg setze ich wieder langsam Ski um Ski parallel. Meine Knie zittern, sie sind diese Belastung nicht gewöhnt.

                                    Wohlbehalten komme ich am Ausgangspunkt an und wir laufen zurück zur Ausrüstungskammer. Werde ich mich noch einmal auf Skier stellen? Vielleicht. Aber vorher mache ich Skigymnastik. Ich weiß noch, wie früher die Leute, die etwas von sich hielten, jedem, der es nicht wissen wollte, erzählten, dass sie jetzt Skigymnastik machen. Anscheinend hatte das einen Sinn.

                                    Die Sonne hat sich verzogen und ich gehe langsam nach Hause. Ich beschließe, noch einmal in die Sauna zu gehen und dann mein Buch weiter zu lesen. Mein Sorgenkind rechtes Knie braucht Ruhe. Abends gehe ich doch noch einmal raus, um Teebeutel zu kaufen. Ich komme mit der Kassiererin im Supermarkt im Gespräch. Sie bekommt strahlende Augen, als ich vom Licht in Lappland rede.
                                    „Die romantischen Schneebilder in den Prospekten sind alle bei uns gemacht,“ sagt sie stolz. Im Supermarkt herrscht gähnende Leere. „Das ändert sich morgen“, sage ich. „Glauben oder wissen“, fragt sie? Ich erzähle ihr, dass mein Hotel ab morgen ausgebucht ist. Sie schaltet sofort und ich vermute, dass sie ihre Personalplanung überdenkt. Tatsächlich wird hier morgen die Hölle los sein.

                                    Danach ist endgültig Ruhetag angesagt. Morgen mache ich eine Schneeschuhtour.
                                    Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2013, 00:00.
                                    Oha.
                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                    • Homer
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                                      Moderator
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                                      • 12.01.2009
                                      • 16993
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                                      #38
                                      AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                                      boah was für coole farben!
                                      gut, daß du diesmal das rad zuhause gelassen hast


                                      ich habe mir schon fast gedacht, daß du wieder im schnee spielen bist, als du länger nichts geschrieben hattest
                                      420

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                                      • Chouchen
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                                        Liebt das Forum
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                                        #39
                                        AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                                        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                        Danke schön für die Info.

                                        Einfach scheint das Fahren damit nicht zu sein. Ich habe einen Urlauber bei den ersten Versuchen beobachtet und der machte den Eindruck, dass man auch das lernen muss.
                                        OT: Nein, das ist nicht so wild, nur u.U. anstrengend. Leicht sind die Dinger ausserdem (5kg), ebenfalls klappbar und im Gegensatz zum Normalschlitten auch in der Ebene und (in Grenzen) berghoch zu fahren.
                                        Guckstu: http://www.outdoorseiten.net/forum/s...=1#post1119754
                                        "I pity snails and all that carry their homes on their backs." Frodo Baggins

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                                        • Rainer Duesmann
                                          Fuchs
                                          • 31.12.2005
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                                          #40
                                          AW: [FIN] Klapprodelwandern im Land des Lichts und der Farben

                                          Hmh.
                                          Urlaub im Schnee??
                                          Sieht doch ganz schön klasse aus. Sollte man mal drüber nachdenken...

                                          Danke für den tollen, ehrlichen Bericht.

                                          LG
                                          Rainer
                                          radioRAW - Der gesellige Fotopodcast

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