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Land: Deutschland
Reisezeit: September 2010
Region/Kontinent: Mitteleuropa
Auf dem Moselradweg nach Trier oder Meine erste Radtour
Die Etappen:
Daheim – Cochem
Cochem – Wintrich
Wintrich – Trier
Zusammen gut 235 Kilometer.
Erster Tag
Schloss Namedy - Andernach
War schon Herbstanfang oder ist immer noch Sommerende? Noch konnte ich mir das aussuchen, als ich das bepackte Rad den Berg hinauf schob. Bei 15 Kilo fürs Gepäck war die Waage stehengeblieben. Ganz schön wenig für die erste Radtour. Darauf hatte ich mir etwas eingebildet, und auf die Erfahrung aus jahrelangem Rucksackschleppen als Wanderer geschoben. Die 10 Kilo Sicherheitsgepäck, die man anfangs meist mitschleppt, hatte mir schon das Wandern ausgetrieben. Also 15 Kilo, plus 13 fürs Rad, plus 1,5 für die Wasserflasche, plus 0,8 fürs Schloss. Wird das immer weitergehen, jenes so beliebte Unterschlagen des Kleinzeugs? Mit diesem Gedanken hatte mich beschäftigt, als ich 30 Sekunden nach dem Start vom Rad runter musste um zu schieben. 18 % Steigung ist saumäßig viel. Da zählte jedes Gramm. Ganz schön schwer, so ein bepacktes Rad. Liegt darin der Erfolg der Flussradwege? Oben angekommen war ich sicher, dass der Sommer noch bleiben würde. Mit klitschnassem Rücken ging es es den Berg hinunter an den Rhein. Sieben Kilometer laufen lassen. Das größte Übersetzung durfte ran. Die Vermutung, jenes würde mir auf dem Weg nach Trier möglicherweise nicht mehr gelingen, fuhr mit.
"Alter Krahnen" - Andernach am Rhein
Rauf auf die Fähre, hinüber nach Bad Breisig, ab auf den Rheinradweg in Richtung Koblenz. Seit 3 Wochen war der zu meiner ungewollten Trainingsstrecke geworden. Denn erst seit drei Wochen war ich Besitzer eines Fahrrads. Die letzten 30 Jahre war ich ohne ausgekommen. Radfahren war so weit weg, dass ich schon nicht mehr wusste, meinen Sohn auf einem Rennrad mitgenommen zu haben. Der konnte sich daran noch erinnern. So alt ist der noch nicht. Also 25 Jahre ohne Rad. Einen Unterschied zu früher gab es dann doch, und an den konnte ich mich sehr gut erinnern: unser Briefkasten wurde damals nicht wöchentlich mit den Werbebeilagen des größten Fahrradhändlers der Region vollgestopft. Papier, das noch vor 4 Wochen achtlos in die blaue Tonne wanderte, wurde nun zu meiner Lieblingslektüre. Der Ausrüstungkatalog eines bekannten Outdoor-Versenders musst dem viel dickeren Katalog eines Radversenders weichen. Früher hatte ich wenn dessen Name fiel, immer an einen Blumenversand denken müssen. Und glaubt man den bunten Prospekten, den Katalogen, benötigen Radfahrer einen Haufen Zeug. Sogar alte Radfahrer. Als Radanfänger noch mehr. Also hin zum Radhändler und wieder zurück. Das machte jedes mal mindestens 60 Kilometer. Dass ich in der Nähe mehr Fahrradgeschäfte als Outdoor- und Sportläden hatte, war mich damals noch nicht aufgefallen. Bei uns fährt niemand Rad. Zu viele Hügel. Wer hier Rad fährt, fährt Rennrad oder mit dem Auto an Rhein, Ahr und Mosel, weil man dort das Rad gemütlich rollen lassen kann. Vielleicht hatte das auch etwas Gutes. Die Bildungslücke um die überteuerten Radgeschäfte in meiner Nachbarschaft, hatte mir so jede Menge Traningskilometer beschert. Einen neuen Sattel auch. Das ewige Lied über den schmerzenden Hintern konnte ich schnell auswendig singen. Dass der zweite Sattel nicht der letzte sein würde, wusste ich noch nicht, als ich mich auf den Weg an die Mosel machte.
Alken mit Burg Thurant
Bis Mülheim-Kärlich wollte ich dem Rheinradweg folgen. Nochmal beim Radhändler reinspringen, wenn es denn sein musste. Musste dann doch nicht sein. Abkürzen wollte ich, über das sachte zu Rhein und Mosel abfallende Maifeld, jener Getreidekammer der Eifel, die dort nichts von Eifel hat. Mir das Gegurke durchs Koblenzer Industriegebiet am Rheinhafen und durch Lützel ersparen, schien so einfach. Rüber über den kleinen Hügel der Voreifel und ausgeruht unten an der Mosel rauskommen. Doch laut und weit vernehmlich hatte die Busfahrerin zweimal am Anstieg nach Bubenheim die Gänge runter geschaltet. Mit Zwischengas. Sie fuhr einen älteren Bus, passend zu ihrem Alter. Zweimal war das einsetzen des Motors bei hohen Drehzahlen bis hinunter an die Bank zu hören, die ich mir für die erste Pause ausgesucht hatte. Das war ganz schön steil. Je länger ich dem Bus hinterher schaute, umso steiler wurde der kurze Anstieg. Quälen wollte ich mich nicht. Plötzlich leuchteten Industriegebiet und Lützel in den schönsten Farben.
Burg Bischofstein
Den Moselradweg kannte ich da schon seit Jahren aus dem Effeff. Tausende Kilometer mit dem Auto die Mosel rauf und runter, immer mit dem Weg für die Radfahrer an meiner Seite. Hunderte Kilometer Moselhöhenwege, mit Blick von oben auf den Radweg. Ungezählte Bahnfahrten, im Sommer oft in Waggons, die die Menge der Fahrräder nicht packen konnten. Nun also mit dem Fahrrad. Neues würde es nicht mehr geben.
Schon an der Uni in Metternich wurde ich von das erste Mal von Radfahrern überholt. Rennräder im Pulk. Ein Knäuel aus bunten Trikots, als würde sie für die Werbung bezahlt. Die waren locker am quatschen, ohne Mühe, wie mir schien. Der Gedanke, den Sprachfetzen hinterher zu hecheln war weg, bevor er sich festsetzen konnte. Der Ehrgeiz mithalten zu können, hatte schon in den ersten Tagen nach dem Fahrradkauf erste Federn gelassen. Aber wartet! Wenn ich richtig fit bin! Und wenn ich ein tolles leichtes Rad habe, dann kann ich auch.
Pause am Moselufer, auf der Bruchsteinmauer, die beim allfälligen Hochwasser ein paar Stunden Zeit schindet, bevor Löf absäuft. Mit kreischenden Motoren donnerten Rennmotorboote unterhalb der Weinlage „Alkener Burgberg“ über den Fluss. Männer bei Trainingsläufen fürs ADAC Motorbootrennen in Brodenbach. Zwischendurch immer wieder an an den Steg. Irgendwer schraubte irgendwas. Und wieder raus. Da halten sogar Radrennfahrer an. Trainingsrundenschnitt hin oder her.
Streckenweise vermittelte der Moselradweg den Hauch einer Mutprobe. Entgegenkommende Fahrräder auf schmalem Radweg, das sind Zutaten für Mutproben, wenn der Radweg nur mittels einer durchgezogenen Linie von der Bundesstraße getrennt wird. Mehr als einmal kam der Gedanke auf, direkt auf der Straße zu fahren sei sicherer, als dem tonnenschweren Gegenverkehr auf der durchgezogenen Linie in die Scheinwerfer zu starren.
Cochem, Campingplatz. Überschlägig hatte ich 85 Kilometer ausgerechnet. Einen Tacho oder Kilometerzähler hatte ich nicht. Falschem Ehrgeiz wollte ich keine Chancen geben. Uhh, das Durchschnittstempo ist um 0,3 km/h gefallen! Nee, lieber nicht. Schließlich kenne ich mich gut genug. Ich könnt da nicht widerstehen. Also 85 aus der Straßenkarte entnommene Kilometer. Zelt aufbauen. Supermarkt besuchen. Eine Runde über den Platz drehen – zu Fuß! Cochem keinen Besuch abstatten. Kenne ich vorwärts, rückwärts, kreuz und quer. Abends trudelte noch einer mit dem Rad ein. Mountainbike, Rucksack, schmiss alles auf die Wiese, baute das Innenzelt auf, machte sich auf den Weg zum Supermarkt. Kam nicht wieder. Soll ich das Außenzelt drüber werfen? Sowas kann ich nicht sehen.
Abends hockten wir zusammen und fachsimpelten. Er hatte keine Ahnung, ich hatte keine Ahnung. Machte nichts. So'n angelesenes Zeugs füllte den Abend. Stoff aus Radzeitungen und dem Internet. Mensch, Werner! Vor einem Monat waren dir Fahrräder so fern wie die Rückseite des Mondes. Wenn Wanderer anfangen über ihre Ausrüstung zu quatschen, machst du immer die Biege. Fang gefälligst beim Radfahren erst gar nicht damit an! Hast eh keine Ahnung.
Zweiter Tag
Morgens wieder die Frage: Sommer oder Herbst? Gestern war es ein Sommertag geworden. So ein richtiger Moselausflugstag. Moselausflugtage sind Tage, an denen man die Mosel unbedingt meiden sollte. Als Radfahrer, als Passagier auf den Ausflugschiffen und als Autofahrer sowieso. Wenn so ein Komm-wir-fahren-an-die-Mosel-Tag auf das Wochenende fällt, altern routinierte Autofahrer in Stunden um Jahrzehnte. Omas und Opas, Holländer und Norddeutsche eiern in einem Tempo um die Kurven und Kehren, welches immer wieder staunen lässt wie langsam Autos bewegt werden können. Besser man bleibt an solchen Tagen weg!
Beilstein
Beim Aufbruch hatte der Herbst Oberwasser. Dunkel, neblig und nass. Einen frühen Start hatte ich mir vorgenommen. Ist 'ne alte Angewohnheit vom Wandern. Erst Mittags, was offensichtlich viele Radwanderer bevorzugen, das wird mir nie gefallen. Im Nebel war die Reichsburg, jene Steilvorlage aller Freizeitparkburgen, nur schemenhaft zu erkennen. Anhalten für ein Foto? Nee, lohnte nicht. Überhaupt, die Sache mit den Fotos war noch nicht entschieden. Dass es viel weniger Fotos werden würden als auf Wanderungen, war jedoch schon abzusehen. Zu Fuß hält ein Foto nicht auf. Das nächste 300 Meter weiter auch nicht. Das danach, weil sich die Perspektive hinter der Kurve komplett geändert hat, schon überhaupt nicht. Die Sekunden machen am Ende des Wandertags keine halbe Stunde aus. Das erste Foto der Tour hatte ich im Schloss von Namedy gemacht. Mein erstes Foto mit Fahrrad drauf. Früher hatte ich drüber gespottet. Fotos mit Fahrrad, wie lächerlich ist das denn?
Fotos im Kilometertakt würde ich auf dem Rad wohl abschwören müssen. Motiv, Motiv! Anhalten! Sofort! Kamera raus. Foto machen. Noch eins. Kamera rein. Anfahren. Oh, kaum angerollt und erneut ändert sich die Sicht. Motiv! Motiv! Anhalten, Kamera raus. Foto machen. Noch eins. Kamera rein. Anfahren. Die Erkenntnis, dass Fotostopps nerven können, hatte sich in Beilstein angebahnt. Die Sonne stand schon am blauen Himmel. In den Steilhängen über dem malerischen Ort hatten sich dünne Nebelreste gehalten. Foto, Foto! Weiter. Huch! Mit leise tuckerndem Motor hatte sich ein Frachtschiff auf Bergfahrt durchs spiegelglatte Moselwasser ins Bild geschoben. Ein Vordergrund, ein Vordergrund! Anhalten! Foto! Da wurde die Saat des Weiterfahrens gelegt. Was meine Frau mit „Du und deine Bildchen“ in Jahren nicht geschafft hatte, erledigte der Wunsch nach dem Rollenlassen im nu.
Weiter, weiter. Sennheim, rüber auf das linke Moselufer. Bremm in einer Moselspitzkehre. Wenn die Mosel nicht zu einer unendlichen Abfolge von Seen gestaut wäre, würde das Wasser hier schleudernd um die Ecke rauschen. Auf der anderen Seite der Bundesstraße wurde aufgeräumt. Männer mit Besen. Es war Winzerfest unter dem steilsten Weinberg Europas. Ob die Zecher eine Ahnung davon hatten, dass Wein- und Winzerfeste beliebte Veranstaltungen sind, weil die Winzer dort Unverkäufliches los werden könnten? In Gedanken ans Saufen die Glasscherben auf dem Radweg übersehen. Es knirschte unterm Gummi. Schwein gehabt. Die Bundesstraße war blitzblank. Rüber wechseln, über das Mäuerchen, auf die Straße? Nein, es war ja noch einmal gut ausgegangen.
Zell an der Mosel
Pause an der St. Aldegunder Schleuse. Ein Frachter fuhr ins Unterwasser der Scheuse ein. Die RONNY-O aus Belgien mit Schüttgut. Millimeterarbeit. Mit 11 Meter 45 war das Frachtschiff nur 15 Zentimeter schmaler als die Schleusenkammer. Dicke Kanthölzer schrammten die Spundwand entlang. Das Schleusentor schloss sich. Wasser rauschte. Langsam ging es nach oben. Genug gesehen. Weiter nach Westen. Was war denn das? Vorne war der Reifen platt. Ah, jenes Knirschen unterm Gummi in der Bremmer Moselkehre war doch mehr gewesen, als erhofft. Doch kein Glück gehabt. Man(n), wie war das nochmal? Wie wird so ein platter Reifen repariert? Habe ich schon mal einen Platten am Fahrrad repariert? Bestimmt. Nach 25 Jahren ohne Rad, fiel es mir nicht mehr ein. Eine Frau mit Hund kam heranspaziert. Eine Holländerin, die sich mit Mann und Hund an der Mosel niedergelassen hatte. Seit Jahren machen das viele Holländer. Für niederländische Verhältnisse sind die Häuser in der Eifel und unten an der Mosel spottbillig. Ganz billig sind die, wenn das Haus im Überflutungsgebiet steht. Und ordentlich ist es in Deutschland auch. Diesen Beweggrund geben die meisten Holländer jedoch erst nach der zweiten Flasche Moselwein zu.
Bei Pünderich
Mit den ersten unsicheren Handgriffen tauchte dass Wissen ums Wie aus den Tiefen der Erinnerung auf. Doch wenn die Holländerin nicht gewesen wäre, hätte ich nicht nach der Ursache für den Platten gesucht. „Da muss was im Gummi stecken.“ Hä!, was will die? Einmal mit der Hand durchs Dunkel. Okay, ein dünner spitzer Splitter hinterließ eine Schramme am Finger. Wer hätte gedacht, dass so ein zerbrechliches Dingelchen durchs Gummi kommt. Es folgte quälendes Gehampel an der Luftpumpe. Gefühlte ein Bar mussten reichen. Auf die imaginäre Einkaufsliste wanderte eine anständige Pumpe. Vorsichtiges, jede Kante und jedes Schlaglöchlein vermeidendes Geeiere zur nahen Tankstelle. Ob, die 6 Bar haben? „Für so' ein bisschen Rad wird weniger reichen“, kommentierte ein Autofahrer meine Suche nach dem Luftschlauch. Das mit dem Druck hatte er nicht kapiert. 6 Bar sind halt 6 Bar, egal ob am Daimler oder am Fahrrad. Auch das blieb ihm unverständlich. Mit der Bestätigung, dass ich mich nun nichts mehr schrecken kann, kam der Gedanke ans Durchfahren bis Trier auf.
Der Hintern war anderer Meinung. Der tat weh. Unter beiden Sitzknochen. Mit jeder Stunde mehr und mehr. Von wegen idealer Sattel fürs Reiseradeln. Auf der imaginären Einkaufliste wurde neben der Luftpumpe ein neuer Sattel heimisch.
Moselradweg bei Reil
Schleifenfahren mit dem Flusslauf. An Zell vorbei. Zu Fuß könnte ich über den Berg jede Menge Kilometer sparen. An Traben-Trarbach vorbei. Zu Fuß könnte ich jede Menge Kilometer sparen. An Ürzig und Bernkastel-Kues vorbei. Zu Fuß könnte ich jede Menge Kilometer sparen. Zu Fuß, zu Fuß! Anstrengender wäre das schon. Rollen auf steigungsarmen Flussradwegen macht bequem. Abbiegen könnt ich. Raus aus dem Moseltal. Hinauf in die Eifel. An der Reiler Brücker, da wo es hinauf zur Eifelautobahn geht, schoss mir für Sekunden dieser Gedanke durch den Kopf. Ein heftiger Anstieg durch die Weinberge oberhalb Reil. Oben, dort wo der Moselhöhenweg die Straße quert, eine Pause machen. Auf der Leitplanke sitzen und ins Moseltal schauen, dabei die Vorfreude auskosten, dass es ein Stück den Berg hinunter gehen würde. Das Rad laufen lassen, und dann den extrem flachen Anstieg durchs Alftal bis Wittlich unter die beiden Räder nehmen. Nein? Nein! Schon seit Stunden fuhr das Ausbrechen mit. Mit dem Rad wäre das so einfach. Eine Straßenkarte aus der nächsten Tankstelle würde reichen.
Josephshof - Graach
Mal wieder die vergebliche Suche nach einem Campingplatz in Mülheim an der Mosel. Eine schwache Erinnerung nach einer vergeblichen Suche vor vielen Jahren machte sich breit. Den gab es doch noch nie, oder doch? Der Campingplatz in Mülheim/Mosel ist in jeder Karte zu finden. Selbstverständlich auch in der neuen Karte vom Landesvermessungsamt (sorry, sollte das einer von denen lesen) für die Moselerlebnisroute . Leider gibt es keinen Campingplatz in dem Ort. Da wird auch keiner geplant. Vielleicht gab es mal einen. Vielleicht hat sich jemand einen Spaß erlaubt. Oder es gab mal einen Menschen, dem ein schlichter Fehler unterlaufen ist. Keine Ahnung. Jedenfalls reicht es fürs ewige Leben in Kartenwerken. Ich sollte mal eine Werner-Hohn-Bank melden. Für die Zeit nach dem Leben. Damit was vom Leben bleibt. Leider ignorieren die Vermessungsämter alles was von Privatpersonen kommt. Ohne amtliche Überprüfung, wird das nichts mit dem ewigen Leben in den Karten. Vielleicht könnte der Eifelverein eine Bank mit meinem Namen melden. Oder der Hunsrückverein. Oder sollte ich die Chance nutzen und einen Campingplatz aufmachen, vielleicht in Mülheim an der Mosel? Die Sorge, wie ich den in die Karten bekommen könnte, hätte ich nicht mehr.
Bei Andel: Da staunt der Flieger und macht den Spotbootführerschein.
Ganz im Gegensatz zu den Betreibern des Campingplatz in Wintrich. Deren Platz ist in keiner Karte zu finden, obwohl es den schon seit vielen Neuauflagen der hiesigen Wanderkarten gibt. Warum nicht, konnten die sich nicht erklären. Ein Schild am Radweg hatte mich auf den Platz geführt. Ein Bauernhof zwischen Weinstöcken, zwischen denen sich eine Wiese versteckte. Unter der Scheune eine neue Sanitäranlage. Ein paar Dauercamper am Rand. Ganz wenige Urlauber verstreut über die grüne Wiese. Nichts zu essen. Nur kalte Getränke. Gut, denn es war wieder ein Sommertag geworden. Verhungern muss man an der Mosel eh nicht. Der Kocher würde den zweiten Tag in der Packtasche bleiben. Eine Stunde tratschen mit den Besitzern. Zeltaufbau.
Bei Wintrich
Abends kamen noch zwei Mädels und ein Ehepaar mit Rädern. Erstere wollten noch bis Spanien. Angesichts der Jahreszeit, ihrer Tagesleistungen und ihres ausufernden Gepäcks hatte ich da meine Zweifel. Letztere fuhren gemütlich die Mosel runter. 40 bis 50 Kilometer am Tag langten denen. Wellnessradeln in jungen Jahren. Neben mit hatte sich ein Opa breitgemacht. Der war mit Motorroller unterwegs und klagte ausgiebig, dass Motorradfahrer ihn meiden. Irgendwie kann ich die Motorradfahrer verstehen. Viel besser als diese bin ich auch nicht, denn E-Bike Fahrer unter 65 kann ich mit Hingabe ignorieren. Es lebe das Vorurteil. Es steht zu befürchten, dass ich in den vergangenen zwei Tagen zu oft das Nachsehen gegen die hatte. Und überhaupt! Die Mosel ist ein Paradies für radelnde Rentner. Dabei dachte ich immer, die sind mit Wanderstöcken unterwegs. So viele Rentner auf Fahrrädern wie auf dem Moselradweg hatte ich bis dahin noch nicht gesehen.
Dritter Tag
Piesport
Bis Trier war es nicht mehr weit. Gegen Mittag würde ich eintreffen. Da kann'se den Tag auch mit einer Frühstückspause beginnen. Eine Kanne mit heißem Kaffee, Brötchen, Käse, Wurst und Marmelade. Nein, ein Ei könne er mir nicht anbieten, Fruchtsaft auch nicht. Na gut, was soll es. Ich fing an, dass Genussradeln zu verstehen. Schade, dass der Begriff schon erfunden war, sonst hätte ich mir den schützen lassen. Draußen auf der Terrasse, beschienen von der spätsommerlichen Morgensonne, bekam jeder Trödelradler von mir die Absolution. So schnell wollte ich nicht wieder weg. Alle guten Vorsätze hin und her. Den Tag genießen. Nicht hetzen lassen.
Neumagen-Dhron
In Wahrheit tat mir der Hintern weh. Und frag nicht wie sehr. Taubheitsgefühle hatten sich breit gemacht. Das da unten zwischen den Beinen war eine diffuse tote Zone. Sollte, musste ich mir Sorgen machen? Nee, noch war die „tote Zone“ zweitrangig. Die Schmerzen unter den Sitzknochen … oh-je, oh-je, über die machte ich mir Gedanken. Wehleidige, dem Schmerz huldigende Gedanken. Die Kissen auf den Stühlen der Bäckereiterrasse in Neumagen-Dhron waren so schön weich. Und der Stuhl schlug nicht von unten gegen die Knochen im Hintern. Beim bewegungslosen Sitzen mit dem Rücken an der Stuhllehne war von den Schmerzen nichts mehr zu spüren. So gut wie nichts mehr. Wollte ich wirklich schon aufstehen und mich wieder aufs Rad schwingen? Locker aufschwingen und ohne die Miene zu verziehen die Kurbel eine Runde weiter drehen. Dann noch eine. Und noch eine, der noch Tausende bis Trier folgen mussten, Der Gedanke an übersehene Schlaglöcher, an Kanten, an unsaubere Stöße, an Radwege aus Verbundpflastersteinen, gar an Schotterpisten machten das Sitzen auf gepolsterten Stühlen mit jeder Minute schöner.
Trittenheim
Noch 45 Kilometer bis Trier. Aufgeben? Bus? Nichts da. Rein in die Bäckerei. Bezahlen und weg. Noch heute bin ich sicher, hatte ich hatte gut dabei ausgesehen, wie ich mich die Schmerzen ignorierend aufs Rad schwang. Männer sind so. Heldenhaft wenige Minuten rollen und sitzen, dann würde es erträglich werden. Das hatte ich schon gelernt. Das war wie mit den Blasen an den Füßen. Erstmal einlaufen, bis die Flüssigkeit verdrängt ist, dann geht das schon. Eine große Pause würde ich mir an diesem Tag mit Sicherheit nicht mehr gönnen. Und das mit dem Taubheitsgefühl zwischen den Beinen würde sich bestimmt wieder geben. Und wenn nicht? Daran denken wir lieber mal nicht. Auch nicht an die Heimfahrt vom Bahnhof. Mit Widerwillen würde ich mich nach dem Aussteigen aus dem Zug aufs Rad schwingen und die letzten 8 Kilometer in Angriff nehmen, denn eins wusste ich in Neumagen-Dhron mit Sicherheit: es würde ein Angriff werden müssen. Der innere Schweinehund ist 'ne faule und bequeme Sau. Oder doch die Frau anrufen. Rad in Kleinwagen?
Neumagen-Dhron war ein guter Ort fürs Frühstück gewesen. Keine Läden mit Moselnippes, keine Saufstuben, keine Touristen. Ein schöner Ort an der Mosel. Es würde ein schöner Tag werden. Einer dieser Tage, an denen sich der Sommer noch einmal von der besten Seite zeigen würde. Eine Brise Herbst würde duchs Moseltal wehen, doch nur eine ganz schwache. Sie würde das Stickige, was so oft in den Flusstälern hängen bleibt, mitnehmen. Radfahrer waren nun zuhauf unterwegs. Viele mit dem Rennrad. Es war Samstag. Wochenendbeschäftigung.
Pausen gab es an diesem Morgen tatsächlich keine mehr. Nur Fotostopps und weiter. An Longuich vorbei, wo wir auf einer Wanderung im Jahr zuvor auf einem Feldweg von einer schwarzen Google-Karre mit Kameras auf dem Dach beinahe überfahren worden wären. Wir hätten eine Hauptrolle bei Street View gehabt.
Longuich
Vorbei an Ehrang, in dessen Industriegebiet ich mich zum Überfluss verfuhr, rüber nach Trier. Noch einmal, zum letzten Mal, ans andere Moselufer. Trier Zentrum. Endlich absteigen. Touristen zu Fuß, in Bussen, im infantilen Bimmelbähnchen. Die Porta Nigra wurde mit einem Foto bedacht. Der Rest der Aufmerksamkeit wurde für die Suche nach einem Platz fürs stille Geschäft benötigt. Zu Fuß kein Problem. Doch wohin mit dem Rad? Was ist mit dem Gepäck? Mit aufs Klo? Alles an das Geländer ketten und hoffen, dass die Trierer Unterwelt die Finger davon lässt? Sorgen, Sorgen, nichts als Sorgen. Als Wanderer waren mir solche Überlegungen fremd geblieben. Einmal Wanderer, immer Wanderer? Der natürliche Verlauf des fortgeschrittenen Verdauungsprozesses hatte mir die Entscheidung abgenommen. Es gibt schlimmeres als ein geklautes Rad. Und siehe da, alles war noch da. Die Jungs vom Bahnhofsvorplatz mit ihrem etwas schrägen Äußeren hatten sich nicht die Bohne für mein Rad interessiert. Es schien doch zu stimmen, dass heutzutage die Gauner im Biedermanngewand daher kommen.
Es war eine lustige Heimfahrt. Der Zug war überfüllt. Die komplette Moselstrecke bis Koblenz musste ich stehen. Das hatte mich überhaupt nicht gestört. Stehen war eine Wohltat. Für einen Stehplatz hätte ich sogar Zuschlag gezahlt. Unterhalten wurde ich von einer Rotte quietschfideler Rentnerinnen aus Düsseldorf. Ein paar Tage Mosel hatten sie sich gegönnt. Pläne wurden geschmiedet. Eine würde sich in wenigen Wochen für Monate in die USA verfrachten, eine andere schon am nächsten Tag für Wochen auf die Kanaren, die nächste fieberte dem Winter und damit ihrer Kreuzfahrt irgendwo in oder um halb Asien entgegen. Mit meiner Radtour konnte ich bei denen nicht landen. Ja, wenn wir mal nicht mehr aus dem Land weg können, kaufen wir uns eventuell Räder und lassen es ruhig angehen.
Die Mosel bei Schweich
Heldenhaft war die Heimfahrt. 8 Kilometer vom Bahnhof bis zur Haustür. Meine Frau war nicht da. Ich musste mit dem Rad fahren. Die ersten 7 Kilometer geht es den Berg hinauf. Zuerst ganz sachte, dann wird es für einen halben Kilometer beinahe eben. Leute, die die Strecke nicht kennen, schöpfen auf diesem halben Kilometer Hoffnung. Ich kannte die Strecke. Die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, doch wenn man das Zuletzt schon kennt, macht man sich keine Hoffnung. Dann steigt die Strecke an. Runter mit den Gängen. Auf dem kleinsten Blatt war ich schon lange. Trotzdem brannte der Hintern. Runter aufs größte Ritzel. Der Hintern brannte mehr. Das größte Ritzel wurde nicht mehr größer. Fester, kräftiger treten. Der Hintern brannte immer mehr. Pause? Raus aus dem Sattel in den Wiegetritt? Dafür reichte die Kraft nicht. Ja, Pause. Wenn jetzt ein Nachbar gekommen wäre, „Da steht er, unser Radler!“ Also Pause im Wald. Weiter. Je steiler es wurde, umso mehr brannte der Hintern. Höllenfeuer im Schritt. So muss das Innere der Sonne sein. Pause? Pause! Pause! Pause! Wald war genug da. Ich kenne jeden Weg hier. Der letzte Kilometer Straße würde mörderisch werden. Ich kenne einen Waldweg der die Serpentinen abkürzt. Der Waldweg ist saumäßg steil, und war damals frisch mit feinstem Basaltsplitt aufgeschüttet. Traktion würde das Hinterrad dort nicht finden. Das war auch nicht beabsichtigt. Hauptsache gut versteckt im Wald. Es war eine elende Schinderei. Als Wanderer mag ich schon keinen feinen Basaltsplitt, jetzt, als Radschieber noch weniger. Eine halbe Stunde hatte ich für die 500 Meter durch den Wald gebraucht. Ach, muss ich erwähnen, dass es Hobbyradrennfahrer gibt, die die gewaltige Steilstrecke auf der Straße mit großer Übersetzung fahren? Nein, denn das würde mein Heldentum am Berg schmälern. Zum Schluss ging es mit bis 18 % Gefälle den Berg hinunter bis vor die Haustür. So müssen sich Cäsaren bei ihrem Einzug in Rom nach siegreichen Schlachten gefühlt haben.
Porta Nigra - Trier
Abends hatte mich meine Frau in die Wirklichkeit zurück geholt. Nein, ein „Bedenke, dass du sterblich bist“ war dazu nicht nötig. Ein profanes „Eh, da sind zwei Blutergüsse an deinem Hintern!“ hatte gelangt. Ah-ja. Ein neuer Sattel musste her. Eine Woche später war ich wieder auf dem Rheinradweg unterwegs, wieder nach Mühlheim-Kärlich. Das Fahrradfachgeschäft hatte natürlich einen Damit-bekommen-sie-keine-Probleme-Sattel. Man(n) kauft sowas gerne. Immerhin wollte ich eine Woche später mit dem Rad nach Rotterdam.
Die Fotobilanz nach 235 Kilometern: 146. Das macht alle 1,6 km ein Foto. Geht doch.
Reisezeit: September 2010
Region/Kontinent: Mitteleuropa
Auf dem Moselradweg nach Trier oder Meine erste Radtour
Die Etappen:
Daheim – Cochem
Cochem – Wintrich
Wintrich – Trier
Zusammen gut 235 Kilometer.
Erster Tag
Schloss Namedy - Andernach
War schon Herbstanfang oder ist immer noch Sommerende? Noch konnte ich mir das aussuchen, als ich das bepackte Rad den Berg hinauf schob. Bei 15 Kilo fürs Gepäck war die Waage stehengeblieben. Ganz schön wenig für die erste Radtour. Darauf hatte ich mir etwas eingebildet, und auf die Erfahrung aus jahrelangem Rucksackschleppen als Wanderer geschoben. Die 10 Kilo Sicherheitsgepäck, die man anfangs meist mitschleppt, hatte mir schon das Wandern ausgetrieben. Also 15 Kilo, plus 13 fürs Rad, plus 1,5 für die Wasserflasche, plus 0,8 fürs Schloss. Wird das immer weitergehen, jenes so beliebte Unterschlagen des Kleinzeugs? Mit diesem Gedanken hatte mich beschäftigt, als ich 30 Sekunden nach dem Start vom Rad runter musste um zu schieben. 18 % Steigung ist saumäßig viel. Da zählte jedes Gramm. Ganz schön schwer, so ein bepacktes Rad. Liegt darin der Erfolg der Flussradwege? Oben angekommen war ich sicher, dass der Sommer noch bleiben würde. Mit klitschnassem Rücken ging es es den Berg hinunter an den Rhein. Sieben Kilometer laufen lassen. Das größte Übersetzung durfte ran. Die Vermutung, jenes würde mir auf dem Weg nach Trier möglicherweise nicht mehr gelingen, fuhr mit.
"Alter Krahnen" - Andernach am Rhein
Rauf auf die Fähre, hinüber nach Bad Breisig, ab auf den Rheinradweg in Richtung Koblenz. Seit 3 Wochen war der zu meiner ungewollten Trainingsstrecke geworden. Denn erst seit drei Wochen war ich Besitzer eines Fahrrads. Die letzten 30 Jahre war ich ohne ausgekommen. Radfahren war so weit weg, dass ich schon nicht mehr wusste, meinen Sohn auf einem Rennrad mitgenommen zu haben. Der konnte sich daran noch erinnern. So alt ist der noch nicht. Also 25 Jahre ohne Rad. Einen Unterschied zu früher gab es dann doch, und an den konnte ich mich sehr gut erinnern: unser Briefkasten wurde damals nicht wöchentlich mit den Werbebeilagen des größten Fahrradhändlers der Region vollgestopft. Papier, das noch vor 4 Wochen achtlos in die blaue Tonne wanderte, wurde nun zu meiner Lieblingslektüre. Der Ausrüstungkatalog eines bekannten Outdoor-Versenders musst dem viel dickeren Katalog eines Radversenders weichen. Früher hatte ich wenn dessen Name fiel, immer an einen Blumenversand denken müssen. Und glaubt man den bunten Prospekten, den Katalogen, benötigen Radfahrer einen Haufen Zeug. Sogar alte Radfahrer. Als Radanfänger noch mehr. Also hin zum Radhändler und wieder zurück. Das machte jedes mal mindestens 60 Kilometer. Dass ich in der Nähe mehr Fahrradgeschäfte als Outdoor- und Sportläden hatte, war mich damals noch nicht aufgefallen. Bei uns fährt niemand Rad. Zu viele Hügel. Wer hier Rad fährt, fährt Rennrad oder mit dem Auto an Rhein, Ahr und Mosel, weil man dort das Rad gemütlich rollen lassen kann. Vielleicht hatte das auch etwas Gutes. Die Bildungslücke um die überteuerten Radgeschäfte in meiner Nachbarschaft, hatte mir so jede Menge Traningskilometer beschert. Einen neuen Sattel auch. Das ewige Lied über den schmerzenden Hintern konnte ich schnell auswendig singen. Dass der zweite Sattel nicht der letzte sein würde, wusste ich noch nicht, als ich mich auf den Weg an die Mosel machte.
Alken mit Burg Thurant
Bis Mülheim-Kärlich wollte ich dem Rheinradweg folgen. Nochmal beim Radhändler reinspringen, wenn es denn sein musste. Musste dann doch nicht sein. Abkürzen wollte ich, über das sachte zu Rhein und Mosel abfallende Maifeld, jener Getreidekammer der Eifel, die dort nichts von Eifel hat. Mir das Gegurke durchs Koblenzer Industriegebiet am Rheinhafen und durch Lützel ersparen, schien so einfach. Rüber über den kleinen Hügel der Voreifel und ausgeruht unten an der Mosel rauskommen. Doch laut und weit vernehmlich hatte die Busfahrerin zweimal am Anstieg nach Bubenheim die Gänge runter geschaltet. Mit Zwischengas. Sie fuhr einen älteren Bus, passend zu ihrem Alter. Zweimal war das einsetzen des Motors bei hohen Drehzahlen bis hinunter an die Bank zu hören, die ich mir für die erste Pause ausgesucht hatte. Das war ganz schön steil. Je länger ich dem Bus hinterher schaute, umso steiler wurde der kurze Anstieg. Quälen wollte ich mich nicht. Plötzlich leuchteten Industriegebiet und Lützel in den schönsten Farben.
Burg Bischofstein
Den Moselradweg kannte ich da schon seit Jahren aus dem Effeff. Tausende Kilometer mit dem Auto die Mosel rauf und runter, immer mit dem Weg für die Radfahrer an meiner Seite. Hunderte Kilometer Moselhöhenwege, mit Blick von oben auf den Radweg. Ungezählte Bahnfahrten, im Sommer oft in Waggons, die die Menge der Fahrräder nicht packen konnten. Nun also mit dem Fahrrad. Neues würde es nicht mehr geben.
Schon an der Uni in Metternich wurde ich von das erste Mal von Radfahrern überholt. Rennräder im Pulk. Ein Knäuel aus bunten Trikots, als würde sie für die Werbung bezahlt. Die waren locker am quatschen, ohne Mühe, wie mir schien. Der Gedanke, den Sprachfetzen hinterher zu hecheln war weg, bevor er sich festsetzen konnte. Der Ehrgeiz mithalten zu können, hatte schon in den ersten Tagen nach dem Fahrradkauf erste Federn gelassen. Aber wartet! Wenn ich richtig fit bin! Und wenn ich ein tolles leichtes Rad habe, dann kann ich auch.
Pause am Moselufer, auf der Bruchsteinmauer, die beim allfälligen Hochwasser ein paar Stunden Zeit schindet, bevor Löf absäuft. Mit kreischenden Motoren donnerten Rennmotorboote unterhalb der Weinlage „Alkener Burgberg“ über den Fluss. Männer bei Trainingsläufen fürs ADAC Motorbootrennen in Brodenbach. Zwischendurch immer wieder an an den Steg. Irgendwer schraubte irgendwas. Und wieder raus. Da halten sogar Radrennfahrer an. Trainingsrundenschnitt hin oder her.
Streckenweise vermittelte der Moselradweg den Hauch einer Mutprobe. Entgegenkommende Fahrräder auf schmalem Radweg, das sind Zutaten für Mutproben, wenn der Radweg nur mittels einer durchgezogenen Linie von der Bundesstraße getrennt wird. Mehr als einmal kam der Gedanke auf, direkt auf der Straße zu fahren sei sicherer, als dem tonnenschweren Gegenverkehr auf der durchgezogenen Linie in die Scheinwerfer zu starren.
Cochem, Campingplatz. Überschlägig hatte ich 85 Kilometer ausgerechnet. Einen Tacho oder Kilometerzähler hatte ich nicht. Falschem Ehrgeiz wollte ich keine Chancen geben. Uhh, das Durchschnittstempo ist um 0,3 km/h gefallen! Nee, lieber nicht. Schließlich kenne ich mich gut genug. Ich könnt da nicht widerstehen. Also 85 aus der Straßenkarte entnommene Kilometer. Zelt aufbauen. Supermarkt besuchen. Eine Runde über den Platz drehen – zu Fuß! Cochem keinen Besuch abstatten. Kenne ich vorwärts, rückwärts, kreuz und quer. Abends trudelte noch einer mit dem Rad ein. Mountainbike, Rucksack, schmiss alles auf die Wiese, baute das Innenzelt auf, machte sich auf den Weg zum Supermarkt. Kam nicht wieder. Soll ich das Außenzelt drüber werfen? Sowas kann ich nicht sehen.
Abends hockten wir zusammen und fachsimpelten. Er hatte keine Ahnung, ich hatte keine Ahnung. Machte nichts. So'n angelesenes Zeugs füllte den Abend. Stoff aus Radzeitungen und dem Internet. Mensch, Werner! Vor einem Monat waren dir Fahrräder so fern wie die Rückseite des Mondes. Wenn Wanderer anfangen über ihre Ausrüstung zu quatschen, machst du immer die Biege. Fang gefälligst beim Radfahren erst gar nicht damit an! Hast eh keine Ahnung.
Zweiter Tag
Morgens wieder die Frage: Sommer oder Herbst? Gestern war es ein Sommertag geworden. So ein richtiger Moselausflugstag. Moselausflugtage sind Tage, an denen man die Mosel unbedingt meiden sollte. Als Radfahrer, als Passagier auf den Ausflugschiffen und als Autofahrer sowieso. Wenn so ein Komm-wir-fahren-an-die-Mosel-Tag auf das Wochenende fällt, altern routinierte Autofahrer in Stunden um Jahrzehnte. Omas und Opas, Holländer und Norddeutsche eiern in einem Tempo um die Kurven und Kehren, welches immer wieder staunen lässt wie langsam Autos bewegt werden können. Besser man bleibt an solchen Tagen weg!
Beilstein
Beim Aufbruch hatte der Herbst Oberwasser. Dunkel, neblig und nass. Einen frühen Start hatte ich mir vorgenommen. Ist 'ne alte Angewohnheit vom Wandern. Erst Mittags, was offensichtlich viele Radwanderer bevorzugen, das wird mir nie gefallen. Im Nebel war die Reichsburg, jene Steilvorlage aller Freizeitparkburgen, nur schemenhaft zu erkennen. Anhalten für ein Foto? Nee, lohnte nicht. Überhaupt, die Sache mit den Fotos war noch nicht entschieden. Dass es viel weniger Fotos werden würden als auf Wanderungen, war jedoch schon abzusehen. Zu Fuß hält ein Foto nicht auf. Das nächste 300 Meter weiter auch nicht. Das danach, weil sich die Perspektive hinter der Kurve komplett geändert hat, schon überhaupt nicht. Die Sekunden machen am Ende des Wandertags keine halbe Stunde aus. Das erste Foto der Tour hatte ich im Schloss von Namedy gemacht. Mein erstes Foto mit Fahrrad drauf. Früher hatte ich drüber gespottet. Fotos mit Fahrrad, wie lächerlich ist das denn?
Fotos im Kilometertakt würde ich auf dem Rad wohl abschwören müssen. Motiv, Motiv! Anhalten! Sofort! Kamera raus. Foto machen. Noch eins. Kamera rein. Anfahren. Oh, kaum angerollt und erneut ändert sich die Sicht. Motiv! Motiv! Anhalten, Kamera raus. Foto machen. Noch eins. Kamera rein. Anfahren. Die Erkenntnis, dass Fotostopps nerven können, hatte sich in Beilstein angebahnt. Die Sonne stand schon am blauen Himmel. In den Steilhängen über dem malerischen Ort hatten sich dünne Nebelreste gehalten. Foto, Foto! Weiter. Huch! Mit leise tuckerndem Motor hatte sich ein Frachtschiff auf Bergfahrt durchs spiegelglatte Moselwasser ins Bild geschoben. Ein Vordergrund, ein Vordergrund! Anhalten! Foto! Da wurde die Saat des Weiterfahrens gelegt. Was meine Frau mit „Du und deine Bildchen“ in Jahren nicht geschafft hatte, erledigte der Wunsch nach dem Rollenlassen im nu.
Weiter, weiter. Sennheim, rüber auf das linke Moselufer. Bremm in einer Moselspitzkehre. Wenn die Mosel nicht zu einer unendlichen Abfolge von Seen gestaut wäre, würde das Wasser hier schleudernd um die Ecke rauschen. Auf der anderen Seite der Bundesstraße wurde aufgeräumt. Männer mit Besen. Es war Winzerfest unter dem steilsten Weinberg Europas. Ob die Zecher eine Ahnung davon hatten, dass Wein- und Winzerfeste beliebte Veranstaltungen sind, weil die Winzer dort Unverkäufliches los werden könnten? In Gedanken ans Saufen die Glasscherben auf dem Radweg übersehen. Es knirschte unterm Gummi. Schwein gehabt. Die Bundesstraße war blitzblank. Rüber wechseln, über das Mäuerchen, auf die Straße? Nein, es war ja noch einmal gut ausgegangen.
Zell an der Mosel
Pause an der St. Aldegunder Schleuse. Ein Frachter fuhr ins Unterwasser der Scheuse ein. Die RONNY-O aus Belgien mit Schüttgut. Millimeterarbeit. Mit 11 Meter 45 war das Frachtschiff nur 15 Zentimeter schmaler als die Schleusenkammer. Dicke Kanthölzer schrammten die Spundwand entlang. Das Schleusentor schloss sich. Wasser rauschte. Langsam ging es nach oben. Genug gesehen. Weiter nach Westen. Was war denn das? Vorne war der Reifen platt. Ah, jenes Knirschen unterm Gummi in der Bremmer Moselkehre war doch mehr gewesen, als erhofft. Doch kein Glück gehabt. Man(n), wie war das nochmal? Wie wird so ein platter Reifen repariert? Habe ich schon mal einen Platten am Fahrrad repariert? Bestimmt. Nach 25 Jahren ohne Rad, fiel es mir nicht mehr ein. Eine Frau mit Hund kam heranspaziert. Eine Holländerin, die sich mit Mann und Hund an der Mosel niedergelassen hatte. Seit Jahren machen das viele Holländer. Für niederländische Verhältnisse sind die Häuser in der Eifel und unten an der Mosel spottbillig. Ganz billig sind die, wenn das Haus im Überflutungsgebiet steht. Und ordentlich ist es in Deutschland auch. Diesen Beweggrund geben die meisten Holländer jedoch erst nach der zweiten Flasche Moselwein zu.
Bei Pünderich
Mit den ersten unsicheren Handgriffen tauchte dass Wissen ums Wie aus den Tiefen der Erinnerung auf. Doch wenn die Holländerin nicht gewesen wäre, hätte ich nicht nach der Ursache für den Platten gesucht. „Da muss was im Gummi stecken.“ Hä!, was will die? Einmal mit der Hand durchs Dunkel. Okay, ein dünner spitzer Splitter hinterließ eine Schramme am Finger. Wer hätte gedacht, dass so ein zerbrechliches Dingelchen durchs Gummi kommt. Es folgte quälendes Gehampel an der Luftpumpe. Gefühlte ein Bar mussten reichen. Auf die imaginäre Einkaufsliste wanderte eine anständige Pumpe. Vorsichtiges, jede Kante und jedes Schlaglöchlein vermeidendes Geeiere zur nahen Tankstelle. Ob, die 6 Bar haben? „Für so' ein bisschen Rad wird weniger reichen“, kommentierte ein Autofahrer meine Suche nach dem Luftschlauch. Das mit dem Druck hatte er nicht kapiert. 6 Bar sind halt 6 Bar, egal ob am Daimler oder am Fahrrad. Auch das blieb ihm unverständlich. Mit der Bestätigung, dass ich mich nun nichts mehr schrecken kann, kam der Gedanke ans Durchfahren bis Trier auf.
Der Hintern war anderer Meinung. Der tat weh. Unter beiden Sitzknochen. Mit jeder Stunde mehr und mehr. Von wegen idealer Sattel fürs Reiseradeln. Auf der imaginären Einkaufliste wurde neben der Luftpumpe ein neuer Sattel heimisch.
Moselradweg bei Reil
Schleifenfahren mit dem Flusslauf. An Zell vorbei. Zu Fuß könnte ich über den Berg jede Menge Kilometer sparen. An Traben-Trarbach vorbei. Zu Fuß könnte ich jede Menge Kilometer sparen. An Ürzig und Bernkastel-Kues vorbei. Zu Fuß könnte ich jede Menge Kilometer sparen. Zu Fuß, zu Fuß! Anstrengender wäre das schon. Rollen auf steigungsarmen Flussradwegen macht bequem. Abbiegen könnt ich. Raus aus dem Moseltal. Hinauf in die Eifel. An der Reiler Brücker, da wo es hinauf zur Eifelautobahn geht, schoss mir für Sekunden dieser Gedanke durch den Kopf. Ein heftiger Anstieg durch die Weinberge oberhalb Reil. Oben, dort wo der Moselhöhenweg die Straße quert, eine Pause machen. Auf der Leitplanke sitzen und ins Moseltal schauen, dabei die Vorfreude auskosten, dass es ein Stück den Berg hinunter gehen würde. Das Rad laufen lassen, und dann den extrem flachen Anstieg durchs Alftal bis Wittlich unter die beiden Räder nehmen. Nein? Nein! Schon seit Stunden fuhr das Ausbrechen mit. Mit dem Rad wäre das so einfach. Eine Straßenkarte aus der nächsten Tankstelle würde reichen.
Josephshof - Graach
Mal wieder die vergebliche Suche nach einem Campingplatz in Mülheim an der Mosel. Eine schwache Erinnerung nach einer vergeblichen Suche vor vielen Jahren machte sich breit. Den gab es doch noch nie, oder doch? Der Campingplatz in Mülheim/Mosel ist in jeder Karte zu finden. Selbstverständlich auch in der neuen Karte vom Landesvermessungsamt (sorry, sollte das einer von denen lesen) für die Moselerlebnisroute . Leider gibt es keinen Campingplatz in dem Ort. Da wird auch keiner geplant. Vielleicht gab es mal einen. Vielleicht hat sich jemand einen Spaß erlaubt. Oder es gab mal einen Menschen, dem ein schlichter Fehler unterlaufen ist. Keine Ahnung. Jedenfalls reicht es fürs ewige Leben in Kartenwerken. Ich sollte mal eine Werner-Hohn-Bank melden. Für die Zeit nach dem Leben. Damit was vom Leben bleibt. Leider ignorieren die Vermessungsämter alles was von Privatpersonen kommt. Ohne amtliche Überprüfung, wird das nichts mit dem ewigen Leben in den Karten. Vielleicht könnte der Eifelverein eine Bank mit meinem Namen melden. Oder der Hunsrückverein. Oder sollte ich die Chance nutzen und einen Campingplatz aufmachen, vielleicht in Mülheim an der Mosel? Die Sorge, wie ich den in die Karten bekommen könnte, hätte ich nicht mehr.
Bei Andel: Da staunt der Flieger und macht den Spotbootführerschein.
Ganz im Gegensatz zu den Betreibern des Campingplatz in Wintrich. Deren Platz ist in keiner Karte zu finden, obwohl es den schon seit vielen Neuauflagen der hiesigen Wanderkarten gibt. Warum nicht, konnten die sich nicht erklären. Ein Schild am Radweg hatte mich auf den Platz geführt. Ein Bauernhof zwischen Weinstöcken, zwischen denen sich eine Wiese versteckte. Unter der Scheune eine neue Sanitäranlage. Ein paar Dauercamper am Rand. Ganz wenige Urlauber verstreut über die grüne Wiese. Nichts zu essen. Nur kalte Getränke. Gut, denn es war wieder ein Sommertag geworden. Verhungern muss man an der Mosel eh nicht. Der Kocher würde den zweiten Tag in der Packtasche bleiben. Eine Stunde tratschen mit den Besitzern. Zeltaufbau.
Bei Wintrich
Abends kamen noch zwei Mädels und ein Ehepaar mit Rädern. Erstere wollten noch bis Spanien. Angesichts der Jahreszeit, ihrer Tagesleistungen und ihres ausufernden Gepäcks hatte ich da meine Zweifel. Letztere fuhren gemütlich die Mosel runter. 40 bis 50 Kilometer am Tag langten denen. Wellnessradeln in jungen Jahren. Neben mit hatte sich ein Opa breitgemacht. Der war mit Motorroller unterwegs und klagte ausgiebig, dass Motorradfahrer ihn meiden. Irgendwie kann ich die Motorradfahrer verstehen. Viel besser als diese bin ich auch nicht, denn E-Bike Fahrer unter 65 kann ich mit Hingabe ignorieren. Es lebe das Vorurteil. Es steht zu befürchten, dass ich in den vergangenen zwei Tagen zu oft das Nachsehen gegen die hatte. Und überhaupt! Die Mosel ist ein Paradies für radelnde Rentner. Dabei dachte ich immer, die sind mit Wanderstöcken unterwegs. So viele Rentner auf Fahrrädern wie auf dem Moselradweg hatte ich bis dahin noch nicht gesehen.
Dritter Tag
Piesport
Bis Trier war es nicht mehr weit. Gegen Mittag würde ich eintreffen. Da kann'se den Tag auch mit einer Frühstückspause beginnen. Eine Kanne mit heißem Kaffee, Brötchen, Käse, Wurst und Marmelade. Nein, ein Ei könne er mir nicht anbieten, Fruchtsaft auch nicht. Na gut, was soll es. Ich fing an, dass Genussradeln zu verstehen. Schade, dass der Begriff schon erfunden war, sonst hätte ich mir den schützen lassen. Draußen auf der Terrasse, beschienen von der spätsommerlichen Morgensonne, bekam jeder Trödelradler von mir die Absolution. So schnell wollte ich nicht wieder weg. Alle guten Vorsätze hin und her. Den Tag genießen. Nicht hetzen lassen.
Neumagen-Dhron
In Wahrheit tat mir der Hintern weh. Und frag nicht wie sehr. Taubheitsgefühle hatten sich breit gemacht. Das da unten zwischen den Beinen war eine diffuse tote Zone. Sollte, musste ich mir Sorgen machen? Nee, noch war die „tote Zone“ zweitrangig. Die Schmerzen unter den Sitzknochen … oh-je, oh-je, über die machte ich mir Gedanken. Wehleidige, dem Schmerz huldigende Gedanken. Die Kissen auf den Stühlen der Bäckereiterrasse in Neumagen-Dhron waren so schön weich. Und der Stuhl schlug nicht von unten gegen die Knochen im Hintern. Beim bewegungslosen Sitzen mit dem Rücken an der Stuhllehne war von den Schmerzen nichts mehr zu spüren. So gut wie nichts mehr. Wollte ich wirklich schon aufstehen und mich wieder aufs Rad schwingen? Locker aufschwingen und ohne die Miene zu verziehen die Kurbel eine Runde weiter drehen. Dann noch eine. Und noch eine, der noch Tausende bis Trier folgen mussten, Der Gedanke an übersehene Schlaglöcher, an Kanten, an unsaubere Stöße, an Radwege aus Verbundpflastersteinen, gar an Schotterpisten machten das Sitzen auf gepolsterten Stühlen mit jeder Minute schöner.
Trittenheim
Noch 45 Kilometer bis Trier. Aufgeben? Bus? Nichts da. Rein in die Bäckerei. Bezahlen und weg. Noch heute bin ich sicher, hatte ich hatte gut dabei ausgesehen, wie ich mich die Schmerzen ignorierend aufs Rad schwang. Männer sind so. Heldenhaft wenige Minuten rollen und sitzen, dann würde es erträglich werden. Das hatte ich schon gelernt. Das war wie mit den Blasen an den Füßen. Erstmal einlaufen, bis die Flüssigkeit verdrängt ist, dann geht das schon. Eine große Pause würde ich mir an diesem Tag mit Sicherheit nicht mehr gönnen. Und das mit dem Taubheitsgefühl zwischen den Beinen würde sich bestimmt wieder geben. Und wenn nicht? Daran denken wir lieber mal nicht. Auch nicht an die Heimfahrt vom Bahnhof. Mit Widerwillen würde ich mich nach dem Aussteigen aus dem Zug aufs Rad schwingen und die letzten 8 Kilometer in Angriff nehmen, denn eins wusste ich in Neumagen-Dhron mit Sicherheit: es würde ein Angriff werden müssen. Der innere Schweinehund ist 'ne faule und bequeme Sau. Oder doch die Frau anrufen. Rad in Kleinwagen?
Neumagen-Dhron war ein guter Ort fürs Frühstück gewesen. Keine Läden mit Moselnippes, keine Saufstuben, keine Touristen. Ein schöner Ort an der Mosel. Es würde ein schöner Tag werden. Einer dieser Tage, an denen sich der Sommer noch einmal von der besten Seite zeigen würde. Eine Brise Herbst würde duchs Moseltal wehen, doch nur eine ganz schwache. Sie würde das Stickige, was so oft in den Flusstälern hängen bleibt, mitnehmen. Radfahrer waren nun zuhauf unterwegs. Viele mit dem Rennrad. Es war Samstag. Wochenendbeschäftigung.
Pausen gab es an diesem Morgen tatsächlich keine mehr. Nur Fotostopps und weiter. An Longuich vorbei, wo wir auf einer Wanderung im Jahr zuvor auf einem Feldweg von einer schwarzen Google-Karre mit Kameras auf dem Dach beinahe überfahren worden wären. Wir hätten eine Hauptrolle bei Street View gehabt.
Longuich
Vorbei an Ehrang, in dessen Industriegebiet ich mich zum Überfluss verfuhr, rüber nach Trier. Noch einmal, zum letzten Mal, ans andere Moselufer. Trier Zentrum. Endlich absteigen. Touristen zu Fuß, in Bussen, im infantilen Bimmelbähnchen. Die Porta Nigra wurde mit einem Foto bedacht. Der Rest der Aufmerksamkeit wurde für die Suche nach einem Platz fürs stille Geschäft benötigt. Zu Fuß kein Problem. Doch wohin mit dem Rad? Was ist mit dem Gepäck? Mit aufs Klo? Alles an das Geländer ketten und hoffen, dass die Trierer Unterwelt die Finger davon lässt? Sorgen, Sorgen, nichts als Sorgen. Als Wanderer waren mir solche Überlegungen fremd geblieben. Einmal Wanderer, immer Wanderer? Der natürliche Verlauf des fortgeschrittenen Verdauungsprozesses hatte mir die Entscheidung abgenommen. Es gibt schlimmeres als ein geklautes Rad. Und siehe da, alles war noch da. Die Jungs vom Bahnhofsvorplatz mit ihrem etwas schrägen Äußeren hatten sich nicht die Bohne für mein Rad interessiert. Es schien doch zu stimmen, dass heutzutage die Gauner im Biedermanngewand daher kommen.
Es war eine lustige Heimfahrt. Der Zug war überfüllt. Die komplette Moselstrecke bis Koblenz musste ich stehen. Das hatte mich überhaupt nicht gestört. Stehen war eine Wohltat. Für einen Stehplatz hätte ich sogar Zuschlag gezahlt. Unterhalten wurde ich von einer Rotte quietschfideler Rentnerinnen aus Düsseldorf. Ein paar Tage Mosel hatten sie sich gegönnt. Pläne wurden geschmiedet. Eine würde sich in wenigen Wochen für Monate in die USA verfrachten, eine andere schon am nächsten Tag für Wochen auf die Kanaren, die nächste fieberte dem Winter und damit ihrer Kreuzfahrt irgendwo in oder um halb Asien entgegen. Mit meiner Radtour konnte ich bei denen nicht landen. Ja, wenn wir mal nicht mehr aus dem Land weg können, kaufen wir uns eventuell Räder und lassen es ruhig angehen.
Die Mosel bei Schweich
Heldenhaft war die Heimfahrt. 8 Kilometer vom Bahnhof bis zur Haustür. Meine Frau war nicht da. Ich musste mit dem Rad fahren. Die ersten 7 Kilometer geht es den Berg hinauf. Zuerst ganz sachte, dann wird es für einen halben Kilometer beinahe eben. Leute, die die Strecke nicht kennen, schöpfen auf diesem halben Kilometer Hoffnung. Ich kannte die Strecke. Die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, doch wenn man das Zuletzt schon kennt, macht man sich keine Hoffnung. Dann steigt die Strecke an. Runter mit den Gängen. Auf dem kleinsten Blatt war ich schon lange. Trotzdem brannte der Hintern. Runter aufs größte Ritzel. Der Hintern brannte mehr. Das größte Ritzel wurde nicht mehr größer. Fester, kräftiger treten. Der Hintern brannte immer mehr. Pause? Raus aus dem Sattel in den Wiegetritt? Dafür reichte die Kraft nicht. Ja, Pause. Wenn jetzt ein Nachbar gekommen wäre, „Da steht er, unser Radler!“ Also Pause im Wald. Weiter. Je steiler es wurde, umso mehr brannte der Hintern. Höllenfeuer im Schritt. So muss das Innere der Sonne sein. Pause? Pause! Pause! Pause! Wald war genug da. Ich kenne jeden Weg hier. Der letzte Kilometer Straße würde mörderisch werden. Ich kenne einen Waldweg der die Serpentinen abkürzt. Der Waldweg ist saumäßg steil, und war damals frisch mit feinstem Basaltsplitt aufgeschüttet. Traktion würde das Hinterrad dort nicht finden. Das war auch nicht beabsichtigt. Hauptsache gut versteckt im Wald. Es war eine elende Schinderei. Als Wanderer mag ich schon keinen feinen Basaltsplitt, jetzt, als Radschieber noch weniger. Eine halbe Stunde hatte ich für die 500 Meter durch den Wald gebraucht. Ach, muss ich erwähnen, dass es Hobbyradrennfahrer gibt, die die gewaltige Steilstrecke auf der Straße mit großer Übersetzung fahren? Nein, denn das würde mein Heldentum am Berg schmälern. Zum Schluss ging es mit bis 18 % Gefälle den Berg hinunter bis vor die Haustür. So müssen sich Cäsaren bei ihrem Einzug in Rom nach siegreichen Schlachten gefühlt haben.
Porta Nigra - Trier
Abends hatte mich meine Frau in die Wirklichkeit zurück geholt. Nein, ein „Bedenke, dass du sterblich bist“ war dazu nicht nötig. Ein profanes „Eh, da sind zwei Blutergüsse an deinem Hintern!“ hatte gelangt. Ah-ja. Ein neuer Sattel musste her. Eine Woche später war ich wieder auf dem Rheinradweg unterwegs, wieder nach Mühlheim-Kärlich. Das Fahrradfachgeschäft hatte natürlich einen Damit-bekommen-sie-keine-Probleme-Sattel. Man(n) kauft sowas gerne. Immerhin wollte ich eine Woche später mit dem Rad nach Rotterdam.
Die Fotobilanz nach 235 Kilometern: 146. Das macht alle 1,6 km ein Foto. Geht doch.
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