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So, bringen wir's zu Ende!
Am Abend des 6. Septembers kam ich von meinem glimpflich ausgegangenen Eureka Creek Abenteuer zurück und verbrachte das Wochenende in Anchorage bei einer jungen Dame, die ich wenige Wochen zuvor in Alaska kennengelernt hatte. Am Montag, den 10. September ging sie wieder auf Arbeit und ich wieder auf Tour: diesmal brach ich in die Talkeetna Mountains auf.
Die Entscheidung für die Tour wurde schnell und recht spontan getroffen. Es sollte wieder eine Kombination aus Trekking und Rafting werden, schließlich wollte ich mein brandneues Paddel testen. In die wirklich hohen Berge konnte ich nicht, dafür gab es bereits zu viel Schnee.
Ich beschäftigte mich einen Vormittag lang mit der Topographie der Talkeetnas, zog ein paar rote Linien auf Google Earth und entschied mich letztendlich für eine Tour von Eureka nach Talkeetna. Mein Routenverlauf bestand im Wesentlichen aus zwei Etappen: zunächst erwarteten mich 200 km Fußmarsch, für die ich acht Tage kalkulierte. Dann würde ich auf den Talkeetna River treffen, etwa 30 km oberhalb des Zuflusses von Prairie Creek. Mein Plan war, dort ins Boot zu steigen und die restlichen 120 km bis Talkeetna in etwa drei bis vier Tagen zu raften. Kurzen Recherchen zufolge waren auf dem Talkeetna River keine allzu großen Überraschungen zu erwarten – Schwierigkeiten schon, aber keine tödlichen und nichts, was unvorhersehbar wäre. Das reichte mir erst mal. Ich riss vier Seiten aus meinem Alaska Atlas (1:300.000) und trampte am Nachmittag auf dem Glenn Highway nach Osten. Übrigens erfuhr ich später, dass es schon mal ein Alaska Wilderness Classic Race mit gleichem Start- und Endpunkt gab, allerdings wählten die Teilnehmer damals wohl eine kürzere, direktere Route.
Meine selbstgebackenen Müsli-Riegel, frisch aus dem Ofen.
Es war ein wundervoller Tag, der erste nach einer langen Regenperiode im Süden Alaskas. Das Wetter sollte eine Weile stabil bleiben aber ich ahnte schon, dass ich bald wieder im Regen stehen würde – umso mehr genoss ich die wärmenden Sonnenstrahlen, als ich am Abend in Eureka ankam und mein Zelt etwa einen Kilometer von der Straße entfernt an einem kleinen Teich aufbaute. Nachts herrschten -12°C, am darauffolgenden Morgen erwachte ich unter blauem Himmel.
Die Talkeetnas sind eine beliebte Jagdregion mit relativ lockeren Nutzungsbestimmungen. Es führt ein ATV-Trail von Eureka entlang des (Little) Oshetna Rivers nach Norden, bis fast zum Denali Highway, der von vielen Jägern genutzt wird. Mit ihren ATVs verlassen sie öfter mal den Hauptweg und biegen in die Seitentäler ein, im Laufe der Zeit entstehen dadurch eine Menge kleinerer Pfade. Soweit ich weiß gibt es allerdings keine Karte, in die das Netz aus alten und neueren Trails eingezeichnet ist.
Ich ging davon aus, den gesamten ersten Tag einem Weg folgen zu können und dann nach Nordwesten abzubiegen, wo ich nur noch wegloses Terrain vor mir hatte. Zu Beginn der Tour, in der Nähe des Highways, sah ich noch viele Jäger in beide Richtungen an mir vorbeibrausen, alle warfen mir achtungsvolle Blicke zu. Eine junge Frau rief sogar „You are an inspiration!“ von ihrer allrad-betriebenen Maschine herunter, als sie mich überholte. Dann lass die Bude stehen und geh zu Fuß weiter, dachte ich mir nur und schüttelte den Kopf. Allerdings fühlte ich mich durch die Jäger nicht wirklich gestört, schließlich wusste ich genau, dass ich kaum noch jemanden sehen würde, wenn ich mich erst mal 20 km vom Highway entfernt hatte.
An diesem Tag folgte ich dem Trail bis zum Little Nelchina River – es war atemberaubend, in diesem Wetter durch die in voller Herbstpracht stehende Landschaft zu gehen. Genauso sollte Alaska im September sein.
Am dritten Tag meiner Reise folgte ich dem Little Nelchina flussaufwärts. Mit meinen Wetterprognosen hatte ich Recht: tiefe Wolken hingen am Himmel, Regen und Schnee wechselten sich ab. Zu meiner Überraschung verlief der Hauptweg nicht direkt nach Norden, sondern bog, genau wie ich, nach Western zum Horsepasture Pass ein, wo ich am Abend mein Camp errichtete. Es begann bereits zu schneien. Am nächsten Morgen erwachte ich um 7.00 Uhr mit einer dünnen Schneeschichte auf meinem Zelt – da die Lichtverhältnisse gut waren, machte ich zunächst ein paar Fotos, bevor ich mit dem Zeltabbau begann.
Ich marschierte weiter nach Norden und stieg zum Little Oshetna River ab. Der Hauptweg führte nun geradeaus weiter, ich bog erneut nach Western ein, stromaufwärts. Zu meiner großen Überraschung gab es auch hier noch einen Trail, der mich bis über den Pass und runter zum Gold Creek führte. Jäger waren hier keine mehr unterwegs.
Angesichts des schlechten Wetters und des immer wieder aufkommenden Nebels war ich wirklich froh über den Trail. Überhaupt kann ich nicht so ganz verstehen, dass erfahrene Wildnisreisende hin und wieder mal bemerken, wie ungern sie doch auf Wegen bzw. Pisten gehen; erst neulich habe ich davon in einem Reisbericht hier auf ODS gelesen. Es ist doch so: entweder ist eine Gegend noch sehr ursprünglich, einsam und abgeschieden, oder sie ist es nicht. Wenn ich nun in so einer „wilden“ Gegend unterwegs bin und mein „Wildnisbedürfnis“ durch die Abgeschiedenheit grundsätzlich „befriedigt“ wird, dann ist es doch nur positiv, wenn ich auf einen Pfad treffe, der mir das Vorankommen erleichtert. Denn tatsächlich ist das Gehen auf einem Weg angenehmer, als im weglosen Gelände – mag ja sein, dass sich die Wildnisreisenden hier physiologisch unterscheiden; bei mir ist das jedenfalls so der Fall!
Wenn eine Gegend allerdings eigentlich relativ erschlossen und gar nicht so „wild“ ist (vielleicht auch, weil hin und wieder mal Autos vorbeifahren, die irgendwelche Hütten versorgen müssen) und man deshalb auf Wege oder Pisten trifft, dann sind es doch nicht die Wege an sich, die „stören“, sondern die umliegende Zivilisation, die das „erlebte Wildnisgefühl“ einschränkt. Mit anderen Worten: ich freue mich immer, wenn ich beim Trekking zur Abwechslung mal auf einen Weg treffe und würde diesen Weg dann auch niemals meiden, nur um die Illusion „Wildnis“ aufrecht zu halten. Warum ich dann in Alaska fast ausnahmslos im weglosen Gelände unterwegs bin? Ganz einfach, weil es in den Gegenden, die ich sehen will, so gut wie keine Wege gibt.
Schrott aus Goldgräber-Zeiten.
Am Nachmittag des 14. Septembers überquerte ich den Oshetna River und stieg auf der gegenüberliegenden Talseite wieder auf – Wege gab es nun nicht mehr. Mein Camp errichtete ich zwischen den Twin Hills und Crater Lake, ein ziemlich genialer Zeltplatz.
Zum dritten Mal auf dieser Tour hatte es nachts geschneit, an diesem Morgen kam allerdings noch Nebel hinzu, was mir die Orientierung auf dem Hochplateau stark erschwerte. Zum ersten Mal auf meinen Alaska-Reisen brauchte ich meinen Kompass, der mich nun verlässlich nach Norden führte. Irgendwann am Nachmittag klarte es auf und ich stieg zum Black River ab.
Wie die meisten anderen Flüsse in der Umgebung war auch der Black River relativ leicht zu furten. Etwas mühsamer war der Aufstieg in ein weiteres, kleines Tal in nordwestlicher Richtung, das nun mit seinen sumpfigen Wiesen auf mich wartete. Allerdings traf ich dort auf die größte Caribou-Herde, die ich bisher in Alaska gesehen habe, etwa 70 Tiere.
Am Morgen des 16. Septembers stieg ich zum höchsten Pass meiner Tour auf (über 1500 m). Da oben stapfte ich im tiefen Schnee und Nebel umher, der Wind wehte stark und mir wurde bitterkalt, sobald ich kurz stehen blieb. Ein paar Caribous kamen mir entgegen.
Im nächsten Tal angekommen überquerte ich den Kosina Creek und verbrachte die Nacht nah am Wasser. John Creek folgend ging es dann auch schon auf zum letzten Pass, ab dem Nachmittag sogar ohne Regen oder Schnee.
Am 18. September stieg ich durch das dichte Gebüsch zum Talkeetna River ab, damit war der erste Teil meiner Tour erledigt.
Kosina Creek, im Hintergrund ein Grizzly.
Im Regen blies ich mein Packraft auf und begann zu raften. Der Fluss führte mehr Wasser, als ich vermutet hatte, trotzdem gab es keine technischen Schwierigkeiten. Zumindest nicht hier im Oberlauf – weiter unten vermutete ich schon stärkere Stromschnellen, davon hatte ich zuvor ja gelesen.
Nach etwa zwei Stunden auf dem Wasser hielt ich verstärkt nach potentiellen Zeltplätzen Ausschau, es wurde bereits Abend. Plötzlich sah ich am linken Flussufer, etwas erhöht im Wald stehend, ein paar Hütten. Toll, dachte ich mir, dort kann ich mein Zelt aufschlagen. Manchmal sind diese Hütten ja sogar offen, vielleicht gibt’s irgendwo einen Ofen? Bis Talkeetna waren es von dort aus noch etwa 100 km zu raften, dafür würde ich sowieso zwei volle Tage brauchen.
Ich hielt also links an und stieg aus dem Boot. Genau in diesem Moment trat ein Mann aus einer der Hütten, er hielt einen Besen in der Hand und schaute mich ungläubig an. Dieser Blick ist mir in Alaska schon oft begegnet: es ist der Blick eines Menschen, der sich in der einsamsten Wildnis wähnt und sich im Traum nicht vorstellen konnte, dass da plötzlich ein fröhlich dreinschauender junger Bursche aus dem Nichts auftaucht, so, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Ich ging also auf ihn zu und erkundigte mich, was es denn mit diesem Ort auf sich hatte: zu viert waren sie, Männer zwischen 45 und 65 Jahren, mindestens einmal jährlich treffen sie sich hier für ein paar Wochen zum Jagen und Entspannen. Es gibt eine kleine Landepiste, einer der Männer war Pilot und hat sein eigenes Buschflugzeug, mit dem er jeden einzeln von Talkeetna aus einfliegen konnte. Jeder hatte seine eigene Hütte, außerdem gab es eine zusätzliche Hütte und mehrere kleine Gebäude zur Lagerung und Instandhaltung, außerdem die größere „main cabin“ mit Holzofen und Küche.
Ich fragte, ob ich irgendwo mein Zelt aufstellen könnte. Vern, so hieß der Mann, lachte nur kurz auf und zeigte mir die freie Hütte, in der ich schlafen konnte. „Mach‘s dir bequem, du kannst so lange bleiben, wie du willst. Um 7 Uhr ist Abendessen, da drüben in der großen Hütte. Und jetzt hol‘ ich dir erst mal ein Bier.“ Eine halbe Minute später kam er mit zwei Bierdosen zu „meiner“ Hütte, zeigte mir, wie der Ofen funktionierte und meinte, ich solle mich wie zu Hause fühlen. Meine Stiefel nahm er mit rüber; über dem Holzofen würden sie besser trocknen, meinte er. Na gut, dachte ich, besser konnte es mal wieder nicht laufen.
Zum Abendessen gab es Hühnchen, Kartoffeln, Salat und einige kleinere Snacks – ich schlug mir den Magen voll, hatte ja eine ganze Weile nicht Vernünftiges mehr gegessen! Dazu wurde ordentlich Bier getrunken, zu späterer Stunde mischte man dann härtere Drinks. Es gab eine kleine Bar in der Hütte, wir waren also mit allerlei Spirituosen versorgt. Im Gespräch machte ich dann klar, dass ich am nächsten Morgen weiter raften wollte, aber die Herrschaften überzeugten mich davon, einen Tag zu bleiben und Tom auf die Jagd zu begleiten. Die Entscheidung fiel mir nicht sonderlich schwer – meine Gastgeber waren alle großartige Gesprächspartner und draußen regnete es ununterbrochen, da machte das Raften sowieso keinen Spaß.
Nachdem ich mit Tom auf der Jagd gewesen war und die Runde am Abend wieder in Feierlaune war, machte ich mir ernsthaft Gedanken über meine Heimkehr. Draußen regnete es, der Pegel des Talkeetna Rivers stieg. Am späten Nachmittag des 20. Septembers führte der Fluss Hochwasser, jede Minute sah man ganze Bäume den Fluss hinunter treiben. Der Pilot, der schon etliche Male über den Fluss geflogen war, berichtete mir von einigen großen Stromschnellen, die jetzt in diesen Wassermengen und mit all den Baumstämmen im Fluss vielleicht zu gefährlich, möglicherweise sogar tödlich wären. Klar, bei den schwierigen Stromschnellen hätte ich wohl sowieso umtragen müssen, aber mit Hochwasser hatte ich nicht gerechnet.
Am frühen Morgen des 21. Septembers hatte der Wasserstand sein Maximum erreicht. Es schien die Sonne, aber über ein Satellitentelefon wurden wir darüber informiert, dass man in Talkeetna mehrere Häuser evakuiert hätte, das ganze Gebiet sei überschwemmt und die Feuerwehr sei überall im Einsatz. Vor den Hütten in unserem Camp stand das Wasser mittlerweile schon sehr hoch; meine Gastgeber hatten Sorge, dass es die Landepiste mitsamt des Flugzeugs wegspülen könnte. Eine solche Flut hatten sie in den 20 Jahren, in denen sie hier waren, noch nie gesehen. Und das im September – ein eigentlich eher trockener Monat! Ich fühlte mich vom Pech verfolgt.
Man überredete mich dazu, mich ausfliegen zu lassen. Das war offensichtlich das Vernünftigste, zumal der Pilot so noch ein paar Kleinigkeiten in Talkeetna besorgen konnte. Als ich aus der Vogelperspektive auf den Fluss hinab sah, war sonnenklar, dass wir die einzig richtige Entscheidung getroffen hatten. Überall schwammen Bäume im Wasser und die Stromschnellen waren gewaltig!
Am Nachmittag des 21. Septembers war ich wieder zurück in Palmer bei meinen „Alaska parents“. Die beiden hatten sich schon Sorgen gemacht, natürlich wurde in den Nachrichten von den Fluten berichtet.
Ich hatte mal wieder großes Glück, als ich auf die Männer in diesem Camp am Fluss traf. Nicht nur, weil sie mich beherbergten und mich letztendlich auf sicherstem Wege nach Talkeetna brachten, sondern auch, weil sie ihren Grund und Boden langfristig auf irgendeine Art und Weise kommerziell nutzen möchten und dann gegebenenfalls einen Guide brauchen, der die Talkeetna Mountains kennt. Sie fragten mich nach meiner Einschätzung der Lage und meinen Erfahrungen in der Gegend (das war ja schon meine dritte Tour in der Region), gemeinsam sammelten wir ein paar Ideen. Später traf ich Vern noch mal in Anchorage zum Essen, wo wir erneut über all das diskutierten – das alles könnte jedenfalls interessant werden, denke ich. Falls es konkrete Neuigkeiten gibt, werde ich auf meiner Website darüber berichten.
Damit kommt die vierteilige Reisebericht-Serie über meine diesjährige Zeit in Alaska nun zu einem Ende. 13 Wochen Alaska – es war mal wieder großartig! Im nächsten Jahr werde ich wieder den ganzen Sommer da oben verbringen, dann aller Voraussicht nach jedoch kaum auf eigenen Touren, sondern als Guide. Ich hoffe nur auf besseres Wetter.
Am Abend des 6. Septembers kam ich von meinem glimpflich ausgegangenen Eureka Creek Abenteuer zurück und verbrachte das Wochenende in Anchorage bei einer jungen Dame, die ich wenige Wochen zuvor in Alaska kennengelernt hatte. Am Montag, den 10. September ging sie wieder auf Arbeit und ich wieder auf Tour: diesmal brach ich in die Talkeetna Mountains auf.
Die Entscheidung für die Tour wurde schnell und recht spontan getroffen. Es sollte wieder eine Kombination aus Trekking und Rafting werden, schließlich wollte ich mein brandneues Paddel testen. In die wirklich hohen Berge konnte ich nicht, dafür gab es bereits zu viel Schnee.
Ich beschäftigte mich einen Vormittag lang mit der Topographie der Talkeetnas, zog ein paar rote Linien auf Google Earth und entschied mich letztendlich für eine Tour von Eureka nach Talkeetna. Mein Routenverlauf bestand im Wesentlichen aus zwei Etappen: zunächst erwarteten mich 200 km Fußmarsch, für die ich acht Tage kalkulierte. Dann würde ich auf den Talkeetna River treffen, etwa 30 km oberhalb des Zuflusses von Prairie Creek. Mein Plan war, dort ins Boot zu steigen und die restlichen 120 km bis Talkeetna in etwa drei bis vier Tagen zu raften. Kurzen Recherchen zufolge waren auf dem Talkeetna River keine allzu großen Überraschungen zu erwarten – Schwierigkeiten schon, aber keine tödlichen und nichts, was unvorhersehbar wäre. Das reichte mir erst mal. Ich riss vier Seiten aus meinem Alaska Atlas (1:300.000) und trampte am Nachmittag auf dem Glenn Highway nach Osten. Übrigens erfuhr ich später, dass es schon mal ein Alaska Wilderness Classic Race mit gleichem Start- und Endpunkt gab, allerdings wählten die Teilnehmer damals wohl eine kürzere, direktere Route.
Meine selbstgebackenen Müsli-Riegel, frisch aus dem Ofen.
Es war ein wundervoller Tag, der erste nach einer langen Regenperiode im Süden Alaskas. Das Wetter sollte eine Weile stabil bleiben aber ich ahnte schon, dass ich bald wieder im Regen stehen würde – umso mehr genoss ich die wärmenden Sonnenstrahlen, als ich am Abend in Eureka ankam und mein Zelt etwa einen Kilometer von der Straße entfernt an einem kleinen Teich aufbaute. Nachts herrschten -12°C, am darauffolgenden Morgen erwachte ich unter blauem Himmel.
Die Talkeetnas sind eine beliebte Jagdregion mit relativ lockeren Nutzungsbestimmungen. Es führt ein ATV-Trail von Eureka entlang des (Little) Oshetna Rivers nach Norden, bis fast zum Denali Highway, der von vielen Jägern genutzt wird. Mit ihren ATVs verlassen sie öfter mal den Hauptweg und biegen in die Seitentäler ein, im Laufe der Zeit entstehen dadurch eine Menge kleinerer Pfade. Soweit ich weiß gibt es allerdings keine Karte, in die das Netz aus alten und neueren Trails eingezeichnet ist.
Ich ging davon aus, den gesamten ersten Tag einem Weg folgen zu können und dann nach Nordwesten abzubiegen, wo ich nur noch wegloses Terrain vor mir hatte. Zu Beginn der Tour, in der Nähe des Highways, sah ich noch viele Jäger in beide Richtungen an mir vorbeibrausen, alle warfen mir achtungsvolle Blicke zu. Eine junge Frau rief sogar „You are an inspiration!“ von ihrer allrad-betriebenen Maschine herunter, als sie mich überholte. Dann lass die Bude stehen und geh zu Fuß weiter, dachte ich mir nur und schüttelte den Kopf. Allerdings fühlte ich mich durch die Jäger nicht wirklich gestört, schließlich wusste ich genau, dass ich kaum noch jemanden sehen würde, wenn ich mich erst mal 20 km vom Highway entfernt hatte.
An diesem Tag folgte ich dem Trail bis zum Little Nelchina River – es war atemberaubend, in diesem Wetter durch die in voller Herbstpracht stehende Landschaft zu gehen. Genauso sollte Alaska im September sein.
Am dritten Tag meiner Reise folgte ich dem Little Nelchina flussaufwärts. Mit meinen Wetterprognosen hatte ich Recht: tiefe Wolken hingen am Himmel, Regen und Schnee wechselten sich ab. Zu meiner Überraschung verlief der Hauptweg nicht direkt nach Norden, sondern bog, genau wie ich, nach Western zum Horsepasture Pass ein, wo ich am Abend mein Camp errichtete. Es begann bereits zu schneien. Am nächsten Morgen erwachte ich um 7.00 Uhr mit einer dünnen Schneeschichte auf meinem Zelt – da die Lichtverhältnisse gut waren, machte ich zunächst ein paar Fotos, bevor ich mit dem Zeltabbau begann.
Ich marschierte weiter nach Norden und stieg zum Little Oshetna River ab. Der Hauptweg führte nun geradeaus weiter, ich bog erneut nach Western ein, stromaufwärts. Zu meiner großen Überraschung gab es auch hier noch einen Trail, der mich bis über den Pass und runter zum Gold Creek führte. Jäger waren hier keine mehr unterwegs.
Angesichts des schlechten Wetters und des immer wieder aufkommenden Nebels war ich wirklich froh über den Trail. Überhaupt kann ich nicht so ganz verstehen, dass erfahrene Wildnisreisende hin und wieder mal bemerken, wie ungern sie doch auf Wegen bzw. Pisten gehen; erst neulich habe ich davon in einem Reisbericht hier auf ODS gelesen. Es ist doch so: entweder ist eine Gegend noch sehr ursprünglich, einsam und abgeschieden, oder sie ist es nicht. Wenn ich nun in so einer „wilden“ Gegend unterwegs bin und mein „Wildnisbedürfnis“ durch die Abgeschiedenheit grundsätzlich „befriedigt“ wird, dann ist es doch nur positiv, wenn ich auf einen Pfad treffe, der mir das Vorankommen erleichtert. Denn tatsächlich ist das Gehen auf einem Weg angenehmer, als im weglosen Gelände – mag ja sein, dass sich die Wildnisreisenden hier physiologisch unterscheiden; bei mir ist das jedenfalls so der Fall!
Wenn eine Gegend allerdings eigentlich relativ erschlossen und gar nicht so „wild“ ist (vielleicht auch, weil hin und wieder mal Autos vorbeifahren, die irgendwelche Hütten versorgen müssen) und man deshalb auf Wege oder Pisten trifft, dann sind es doch nicht die Wege an sich, die „stören“, sondern die umliegende Zivilisation, die das „erlebte Wildnisgefühl“ einschränkt. Mit anderen Worten: ich freue mich immer, wenn ich beim Trekking zur Abwechslung mal auf einen Weg treffe und würde diesen Weg dann auch niemals meiden, nur um die Illusion „Wildnis“ aufrecht zu halten. Warum ich dann in Alaska fast ausnahmslos im weglosen Gelände unterwegs bin? Ganz einfach, weil es in den Gegenden, die ich sehen will, so gut wie keine Wege gibt.
Schrott aus Goldgräber-Zeiten.
Am Nachmittag des 14. Septembers überquerte ich den Oshetna River und stieg auf der gegenüberliegenden Talseite wieder auf – Wege gab es nun nicht mehr. Mein Camp errichtete ich zwischen den Twin Hills und Crater Lake, ein ziemlich genialer Zeltplatz.
Zum dritten Mal auf dieser Tour hatte es nachts geschneit, an diesem Morgen kam allerdings noch Nebel hinzu, was mir die Orientierung auf dem Hochplateau stark erschwerte. Zum ersten Mal auf meinen Alaska-Reisen brauchte ich meinen Kompass, der mich nun verlässlich nach Norden führte. Irgendwann am Nachmittag klarte es auf und ich stieg zum Black River ab.
Wie die meisten anderen Flüsse in der Umgebung war auch der Black River relativ leicht zu furten. Etwas mühsamer war der Aufstieg in ein weiteres, kleines Tal in nordwestlicher Richtung, das nun mit seinen sumpfigen Wiesen auf mich wartete. Allerdings traf ich dort auf die größte Caribou-Herde, die ich bisher in Alaska gesehen habe, etwa 70 Tiere.
Am Morgen des 16. Septembers stieg ich zum höchsten Pass meiner Tour auf (über 1500 m). Da oben stapfte ich im tiefen Schnee und Nebel umher, der Wind wehte stark und mir wurde bitterkalt, sobald ich kurz stehen blieb. Ein paar Caribous kamen mir entgegen.
Im nächsten Tal angekommen überquerte ich den Kosina Creek und verbrachte die Nacht nah am Wasser. John Creek folgend ging es dann auch schon auf zum letzten Pass, ab dem Nachmittag sogar ohne Regen oder Schnee.
Am 18. September stieg ich durch das dichte Gebüsch zum Talkeetna River ab, damit war der erste Teil meiner Tour erledigt.
Kosina Creek, im Hintergrund ein Grizzly.
Im Regen blies ich mein Packraft auf und begann zu raften. Der Fluss führte mehr Wasser, als ich vermutet hatte, trotzdem gab es keine technischen Schwierigkeiten. Zumindest nicht hier im Oberlauf – weiter unten vermutete ich schon stärkere Stromschnellen, davon hatte ich zuvor ja gelesen.
Nach etwa zwei Stunden auf dem Wasser hielt ich verstärkt nach potentiellen Zeltplätzen Ausschau, es wurde bereits Abend. Plötzlich sah ich am linken Flussufer, etwas erhöht im Wald stehend, ein paar Hütten. Toll, dachte ich mir, dort kann ich mein Zelt aufschlagen. Manchmal sind diese Hütten ja sogar offen, vielleicht gibt’s irgendwo einen Ofen? Bis Talkeetna waren es von dort aus noch etwa 100 km zu raften, dafür würde ich sowieso zwei volle Tage brauchen.
Ich hielt also links an und stieg aus dem Boot. Genau in diesem Moment trat ein Mann aus einer der Hütten, er hielt einen Besen in der Hand und schaute mich ungläubig an. Dieser Blick ist mir in Alaska schon oft begegnet: es ist der Blick eines Menschen, der sich in der einsamsten Wildnis wähnt und sich im Traum nicht vorstellen konnte, dass da plötzlich ein fröhlich dreinschauender junger Bursche aus dem Nichts auftaucht, so, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Ich ging also auf ihn zu und erkundigte mich, was es denn mit diesem Ort auf sich hatte: zu viert waren sie, Männer zwischen 45 und 65 Jahren, mindestens einmal jährlich treffen sie sich hier für ein paar Wochen zum Jagen und Entspannen. Es gibt eine kleine Landepiste, einer der Männer war Pilot und hat sein eigenes Buschflugzeug, mit dem er jeden einzeln von Talkeetna aus einfliegen konnte. Jeder hatte seine eigene Hütte, außerdem gab es eine zusätzliche Hütte und mehrere kleine Gebäude zur Lagerung und Instandhaltung, außerdem die größere „main cabin“ mit Holzofen und Küche.
Ich fragte, ob ich irgendwo mein Zelt aufstellen könnte. Vern, so hieß der Mann, lachte nur kurz auf und zeigte mir die freie Hütte, in der ich schlafen konnte. „Mach‘s dir bequem, du kannst so lange bleiben, wie du willst. Um 7 Uhr ist Abendessen, da drüben in der großen Hütte. Und jetzt hol‘ ich dir erst mal ein Bier.“ Eine halbe Minute später kam er mit zwei Bierdosen zu „meiner“ Hütte, zeigte mir, wie der Ofen funktionierte und meinte, ich solle mich wie zu Hause fühlen. Meine Stiefel nahm er mit rüber; über dem Holzofen würden sie besser trocknen, meinte er. Na gut, dachte ich, besser konnte es mal wieder nicht laufen.
Zum Abendessen gab es Hühnchen, Kartoffeln, Salat und einige kleinere Snacks – ich schlug mir den Magen voll, hatte ja eine ganze Weile nicht Vernünftiges mehr gegessen! Dazu wurde ordentlich Bier getrunken, zu späterer Stunde mischte man dann härtere Drinks. Es gab eine kleine Bar in der Hütte, wir waren also mit allerlei Spirituosen versorgt. Im Gespräch machte ich dann klar, dass ich am nächsten Morgen weiter raften wollte, aber die Herrschaften überzeugten mich davon, einen Tag zu bleiben und Tom auf die Jagd zu begleiten. Die Entscheidung fiel mir nicht sonderlich schwer – meine Gastgeber waren alle großartige Gesprächspartner und draußen regnete es ununterbrochen, da machte das Raften sowieso keinen Spaß.
Nachdem ich mit Tom auf der Jagd gewesen war und die Runde am Abend wieder in Feierlaune war, machte ich mir ernsthaft Gedanken über meine Heimkehr. Draußen regnete es, der Pegel des Talkeetna Rivers stieg. Am späten Nachmittag des 20. Septembers führte der Fluss Hochwasser, jede Minute sah man ganze Bäume den Fluss hinunter treiben. Der Pilot, der schon etliche Male über den Fluss geflogen war, berichtete mir von einigen großen Stromschnellen, die jetzt in diesen Wassermengen und mit all den Baumstämmen im Fluss vielleicht zu gefährlich, möglicherweise sogar tödlich wären. Klar, bei den schwierigen Stromschnellen hätte ich wohl sowieso umtragen müssen, aber mit Hochwasser hatte ich nicht gerechnet.
Am frühen Morgen des 21. Septembers hatte der Wasserstand sein Maximum erreicht. Es schien die Sonne, aber über ein Satellitentelefon wurden wir darüber informiert, dass man in Talkeetna mehrere Häuser evakuiert hätte, das ganze Gebiet sei überschwemmt und die Feuerwehr sei überall im Einsatz. Vor den Hütten in unserem Camp stand das Wasser mittlerweile schon sehr hoch; meine Gastgeber hatten Sorge, dass es die Landepiste mitsamt des Flugzeugs wegspülen könnte. Eine solche Flut hatten sie in den 20 Jahren, in denen sie hier waren, noch nie gesehen. Und das im September – ein eigentlich eher trockener Monat! Ich fühlte mich vom Pech verfolgt.
Man überredete mich dazu, mich ausfliegen zu lassen. Das war offensichtlich das Vernünftigste, zumal der Pilot so noch ein paar Kleinigkeiten in Talkeetna besorgen konnte. Als ich aus der Vogelperspektive auf den Fluss hinab sah, war sonnenklar, dass wir die einzig richtige Entscheidung getroffen hatten. Überall schwammen Bäume im Wasser und die Stromschnellen waren gewaltig!
Am Nachmittag des 21. Septembers war ich wieder zurück in Palmer bei meinen „Alaska parents“. Die beiden hatten sich schon Sorgen gemacht, natürlich wurde in den Nachrichten von den Fluten berichtet.
Ich hatte mal wieder großes Glück, als ich auf die Männer in diesem Camp am Fluss traf. Nicht nur, weil sie mich beherbergten und mich letztendlich auf sicherstem Wege nach Talkeetna brachten, sondern auch, weil sie ihren Grund und Boden langfristig auf irgendeine Art und Weise kommerziell nutzen möchten und dann gegebenenfalls einen Guide brauchen, der die Talkeetna Mountains kennt. Sie fragten mich nach meiner Einschätzung der Lage und meinen Erfahrungen in der Gegend (das war ja schon meine dritte Tour in der Region), gemeinsam sammelten wir ein paar Ideen. Später traf ich Vern noch mal in Anchorage zum Essen, wo wir erneut über all das diskutierten – das alles könnte jedenfalls interessant werden, denke ich. Falls es konkrete Neuigkeiten gibt, werde ich auf meiner Website darüber berichten.
Damit kommt die vierteilige Reisebericht-Serie über meine diesjährige Zeit in Alaska nun zu einem Ende. 13 Wochen Alaska – es war mal wieder großartig! Im nächsten Jahr werde ich wieder den ganzen Sommer da oben verbringen, dann aller Voraussicht nach jedoch kaum auf eigenen Touren, sondern als Guide. Ich hoffe nur auf besseres Wetter.
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