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Ich wurde gebeten, mal aus alten Zeiten Reisegeschichten aus Rumänien zu erzählen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu weit aushole. Ich werde also nicht berichten von den Planungen über Karten von Süd-Ost-Europa nach der Entlassung aus der NVA, den Reisen danach und dem Virus, der mich befiel. Ich werde einiges überspringen und davon erzählen, wie ich Gert (Alibotusch ließ er sich dann später nennen) von den Vorteilen einer Radtour in Rumänien vorschwärmte. Wir schreiben das Jahr 1986 und im Tagebuch einer harten Retezat-Wanderung im Frühsommer '86 steht:
Was nun folgt sind weitestgehend originale Tagebucheinträge von damals. Ich habe heute nur versucht die Grammatik zu redigieren und ggf. zum Verständnis Notwendiges zu ergänzen (kursiv).
Saalfeld, 23. Sep. 1986
Nun sind es nur noch wenige Tage bis zur Abfahrt, ich stecke mitten in den Vorbereitungen, bin wieder voller guter Vorsätze und der Akku ist voll aufgeladen. Ich hoffe, dass er nicht so schnell wieder ausbrennt und ich die Lust verliere bei den schlechten Versorgungsbedingungen. Es geht über drei Wochen mit dem Radl nach Rumänien, und die werden wir, Gert und ich (vielleicht noch ein Dritter) auch brauchen.
Der Routenplan in Stichpunkten: Mit dem Zug nach Mateszalka (UVR) – Satu Mare – Baia Mare – Baia Spie – Cavnic – Sapinta - Viseu de Sus – Borsa – Prislop-Pass (1416m) – Tal der Goldenen Bistritz – Klöster der Moldau – Solca (Brauerei) – Ceahlau – Bicaz-Klamm – Georgheni - Sovata – Sighisoara.
28. Sep. 1986, Sonntag
In Dresden gaben wir unsere Fahrräder als Reisegepäck am Sonnabend abend auf und dann noch auf ein paar Bier in die »Freundschaft« nach Leuben gefahren. Wir sind zu dritt. Gert, Wolfgang und ich. Dann ging's los. Die Sommerzeitstunde standen wir im Hauptbahnhof Dresden ab, da hatte der Zoll viel Zeit zum filzen gehabt. Wir konnten die Zöllnerin mit unseren vom Bier lockeren Zungen in ein nettes Gespräch ziehen, hatten so nichts auszustehen. Auch als mir aus Versehen mein zweites Zollerklärungsformular aus dem Portemonnaie fiel, ließ sie es mir mit einem Lächeln wieder wegstecken.
29. Sep. 1986, Debrecen
Am Morgen dann mit dem Bus zum Bahnhof rein gefahren, Frühstück aus dem ABC-Laden. Gegen 9 Uhr entdeckten wir unsere Radeln an der Expressgutannahme. Die schickten uns aber erst einmal zum Zoll und das Drama nahm seinen Lauf.
Am Ende waren die Räder um 500 Ft wertvoller. Der Bahnhofszollmensch, in seiner Amtsstube nur Minutenweise anzutreffen, schickt uns zu einem Amt in die Stadt und die forderten dann diesen Tribut. Erster Eindruck: Die wollen uns bescheißen. Aber ich denke, die haben schon nach ihren Gesetzen gehandelt. In Budapest auf dem Bahnhofszollamt hätten wir die Räder als Reisegepäck ohne Aufschlag bekommen. Hier, nach Debrecen weitergeleitet, galten sie als importiert. Nach vielen Hin&Her, der Bahnhofszollmensch war gar nicht mehr anzutreffen, kam Einer aus dem Stadtamt freundlicherweise mit zum Bahnhof zum Auslösen. Aber das ist wohl auch für das Geld zu verlangen. Endlich rückten sie unsere Räder heraus.
Wir haben dann die geplante Bahnfahrt abgeblasen und sofort Richtung Mateszalka auf unsere Rösser gestiegen. Nach ein paar Bier in einer Kneipe am Straßenrand in mitten von Obstplantagen sind wir nach einigen Kilometern dann im Puzstawald zum Bofen gekommen.
30. Sep. 1986, in der Nähe von Satu Mare
Früh zum Sonnenaufgang auf die Rösser gesetzt und losgeradelt, kaum Steigeungen aber eben auch nicht mal bergab. Erster touristischer Höhepunkt: Nyirbator, Sitz derer von Batory. Von der ersten Privatkapelle waren nur noch die Grundmauern zu sehen, doch nach dem Sieg Stefan Batorys über die Türken wurde eine größere Kapelle gebaut, so groß wie eine Kirche. Nach der Heirat mit einer kalvinistisch reformierten Frau wurde es eine reformierte Kirche und damit auch eine Kirche für das Volk. Erst dann war auch ein Glockenturm notwendig, der die Gläubigen zum Gottesdienst holt. Der begann sonst immer in der Privatkapelle, wenn die Familie vollständig versammelt war. Der Küster, der uns das alles über die Geschichte der Kapelle erzählt ha, sah uns ganz bedauernd und ungläubig an, als er erfuhr, dass wir nach Rumänien wollten.
Weiter auf ebenen Straßen via Mateszalka an die Grenze, der Autoverkehr nahm kontinuierlich ab. An der Grenzkontrolle: Während unserem freundlichen Gespräch ernteten wir Hochachtung für unsere Legende, mit den Rädern nach Bulgarien fahren zu wollen. Der Soldat tastete meinen Zeltsack ab. Mit flehendem Blick sprach er zu seinem vorgesetzten Offizier: „Salami!“ Der winkte mich aber durch. Doch als ich dummerweise nach einigen Dutzend Metern meinen Fotoapparat zückte, um ein Bild meiner Freunde zu schießen, war ich meinen Film los. Ein kleiner Muschkote sprang aus dem Gebüsch und führte mich wieder dem Offizier vor. Der wollte gleich den ganzen Apparat, war aber dann mit dem Film zufrieden.
Dann weiter nach Szathmar/Satu Mare - eine außergewöhnlich schöne und ordentliche Stadt für rumänische Verhältnisse. Dann noch 20 Kilometer auf einsamer Landstraße zwischen Feldern nach einem Wäldchen zum Bofen gesucht.
1. Okt. 1986, Baia Sprie
Bis Baia Mare mit nur einer Scheibe Brot im Magen gekämpft, ich kann aber sowieso nicht viel Essen am frühen Morgen.
In Baia Mare besuchten wir zwei Etablissements: Eine Freiterasse eines Caffees (?), dort gab es Limo, Plätzchen und gogosi, das sind so eine Art Pfannkuchen aus Maismehl. Dann noch in einer berarie auf ein Fassbier, das war aber ganz mies. Jetzt essen wir in Baia Sprie in einer Kneipe. Wir essen draußen zu Mittag - Wurst mit Reis & Kartoffeln, Tomaten und scharfe Paprika, Brot. Fürstlich! Jetzt geht's nach Cavnic.
In Cavnic in einer berarie - Bier und Mineralien. Gert hat gleich einige Steine von der Theke weg getauscht, er will sie weiter bis Oberwischau schleppen und dann nach Schässburg schicken.
Bei Rona de Sus, 2. Okt. 1986
Gestern abends noch bis auf den Pass im Tibles-Gebirge hoch, wobei ich immer wieder Gert auf gute Bofstellen hinwies. Aber nein, es sollte eine mit Wasserstelle sein. Als es dann endlich bergab ging, bezogen wir die erste Beste, ohne Wasser.
Es hätte ja im Dunklen ein Stein auf der Straße liegen können. Das Biwak dort oben war für mich sehr kalt im Zelt. Mein Schlafsack ist eben doch nicht so die Wucht. Von diesem ersten 1000-Meter-Paß gibt es jetzt die erste große Abfahrt. Diese führte uns direkt in die typische Maramures-Landschaft des Mara-Tals.
In der Maramures scheint alle aus Holz zu sein: Große geschnitzte Holztore, schmücken die Straßenfronten der Gehöfte, Schindel gedeckte (leider immer weniger an zu treffend) Holzhäuser bestimmen das Bild der Dörfer und Streusiedlungen, aus Holz gezimmerte Kirchen mit schlanken Türmen zeigen den Mittelpunkt der ausgedehnten Dörfer an.
In diesen Ortschaften haben wir uns lange aufgehalten, die Holzkirchen besucht und mit einigen Bäuerlein gesprochen. Leider waren wir wochentags hier und konnten so nicht die farbenfrohen Volkstrachten bewundern.
Im Land des Holzes ...
... treten wir in eine Welt aus dem Geschichtsbuch
Eine der vielen Holzkirchen wurde gerade von zwei Handwerkern restauriert. In der Nähe dieser Kirche wurden wir von einer Bäuerin zum Essen eingeladen. Das Dicke von der Büffelmilch, Speck, Zwiebeln, Weintrauben und 60%igen Zuica.
Er sägt die Bretter zurecht ...
... die dann oben am Turm angenagelt werden
Plötzlich mitten im Dorf Budesti endete der Asphaltbelag, doch die weitere Strecke ging einigermaßen. Die hohe Geschwindigkeit in den Serpentinen der Abfahrt vom Pasul Neteda oben im Tibles-Gebirge hatten mich zwei Speichen gekostet, die Hulperstrecke hier nur eine.
Gert wollte noch ein besonderes Holzschnitzerdorf (Valea Stejarului) besuchen, dazu mussten wir durch einen Fluss bei Vadu Izei fahren. Gert: „Eine kleine Einlage!“ Bis auf eine Flussinsel konnte ich ohne Absteigen rollern, aber durch das von vielen Blutegeln verseuchte Wasser wollte ich nicht waten.
Dabei hat es bei mir ausgehakt, ich bin allein umgekehrt und nach Sighetul Marmatiei gefahren. Dort wurde mir klar, was das für ein Unsinn ist. Man hätte wenigstens erst einmal sich verständigen müssen und einen Treffpunkt vereinbaren sollen.
Ich bin dann noch bis Einbruch der Dunkelheit Richtung Wischau über Oberrohnen hinaus gefahren und habe dann an einem loc de odihna geboft. Vorher in Sighetul mit ape minarale und piine versorgt. Ich denke, dass wir uns in in Oberwischau wieder treffen werden, das ist von hier aus nur noch 40 km.
loc de odihna - ein Rastplatz
Dort eine Flasche Bier getrunken, entspricht einem Liter. Im nächsten Laden gab's gogosi cu brincu und Knoblauch. Davon Durst bekommen und zurück zur Quelle des Bieres, davon wieder Appetit, also zurück zum gogosi-Stand, zwei Wiederholungen … oh jeh, ich muss ja noch auf's Rad!
Ankunft in Oberwischau. Ich bin jetzt der Meinung, dass ich von uns Dreien der Erste hier bin, ich habe alle markanten Plätze sprich Kneipen abgesucht. Jetzt sitze ich im Restaurant „Minerul“ beim Bier. Vorher habe ich mich um die Kirche herumgedrückt, in der Hoffnung Leute deutscher Zunge zu finden und sie nach Fleischers, Gerts Bekannten hier am Ort, zu fragen. So würden sich sicher alle Fragen klären, es ist jetzt 15 Uhr.
Meine Suche nach einer Familie mit Namen Fleischer hatte doppelten Erfolg: Eine Adresse in der Zipserei, einem Viertel der aus Zips in der Slowakei vom hiesigen Bergbau herbei gerufenen Deutschen, und in einem Neubaublock, ein Professor des örtlichen Gymnasiums. Mir wurde gesagt, der Professor wäre gerade mit seinem Kind auf einem Spaziergang, also wollte ich in einem kleinem Park vor dem Block warten. Da fuhren die Kumpels vorbei – wir feierten großes Wiedersehen beim Bier, von mir selbstverständlich ausgegeben.
Die Adresse in der Zipserei wäre die Richtige gewesen. Es folgte eine herzliche Aufnahme in der Familie Fleischer. Zuica, Bohnepüree mit gebratener Fleischwurst, wieder Schnaps (Goldkrone) und Plaudern, wie Maria immer sagte. Dann konnten wir mal wieder in einem richtigen Bett schlafen.
Valea Vinului, 4. Okt. 1986
Heute mit der „Koffiemiehl“, mit der Vasertalbahn gefahren, einer alten Forstbahn. Zur Zeit pausieren wir gerade während des Spaziergangs zurück nach Oberwischau. Wir sind nicht richtig weit genug reingefahren in das Maramures-Gebirge. Wenn man hinter die Toroiaga will, muss man sehr früh aufstehen und um 5 Uhr am Bahnhof erscheinen, um mit dem Bähnle mitzukommen. Wolfgang klagt über seine Knie – ist schon das Ende der Tour in Sicht? Meine Batterien sind noch schön aufgeladen.
Die Koffiemiehl
Vmax = 25 km/h
Am Abend konnten wir noch ganz neue Menschen werden – es war gerade im Wohnblock der Tochter von Fleischers der Tag des warmen Wassers und wir konnten baden. Warmes Wasser gibt es in den Blocks immer abwechselnd Sonnabends und Donnerstags. Das kostet die Bewohner nur die geringe Miete, also kommen alle Familienmitglieder und deren Gäste zum Badetag zusammen. Hinterher saßen wir noch zum Plaudern zusammen, es gab Schnaps. Ich habe niemals soviel wie hier getrunken und vertragen.
Bei Familie Fleischer in Oberwischau, 5. Okt. 1986
Schön lange geschlafen und dann zum Familienausflug nach Valea Vinului aufgebrochen. Es wurde alles Notwendige zum Grillen mitgenommen: Ein rumänisches tragbares Patentrost, ein frisch geschlachteter Hase, ein Liter Schnaps, ein Liter Wein, viel Knoblauch.
Der Weg führte durch herrliche Herbstlandschaft über einen Bergrücken hinweg. An einem Mineralbrunnen, leicht schwefelhaltig, haben wir dann gerastet und gegrillt. Es war ein ganz tolles Erlebnis, nicht so für „Lord“, dem Hund von Fleischers. Der musste ob des reichlich mit Knoblauch gewürzten Fleisches kotzen. Rückwärts schauten wir noch bei den Schwiegereltern der Tochter von Fleischers rein, die Mutter hatte Geburtstag. An einem Tisch hier im Norden Rumäniens saßen dann zwei Zipserinnen, ein Siebenbürgener Sachse, ein Russe, drei DDR-Deutsche und ein „Halbrusse“ (so jedenfalls nannten Fleischer ihren Schwiegersohn) zusammen. Das war eine typische Runde dieser Gegend. Es hätten noch Huzulen und Ungarn dazu zählen können. Wir packen unsere Taschen für die Weiterfahrt über den Prislop-Pass hinüber in die Bukowina. Es waren drei sehr schöne Tage hier in Oberwischau bei Fleischers. Wir gehörten zur Familie, aber ich freue mich wieder auf mein Rad wie am ersten Tag.
Resümee: Rumänien – dieses Jahr nicht wieder, aber die Abenteuer in diesem Land sind eben unvergesslich.
Saalfeld, 23. Sep. 1986
Nun sind es nur noch wenige Tage bis zur Abfahrt, ich stecke mitten in den Vorbereitungen, bin wieder voller guter Vorsätze und der Akku ist voll aufgeladen. Ich hoffe, dass er nicht so schnell wieder ausbrennt und ich die Lust verliere bei den schlechten Versorgungsbedingungen. Es geht über drei Wochen mit dem Radl nach Rumänien, und die werden wir, Gert und ich (vielleicht noch ein Dritter) auch brauchen.
Der Routenplan in Stichpunkten: Mit dem Zug nach Mateszalka (UVR) – Satu Mare – Baia Mare – Baia Spie – Cavnic – Sapinta - Viseu de Sus – Borsa – Prislop-Pass (1416m) – Tal der Goldenen Bistritz – Klöster der Moldau – Solca (Brauerei) – Ceahlau – Bicaz-Klamm – Georgheni - Sovata – Sighisoara.
Für mein Fahrrad mit dem DDR-Marketingnamen „TopFit & Sicher“ von Diamant wurde es eine Tour über drei Jahre und mit mindestens zwei unterschiedlichen Pedaleros. Für mich wurde es eine bis heute herausragende Tour, der Akku lief zu keinem Zeitpunkt leer.
28. Sep. 1986, Sonntag
In Dresden gaben wir unsere Fahrräder als Reisegepäck am Sonnabend abend auf und dann noch auf ein paar Bier in die »Freundschaft« nach Leuben gefahren. Wir sind zu dritt. Gert, Wolfgang und ich. Dann ging's los. Die Sommerzeitstunde standen wir im Hauptbahnhof Dresden ab, da hatte der Zoll viel Zeit zum filzen gehabt. Wir konnten die Zöllnerin mit unseren vom Bier lockeren Zungen in ein nettes Gespräch ziehen, hatten so nichts auszustehen. Auch als mir aus Versehen mein zweites Zollerklärungsformular aus dem Portemonnaie fiel, ließ sie es mir mit einem Lächeln wieder wegstecken.
Das war damals wichtig: So war es möglich, noch ein paar zusätzliche Forint in Budapest zu tauschen, um ein paar Westplatten kaufen zu können. Der Umtauschbetrag pro beantragtem Reisetag an Mark der DDR in Ostsorten war begrenzt und bei Forint besonders knapp.
Soweit so gut. Dann ging es aber anders herum, nur noch Pech. In Budapest stellte sich, als wir unsere Räder auslösen wollten, heraus, dass unsere Räder, abgeschrieben von unseren Fahrkarten, nach Debrecen adressiert waren. Sie werden erst am Montag früh in Debrecen ankommen. Wir sind schon am Abend mit dem Hajdu Express gefahren und haben am Stadtrand geboft. Wir sind einfach nach dem Abendbrotessen im Bahnhofsetterem mit der nächsten Straßenbahn bis zur Endstation an den Stadtrand gefahren. Wolfgang und Gert haben keinen "Gesamtrucksack", sie mussten die einzelnen Radtaschen so mit sich rumschleppen.29. Sep. 1986, Debrecen
Am Morgen dann mit dem Bus zum Bahnhof rein gefahren, Frühstück aus dem ABC-Laden. Gegen 9 Uhr entdeckten wir unsere Radeln an der Expressgutannahme. Die schickten uns aber erst einmal zum Zoll und das Drama nahm seinen Lauf.
Am Ende waren die Räder um 500 Ft wertvoller. Der Bahnhofszollmensch, in seiner Amtsstube nur Minutenweise anzutreffen, schickt uns zu einem Amt in die Stadt und die forderten dann diesen Tribut. Erster Eindruck: Die wollen uns bescheißen. Aber ich denke, die haben schon nach ihren Gesetzen gehandelt. In Budapest auf dem Bahnhofszollamt hätten wir die Räder als Reisegepäck ohne Aufschlag bekommen. Hier, nach Debrecen weitergeleitet, galten sie als importiert. Nach vielen Hin&Her, der Bahnhofszollmensch war gar nicht mehr anzutreffen, kam Einer aus dem Stadtamt freundlicherweise mit zum Bahnhof zum Auslösen. Aber das ist wohl auch für das Geld zu verlangen. Endlich rückten sie unsere Räder heraus.
Wir haben dann die geplante Bahnfahrt abgeblasen und sofort Richtung Mateszalka auf unsere Rösser gestiegen. Nach ein paar Bier in einer Kneipe am Straßenrand in mitten von Obstplantagen sind wir nach einigen Kilometern dann im Puzstawald zum Bofen gekommen.
30. Sep. 1986, in der Nähe von Satu Mare
Früh zum Sonnenaufgang auf die Rösser gesetzt und losgeradelt, kaum Steigeungen aber eben auch nicht mal bergab. Erster touristischer Höhepunkt: Nyirbator, Sitz derer von Batory. Von der ersten Privatkapelle waren nur noch die Grundmauern zu sehen, doch nach dem Sieg Stefan Batorys über die Türken wurde eine größere Kapelle gebaut, so groß wie eine Kirche. Nach der Heirat mit einer kalvinistisch reformierten Frau wurde es eine reformierte Kirche und damit auch eine Kirche für das Volk. Erst dann war auch ein Glockenturm notwendig, der die Gläubigen zum Gottesdienst holt. Der begann sonst immer in der Privatkapelle, wenn die Familie vollständig versammelt war. Der Küster, der uns das alles über die Geschichte der Kapelle erzählt ha, sah uns ganz bedauernd und ungläubig an, als er erfuhr, dass wir nach Rumänien wollten.
Weiter auf ebenen Straßen via Mateszalka an die Grenze, der Autoverkehr nahm kontinuierlich ab. An der Grenzkontrolle: Während unserem freundlichen Gespräch ernteten wir Hochachtung für unsere Legende, mit den Rädern nach Bulgarien fahren zu wollen. Der Soldat tastete meinen Zeltsack ab. Mit flehendem Blick sprach er zu seinem vorgesetzten Offizier: „Salami!“ Der winkte mich aber durch. Doch als ich dummerweise nach einigen Dutzend Metern meinen Fotoapparat zückte, um ein Bild meiner Freunde zu schießen, war ich meinen Film los. Ein kleiner Muschkote sprang aus dem Gebüsch und führte mich wieder dem Offizier vor. Der wollte gleich den ganzen Apparat, war aber dann mit dem Film zufrieden.
Dann weiter nach Szathmar/Satu Mare - eine außergewöhnlich schöne und ordentliche Stadt für rumänische Verhältnisse. Dann noch 20 Kilometer auf einsamer Landstraße zwischen Feldern nach einem Wäldchen zum Bofen gesucht.
1. Okt. 1986, Baia Sprie
Bis Baia Mare mit nur einer Scheibe Brot im Magen gekämpft, ich kann aber sowieso nicht viel Essen am frühen Morgen.
In Baia Mare besuchten wir zwei Etablissements: Eine Freiterasse eines Caffees (?), dort gab es Limo, Plätzchen und gogosi, das sind so eine Art Pfannkuchen aus Maismehl. Dann noch in einer berarie auf ein Fassbier, das war aber ganz mies. Jetzt essen wir in Baia Sprie in einer Kneipe. Wir essen draußen zu Mittag - Wurst mit Reis & Kartoffeln, Tomaten und scharfe Paprika, Brot. Fürstlich! Jetzt geht's nach Cavnic.
In Cavnic in einer berarie - Bier und Mineralien. Gert hat gleich einige Steine von der Theke weg getauscht, er will sie weiter bis Oberwischau schleppen und dann nach Schässburg schicken.
Cavnic war damals ein Bergbauzentrum für Nichteisenmetalle. Wer mal nach Freiberg / Sa. in die Mineralienausstellung, Abteilung Europa kommt: Cavnic ist prominent vertreten.
Die Sonne geht schon hinter den Bergen unter, es wird also nur noch kurz hinter das Dorf gehen. Gert ist noch einmal zu seinem Steinefreund unterwegs. Wolfgang und ich sitzen beim Bier und überlegen, ob wir uns auch ein paar Steine besorgen. Ein kleines, aber feines Stückchen würde ich schon mit meinem Radl weiterschleppen. Aber eigentlich haben wir nix zum Tauschen, zum Beispiel Kaffee.Bei Rona de Sus, 2. Okt. 1986
Gestern abends noch bis auf den Pass im Tibles-Gebirge hoch, wobei ich immer wieder Gert auf gute Bofstellen hinwies. Aber nein, es sollte eine mit Wasserstelle sein. Als es dann endlich bergab ging, bezogen wir die erste Beste, ohne Wasser.
Es hätte ja im Dunklen ein Stein auf der Straße liegen können. Das Biwak dort oben war für mich sehr kalt im Zelt. Mein Schlafsack ist eben doch nicht so die Wucht. Von diesem ersten 1000-Meter-Paß gibt es jetzt die erste große Abfahrt. Diese führte uns direkt in die typische Maramures-Landschaft des Mara-Tals.
In der Maramures scheint alle aus Holz zu sein: Große geschnitzte Holztore, schmücken die Straßenfronten der Gehöfte, Schindel gedeckte (leider immer weniger an zu treffend) Holzhäuser bestimmen das Bild der Dörfer und Streusiedlungen, aus Holz gezimmerte Kirchen mit schlanken Türmen zeigen den Mittelpunkt der ausgedehnten Dörfer an.
In diesen Ortschaften haben wir uns lange aufgehalten, die Holzkirchen besucht und mit einigen Bäuerlein gesprochen. Leider waren wir wochentags hier und konnten so nicht die farbenfrohen Volkstrachten bewundern.
Im Land des Holzes ...
... treten wir in eine Welt aus dem Geschichtsbuch
Eine der vielen Holzkirchen wurde gerade von zwei Handwerkern restauriert. In der Nähe dieser Kirche wurden wir von einer Bäuerin zum Essen eingeladen. Das Dicke von der Büffelmilch, Speck, Zwiebeln, Weintrauben und 60%igen Zuica.
Er sägt die Bretter zurecht ...
... die dann oben am Turm angenagelt werden
Plötzlich mitten im Dorf Budesti endete der Asphaltbelag, doch die weitere Strecke ging einigermaßen. Die hohe Geschwindigkeit in den Serpentinen der Abfahrt vom Pasul Neteda oben im Tibles-Gebirge hatten mich zwei Speichen gekostet, die Hulperstrecke hier nur eine.
Gert wollte noch ein besonderes Holzschnitzerdorf (Valea Stejarului) besuchen, dazu mussten wir durch einen Fluss bei Vadu Izei fahren. Gert: „Eine kleine Einlage!“ Bis auf eine Flussinsel konnte ich ohne Absteigen rollern, aber durch das von vielen Blutegeln verseuchte Wasser wollte ich nicht waten.
Dabei hat es bei mir ausgehakt, ich bin allein umgekehrt und nach Sighetul Marmatiei gefahren. Dort wurde mir klar, was das für ein Unsinn ist. Man hätte wenigstens erst einmal sich verständigen müssen und einen Treffpunkt vereinbaren sollen.
Ich bin dann noch bis Einbruch der Dunkelheit Richtung Wischau über Oberrohnen hinaus gefahren und habe dann an einem loc de odihna geboft. Vorher in Sighetul mit ape minarale und piine versorgt. Ich denke, dass wir uns in in Oberwischau wieder treffen werden, das ist von hier aus nur noch 40 km.
loc de odihna - ein Rastplatz
Dort eine Flasche Bier getrunken, entspricht einem Liter. Im nächsten Laden gab's gogosi cu brincu und Knoblauch. Davon Durst bekommen und zurück zur Quelle des Bieres, davon wieder Appetit, also zurück zum gogosi-Stand, zwei Wiederholungen … oh jeh, ich muss ja noch auf's Rad!
Ankunft in Oberwischau. Ich bin jetzt der Meinung, dass ich von uns Dreien der Erste hier bin, ich habe alle markanten Plätze sprich Kneipen abgesucht. Jetzt sitze ich im Restaurant „Minerul“ beim Bier. Vorher habe ich mich um die Kirche herumgedrückt, in der Hoffnung Leute deutscher Zunge zu finden und sie nach Fleischers, Gerts Bekannten hier am Ort, zu fragen. So würden sich sicher alle Fragen klären, es ist jetzt 15 Uhr.
Meine Suche nach einer Familie mit Namen Fleischer hatte doppelten Erfolg: Eine Adresse in der Zipserei, einem Viertel der aus Zips in der Slowakei vom hiesigen Bergbau herbei gerufenen Deutschen, und in einem Neubaublock, ein Professor des örtlichen Gymnasiums. Mir wurde gesagt, der Professor wäre gerade mit seinem Kind auf einem Spaziergang, also wollte ich in einem kleinem Park vor dem Block warten. Da fuhren die Kumpels vorbei – wir feierten großes Wiedersehen beim Bier, von mir selbstverständlich ausgegeben.
Die Adresse in der Zipserei wäre die Richtige gewesen. Es folgte eine herzliche Aufnahme in der Familie Fleischer. Zuica, Bohnepüree mit gebratener Fleischwurst, wieder Schnaps (Goldkrone) und Plaudern, wie Maria immer sagte. Dann konnten wir mal wieder in einem richtigen Bett schlafen.
Valea Vinului, 4. Okt. 1986
Heute mit der „Koffiemiehl“, mit der Vasertalbahn gefahren, einer alten Forstbahn. Zur Zeit pausieren wir gerade während des Spaziergangs zurück nach Oberwischau. Wir sind nicht richtig weit genug reingefahren in das Maramures-Gebirge. Wenn man hinter die Toroiaga will, muss man sehr früh aufstehen und um 5 Uhr am Bahnhof erscheinen, um mit dem Bähnle mitzukommen. Wolfgang klagt über seine Knie – ist schon das Ende der Tour in Sicht? Meine Batterien sind noch schön aufgeladen.
Die Koffiemiehl
Vmax = 25 km/h
Am Abend konnten wir noch ganz neue Menschen werden – es war gerade im Wohnblock der Tochter von Fleischers der Tag des warmen Wassers und wir konnten baden. Warmes Wasser gibt es in den Blocks immer abwechselnd Sonnabends und Donnerstags. Das kostet die Bewohner nur die geringe Miete, also kommen alle Familienmitglieder und deren Gäste zum Badetag zusammen. Hinterher saßen wir noch zum Plaudern zusammen, es gab Schnaps. Ich habe niemals soviel wie hier getrunken und vertragen.
Bei Familie Fleischer in Oberwischau, 5. Okt. 1986
Schön lange geschlafen und dann zum Familienausflug nach Valea Vinului aufgebrochen. Es wurde alles Notwendige zum Grillen mitgenommen: Ein rumänisches tragbares Patentrost, ein frisch geschlachteter Hase, ein Liter Schnaps, ein Liter Wein, viel Knoblauch.
Der Weg führte durch herrliche Herbstlandschaft über einen Bergrücken hinweg. An einem Mineralbrunnen, leicht schwefelhaltig, haben wir dann gerastet und gegrillt. Es war ein ganz tolles Erlebnis, nicht so für „Lord“, dem Hund von Fleischers. Der musste ob des reichlich mit Knoblauch gewürzten Fleisches kotzen. Rückwärts schauten wir noch bei den Schwiegereltern der Tochter von Fleischers rein, die Mutter hatte Geburtstag. An einem Tisch hier im Norden Rumäniens saßen dann zwei Zipserinnen, ein Siebenbürgener Sachse, ein Russe, drei DDR-Deutsche und ein „Halbrusse“ (so jedenfalls nannten Fleischer ihren Schwiegersohn) zusammen. Das war eine typische Runde dieser Gegend. Es hätten noch Huzulen und Ungarn dazu zählen können. Wir packen unsere Taschen für die Weiterfahrt über den Prislop-Pass hinüber in die Bukowina. Es waren drei sehr schöne Tage hier in Oberwischau bei Fleischers. Wir gehörten zur Familie, aber ich freue mich wieder auf mein Rad wie am ersten Tag.
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