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    [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: Deutschland
    Reisezeit: August 2010

    Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

    Ein paar Tage Zeit, eigentlich ein paar Tage mehr. Wochen, wenn ich will. Unverhoffte Zeit. Was tun? Richtung Süden wandern, was sonst! In deutschen Sommern ist es immer ratsam, Richtung Süden zu wandern. Aber nicht wie schon einmal vor Jahren über bekannte Wanderwege wie dem Rheinsteig, dem E1, dem Westweg und deren Konsorten, sondern der Nase nach. Über Radwege, Straßen und Wirtschaftswege und wenn es sich ergeben sollte, auch schon mal einen Wanderweg. Wohin genau? Egal … na, fast egal. Grobe Richtung Bodensee, vielleicht bis hinunter an den Gardasee. Ein paar Ecken besuchen, in denen die ich schon immer mal zu Fuß unterwegs sein wollte. Ende offen. Eher eher, als später. Wochenlang, den ganzen späten Sommer hindurch? Dafür würde die Motivation nicht langen. Aber wer weiß das schon. Die Option steht jedenfalls.

    Als Fußgänger den Rhein von unten erleben, erleben, wie sich das anhört da unten, denn hören lassen kann sich das Rheintal. Mal sehen, was Radfahrer sehen, wenn sie an den Dörfern vorbeibrausen. Und überhaupt: nach vielen Wanderungen über die Rheinhöhen, nach unzähligen Fahrten mit dem Auto, gelegentlichen Bahn- und Schiffsfahrten, ist die Zeit reif für eine Wanderung zwischen Rheinufer und Bahngleisen.

    Im Anschluss diagonal durch Rheinhessen. Bingen-Alzey-Worms. Warum nicht die viel schönere Strecke Bingen-Bad Kreuznach-Pfälzerwald Westrand mit Bad Dürkheim und dem Hambacher Schloss und dann rüber nach Speyer? Kenne ich schon. Außerdem ist da so eine unbefriedigte Liebe zu Rheinhessen. Wo die herkommt, ist mir völlig schleierhaft. Am Wein jedenfalls kann es nicht liegen.

    Danach weiter durch das Niemandsland um Hockenheim und Ludwigshafen nach Bretten. Dort bin ich zum Wandern noch nie gewesen. Im Kraichgau ja, Ludwigshafen und Mannheim zu Fuß noch nie. Mit dem Auto fährt es sich schnell durch dieses Niemandsland. Meist über die A5, auf dieser schnurgeraden Rennstrecke, die scheinbar nur durch Wald führt. Im nördlichen Schwarzwald wollte ich auf die Alb in Richtung Bodensee abbiegen. Schwarzwald? Nein danke! Was danach kommen würde, müsste? Keine Ahnung, vielleicht was ganz Neues.
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 13.01.2012, 16:42.
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    #2
    AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

    Die Etappen im Überblick

    Haustür - Koblenz Deutsches Eck
    Wiedweg, Schlosspark Neuwied, Rheinradweg

    Koblenz - Oberspay
    Rheinradweg

    Oberspay - Bacharach
    Rheinradweg

    Bacharach - Bingen - Alzey
    Rheinradweg, Naheradweg, Radwanderweg Wiesbach, Feld- und Wirtschaftswege

    Alzey - Worms
    B271, Radweg Alzey-Eppelsheim, Trullo-Radweg, Europäischer Fernwanderweg E8/Nibelungenweg

    Worms – Ludwigshafen - Mannheim
    Rheinradweg

    Mannheim – Altrip - Speyer
    Waldpark, Reißinsel, Industriegebiet, Rheinfähre Altrip, Rheinradweg, Hochwasserschutzdämme

    Speyer – Ubstadt-Weiher
    Regionale Straßen und Wanderwege, Wagbachniederung, Riedlinie, Heidelberg-Schwarzwald-Bodensee-Radweg

    Ubstadt-Weiher - Bretten
    Überwiegend Wirtschaftswege, ein Stück Weitwanderweg Odenwald-Vogesen

    Bretten – Pforzheim - Schellbronn
    Lokale Wanderwege, HW 8, Straßen, Hohenwartersträßle

    Schellbronn – Bad Liebenzell - Calw
    Lokale Wanderwege

    Calw – Herrenberg
    Radweg neben der B296
    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 26.01.2012, 12:36.
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      #3
      AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

      Welterbe oder In der Nacht donnern die Güterzüge durch den Schlafsack

      Aus der Haustür raus bis nach Bingen

      Vor der Haustür

      Erst mal hinkommen, an den Rhein. So schön, so idyllisch, so ruhig wird es die nächsten Tage nicht mehr werden, wie auf dem Weg an der Wied entlang bis zu deren Mündung in den Rhein. Kein Mensch ist auf dem Wiedweg an diesem frühen Morgen unterwegs. Nur wenige Pendler rauschen auf der nahen Straße gen Neuwied. Kann man vergessen, kein Vergleich zu dem, was noch kommen wird. Weiter zur Wiedmündung, durch den Schlosspark nach Neuwied. Ein überteuerter Kaffee am Deich. Ich lerne es nie. Über die schöne Brücke mit den hässlichen blauen Plexiglasscheiben über den Rhein an das andere Ufer, nach Weißenthurm und auf den Rheinradweg. Nun heißt es rechts gehen und stur rechts bleiben, das erwarten, das lieben die Radfahrer. Das weiß ich seit unserer Wanderung durch Jütland. Das war ein nicht unbedingt langer, dafür sehr schmerzhafter Lernprozess. Unberechenbare Fußgänger sind der Horror aller Radfahrer. He, Leute! Ich weiche auf keinen Fall ins Grün aus, da liegt die Hundescheiße. Das ist nicht drin. Ihr müsst halt um mich herumfahren, abbremsen. So weit geht das Unterordnen denn doch nicht.

      Die Wied bei Altwied

      Der Koblenzer Campingplatz am Deutschen Eck ist voll, für Wohnwagen schon lange gesperrt. Rhein in Flammen wirft seinen langen Schatten. Für den einen Wanderer heute, gibt es ein Plätzchen ganz hinten am Zaun. Radfahrer kommen noch und werden dazugequetscht. Abends steckt der Zeltnagel des Nachbarzelts in meiner Apsis. Macht nichts. Es wird gemütlich. Unterhaltsam auch. Radfahrer scheinen eine mitteilungsbedürftige Spezies zu sein. Die meisten machen höchstens 60 Kilometer am Tag. Ich bin vom Dreifachen ausgegangen. So kann man sich irren. Mit an diesem Tag 45 Kilometern kratze ich am Selbstbewusstsein eines Holländers. Na ja, er sollte halt früher aufstehen und nicht erst gegen Mittag losfahren.


      Schloss Engers

      Koblenz verbarrikadiert sich hinter Bauzäunen. Ausnahmezustand Bundesgartenschau im nächsten Jahr. Umleitungen überall, sogar für Fußgänger. Das Deutsche Eck erspare ich mir. Seitdem dort wieder Wilhelm Eins auf seinem Pferd über Mosel und Rhein schaut, bin ich nicht mehr am Eck gewesen. Seitdem kaufe ich auch nicht mehr die Rhein-Zeitung. Den Verleger, der Ross und Reiter bezahlt hat, muss ich nicht auch noch finanzieren. Rückwärtsgewandtes Disneyland. Weggebomt, ist weggebomt.

      Rhens - Hochwassermarken

      Den Tag darauf reicht die Kraft nur bis Oberspay, Campingplatz Sonneneck. Wenn das der Holländer vom Vortag wüsste. Von wegen 40er Tagesschnitt. Tödliche Langweile zwischen Bahnlinie und Rhein. Mit meinen Zelt falle ich aus der Reihe. Die erste Reihe am Rheinufer ist fest in der Hand der Leute, die jedes Jahr kommen. Reservierungen auf Jahre hinaus, erzählt mein Nachbar, der auf die erste Reihe wartet. Zum Glück überflutet der Rhein regelmäßig den Platz. Bretterbuden mögen kein Wasser.

      Engländer lassen sich wieder am Rhein blicken. Der zieht, der Romantische Rhein, spätestes seit UNESCO-Welterbe. Doch noch mehr hat die Fußball-WM 2006 gezogen. Da haben sogar die Briten Deutschland als Urlaubsziel wiedergefunden. Mittagessen mit einer englischen Familie am Nachbartisch. Gelangweilte Kinder. Vater und Mutter verschanzen sich hinterm Bierpott, die Laune der Pänz ist unterirdisch. Nie mehr an den Rhein, vermute ich. Die kommende, verlorene Generation Rheinurlauber. Erst als Flusskreuzfahrer im fortgeschritten Alter werden sie wiederkommen – vielleicht. Unterhalten muss man sich nicht unbedingt auf der Terrasse. Für Lärm sorgen die Züge der Deutschen, Schweizer und Französischen Bahn. Welterbe Bahnlärm. Auch ein Gütesiegel.

      Unausgeschlafen im Morgengrauen los. Die Züge machen dem Schlaf die Nacht streitig. Fast immer sind es die Güterzüge mit ihren dröhnenden Waggons. Unendlich lang. Beim letzten Waggon ist man wach. Aufstehen, zur Nachtwanderung aufbrechen? Es geht auch anders, denn neue Personenzüge laufen unglaublich leise. Zwei Rennradfahrer überholen mich lautlos. In der langen Schleife der Bopparder Hamm sind ihre bunten Trikots noch lange zu sehen. Sie brauchen Minuten, wofür ich eine Stunde benötigen werde. Später kommt mir einer mit Rennrad und Anhänger entgegen. Er hält an. Kurzes Schwätzchen. Er fährt von Basel nach Rotterdam. Eine Woche gibt er sich. Für die Trödelei der Reiseradler hat er nichts übrig. Boppard verweigert mir den Kaffee. Alles dicht. Ausgestorben und farblos, sogar die Kreuzfahrtschiffe an den Landungsstegen. Der Himmel ist auch grau. Nein, nur für Hausgäste, versperrt mir ein Kellner den Weg zu Hotel, wo Menschen hinter Gardinen beim Frühstück sitzen. Boppard!, du kannst mich mal.


      Marksburg

      Ein Hoch auf die Bäckerei Thielmann, auf deren Filiale in Bad Salzig. Da gibt es Kaffee und die Frauen sind freundlich, haben mangels Kunden Zeit im Überfluss. Ich trinke noch einen Pott mehr, der, der zuviel sein wird. Etwas angeben mit der Wanderung. Zu Fuß bis zum Bodensee, wenn nicht sogar noch weiter. Einer der beiden Damen fällt dazu nur der Kerkeling ein. Muss das jetzt sein? Zeit zu gehen. Später wird mir schlecht. Der zweite Pott, der, mit dem ich Zeit geschunden habe zum Angeben. Werner du bist ein Idiot.


      Rhein bei Hirzenach

      Die Burgen auf den Höhen wollen nicht so richtig aus dem Grau raus. Alles diesig. Dafür fährt kein Mensch an den Rhein. Wo bleibt die Romantik? Die Stromkilometer fangen an zu nerven. Ist der Kilometer voll, große Betontafel, weiß, schwarzer Rand, große Zahl. Wieder ein Kilometer mehr. Dazwischen die kleinen Stelen aus Beton mit dem Pluszeichen, die Hälfte zwischen den Vollen. Dazwischen noch mehr Stelen, ebenfalls aus Beton, mit den Zahlen, die Hunderter zwischen den Vollen. Im Kopf springt dauernd die Stoppuhr an. Werde ich langsamer? Nicht doch.

      St. Goar. Alles ist wie immer. Seit Jahren gibt es keine Veränderungen. Etwas schäbig. Kein Mut für einen Neuanfang? Die schäbigen Nationalflaggen am Rheinufer könnten mal wieder ausgewechselt werden. Es gibt Nationen, die sehen das als Beleidigung. Mittagsessen am Asia-Imbiss an der Bundesstraße. Drei Euro will er für eine Portion haben, von der eine Familie satt geworden wäre. Das Zeug muss weg. An diesem Mittag bin ich der erste Gast. Die anderen Urlauber bevorzugen die große Bratwurstbude in der Nachbarschaft. Sie wissen nicht, was ihnen entgeht.

      Loreley

      Die Loreley, von Mythen umwoben, vom Verkehr umrauscht. Der Campingplatz ist gepflastert mit holländischen Wohnwagen. Hinten donnert mal wieder ein Zug durch die Kehre. Kaum Verkehr auf dem Rhein. Graue Wolken drücken aufs Tal. Die Passagiere auf den Ausflugsschiffen tragen Jacken. Deutscher Sommer. Im Binger Loch ist man immer gespannt, ob alle heil durch kommen. Hat was von Nürburgring, wo man auch darauf wartet, dass einer den Abflug ins Grüne schafft.

      Susanne, Maria. und noch andere. Die Bänke am Rheinufer tragen Frauennamen, geschnitzt in die Rückenlehnen. Ich wollt' mich schon immer mal auf eine Maria setzen. Oh je, haben die noch alle Tassen beisammen in Oberwesel?

      Bescheidene Rheinromantik

      Ein Stück den Rhein hoch, kriecht am anderen Ufer Kaub den Hang hoch. Von da bin ich vor 10 Jahren in einem Tag nach Nassau an der Lahn gewandert. Unsere Taunus-Diagonale. Meine Frau war dabei. Vierzig und mehr Kilometer haben sie damals nicht geschreckt. Heute … Schwamm drüber, man wird älter. Rüber nach Kaub, wo es eine neue Jugendherberge geben soll? Nein, weiter den Rhein hoch. Jetzt zusammen mit dem E3.

      In Bacharach biegt der E3 rechts ab nach Frankreich, weiter nach Spanien, hinüber bis Santiago de Compostela. So, mal wieder ein Jakobsweg im Reisebericht untergebracht. Was kann ich dafür, dass der Europäische Fernwanderweg E3 an seinem westlichen Ende den spanischen Camino nimmt. Links, dort wo das Rheinufer steil zum Taunus hinauf steigt, geht es ans Schwarze Meer. Der Westen, der Süden ziehen mehr – immer noch. Also nach Westen, auf den Spuren Blüchers, der Napoleon nach Westen getrieben hat? Nöö.


      Oberwesel im Dunst


      Rhein bei Bacharach


      Bacharach

      Bacharach - Josefskapelle

      Für die Nacht bleibe ich in Bacharach. Kaum steht das Zelt, kommt die Sonne raus. Vorne wieder die obligatorische Reihe der Wohnwagen, dahinter wir. Den besten Platz haben sich Dauercamper aus Belgien gesichert. Rheinschiffe auf Talfahrt kriegen erst dicht vor dem Wohnwagen die Kurve. Beim ersten Anblick eines aufs Zelt rauschenden Frachters mache ich unwillkürlich einen Schritt zurück. Wir, das sind wieder mal die Leute mit Zelt, die, die nur ein Nacht bleiben, eine Handvoll Radfahrer und noch ein Wanderer, einer vom Rheinburgenweg. Sieh an. Ein Ehepaar aus Holland ist schon seit Wochen mit Fahrrädern unterwegs. Durch Belgien und Frankreich hinunter bis ans Mittelmeer, zurück über die Schweiz und jetzt den Rhein abwärts nach Amstelveen. Ich bin unglaublich beeindruckt, nicht nur, was mit einem Fahrrad alles zu schaffen ist, noch mehr, dass die alten Leute weit jenseits der 60 sind. Man muss das Leben nicht vor dem Fernseher aushauchen.


      Am Rheinufer in Bacharach

      Bacharach hat Patina, genau die, die es braucht, damit es schön wird. Dass die Züge praktisch über die Stadtmauer fahren, bekommt man dank der Häuser fast nicht mit. Stunden werden zwischen Fachwerk und Rheinanlage vertrödelt. Zu mehr reicht es nicht. Mir fehlt der Schlaf der vergangenen Nacht. Ausruhen für den nächsten Tag. Weit soll es dann gehen, nach Möglichkeit bis Alzey, mitten in Rheinhessen.

      Eine beschissene Nacht folgt, noch viel schlechter als die vorige. Nahe beim Campingplatz ist ein Schienenstoß unsauber verschweißt. Jede Achse dröhnt ihren eigenen Klang in die dunkle Nacht. Nebenan im Zelt des junge Pärchen aus Italien findet man ebenfalls keine Ruhe. Italienische Schimpfwörter wehen dem Gedröhne hinterher.


      Burg Fürstenberg

      Zelt einpacken im Morgengrauen. Es ist nicht wahr: kein Zug ist zu hören. Wieder hinlegen? Nein. Leise sein, nicht mit dem Gestänge klappern, weg, hinauf auf den Radweg neben der Bundesstraße. Kaum das ich oben bin, donnert ein Güterzug vorbei. Beladen mit den Aufliegern einer österreichischen Spedition fährt der Zug nach Süden. Hinterher. Früh wird es hell. Blauer Himmel kündigt sich schon mit der aufgehenden Sonne an. Der Sommer kehrt zurück. Im Tal ist es noch schattig. Als die Läden in Bingen öffnen, bin ich auch da. Noch ein letzter Kaffee, dann weg vom Rhein, hinein nach Rheinhessen. Züge werden mich nicht mehr begleiten. Gut so, von denen habe ich genug.


      Burg Rheinstein


      Schleppschiff "Rheinland"

      Ein vom Lärm belagertes Tal bleibt zurück, mit nicht wenigen Orten, denen eine Generalüberholung gut zu Gesicht stehen würde. Zu viel Tourismus aus den Siebzigern. Zu viel auf Tagestouristen abgestimmt. Zu viel Bahnlärm, sagenhaft viel. Mehr Güter auf die Schiene. Sicher das, doch nicht im Rheintal.
      Zuletzt geändert von Werner Hohn; 07.02.2012, 12:47.
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        #4
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        Rheinhessen diagonal

        Von Bingen nach Worms

        Zwischen Rhein und Nahe

        Raus aus Bingen, vorbei an einer Schnapsbrennerei, von der ich vor dreißig oder mehr Jahren die letzte Werbung gesehen habe. Die Bierreklame wechselt. Das Königsbacher Pils bleibt zurück im Rheintal. Vereinzelt alte Neonreklamen für Binding Bier, oft über verrammelten Kneipen. Das Kirner Bier gewinnt die Oberhand, je weiter ich dem Naheradweg dem kleinen Fluss hoch folge. Radwege sind eine sichere Nummer. Verfahren unmöglich. Haben Radfahrer Probleme mit der Karte, noch mehr, als viele Wanderer? Es scheint so. Unter der A61 hindurch. Wie oft bin ich schon über diese Brücke gefahren? Nur nicht drüber nachdenken, über die Zeit hinter einem Lenkrad, auch wenn es eine bewusst gewählte Form des Unterwegssein war. Die Angst ums Sesshaftwerden. Ruhelosigkeit unter dem Deckmantel des Arbeitslebens.

        Ortseingang Sprendlingen - Worauf immer das auch hinweisen soll

        In Gensingen runter vom eintönigen Radweg. Zwar war es am Rhein laut, andererseits wurde es dort nicht langweilig. Ein Riss in der Wanderhose, beim Überklettern der Leitplanken in der Autobahnabfahrt Bad Kreuznach. Ich werde eine neue Hose benötigen. Endlich durch die Weinberge. Rollendes Land, nicht unendlich, doch schön. Weinstock an Weinstock, zwischen denen sich die Dörfer verstecken. Genau deswegen bin ich hier, für Ausblicke, die weiter reichen als bis zum gegenüberliegenden Hang, bis zur nächsten Flusskurve.

        Die Dörfer hier sind anders als bei uns im Rheinland, verschlossener. Die Leute schotten sich ab. Hohe Mauern und hohe Tore entlang der Bürgersteige. Selten, dass ein Tor weit offen steht. Menschen sind nur wenige zu sehen. Einmal bewegt sich eine Gardine, ein andermal hallt eine Kinderstimme die Straße entlang: Mama, wo will der Mann mit dem Rucksack hin? Obwohl eine komplett andere Landschaft, erinnern mich die leeren Dörfer hier, an die leeren Dörfer der Extremadura in Spanien. Gemeinsamkeiten gibt es nicht viele, eigentlich nur die Leere der Straßen und die lückenlose Reihe der zur Straße hin versperrten Häuser und Höfe.

        Meine Kamera fängt an zu spinnen. Unregelmäßiges Gemaule: Batterie wechseln. Dieser Aufforderung nachzukommen, bringt nichts, sie mault weiter. Plötzlich funktioniert alles wieder, dann wieder nicht. Wo steckt der Wackelkontakt? Nach kurzem Aufflackern in Sprendlingen, gibt sie endgültig den den Geist auf. Besonders ärgerlich ist das am Gau-Bickelheimer Ortsrand. Die Stationen des Kreuzwegs im Grün der Weinstöcke würden ein klasse Foto abgeben. Alles Schütteln, Klopfen helfen nicht. Ebenso vergebens ist der unflätige Fluch mit der Androhung, dass sie in Alzey im Mülleimer landen wird.

        Alzey - Rossmarkt

        In direkter Linie von Gau-Bickelheim nach Alzey. So hatte ich mir das gestern auf dem Campingplatz am Bacharacher Rheinufer vorgestellt. Immer nach Südosten. Grobe Richtschnur Autobahn. Die 50.000er-Karte gibt lange und gerade Feldwege her. Flonheim wollte ich besuchen, mir die schöne alte Inneneinrichtung der dortigen Apotheke nach Jahren mal wieder ansehen. Ob es beides nach zwanzig Jahren noch gibt? Zum Schluss bin ich zu müde. Das ist nur noch ein Dahinschleppen. Flonheim wird gestrichen. Jetzt zählt nur noch der allerkürzeste Weg. In den Nachmittagsstunden geht der oft direkt über die abgeernteten Felder und Wiesen, hin und wieder, wenn niemand zu sehen ist, durch die Reihen der Weinstöcke. Ich will nicht mehr. Von wegen rollende Landschaft. Hinter jeder Kuppe erwarte ich Alzey. Ein Wunschtraum. Im Autobahnkreuz verfranze ich mich, finde keinen Weg mehr. Zurück nach Bermersheim, von dort über die Autobahn. In Albig steige ich in den Zug nach Alzey. Es sind nur noch 3 Kilometer bis in die Stadtmitte. Lächerlich, doch es reicht für den Tag. Kaum sitze ich im Zug, bin ich schon da. Schon fängt das Bereuen an. In Alzey langt die Motivation grade eben für eine Runde durch die Altstadt, die im Penny Markt endet. Sogar der Weg zum nächsten Restaurant ist zu mühsam geworden. Die Kamera will nun wieder. Doch Angst vor dem Mülleimer?

        Am nächsten Tag früh raus. Um 6 Uhr mit den Zug zurück nach Albig. Die übersprungenen Kilometer waren den ganzen kurzen Abend im Kopf, haben sogar die Freude über die Wiederauferstehung der Kamera überlagert. Warum die jetzt wieder ohne im Befehlston daherkommende Aufforderungen funktioniert, ist mir schleierhaft, will ich auch nicht weiter drüber nachdenken. Von Albig über die Bundesstraße 271 nach Alzey hinein? Nein, dann doch lieber entlang der Bahngleise, neben denen ein Weg verläuft. Eine halbe Stunde später bin ich wieder in Alzey. Na also, klappt doch und wenn man ausgeschlafen ist, sind 3 Kilometer tatsächlich keine Entfernung.


        Gundersheim

        Und dann ist es schon wieder so weit: Batterie wechseln. Aus der Haut fahren, könnt' ich. Wo bekomme ich um 7 Uhr an einem Samstagmorgen in Alzey eine neue Kamera her? Nirgends. Endlich mache ich mir die Mühe und gehe der Ursache ernsthaft auf den Grund, und dieser ist ganz weit unten im Gehäuse zu finden. An einem der Kontakte für die Batterien entdecke tief unten im Schacht ein Stück Plastik, welches offensichtlich von der Verriegelung stammt. Das Teil hat sich so geschickt verklemmt, dass ein Batteriepol ständigen Wackelkontakt hat. Meine Güte! Eine Nichtigkeit klaut einem halbe Tage, macht den Kopf voll mit einem Problemchen. Ich trauere der Zeit nach, als ich nur des Wanderns wegen unterwegs war, Fotos belanglos gewesen sind.


        Zwischen Gundersheim und Dalsheim - Am Mehrkreuz/Am Kreuz

        Zwischen Gundersheim und Dalsheim kommt der Sommer wieder. Bis auf einen einzigen Morgen, ist bis heute jeder Morgen grau gewesen. Ganz leicht gewellt ist die Gegend. Ein sachter Anstieg von Gundersheim, kaum das er zu spüren ist. Fast ist das eine kleine Hochebene hier. Eine weite, im diesigen Gegenlicht verschwimmende, beinahe sanfte Landschaft hat sich aufgetan. Über den Weinfeldern wird der zinnengekrönte Turm einer kleinen Burg sichtbar. Burg ist dann doch übertrieben. Der Turm ist ein Trullo, ein Weinberghäuschen, wie es sie außer in Rheinhessen nur noch im süditalienischen Apulien gibt. Arbeiter aus Italien haben sie in diesen Landstrich gebracht, zu einer Zeit, als der Gastarbeiter noch nicht erfunden war. Geblieben sind die kleinen Rundhütten mit dem Kegeldach. Alleine die Trulli sind eine Wanderung durch Rheinhessen wert, denn an Rhein und Mosel hat es nur für profane Steinhütten gereicht: rostiges Wellblech drüber, fertig ist die Weinberghütte. Hier machte man es anders.


        Dalsheim - Keine Burg, ein Trullo, wenn auch kein echter


        Dalsheim - Trullo am Kreuzgewann


        Bei Flörsheim-Dalsheim - Holler/Langermann


        Kriegsheim - Beim Hofgut Wiesenmühle

        Worms - Karl-Bittel-Park

        Unten in Monsheim wird es wieder einfach: Ein markierter Wanderweg verläuft durch das flache Tal, der erste richtig lange seit Beginn meiner Wanderung. Jetzt immer der Markierung des Nibelungenwegs hinterher nach Osten. Die letzte Unterquerung der A61. Danach schließt sich mir ein Spaziergänger an. Mit seinen zwei Hunden ist er auf seiner täglichen Runde. Er hat Zeit im Überfluss. Zu Hause wartet niemand. Er will mit, nur ein Stück. Er ist fit, geht jeden Tag viele Stunden, sagt er. Er bremst mich ein. Das Übliche: woher, wohin und überhaupt. Schon nach den ersten gemeinsamen Schritten kommen die Wünsche mit den vorsorglich eingebauten Ausflüchten: Man wollte auch schon immer, man müsste nur, Zeit wäre genug da … wenn. Manche reden, als hätten sie Angst, ihr Wünsche könnten wahr werden. Ein halbe Stunde trödele ich mit, dann reicht es mir.


        Sankt Peter, Dom zu Worms

        Einmal lang durch Pfeddersheim, immer noch auf dem Nibelungenweg, dem E8. Immer am Bach entlang, an den Gärten hinten den Häusern vorbei. Durch den Karl-Bittel-Park unter hohen, Schatten werfende Bäumen hinein nach Worms. Geschäftiges Treiben in der Fußgängerzone. Vor der Jugendherberge reihen sich die Fahrräder der Reiseradler. Zwei Tage lang habe ich keine gesehen. Zu wellig? Bergig wäre eine schamlose Übertreibung. Im Zimmer unter dem Dach der Jugendherberge staut sich die Hitze. Mir bleibt nur die Flucht in die Stadt.
        Zuletzt geändert von Werner Hohn; 06.02.2012, 18:26.
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          #5
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          Übergangsland

          Von Worms nach Ubstadt-Weiher

          Eine lange Wanderung durch einen für Urlauber fremden Landstrich steht an, durch Übergangsland sozusagen. Schiffsreisen nach Ludwigshafen, Tagesfahrten mit dem Bus nach Ubstadt-Weiher, Wanderungen durch die Lußhardt, bietet kein Reiseveranstalter an. Nennenswerte, zählbare Wanderrouten sind in den topografischen Karten nicht zu finden. Ich muss hindurch, durch dieses Übergangsland, das an den Rändern des Kraichgaus erst sein Ende finden wird. Es gibt auf allen meinen längeren Wanderungen Landschaften, in denen ich unterwegs sein werde, weil sie zwischen dem Ort liegen wo ich grade bin und dem Landstrich zu dem ich möchte, zu einem, der schöner sein soll. Die meisten Wanderer überspringen solche Gegenden oder bleiben direkt ganz weg. Für die Fahrradfahrer auf Tour entlang des Rheins gilt das weniger. Mit dem Fahrrad fährt man einfach vorbei an den Orten, die dazwischen liegen. Dauert ja nicht lange, bis die Räder wieder durch Landschaften rollen, die vorzeigbar sind.

          Bis auf die großen Wege, wie dem Europäischen Fernwanderweg E8, sind Wanderwege rund um Ludwigshafen Mangelware in den Wander- und Freizeitkarten der Landesvermessungsämter. Die Baden-Württemberger sind in dem Punkt keinen Deut besser als ihre Kollegen aus Rheinland-Pfalz. Zum Rhein hin ist die Vorderpfalz Land im touristischen Nirgendwo. Alles doch überspringen, vielleicht mit der Bahn, direkt hoch bis nach Speyer? Gar noch weiter fahren, bis an den nördlichen Rand des Schwarzwalds, dorthin, wo das Rot der Wanderwege in den Karten wieder die topografischen Details überdeckt, oder doch alles zu Fuß? Was für eine Frage. Fragt sich nur wie: ein weiter Bogen nach Westen um Ludwigshafen herum, oder nach zwei Tagen wieder den Rhein entlang, vorbei und mitten durch die beiden großen Städte?

          Nach Westen, bis hinter die Autobahn A61, um dieser in gebührendem Abstand bis nach Speyer zu folgen, wäre einfach und geruhsam. Durch unbekannte Dörfer könnte ich wandern, die nur des Namens wegen auf den blauen Schildern der Autobahnabfahrten zu existieren scheinen. So nahe am Chemieriesen BASF, wären das oft nur noch Schlafdörfer. Weiter hinten, ein Stück die Vorderpfalz rein, zur Haardt rüber, würde es wieder ländlich. Überall gäbe es Gemüsefelder so weit das Auge zu sehen vermöge. Dazwischen immer wieder Obstwiesen, die keine Wiesen sind, mit niedrigen Bäumen in Reih und Glied, damit das Pflücken wirtschaftlich betrieben werden kann. Der Spargel wäre um diese Jahreszeit ins Grün geschossen. Kartoffelacker würden erst weit hinten an der Windschutzhecke enden. Lange Reihen Plastikplanen würden sich endlos aneinanderreihen, unter denen vielleicht Petersilie, vielleicht junge Salatpflanzen heranwachsen würden.

          Intensiv würde das Land riechen, wenn die Wanderung entlang der Zwiebelfelder, vorbei an den Lauchfeldern gehen sollte. Große Bewässerungsanlagen würden in den Gemüsefeldern stehen. Im Gegenlicht der Sommersonne würde das vom Rhein hoch gepumpte Wasser glitzernd zerstäuben; die nasse Erde würde riechen wie nach einem Regentag. An Feldrändern würden sich Plastikkisten für die Ernte stapeln. Traktoren mit Anhängern, Kleintransporter wären auf den schnurgeraden Wegen unterwegs, um die vollen Kisten einzusammeln. Hinter großen Kartoffelerntemaschinen würden Unmengen Kartoffeln auf den Feldern liegen bleiben, die niemand lesen würde. Auf den Speisekarten der Gastwirtschaften hätten noch nicht überall Jäger- und Zigeunerschnitzel die Oberhand gewonnen. Benötigen würde ich zwei Tage bis Speyer, zwei Tage durch eine Gebiet, das mit dem Auto in wenigen Minuten durchfahren ist. Schlafen könnte ich in einem der Gasthöfe, wenn es passt, im Sichtschatten einer Hecke.

          Die Alternative dazu hieße Hochwasserrückhaltebecken, Rheinradweg und einmal fast komplett durch Ludwigshafen und Mannheim, BASF und McDonald's inklusive, im Anschluss ähnlich weiter bis nach Speyer. Speyer steht nicht zur Disposition. Speyer muss sein, jenes nicht wegen des Technikmuseums. Was danach kommt steht noch in den Sternen. Eventuell doch direkt zum Burgenwanderweg Bergstraße, noch weiter hinauf, bis zum E1 oben im Odenwald? Mal sehen. Weiter als Speyer muss ich nicht planen.


          Hochwasserrückhaltebecken Mittlerer Busch

          Es wird der Weg entlang des Rheins, durch die Städte werden. Die ländlichere Alternative stand ernsthaft nie zur Wahl, war nur eine Spielerei, um sich die Möglichkeiten noch einmal in Erinnerung zu rufen. Ich könnte ja, wenn ich wollte. Ich will nicht. Extra für den Weg entlang des Rheins habe ich mir die 50-Kilometer-Etappe von Bacharach nach Alzey zugemutet, denn heute ist Sonntag, und dann ist das machbar. Sonntage sind immer gut, wenn es durch Städte gehen soll und mehr als gut, wenn ein Kunstgebilde am Weg liegt, das als Anhängsel einer Fabrik groß geworden ist. An einem Werktag, womöglich zum Schichtwechsel der BASF, wäre es bestimmt der Weg durch die Vorderpfalz geworden, doch heute ist kein Werktag. Seit dem Aufwachen hängt der Himmel grau und tief über Worms. Auf der Iberischen Halbinsel würde sich das der Himmel um diese Jahreszeit nicht trauen. Beinahe, dass sich der Wormser Dom unter den Wolken klein machen muss. Unter den Bäumen im Stadtpark ist es noch ziemlich duster. Eine alte Frau mit Hund beschleunigt ihr Tempo, als sie meine Schritte von hinten näherkommen hört. Mein Gruß, als sie sich umdreht, ist ihr scheinbar nicht vertrauensvoll genug gewesen. Fluchtartig biegt sie in eine Seitenstraße ab. Schaue ich nach wenigen Tagen schon wie ein Landstreicher aus? Weiter nach Süden, raus aus der Stadt, in die Rheinauen, hinauf auf den Rheinhauptdeich. Der Himmel bleibt grau. Graue, hohe Gittermasten stechen in den Himmel. Die warme Luft steht. Hohe Luftfeuchte treibt schon morgens den Schweiß ins T-Shirt. Sommer, wann gehst du, machst Platz für frischen Herbstwind? Das hier ist nichts.

          Die Freilichtbühne im Busch des Theaterkreis Bobenheim-Roxheim versteckt sich hinter Bäumen. Die kleine Hexe wurde im Juni und Juli gegeben. Die Hexe habe ich nun verpasst. Wie schade.Die Widerspenstige wird am nächsten und übernächsten Samstag auf der Bühne stehen. Nun ja, dafür lohnt das Bleiben nicht. Die My Favorite Sings hatten gestern ihren Auftritt. Handgemachte Musik zum Träumen. Oh weh, in diesem Fall habe ich nichts verpasst, trotz freier Platzwahl.

          Auf dem Altenteil

          Bei Stromkilometer 435 bin ich wieder am Rhein, am Hofgut Petersau. Träge, aufs sonntägliche Maß reduzierte Betriebsamkeit herrscht auf den Reitplätzen. Frauen und Mädels bewegen ihre Pferde. In den Ecken stehen Pferdeanhänger, auf den Höfen und Plätzen haben die meisten Autos eine Anhängerkupplung. Ein Hund kommt kläffend angeschossen, ein zweiter hinterher. Ein Pfiff, Kehrtwende. Der Weg entlang des Rheins währt nur kurz. Am Nordhafen beginnt die BASF. Eine endlose Industrieanlage erwartet mich, doch davor, direkt am Rheinradweg, liegt die östlichste Hütte des Pfälzerwald-Vereins, die des Ortsverein Oppau-Edigheim. Zu meiner Freude, ist die Hütte geöffnet. Kaffee gibt es schon, belegte Brötchen und Bockwürste später. Alte Männer und alte Frauen stehen in der Küche, hinterm Tresen. Der einzige Gast bin ich. Schlechtes Wetter ist auch hier nicht gut fürs Geschäft. Wanderer sehen sie hier selten, Spaziergänger eher, meist Radfahrer. Für den Sonntag hoffen die alten Leute noch auf die Rheinradler. Trotz moderner, chromblitzender Kaffeemaschine gibt es den Kaffee nur klassisch: Tasse oder Kännchen? Selbstverständlich wird auf einem kleinen ovalen Tablett mit weißem Kunststoffspitzendeckchen serviert. Dass die Portionspackung Kaffeesahne von Bärenmarke ist, verwundert schon nicht mehr. Die Selbstverständlichkeiten dieser Generation. Nachwuchs gibt es keinen.

          Sonntags in Ludwigshafen

          Auf breiten Bürgersteigen hinein nach Ludwigshafen. Um mich herum tote Stadt. Wenn ich wollte, könnte ich über die Mittelstreifen der Straßen gehen; über die L253, die Brunckstraße und zum Schluss, zum Rhein hin, schon im Zentrum, über die Carl-Bosch-Straße. Der architektonische Höhepunkt Ludwigshafens ist das Werksgelände der BASF, von dem ich leider nicht viel zu sehen bekomme. Hinter hohen Hecken und Verwaltungsgebäuden versteckt sich die Chemiefabrik. Bedauerlich ist das. Große Industrieanlagen sind faszinierend schön, sobald die Technik sichtbar wird. Raffinerien und Chemiewerke, diese Kolosse, können sich nicht hinter Wänden aus Wellblech verstecken. Das Wirrwarr, die Labyrinthe aus Rohren, Leitungen, aus Stegen, Brücken, Leitern und Treppen; das Chaos aus scheinbar wilden, keinem ausgeklügeltem Plan folgenden Ansammlungen von Scheideanlagen, Ver- und Endladenstellen, Werkstraßen, Bahngleisen, den Lagerschuppen, den runden Tanks, mit den Büros und Sozialräumen aus dunkelrotem Ziegelstein, aus denen in die Höhe wachsenden Kamine und schlanken Schlote herausragen, alles das, lässt sich nicht verhüllen – und so was habe ich nicht vor der Haustür. Ich bin sauer wegen der Hecken, wegen der vielen Gebäude, die mir die Sicht nehmen. Hecke, Wald und Wiesen sehe ich bei jedem Blick aus den heimischen Fenstern. Langweilig.


          Links Ludwigshafen, rechts Mannheim

          Mannheim -In der Jugendherberge

          Eine so entvölkerte, in sonntäglicher Gleichgültigkeit verharrende Stadt wie Ludwigshafen, habe ich noch nie erlebt. Mir bereitet es Schwierigkeiten einen Menschen zu finden, der mir den Weg hoch zur Konrad-Adenauer-Brücke erklären kann. Erst ein Radfahrer unten am Rheinufer gibt den entscheidenden Tipp. Angekommen auf der anderen Rheinseite, bin ich in Baden-Württemberg, und lande in einer Jugendherberge im Umbruch, es wird umgebaut, modernisiert. Besen an der Wand werden hier nicht mehr als Jugendherbergsschick angesehen. Man macht es den Rheinland-Pfälzern nach, die ihre Häuser so aufgerüstet haben, dass sie Sterne-Hotels gleichen. Leider ist dabei die Geschichte der Jugendherbergsbewegung unter den schicken Fassaden verschwunden. Komm' heute mal als Einzelwanderer in eine Jugendherberge, die kein Zimmer mehr frei hat, dann kannst du was erleben. In den Schlafsaal, zu anderen, sogar zu gleichalten Gästen legen? Oh, nein, das möchte die „homogene“ Gästegruppe bestimmt nicht. Dann eben das Zelt in einer versteckten Ecke aufbauen, da hinterm Busch, dort wo dich keiner sieht? Die Antwort … ach Mensch, Leute, ihr kommt aus der Wanderbewegung! Doch eure Belegungszahlen geben euch recht - wenn's auch bedauernswert ist.

          Mannheim wollte ich mir ansehen, gemütlich durch die Quadrate streifen, wenn Zeit bliebe, einen Blick in die Kunsthalle werden. Das alles ist im Wasser untergegangen. Regen, Regen, Regen, der am Abend endlich aufhört. Auf dem Bolzplatz hinter der Jugendherberge trainiert eine Nationalmannschaft aus Afrika, Nee, lacht der Schwarze, der von unten bis oben eingesaut ist, bis zum vereinten Afrika dauert es noch. Schwarze Studenten aus Afrika, Mitarbeiter der Uni und der BASF treffen sich mal wieder zum Bolzen. Der eine Weiße mittendrin geht unter, spieltechnisch auf alle Fälle. Hinterher reicht es nur noch bis zum Bahnhof und McDonald's. Mannheim säuft wieder ab.

          Morgens teile ich mir den Frühstückstisch wieder mit Radfahrern vom Rheinradweg. Stromabwärts fahren sie alle. Erneut ist niemand darunter, der den Fluss hoch fährt. Meine liebste Kombination besteht aus begeistertem Radsportler mit zwangsverpflichteter Ehefrau. Sie quält sich, weil sie meint ihrem Mann einen Gefallen zu tun, er quält sich, weil er Kreise um seine Frau ziehen könnte, dies jedoch tunlichst vermeiden sollte. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Fahrräder bleiben mir suspekt.

          Kraftwerk Mannheim - Da muss man halt durch

          Alleine, einsam über die Reißinsel nach Süden. Trimmpfad, Trimmgeräte, alles in Schuss, alles wird noch genutzt. Ungenutzt verrotten bei uns die Trimmpfade seit 40 Jahren im Wald. Braune Informationsschilder mit heimatkundlichen Texten, über das Schnickenloch, dem ersten Hafen in Mannheims Geschichte, und über den Schiffstyp, der seinen Namen geben musste, damit das Loch zum Hafen wird. Liest wer all die Infotafeln in den Parks und an den Wegen? Zwischen Zäunen mit spitzen Dornenreihen am Fuß riesiger Öltanks entlang, vorbei an der Großbaustelle für den neuen Kraftwerksblock, hinunter ans Rheinufer, zur Altriper Rheinfähre. Will ich Speyer nicht verpassen, muss ich hier rüber auf die andere Rheinseite. Auf dem Fluss fällt mir ein, dass es noch keine vier Wochen her ist, dass ich den Rhein – oder was von ihm geblieben ist – mit der letztmöglichen Fähre vor der Nordsee überquert habe, als Wanderer auf dem holländischen Deltapad.


          Am Rhein bei Otterstadt

          Der Rhein wuchert hier durch die Gegend, kann sich nicht für den geraden Weg entscheiden. Der Mensch hat es gerichtet. Vor Ewigkeiten schon ist eine anständige Fahrrinne von Baggern geschaffen worden. Ein sanft geschwungenes „S“ durchs Flachland ist entstanden, geblieben sind die Altrheinarme. In einem Winkel verstecken sich die Stege eines kleinen Yachtclubs. Misstrauisch werde ich beäugt. Ein Jogger drosselt das Tempo, passt sich meinem Tempo an, fängt mit dem Erzählen an. Mir steht nicht der Sinn nach Gerede. Vom Rheindeich erzählt er, vom Rheinradweg dahinter, auf dem wir uns befinden. Dass man an schönen Tagen auf dem nicht zum Laufen kommt, weil man Angst haben muss, dass einem die Radfahrer in die Hacken fahren. Von den Leuten hier, die alle nach Ludwigshafen zur Arbeit fahren, schon immer. Die Gemüsefelder seien erst nach der Flussbegradigung entstanden, gut bezahlte Arbeit hat es auf denen noch nie gegeben, kein Vergleich zu den Löhnen der BASF. Schon den zweiten Tag, dass mich diese Firma begleitet, denke ich, und dass die Möhren auf dem Feld erntereif aussehen. Mein Begleiter könnte sein Tempo wieder erhöhen, verschwinden. Mir hängt plötzlich der Magen in den Kniekehlen.


          Speyer - Kleine Pfaffengasse/Ludwigstraße

          Speyer - Kaisergruft

          Speyer, Jugendherberge, modern, voll belegt. Glück gehabt: Das letzte freie Zimmer gehört mir. Im Technikmuseum nebenan erhalten die Gäste der Jugendherberge einen ordentlichen Rabatt. Für das Museum in der Stadt auch? Nein, tut uns leid, das wird halt selten nachgefragt. Oh Konrad, oh ihr Heinrichs, würde das Grauen über euch kommen? In der Kaisergruft unter dem Dom ist wenig los. Kein Wunder, die katholische Kirche hält die Hand auf. Ach Heinrich Vier, ist Gregors Arm so lang, dass wir immer noch büßen müssen? Salier, wenn ihr wüsstet ... ach, ich lass das mal. Nebenan im Historischen Museum der Pfalz Speyer zeigen sie demnächst Amazonen - Geheimnisvolle Kriegerinnen.

          Am nächsten Tag finde ich Ersatz für meine vor Tagen zerrissene Wanderhose, eine von Jack Wolfskin, eine Frauenhose. Kann man sich damit vor die Tür trauen? Was anderes war nicht zu bekommen. Der Regen hält mich einen Tag länger als geplant in der Stadt. Der Sommer ist grässlich, die Betreiber vom Rheinstrand Speyer sehen das ebenso. Verwaiste Liegen auf nassem Sand, drumherum ein Drahtzaun. Das Vorhängeschloss mit der dicken Eisenkette wird in diesem Sommer eher nicht mehr geöffnet. Zwei Kübelpalmen machen immer noch keinen Sommer.

          Wanderdurchschnittsgeschwindigkeit

          Der neue Tag fängt für mich als Wanderer ungewohnt an: In Altlußheim werde ich geblitzt! Bis zu dieser Erkenntnis braucht es eine Weile, zu ungewohnt ist das. ... nee, so langsam war der Opel doch nicht, etwas doch? ... hm, das waren doch mehr als 7 km, und der da, der rote Audi, wenn der mit 5 km unterwegs gewesen ist, fress' ich einen Besen. Das Ding ist kaputt, zeigt nur die letzte Ziffer an. Quatsch, das Ding misst meine Geschwindigkeit. Das ist ja mal eine Premiere. 5 km in der Stunde und dabei noch ein Foto machen. Die Autofahrer sollen doch ausgebremst werden, nicht die Radfahrer, geschweige die wenigen Fußgänger. Dafür musste ich extra bis Altlußheim wandern. Graue Kirchenglocken stehen im Dorf in Reihe am Bürgersteig, sortiert nach Größe. Endgültig bleibt der Rhein zurück. Hoffentlich auch der graue Himmel.


          Eremitage Waghäusel mit Anbau

          Weiter durch die Wagbachniederung, rüber zum Kloster Waghäusel mit seiner Wallfahrtskirche. An bestimmten Tagen muss hier mächtig was los sein. Die Parkplätze beanspruchen mehr Platz, als die Klosteranlage. heute ist alles verlassen. Eine Runde um die Eremitage nebenan, auf der Suche nach einen Standort für ein Foto ohne die gigantischen Silos der stillgelegtem Zuckerfabrik als Hintergrund. Sprengstoff kann so teuer doch nicht sein. Nehmt halt Parkgebühren am Kloster. Ach was soll es, dann kommen die Silos eben mit auf das Foto.


          in der Lußhardt

          Ungewohnter Schilderwald

          Platt, eben, schnurgerade Waldwege, Abzweige die ausschließlich den rechten Winkel kennen, das ist der Lußhardt, der Untere und der Obere. Mindestens 5 Kilometer, mindestens" hatten Vater und Sohn mir vor Augenblicken noch zugerufen, bevor sie mich auf ihren Rädern überholten. Entlang der imaginären Grenze zwischen dem "Oben" und "Unten" geht mein Weg durch grünen Laubwald, hinüber und über die Autobahn 5, die sich schon weit vorher angekündigt hat. Wunderlich, der Lärm der rollenden Reifen wird nicht lauter. Nur dumpfes Rauschen unter hohen Bäumen. Erst als die Straße zu sehen ist, wird es laut. Flur- oder Gemarkungsschilder hoch oben an den Buchen. Bei uns im Wald würde sich das kein Waldbesitzer trauen, die anderen würde fragen, weshalb. Ein neuer Radweg, der von Heidelberg über den Schwarzwald zum Bodensee. Nein, Radfahrer haben sie nur wenige getroffen, erzählen das Mädchen und der Junge, die auf den Weg an den Bodensee sind. Viel zu wellig sei der wohl den meisten.

          Weit muss ich nun nicht mehr. Da hinten, bei den Bäumen, wo die Wiese am Wäldchen endet, dahinter versteckt sich der Hardtsee, sagt die Wanderkarte, bestätigt der alte Mann, der mich eine viertel Stunde begleitet. Am Ufer des Hardtsees gibt es einen Campingplatz. Kaum steht das Zelt, kommt der Sommer zurück. Dauercamper in Massen. Hinten am Eingang, vom See weg, eine parzellierte Wiese überschaubarer Größe für die Urlauber. Die Stellplätze am Wasser sind in der Hand der Dauercamper. Höchstwahrscheinlich werden das Erbstücke oder sind gute Kapitalanlagen. Erfahrungsgemäß sind die Wartelisten für ganz nach vorne länger, als die Lebensspanne der Ungeduldigsten. Noch bevor das Zelt richtig gestanden hatte, war ich eingeweiht. Glück gehabt. Offensichtlich habe ich die richtigen Antworten auf neugierige Fragen parat gehabt. Es geht nichts über gelangweilte Dauercamper. Natürlich gibt es Familien, die ihren Jahresurlaub hier verbringen. Erstaunt hat mich vor Stunden die Frau an der Rezeption angeschaut. Na, das hält sich doch sehr in Grenzen, der Wirt der Campingplatz-Gaststätte möchte nicht in den Lobgesang einstimmen. Den Rentnern von vorhin, sind Dauercamper lieber. Da weiß man was man in der Nachbarschaft hat.


          Ubstadt-Weiher - Hardtsee

          Eine gepflegte grüne Wiese, ein schmaler Sandstrand, dahinter blaues Wasser. Eine leichte Brise bewegt See und Bäume. Im See, der am anderen Ende immer noch ein Baggersee ist, baden nur die Mutigen - blauer Himmel hin, weiße Wolken her, der Sommer liegt in den letzten Zügen. Alte Männer mit grauem, gelichtetem Haar und ansehlichen Wampen - die von Neoprenanzügen am Runterfallen gehindert werden - schieben Surfbretter ins Wasser. Es sind nicht die neuesten Bretter. Die Segel haben im Laufe der Jahre Farbe lassen müssen. Die Männer gehören zu den Überlebenden einer Ära, die vor Jahrzehnten mit „Stehsegeln“ ihren damals meist verspotteten Anfang genommen hat. Früher ist man an den Gardasee gefahren, heute tut es der Hardtsee. Damals, als alles anfing, als man den Seglern ddas Nordufer des Gardasees streitig machte, hatte es nicht lange gedauert, bis die Stehsegler den Seglern um die Ohren gefahren sind. Ab da waren es Surfer. Wo kommen wir denn hin, wenn die uns die lange Seglertradition kaputt machen! Die Kite Surfer von heute lassen sich nicht blicken. Vermutlich wird’s nicht erlaubt sein.
          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 03.02.2012, 17:52.
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          • Werner Hohn
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            • 05.08.2005
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            • Meine Reisen

            #6
            AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

            Urlauberland in Sicht, doch es langt

            Von Ubstadt-Weiher nach Herrenberg

            Vom Rhein bin ich weg, von der Autobahn auch. Ab jetzt wird es leiser werden. Touristische Landschaften, sofern es solche gibt, stehen immer noch nicht an, denn der Kraichgau lässt sich schwerlich dazu zählen. Kein Mensch verbringt seinen Jahresurlaub im Kraichgau, so ländlich er sich auch immer geben mag.

            Bei Helmsheim

            Ein paar Hundert Meter Bundesstraße müssen es dann doch sein. Diesmal entlang der B3, bis auf Höhe der Kreismülldeponie Bruchsal. Wenn rechts neben der Straße ein kahler, grauer Hügel auftaucht, hatte ich gestern Abend beim Tratsch mit einem Rentnerehepaar auf dem Campingplatz die Anweisung erhalten, kommt von oben ein Wanderweg. Welcher Wanderweg genau, wussten sich nicht mehr. Doch auf dem sollte ich hoch auf den Hügel, das wäre nicht zu verpassen. Hinter der Bahnlinie an der Müllkippe halt nach links. Ab da würde es schön werden. Immer geradeaus, immer dem breiten Wirtschaftsweg folgen. Wenn ich mich nicht verlaufe, sollte ich am Bruchsaler Ortsrand auf die Bahnlinie treffen, der ich nach Südosten folgen muss. Irgendwann würde ich Bretten erreichen. Verlaufen unmöglich. Es hatte nichts genutzt, dass ich auf meine gestern in Speyer gekaufte Wanderkarte verweisen konnte. Früher waren wir oft wandern, meist im Schwarzwald und einmal sogar mit dem Wanderverein in Südtirol. Heute sind wir zu alt. Aber an der Müllkippe musst du hoch! Kannst du nicht verpassen! Fürsorgliche Vorschläge im unterschwelligem Befehlston, denn wir kennen uns hier aus!

            Noch beim Start klingen die Ausrufezeichen des gestrigen Abends nach. Also den Hügel hinauf, an der Müllkippe. Anthrazitduster, vom hellen Band der Zufahrtstraßen umwickelt, wölbt sich der Hügel wie ein gestrandeter Walfisch aus den Rheinebene heraus. Ein zerschnittener Horizont aus Hochspannungsleitungen und Strommasten bleibt hinter meinem Rücken zurück. Der versprochene Wanderweg ist der Weitwanderweg Odenwald-Vogesen. Der Odenwaldklub hat neu markiert, leider nur mit Aufklebern. Verlaufen unmöglich, immer an der Bahn entlang. Tatsächlich.


            Douglas'sches Schloss in Gondelsheim

            Grün ist die Landschaft nun. Ein anderes, intensiveres Grün als das da unten in der Rheinebene. Blödsinn? Vermutlich. Wahrscheinlich liegt es am Licht. Das ist heller, klarer nun. Grün ist die Welt um mich herum, in allen Schattierungen. Vom dunklen Grün der Laubwälder, über das in Reihe sortierte Grün der hier nur noch sporadisch auftauchenden Weinfelder, bis zum schwachen, unter der Sommersonne stumpfen Gelb-Grün frisch gemähter Wiesen. Hinter hohen Laubbäumen versteckt sich das Douglas'sche Schloss in Gondelsheim. Ein zu diesem Morgen passender Platz für die Frühstückpause. Hinein darf ich leider nicht. Es wird umgebaut, renoviert. Für eine Veranstaltung werden Kisten durch die Flur gekarrt. Was genau wissen das die Männer auch nicht, aber das ich jetzt nicht hinein darf, das wissen sie genau. Dann eben nicht, schöner als der lichtdurchflutet Park kann es drinnen nicht sein.

            Diedelsheim - Ev. Kirche

            Bretten ist schön in der Mitte, dort wo Bretten alt ist. Schon 2004 bin ich hier durchgekommen. Damals habe ich in der Krone übernachtet. Die Nacht vorher hatte ich auf dem Campingplatz bei Östringen geschlafen. Mein Zelt war noch nass. Kurzerhand hatte ich im Hotelzimmer ein Bild von der Wand genommen, weil der nun nutzlose Nagel ideal für die Befestigung einer Wäscheleine bis rüber zum Fenstergriff war. Das klitschnasse Zelt einmal quer übers Bett gespannt und raus ins Städtchen. Die Krone hat jede Menge Zimmer. Warum ausgerechnet an jenem Nachmittag der Hotelier auf die Idee gekommen ist, nach dem klemmenden Fenster in meinem Zimmer zu schauen, ist mir immer noch schleierhaft. Diesmal muss es ein anderes Hotel werden, denn ich bin mir sicher, dass man sich in der Krone an den Wanderer mit dem Zelt erinnern wird, sobald ich mit Rucksack an der Rezeption auftauchen würde.


            Bretten - Marktplatz

            Bretten gibt sich dem Sommer hin. Der Marktplatz ist vollgestellt mit den Tischen und Stühlen der Cafès und Kneipen. Unübersehbar nähere ich mich dem deutschen Süden. Nicht nur des Wetters wegen, mehr noch wegen den Gerichten auf den Speisekarten. Currywurst und Jägerschnitzel suche ich zu meiner Freude vergebens. Den Besuch im Melanchthonhaus erspare ich mir. Da war ich schon. Damals von einer Aufpasserin getrieben, die ihrem nahen Feierabend einen höheren Stellwert einräumte, als einer Kulturbeflissenheit vortäuschenden Urlaubergruppe. In Bretten bin ich endlich auf dem Europäischen Fernwanderweg E1 – den ich ignorieren werde. Der direkte Weg nach Pforzheim hat Vorrang. Außerdem möchte ich mir nicht schon wieder die Frage stellen, warum die Macher des E1 das nahe Maulbronn mit seiner mittelalterlichen Klosteranlage ignorieren. Engstirnige lokale Wegemacherei, oder was?

            Diesmal nicht

            Pforzheim ist zum Durchwandern schön. Eine Stunde vorher bin ich an der hiesigen Mülldeponie vorbei gewandert. Sollte das eine Warnung sein? Die Pforzheimer FGZ ist eine aus Beton in Variationen zu denen immer das Wort hässlich passt. Die Spätfolgen des verheerenden Luftangriffs im Februar '45. Wohlhabend heute, könnte die Stadt da nicht mal einen architektonischen Neuanfang wagen? Ein herausragender Solitär würde der Stadt nicht nur eventuell gut zu Gesucht stehen. Geizigen Kaufleuten vorführen, dass modern nicht zwingend hässlich sein muss. Nicht? Na dann. Zeit für einen Kaffee in der Fußgängerzone, und hinten wieder hinaus aus der Stadt. Viel mehr muss ich nicht haben. Ein Schwätzchen mit dem Tankwart an der Tankstelle an der Calwer Straße, dann raus zum Kupferhammer, zum Westweg. Huch, ein Brettertor mit gülden glänzenden Metallstreifen: GOLDENE PFORTE PFORZHEIM, der Beginn des Westwegs. Eine Inszenierung, die ich nicht brauche. Geschmacklos, Goldstadt hin Goldstadt her. Hindurch, endlich auf einen anständigen Wanderweg einschwenken? Nein, links ab, den kühlen Waldweg hinauf nach Schellbronn, zum Campingplatz.

            Schwäbische Gründlichkeit

            Dauercamper geben auch hier wieder den Ton an. Früher konnte man im Sommer die Zeltwiese vor lauter Zelten nicht mehr sehen. Das Lied höre überall. Dauercamper gab es damals keine. Heute reiht sich Holzhütte an Holzhütte und Zelte sind fast schon eine exotische Erscheinung, um nicht zu sagen, dass das meinige das einzige Zelt auf der Wiese ist. Am Abend bin ich ehe ich mich versehe mitten drin in einer Zankerei zwischen einem nervenden dauercampenden Rentnerehepaar und dem neuen Pächter der Kneipe. Die Alten sind nur des Streits wegen gekommen, schon bei der Essensbestellung war das sonnenklar. Vorführen wollen sie den neuen Gastwirt. Nach 'ner Stunde hat der genug und verweigert ihnen das bestellte Essen. Oh, selten war mit ein Wirt so sympathisch. Warum sitzen die ausgerechnet an meinem Tisch? Das keifende hochbetagte Ehepaar geht mir tierisch auf die Eier! Respekt vor dem Alter? Den kann man auch verspielen. Nun wundere ich mich nicht mehr über die Leute an den Nachbartischen, die sofort beim Auftauchen der beiden Alten alle freien Stühle belegt haben.


            Kloster Hirsau

            Kloster Hirsau

            Bis ins nahe Calw soll es am nächsten Morgen gehen. Der Morgen wird langen. Das ist nicht besonders weit, aber durch die Stadt Hermann Hesses möchte ich nicht nur hindurch laufen. Vorne rein, hinten raus, einen Haken dran, für gesehen, fertig. Nichts da! Hesse glaube ich mehr schuldig zu sein. Calw ist langweilig, nach langweiliger als das frühmorgendlich verschlafene Bad Liebenzell, kann das nicht einlösen, was nun staubtrockene Jugendträume nach Jahrzehnten immer noch erhoffen ließen. Vorne ein schreckliches Parkhaus. In der Mitte eine Brücke mit einem Denkmal für den Schriftsteller. Mittendrin eine langweilige Fußgängerzone mit wenigen Menschen. An der Seite eine steile Straße nach Osten hinaus. Der Straße hinterher, nichts wie raus. Der Campingplatz ist schrecklich. Noch nicht mal tratschende Rentner lassen sich blicken. Stechmücken zuhauf. In einer Ecke steht ein Motorradgespann mit holländischen Kennzeichen. Das Pärchen aus Holland ist nicht sehr gesprächig, backt lieber den Nachmittag über Pfannkuchen. Schweiß rinnt ihnen von der Stirn. Die Stechmücken scheinen den Geruch von warmen Pfannkuchen als Ansporn zu deuten. Pfannkuchen bei der Hitze! Ich glaub ich spinne. Ich will ein Eis. ein großes. Abends will die drückende Hitze nicht enden. Lustlos endet der Tag im nahen Industriegebiet bei McDonald's. Hinab in die Stadt will ich nicht, addiere lieber die lustlosen Augenblicke des Tages zusammen. Es werden viele.

            Der Nachmittag war öde, der Abend ebenfalls, anders der Vormittag. In der Moorbachschlucht war es schön, nicht nur weil es dort angenehm kühl war. Sie war nur zu kurz, an diesem Tag. Das Kloster Hirsau war toll, weil ich alleine dort gewesen bin. Bemerkenswert, dass keine Besucher da waren. Ungestört konnte ich die Zeit zwischen den alten Mauern verbummeln. Bei meinem Aufbruch erst schlenderte schwatzend eine kleine Gruppe Urlauber durch den Torbogen des Eingangs. Der kurze Impuls, noch länger zu bleiben, war weg.


            Egelsee bei Deckenpfronn

            Deckenpfronn (?)

            Bis Herrenberg auf dem Radweg die B 296 entlang, später dann hoch in den Schönbuch, abends liegst du mit deinem Zelt im Wald, mit diesem Vorsatz beginnt der Morgen. Weit vor Mittag bin ich in Herrenberg. Am Bahnhof in Herrenberg habe ich einfach aufgehört zu wandern. Keine Lust mehr? Keine Ahnung, bin einfach in den nächsten Zug nach Stuttgart gestiegen. Neues muss her. Die Radfahrer der letzten Wochen sind mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf gegangen, auch die beiden von eben, die mich vor Deckenpfronn überholt haben, die, bevor ich es richtig registriert habe, zu kleinen Punkten geschrumpft sind, die Sekunden später in einer Senke verschwinden. Meine Wanderung endet ohne Abschluss, bleibt offen für eine Verlängerung nach Süden - vielleicht. Jetzt steht anderes an: Dreißig Jahre bin ich ohne Fahrrad ausgekommen, habe ich Räder für überflüssig gehalten, jetz, wenn ich wieder Daheim bin, werde ich mir eins kaufen.

            Nur einen Wanderer habe ich während meiner Wanderung über Radwege getroffen, den einen, der auf dem Rheinburgenweg unterwegs gewesen ist, doch Radfahrer jede Menge. Wirklich Unterwegs-Seiende sind nicht darunter gewesen, im deutschen Südwesten. Nur das alte Ehepaar aus Holland, das ich in Bacharach auf dem Campingplatz am Rhein getroffen hatte, das war unterwegs. Die anderen aber waren nicht so richtig unterwegs, so dass man die Zeit irgendwo am Kilometerstein vergisst. Alle hatten Fristen, Termine, feste Rückfahrkarten für die Bahn. In dem Sinne war auch ich nicht unterwegs.
            Zuletzt geändert von Werner Hohn; 17.02.2020, 21:15.
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            • LihofDirk
              Freak

              Liebt das Forum
              • 15.02.2011
              • 13729
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

              Originell, nach den Ansichten aus dem Keller nun das Rheintal aus dem Erdgeschoßfenster. Und vom Rheinsteig, dem Balkon hast Du ja bereits berichtet.

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              • Wafer

                Lebt im Forum
                • 06.03.2011
                • 8799
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                Hallo Werner.

                Deine Berichte lese ich immer wieder gerne! Kaum einer schreibt so leicht und locker wie deiner einer. Ich freue mich auf die Fortsetzungen!
                Nur: Was ist mit Niemandsland gemeint? Doch hoffentlich nicht die Wanderung durch Bretten? Die hat mir ausgesprochen gut gefallen, damals auf dem E1. Aber vielleicht lag es ja gerade an der Einsamkeit in der dortigen Gegend?
                Und wenn du das nächste mal im Schönbuch bist dann komm doch einfach kurz bei mir vorbei! Ich würde mich freuen!

                Gruß Wafer

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                • Rainer Duesmann
                  Fuchs
                  • 31.12.2005
                  • 1642
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                  Guten Morgen Werner,

                  danke für einen typischen Reisebericht aus deiner Feder.

                  Humor mit einer gehörigen Prise Nachdenklichkeit, das gefällt wieder.

                  Erinnert mich immer ein wenig an die beeindruckenden Radreisebücher von Christian E. Hannig.

                  Schonmal dran gedacht selber ein Wanderbuch zu schreiben?

                  Beste Grüße,
                  Rainer
                  radioRAW - Der gesellige Fotopodcast

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                  • Werner Hohn
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                    • 05.08.2005
                    • 10870
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                    Wafer, Bretten hat mir so gut gefallen, dass ich auf dieser Wanderung nach der über den E1 (2004) dort erneut übernachtet habe. Das kommt noch.

                    Rainer, das muss nicht sein, trotzdem Danke fürs Lob. Manchmal, wenn ich in Buchhandlungen bin, blättere ich Wanderbücher durch und komme zum Schluss, dass es genug davon gibt. Meine Berichte hier schreibe ich für die Enkel. Noch ist Opa der Größte. Es werden nicht mehr viele Jahre ins Land gehen, bis sich das ändert. Irgendwann, wenn sie selbst alt sind, werden sie sich an den Opa erinnern, der immer Wandern war. Wenn es so weit ist, können sie das nachlesen, sofern ich es schaffe, das Zeug hier endlich mal durch einen vernünftigen Drucker zu jagen.

                    Werner
                    Zuletzt geändert von Werner Hohn; 18.01.2012, 18:16.
                    .

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                    • lina
                      Freak

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                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                      OT: Werner, da muss ich Rainer beipflichten: Bei Deinen Reiseberichten kann immer erst aufhören zu lesen, wenn da wirklichwirklich kein weiterer Buchstabe mehr zu finden ist! Will heißen es gibt auf keinen Fall zu viele gute Wanderbücher, da fehlt definitiv noch mindestens eins

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                      • Wafer

                        Lebt im Forum
                        • 06.03.2011
                        • 8799
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                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                        Hallo Werner.

                        Ah, schön: Es gibt eine neue Etappe! Danke schön! Bei den Vormerkungen leicht zu übersehen. Ich freue mich auf den Schluß.

                        OT:
                        Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                        ... sofern ich es schaffe, das Zeig hier endlich mal durch einen vernünftigen Drucker zu jagen.
                        Das hätte echt was! Das war ja mein Ansatz, als ich die Webseitenfehler gefunden habe. Kann ich dabei helfen? Hast du Ideen wie es aussehen soll? Ich hätte mir ein schickes PDF vorgestellt. Oder noch besser Word-Format (RTF z.B.) damit man nacharbeiten kann. Sowas habe ich in meiner Software für meine Touren auch drin. Allerdings nicht in PHP.


                        Gruß Wafer

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                        • Voland
                          Anfänger im Forum
                          • 28.11.2010
                          • 36
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                          Es liest sich ernsthaft bis schmunzelnd.
                          Sehr gelungen.
                          Allein wandern regt das Hirn an und auf. Schön.

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                          • Andreas-F
                            Erfahren
                            • 31.03.2007
                            • 304
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                            Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen

                            An der Seite eine steile Straße nach Osten hinaus.


                            Bis Herrenberg auf dem Radweg die B 296 entlang,
                            ................
                            Hallo Werner,

                            ich weiss, im Nachhinein alles besser wissen ist doof.

                            Aber die B296 in Calw hoch, warum das?

                            Selbst die Steige am Landratsamt hoch ist netter als die B296.

                            Ansonsten übers Ölanderle und das schmale Mühlental hoch zum Campingsplatz, nette und schmale Wege.

                            Und nach Herrenberg eher bis Gültlingen auf dem Gäurandweg und dann über die Felder bis Kuppingen.


                            Gruß Andreas

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                            • Werner Hohn
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                              Liebt das Forum
                              • 05.08.2005
                              • 10870
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                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                              Hallo Andreas,

                              dass ich die B 296 zum Campingplatz genommen habe, steht und stand nirgendwo (hab' grad eben einen Fehler rausgeschmissen, daher die Änderung). Die steilen Straßen Lange Steige und Weidensteige hoch (ein Hoch auf Google Maps), das geben die 50.000er Karten schon her. Nach Herrenberg war der Radweg/Wirtschaftsweg entlang der Bundesstraße die logische Verbindung, wenn man wie ich an diesem Tag die kürzeste Verbindung gehen wollte. Die ganze Wanderung bestand im Wesentlichen aus möglichst direkten Wegen. "Direkt" musste nicht unbedingt eine Gerade sein, konnte auch "schnellster Weg" bedeuten.
                              .

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                              • wanderfalke0815
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                                #16
                                AW: [DE] Zu Fuß vom Deutschen Eck zum Schönbuch

                                Das mittlere Rheintal ist eine der schönsten Gegenden in Deutschland und IMHO auch eine der schönsten UNESCO-Welterbestätten in Europa. Man wird ja förmlich zum Wandern und Radfahren "gezwungen" . Auch wenn man eigentlich kein großer Romantiker ist, kann man sich der Schönheit der Aussichten einfach nicht entziehen.

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