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Land: Schottland / UK
Reisezeit: 5.9.-16.9.2011
Region/Kontinent: Nordeuropa
Vorwort
Es ist Mai. Wieder einmal habe ich es nicht geschafft, um diese Zeit in Schottland zu sein. Wieder einmal habe ich meinen Urlaub auf September verschoben. Wieder einmal habe ich noch keinen Plan, wo es überhaupt hingehen soll. Die ersten Reiseberichte trudeln ein, und ich bin angesichts der geschilderten Wettererlebnisse nicht unglücklich, jetzt nicht dort zu sein. Aber wo will ich eigentlich hin? Da ich dieses Mal nur 12 Tage zur Verfügung habe, möchte ich An- und Abreise möglichst schnell erledigen können. Die Auswahl schränkt sich dadurch ein. Schließlich gewinnt das nagende Gefühl, nach meiner durch Knieprobleme eingeschränkten Tour im letzten Jahr noch eine offene Rechnung mit den Cairngorms zu haben, die Oberhand. Ich buche An- und Abreise nach Aviemore, beschließe, es dieses Mal besonders am Anfang der Tour etwas langsamer angehen zu lassen und vergrabe mich in Karten, Büchern und Webseiten.
Der Plan
Der geneigte Leser wird es zu interpretieren wissen, wenn gleich zu Anfang des Reiseberichtes der Plan beschrieben wird
Wobei ich realistisch genug bin zu wissen, daß es sich mehr um eine Wunschvorstellung handelt als um einen Plan. Insbesondere, da mit den High Camps einige wetterempfindliche Abschnitte enthalten sind. Aber so ein paar schottische Schauer sollten mich nicht abschrecken. Dachte ich...
Von Aviemore soll es zum Loch Eanaich gehen. Dort A' Phocaid hoch, Abstecher zum Sgor Gaoith, zum Braeriach Plateau rauf, bei den Wells of Dee zelten, noch zum Braeriach. Weiter über Sgor an Lochain Uaine, Cairn Toul und Devil's Point zur Corrour Bothy (Schlechtwetteralternative: durch das Coire Dhondail hoch und zur Not ohne Gipfel direkt auf der anderen Seite runter zur Corrour Bothy). Dann an der Derry Lodge vorbei, durch Clais Fhearnaig, am Quoich Water entlang ins obere Gleann an t'Slugain. Von da aus hoch zu The Sneck, kurz auf den Beinn A' Bhuird, weiter zum Ben Avon und dort auf dem Gipfelplateau zelten, auf der Nordseite runter zum Linn of Avon (Schlechtwetteralternative: am River Gairn entlang und durch Glen Builg zum Linn of Avon, evtl. von dort Tagestour zum Ben Avon). Durchs Glen Avon bis zu den Fords of Avon. Am letzten Wandertag dann zur Glenmore Campsite, dort wieder zivilisationstauglich machen und zurück nach Aviemore.
Sieben Munros, keine zu langen Tagesetappen, eine landschaftlich interessante Strecke - ich lehne mich zufrieden zurück und widme mich der Packliste...
5.9. Anreise
Am Vorabend habe ich den Rucksack gepackt. Gut 20kg beträgt das Gewicht inklusive der noch zu organisierenden Gaskartusche und einem Liter Wasser, wenn die Flasche voll ist. Für mich kein schlechter Wert, wenn ich Essen für 8 Tage dabei habe (7 Tage geplant plus einen als Reserve).
Immer wieder ein Wunder, was alles in einen Rucksack passt
Der Flug nach Edinburgh verläuft problemlos. Das Wetter ist besser als erwartet, und nachdem ich eine Gaskartusche und eine neue Landranger Map Nr. 36 erstanden habe (die alte war durch zerquetschte Midge-Leichen an manchen Stellen unleserlich geworden), sitze ich am St. Andrew Square in der Sonne, während ich auf meinen Bus nach Aviemore warte. Die Busfahrt führt durch Birnam, und mir fällt ein:
Macbeth shall never vanquish'd be until
Great Birnam wood to high Dunsinane hill
Shall come against him.
(William Shakespeare: Macbeth, 4. Akt, 1.Szene)
Selbstverständlich fällt mir bei Birnams Wald auch Stanislaw Lem ein, dessen 60. Jahrestag seiner ersten Veröffentlichung kürzlich mit einem Google Doodle geehrt wurde. Aber ich hoffe natürlich, daß meine Tour nicht zum Fiasko wird.
Da ich weite Teile der Busfahrt verschlafe, bin ich gefühlt fix in Aviemore und checke für eine letzte zivilisierte Nacht ins Macdonald-Hotel ein - ein hässlicher Kasten, aber für eine Cairngorms-Tour ungeheuer praktisch gelegen.
Nach einem Abendessen im Roo's Leap und einem Bier im Cairngorm Hotel setze ich mich noch mit einem Whisky in die Hotelbar. Ich habe nämlich noch ein Problem zu überdenken: die Wettervorhersage . Bis mindestens übermorgen ist Sturm angesagt, wenn auch nur mit starken Schauern statt Dauerregen. Aber bei 70mph Windböen auf dem Braeriach-Plateau zelten? No friggin' way! Bei der Vorhersage traue ich mich noch nicht einmal, da einfach nur drüber zu laufen, da zum starken Wind auch noch null Sicht in den Wolken herrschen wird. Aber um die Tour fortsetzen zu können, muss ich irgendwie Richtung Corrour Bothy kommen. Vielleicht kann ich dann von dort auch eine Tagestour auf das Braeriach Ridge machen. Der einzige nicht zu exponierte Weg dahin führt über den Lairig Ghru. Diese Strecke möchte ich aber nicht wieder an einem Tag laufen, weil ich befürchte mir wieder wie im letzten Jahr das Knie zu überlasten. Nochmal in Coylumbridge zu übernachten, bevor ich den Lairig Ghru in Angriff nehme, verringert den Weg nur um 6km und bedeutet für morgen eine nur sehr kurze Etappe. Da fällt mir der Reisebericht von Rainer Duesmann und Stompy ein - mit ihrer Übernachtungsstelle unterhalb des Creag an Leth-choin. Das wäre weit genug, aber noch tief genug gelegen, um den schlimmsten Gipfelböen zu entgehen. So wird's gemacht, denke ich, und trinke den Rest meines Whiskys auf Rainer und Stompy. Danke fürs Location-Scouting, Jungs!
6.9. Aviemore - Eingang Lairig Ghru
Da meine Strecke für heute recht kurz ist, lasse ich mir Zeit beim Frühstück und ziehe erst gegen 10:30 Uhr los. Auch beim Laufen lasse ich es langsam angehen. Trotzdem bin ich schon bald in Coylumbridge, wo der Weg endlich von der Straße abbiegt. Bis jetzt ist der Wind noch nicht so stark und hin und wieder kommt sogar die Sonne hervor.
Sonnige Abschnitte im Rothiemurchus Forest
Bald aber gibt es immer wieder kurze Nieselschauer, so daß ich das Windstopper-Fleece gegen die Regenjacke tausche - ich will nicht schon am ersten Tag meine Klamotten durchnässen und sie dann nicht wieder trocken bekommen. An der Cairngorm Club Footbridge mache ich eine kurze Pause.
Als ich aus dem Wald herauskomme, habe ich einen ersten Blick Richtung Lairig Ghru. Wohlgemerkt, nur in die Richtung, denn von dort heranziehender Regen lässt keine weite Sicht zu. Schnell ziehe ich auch noch die Regenhose über, und schon öffnet der Himmel seine Schleusen.
Cairngorm Club Footbridge
Heranziehender Regen
Später führt der Weg hochgelegen an den Hügeln neben dem Allt Druidh entlang, und hier legt der Wind dann auch ordentlich zu. Bei diesem Wetter möchte ich nicht oben auf den Bergen sein. Ich bin zufrieden mit meiner Entscheidung, statt am Loch Eanaich vorbei über das Braeriach Plateau hier über den Lairig Ghru zu laufen.
Immer wieder komme ich an Stellen vorbei, die ich vom letzten Jahr wiedererkenne, z.B. den Bach, an dem ich Wasser aufgefüllt habe und zum ersten Mal von Midges überfallen wurde. Es muss letztes Jahr ganz schön warm gewesen sein, denke ich, wenn ich hier schon kein Wasser mehr hatte. Jetzt ist meine Flasche noch halb voll. Da ich heute sehr geruhsam unterwegs bin, liege ich meiner Zeit von damals schon mehr als zwei Stunden hinterher. Kurz vor meinem Tagesziel begegnen mir 4 Wanderer, die mich verwundert fragen, ob ich heute noch über den Pass will. Ich kann sie beruhigen, und hinter der nächsten Kurve sehe ich schon meine geplante Übernachtungsstelle. Die kleine Wiese ist durch die dahinterliegende Felsstufe so markant, daß ich sie sofort nach Rainers Foto wiedererkenne. Schnell noch den Bach gequert, und schon steht das Zelt. Glücklicherweise nieselt es jetzt nur noch leicht, und so koche ich im Windschatten der Felsstufe mein Abendessen. Da es immer noch windet und der Nieselregen nicht aufhören will, verschwinde ich recht früh im Zelt. Ausschlafen ist auch nicht schlecht, schließlich habe ich Urlaub!
Zeltstelle am Allt Druidh
7.9. Eingang Lairig Ghru - Corrour Bothy
Da ich gestern früh im Schlafsack steckte, bin ich heute schon um 6:30 Uhr wach. In der Nacht gab es ein paar heftige Böen und Schauer, aber im großen Ganzen war die Nacht ruhig und gemütlich. Heute Morgen ist es sogar trocken, und so gibt es das Frühstück im Freien. Nachdem die Sachen gepackt sind, mache ich mich langsam auf den Weg. Über mir hängen dunkle Wolken, aber hinter mir über Aviemore scheint die Sonne. Ich bin so naiv zu hoffen, daß das in meine Richtung zieht...
Sonnenschein über Aviemore
Stattdessen werde ich immer wieder von Schauern beglückt. Der Wind nimmt mit der Höhe stark zu und kühlt dabei so kräftig, daß ich auch in den trockenen Abschnitten die Regenhosen anlasse, um nicht auszukühlen. Die Passhöhe liegt in den Wolken, während hinter mir über Aviemore immer noch schönes Wetter zu herrschen schein. Ein bißchen fühle ich mich veralbert.
Wolken über dem Pass
Als es über die Boulderfields kurz vor der Passhöhe geht, laufe ich extrem vorsichtig. Wenn mich hier der jetzt heftige Wind umwirft, ich mit dem Fuß zwischen die Felsen rutsche und dann umfalle, entsteht am Unterschenkel ein schöner Hebel. In meinen geistigen Ohren hängt das eingebildete Geräusch splitternder Knochen fest. Ich führe Selbstgespräche, in denen ich mich energisch selber dazu auffordere, diese düsteren Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen und mich stattdessen auf meine Schritte zu konzentrieren. Wieder bin ich froh, bei diesem Wetter nicht auf dem Braeriach Plateau herumzuturnen.
Schließlich bin ich oben am Pass. Die Wolken über meinem Kopf entlassen gefühlte Tonnen von Wasser, die der Wind waagerecht um mich herum treibt, aber vor mir scheint es wieder etwas heller zu werden. Dann also weiter, es kann nur besser werden. Der Weg auf der südlichen Seite des Lairig Ghru ist weitaus unspektakulärer, dafür aber manchmal recht feucht.
Wasser auf dem Weg
Schnell kommt jetzt auch die Corrour Bothy in Sicht und bald bin ich dort. Noch ist niemand hier, aber da es eine der beliebtesten Bothys in ganz Schottland ist, rechne ich mit weiteren Besuchern. Weil ich keine Lust habe, in einer überfüllten Bothy zu schlafen und der Regen gerade eine Pause macht, schlage ich mein Zelt neben der Bothy auf.
Zelten bei der Corrour Bothy
Kurze Zeit später kommen vier Leute auf die Bothy zugelaufen - zwei davon mit Riesenschritten im Eilzugtempo. Es sind zwei Belgier, die heute schon von Kingussie nach Aviemore gewandert sind, dort eingekauft haben und dann weiter bis hierher gelaufen sind. Sie erzählen mir, daß sie vorher schon den West Highland Way in 4 1/2 Tagen absolviert hätten. Der ältere der beiden ist 69 Jahre alt . Ich weiß nicht, ob ich die beiden bewundern soll oder doch eher den Kopf schütteln ob des Tempos, bei dem sie von der Gegend doch überhaupt nichts mitbekommen können...
Während wir uns unterhalten, geht es Schlag auf Schlag, und kurze Zeit später ist nicht nur die Bothy mit 4 Personen besetzt, sondern drum herum stehen noch sage und schreibe 8 Zelte! Als ich in der Bothy mein Abendessen koche, erfahre ich von einem Hillwalker einen möglichen Grund für diesen Ansturm: morgen ist laut Wetterbericht der einzige brauchbare Bergtag für absehbare Zeit. Es soll trocken mit sonnigen Abschnitten sein, allerdings ist für die Gipfel Wind von 30-40mph angesagt, in Böen bis zu 60mph. Ich beschließe, morgen früh nach Augenschein zu beurteilen, ob ich eine Tagestour auf die Munros mache oder weiterziehe. Später unterhalte ich mich draußen noch mit zwei Studenten aus Edinburgh, aber bei Regen und Wind wird uns bald kalt und wir verschwinden in den Zelten. Um 21:45 liege ich im Schlafsack. Für meine Gewohnheiten ist das später Nachmittag - das wird ein erholsamer Urlaub.
8.9. Devil's Point - Cairn Toul - Sgor an Lochain Uaine
In der Nacht lässt der Regen nach, allerdings schütteln heftige Böen das Zelt immer wieder gehörig durch. Der Wind ist deutlich stärker als letzte Nacht, lässt jedoch gegen Morgen wieder nach. Ich frühstücke in der Bothy und beschließe, das Zelt heute hier stehenzulassen und eine Tagestour auf ein paar umliegende Munros zu machen. Noch hängen die meisten Gipfel in den Wolken, nur der Devil's Point ist schon frei, es soll jedoch im Laufe des Tages immer besser werden. Also packe ich schnell meinen Tagesrucksack und ziehe los. Beim Blick zurück zur Bothy stehen die meisten Zelte noch da, aber es wird überall kräftig gepackt.
Rush Hour an der Corrour Bothy
Schnell stehe ich auf dem Sattel zwischen dem Devil's Point und einem namenlosen Top, der noch in den Wolken hängt. Auch auf den Devil's Point komme ich schnell und genieße die Aussicht. Nur noch wenige Wolken sind zu sehen, und von hier oben kann ich erkennen, daß mittlerweile nur noch mein Zelt bei der Bothy steht.
Lairig Ghru, Ben Macdui und Corrour Bothy vom Devil's Point
Dann geht es wieder runter und auf den namenlosen Top. Der Weg dort hinauf ist schon etwas länger und streckenweise pfadlos, aber mit meinem Vorrücken verziehen sich die Wolken und am Gipfelcairn angekommen kann ich mein nächstes Ziel ausmachen: Cairn Toul. Kurz laufe ich flach wieder bergab, bevor ich steil über große Felsbrocken Richtung Gipfel klettere.
Namenloser Top, Devil's Point dahinter versteckt und Carn a' Mhaim (links)
Einen Weg gibt es hier nicht, es geht über ekelhaft grobe Felsbrocken steil bergauf, und wieder habe ich dieses eingebildete Geräusch splitternder Knochen im Kopf. Am Gipfel wollte ich eigentlich eine Pause machen, aber der Wind pfeift mir dermaßen kalt um die Ohren, daß ich vorerst auf eine Pause verzichte und mich auf den weiteren Weg zum Sgor an Lochain Uaine mache. Wie viele seiner Namensvettern macht auch dieser Lochain seinem Namen "Uaine" (grün) so gar keine Ehre.
Lochan Uaine mit gleichnamigem Sgor
Nachdem ich von der Gipfelpyramide des Cairn Toul wieder herunter bin, gibt es auch wieder einen Pfad, der relativ angenehm zu gehen ist, und so stehe ich bald auf dem dritten Munro für heute. Dort mache ich im Windschatten einiger aufgeschichteter Steine meine wohlverdiente Pause und genieße die Aussicht. Bis zum Braeriach sind es von hier noch immer geschätzte 4.5km, hin und zurück also 9km, so daß ich beschließe, mir diesen Weg zu sparen. Schließlich bin ich kein Munrobagger, der eine Liste abarbeiten muß, sondern nur Urlauber. Auf dem Rückweg kürze ich den Weg über den Cairn Toul ab und gehe stattdessen weglos an seiner sanft abfallenden Westflanke entlang.
Sgor an Lochain Uaine auf dem Rückweg
Am späten Nachmittag bin ich zurück bei meinem Zelt. Die Bothy ist völlig verwaist und ich bin der einzige Mensch hier. Da die Sonne scheint und der Wind nur noch ganz schwach weht, ist es recht warm. Eine gute Gelegenheit, mich der Körperhygiene zu widmen. Während ich mich so vor mich hin rasiere, schläft der Wind fast ganz ein und sofort melden sich die gefährlichsten Raubtiere Schottlands - Midges. Also beeile ich mich und verziehe mich zum Kochen in die Bothy, wo ich auch später noch sitze und den Tagesbericht verfasse. Trotz des guten Wetters kommt niemand mehr vorbei. In der Dämmerung kann ich entfernt am gegenüberliegenden Flussufer zwei Leute beobachten, die dort ihr Zelt aufbauen. Warum kommen die nicht her? Hier ist heute Platz genug. Naja, mir soll's recht sein und so mache ich mir einen gemütlichen Abend in der Bothy. Ich überlege kurz, schnell das Zelt abzubauen und in der Bothy zu übernachten, verwerfe aber den Gedanken wieder.
Am Abend gibt es noch eine Spätvorstellung: Gegen 22:15 kommt ein SAR-Hubschrauber, kreist über den Munros, beleuchtet alles mit seinen Suchscheinwerfern und scheint dann sowohl vom Devil's Point als auch vom Ridge von Carn a' Mhaim nach Ben Macdui Leute vom Berg zu holen. Ich hoffe, daß sich da nur jemand bei dem schönen Wetter völlig überschätzt und es nicht mehr im Hellen runter geschafft hat und es keine Verletzten gegeben hat. Jedenfalls wird mir am nächsten Morgen klar, warum man die nicht biwakieren lassen konnte und noch abends vom Berg holen musste...
9.9. Corrour Bothy - Allt an t'Slugain
Morgens sieht die Welt komplett verändert aus. Es regnet, die Wolken hängen tief und der Wind ist wieder da. Wer gestern nicht in der Dunkelheit vom Berg gefunden hat, würde es heute Morgen nicht einfacher haben - und an einen Hubschrauber-Einsatz wäre bei den Verhältnissen nicht mehr zu denken. Ich ärgere mich ein bißchen, daß ich nicht schon gestern Abend das Zelt abgebaut und in der Bothy übernachtet habe. Aber nach dem Frühstück in der Bothy lässt der Regen für kurze Zeit nach, es nieselt nur noch schwach und ich nutze die Gelegenheit, das Zelt abzubauen. In der Bothy verpacke ich meine Sachen im Rucksack, werfe mich in die Regenklamotten und ziehe los.
Abschied von der Corrour Bothy
Am Luibeg Burn versuche ich bei dem Wetter erst gar nicht, den Bach an der Furt zu überqueren, sondern laufe gleich den kleinen Umweg zur Brücke. Der "Weg" am Wildschutzzaun entlang hat durch den Regen noch mehr Bog als im letzten Jahr, und so balanciere ich mit weiten Schritten von Stein zu Stein und gelange schließlich zur Brücke, ohne größeren Schlamm-Schaden zu erleiden. Neben der Brücke hat ein Baum schon zur Hälfte auf Herbst umgestellt, seine Blätter sind links noch grün und rechts bereits orange-rot.
Am Zaun entlang durch den Bog
Luibeg Bridge
Hinter dem Luibeg Burn wird der Weg breiter und einfacher zu gehen, schließlich mutiert er zum Landrover-Track. Kurz vor der Derry Lodge sind nochmal ein paar hundert Meter gut bewässerte ebene Sumpf- und Wiesenlandschaft zu durchqueren. An der Brücke über den Derry Burn mache ich eine Pause. Unter Bäumen, die ein bißchen vor dem schlimmsten Regen schützen, liegt ein Baumstamm als Sitzgelegenheit. Zwei junge Frauen sitzen bereits dort und ich geselle mich dazu. Und, man glaubt es kaum, trotz Regen und Wind bin ich sofort von Midges umschwirrt. Dieser Fleck hier muß wirklich der am schlimmsten Midge-verseuchte Platz von ganz Schottland sein! Die beiden Mädels bieten mir ein Rasierschaum-artiges Mittel an, daß aber trotz 75% DEET-Gehalt kaum hilft. So unterhalten wir uns, die Kapuzen gegen Regen und Midges tief ins Gesicht gezogen, mit den Händen vor dem Gesicht fuchtelnd und immer wieder aufstehend um durch ein paar Schritte die Biester loszuwerden. Schließlich wird es mir zu bunt, ich schultere meinen Rucksack und laufe weiter. Auf dem Landrover-Track hinter der Lodge begegnen mir noch zwei Mountainbiker. Es ist Freitagmittag, kurz nach 14:00 Uhr. Check.
Etwas weiter erreiche ich die Stelle, wo der Pfad ins Clais Fhearnaig abzweigen soll. Aber: ich sehe keine Pfad. Ratlos laufe ich hin und her. Ausgerechnet diese Stelle liegt auf den zwei Quadratzentimetern Karte, die sich nicht mehr auf der Landranger Map Nr. 36 befinden, sondern auf der Nr. 43. Die ich wegen dieses kleinen Stückchens natürlich nicht eingepackt habe. So bleibt mir nur die Kartendarstellung auf dem GPS. Der Positionspfeil liegt genau auf dem Abzweig. Der Fehlerkreis ist so klein, daß er nur bei 30-Meter-Darstellung angezeigt wird. Dort ist der Bach, neben dem der Pfad eingezeichnet ist. Trotzdem kein Weg zu sehen. Sollte das Kartenmaterial veraltet sein und der Weg nicht mehr existieren? Ich spähe durch die regentrübe Luft in das Seitental. Da hinten, an diesem Hügel, sieht das nicht aus wie ein Pfad? Ich bin überzeugt, nein, ich weiß, daß ich hier richtig bin, und so beschließe ich, weglos zu gehen, um den Pfad in der Ferne zu erreichen. Nach etwa 50 Metern sehe ich eine leicht plattgetretene Spur im Gras, der ich folge.
Zum Clais Fhearnaig
Nach einiger Zeit wandelt sich die Spur zum schmalen Trampelpfad, der jetzt eindeutig auszumachen ist. Der Weg geht vorbei an einem kleinen, langgezogenen See, der mal zur Forellenzucht aufgestaut wurde. Jetzt ist er verkrautet und mit Schilf zugewachsen - da wird es keine großen Fischbestände mehr drin geben.
Verkrauteter Fischteich
Der Pfad ist recht schmal, immer wieder streiche ich an der Heide vorbei, die den Weg zu überwuchern versucht. Obwohl ich Gamaschen trage, habe ich das Gefühl, daß mein rechter Fuß feucht wird. Hm. Blöd. Als ich etwas später auf den Landrover-Track zum Quoich Water stoße, mache ich unter einer kleinen Baumgruppe eine kurze Pause, um den Schuh auszuziehen. Tatsächlich, die Socke ist nass. Einen Kilometer weiter soll es dann durch eine Furt über den Allt an Dubh-ghlinne gehen. Das Fluss führt an dieser Stelle wegen des Regens recht viel Wasser, bestimmt knietief, aber ein paar hundert Meter flussaufwärts finde ich eine Stelle, wo er zwar deutlich breiter, aber auch flacher ist. Auf halb überspülten Stepping Stones kann ich den Fluss dort überqueren. Dabei kommt endgültig Wasser in den rechten Schuh. Na super. Dafür hört der Regen auf, und etwas später kommt sogar die Sonne ein paarmal sekundenweise hervor. Am Quoich Water entlang gibt es laut Karte eigentlich keinen Weg, aber in Wirklichkeit führt ein Gewirr von Trampelpfaden kreuz und quer durch den lichten Wald. Und so laufe ich, mal den Pfaden in meine ungefähre Richtung folgend, mal weglos durch die Heide stapfend bis ich wieder auf einen Pfad stoße, durch das Wäldchen, bis ich auf der anderen Seite wieder auf einen Weg treffe.
Pfadgewirr am Quoich Water
Bald danach bin ich an der Stelle angelangt, die ich mir auf der Karte zur Übernachtung ausgesucht habe. Der Boden ist dort zwar flach, aber kniehoch mit Heide bewachsen. Und auch der Weg zum Wasser würde eine mittlere Expedition bedeuten. Da hat man wohl in der Karte ein paar Höhenlinien weggelassen, weil sie zu dicht beisammen liegen würden. Nun ist guter Rat teuer, sehr viel Tageslicht bleibt mir nicht mehr. Ich studiere die Karte. Ich könnte auf meinem Weg weiterlaufen und auf gut Glück hoffen, daß ich am oberen River Gairn schnell eine geeignete Zeltstelle finde. Da fällt mir ein, daß ich in einem Hillwalking-Forum mal gelesen habe, es gebe bei der Ruine am Allt an t-Slugain einen guten Zeltplatz. Das liegt zwar nicht in meiner Richtung, ist aber nur einen knappen Kilometer abseits, so daß ich mich dafür entscheide, es dort zu versuchen. Zunächst führt der Weg über eine wasserlose Ebene, dann aber an einem kleinen Wasserfall vorbei und direkt neben der Ruine ist genug Platz für mein Zelt.
Zelten an der Ruine am Allt an t'Slugain
Nach dem Zeltaufbau ziehe ich meine Schuhe aus und nehme die Sohlen zum Trocknen heraus. Jetzt ist auch der linke Schuh leicht feucht von innen, dabei hatte ich mich zu Hause kurz vor der Tour noch mit beiden Schuhen in einen Bach gestellt, um zu testen, ob sie noch dicht sind. Interessant, wie die Membranen in beiden Schuhen ungefähr zur gleichen Zeit versagen - ich hätte da doch mehr statistische Streuung erwartet. Honi soit qui mal y pense...
Auf Mauerresten mache ich es mir bequem, improvisiere mit ein paar flachen Steinen einen Windschutz für den Kocher und bereite eine weitere Portion Tütenfutter zu. Kaum habe ich gegessen, fängt es wieder an zu regnen, und so verziehe ich mich ins Zelt.
Hier sollte eine GPX-Karte erscheinen! Wenn diese nicht nach wenigen Sekunden nachgeladen wird bitte die Seite aktualisieren.
Region/Kontinent: Nordeuropa
Vorwort
Es ist Mai. Wieder einmal habe ich es nicht geschafft, um diese Zeit in Schottland zu sein. Wieder einmal habe ich meinen Urlaub auf September verschoben. Wieder einmal habe ich noch keinen Plan, wo es überhaupt hingehen soll. Die ersten Reiseberichte trudeln ein, und ich bin angesichts der geschilderten Wettererlebnisse nicht unglücklich, jetzt nicht dort zu sein. Aber wo will ich eigentlich hin? Da ich dieses Mal nur 12 Tage zur Verfügung habe, möchte ich An- und Abreise möglichst schnell erledigen können. Die Auswahl schränkt sich dadurch ein. Schließlich gewinnt das nagende Gefühl, nach meiner durch Knieprobleme eingeschränkten Tour im letzten Jahr noch eine offene Rechnung mit den Cairngorms zu haben, die Oberhand. Ich buche An- und Abreise nach Aviemore, beschließe, es dieses Mal besonders am Anfang der Tour etwas langsamer angehen zu lassen und vergrabe mich in Karten, Büchern und Webseiten.
Der Plan
Der geneigte Leser wird es zu interpretieren wissen, wenn gleich zu Anfang des Reiseberichtes der Plan beschrieben wird
Wobei ich realistisch genug bin zu wissen, daß es sich mehr um eine Wunschvorstellung handelt als um einen Plan. Insbesondere, da mit den High Camps einige wetterempfindliche Abschnitte enthalten sind. Aber so ein paar schottische Schauer sollten mich nicht abschrecken. Dachte ich...
Von Aviemore soll es zum Loch Eanaich gehen. Dort A' Phocaid hoch, Abstecher zum Sgor Gaoith, zum Braeriach Plateau rauf, bei den Wells of Dee zelten, noch zum Braeriach. Weiter über Sgor an Lochain Uaine, Cairn Toul und Devil's Point zur Corrour Bothy (Schlechtwetteralternative: durch das Coire Dhondail hoch und zur Not ohne Gipfel direkt auf der anderen Seite runter zur Corrour Bothy). Dann an der Derry Lodge vorbei, durch Clais Fhearnaig, am Quoich Water entlang ins obere Gleann an t'Slugain. Von da aus hoch zu The Sneck, kurz auf den Beinn A' Bhuird, weiter zum Ben Avon und dort auf dem Gipfelplateau zelten, auf der Nordseite runter zum Linn of Avon (Schlechtwetteralternative: am River Gairn entlang und durch Glen Builg zum Linn of Avon, evtl. von dort Tagestour zum Ben Avon). Durchs Glen Avon bis zu den Fords of Avon. Am letzten Wandertag dann zur Glenmore Campsite, dort wieder zivilisationstauglich machen und zurück nach Aviemore.
Sieben Munros, keine zu langen Tagesetappen, eine landschaftlich interessante Strecke - ich lehne mich zufrieden zurück und widme mich der Packliste...
5.9. Anreise
Am Vorabend habe ich den Rucksack gepackt. Gut 20kg beträgt das Gewicht inklusive der noch zu organisierenden Gaskartusche und einem Liter Wasser, wenn die Flasche voll ist. Für mich kein schlechter Wert, wenn ich Essen für 8 Tage dabei habe (7 Tage geplant plus einen als Reserve).
Immer wieder ein Wunder, was alles in einen Rucksack passt
Der Flug nach Edinburgh verläuft problemlos. Das Wetter ist besser als erwartet, und nachdem ich eine Gaskartusche und eine neue Landranger Map Nr. 36 erstanden habe (die alte war durch zerquetschte Midge-Leichen an manchen Stellen unleserlich geworden), sitze ich am St. Andrew Square in der Sonne, während ich auf meinen Bus nach Aviemore warte. Die Busfahrt führt durch Birnam, und mir fällt ein:
Macbeth shall never vanquish'd be until
Great Birnam wood to high Dunsinane hill
Shall come against him.
(William Shakespeare: Macbeth, 4. Akt, 1.Szene)
Selbstverständlich fällt mir bei Birnams Wald auch Stanislaw Lem ein, dessen 60. Jahrestag seiner ersten Veröffentlichung kürzlich mit einem Google Doodle geehrt wurde. Aber ich hoffe natürlich, daß meine Tour nicht zum Fiasko wird.
Da ich weite Teile der Busfahrt verschlafe, bin ich gefühlt fix in Aviemore und checke für eine letzte zivilisierte Nacht ins Macdonald-Hotel ein - ein hässlicher Kasten, aber für eine Cairngorms-Tour ungeheuer praktisch gelegen.
Nach einem Abendessen im Roo's Leap und einem Bier im Cairngorm Hotel setze ich mich noch mit einem Whisky in die Hotelbar. Ich habe nämlich noch ein Problem zu überdenken: die Wettervorhersage . Bis mindestens übermorgen ist Sturm angesagt, wenn auch nur mit starken Schauern statt Dauerregen. Aber bei 70mph Windböen auf dem Braeriach-Plateau zelten? No friggin' way! Bei der Vorhersage traue ich mich noch nicht einmal, da einfach nur drüber zu laufen, da zum starken Wind auch noch null Sicht in den Wolken herrschen wird. Aber um die Tour fortsetzen zu können, muss ich irgendwie Richtung Corrour Bothy kommen. Vielleicht kann ich dann von dort auch eine Tagestour auf das Braeriach Ridge machen. Der einzige nicht zu exponierte Weg dahin führt über den Lairig Ghru. Diese Strecke möchte ich aber nicht wieder an einem Tag laufen, weil ich befürchte mir wieder wie im letzten Jahr das Knie zu überlasten. Nochmal in Coylumbridge zu übernachten, bevor ich den Lairig Ghru in Angriff nehme, verringert den Weg nur um 6km und bedeutet für morgen eine nur sehr kurze Etappe. Da fällt mir der Reisebericht von Rainer Duesmann und Stompy ein - mit ihrer Übernachtungsstelle unterhalb des Creag an Leth-choin. Das wäre weit genug, aber noch tief genug gelegen, um den schlimmsten Gipfelböen zu entgehen. So wird's gemacht, denke ich, und trinke den Rest meines Whiskys auf Rainer und Stompy. Danke fürs Location-Scouting, Jungs!
6.9. Aviemore - Eingang Lairig Ghru
Da meine Strecke für heute recht kurz ist, lasse ich mir Zeit beim Frühstück und ziehe erst gegen 10:30 Uhr los. Auch beim Laufen lasse ich es langsam angehen. Trotzdem bin ich schon bald in Coylumbridge, wo der Weg endlich von der Straße abbiegt. Bis jetzt ist der Wind noch nicht so stark und hin und wieder kommt sogar die Sonne hervor.
Sonnige Abschnitte im Rothiemurchus Forest
Bald aber gibt es immer wieder kurze Nieselschauer, so daß ich das Windstopper-Fleece gegen die Regenjacke tausche - ich will nicht schon am ersten Tag meine Klamotten durchnässen und sie dann nicht wieder trocken bekommen. An der Cairngorm Club Footbridge mache ich eine kurze Pause.
Als ich aus dem Wald herauskomme, habe ich einen ersten Blick Richtung Lairig Ghru. Wohlgemerkt, nur in die Richtung, denn von dort heranziehender Regen lässt keine weite Sicht zu. Schnell ziehe ich auch noch die Regenhose über, und schon öffnet der Himmel seine Schleusen.
Cairngorm Club Footbridge
Heranziehender Regen
Später führt der Weg hochgelegen an den Hügeln neben dem Allt Druidh entlang, und hier legt der Wind dann auch ordentlich zu. Bei diesem Wetter möchte ich nicht oben auf den Bergen sein. Ich bin zufrieden mit meiner Entscheidung, statt am Loch Eanaich vorbei über das Braeriach Plateau hier über den Lairig Ghru zu laufen.
Immer wieder komme ich an Stellen vorbei, die ich vom letzten Jahr wiedererkenne, z.B. den Bach, an dem ich Wasser aufgefüllt habe und zum ersten Mal von Midges überfallen wurde. Es muss letztes Jahr ganz schön warm gewesen sein, denke ich, wenn ich hier schon kein Wasser mehr hatte. Jetzt ist meine Flasche noch halb voll. Da ich heute sehr geruhsam unterwegs bin, liege ich meiner Zeit von damals schon mehr als zwei Stunden hinterher. Kurz vor meinem Tagesziel begegnen mir 4 Wanderer, die mich verwundert fragen, ob ich heute noch über den Pass will. Ich kann sie beruhigen, und hinter der nächsten Kurve sehe ich schon meine geplante Übernachtungsstelle. Die kleine Wiese ist durch die dahinterliegende Felsstufe so markant, daß ich sie sofort nach Rainers Foto wiedererkenne. Schnell noch den Bach gequert, und schon steht das Zelt. Glücklicherweise nieselt es jetzt nur noch leicht, und so koche ich im Windschatten der Felsstufe mein Abendessen. Da es immer noch windet und der Nieselregen nicht aufhören will, verschwinde ich recht früh im Zelt. Ausschlafen ist auch nicht schlecht, schließlich habe ich Urlaub!
Zeltstelle am Allt Druidh
7.9. Eingang Lairig Ghru - Corrour Bothy
Da ich gestern früh im Schlafsack steckte, bin ich heute schon um 6:30 Uhr wach. In der Nacht gab es ein paar heftige Böen und Schauer, aber im großen Ganzen war die Nacht ruhig und gemütlich. Heute Morgen ist es sogar trocken, und so gibt es das Frühstück im Freien. Nachdem die Sachen gepackt sind, mache ich mich langsam auf den Weg. Über mir hängen dunkle Wolken, aber hinter mir über Aviemore scheint die Sonne. Ich bin so naiv zu hoffen, daß das in meine Richtung zieht...
Sonnenschein über Aviemore
Stattdessen werde ich immer wieder von Schauern beglückt. Der Wind nimmt mit der Höhe stark zu und kühlt dabei so kräftig, daß ich auch in den trockenen Abschnitten die Regenhosen anlasse, um nicht auszukühlen. Die Passhöhe liegt in den Wolken, während hinter mir über Aviemore immer noch schönes Wetter zu herrschen schein. Ein bißchen fühle ich mich veralbert.
Wolken über dem Pass
Als es über die Boulderfields kurz vor der Passhöhe geht, laufe ich extrem vorsichtig. Wenn mich hier der jetzt heftige Wind umwirft, ich mit dem Fuß zwischen die Felsen rutsche und dann umfalle, entsteht am Unterschenkel ein schöner Hebel. In meinen geistigen Ohren hängt das eingebildete Geräusch splitternder Knochen fest. Ich führe Selbstgespräche, in denen ich mich energisch selber dazu auffordere, diese düsteren Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen und mich stattdessen auf meine Schritte zu konzentrieren. Wieder bin ich froh, bei diesem Wetter nicht auf dem Braeriach Plateau herumzuturnen.
Schließlich bin ich oben am Pass. Die Wolken über meinem Kopf entlassen gefühlte Tonnen von Wasser, die der Wind waagerecht um mich herum treibt, aber vor mir scheint es wieder etwas heller zu werden. Dann also weiter, es kann nur besser werden. Der Weg auf der südlichen Seite des Lairig Ghru ist weitaus unspektakulärer, dafür aber manchmal recht feucht.
Wasser auf dem Weg
Schnell kommt jetzt auch die Corrour Bothy in Sicht und bald bin ich dort. Noch ist niemand hier, aber da es eine der beliebtesten Bothys in ganz Schottland ist, rechne ich mit weiteren Besuchern. Weil ich keine Lust habe, in einer überfüllten Bothy zu schlafen und der Regen gerade eine Pause macht, schlage ich mein Zelt neben der Bothy auf.
Zelten bei der Corrour Bothy
Kurze Zeit später kommen vier Leute auf die Bothy zugelaufen - zwei davon mit Riesenschritten im Eilzugtempo. Es sind zwei Belgier, die heute schon von Kingussie nach Aviemore gewandert sind, dort eingekauft haben und dann weiter bis hierher gelaufen sind. Sie erzählen mir, daß sie vorher schon den West Highland Way in 4 1/2 Tagen absolviert hätten. Der ältere der beiden ist 69 Jahre alt . Ich weiß nicht, ob ich die beiden bewundern soll oder doch eher den Kopf schütteln ob des Tempos, bei dem sie von der Gegend doch überhaupt nichts mitbekommen können...
Während wir uns unterhalten, geht es Schlag auf Schlag, und kurze Zeit später ist nicht nur die Bothy mit 4 Personen besetzt, sondern drum herum stehen noch sage und schreibe 8 Zelte! Als ich in der Bothy mein Abendessen koche, erfahre ich von einem Hillwalker einen möglichen Grund für diesen Ansturm: morgen ist laut Wetterbericht der einzige brauchbare Bergtag für absehbare Zeit. Es soll trocken mit sonnigen Abschnitten sein, allerdings ist für die Gipfel Wind von 30-40mph angesagt, in Böen bis zu 60mph. Ich beschließe, morgen früh nach Augenschein zu beurteilen, ob ich eine Tagestour auf die Munros mache oder weiterziehe. Später unterhalte ich mich draußen noch mit zwei Studenten aus Edinburgh, aber bei Regen und Wind wird uns bald kalt und wir verschwinden in den Zelten. Um 21:45 liege ich im Schlafsack. Für meine Gewohnheiten ist das später Nachmittag - das wird ein erholsamer Urlaub.
8.9. Devil's Point - Cairn Toul - Sgor an Lochain Uaine
In der Nacht lässt der Regen nach, allerdings schütteln heftige Böen das Zelt immer wieder gehörig durch. Der Wind ist deutlich stärker als letzte Nacht, lässt jedoch gegen Morgen wieder nach. Ich frühstücke in der Bothy und beschließe, das Zelt heute hier stehenzulassen und eine Tagestour auf ein paar umliegende Munros zu machen. Noch hängen die meisten Gipfel in den Wolken, nur der Devil's Point ist schon frei, es soll jedoch im Laufe des Tages immer besser werden. Also packe ich schnell meinen Tagesrucksack und ziehe los. Beim Blick zurück zur Bothy stehen die meisten Zelte noch da, aber es wird überall kräftig gepackt.
Rush Hour an der Corrour Bothy
Schnell stehe ich auf dem Sattel zwischen dem Devil's Point und einem namenlosen Top, der noch in den Wolken hängt. Auch auf den Devil's Point komme ich schnell und genieße die Aussicht. Nur noch wenige Wolken sind zu sehen, und von hier oben kann ich erkennen, daß mittlerweile nur noch mein Zelt bei der Bothy steht.
Lairig Ghru, Ben Macdui und Corrour Bothy vom Devil's Point
Dann geht es wieder runter und auf den namenlosen Top. Der Weg dort hinauf ist schon etwas länger und streckenweise pfadlos, aber mit meinem Vorrücken verziehen sich die Wolken und am Gipfelcairn angekommen kann ich mein nächstes Ziel ausmachen: Cairn Toul. Kurz laufe ich flach wieder bergab, bevor ich steil über große Felsbrocken Richtung Gipfel klettere.
Namenloser Top, Devil's Point dahinter versteckt und Carn a' Mhaim (links)
Einen Weg gibt es hier nicht, es geht über ekelhaft grobe Felsbrocken steil bergauf, und wieder habe ich dieses eingebildete Geräusch splitternder Knochen im Kopf. Am Gipfel wollte ich eigentlich eine Pause machen, aber der Wind pfeift mir dermaßen kalt um die Ohren, daß ich vorerst auf eine Pause verzichte und mich auf den weiteren Weg zum Sgor an Lochain Uaine mache. Wie viele seiner Namensvettern macht auch dieser Lochain seinem Namen "Uaine" (grün) so gar keine Ehre.
Lochan Uaine mit gleichnamigem Sgor
Nachdem ich von der Gipfelpyramide des Cairn Toul wieder herunter bin, gibt es auch wieder einen Pfad, der relativ angenehm zu gehen ist, und so stehe ich bald auf dem dritten Munro für heute. Dort mache ich im Windschatten einiger aufgeschichteter Steine meine wohlverdiente Pause und genieße die Aussicht. Bis zum Braeriach sind es von hier noch immer geschätzte 4.5km, hin und zurück also 9km, so daß ich beschließe, mir diesen Weg zu sparen. Schließlich bin ich kein Munrobagger, der eine Liste abarbeiten muß, sondern nur Urlauber. Auf dem Rückweg kürze ich den Weg über den Cairn Toul ab und gehe stattdessen weglos an seiner sanft abfallenden Westflanke entlang.
Sgor an Lochain Uaine auf dem Rückweg
Am späten Nachmittag bin ich zurück bei meinem Zelt. Die Bothy ist völlig verwaist und ich bin der einzige Mensch hier. Da die Sonne scheint und der Wind nur noch ganz schwach weht, ist es recht warm. Eine gute Gelegenheit, mich der Körperhygiene zu widmen. Während ich mich so vor mich hin rasiere, schläft der Wind fast ganz ein und sofort melden sich die gefährlichsten Raubtiere Schottlands - Midges. Also beeile ich mich und verziehe mich zum Kochen in die Bothy, wo ich auch später noch sitze und den Tagesbericht verfasse. Trotz des guten Wetters kommt niemand mehr vorbei. In der Dämmerung kann ich entfernt am gegenüberliegenden Flussufer zwei Leute beobachten, die dort ihr Zelt aufbauen. Warum kommen die nicht her? Hier ist heute Platz genug. Naja, mir soll's recht sein und so mache ich mir einen gemütlichen Abend in der Bothy. Ich überlege kurz, schnell das Zelt abzubauen und in der Bothy zu übernachten, verwerfe aber den Gedanken wieder.
Am Abend gibt es noch eine Spätvorstellung: Gegen 22:15 kommt ein SAR-Hubschrauber, kreist über den Munros, beleuchtet alles mit seinen Suchscheinwerfern und scheint dann sowohl vom Devil's Point als auch vom Ridge von Carn a' Mhaim nach Ben Macdui Leute vom Berg zu holen. Ich hoffe, daß sich da nur jemand bei dem schönen Wetter völlig überschätzt und es nicht mehr im Hellen runter geschafft hat und es keine Verletzten gegeben hat. Jedenfalls wird mir am nächsten Morgen klar, warum man die nicht biwakieren lassen konnte und noch abends vom Berg holen musste...
9.9. Corrour Bothy - Allt an t'Slugain
Morgens sieht die Welt komplett verändert aus. Es regnet, die Wolken hängen tief und der Wind ist wieder da. Wer gestern nicht in der Dunkelheit vom Berg gefunden hat, würde es heute Morgen nicht einfacher haben - und an einen Hubschrauber-Einsatz wäre bei den Verhältnissen nicht mehr zu denken. Ich ärgere mich ein bißchen, daß ich nicht schon gestern Abend das Zelt abgebaut und in der Bothy übernachtet habe. Aber nach dem Frühstück in der Bothy lässt der Regen für kurze Zeit nach, es nieselt nur noch schwach und ich nutze die Gelegenheit, das Zelt abzubauen. In der Bothy verpacke ich meine Sachen im Rucksack, werfe mich in die Regenklamotten und ziehe los.
Abschied von der Corrour Bothy
Am Luibeg Burn versuche ich bei dem Wetter erst gar nicht, den Bach an der Furt zu überqueren, sondern laufe gleich den kleinen Umweg zur Brücke. Der "Weg" am Wildschutzzaun entlang hat durch den Regen noch mehr Bog als im letzten Jahr, und so balanciere ich mit weiten Schritten von Stein zu Stein und gelange schließlich zur Brücke, ohne größeren Schlamm-Schaden zu erleiden. Neben der Brücke hat ein Baum schon zur Hälfte auf Herbst umgestellt, seine Blätter sind links noch grün und rechts bereits orange-rot.
Am Zaun entlang durch den Bog
Luibeg Bridge
Hinter dem Luibeg Burn wird der Weg breiter und einfacher zu gehen, schließlich mutiert er zum Landrover-Track. Kurz vor der Derry Lodge sind nochmal ein paar hundert Meter gut bewässerte ebene Sumpf- und Wiesenlandschaft zu durchqueren. An der Brücke über den Derry Burn mache ich eine Pause. Unter Bäumen, die ein bißchen vor dem schlimmsten Regen schützen, liegt ein Baumstamm als Sitzgelegenheit. Zwei junge Frauen sitzen bereits dort und ich geselle mich dazu. Und, man glaubt es kaum, trotz Regen und Wind bin ich sofort von Midges umschwirrt. Dieser Fleck hier muß wirklich der am schlimmsten Midge-verseuchte Platz von ganz Schottland sein! Die beiden Mädels bieten mir ein Rasierschaum-artiges Mittel an, daß aber trotz 75% DEET-Gehalt kaum hilft. So unterhalten wir uns, die Kapuzen gegen Regen und Midges tief ins Gesicht gezogen, mit den Händen vor dem Gesicht fuchtelnd und immer wieder aufstehend um durch ein paar Schritte die Biester loszuwerden. Schließlich wird es mir zu bunt, ich schultere meinen Rucksack und laufe weiter. Auf dem Landrover-Track hinter der Lodge begegnen mir noch zwei Mountainbiker. Es ist Freitagmittag, kurz nach 14:00 Uhr. Check.
Etwas weiter erreiche ich die Stelle, wo der Pfad ins Clais Fhearnaig abzweigen soll. Aber: ich sehe keine Pfad. Ratlos laufe ich hin und her. Ausgerechnet diese Stelle liegt auf den zwei Quadratzentimetern Karte, die sich nicht mehr auf der Landranger Map Nr. 36 befinden, sondern auf der Nr. 43. Die ich wegen dieses kleinen Stückchens natürlich nicht eingepackt habe. So bleibt mir nur die Kartendarstellung auf dem GPS. Der Positionspfeil liegt genau auf dem Abzweig. Der Fehlerkreis ist so klein, daß er nur bei 30-Meter-Darstellung angezeigt wird. Dort ist der Bach, neben dem der Pfad eingezeichnet ist. Trotzdem kein Weg zu sehen. Sollte das Kartenmaterial veraltet sein und der Weg nicht mehr existieren? Ich spähe durch die regentrübe Luft in das Seitental. Da hinten, an diesem Hügel, sieht das nicht aus wie ein Pfad? Ich bin überzeugt, nein, ich weiß, daß ich hier richtig bin, und so beschließe ich, weglos zu gehen, um den Pfad in der Ferne zu erreichen. Nach etwa 50 Metern sehe ich eine leicht plattgetretene Spur im Gras, der ich folge.
Zum Clais Fhearnaig
Nach einiger Zeit wandelt sich die Spur zum schmalen Trampelpfad, der jetzt eindeutig auszumachen ist. Der Weg geht vorbei an einem kleinen, langgezogenen See, der mal zur Forellenzucht aufgestaut wurde. Jetzt ist er verkrautet und mit Schilf zugewachsen - da wird es keine großen Fischbestände mehr drin geben.
Verkrauteter Fischteich
Der Pfad ist recht schmal, immer wieder streiche ich an der Heide vorbei, die den Weg zu überwuchern versucht. Obwohl ich Gamaschen trage, habe ich das Gefühl, daß mein rechter Fuß feucht wird. Hm. Blöd. Als ich etwas später auf den Landrover-Track zum Quoich Water stoße, mache ich unter einer kleinen Baumgruppe eine kurze Pause, um den Schuh auszuziehen. Tatsächlich, die Socke ist nass. Einen Kilometer weiter soll es dann durch eine Furt über den Allt an Dubh-ghlinne gehen. Das Fluss führt an dieser Stelle wegen des Regens recht viel Wasser, bestimmt knietief, aber ein paar hundert Meter flussaufwärts finde ich eine Stelle, wo er zwar deutlich breiter, aber auch flacher ist. Auf halb überspülten Stepping Stones kann ich den Fluss dort überqueren. Dabei kommt endgültig Wasser in den rechten Schuh. Na super. Dafür hört der Regen auf, und etwas später kommt sogar die Sonne ein paarmal sekundenweise hervor. Am Quoich Water entlang gibt es laut Karte eigentlich keinen Weg, aber in Wirklichkeit führt ein Gewirr von Trampelpfaden kreuz und quer durch den lichten Wald. Und so laufe ich, mal den Pfaden in meine ungefähre Richtung folgend, mal weglos durch die Heide stapfend bis ich wieder auf einen Pfad stoße, durch das Wäldchen, bis ich auf der anderen Seite wieder auf einen Weg treffe.
Pfadgewirr am Quoich Water
Bald danach bin ich an der Stelle angelangt, die ich mir auf der Karte zur Übernachtung ausgesucht habe. Der Boden ist dort zwar flach, aber kniehoch mit Heide bewachsen. Und auch der Weg zum Wasser würde eine mittlere Expedition bedeuten. Da hat man wohl in der Karte ein paar Höhenlinien weggelassen, weil sie zu dicht beisammen liegen würden. Nun ist guter Rat teuer, sehr viel Tageslicht bleibt mir nicht mehr. Ich studiere die Karte. Ich könnte auf meinem Weg weiterlaufen und auf gut Glück hoffen, daß ich am oberen River Gairn schnell eine geeignete Zeltstelle finde. Da fällt mir ein, daß ich in einem Hillwalking-Forum mal gelesen habe, es gebe bei der Ruine am Allt an t-Slugain einen guten Zeltplatz. Das liegt zwar nicht in meiner Richtung, ist aber nur einen knappen Kilometer abseits, so daß ich mich dafür entscheide, es dort zu versuchen. Zunächst führt der Weg über eine wasserlose Ebene, dann aber an einem kleinen Wasserfall vorbei und direkt neben der Ruine ist genug Platz für mein Zelt.
Zelten an der Ruine am Allt an t'Slugain
Nach dem Zeltaufbau ziehe ich meine Schuhe aus und nehme die Sohlen zum Trocknen heraus. Jetzt ist auch der linke Schuh leicht feucht von innen, dabei hatte ich mich zu Hause kurz vor der Tour noch mit beiden Schuhen in einen Bach gestellt, um zu testen, ob sie noch dicht sind. Interessant, wie die Membranen in beiden Schuhen ungefähr zur gleichen Zeit versagen - ich hätte da doch mehr statistische Streuung erwartet. Honi soit qui mal y pense...
Auf Mauerresten mache ich es mir bequem, improvisiere mit ein paar flachen Steinen einen Windschutz für den Kocher und bereite eine weitere Portion Tütenfutter zu. Kaum habe ich gegessen, fängt es wieder an zu regnen, und so verziehe ich mich ins Zelt.
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