[CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

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    • 01.11.2011
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    • Meine Reisen

    #41
    AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

    Danke sehr, super! Ja, das war meine erste größere Alpentour, und dann gleich an allem vorbei, was am Hauptalpenkamm eine Hausnummer hat. Und die Sefinenfurgge werde ich nie vergessen ...

    Dienstag, 20.09.2011
    Die Sonne im Nacken: Kiental

    Das Erlebnis vom Vortag hinterließ Spuren, besonders körperlicher Art. Wir fühlten uns zerschlagen und müde, als wir in den Frühstücksraum traten und sprachlos vor den Köstlichkeiten standen, die uns erwarteten. Ich habe noch nie vorher solch ein reichaltiges, herrliches Frühstück genossen wie hier im Golderli, einfach fantastisch. Allein die Käsesorten, die Marmelade, das frische Brot ...


    Da machte das Packen keinen Spaß: Alles zum Trocknen ausgebreitet

    Ein perfekter Start in einen sehr schönen Tag, das war uns klar. Nach einem netten Abschied schulterten wir etwas später die Rucksäcke und wanderten die Straße hinab am Hotelkomplex Griesalp vorbei, die „mit 28 Prozent Steigung die steilste PostAuto-Linie Europas [hinab]. Nur kleine Postautos schaffen es, sich auf dem Weg durch die Pochtenschlucht um die Kurven zu winden“, wie auf www.postauto.ch zu lesen ist. Der Himmel war zwar noch leicht bedeckt, aber offensichtlich würde uns ab Mittag den ganzen Tag die Sonne scheinen, wenn sie denn erst mal in das Tal hinab reichte. Bis dahin würden noch einige Stunden vergehen, die recht kühl waren. Um uns herum tropften noch die Bäume, aber der Weg hinab lief sich gut, und als der Bewegungsapparat erst mal geschmiert war, genossen wir das entspannte Gehen in vollen Zügen.
    An der Pochtenalp vorbei ging’s am Dündefall entlang, der wahrlich beeindruckend ist. Das Wasser toste so laut, dass wir uns kaum verständigen konnten. Was mich besonders faszinierte, was der tiefer liegende und erst 1972 entstandene Tschingelsee, der mittlerweile weitgehend verlandet ist. Das Wasser „versickert“ förmlich darin, jedenfalls sah das so aus, als wir daran vorbeimarschierten: als ob der Kies- und Sandboden den Bach „schluckt“.


    Wahnsinnspanorama am Tschingelsee


    Ich bin mir nicht sicher: Ist das die Bütlasse?

    Anmerkung: Hier im Tal stehen überall Bildtafeln mit Hexen darauf, oft von Kindern gemalt. Ein eigenartiger Brauch, auch am Wasserfall stand eine aus Holz gefertigte Hexenfigur. Letzte Überreste einer heidnisch geprägten Kultur?

    Wir bummelten das Tal hinab, um am Nachmittag in Frutingen die Bahn nach Kandersteg zu nehmen. Das war unser Plan, denn wenn wir schon den Hohtürli-Pass mit der Blüemlisalp auslassen mussten, wollten wir wenigstens einen halben Ruhetag einlegen. Der Viehabtrieb hatte begonnen, so dass wir oberhalb des Ortes Kiental zuschauen konnten, wie die Älpler ihre Kühe einholten. Ein interessantes Schauspiel, inklusive Ausreißversuche diverser Rinder und Durcheinander auf der Sammelweide nebst lautstarker Viehverteilung.


    Viehabtrieb - Verladeplatz

    Mittags rasteten wir am lustig plätschernden Gornerwasser, kochten und relaxten in den warmen, herrlichen Strahlen der Sonne. Ein wunderschöner Tag, und da die Wolken aufgerissen waren, bestaunten wir das imposante, weißgepuderte Panorama um uns herum mit Schwarzhore, Bundstock, Dündehore und wie sie alle heißen ...


    Mitagessen!


    Lecker!

    In Kandersteg bezogen wir den Zeltplatz, der sich terrassenförmig mit einem sagenhaften Blick auf die Bunderspitz an die Flanke der Bire schmiegt. Es wurde empfindlich kalt abends, wir lagen immerhin auf 1.200 m, das spürten wir dann schon. Der Vorteil des Platzes war, dass er einen Aufenthaltsraum nebst „Küche“ besaß, in dem wir uns als einzige aufhielten, kochten und noch etwas lasen und unser Tell tranken. Morgen war die Bunderchrinde dran – darauf waren wir schon gespannt. Auch die Frage, ob der Schnee dann noch Schwierigkeiten machen würde, stand im Raum. Der Wetterbericht hatte aber gutes Wetter angesagt, deshalb waren wir voller Hoffnung.


    Unsere improvisierte Wäscheleinen


    Der Blick vom Zelt aus auf Bunderspitz und Chlyne Lohner ...


    ... mit Sonnenuntergang.


    Der Blick in die andere Richtung: Links Blüemlisalp, rechts das Doldenhorn


    Davor noch der Üssere Fisistock



    Anmerkung: Das Abendessen bestand aus – Erbswurst mit Cervela. Wir aßen schlürfend gemeinsam aus dem Topf und überlegten, wie fein es wäre, mal nur Cervela zu kochen. Erbswurst hin oder her – aber anstatt zwei Cervelas hinein zu schnippeln, wären vier doch auch mal eine leckere Variante, od’r?
    Das muss das Boot abkönnen!

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      • 01.11.2011
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      • Meine Reisen

      #42
      AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

      Mittwoch, 21.09.2011
      Ein makelloser Tag
      Aufwärts: 1.450 m
      Abwärts: 1.250 m


      So kalt wie heute Nacht war es die ganze Tour über noch nicht. Hannes lag die halbe Nacht wach, weil er so bitter fror und zog sich alles an, was er finden konnte. Ich lag dagegen in meinem Ajungilak Iglo und schnarchte in aller Ruhe. Erst als der Wecker klingelte und ich wie üblich als erster aufstand, merkte ich, wie arschlattenkalt es war. Hölle noch eins! Da merkte man die 1.200 m unseres Campingplatzes aber deutlich – doch zu unserem Glück war das auch die letzte kalte Nacht unserer Reise. Das Tiefdruckgebiet der letzten Tage hatte sich verzogen, der Himmel war weitgehend klar und die Sonne ging mit beeindruckender Flammkraft auf – die Berge glühten förmlich. Am Abend hatte Hannes noch den Sternenhimmel bewundert, der sich über der Bunderchrinde erstreckte, nun lag er zerknautscht und müde im Schlafsack.



      Genau gegenüber von unserem Zelt erhob sich die steile Talwand. Etwas links lag der vorgeschobene, hochgereckte Chlyne Loner und dahinter die Bunderspitz. Wir konnten in den Talkessel hineinsehen, der sich dort oben öffnete, doch entgegen unserer Vermutung war dort nicht die Bunderchrinde – die lag weiter hinten, versteckter, durch den Loner verdeckt.
      Hinter uns erhob sich die weiß gepuderte Spitze des Blüemilsalphorns. „Mit dem habe ich jetzt noch eine Rechnung offen!“ knurrte Hannes. „Da muss ich wohl noch mal wiederkommen!“
      Aber vorerst gingen wir fort, bummelten durchs Städtchen und liefen an der Bahn entlang gen Süden. Bald führte der Weg rechts an den Hang und am Internationalen Pfadfinderzentrum Kandersteg vorbei, wo viele junge Kerle und Mädchen herumliefen.
      Drei junge Männer überholten uns, alle hoch gewachsen, schlank und bestens ausgerüstet – die liefen wohl zu einer Hüttentour los, so wenig, wie die dabei hatten. Wir dagegen schnauften die Matte hinter dem Zentrum hinauf, tauchten in den kühlen, schattigen Wald ein und kletterten den steinigen und steilen Weg hinauf. Ein paar Straßenquerungen später wand sich der Weg über die Fahrstraße am Alpbach hinauf und vor der steilen, malerischen Kulisse der Gällihore ins Usser Üschene hinein.
      Die Sonne schien uns auf den Latz und ließ uns übermütig werden. Strahlend blauer Himmel, herrliche Berge, ein toller Tag – wir fingen an, mit den Kühen zu flirten und erzählten uns Unsinn von „weißem Marmor“, der da oben auf den Bergen rumliegt und über den wir sogar barfuß drüber könnten. Auch auf der Bunderspitz saß noch ein weißes Häubchen, das sahen wir – und die mächtigen Alpen um uns herum waren malerisch anzusehen in ihrer Pracht:


      Das Doldenhorn, die Fisistöcke, Balmhorn, Altels, Blüemilsalphorn, Hockenhorn – und wie sie alle heißen.

      Über uns zog sich nun die steile Wand des Loner das Tal entlang, auf etwa 2.000 m Höhe durch eine Terasse gegliedert. Da mussten wir rauf, auch sahen wir nun endlich den kleinen Einschnitt der Bunderchrinde. Es ist immer wieder erstaunlich, wie unspektakulär klein die Pässe teilweise sind, fast wie völlig unbedeutende Scharten. Und doch klettern hier seit Jahrtausenden die Menschen von hüben nach drüben.





      So auch wir. Zuerst rasteten wir im Gras, lagen in der Sonne, genossen die Wärme und trockneten die Unterlegplane fürs Zelt. Dabei gab’s die obligarotische Jause, dann mussten wir weiter. Im Zickzack wand sich der Pfad nun steil aufwärts, erreichte die Wand und zog sich die jähe Steigung neben einem kleinen Bach mit Wasserfall hinauf. Fast genau 220 hm mussten wir eine fast lotrechte Wand hinauf, die jedoch an dieser Stelle voller Scharten und Gesteinsstufen war. Dann erreichten wir die Kante und traten auf die Terasse Alpschele hinaus – vor ein unglaubliches Panorama! Atemberaubend! Vor uns lag der gesamte Kamm der Hörner, bis zur Jungfrau konnten wir sehen – bei strahlend blauem Himmel, warmer Luft, herrlicher Sonne und bester Laune. Was für ein Tag, was für ein Erlebnis!





      Wir posierten jubelnd vor diesem Bild, genossen den Ausblick staunend und atemlos, konnten uns gar nicht sattsehen an all den makellos weißen, schroffen Bergen, den Pyramiden aus Fels und Eis, die sich da vor uns aufbauten. Wahnsinn!
      Es war ein makelloser Tag. Die ruhige Kugel vom Vortag hatte uns gut getan, das Wetter war perfekt und wir waren topfit. Was sollte jetzt noch komen? Wir waren hier schon auf dem Höhepunkt der Tour, fraglos! Solch einen Blick würde und der Hahnemoospass sicherlich nicht gewähren! An der Alphütte rasteten wir, tankten Wasser und schossen noch ein paar Fotos. Weit hinter uns kamen noch zwei Gestalten herauf, die uns aber im Leben nicht einholen würden. Auch weiter oben, zwischen Bunderspitz und Chlyne Loner, tauchten Menschen auf und verschwanden wieder. Aber die Bunderchrinde – das sahen wir – war leer. Aber nicht mehr lange!
      Der Weg die letzten 300 hm hinauf war noch eimal anstrengend, denn nun ging es über ein ausgedehntes Geröllfeld. Der Schnee von den Vortagen lag hier noch in der Rinne des Weges, so dass es fast unmöglich war, ihn vernünftig zu laufen. Trat man hinein, strengte es an, ging man am Rand entlang, geriet das Geröll in Bewegung. Wir fluchten und schimpften, schafften es aber wohlbehalten und gut, endlich die Passhöhe zu erreichen. Und von dort hatten wir erneut ein perfektes Panorama!



      Die Mittagspause wurde ausgedehnt. Ein Blick auf die Karte zeigte uns, dass der Abstieg zwar lang, aber ohne großes Gefälle und damit recht einfach war. Also blieben wir sitzen, entspannten, tankten Höhensonne und genossen diesen einmaligen Tag in vollen Zügen. Was an der großen Scheidegg der Eiger gewesen, das war nun diese weiße Kette von Riesen, die zwar nicht so groß, dafür aber eindrucksvoller aufgereiht vor uns lagen. Das eigenartig geschichtete, bröselige Gestein verlieh der Scharte zudem ein ganz ungewöhnliches Aussehen, schuf eine merkwürdige, aber schöne Atmosphäre.
      Kurz bevor wir aufbrachen, kamen die beiden Gestalten herauf – es waren zwei Frauen um die Ende Vierzig, die gemeinsam einige Touren gingen und die wir schon im Golderli getroffen hatten. Sie erkannten uns an meinem Hut, der sehr charakteristisch ist und für Amüsement sorgte.
      Dann liefen wir hinab ins andere Tal, das wenig von dem zu bieten hatte, was wir gerade im Kandertal genossen hatten. Die gegenüberliegenden Gsür und Albristhore waren nur 2.700 m hoch – immer noch Hausnummern, keine Frage, aber im direkten Vergleich wirkte es etwas ernüchternd. Wir verließen die hochalpinen Regionen, die großen Pässe waren mit diesem hier vorbei. Daher kam Hannes auf die Idee, am nächsten Tag anstelle des normalen Passweges über den „mickrige“ 1.950 m hohen Hahnenmoos eine kombinierte Albristhore-Hahnenmoos Tour zu machen: Zuerst eine Überschreitung, dann über die Passhöhe hinunter nach Lenk. Ich sah auf die Karte und wusste gleich: Never ever. Das klappt nicht, das ist viel zu weit.
      Hannes hing dem aber noch einige Zeit nach, also einigten wir uns darauf, das ganze am Abend noch mal durchzusprechen. Bis dahin könnten wir auch die Relationen des Albristhore besser einschätzen, das nun eher auf Augenhöhe vor uns lag und nicht besonders groß wirkte.



      Der Abstieg verlief schnell und unkompliziert. Wir wussten zwar nicht, wo in Adelbode der Campingplatz war, aber ich hatte im Vorfeld zwei Stellen auf der Karte markiert, die wir nun ansteuerten. Siehe – die erste passte gleich. Der Platz protzte zwar mit allen möglichen Auszeichnungen, aber das war auch schon wieder etwas her, wie wir feststellten. Doch uns reichte es dicke. Nur sputen mussten wir uns, da um 19 Uhr der Coop oben im Dorf dicht machte und es bereits halb sieben war. Mit müden Knochen in Latschen knapp 100 hm hoch zu rennen, ist schon heftig ... aber wir schafften es.
      Und so endete auch dieser perfekte Tag mit einer perfekten Erbswurst mit Cervelas und Wilhelm Tell. Was will man mehr? Doch höchstens noch ein Tell, oder?


      Donnerstag, 22.09.2011
      Höher!
      Aufwärts: 740 m
      Abwärts: 1.000 m


      Der Herbst holte uns in den Nächten langsam ein, obwohl das Wetter tagsüber herrlich spätsommerlich mit sicherlich um die 20° war. Der Nachteil bei solch kühlen Nächten ist das viele Kondenswasser, das wir morgens von der Zeltinnenwand abwischen mussten. So ganz trocken bekamen wir das Außenzelt nie, so dass es oft den ganzen Tag im Beutel vor sich hin gammelte. Daher müffelte es auch so heftig, was aber auch daran lag, dass es erst wenige Wochen zuvor von heftigem Schimmelbefall gereinigt worden war – ein Wasserschaden hatte ihm arg zugesetzt. Trotzdem leistete unser „Pilz Gloria“ treue und wunderbare Dienste, ließ sich schnell und komfortabel auf- und abbauen und hielt uns weitestgehend trocken.
      Adelboden war übrigens nicht unsere Kragenweite. Der Ort lag zu hoch am Steilhang, der Campingplatz ganz unten an der Hauptstraße am Bach, weshalb es zusätzlich feucht war. Wenigstens funktionierten die warmen Duschen und sonst alles, doch wir waren nicht traurig, den Platz wieder zu verlassen. Eine alte Ansichtskarte aus den 1960er Jahren nahm ich noch mit, da war der Platz schon drauf und sollte unsere Mutter an ihre Jugend im Zelt in der Schweiz erinnern.
      Der heutige Pass lag nicht besonders hoch, dafür war er einige Kilometer weit zu laufen. Zuerst führte uns der Weg am Allebach entlang durch waldiges Gebiet, begleitet von der absurd langen und flachen Seilbahn linker Hand. Dass es Seilbahnen auf Steilstufen oder hohe Gipfel gibt – geschenkt. Aber auf drei Kilometer Strecke eine Steigung von knapp 220 m auszugleichen, ist bekloppt. Da kann man doch besser Bus fahren oder eine Eisenbahn bauen! In Gilbach waren wir gezwungen, einen Umweg zu gehen, weil der Wanderweg aufgrund von Waldarbeiten gesperrt war. So erlebten wir erstmals auf der Straße diese merkwürdigen Roller mit breiten Reifen, genannt „Trottis“, die hier den Touristen angeboten wurden, um vom Pass abzufahren. Die sausten wie irre an uns vorbei – und überall standen Schilder, die entweder vor den Dingern warnten oder ihnen zeigten, wo sie nicht langfahren durften.


      Kleine Pause für 'ne Jause an der Bahnstation

      Die Seilbahn hatte es uns bereits gezeigt: Adelboden war Rentner- und Touristenmagnet, warum auch immer. Wahrscheinlich war hier der Anstieg so flach, der nächste Pass so leicht erreichbar und Gott weiß was sonst noch alles, so dass sich hier ein florierender Fremdenverkehr entwickelte. Jedenfalls war vor Geilsbüel sogar der Wanderweg geteert! Wir fühlten uns kurz wie im Münsterland auf einem Waldradweg für Radwandergruppen.
      „Das geht hier alles vor die Hunde!“ schimpfte ich in Hannes’ Kamera. „Das ist ja schon wie Deutschland hier. Warum fahren wir überhaupt noch hierher?“
      In Geilsbüel machte wir Rast und vesperten kräftig. So zügig und einfach waren wir seit der Großen Scheidegg nicht mehr vorangekommen! Während wir vor der Seilbahnstation saßen und aßen, sauste eine Schulklasse bestimmt drei Mal an uns vorbei, stoppte und fuhr mit Trottis erneut hoch zum Pass, um sofort wieder herabzufahren.
      „Nur Holländer machen so was!“ erklärte ich gespielt ernsthaft, obwohl im Hintergrund laut und deutlich ein Schweizer Idiom zu hören war. Ist doch wahr!
      Jetzt war die Frage: Ehrlicher Aufstieg oder Pussy-Urlaub? Wir wählten ersteres, uns war das hier alles viel zu einfach. Also links rum, südlich zum Grat hoch, über Wiesen, schmale Pfade und ein paar doch noch recht steile Ecken, höher bitte, höher! So stiegen wir auf fast 2.000 m und standen schließlich knapp 50 m über der Passhöhe auf einem Felsvorsprung, von dem man eine grandiose Aussicht auf das Tal bis weit hinter Adelboden hat – selbst die Bunderchrinde konnten wir fast sehen, wenn sie nicht vom Nünihore verdeckt worden wäre. Fantastisch!





      Vom Grat oberhalb der Passhöhe ließen einige Schweizer ihre Modellsegler fliegen, die majestätisch um die Höhen kreisten. Langsam stiegen wir den breiten Pfad ab und näherten uns dem Pass. Hier wurden bereits die Schneezäune aufgestellt, alles winterfertig gemacht. Ja, wir waren spät im Jahr, aber in der richtigen Zeit, denn es war insgesamt wenig los und wir hatten häufig die Berge für uns. Diesen Pass allerdings nicht, denn der war schlicht zu einfach zu erreichen. Haufenweise Touristen sonnten sich bei Bier und Brotzeit, da schossen wir bloß ein paar Fotos und verzogen uns auf eine Wiese etwas abseits, wo das Zelt ausgebreitet und Siesta gemacht wurde.





      In der Mittagssonne trocknete unser „Pilz Gloria“ recht schnell, auch die Füße bedankten sich für die Pause und wir dösten vor uns hin. Gegen ein Uhr liefen wir dann weiter – heute waren wir tatsächlich früh und schnell unterwegs.
      Der Abstieg nach Lenk war traumhaft schön und unkompliziert. Eine breite Straße führte bis auf 1.658 m fast geradeaus nach Büelberg, dann in ein völlig verammeltes und verlassenes Feriendorf voller Chalets (Loosegg), wo der Weg endlich einmal auf einen Wanderpfad abknickte. Als ich auf einer Weide mit Jungkühen und Jungbullen kurz pinkeln ging, wurde Hannes angegriffen – einer der Jungbullen hielt ihn wohl für unerwünscht und begann, ihn zu verfolgen und mit dem Kopf zu stoßen. Hannes bekam fast Panik, weil er doch einigen Respekt vor Kühen hat, aber als ich dazukam, konnten wir das Vieh gemeinsam zurückhalten. Schnell weg hier! Wer weiß, weshalb das Tier ausgerechnet was von Hannes wollte?!


      Böse Kühe!

      Lenk gefiel uns auf Anhieb. Es war ein kleiner, schmucker Ort mit allem, was das Herz begehrt. Und wir waren so früh, dass Zeit genug für alles mögliche war. Der Campingplatz „Seegarten“ lag südlich etwa einen halben Kilometer vom Einkausfzentrum mit Coop entfernt, wunderschön inmitten von Wiesen und mit einem fantastischen Fernblick auf die Kette des Hauptkamms, die das Tal nach Süden hin quer abschnitt. Ein Traum! Der Verwalter war noch in der Mittagspause und bat uns, gegen fünf noch mal ins Büro zu kommen, solange chillten wir in der Sonne, ich ging einkaufen und dann gönnten wir uns ein schönes Abendessen im neu renovierten Aufenthaltsraum, der einfach super war. So mussten wir nicht vor dem Zelt im Kalten hocken, sondern konnten uns ausgiebig dort oben ausbreiten und etwas länger aufbleiben.


      Der Ausblick vom Zelt mit (links) dem Wildstrubelmassiv und (rechts) Gletscherhorn und Laufbodenhorn, in der Mitte das Plateau des Glacier de la Plaine Morte
      Das muss das Boot abkönnen!

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        • Meine Reisen

        #43
        AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

        Freitag, 23.09.2011
        Du getötet meine Bruder in ’staaaad!
        Aufwärts: ca. 1.300 m
        Abwärts: 1.150 m


        Die Wolken hingen tief über dem Tal, als wir uns morgens fröstelnd in den Aufenthaltsraum schlichen, um dort im halbwegs Warmen das Frühstück zu essen. Was für ein Luxus! Tische, Spüle, Kocher – alles da! Wir brauchten unsere Kocher gar nicht erst anwerfen, sondern konnten alles nutzen. Herrlich!
        Durch den frischen Morgen stapften wir dann zurück in den Ort, wo ich in den Coop ging, um Wurst, Brei und Äpfel zu holen. Was wir noch hatten, würde nie im Leben für zwei, drei Tage reichen, und da das Wochenende vor der Tür stand, war es angebracht, lieber etwas mehr mit zu schleppen als Sonntags irgendwo hungernd herumzusitzen. Ohnehin waren wir etwas unschlüssig: Der Route nach lag heute Lauenen auf dem Weg, doch das war ein Katzensprung. Morgen am Samstag käme die Chrinde und dann Gsteig. Auf Gsteig folgte ein längerer Sonntag nach Col des Mosses und dann würden wir Montag nach Montreux kommen, um Dienstag wieder nach Hause zu fahren – denn dafür galten unsere Tickets. Mit dieser Variante waren wir unzufrieden, und so überlegte Hannes, ob wir nicht einen Tag abkürzen könnten – aber wie? Zudem waren wir uns nicht sicher, ob es in Gsteig tatsächlich einen Campingplatz gebe, d.h wir konnten Lauenen streng genommen nicht überspringen und nach Gsteig ins Blaue hinein weiterlaufen. Andererseits war es auch nicht drin, von Lauenen aus in einem langen Gewaltmarsch Gsteig zu überspringen und direkt nach Col des Mosses weiter zu laufen – das war definitiv zu weit!
        Während ich einkaufte, wälzte Hannes die Schwierigkeiten und wartete draußen bei den Rucksäcken. Eine Schweizerin sprach ihn an: Woher und wohin er käme? Ein nettes Gespräch entspann sich, sie war ebenfalls eine leidenschaftliche Wandererin und wünschte uns beiden alles Gute und einen gelungenen Abschluß!


        Die Sonne kommt raus!

        Etwas beflügelt von diesem schönen Erlebnis liefen wir den Ort nach Norden hinaus und genossen die fast völlige Abwesenheit des internationalen Tourismus. Der Platzwart hatte uns gesagt, dass Lenk eher ein Ziel für die Schweizer sei, als für Ausländer, daher wirkte hier noch alles ganz anders als z.B. in Adelboden oder Kandersteg, ganz zu Schweigen von Grindelwald! In Agerte schraubte sich unser Weg in die Höhe und wir erreichten schnell die Schlucht des Wallbachs, dem wir nun folgten. Malerische Chalets lagen hier, weiter oben dann Almen, die von einzelnen Älplern bewirtschaftet wurden. Als wir kurz vor Sitegrab eine Weide überquerten, hörten wir hinter uns plötzlich mächtiges Glockengeläut und Stampfen – da kamen uns glatt die gesamten Kühe hinterher gejoggt! Es war ein beängstigender Anblick, wie rund fünfzehn dieser großen Tiere erschreckend flink und schnell auf einem Haufen die bewaldete Wiese herab auf uns zugerannt kamen ...
        Ich fragte Hannes: „Wie weit ist das Tor noch weg?“
        „Gleich hier hinter dir, vier, fünf Meter oder so.“
        „Alles klar! ... JAAA, KOMMT DOCH! Na? Traut Euch!!!“ schrie ich den Viechern entgegen und Hannes posierte als Gandalf: „Du kannst nicht – vorbei! Flamme von Udûn!“ Dann sprangen wir schnell in Sicherheit – wobei die dünne Plastikrute, die als Torersatz hin und her schwang, nicht gerade vertrauenserweckend war. In dem Moment kam aber von unten her zum Glück der Älpler mit seinem Jeep und hielt, so dass sich die Kühe auf ihn konzentrierten. Puh!


        "Du kannst nicht .... vorbei!"

        Die letzten Kilometer bis zum Pass führten uns über nasses, quatschiges Gras, das getränkt mit schillerndem Zeug war – vermutlich Kuhmist. Hannes fand die Tiere ohnehin ekelig: „Die kacken auf ihr eigenes Essen und fressen das dann!“ schüttelte er sich. „Das ist doch ekelig, oder?“
        Am Obere Lochberg, den letzten Häusern vorm Pass, der hinter einer Schulter lag, mähte ein Älpler weiter oben Gras im Wald, während wir uns an einem Brunnen erfrischten. Da stellte er den Kantenschneider aus und setzte sich vor seine Hütte, um ebenfalls zu pausieren. Wir grüßten aus der Entfernung, er hob die Hand und dann zogen wir unseres Weges, durch sumpfiges Gebiet, das von Seggegewächsen dominiert wurde und so ganz anders war als die bisherigen Matten, die wir emporgewandert waren.



        Unsere ungünstige Lage wurde um so deutlicher, als wir bereits viertel vor elf am Trütlisbergpass ankamen – wir konnten Gsteig schaffen, aber was erwartete uns dort? Außerdem hatten wir beide wenig Lust darauf, die mickrigen Pässe dort zu laufen. Also setzten wir uns ins Gras etwas oberhalb der Passhöhe und genossen die wunderschöne Landschaft.



        Plötzlich stieß ich Hannes an. „Da, der Berg mit der Doppelspitze – Junge, rat mal, wer das ist!“
        Hannes zögerte.
        „Mann, das ist die Gummfluh!“ rief ich. „Wir sind direkt vor der Gummfluh!“



        Irre! Mein allererster Alpenurlaub war 1978 in die Schweiz gegangen – ins Chalberhöni-Tal am Fuß der Gummfluh. Unser Vater hatte sie damals gemalt und das Bild hing seit dem im Wohnzimmer. Wir alle kannten diesen Berg, er gehörte quasi zur Familienfolklore – und nun saßen wir starr vor Staunen freudig auf dem Trütlisberg und starrten ihn an! Ob wir da nicht doch entlang könnten? Fragte wir uns sofort. Scheiß drauf, das muss doch gehen! Wo liegt denn Col des Mosses? Ungefähr da. Wenn wir die geplante südliche Route gehen, müssen wir in einem großen Bogen wieder nördlich; gehen wir aber jetzt nörlich über Gstaad und die Gunnfluh, müsste Col des Mosses sogar fast auf unserer Route liegen ...
        Die Karten, die Hannes vorbereitet hatte, gaben den Bereich nicht mehr her. Gstaad war nicht mehr drauf, also mussten wir pokern – und das taten wir. Rechter Hand, also nördlich vom Pass, zog sich ein Grat am Tal entlang, den wir prima als Abstieg nach Gstaad nutzen konnten. „Wasseregrat“ stand auf der Karte, die endete, kurz bevor auch der Grat zu en-den schien. Und zu Gstaad fiel uns spontan ein weiterer Bruderwitz ein: „Du getötet meine Bruder in ’staaad!“
        Das war ein Zitat aus dem von uns geliebten französischen Agentenfilm „OSS 117 – Er ist sich selbst genug“ – eine Parodie auf die frühen James-Bond-Filme und daher ein Hit bei uns.


        Auf dem Weg zum Wasseregrat: Diese Flanke gerade hinauf, dann über der Alp quer links am Hang entlang


        Am Grat

        Wir konnten es kaum glauben: Perfektes Wetter, eine neue, spannende Route und ein hoffentlich gelöstes Zeitproblem – wie geil! Und wir kamen nach Gstaad! Voller Freude nahmen wir die neue Route in Angriff und liefen schnell quer hinüber zum Hang des Louwenehore, an den sich der Grat anschloss. Es war heiß und sonnig, perfektes Wetter und wir griffen mächtig aus. Da wir in knapp 2.000 m Höhe wanderten, hatten wir ein atemberaubendes Panorama nach Süden hin bis zum Dente Blanche (meinte Hannes jedenfalls) und einen perfekten Ausblick auf „unsere“ Gummfluh.



        Allerdings hielt der Grat noch einige Überraschungen parat, denn nach einer anfänglichen leichten Wanderung wurde das Gelände schroff und der Weg felsig, eng und teilweise etwas haarig zu gehen mit unseren Ungetümen auf dem Rücken.


        Heiß war's - perfektes Wetter!

        Hier und da mussten wir die Hände zu Hilfe nehmen, rückwärts absteigen und vorsichtig um Ecken hangeln. Ei der daus! Wenn jetzt wieder Nebel wäre – aber zum Glück lachte uns schweißtreibend die Sonne aufs Haupt.
        Bald schon lag Gstaad zum Greifen nah tief, tief unter uns und wir rasteten am Stand, wo eine alte Biwakhütte steht, die wir staunend erkundeten.


        Hoch über Gstaad - ein Traum!

        Dann liefen und kletterten wir weiter und erreichten gegen halb drei die Seilbahnstation Dürrischilt am Ende des Wasseregrats. Eine Privatparty war dort in lustigem Gange und hin und wieder fuhren Gondeln herauf – doch offiziell war geschlossen. Wir seufzten, nahmen die Stöcke und liefen hinab ins Tal, steile Wege über Weiden und schließlich die Fahrstraße entlang.
        Dann kamen die ersten Häuser, Hotels thronten über dem Dorf, schicke Autos brausten an uns vorbei und wir kamen uns ziemlich fehl am Platz vor, als wir die Fußgängerzone hinauf gingen, an edlen Boutiquen vorbei und an der Touri-Info Halt machten. Ich ging hinein, schwitzend, stinkend, freundlich und fragte höflich, ob mir die Damen nicht sagen könnten, wie wir morgen am besten nach Col des Mosses kommen könnten – zu Fuß, verstünde sich.
        „Richtiges“ Kartenmaterial gäbe es hier keins, antworteten die Damen, aber Panoramakarten, das könne uns doch sicher weiterhelfen?



        Mit der Panoramakarte „Gstaad. Mountain Rides“ in der Hand ging ich seufzend wieder hinaus. Immerhin – wenn man dem Ding trauen durfte, lag L’Etivaz direkt unterhalb der Gummfluh auf der anderen Seite und Col des Mosses nur unwesentlich weiter den Berg hinauf. Das sah schon mal gut aus, auch da mit versichert worden war, dass die Gummfluh bloß eine Tageswanderung sei – mittags könnten wir sie erreicht haben. Es sah so aus, als hätten wir alles richtig gemacht! Am Bahnhof erklärte mir zudem ein freundlicher Beamter, wo wir einen Campingplatz finden könnten – der sei etwas außerhalb, in Richtung Saanen.
        Nach einem befremdlichen Coop-Einkauf zwischen Anzug tragenden Halbwüchsigen, die sich auf russisch unterhielten, fanden wir den Campingplatz auf Anhieb. Er lag hübsch am Flüßchen Saane und schien gut geführt zu werden. Der nette, weißbärtige Platzwart schickte uns in die hinterste Ecke, aber da war sonst niemand außer zwei alten Campingwagen, so dass wir dort unsere Ruhe hatten. Und: Er konnte uns mit dem Weg nach Col des Mosses weiterhelfen! Von L’Etivaz aus sei das nicht mehr weit, man müsse nur die Passstraße hinaufgehen, meinte er. Das sei nicht ungefährlich, aber machbar. Zu unserer großen Freude schloß sich aber unsere vorletzte Karte an L’Etivaz an – jedenfalls beinahe. Perfekt!



        Als wir dann etwas später beim Abendessen saßen, tauchte ein älteres Schweizer Pärchen auf. Sie waren ganz entzückt darüber, dass wir ihr Land durchquerten und derartig schätzten – besonders stolz erwies sich jedoch der Mann auf die guten Cervelas, die wir genüßlich kochten. Ja, die seien etwas ganz besonderes! Seine Frau würde sie ja auch grillen, vorne und hinten kurz anstecken und dann in der Pelle übers Feuer. Herrlich! Dann erzählte er noch, die Haute Route gelaufen zu sein, von Chamonix bis Zermatt! Das sei auch etwas für uns, ganz bestimmt!
        Und so endete dieser herrliche Tag in aller Ruhe und Zufriedenheit wie immer bei Erbswurst mit Cervelas und Wilhelm Tell.



        Samstag, den 24.09.2011
        Weiße Flagge am Röstigraben
        Aufwärts: 1.547 m
        Abwärts: 1.150 m


        Der vorletzte Tag! Wenn alles gut läuft, sind wir morgen Abend in Montreux ... am Genfer See! Montreux! – Wir waren ganz schön aufgeregt, als uns das klar wurde. Nur noch einen Tag! Irre – wir hatten uns so an das Zelt, an unseren Rhythmus gewöhnt, dass es eigenartig wirkte, so plötzlich vor dem Ende der Tour zu stehen. Auf einmal sollte alles vorbei sein, dabei war es doch so fantstisch, herrlich, anstrengend zwar, aber schlicht großartig.
        Und nun krochen wir am vorletzten Morgen des Wanderns aus dem Zelt in die feuchte Kälte, kochten Frühstück, tranken Kaffee und waren gespannt darauf, was der Tag wohl bringen würde. Hinauf ins Chalberhöni! Dorthin, wo ich als Kind gespielt und unser Vater das Bild der Gummfluh gemalt hatte, das auch Hannes in- und auswendig kannte. Ob wir so weit hinauf ins Tal kämen, dass wir die Hütte von damals sehen könnten?
        Zuerst jedoch führte der Weg am Flüßchen entlang Richtung Saanen. Es war ein hübscher, touristenkompatibler Kiesweg mit einigen Schildern zu allem möglichen Naturzeugs, quasi didaktisch aufbereitetes Wandern. Kurz vor Saanen liefen wir über den nächsten Zeltplatz, der tatsächlich links und rechts vom Wanderweg angelegt war – wir gingen direkt darüber. Ungewöhnlich, aber schön angelegt und direkt am Fluß. Dann erreichten wir Saanen und bewunderten den hübschen Bahnhof, von dem aus die Straße uns ins Chalberhöni führte. An schicken neuen Häusern in Rüebeldorf vorbei schlängelte die Route sich in das schnell enger werdende Tal, bis der Wanderweg rechts abzweigte und die Straße verließ, um nun am Hang entlang durch den schönen, sonnendurchfluteten Wald zu verlaufen. War das schön hier! Das Wetter ließ nichts zu wünschen übrig und der Wald umhüllte uns in seiner ganzen Pracht. So konnten wir ewig weiterlaufen, hier und da an Häusern bzw. Almen vorbei, ab und an über eine Weide und stets dabei mit schöner Regelmäßigkeit überrascht durch die vielseitigen, vielfältigen und höchst unterschiedlichen Lösungen, mit denen die Älpler die Törchen für die Pfade gestalten. Mal musste man den Draht ausklinken und wieder einhängen, dann schritt man durch ein viel zu enges Drehkreuz, etwas weiter war man gehalten, das Törchen nach oben hochzuklappen – ähnlich einer Schranke – oder über eine Trittleiter den Zaun zu überklettern. Hannes filmte jede neue Variante und machte später daraus eine witzige Aneinanderreihung der vielfältigen Varianten der Schweizer Weidentorkultur.
        In Chalberhöni selbst verbreiterte sich das Tal wieder, so dass der Pfad auf die Straße zurück führte. Hier war nicht viel los, nur ein paar Familien bauten gemeinsam an einem Stall, während die Kinder gemeinsam spielten. Hannes schäkerte wieder mit den Kühen, dann trafen wir auf ein blaues Straßenschild: „Chalberhönistrasse“. Ich fotografierte es mit dem Handy und schickte die MMS unkommentiert an unsere Mutter – sie kam nur leider nie an, wie übrigens alle meine SMS von unterwegs.
        Ich war aber wieder da – nach 33 Jahren stand ich wieder unterhalb der Gummfluh im Tal und genoss die wärmende Sonne.



        Was für ein Glück wir nun mit dem Wetter hatten, dabei war es Ende September! Nur dort, wo wir in den Schatten der Hänge eintauchten, wurde es schlagartig kühl und feucht. Hier hielt sich der Tau bis weit in den Tag hinein, was auch zu matschig-rutschigen Wanderpfaden führen konnte. Am Ende des Tals, nachdem wir bereits knapp 380 hm absolviert hatten, führte der Wanderweg uns links hinauf zum Wilde Bode, einem Rücken, der direkt zu Füßen des Gummesels, dem untersten Pfeiler der Gummfluh, lag. Vor uns kletterte eine junge Familie, da sich an der Pfadabzweigung im Tal ein Wanderparkplatz befand, von dem aus einige Leute starteten, wie wir sahen. Den Pfad ganz hinauf zu klettern war anstrengend und schwierig, weil wir dauernd rutschten und vorsichtig gehen mussten. Hannes war vorgelaufen, da ich noch ein paar Erinnerungsfotos schoss – und dabei keine 600 m Luftlinie von der Hütte entfernt stand, auf der wir damals wohnten. Aber wir beide wussten nicht, wo die lag, das stellte sich erst später heraus, als Hannes und unsere Mutter die Karten und alten Dias abglichen!



        Oben auf dem Rücken machten wir Rast und setzten uns neben den Wanderwegweiser an eine der tief ausgetretenen Rinnen, die die Kühe und die Erosion in die Weide gefräst haben. Mehrere Wanderer liefen den Rücken entlang zum Muttehubel, um von dort vermutlich eine Gratwanderung nach Saanen zu absolvieren. Wir mussten in die andere Richtung, zum Col de Jable, unserem heutigen Pass und zugleich die Sprachgrenze. Wir verließen damit die „deutsche“ Schweiz und kamen ins französischsprachige Vaude – nachdem wir das Berner Oberland nun komplett durchquert hatten. Diese Sprachgrenze wird in der deutschsprachigen Schweiz häufig auch als „Röstigraben“ bezeichnet, im französischsprachigen Teil dagegen auch als Rideau de rösti („Röstivorhang“) – in Anspielung auf den „Eisernen Vorhang“, ein recht klarer Hinweis auf die erstaunliche Rigidität, mit der diese Sprachgrenze von beiden Seiten aufrecht erhalten wird. Wie im gesamten französischsprachigen Kulturraum pflegen auch die Romands, also die romanischstämmige Bevölkerung der Schweiz, einen gewissen Sprachchauvinismus, der nach meinen Erfahrungen in Deutschland höchstens noch in Bayern vorkommt.
        Wir erlebten diese krasse Abgrenzung sehr deutlich – keine fünfhundert Meter vor dem Pass grüßten wir einen Älpler, der auch mit „Grüezi miteiand’!“ antwortete. Direkt hinter dem Pass dann trafen wir einen weiteren Älpler, der mit dem Handy auf Französisch telefonierte – und auch mit „Bonjour!“ antwortete! Wir mussten lachen, weil dieser harte Kontrast derartig merkwürdig war – auch der Baustil der Almen war plötzlich grundlegend anders, weniger dunkles Holz, viel mehr heller Naturstein. Irre!
        So stapften wir auf den Col zu, den wir gegen viertel vor elf erreichten. Geschafft! Die Sprachgrenze ist erreicht!!


        Der Col de Jable: Die "Schweizer Mauer"

        Wir witzelten herum, denn quer über den Pass zog sich eine niedrige Steinmauer, aufgeschichtet aus zahllosen Felsbrocken und gekrönt von einem rundgewickelten Stacheldraht. Es sah tatsächlich so aus wie eine Grenze, eine echte, gesicherte Grenze! Wir waren baff. Sicher hat diese Mauer ursprünglich eine ganz profane Nutzung als Einfriedung von Weiden gehabt, aber die Wirkung war eine ganz andere, jedenfalls auf uns Spinner: „Die Schweizer Mauer!“ rief ich. „Wenn man von dort drüben rüber möchte, schießen die von der anderen Seite! Wie bei der DDR damals.“
        „Ja, das ist hier Frankreich auf der anderen Seite,“ stimmte Hannes zu.


        Der Blick vom Pass aus auf "Frankreich"

        Spontan kletterte ich auf die Trittleiter, die neben dem Wegweiser stand, hob mein Handtuch, das ich zum Trocknen in die Sonne legen wollte, und rief:

        „Wir hissen die weiße Flagge im Angesicht des Erbfeindes Frankreich! Wir kommen in Frieden; wir haben die Dicke Bertha zu Hause gelassen und werden Paris diesmal verschonen. Bitte gewährt uns Durchlass, wir sind friedliche Wanderer.“



        Offensichtlich half unsere diplomatische Anstrengung, denn als wir nach gebührender Mittagspause die Grenze überschritten, schwiegen die Waffen.



        Am Fuß der Gummfluh entlang stiegen wir nun durch einen herrlichen Wald ab. Es war warm, sonnig, die Insekten summten und wir fühlten uns einfach gut. Unterwegs trafen wir auf eine Gruppe junger Leute, die im Wald lagerten und picknickten, grüßten ab nun geflissentlich mit „Salut!“ (bloß nicht auffallen, nachher werden wir wieder nach Bern ausgewiesen!) und genossen die Strecke bis L’Etivaz.
        Dort gabelten sich die Wege und wir mussten uns entscheiden: Links durchs ruhige Tal oder rechts am Hang hinauf über die Passstraße? Am Flüßchen im Grund setzten wir uns neben einem Sägewerk auf eine Bank, aßen etwas und diskutierten das Problem. Ohne richtige Karte waren wir etwas unsicher, da unsere nächste Wanderkarte erst ab dem Punkt La Poyat einsetzte. Daher wussten wir schlicht nicht, welche Variante kürzer war.
        Nach einigen Metern ins ruhigere Tälchen gen Süden blies Hannes zum Rückzug, denn wir hätten sonst über den Berg hinüber gemusst – und das sahen wir sofort, dass das eine Schinderei würde, ganz zu Schweigen von dem Zeitaufwand! Und jetzt war es schon weit über Mittag, daher drückte die Zeit. Wenn man nicht weiß, wann man ankommen wird und wie weit es tatsächlich noch ist, kann man schon leicht unruhig werden. Also war es abgemacht: Wir laufen die Passstraße, scheiß auf die Motorräder und LKW!
        Um es kurz zu machen, sei gesagt, dass die folgenden 4 km nach La Lécherette wirklich heftig waren. Aber wir schafften sie in knapp einer Stunde, und das den Berg hinauf über eine breite und vielbefahrene Straße, ständig auf der Hut vor LKW, Autos und Zweirädern, die hier an uns vorbeibrausten. Wo es ging, liefen wir möglichst neben der Straße, rannten nacheinander um nicht einsichtige Kurven und schwitzten Blut und Wasser, dass uns niemand umfährt. Offiziell war das mit Sicherheit kein Weg für Fußgänger, aber man sah am Straßenrand, dass wir lange nicht die einzigen waren, die hier entlang liefen.
        Endlich, endlich erreichten wir die Hochebene bei La Lécherette, schleppten uns zur Post neben dem Hotel (gegenüber auf dem Parkplatz standen Unmengen an Motorrädern) und schnappten nach Luft.
        Ich nutzte die Pause, um im kleinen Tante-Emma-Laden des Gebäudes zwei schöne Samstagabends Biere zu erstehen. Hatten wir ein Glück! Hier gab es fast alles, wir hätten nichts mitschleppen müssen, aber das weiß man ja nie im Vorfeld.
        „Est-ce qu’il y a une place de camping, Madame?“ fragte ich in meinem besten Restfranzösisch der längst vergangenen Realschulzeit.
        Die Besitzerin nickte scheu – ich war ihr vermutlich nicht ganz geheuer – und deutete weiter die Straße hinab Richtung Col des Mosses. Da vorne sei ein Platz, keine dreihundert Meter weiter!
        Wir konnten unser Glück kaum fassen. Hier oben, noch weit vor Col des Mosses, konnten wir bleiben! Wie geil! Alles richtig gemacht – hier an der Post wären wir sonst ohnehin vorbei gekommen, abgebogen und dann westlich Richtung Lac d’Hongrin gegangen. Perfekt! Durch unseren Ausflug über Gstaad hatten wir also sogar ganz richtig und wie erhofft einen kompletten Tag eingespart und sogar noch die Gummfluh umrundet. Yeah!
        Also los, Rucksäcke auf und ab dafür. Die restlichen Meter spurten wir nun unbedarft die Straße hinab, denn die war gerade und gut einsehbar. Im Wald stand eine Skulptur aus Holz, per Motorsäge ausgeschnitten, wie ich vermutete, die einen Fuchs darstellte. Darunter war eingeschnitzt: „Le couizon“ und daneben ein Pfeil: Camping. Hurra!
        Der Platz war eigenartig, aber hübsch. Es gab statt Toilettenhäuschen einen einzigen Sanitärcontainer, daneben stand ein alter Wohnwagen mit Vordach. Die Dauercamper hier grüßten freundlich, doch das waren ungewöhnliche Camper, alle sehr individualistisch, doch sehr höflich. Nur eine Frau hatte ihren Stellplatz über und über mit Gartendeko ausgestattet; den übrigen schien das nicht so wichtig zu sein. Ich fragte beim ersten Wohnwagen nach der Réception, da wies mich der nette, dicke Mann zu der Gartendekorateurin. Die wiederum beschied uns, bis sieben Uhr zu warten, dann käme der Besitzer, der uns weiterhelfen könne, sie sorge hier nur für Ordnung.
        Alles klar. Wir bauten unser Zelt auf, breiteten uns aus, duschten, kochten und alberten herum. Gegen kurz nach sieben rollte ein Auto herab, parkte neben dem alten Wohnwagen und drei Gestalten verschwanden darin. Niemand schien sich um uns zu scheren, daher ging ich nach einer Viertelstunde hinunter und klopfte vorsichtig an.
        Im Vorzelt saßen drei schräge Gestalten um einen kleinen Tisch, jede ein Bier in der Hand: ein dicker, langhaariger Typ, ein dünner, agiler Kerl und eine unsichere, ketterauchende Frau. Ich wurde mit Salut! begrüßt – ah, Neuankömmlinge, ich solle mich setzen, und ob ich ein Bier wolle. Zack, schon hatte ich ein nasses, kühles Heineken in der Hand. Der Dünne griff bei Gelegenheit hinter sich und holte aus einer wasserdichten Truhe die Flaschen heraus; waren sie leer, wanderten sie klirrend in eine blaue Tonne.
        Oh, zu zweit sogar? Ich solle meinen Bruder holen, der möge doch sicher auch ein Bier, oder? – Aber sicher, M’sieu! ... Hannes! Kommst du mal?
        Der Abend wurde unvergesslich.
        Wir saßen dem „Donc“ gegenüber, Besitzer des Platzes und mit richtigem Namen Laurent Mermod, aber der Dünne behauptete, hier nenne jeder seinen Kumpel bloß den „Donc“, weil er das ständig sage (es hieß offenbar so viel wie „Passt schon!“ oder „Schon klar“ oder so). Er war etwas sprechfaul, für ihn redete meist der Dünne in gebrochenem Englisch oder dessen Frau Sarah, die etwas Deutsch beherrschte. Zusammen mit unseren rudimentären Französischkenntnissen und etwas Englisch ergab das eine heitere Runde mit viel Gelächter und Spaß.
        Der Donc war hier in der Gegend offenbar ein bekannter Mann, Initiator des nach ihm benannten Donc Festival in Col des Mosses, das als Bluesfestival internationalen Ruf genösse und seit 1999 stattfände, erzählte der Dünne uns stolz. Danach sah der Donc jedoch – mit Verlaub – nicht im Entferntesten aus, schien aber eine wahre Seele von Mensch zu sein. Wir verbrauchten fast seinen gesamten Biervorrat, der dann aufs Haus ging, denn so viel Spaß hätten sie hier schon lange nicht mehr gehabt. Der Donc sei glücklich, dass wir seine Gäste seien, die anderen hier wären schließlich eher langweilig, übersetzte uns der Dünne das Genuschel des Donc.
        Zum Abschluss gab es dann tatsächlich noch einen Absinth mit Feuer und ohne Zucker – alter Finne, dachte ich, wie sollen wir beide denn morgen früh bloß aus den Federn kommen?!
        Dann verabschiedeten sich die drei und fuhren gegen neun wieder fort. Hannes und ich blieben sprachlos zurück.
        „Wie geil ist das denn?“ sagte Hannes. „Die kommen jeden Abend her, sehen ‚nach dem Rechten’ und geben sich die Kante? Abgefahren.“
        Das war der einsame Höhepunkt unserer letzten Woche, da waren wir uns einig. Und schlafen konnten wir jetzt auch – und zwar wie die Murmeltiere!
        Das muss das Boot abkönnen!

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        • Lookas
          Erfahren
          • 01.11.2011
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          • Meine Reisen

          #44
          AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

          Sonntag, den 25.09.2011
          Montreux, Montreux!
          Aufwärts: ca. 600 m
          Abwärts: 1.500 m


          Von der Gastfreundschaft des Donc fühlten wir uns am nächsten Morgen etwas „rough“, wie die Engländer sagen – aber egal, es war der letzte Tag, der große Tag, heute Abend würden wir in Montreux sein, am Ziel! Nur noch der Col de Chaude lag vor uns, verglichen mit Sefinenfurgge oder Bunderchrinde läppische 1.621 m, mehr nicht, knappe 280 m höher als der Zeltplatz. Aber das Beste war, dass wir den Zeitplan überlistet hatten, und das gleich auf ganzer Linie.
          Für Hannes war dies nun schon der 21. Tag und der 13. Pass, für mich „nur“ der 14. Tag und der 10. Pass, trotzdem eine schöne Leistung und eine fantastische Zeit. Es war mittlerweile ganz natürlich und selbstver-ständlich, dass wir morgens aufstanden und losgingen, abends irgendwo ankamen und dann am nächsten Morgen wieder weiterzogen. Ein tolles, unbeschreibliches Gefühl, jeden Tag etwas Neues zu erleben, Unbekanntes zu sehen und Herausforderungen zu überwinden – so klein sie auch sein mögen. Und mit dem heutigen Tag würde das, sowie alles glatt lief, vorbei sein – heute Abend würden wir zum letzten Mal das Zelt neu aufschlagen. Morgen war freier Tag, da würden wir uns Montreux ansehen und die Sonne genießen.
          Heuer jedoch rollten wir erst das Zelt ein, packten alles und dann stapfte ich hinauf zum dicken Schweizer und fragte nach dem Weg. Er nahm die Karte, drehte sie hin und her und wies uns dann unten durch den Wald, der an den Platz grenzte. Dort gehe es weiter, das könne man nicht verfehlen.
          Also schulterten wir die Rucksäcke und liefen los, über den Bach und den flachen Hang hinauf an einem alten Stall vorbei zur Straße, die uns nördlich des Stausees Lac d’Hongrin an den Kasernen entlang zum Fuß des Passes bringen sollte. Mitten auf der Kreuzung, die wir überqueren mussten, stand ein alter Panzer – weshalb auch immer. Das Rohr zeigte jedenfalls nach Osten, in Richtung „deutscher“ Schweiz ...



          Wir liefen nun die nächsten Stunden nördlich am Hang oberhalb des Stausees entlang, der malerisch und klar zu unseren Füßen lag.



          Überall standen Angler an den Schotterstränden, parkten Wohnmobile an der Straße, Autos und Motorräder. Der See schien ein Paradies für Angler zu sein, jedenfalls wimmelte es hier nur so davon. Irgendwann erreichten wir die Staumauer, die in Doppel-U-Form angelegt ist und den Bach Hongrin in sein Tal entlässt. Ein Tunnel führte uns in das Tal, am Straßenrand stand dann sogar an einer beschädigten Stelle ein Schild für Radfahrer, hier könne man sich prima auf die Fresse packen, abhalsen oder mit der Nase bremsen, falls man nicht aufpasse. So ein Schild hatten wir auch noch nicht gesehen und lachten uns tot!



          Überall liefen nun Ziegen auf den Weiden herum, die teilweise einfach unter den Zäune hindurch schlüpften und dann auch auf der Straße standen. Als wir den Talgrund erreichten und an einem Bauernhof vorbeiliefen, folgte uns sogar ein Trupp Ziegen – sie hielten uns offenbar für ihre Hirten! Dort, in La Vuichoude d’en bas, führte uns der Weg steil aufwärts über eine Kuhweide. In sicherer Entfernung von den Ziegen suchten wir uns nach etwa 50 hm ein paar Steine aus und rasteten dort.
          Erneut hatten wir Glück mit dem Wetter: Sonne, Wärme, blauer Himmel. Herrlich! Dann hörten wir einen langgezogenen, gurrenden Ruf, etwas wie „Couli couli couli!“ Ein Meckern antwortete und plötzlich begann es überall im Tal, zu bimmeln. Die Ziegen strömten im Laufschritt heran und verschwanden direkt im Stall – und Hannes erzählte, dass er schon davon gehört habe, wie Ziegen mit Lockrufen dressiert seien. Die würden dann einfach in ihren Stall laufen, um sich füttern und melken zu lassen. Irre!



          Der Aufstieg wurde nun steiler. Ein junges Paar kam tief unter uns herauf, die waren etwas schneller, denn sie trugen auch bloß Daypacks. Wir beide arbeiteten uns die Steigung im Zickzack hinauf, durch Wald und über Weide bis zur nächsten Alp. Dort tranken wir, genossen den jetzt schon tollen Ausblick auf das kleine Tal, brachen die letzte Karte unserer Route an und wandten uns den letzten ca. zwei Kilometern bis zum Pass zu. Die führten uns direkt in sumpfiges Gebiet – als wir in den Wald traten, matschte und quatschte es derbe unter den Stiefeln, der Weg war teilweise unbegehbar und die Kühe hatten auf breiter Front den Boden Knöcheltief umgepflügt. Die weiche, nasse Erde hatte ihre Fußstapfen tief aufgenommen, und nun balancierten wir schimpfend und fluchend von einer halbwegs sicheren Stelle zur nächsten. Das Paar überholte uns und kämpfte mit ähnlichen Schwierigkeiten, war aber wortkarg und grüßte bloß kurz. Der Sumpf ging über in Buschwerk, die Sonne drang durch und es wurde deutlich angenehmer.
          Dann erreichten wir die letzte Alp vor dem Pass. Ich ging den Pfad hin-auf zum Wegweiser und drehte mich freudig um: „Da! ... Montreux! Montreux!“
          „Ich glaub’s ja nicht, das erste Mal, dass Montreux ausgeschildert ist,“ freute sich Hannes. Das Ziel war nun zum Greifen nah!



          Nur eine kurze Verschnaufspause, Schulterklopfen und weiter ging’s, um die äußerste Schulter der Les Essetttes herum und dann lag der Pass am Ende einer langen, fast schnurgeraden Straße vor uns. Der letzte Pass. Der „heiße“ Pass – „chaude“ bedeutet tatsächlich „Hitze“. Wir liefen hurtig hinauf und freuten uns. Geschafft! Um 11:45 Uhr standen wir auf der Passhöhe und sahen den See. Da lag Villeneuve, direkt unter uns am Lac Léman, am Genfer See! Wir waren da!









          Wir tanzten vor Freude, umarmten uns und genossen die Aussicht. Warm war es hier auch, obwohl ein kühler Wind ging, aber das hatten Pässe halt so an sich. Und doch glaube ich, dass die Bezeichnung „Pass der Hitze“ vielleicht etwas damit zu tun hat, dass er eine Art Wärmescheide bildet zwischen dem warmen Seetal und dem kühleren Tal des Hongrin – wer weiß. Wir setzten uns hin, posierten etwas für Fotos und ruhten uns aus. Der Anblick war zwar schön, aber noch nicht spektakulär, denn wir sahen nur einen Zipfel des „Haut Lac“, mehr nicht.
          Aber das war egal. Ein schönes Mittagessen gab es nun, wir hatten ja Zeit und ab nun ging es nur noch abwärts – „in der Theorie!“ wie wir dann immer bedeutungsvoll zu sagen pflegten, seit jenem Tag am Hochstollen. Aber es war tatsächlich noch weit, sehr weit, das wussten wir auch und konnten es auch auf der Karte sehen. Bis Sonchaux waren es noch bestimmt vier Kilometer, dann noch einmal mindestens drei bis Glion und dann noch einmal einen hinab nach Montreux, um dort noch mindestens einen am Ufer entlang zum Campingplatz zu laufen – alles in allem also etwa neun, schlimmstenfalls zehn Kilometer. Das konnte drei, vier Stunden dauern, soviel war klar. Aber dafür hatten wir es dann auch hinter uns und würden direkt am Ufer zelten. Herrlich!
          So nahmen wir frohen Mutes die Teerstraße unter die Hufe und schritten schnell die Serpentinen hinunter. In dem Kaff Vuadens kam uns ein schmächtiger Jüngling entgegen, der uns anhielt und fragte, ob wir ihm sagen könnten, wo er sich befände. Er war Student in Lausanne und kam aus Deutschland, wohnte jedoch in Villeneuve bei Verwandten und pendelte jeden Tag zur Uni. Heute hatte er mal in die Berge gehen wollen und sich nach einer dieser typischen Panoramakarten gerichtet, die aufgrund ihrer Ungenauigkeit und seiner geringen Erfahrung aber nicht viel wert war. Wir nahmen ihn einfach mit bis hinter Sonchaux, wo er dann eine Abzweigung nach Veytaux hinab nahm, um am See zurück zu spazieren. Stranger Typ – wir waren etwas belustigt, so unbedarft, wie er losgerannt war.
          Noch vor Glion schmerzten uns die Füße vom vielen Abwärtslaufen auf Asphalt und hartem Schotter. Oh Mann, wann waren wir denn endlich da? Es war schon drei Uhr und wir noch nicht mal in Glion, oberhalb von Montreux! Von dort sollte eine endlose Treppe hinab in die Stadt gehen, etwas, auf das wir mit wenig Freude schauten. Dann, endlich, tauchten erste Rastbänke auf, Häuser, die Straße wurde befestigter, dann erreichten wir den Ortskern und setzten uns bei der Schule auf die Terasse mit Blick auf den See. Herrlich!
          Das Wetter ließ nach, es regnete etwas, aber unter den Kastanien saßen wir gut und vesperten noch etwas. Schließlich rafften wir uns auf und trotteten die Straße hinab, fanden den Pfad zu der Treppe und stiegen die tausend Stufen hinab. Um 15:52 Uhr dann hatten wir endlich an einer Stelle freien Blick auf unser Ziel: Montreux.






          Aber angekommen waren wir noch lange nicht. Die Treppe kostete Zeit und Substanz, ein ewig langer, steiler Stufenwurm, der sich über 200 m in die Tiefe zog. Als wir dann endlich, endlich das Tal erreicht hatten und in Montreux standen, umfing uns der Straßenlärm, die vielen Autos und die hastenden Menschen wie eine andere Welt. Wir waren gar nicht mehr an so etwas gewohnt und fühlten uns fehl am Platz. Auf der Promenade war es dann besonders schlimm, weil hier der ganze Jetset seine Juwelen spazieren führte und wir uns vorkamen wie wilde Männer aus den Bergen, struppig, stinkend, dreckig und heruntergekommen. Räuber, die in die Stadt kommen, um Beute zu machen. Wir posierten um halb sechs vor dem Stadtplan von Montreux am Stravinski Auditorium, so lange waren wir noch mit den letzten Kilometern beschäftigt gewesen!





          Und wir waren platt, fix und fertig. Beide wollten wir nur noch Ruhe und Abendessen, nichts weiter! Also stratzten wir im Stechschritt die Promenade hinab, einmal komplett um die Bucht von Vernex und um Clarens herum, am Yachthafen vorbei bis Burier, wo der Campingplatz sein sollte. Fast drei Kilometer noch mehr Tagesleistung ... und dann stolperten wir hinab zum Strand, sahen ein paar windschiefe Zelte und klopften beim Kiosk an.
          „Können wir hier zelten?“
          „Non, c’est fermé! S'il vous plaît regarder pour la panneau! We ’ave closed, sorry, look at the sign!“ sagte der Mann im Kabuff etwas schroff.
          Ja, da hing ein unscheinbares Hinweisschild am Eingang – wir waren nur wenige Tage zu spät dran. Die Zelte spielten keine Rolle, die waren halt da. Wir dagegen durften nicht mehr. Was jetzt? Ich fragte, ob es hier irgendwo noch einen Campingplatz gebe, da zeigte der Typ weiter den See entlang und sagte, irgendwo in Vevey gebe es wohl noch was, das sei noch ein, zwei Kilometer weiter (tatsächlich mit Auto etwa 6 km!), wir sollten doch einfach den Bus nehmen, der oberhalb des Platzes fuhr.
          Oh Gott. Wir waren ziemlich niedergeschlagen. Vevey! Wo zum Geier war das denn überhaupt? Unsere Karte endete in Montreux, feine Sache. Aber am Bushaltehäuschen gab es zumindest einen groben Überblicksplan und wir konnten so in etwa abschätzen, wo Vevey liegt. Den nächsten Bus nahmen wir dann auch gleich – bis Vevey Gare, dort stiegen wir aus und wandten uns an einen Polizisten.
          „Excuse moi, Monsieur …“
          „Oui?“
          „Est-ce qu’il y a une place de camping ici?“
          „Oh – hm. Une … ah, oui, ‚la pichette’, c’est une kilometre en cette direction.“
          „Ah, merci bien, Monsieur!“
          Also noch mal ewig und drei Tage weit! Der Polizist fügte aber noch hinzu, dass wir dort drüben – soweit er wüsste – mit dem Bus abfahren könnten, das sei nicht weit. Wir dankten ihm und dann liefen wir zu der Haltestelle. Aber so ganz passte das alles nicht – der hatte sicher keine Ahnung, welche Linie wohin fuhr, befürchteten wir, und das zu Recht, wie sich herausstellte. Die Linie fuhr nämlich etwa noch 800 m bis zur Standseilbahn La Funiculaire, dort war Endstation. Ich lief ins Häuschen, um eventuell Personal zu fragen, da hatte Hannes aber schon zwei junge Mädchen angesprochen, die uns den richtigen Weg wiesen – wenn wir schnell gehen würden, seien es etwa zwanzig Minuten bis zum Platz.
          Das klang gut. Es war schon sieben, wir mussten uns beeilen, denn die Plätze hatten bislang sämtlich gegen sieben geschlossen. Also rannten wir direkt gegenüber des Nestlé-Stammsitzes los, an kleineren Villen vorbei, über eine schmale Nebenstraße und dann unterhalb der Bundesstraße 9 nach Lausanne entlang bis endlich, endlich ein Schild auftauchte: Camping La Pichette! Unsere Stimmung war dennoch im Keller, wir hatten Hunger, waren müde und konnten beide einfach nicht mehr. Aber das Beste war: Der Platz war noch nicht geöffnet! Die Rezeption machte erst um acht auf! Uns fiel ein Stein vom Herzen!!!
          Eine junge Frau war jedoch da, und die wies uns an, uns einfach unter den Bäumen einen Platz zu suchen, wenn dann der Chef zurück sei, sollten wir uns gegen acht wieder an der Réception melden. Alles klar – gerne. Wir liefen glücklich den Hang hinab zum Platz, der zugleich zum Segelhafen gehörte, breiteten unsere Sachen aus, fielen zu Boden und atmeten tief durch.

          Wir – sind – da!

          Den Rest des Abends verbrachten wir im langsamen Modus. Gegen acht kam ein energischer, weißhaariger Mann herangestampft, fragte, ob wir uns angemeldet hätten und beorderte uns dann sofort hinauf, er käme gleich nach. Wir hatten allerdings noch ein Bargeldproblem, nämlich ein paar Franken zu wenig für zwei Nächte. Ich fragte ihn also, ob es okay wäre, erst mal nur die erste Nacht zu zahlen, wir würden morgen ohnehin zum Einkaufen in die Stadt gehen und dann das restliche Geld nachzahlen, heute hätten wir einfach einen irre anstrengenden Tag gehabt und würden von den letzten Franken gerne in seiner Bar noch ein Bier trinken.
          Ach, das sei kein Problem, lachte er. Wir könnten auch zwei Bier trinken und morgen einfach für beide Tage zahlen.
          Wir waren so erleichtert, dass wir ihm überschwänglich dankten, doch er grinste bloß. Uns jedenfalls schmeckte das Bier auf seiner Terasse fantastisch, auch, wenn wir beide viel zu müde und groggy waren, um uns groß zu unterhalten. Ich glaube, wir sind gegen neun bereits ins Zelt gesunken ...
          Das muss das Boot abkönnen!

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          • Lookas
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            • 01.11.2011
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            • Privat

            • Meine Reisen

            #45
            AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

            Montag, den 26.09.2011
            A Grand Day Off
            Abwärts: 1m

            Was für ein Gefühl! Wir mussten nicht früh aufstehen, der Wecker piepte nicht und es war angenehm warm im Zelt. Kein Frost, keine frische, kalte Luft – nein, hier herrschte spätsommerliche Wärme, als uns die Sonne langsam wachkitzelte. Wir waren am Ziel! Wir hatten es geschafft! Scheiß auf Montreux, was ist schon Montreux? Der Platz hier war super, viel besser als dieser halbseidene und halböffentliche Strandabschnitt da hinten, wo wir zuerst bleiben wollten. Hier konnten wir uns ohne Bedenken einfach mal absetzen, denn unser Platz lag so weit außerhalb, dass hier niemand ungefragt vorbei kam, ganz sicher. Der Besitzer war energisch, aber ein freundlicher Mann mit längeren, weißen Haaren und Bart, der dem Akzent nach vermutlich Amerikaner war oder mal gewesen sein könnte. Er sprach jedenfalls gut Deutsch und Französisch, jedenfalls hatte er alls im Griff und führte den Platz ziemlich gut.
            Einziger Nachteil war der Umschlagplatz für Kies und Sand am Kai. Ein Teil des Hafens war dafür abgetrennt und wurde regelmäßig von schweren Lastern besucht, die aber nach ersten Irritationen einfach nicht weiter störten. Heute war ohnehin Montag, da sollten die Leute auch ihrer Arbeit nachgehen, wenn wir schon frei hatten und genüsslich in der warmen Sonne abhingen.
            Nach einem geruhsamen Vormittag machten wir uns gegen elf auf die Latschen, um uns die Stadt ein wenig anzusehen, einzukaufen und ein paar Mirbringsel zu organisieren. Entspannt watschelten wir gemeinsam den Weg zurück, den wir am Abend noch so verbissen hergestiefelt waren. Im Sonnenschein war alles gleich viel schöner, was auch daran lag, dass wir ohne Rucksäcke und Stiefel unterwegs waren. Unsere Socken allerdings konnte man trotzdem sehen – die hatten weiße Stellen hinterlassen, was ziemlich komisch aussah!



            Nun hatten wir auch ein Auge für das riesige Nestlé-Gebäude. Teufel, war das schnieke! Da saß sichtbar das Geld, keine Frage. Hinter dem Gelände des Konzerns bogen wir rechts ab und folgten mehreren kleinen Straßen bis ans Ufer, wo die Promenade begann. In der warmen Luft ließ es sich prächtig schlendern, die Blumen standen noch in voller Blüte und der See lag in klarem Blau fast spiegelglatt vor uns. Die Berge am anderen Ufer verschwanden im Dunst, der durch die Wärme über dem Wasser hing, doch die Sonne strahlte heiß und direkt herab. Ein Traum! Wir waren im Urlaub!



            Zuerst schlenderten wir komplett am See entlang, bewunderten die eigenartigen Kunstobjekte im Wasser und lümmelten uns eine Weile auf eine Bank in der Nähe der Charlie-Chaplin-Statue des Künstlers John Doubleday. Der große Komiker hatte seinen Lebensabend auf dem Anwesen Manoir de Ban in einer Gemeinde oberhalb Veveys verbracht und gehörte damit zu den „Sehenswürdigkeiten“ der Stadt.



            Wir hatten sowieso vor, noch ein paar Souveniers zu besorgen, doch Vevey stellte sich als eigenartig Nippesavers heraus; eigentlich hatte ich eine Tasse mit Schweizer Flagge oder etwas ähnliches mitbringen wollen, aber hier gab es nichts! Wir liefen kreuz und quer durch den Ort – aber gefunden haben wir bloß einen Kiosk, wo sich Hannes eine BILD (!) kaufte. Dafür landeten wir in einem riesigen Einkaufszentrum, aus dem wir einiges an Nahrungsmitteln mitnahmen. Als Abschluß der Tour hatten wir für den Abend ein Festessen geplant, so richtig groß und herrlich. Dazu besorgten wir Gurken, Tomaten, Käse, Knoblauchgewürz, Senf und Olivenöl. In einem Discounter holten wir uns zusätzlich noch ordentlich Bier und Rotwein sowie knallrote Würstchen aus reinem Rindfleisch.
            Zurück auf dem Platz war dann Baden angesagt. Hannes’ Traum war es gewesen, die komplette Passroute zu laufen und dann in den Genfer See zu springen – und keine dreihundert Meter vom Campingplatz entfernt gab es einen schmalen, öffentlichen Strandabschnitt, wie geschaffen für uns. Ich hatte allerdings keine Badehose dabei, daher lieh mir Hannes seine abgeschnittene Läuferleggins, die ziemlich komisch an mir aussah. Aber das war egal, denn das Wetter und das Wasser lockten! Am Strand saßen ein paar Leute herum und sonnten sich, zwei Typen kochten etwas auf einem Gaskocher und wir setzten uns direkt ans Wasser. Kamera aufgestellt, angemacht – und dann rein in den See!



            Das tat gut. Nach all den Aufstiegen in den Bergen folgte nun ein allerletzter Abstieg ca. 1 m unter Seeniveau, in kühles, klares Wasser, in dem jedoch einige Algen schwammen. Auch die Schwäne, mit denen ich hier als Zweijähriger definitiv keine Freundschaft geschlossen hatte, waren nicht zu sehen. Das kurze Video war ein toller Schluss für den Film, den Hannes später aus den vielen Videoschnipseln machte, die wir unterwegs aufgenommen hatten. Dann saßen wir noch einige Minuten in der Sonne, ließen uns trocknen und kehrten schließlich zum Zelt zurück, denn der Rasen davor war deutlich gemütlicher als der grobe Kies des Strandes.



            So saßen wir gegen halb drei vor dem Zelt, Hannes las BILD und wir genossen in aller Ruhe ein halbwegs kühles Wilhelm Tell. Gegen halb sechs bekamen wir Hunger und suchten unseren Kram zusammen. Weiter weg am Ufer des Platzes standen mehrere Holztische mit Bänken, die perfekt für unser Festmahl geeignet waren. Rund um uns herum erstreckte sich das sagenhafte Panorama des Sees, Angler standen auf den großen Felsbrocken am Wasser und wir begannen in aller Ruhe, die Tomaten und die Gurke zu schnippeln. Was für ein Festessen! Sogar gute Butter hatten wir besorgt, in der wir die Würstchen braten wollten. Außer den Rindswürsten hatten wir noch ein Sechserpack scharfe Würstchen dabei, die kamen zuerst an die Reihe.



            Das Fett spritzte wie doof, nur gut, dass das keinen interessierte – der Holztisch sog die Spritzer förmlich auf und war hinterher komplett ein-gesaut. Ein älterer Angler gesellte sich kurz zu uns, lächelte über unsere Kochkünste und zeigte stolz seinen Fang, den er gleich neben unsererm Tisch tötete. Zack! Uns war das wumpe, hauptsache, wir mussten seine Fische nicht essen, denn wir hatten Appetit auf diese sagenhaften, roten Rindswürste. Und was soll ich sagen – die waren perfekt! Unfassbar. Wir schwelgte in den Dingern, so etwas Gutes hatten wir schon lange nicht mehr gehabt! Hammer!



            Und während wir uns so in den höchsten Tönen von dem Genuss der Würste vorschwärmten, ging am westlichen Ende des Sees langsam, in milchigblauem Dunst, die goldene Spätsommersonne unter. Ein malerischer, ein magischer Moment, der uns völlig fesselte. Einen schöneren, perfekteren Abschluss konnte man sich nicht wünschen – nicht einmal ausdenken, unmöglich.
            Das war einmalig.



            Erst, als es dunkel war und langsam kühl wurde, räumten wir unsere Sachen ab, packten zusammen und liefen zurück. Wir hatten so viel Zeug dabei, dass wir zwei Mal gehen mussten, dabei rannte Hannes dem glücklichen und leicht beschwipsten Platzchef in die Arme, der offenbar mit guten Stammgästen seinen Geburtstag feierte.
            „Was für ein herrlicher Abend,“ rief der Chef ... und damit hatte er vollkommen Recht.
            Unser freier Tag war grandios gewesen, nun leerten wir nach einem Spülgang im Dunkeln noch den Wein am Ufer und krochen glücklich und zufrieden in die Schlafsäcke. Morgen geht es zurück – schade. Wenn die Rückfahrt nicht schon so günstig im Vorraus gebucht gewesen wäre, hätten wir sicher noch ein, zwei Tage hier verbracht.



            Dienstag, den 27.09.2011
            Rückfahrt

            Wir wollten eigentlich gar nicht wieder fort, jedenfalls nicht so schnell. Aber was half es? Den Zug ausfallen lassen und einen oder zwei Tage später zum vollen Tarif fahren, konnten wir uns nicht leisten. Also quälten wir uns um halb sieben raus, packten und füllten ein letztes Mal unsere Flaschen. Ich hatte das Pech, dass mir ein Vogel noch kurz vor Aufbruch auf den Rucksack kackte – das war echt ekelhaft!
            An der Rezeption fragten wir den Chef nach Busverbindungen und er stellte uns fix eine Riviera-Card aus, mit der wir als Gäste seines Platzes umsonst mit dem Nahverkehr fahren durften. Super! Direkt oberhalb des Platzes fuhr der Bus zum Bahnhof, also stiefelten wir nach einem großen Dankeschön an den Chef hinauf und warteten etwa zehn Minuten. Dann genossen wir den Rundblick über Vevey, der sich von der Fahrstrecke des Busses aus bot. Hoch über dem See umrundeten wir die Stadt und stiegen am Bahnhof aus. Dumm nur, dass der Zug ab Montreux gebucht war, ob der auch in Vevey hielt? Wir ließen es nicht darauf ankommen und fuhren im Bummelzug nach Montreux, wo sich zeigte, dass wir uns diese Strecke hätten sparen können.
            Ich holte noch schnell zwei Kaffee aufe Faust für uns beide, dann hielt unser Zug und wir nahmen Platz. Der See zog langsam an unseren Fenstern vorbei, die Sonne lachte und irgendwie hatten wir gar keine Lust, zu fahren. Bis Basel SBB schlugen wir die Zeit tot, dösten und lasen in der kostenlosen Bahnzeitschrift. Beim Umstieg hatten wir noch etwas Zeit, so dass wir in Basel tatsächlich einen (allerdings sündhaft teuren) Souvenirladen fanden, aus dem wir uns leider nur noch Kleinigkeiten leisten konnten. So verschwanden unsere letzten Franken u.a. für eine Stange Toblerone – mehr war bei mir nicht drin.
            Unser Zug nach Osnabrück wurde irgendwo getrennt, daher waren die Wagen völlig unsinnig nummeriert und wir liefen im falschen Teil herum, um unsere Plätze zu finden. Erst die Durchsage nach Abfahrt klärte uns über unseren Irrtum auf – aber da war es zu spät und wir saßen bereits bequem auf nicht reservierten Plätzen.
            Der Nachteil war, dass wir dann ab Köln oder so in den vorderen Teil mussten und bis Münster stehen durften. Kein besonders schöner Abschluss für die Fahrt, aber was soll’s. Wenigstens von Münster bis Osnabrück fanden sich dann noch zwei freie Plätze. In Osna nahm Hannes die nächste NWB nach Essen, ich wartete noch eine halbe Stunde länger, bis meine Bimmelbahn nach Vechta fuhr. Wir umarmten uns, er nahm noch unser „Pilz Gloria“ mit und wir stellten fest, dass wir uns gar nicht vorstellen konnten, diese Tour mit irgendjemand anderem zu machen – so gut hatte es mit und gepasst. Das Glück hat man selten, aber wir zwei hatten tatsächlich ein perfektes Team abgegeben.
            Dann fuhr sein Zug. Ich wartete auf meinen, dann erreichte ich gegen Abend auch meine Wohnung in Vechta ... das Ende einer fantastischen Reise, 350 km quer durch die Schweiz von Sargans nach Montreux/Vevey. Wobei – ich bin ja bloß von Altdorf bis Vevey gewandert.
            Aber immerhin, ich war dabei.

            written by Johnny & Lookas
            Zuletzt geändert von Lookas; 16.10.2012, 15:39.
            Das muss das Boot abkönnen!

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            • hanseaticjonny
              Gerne im Forum
              • 30.01.2012
              • 78
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              #46
              AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

              Moin und danke für den ausführlichen Bericht!!

              Zitat von Lookas Beitrag anzeigen
              Vorbildliche, sehr effiziente Sporknutzung

              Gruß,
              John
              Zuletzt geändert von hanseaticjonny; 16.10.2012, 15:58. Grund: Wechsstaben verbuchselt!

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              • Detti
                Gerne im Forum
                • 16.06.2012
                • 73
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                #47
                AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                Vielen Dank für euren tollen Bericht und den klasse Bildern.


                Das Bild, mit den Verkehrszeichen mit dem Fahrrad, ist absolut der Hammer.
                Gruß Detlev

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                • wait
                  Erfahren
                  • 25.05.2011
                  • 404
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                  • Meine Reisen

                  #48
                  AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                  Einfach klasse, Euer Bericht! Gerade wenn man man viele Orte wiederentdeckt, die mal selber schon gesehen hat.

                  Jedenfalls habt Ihr eine tolle Tour gemacht - und einen super Bericht darüber abgeliefert.

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                  • Lookas
                    Erfahren
                    • 01.11.2011
                    • 129
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #49
                    AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                    Danke, das war wirklich eine tolle Reise! Wir waren noch lange ziemlich geflasht - ich habe mehrere Tage gebraucht, um wieder zu Hause "anzukommen". Mal sehen, ob wir nächstes Jahr was anderes hinbekommen - den GR11 durch die Pyrenäen oder vielleicht eine Woche Tessin, mal sehen. Koalitionsverhandlungen werden demnächst wiederaufgenommen.
                    Das muss das Boot abkönnen!

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                    • Johnny
                      Erfahren
                      • 09.02.2009
                      • 250
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #50
                      AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                      Danke fürs fertigschreiben! Bei mir hats mit dem "ankommen" so lange gedauert, dass es mir vor einem Jahr aus purer Wehmut einfach zu schwer fiel da weiterzutippen... aber so ist es endlich erledigt!

                      Ich wette dass dieses Fahrrad-Verkehrsschild ein Unikat ist, dass sich irgendein spaßvogel von Ziegenhirte da hingehängt hat
                      Mit den besten Grüßen vom Johnny!
                      Wie aus der sieht, wie rum der läuft!

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                      • Stippvisite
                        Erfahren
                        • 13.05.2013
                        • 140
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                        • Meine Reisen

                        #51
                        AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                        Ach schön, auch knapp 1 Jahr nach Erstellen des Berichtes noch dafür ...


                        Zitat von Johnny Beitrag anzeigen
                        p.s.: Wir haben übrigens ein neues Lieblingswort: FASERPELZ! So nennen die Schweizer hier Fleecejacken Zum Schiessen, oder?
                        Oder liebevoll auch "Fasi" genannt - gehört in dieser Kurzform auch zu meinen Lieblingswörtern


                        Zitat von Lookas
                        Ich wette dass dieses Fahrrad-Verkehrsschild ein Unikat ist, dass sich irgendein spaßvogel von Ziegenhirte da hingehängt hat
                        Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, wenn ich verrate, dass es kein Unikat ist
                        (Das nächste Schild ähnlicher Art befindet sich nicht weit von mir hier entfernt an einem Bahngleis - da sind halt unten keine Buckel sondern Striche, sieht also so aus.)

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                        • Chaot
                          Gerne im Forum
                          • 18.01.2011
                          • 76
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #52
                          AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                          Wow, ich war, nein ich bin immer noch total begeistert von eurem Bericht. Ich hab mitgefiebert als Ihr im Schneetreiben unterwegs ward und über das absolut witzige Radfahrerschild lachen müssen. Sehr mitreissend geschrieben.
                          In einem anderen Reisebericht von Lookas hab ich mich auch schon über einen Verweis über die ??? amüsieren können.
                          Das Teilstück bei Engelberg bin ich selber schon in gelaufen und auch den Wasseregrat bei Gstaad und waren auch auf dem selben Campingplatz wie ihr.

                          Freut mich riesig, das ihr als Brüder gemeinsam so ne Tour auf die Beine gestellt habt.
                          Leider hat mein Bruder für solche Wandertouren nichts übrig und seine Knie würden das wahrscheinlich gesundheitlich nicht mitmachen.

                          Aber vielen Dank für den tollen Bericht.
                          Die Straße gleitet fort und fort,
                          durch Berg und Schlucht, durch Feld und Tann,....

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                          • rockhopper
                            Fuchs
                            • 22.04.2009
                            • 1238
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #53
                            AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                            Super Bericht!..Klasse Fotos!

                            Die scharfen "Dinger" nennen sich Merguez (Rindwurst), gibt es auch in länger und bekommt man auch bei uns in den meisten Supermärkten.

                            VG rockhopper

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                            • Schweizlove
                              Neu im Forum
                              • 07.10.2014
                              • 7
                              • Privat

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                              #54
                              AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                              Hallo Ihr beide,

                              ich finde euren Bericht aus meiner Wahlheimat ganz toll und die Bilder beeindruckend. Super Sache und es ist ja wirklich alles dabei. Cervelas, Kühe, Berge uvm.

                              Das macht ja richtig Lust auf Nachahmung. Aber davon bin ich noch meilenweit entfernt

                              lg us em Aargau
                              Schweizlove
                              Laufende Steingeiss

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                              • Lookas
                                Erfahren
                                • 01.11.2011
                                • 129
                                • Privat

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                                #55
                                AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux


                                Das ist ja cool, dass der immer noch gelesen wird! Danke für Eure lieben Kommentare - ich bin gerade auch wieder voll geflasht, weil diese Reise für uns auch als Brüder was ganz besonderes war und tief in mir weiter wirkt ... ich weiß gar nicht, wie man das sagen soll. Spektakulär oder exotisch war es jetzt nicht, aber für uns beide ist es was sehr persönliches.

                                @rockhopper: Danke! Ich muss dann gleich Montag mal die einschlägigen Geschäfte checken. Alter, waren die Dinger lecker!!!

                                @chaot: Meine Knie sind leider auch anfällig ... mittlerweile. Ich wünsche dir aber, dass du trotzdem auch etwas ähnliches mit jemandem teilen kannst. Ich habe ja das Glück, zwei Brüder zu haben - da ist die Chance halt einfach größer, dass einer das auch gerne macht. Ansonsten gibt es leider auch nicht viele Leute in meiner Umgebung, die sowas gerne mitmachen.

                                @schweizlove: Bei dem Nickname bist du aber bestimmt schon auf dem richtigen Weg. Wenn du jetzt noch die richtigen Stiefel findest, geh einfach drauflos! Nutz dein Glück, da zu wohnen und genieße einfach, raus zu kommen. Die Abenteuer kommen dann ganz von alleine ...
                                Das muss das Boot abkönnen!

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                                • Schweizlove
                                  Neu im Forum
                                  • 07.10.2014
                                  • 7
                                  • Privat

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                                  #56
                                  AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                                  Danke Lookas, aber bis dahin habe ich noch einen ordentlichen Weg vor mir.
                                  Ich bin eher so die Lauftante
                                  Bergwandern mit Schatzi, allerdings noch nix mit Übernachtung und Zelt und so.
                                  Mein Nick kommt von Schweiz und Love (meine Love ist von hier) und ich bin her gezügelt, wie die Schweizer so sagen.

                                  Dir und deinem Bruder weiterhin schöne Wanderungen,

                                  lg Schweizlove
                                  Laufende Steingeiss

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                                  • spaetzuender
                                    Anfänger im Forum
                                    • 18.09.2014
                                    • 17
                                    • Privat

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                                    #57
                                    AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                                    Hallo Lukas und Johannes,
                                    ihr habt vielleicht den besten Bericht dieses Forums geschrieben: mit Intelligenz, Witz und einem Schuß Selbstironie - absolut wunderbar!! Ohne das Selbstdarstellungs- und Geltungsbedürfnis, das in anderen Berichten ziemlich offensichtlich ist. Dazu diese herrlichen Fotos. SPITZE !!


                                    P. S. Matthäus und Markus waren wohl nicht dabei?

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                                    • Igelstroem
                                      Fuchs
                                      • 30.01.2013
                                      • 1888
                                      • Privat

                                      • Meine Reisen

                                      #58
                                      AW: [CH] 350 Kilometer quer durch die Schweiz- von Sargans nach Montreux

                                      Zitat von spaetzuender Beitrag anzeigen
                                      [I]hr habt vielleicht den besten Bericht dieses Forums geschrieben: mit Intelligenz, Witz und einem Schuß Selbstironie - absolut wunderbar!! Ohne das Selbstdarstellungs- und Geltungsbedürfnis, das in anderen Berichten ziemlich offensichtlich ist.
                                      Mich sticht der Hafer.

                                      Dass ich eine überaus positive Meinung von Lookas’ Reiseberichten habe, ist ja bekannt. In obigem Bericht fiel mir aber gerade wieder einmal auf, wie wichtig die distinktive Abgrenzung des ODS-Wanderers von anderen Touristen und Tagesausflüglern ist. Das ist irgendwie ein literarisches Genre-Element. Aber gerade in der Schweiz ist ja die Koexistenz verschiedener Arten von Tourismus etwas besonders Gewöhnliches. Dass der stinkende Mehrtagesgepäckwanderer gelegentlich beäugt wird, liegt also nicht daran, dass er hier ein Wesen von einem anderen Planeten wäre, sondern dass es an ihm im Zweifel mehr Interessantes zu sehen gibt. Wenn ich – sagen wir: mit meiner fast 90-jährigen Tante – zum Tagesausflug mit der Seilbahn nach oben fahre, betrachte ich dort die vereinzelten Gepäckwanderer wohl auch mit einigem Interesse. Das liegt aber nicht zwangsläufig daran, dass für mich das Wandern eine fremde Welt ist. Und so wird es vielleicht auch noch manchem anderen ergehen, der einen ODS-Wanderer an der Seilbahnstation oder in der Fußgängerzone trifft. Man braucht gar nichts zu stilisieren. Ohnehin treten die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens in sehr verschiedenen touristischen Rollen in Erscheinung.
                                      Lebe Deine Albträume und irre umher

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